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moneyeditorial<br />
EDITORIAL<br />
Corona, Sokrates<br />
und die Börse<br />
In der Schule hatte ich Altgriechisch und ich war eine ziemliche<br />
Niete darin. Mehr schlecht als recht übersetzte ich Platons „Verteidigungsrede<br />
des Sokrates“, doch eines hat sich mir bis heute<br />
eingeprägt: die Suche nach der Wahrheit. Für Sokrates war eine<br />
Aussage erst dann richtig, wenn ihr vernünftigerweise nicht widersprochen<br />
werden konnte. Bis dahin galt seine Erkenntnis: „Oîda<br />
ouk eidōs“, „Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß.“<br />
„Ich ging zu einem von den für weise Gehaltenen“, verteidigt sich<br />
Sokrates bei seiner Gerichtsverhandlung in Athen. „Er schien mir<br />
aber am meisten sich selbst weise vorzukommen. Daraufhin überführte<br />
ich ihn seines Nichtwissens, wodurch ich ihm selbst verhasst<br />
wurde und vielen Anwesenden auch. Ich dachte: Weiser als<br />
dieser Mann bin sogar ich. Denn es mag wohl eben keiner von uns<br />
beiden etwas Sonderliches wissen; allein er meint zu wissen, ich<br />
aber nicht. Ich scheine also um dieses wenige weiser zu sein, dass<br />
ich das, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen.“ Weisheit<br />
beginnt für Sokrates also mit der Entlarvung des Scheinwissens.<br />
Warum ich Ihnen das alles erzähle? Weil es etwas mit der Börse<br />
zu tun hat, mit Corona und den Medien.<br />
Im Mai vergangenen Jahres stellte Ex-Präsident Donald Trump<br />
die These auf, das Coronavirus sei bei einem Laborunfall in Wuhan<br />
entstanden. „China soll die Warnung vor Covid-19 um sechs Tage<br />
verzögert haben“, berichtet auch der Nachrichtensender CNN.<br />
Groß war die Riege der Kritiker. „Darauf weisen die Studien, die<br />
sich damit beschäftigt haben, nicht hin“, konterte etwa SPD-Gesundheitsexperte<br />
Karl Lauterbach. Er suche nur „Sündenböcke<br />
und dazu zählen auch die Labore in China“.<br />
Ein gutes halbes Jahr später dann eine Analyse eines Nanowissenschaftlers<br />
der Universität Hamburg. Demnach würden „sowohl<br />
die Zahl als auch die Qualität der Indizien für einen Laborunfall<br />
am virologischen Institut Wuhan als Ursache der Pandemie sprechen“.<br />
Zeit, die eigene Meinung zu hinterfragen? Niemals! Von einer<br />
„kruden Studie“ spricht der „Spiegel“, von einer „Verschwörungstheorie<br />
aus der Uni“ die taz.<br />
Am 26. Mai dieses Jahres dann die Wende: die Presseerklärung<br />
von US-Präsident Joe Biden. Der US-Präsident stellte darin offen<br />
fest, dass die Geheimdienste seines Landes keine verlässlichen Erkenntnisse<br />
dazu haben, wie das Virus in die Welt gekommen ist. Es<br />
gebe dazu unterschiedliche Szenarien. Er habe die Geheimdienste<br />
angewiesen, nachzuforschen und ihm in 90 Tagen Bericht zu erstatten.<br />
Biden erwähnte ausdrücklich das Szenario, das politisch<br />
extrem heikel ist: die Theorie, dass das Virus nicht auf natürlichem<br />
Wege von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist, sondern<br />
bei einem Unfall in einem chinesischen Labor entstanden ist.<br />
18 internationale Biologinnen, Immunologen und andere Fachwissenschaftler<br />
untermauern im Fachmagazin „Science“ dieses<br />
Vorgehen. Die „Weisen“ in den deutschen Leitmedien, allen voran<br />
Lauterbach, „Spiegel“ und taz, hatten offenbar „Scheinwissen“ verbreitet:<br />
Ach, würde Sokrates doch noch leben.<br />
Und nun zur Börse. Was wird wohl passieren, wenn der US-Geheimdienst<br />
im August seinen Wuhan-Bericht veröffentlicht? Die<br />
chinesischen Behörden mauern in Sachen Informationspolitik,<br />
aber einen Freispruch mangels Beweisen wird es wohl kaum geben.<br />
59 Prozent der republikanischen Anhänger und 52 Prozent<br />
der demokratischen Wähler in den USA sind inzwischen von der<br />
Labor-These überzeugt. Präsident Biden steht unter Druck. China<br />
hat 2005 gegenüber der Weltgesundheitsorganisation WHO eine<br />
Verpflichtung unterzeichnet, dass es jede neue Krankheit, jedes<br />
neue Virus sofort meldet. Das „Ärzteblatt“ berichtet hingegen, dass<br />
sich „möglicherweise bereits im November, wenn nicht schon früher,<br />
die ersten Menschen infiziert haben“, und beruft sich dabei auf<br />
eine im Fachmagazin „Science“ veröffentlichte Studie der Universität<br />
von Kalifornien.<br />
Ex-Präsident Trump hat im Juni, bei einem seiner ersten größeren<br />
Auftritte seit seiner Amtszeit, China aufgefordert, zehn Billionen US-<br />
Dollar an Reparationen für den Umgang mit dem Coronavirus zu leisten.<br />
Auch sollten die Länder der Welt ihre Schulden an China nicht<br />
zurückzahlen. Biden könnte aufgrund der mehrheitlichen Skepsis<br />
in der Bevölkerung ebenfalls politisch genötigt sein, China zu verklagen.<br />
Es droht ein Wiederaufflackern des Handelskriegs.<br />
„Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß“, so viel Demut hat mich die Börse<br />
gelehrt. Aber im August könnte es an den Märkten heiß werden.<br />
Wer „Scheinwissen“ hinterfragt und stattdessen ein wenig in<br />
Deckung geht, macht sicher keinen Fehler.<br />
Ihr<br />
FRANK PÖPSEL<br />
CHEFREDAKTEUR<br />
FOCUS-MONEY<br />
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Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Die Bundestagswahl steht vor der Tür und nach 16 Jahren<br />
wird Angela Merkel die Kommandobrücke verlassen.<br />
Bekommen wir einen neuen Bundeskanzler oder doch wieder<br />
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FOCUS-MONEY <strong>30</strong>/<strong>2021</strong> Foto: D. Gust/FOCUS-MONEY<br />
3
moneyinhalt<br />
21. JULI <strong>2021</strong> www.money.de<br />
8<br />
Sicher im Alter<br />
Rente mit 67? Nein, danke! Wer nicht<br />
bis ins hohe Alter arbeiten, sondern<br />
früh den Ruhestand genießen<br />
möchte, kann die Strategien von<br />
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moneykompakt<br />
6 Rohstoff-Superzyklus: Von<br />
steigenden Preisen profitieren<br />
98 Andis Börsenbarometer: Warum<br />
Strafzinsen Sparern sogar helfen<br />
könnten<br />
moneytitel<br />
8 Früher in Rente: Und das<br />
ohne finanzielle Einbußen.<br />
Die Tipps<br />
10 Renten-Berechnung: Alles,<br />
was Sie zum Planen Ihrer<br />
Altersvor sorge wissen müssen<br />
14 Renten-Strategien: Mit Kryptos,<br />
Dividenden und klugen Ansätzen<br />
fürs Alter vorsorgen<br />
moneymarkets<br />
20 Interview: Ingo Mainert über<br />
Marktentwicklung, Blasengefahr,<br />
Optimismus und Inflation<br />
24 Hermle: Ein stabiler schwäbischer<br />
Renditebringer<br />
26 MDax: Deutsche Perlen mit<br />
hohem Kurspotenzial<br />
<strong>30</strong> Fortec: Unterbewertet und mit<br />
guter Dividendenpolitik<br />
31 MS Industrie: Turnaround-Kandidat<br />
mit stillen Reserven<br />
32 Aixtron: Hochtechnologie-Kursrakete<br />
aus dem MDax<br />
34 CO 2 -Reduktion: Welche Firmen<br />
viel grüne Rendite bringen<br />
38 Deutsche Spacs: Wundertüten für<br />
Aktionäre<br />
40 Raumfahrt: Zukunftsträchtige<br />
Aktien von Weltalltourismus bis<br />
Satellitentechnik<br />
48 Gold: Alles über saisonale<br />
Schwankungen beim Edelmetall<br />
51 TomTom: Navi-Hersteller profitiert<br />
von mehr Autoverkäufen<br />
52 Edtech: Die Zukunft der Bildung<br />
ist Technologie. Welche Firmen<br />
damit Gewinne machen<br />
55 Berentzen: Turnaround beim<br />
Spirituosenhersteller<br />
56 Manz: Mit Elektromobilität in<br />
die Gewinnzone<br />
57 Piscines Desjoyaux: Pools<br />
machen Kunden glücklich<br />
58 Smart City: Die Digitalisierung<br />
der Stadt – ein neuer Mega -<br />
trend<br />
61 Musterdepots: Gewinne mitnehmen,<br />
Liquidität sichern<br />
62 Trustpilot: Vertrauenswürdige<br />
Internet-Bewertungen gibt’s hier<br />
64 Indien: Dieses Land wird die<br />
Weltwirtschaft bestimmen<br />
moneyyou<br />
44 Analyse: Zalando steht kurz vor<br />
dem Sprung in den Dax<br />
47 Chartsignal: Covestro überzeugt<br />
die Charttechniker<br />
47 Börsenwissen: Wissen, wie die<br />
Profis investieren<br />
4 Titelfoto: 123RF Inhalt: Fotos: Adobe Stock, 123RF, Depositphotos (2), M. Leissl Illustration: VectorStock Composing: FOCUS-MONEY FOCUS-MONEY <strong>30</strong>/<strong>2021</strong>
moneyanlegerschutz<br />
67 Vorstandsgehälter: Auch<br />
Manager mussten wegen Corona<br />
zurückstecken<br />
moneyservice<br />
68 Zins-Serie: Dividenden und<br />
Zinsen im Vergleich<br />
70 Gesetzliche Krankenkassen im<br />
Test: Welche Kassen die beste<br />
Finanzkraft besitzen<br />
74 Massivhaus: Die fairsten Anbieter<br />
von Massivhäusern im Test<br />
moneyanalyse<br />
81 Fonds<br />
82 Deutsche Aktien<br />
90 Internationale Aktien<br />
96 ETFs<br />
97 Zertifikate<br />
moneyrubriken<br />
3 Editorial<br />
80 Leserbriefe – Impressum<br />
98 Termine<br />
40<br />
Ab ins All<br />
Der Weltraum. Unendliche Weiten. Und unendliche Möglichkeiten<br />
für Anleger: Weltalltourismus, Lasertechnik für Satelliten etc. pp.<br />
34<br />
Grün gewinnt<br />
Wer kann sich Verzicht<br />
auf Klimaschutz leisten?<br />
Wer zu lange wartet,<br />
hinkt hinterher. Mit<br />
welchen Aktien Anleger<br />
auf die grüne Rendite<br />
und den Megatrend<br />
Nachhaltigkeit setzen<br />
können<br />
58<br />
Intelligente Städte<br />
Stadtplaner entwerfen immer stärker<br />
digitalisierte Städte. Sammelinvestments<br />
und Einzelwerte, um am Trend teilzuhaben<br />
20<br />
„Die Gewinnentwicklung ist das Rückgrat für<br />
unsere noch positive Markterwartung“<br />
INGO MAINERT, VORSTANDSMITGLIED ALLIANZ GLOBAL INVESTORS<br />
FOCUS-MONEY <strong>30</strong>/<strong>2021</strong> 5
moneytitel<br />
FRÜHER IN RENTE<br />
DIE<br />
TRÄUME VERWIR<br />
Seite<br />
Inhalt<br />
10 Früher-in-Rente-Formel mit Beispielen<br />
Mit welcher Formel Sie Ihren individuellen<br />
Kapitalbedarf für den vorzeitigen Rentenbeginn<br />
berechnen samt zwei konkreten Beispielfällen<br />
13 Möglichkeiten der gesetzlichen Rente<br />
Wie sich die gesetzliche Rente zusammensetzt<br />
und ob sich Nachzahlungen an den Staat lohnen<br />
<br />
Welche Strategien Sie mit Ihrem persönlichen<br />
Chance-Risiko-Profil zum Ansparen des Kapitals<br />
für Ihren früheren Rentenbeginn nutzen können<br />
8 FOCUS-MONEY <strong>30</strong>/<strong>2021</strong>
Endlich raus aus dem Hamsterrad der täglichen Arbeit,<br />
um sich lang gehegte Wünsche zu erfüllen – wer<br />
träumt nicht schon mal davon? Ob ein längerer Urlaub<br />
auf der karibischen Lieblingsinsel, die gemeinsame Bikertour<br />
durch ganz Europa, mit dem eigenen Segelboot<br />
die Weltmeere erkunden oder Reisen zu den Städten<br />
des internationalen Jetsets – jeder Mensch hat seine ganz<br />
eigene Vorstellung davon, was er erleben möchte, wenn er den Job<br />
an den Nagel hängt. Und das wollen die meisten Bundesbürger<br />
lieber früher als später. Rund 60 Prozent bevorzugen einen schnelleren<br />
Rentenbeginn als gesetzlich vorgesehen. Im Schnitt würden<br />
sie gern bereits mit 60,2 Jahren in den Ruhestand starten.<br />
Die gute Nachricht: Auch für alle, die nicht mit einem goldenen<br />
Löffel im Mund geboren wurden, ist dies durchaus möglich. Doch<br />
der vorzeitige Rentenbeginn sollte gut geplant sein, um später keine<br />
bösen finanziellen Überraschungen zu erleben. Denn wer früher<br />
als amtlich vorgesehen aus dem Arbeitsleben ausscheidet, muss<br />
teils happige Einbußen bei seiner gesetzlichen Altersrente hinnehmen.<br />
Fehlende Einzahlungen sowie deutliche Rentenabschläge (s.<br />
Tabelle) sind finanziell aufzufangen. Und wer gar vor dem Alter von<br />
63 seinen Job aufgeben möchte, muss zudem die Jahre ohne Arbeits-<br />
KLICHEN<br />
Bis 67 arbeiten? Für viele ist das keine schöne<br />
Vorstellung. Sie wollen lieber deutlich früher<br />
Was der schnellere Ausstieg kostet<br />
und wie die Finanzierung gelingt<br />
von MARIAN KOPOCZ, WERNER MÜLLER und<br />
SASCHA ROSE<br />
Früherer Ruhestand gewünscht<br />
Die Mehrheit der Bundesbürger möchte bereits vor<br />
dem gesetzlichen Rentenalter aufhören zu arbeiten.<br />
Meistens gern ab einem Alter so um die 60 Jahre.<br />
Wunschrentenalter der Deutschen<br />
Durchschnitt in Jahren<br />
14- bis 19-Jährige 60,3 Jahre<br />
20- bis 29-Jährige 57,8<br />
<strong>30</strong>- bis 39-Jährige 59,2<br />
40- bis 49-Jährige 60,3<br />
50- bis 59-Jährige 61,4<br />
Quelle: GfK<br />
Grundlagen des Rentenbeginns<br />
Seit 2012 erhöht sich das reguläre Rentenalter schrittweise<br />
von 65 auf 67 Jahre. Wer früher aufhören will,<br />
muss teils heftige Abschläge in Kauf nehmen.<br />
Geburtsjahrgang<br />
reguläres Renten-<br />
Rentenalter eintritt 1)<br />
(Jahre +<br />
Monate)<br />
Abschlag auf vorzeitige Rente ab 45<br />
monatl. Beitragsjahren ohne<br />
Rente bei Rente<br />
mit 63 2) (Jahre +<br />
Abschläge ab ...<br />
Monate)<br />
1955 65+9 2020/21 9,90 % 63+6<br />
1956 65+10 <strong>2021</strong>/22 10,20 % 63+8<br />
1957 65+11 2022/23 10,50 % 63+10<br />
1958 66 2024 10,80 % 64<br />
1959 66+2 2025/26 11,40 % 64+2<br />
1960 66+4 2026/27 12,00 % 64+4<br />
1961 66+6 2027/28 12,60 % 64+6<br />
1962 66+8 2028/29 13,20 % 64+8<br />
1963 66+10 2029/<strong>30</strong> 13,80 % 64+10<br />
ab 1964 67 ab 2031 14,40 % 65<br />
1)<br />
abhängig vom konkreten Geburtsdatum; 2) 63 ist das frühestmögliche Rentenalter bei mindestens 35 Versicherungsjahren<br />
Quellen: BMAS, eigene Berechnungen<br />
einkommen überbrücken. Dabei machen die gesetzlichen Rentenzahlungen<br />
auch schon beim regulären Beginn nur einen Teil des<br />
Alterseinkommens aus. Ohne ergänzende Zusatzgelder würden<br />
viele Ruheständler nicht über die Runden kommen. Um den gewünschten<br />
Lebensstandard im Alter zu halten, ist daher am besten<br />
schon frühzeitig ausreichend Kapital aufzubauen.<br />
Aktiensparen statt Sparbuch heißt dabei die Devise. Denn im<br />
aktuellen Zinsumfeld ist mit festverzinslichen Anlagen kein Blumentopf<br />
mehr zu gewinnen. Gut, dass es zahlreiche Aktienstrategien<br />
gibt, mit denen die nötigen Erträge zu erwirtschaften sind. Das<br />
muss gar nicht mal besonders spekulativ sein, auch für eher defensiv<br />
orientierte Anleger gibt es zuverlässige Musterdepots. FOCUS-<br />
MONEY zeigt daher auf den folgenden Seiten, wie die persönliche<br />
Rentenlücke berechnet wird, wie man sich den früheren Ruhestand<br />
leisten kann und welche Strategien dem Kapitalaufbau dienen.<br />
So können individuelle Träume durchaus wahr werden.<br />
Quelle: BMAS, DRV<br />
Standard ist nicht Durchschnitt<br />
Die Standardrente bemisst sich am Durchschnittsverdienst<br />
und 45 Jahren Einzahlungen. Die tatsächlichen<br />
Durchschnittsrenten liegen aber weit darunter.<br />
Monatliche Standardrente der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung in Deutschland<br />
in Euro<br />
Alte Bundesländer<br />
Neue Bundesländer<br />
1500<br />
1400<br />
1<strong>30</strong>0<br />
1200<br />
1100<br />
1000<br />
900<br />
2000 05 10 15 2020<br />
FOCUS-MONEY <strong>30</strong>/<strong>2021</strong><br />
Fotos: Adobe Stock, 123RF (2), Colourbox 9
moneymarkets<br />
Konsum, Konjunktur und Kurse an den<br />
Aktienmärkten schäumen über. Ingo<br />
Mainert von Allianz Global Investors über<br />
seine Prognosen, seine Strategie und<br />
ein mulmiges Gefühl<br />
von MIKA HOFFMANN<br />
INTERVIEW<br />
DER COLA-<br />
Vita<br />
Ingo Mainert<br />
Geboren 1963<br />
Abschluss als Diplom-Kaufmann an der<br />
Universität Frankfurt<br />
1988 Berufseinstieg bei der Commerzbank<br />
als Wertpapier-Trainee<br />
2004 bis 2008 Leiter der Vermögensverwaltung,<br />
seit 2006 gleichzeitig geschäftsführender<br />
CIO der Cominvest, die 2009 in<br />
der Allianz Global Investors KAG aufging<br />
Managing Director und CIO Multi Asset<br />
Europe von Allianz Global Investors<br />
20<br />
Foto: M. Leissl FOCUS-MONEY <strong>30</strong>/<strong>2021</strong>
Dax, Dow und Nasdaq steigen von einem Rekord zum nächsten. Der<br />
Hedge-Fonds-Manager Michael Bury dagegen erwartet, dass der Höhenflug<br />
in der „Mutter aller Crashs“ endet. Wie schlimm wird es?<br />
Ingo Mainert: Wir sehen in einigen Segmenten der Kapitalmärkte<br />
Überbewertungen etwa an den amerikanischen Aktienmärkten<br />
oder bei Wachstumsaktien. Wir nennen das intern<br />
„Bubbling Up“-Szenario – Blasenbildung –, denn einige Indikatoren<br />
deuten auf eine Überhitzung und übermäßige Spekulation<br />
hin. Ich maße mir aber nicht an, eine Crash-Vorhersage<br />
in den Raum zu stellen – und das Timing ist extrem schwer.<br />
Blasen an den Finanzmärkten können sich stärker aufpumpen,<br />
als die meisten denken. Das berühmte Greenspan-Zitat<br />
von der „irrational excuberance“ stammt aus dem Dezember<br />
1996. Die Märkte stiegen danach – unter Schwankungen – aber<br />
noch mehr als drei Jahre.<br />
Die Anleger waren im ersten Halbjahr wegen des Anstiegs der Renditen<br />
bei Staatsanleihen nervös. Zu Recht?<br />
Mainert: Wir erwarten für das zweite Halbjahr einen<br />
Anstieg der Renditen am langen Ende. Die Beruhigung bei<br />
deutlich unter 1,5 Prozent für die zehnjährigen US-Bonds<br />
Auf der Jagd nach immer neuen Rekorden<br />
Sowohl der Deutsche Aktienindex Dax und der Dow Jones<br />
als auch der US-Tech-Aktienindex Nasdaq steigen<br />
von einem Rekord zum nächsten. Der Einbruch von der<br />
Corona-Krise im Frühjahr 2020 ist längst mehr als aufgeholt<br />
– in Rekordzeit. Geht der Höhenflug weiter oder<br />
droht jetzt ein heftiger Einbruch an den Aktienmärkten?<br />
Dax<br />
in Prozent<br />
1.1.2020 = 100<br />
Nasdaq<br />
2020 <strong>2021</strong><br />
JAN<br />
JAN<br />
Quelle: Bloomberg<br />
Dow Jones<br />
Dax-Performance-Index<br />
JUL<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
FLASCHEN-EFFEKT<br />
können wir nicht ganz nachvollziehen. Die Konjunktur<br />
läuft – angeschoben von den historisch einzigartig riesigen<br />
Konjunkturprogrammen und den liquiditätspolitischen<br />
Maßnahmen – im zweiten Halbjahr sehr gut und aktuell exponentiell<br />
nach oben. Ich spreche von einem Cola-Flaschen-<br />
Effekt: Wenn Sie eine geschüttelte Flasche öffnen, sprudelt<br />
erst mal alles schwallartig heraus. Zusätzlich sehen wir reale<br />
Inflationsrisiken – auf die kurze, aber auch auf die längere<br />
Sicht. Das wird unserer Meinung nach unterschätzt. Der<br />
Konsensus geht im Moment eher davon aus, dass die Inflationsspitzen<br />
vorübergehender Natur sind.<br />
Welche Gefahr stellen die Delta- und andere Corona-Varianten für<br />
Ihren Ausblick dar?<br />
Mainert: Das ist ein potenzielles Risiko. Wir sehen aber eine<br />
gute Chance, dass wir uns aus der Pandemie herausimpfen.<br />
Es werden zwar immer wieder Mutationen kommen, aber<br />
das übergeordnete positive Konjunkturszenario dürften sie<br />
nicht nachhaltig beeinflussen. Den „peak optimism“, den Höhepunkt<br />
des Optimismus, dürften wir jetzt im zweiten Halbjahr<br />
sehen – bevor es 2022 zu einer Abkühlung kommen wird.<br />
Wird uns das Thema Inflation länger begleiten, als viele Finanzmarktbeobachter<br />
wahrhaben wollen?<br />
Mainert: In den vergangenen Jahren lag die Güterpreisinflation<br />
zwischen ein und zwei Prozent. Ich sehe aber vier<br />
Gründe, warum sich dieser Inflationspfad strukturell nach<br />
oben verschieben wird: erstens die Demografie. Wenn die Babyboomer<br />
aus dem Berufsleben ausscheiden, wird der Faktor<br />
Arbeit auf mittlere und längere Sicht teurer. Zweitens haben<br />
wir eine Änderung in der geldpolitischen Reaktionsfunktion.<br />
Früher haben die Notenbanken gegen Inflation gekämpft.<br />
Heute kämpfen sie weltweit für Inflation – weil sie der Meinung<br />
sind, sie ist nicht da. Es gibt also einen Wandel von einer<br />
antizyklischen zu einer spätzyklischen Reaktionsweise. Die<br />
Punkte drei und vier kommen erst jetzt in die Diskussion: Die<br />
Transformation hin zu ökologisch-sozialen Volkswirtschaften<br />
wird die Preise nach oben treiben, vor allem die Energiekosten<br />
– Stichwort CO 2-Bepreisung. Und viertens: Derzeit gibt<br />
es pandemiebedingt massive Probleme bei den Lieferketten<br />
mit entsprechenden Auswirkungen auf die Preise. Längerfristig<br />
wird das „Re-Shoring“ eine große Rolle spielen: Unternehmen<br />
entscheiden über ihre Lieferketten nicht mehr nur auf<br />
Basis des günstigsten Preises. Vielmehr spielen Fertigungstiefe<br />
und Kontrolle eine deutlich wichtigere Rolle.<br />
Werden die Notenbanken gegensteuern, wenn die Preise beginnen,<br />
stärker zu steigen?<br />
Mainert: Davon gehen wir aus. Die US-Notenbank hat in<br />
den Raum gestellt, dass die Leitzinsen frühestens 2023 angehoben<br />
werden. Das wird die Federal Reserve aber wohl<br />
nicht ganz durchhalten können. Wir erwarten im vierten<br />
Quartal dieses Jahres eine intensive Diskussion über das Tapern,<br />
gefolgt von einer vorsichtigen Rückführung der An-<br />
FOCUS-MONEY <strong>30</strong>/<strong>2021</strong><br />
21
moneymarkets<br />
FERTIGUNGSANLAGE:<br />
Hermle profitiert stark von<br />
der Digitalisierung von<br />
Produktionsprozessen<br />
HERMLE VORZÜGE<br />
In der Ruhe liegt die Kraft<br />
Der Konjunkturdreh verschafft dem Geschäft und der Aktie des schwäbischen Maschinenbauers<br />
neue Fantasie. Für die kommenden Jahre dürften solide Renditen angesagt sein<br />
von BERND JOHANN<br />
Ein bisschen erinnert die Maschinenfabrik Berthold<br />
Hermle an die berühmte schwäbische Hausfrau: grundsolide<br />
und mit Augenmaß wirtschaften, immer noch einiges<br />
in der Reserve. Und dennoch genau wissen, wo die Musik<br />
spielt und worauf es künftig ankommt. So meisterte der<br />
Hersteller von Werkzeug- und Fräsmaschinen aus dem<br />
schwäbischen Gosheim auch relativ gut die Konjunktur- und<br />
Corona-Flaute der Jahre 2019 und 2020. Jetzt scheint das<br />
Geschäft wieder Fahrt aufzunehmen, und mit ihm die Aktie.<br />
Der Vorstand spricht von einer „zunehmenden, deutlichen<br />
Nachfrageerholung“. An der Börse erwarten die Auguren<br />
mittelfristig bereits wieder Kurse in der Nähe der früheren<br />
Höchstnotierungen um die 400 Euro bei gleichzeitig steigenden<br />
Dividenden – wenn sich die Investitionstätigkeit in der<br />
Wirtschaft weiter belebt. Und dafür spricht einiges.<br />
Substanz satt. Das muss ein Management zuerst mal hinkriegen:<br />
Trotz 36 Prozent Umsatzeinbruch schaffte Hermle<br />
im Corona-Jahr 2020 ein robustes positives Ergebnis. Zwar<br />
halbierte sich der Überschuss, er lag mit 40 Millionen Euro<br />
oder gut acht Euro je Aktie bei 297 Millionen Euro Umsatz<br />
aber immer noch weit über der Wasserlinie. Die Umsatzmarge<br />
blieb mit brutto 18 (zuvor 24,6) Prozent komfortabel hoch.<br />
Den Schwaben gelang es sogar, die ohnehin dicke Eigenkapitalquote<br />
von 72 auf 78 Prozent auszubauen und die Dividende<br />
zu halten. Möglich war das durch schnelle Anpassungen<br />
an die veränderte Umwelt. Der Vorstand spricht vom<br />
„Konzept des atmenden Unternehmens“, das bis zu einem gewissen<br />
Grad sehr flexibel reagieren könne.<br />
Nun scheint es wieder kräftig einzuatmen. Indiz dafür sind<br />
die Auftragseingänge. Seit der zweiten Hälfte des vergange-<br />
24 Foto: Hermle<br />
FOCUS-MONEY <strong>30</strong>/<strong>2021</strong>