14.06.2021 Aufrufe

planet toys_Mai_2021

planet toys

planet toys

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

38 STIMMEN AUS DEM HANDEL<br />

STIMMEN AUS DEM HANDEL<br />

39<br />

Besonders bitter<br />

ist, dass wir jetzt<br />

auf die Almosen<br />

des Wirtschaftsministers<br />

angewiesen<br />

sind.<br />

DIETER & AXEL SELMAIR<br />

Selmair Spielzeug<br />

GEHT DAS GUT?<br />

Zwischen Blues und Jetzt-erst-recht – eine Momentaufnahme im Spielzeughandel<br />

WIR BRAUCHEN EINEN PARADIGMEN-<br />

WECHSEL<br />

Dieter und Axel Selmair vom Regensburger<br />

Spielzeuggeschäft Selmair wollen nicht<br />

jammern, aber die Pandemie hat Spuren<br />

hinterlassen. In der tiefsten Wirtschaftskrise<br />

der Nachkriegszeit haben die beiden im<br />

September/Oktober das Geschäft komplett<br />

umgebaut – in der Hoffnung, dass es im Weihnachtsgeschäft<br />

richtig losgeht. Fehlanzeige.<br />

„Besonders bitter ist“, sagt Dieter Selmair,<br />

„dass wir jetzt auf die Almosen des Wirtschaftsministers<br />

angewiesen sind.“ Er selber<br />

habe sich 2020 kein Gehalt gezahlt. Kurzarbeit,<br />

Soforthilfen und Überbrückungshilfe<br />

III konnten zwar das Schlimmste verhindern,<br />

aber ungerecht behandelt und bevormundet<br />

fühlt man sich dennoch. „Mir ist klar, dass die<br />

Politik versucht, Kontakte zu reduzieren, aber<br />

mehr Gerechtigkeit und Toleranz hätte ich mir<br />

schon gewünscht“, sagt Selmair, „denn es gibt<br />

keine Beweise dafür, dass sich die Menschen<br />

beim Einkaufen im Spielwarengeschäft<br />

anstecken. Jetzt drängeln sie sich an der<br />

Supermarktkasse oder im Drogeriemarkt.“<br />

Die Zeit des Lockdowns haben sie intensiv<br />

genutzt, mit den Mitarbeitern eine Leitbilddiskussion<br />

zu führen, zwei Online-Shops<br />

aufzubauen und die Social-Media-Klaviatur zu<br />

spielen. „Online waren wir relativ erfolgreich,<br />

wenn man keine Renditeansprüche stellt“,<br />

sagt Dieter Selmair. „Amazon schafft in der<br />

Stunde vielleicht 100 Pakete, wir sechs oder<br />

sieben.“ Selmairs drehen jetzt Videos, um<br />

den Kunden Produkte oder das Geschäft<br />

vorzustellen, zu sehen auf Instagram und<br />

Youtube. „Nur zusperren und darauf hoffen,<br />

dass die Kunden wiederkommen, reicht nicht.<br />

Social Media sind heute unumgänglich.“<br />

Geholfen hat, dass die Kunden dem Geschäft<br />

treu bleiben. Es gab sogar eine Spende einer<br />

Kundin. Am meisten wurmt Selmair, dass der<br />

Staat die Bürger rigoros an die Hand nimmt,<br />

der doch ein Recht darauf habe, sich selber zu<br />

schützen. „Ich bin kein Corona-Leugner oder<br />

-Verharmloser“, sagt Dieter Selmair, „aber die<br />

Art und Weise, wie der Staat die Wirtschaft<br />

schon über ein Jahr einseitig belastet, ist<br />

geradezu lächerlich. Wir brauchen einen<br />

Paradigmenwechsel.“ Aufgeben wollen sie<br />

nicht, auch wenn der Start <strong>2021</strong> verhalten<br />

war. „Der Handel wird da eine Chance haben,<br />

wo er einen echten Mehrwert schafft,<br />

richtig gute Informationen, eine richtig gute<br />

Sortimentsauswahl und eine richtig gute Präsentation<br />

plus ein bisserl Emotionen bietet.“<br />

Die Pandemie wird dennoch eine Schneise<br />

der Verwüstung hinterlassen. „Ich gehe davon<br />

aus, dass wir nach der Pandemie bei 15 % bis<br />

20 % der Läden in Regensburg nicht mehr die<br />

alten Betreiber oder Leerstand sehen werden.<br />

Ich fürchte, es wird auch unsere Branche<br />

erwischen.“ Selmair will nicht dazugehören.<br />

Der Mietvertrag wurde gerade um zehn Jahre<br />

verlängert.<br />

DIE POLITIK TREIBT ZUM ONLINE-KAUF<br />

Geht die Welt unter, glaubte Bismarck, gehe sie<br />

in Mecklenburg-Vorpommern 100 Jahre später<br />

unter. Das Leben läuft nach dem Motto ab: „Wat<br />

soll ick mich hüt upregen über dat, wat morgen<br />

gar nicht kümmt.“ Aber manchmal können<br />

selbst die Stillen nicht anders, als sarkastisch<br />

zu reagieren. „Ich weiß nicht“, sagt Jörg Busse,<br />

Inhaber des Rostocker Fachgeschäftes color<br />

and more, „ob ich einen Schnapsladen brauche,<br />

aber dafür keine Schreibwaren mehr, damit ich<br />

öffnen darf.“ Busses 300 m 2 großes Geschäft<br />

liegt im Einkaufszentrum Rostocker Hof. Während<br />

dort der „Schnapsladen“ die Leute anlockt,<br />

muss Busse mitansehen, dass „die Kunden<br />

alles, was sie bei uns nicht kaufen dürfen, beim<br />

Rossmann nebenan kaufen dürfen.“<br />

Der Rostocker zog alle Register, um den<br />

Lockdown zu überstehen: Kurzarbeit, staatliche<br />

Unterstützung, Telefonverkauf, Whats-<br />

App-Beratung, Online-Bestellungen, Click &<br />

Collect etc. Das Nervenkostüm ist inzwischen<br />

von dieser Art des Business strapaziert, nicht<br />

der Kunden wegen, „denn die meinen es ja<br />

gut, aber ich renne vom Radiergummi zum<br />

Papier und dann zum nächsten Regal. Das ist<br />

Ich bin überzeugt,<br />

dass die<br />

Pandemie die<br />

ganze Handelslandschaft<br />

verändern<br />

wird.<br />

CARSTEN LAAG<br />

MATSCHKE Modellbahnen<br />

mühselig, aufwendig, stressig, ineffektiv und<br />

unwirtschaftlich.“ Jörg Busse will zurück zu<br />

dem, wofür color and more steht: persönliche,<br />

kompetente Beratung. Online ist nicht die<br />

Kernkompetenz des Geschäftes. Busse kritisiert<br />

denn auch, dass die Politik mit ihren Maßnahmen<br />

die Kunden geradezu ins Netz und zu<br />

Amazon treibt. Wie viele seiner Kollegen füllt<br />

er sich extrem ungerecht behandelt. „Ich sehe<br />

einfach nicht ein“, sagt er, „dass Kunden beim<br />

Edeka das Schreibgerät von Stabilo oder den<br />

Lamy Füller kaufen können, obwohl wir selbst<br />

in normalen Zeiten eine weitaus geringere<br />

Kundenfrequenz haben als ein Lebensmittelhändler<br />

oder eine Drogerie.“<br />

Aufgeben will Busse nicht. Er sieht nach<br />

wie vor gute Chancen für sein Geschäft. „Ein<br />

Sortiment in der Tiefe, wie wir es führen, “, sagt<br />

er, „hat kein anderer und die Hauptlieferanten<br />

werden uns unterstützen, wenn es wieder losgeht.“<br />

Dass der stationäre Einzelhandel Federn<br />

lassen wird, das glaubt er allerdings. „Ich weiß<br />

von einigen Geschäften in Rostock, dass sie<br />

nicht mehr öffnen werden. Darunter leidet<br />

auch die Innenstadt.“ Dafür hat ihm der Vermieter<br />

unlängst zu verstehen gegeben, dass<br />

der Mietindex gestiegen ist. Verkehrte Welt.<br />

SORGE VOR DEM „GRAND OPENING“<br />

Carsten Laag, Inhaber des traditionsreichen<br />

Wuppertaler Fachgeschäfts für Modelleisenbahn,<br />

Plastikmodellbau und Modellbau,<br />

MATSCHKE Modellbahnen, schwant nichts<br />

Gutes. „Ich bin überzeugt“, sagt der Wuppertaler,<br />

„dass die Pandemie die ganze Handelslandschaft<br />

verändern wird, weil es danach schwierig<br />

wird, die Kunden, die jetzt online bestellen,<br />

zurückzugewinnen.“ Filialisten specken ab,<br />

konzentrieren sich verstärkt auf den Online-<br />

Handel, inhabergeführte Geschäfte geben<br />

auf. „In Wuppertal, einer Stadt mit 350.000<br />

Einwohnern, gibt es kein einziges Spielwarengeschäft<br />

mehr, nur Müller, den ich nicht als<br />

Spielwarengeschäft bezeichne. Im Umland,<br />

Solingen, Remscheid, dasselbe Bild.“ Laag sieht<br />

es mit einem lachenden und einem weinenden<br />

Auge. „Vielleicht hat es auch etwas Gutes und<br />

es handelt sich um eine natürliche Auslese,<br />

wenn unsere Innenstädte nicht mehr von<br />

diesen ganzen Pommes- und Würstchenbuden<br />

oder Restaurantketten verunstaltet werden.“<br />

Ich weiß nicht,<br />

ob ich einen<br />

Schnapsladen<br />

brauche, aber<br />

dafür keine<br />

Schreibwaren<br />

mehr.<br />

JÖRG BUSSE<br />

color and more<br />

MATSCHKE geht es gut. Der Drang nach<br />

Beschäftigung hat der guten alten Modelleisenbahn<br />

geholfen. Stammkunden vertrauen dem<br />

Geschäft fast blindlings. „Der große Vorteil, den<br />

wir haben“, sagt Carsten Laag, „ist, dass wir<br />

schon lange am Markt sind.“ Selbst staatliche<br />

Hilfe nahm das Geschäft nicht in Anspruch. Die<br />

Kunden bestellen telefonisch, online, entweder<br />

auf der eigenen Website, auf dem idee+spiel-<br />

Marktplatz oder auf Ebay. Letzteres wurmt Laag,<br />

er spielt dennoch mit. Die Gebühren, die der<br />

Marktplatz nimmt – nämlich bis zu 13 % – „sind<br />

ganz schön happig bei den Margen in unserer<br />

Branche.“ Für Laag steht jedoch fest, dass der,<br />

der nicht online präsent ist, nicht existiert. Trotz<br />

der relativ entspannten Situation „kann ich<br />

nicht sagen, dass es der Modellbahnbranche<br />

prinzipiell gut geht. Einige Kollegen nutzen<br />

die Zeit auch für sich.“ Nur die Rückkehr zum<br />

gewohnten Alltag bereitet Laag Sorgen. Was ist,<br />

wenn die Reisebüros, die Restaurants öffnen,<br />

sich das Fernweh einstellt und das alte Leben<br />

zurückkehrt? „Ich befürchte, dass es dann zu<br />

einem Einbruch kommt, aber er wird uns nicht<br />

nachhaltig schädigen, weil wir gut dastehen.“<br />

Vielleicht bleiben die (Wieder-)Einsteiger, die<br />

während der Pandemie Blut geleckt haben, ja<br />

Märklin & Co. treu. Prognosen waren schon<br />

immer schwierig.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!