FIETE-01-2021
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Auf dem Hof in der Hansastraße 48 herrscht<br />
schon in den frühen Jahren nach der<br />
Besetzung reges Treiben<br />
083<br />
KIELERLEBEN<br />
IM ZEITRAFFER-TEMPO<br />
Als sich der gemeinnützige Verein im November<br />
2<strong>01</strong>9 traf, um die Inhalte und das Programm<br />
für das anstehende Jubiläum <strong>2021</strong><br />
zu besprechen, war nur die Rede von einer<br />
Veranstaltung zur Ehren des Kulturzentrums.<br />
Jan-Hinnerk Wittmershaus, Verantwortlicher<br />
des Kulturbüros der Hansa überlegte sich gemeinsam<br />
mit Charlotte Spieler, Mitglied des<br />
Vereins, eine Chronik für das runde Jubiläum<br />
anfertigen zu lassen. Sie gaben den Impuls<br />
für das 290 Seiten umfassende Werk, das<br />
nur 16 Monate später erscheinen sollte. „Uns<br />
war wichtig, dass sich jemand mit der Chronik<br />
befasst, der einen gewissen Blick für das<br />
gesamte Projekt hat“, sagt Charlotte Spieler,<br />
die das Grundstück seit 1985 bewohnt. Sie<br />
schrieben das Buchprojekt öffentlich aus<br />
und erhielten insgesamt sechs Bewerbungen<br />
von möglichen Autor*innen. Die Wahl fiel<br />
schließlich auf die Historiker Dr. Hansjörg<br />
Buss und Andreas Langmaack. „Sie bringen<br />
einerseits den beruflichen Hintergrund mit<br />
und haben andererseits persönlichen Bezug<br />
zur Hansa 48, der für uns von vorn herein für<br />
dieses Projekt im Vordergrund stand“, sagt<br />
Wittmershaus.<br />
UNMENGEN AN MATERIAL<br />
Langmaack, der bereits 2<strong>01</strong>4 seine Magisterarbeit<br />
an der Christian-Albrechts-Universität<br />
zu Kiel zum Thema Hausbesetzerkultur<br />
im Zusammenhang der Geschehnisse in<br />
der Hansastraße verfasste, erwies sich als<br />
Glücksfall für die Entstehung der Chronik. Neben<br />
dem Quellenstudium führten die beiden<br />
Historiker viele Gespräche mit ehemaligen<br />
und aktuellen Bewohner*innen. „Viele Geschichten<br />
rund um die Hansa48 haben es<br />
in die Chronik geschafft – jedoch nicht alle.<br />
Einige haben lediglich eine kurze Erwähnung<br />
gefunden, andere konnten und mussten wir<br />
ausführlicher darstellen“, sagt Langmaack,<br />
der sich vor allem über eine gut sortiertes<br />
Archiv der Hansa freuen durfte. „Das Material<br />
war sehr gut sortiert und archiviert. Das<br />
macht die Arbeit einfacher.“ Neben dem<br />
Privatarchiv des Vereins arbeiteten die Historiker<br />
mit den Quellen aus dem Archiv der sozialen<br />
Bewegung in der Schweffelstraße – und<br />
wurden fündig.<br />
„Die Geschichte der Hansa48 ist nicht<br />
als singuläres Ereignis, sondern als ein<br />
Ergebnis einer Epoche zu verstehen.“<br />
Das Buchcover der Jubiläums-Chronik von<br />
Hansjörg Buss und Andreas Langmaack<br />
Sie erzählen die Geschichte der Hansa seit<br />
ihren Anfängen, als die Wankendorfer Baugenossenschaft<br />
das Objekt gekauft hatte und<br />
die Gebäude abreißen wollte, um dort Wohnungen<br />
zu bauen. Von Anfang an sorgten die<br />
Besetzer*innen dafür, dass die Öffentlichkeit<br />
informiert und einbezogen wurde. Es wurden<br />
viele kulturelle und politische Veranstaltungen<br />
angeboten, Kino, Musik, Lesungen und<br />
Bewirtung. Es gab eine Druckerei, eine Fahrrad-<br />
und eine Autoselbsthilfewerkstatt. Der<br />
Kontakt zur Nachbarschaft wurde gesucht.<br />
Charlotte Spieler lebt in ihrer Wohnung auf<br />
dem Gelände der Hansa bereits seit 1985.<br />
„Ich finde es toll, die Möglichkeit zu haben,<br />
sich hier zu entfalten“, sagt die ehemalige<br />
Rechtsanwältin in Pension.<br />
„Es ist für mich ein Lebensmodell, dass in<br />
Kontrast zur öden Juristenlandschaft steht.“<br />
Es sind Stimmen, wie ihre, die Buss und Langmaack<br />
in ihrer Chronik Gehör verschaffen. Es<br />
geht ihnen um Einblicke in eine Kieler Kulturinstanz,<br />
die ohne den Aktivismus der 80er<br />
Jahre heute nicht mehr existieren würde.<br />
„Wenn das Material lückenhaft war,<br />
war Charlotte sehr hilfreich, die<br />
seit den Anfängen der Hansa als Wohnund<br />
Kulturzentrum alles erlebt hat.“<br />
Charlotte Spieler ist darüber hinaus Sprecherin<br />
für das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum.<br />
Für eine Besetzung würden ihr aus<br />
heutiger Sicht bereits einige Gebäude einfallen.<br />
Sie würde jedoch aufgrund des fehlenden<br />
Netzwerkes scheitern. „Eine Besetzerbewegung<br />
wie in den 80er Jahren gibt es heute ja<br />
gar nicht“, sagt die langjährige Bewohnerin<br />
der Hansa. Das läge auch und vor allem daran,<br />
dass Besetzungen schon innerhalb kürzester<br />
Zeit durch die Polizei aufgelöst würden. „Damals<br />
schauten sich die Beamten die Szenerie<br />
an, winkten ab und fuhren in ihren Autos<br />
wieder davon“, sagt sie. Das funktioniere<br />
heute so nicht mehr.Übrigens erhebt die<br />
Chronik keinen Anspruch auf Vollständigkeit,<br />
weshalb jeder gern dazu eingeladen ist, einen<br />
Folgeband in den kommenden Jahren zu verwirklichen.<br />
Vielleicht feiern wir dann 50 Jahre<br />
Hansa ebenfalls mit einer umfangreichen<br />
schriftlichen Chronik seit ihren Anfängen<br />
inklusiver Interviews und noch mehr Hintergrundgeschichten.<br />
Von Sebastian Schulten<br />
SoSe <strong>2021</strong>