04.08.2021 Aufrufe

Magazin GARCON - Essen, Trinken, Lebensart Nr. 58

Unsere Annette (Torten-) Zeller hat Applaus verdient. Warum? Lesen Sie alles dazu im neuen GARCON Genuss Magazin! Auch was es mit dem VOLK oder Burneleits vierten Streich auf sich hat, was das Besondere an den Corises mi-cuites von Anais oder den Shitake aus Kyushu ist oder wie eine Spreewälder Traditionsfleischerei bis heute bestehen konnte. Natürlich waren wir auch wieder bei tollen Produzenten in Brandenburg zu Gast, aber auch bei einer adligen Dame vom Grill, bei Christoph Hauser und seinen Mitstreitern und bei Natalie, die sich mit polnischen Backwaren auskennt. Lesen Sie alles rund um Passionsfrucht, Buchweizen und Porridge - auf keinen Fall langweilig!

Unsere Annette (Torten-) Zeller hat Applaus verdient. Warum? Lesen Sie alles dazu im neuen GARCON Genuss Magazin! Auch was es mit dem VOLK oder Burneleits vierten Streich auf sich hat, was das Besondere an den Corises mi-cuites von Anais oder den Shitake aus Kyushu ist oder wie eine Spreewälder Traditionsfleischerei bis heute bestehen konnte. Natürlich waren wir auch wieder bei tollen Produzenten in Brandenburg zu Gast, aber auch bei einer adligen Dame vom Grill, bei Christoph Hauser und seinen Mitstreitern und bei Natalie, die sich mit polnischen Backwaren auskennt. Lesen Sie alles rund um Passionsfrucht, Buchweizen und Porridge - auf keinen Fall langweilig!

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ausgabe nr. 58 | 2021 | 6 €

essen, tRinKen & leBensaRt

VOlK | tRattORia papaRaZZi | spReeWalDFleischeRei KORenG | shiitaKe

BUchWeiZen | pORRiDGe | JennY VOn DÜsteRlhO | chRistOph haUseR

UnteRWeGs in BRanDenBURG | FUhRManns FRÜchteKORB | KUlinaRische nachlese



• Mise en place

Liebe Freunde,

Yvonne Weinlich

Herausgeberin

immer mal wieder werde ich gefragt, welches Restaurant ich für das beste in Berlin hielte. Ich antworte

meist ausweichend, weil ich mich schwer tue mit dem Superlativ und nenne dann mindestens ein halbes

Dutzend Namen, die für mich die Berliner Spitzengastronomie repräsentieren. Immer dabei ist das Facil

im Mandala Hotel am Potsdamer Platz.

Es gehört sicher zu den schönsten gastronomischen Orten der Stadt, weil es trotz seiner intimen Eleganz

sympathisch unschnöselhaft daherkommt und so herrlich mediterran luzid wirkt. Das ist ein Grund.

Ein zweiter ist natürlich das Essen. Was hier auf die Teller kommt, begeistert, weil es einfallsreich und

originell ist, ohne brachiale Kreativität auskommt, nicht aber ohne zeitgemäße Regionalität. Und dafür,

dass es auch mittags serviert wird, müsste es sowieso Szenenapplaus geben.

Ein dritter Grund ist die Tatsache, dass im Facil eine verlässliche Konstante der Berliner Gastronomie

außer Kraft gesetzt scheint: der stete Wechsel des Personals. Küchendirektor Michael Kempf steht seit

18 Jahren hier am Herd, sein Alter ego, Küchenchef Joachim Gerner, seit 15 Jahren. Und Restaurantleiter

Manuel Finster, Sommelier Felix Voges sowie Chefpatissier Thomas Yoshida sind sogar seit der Eröffnung

am 2. Juli 2001 dabei. Am 2. Juli 2021 also wurde eins der besten Restaurants Berlins zwanzig. Ich erhebe

mein Glas und gratuliere. Chapeau, Facil!

Michael Kempf, Restaurant Facil:

Spargel, Sauerampfer, Eigelb, Roquefort.

(Übrigens: das Bild auf dieser Seite ist Reverenz an eins der intelligentesten Spargelgerichte, die mir

jemals serviert wurden und zugleich ein Tipp für meinen Kollegen Jacques Ritzel, wo er in der Saison

2022 erfahren kann, wie Spargel wirklich schmeckt, um seinen Hass auf das Gemüse möglicherweise zu

therapieren – siehe: Hass mit Hollandaise, Berliner Zeitung, 5. / 6. Juli 2021.)

Ihre Yvonne Weinlich

weinlich@bildart-verlag. de

3


Inhalt

MISE EN PLACE

TITEL

Applaus für Annette

Die Kuchenkönigin der Markthalle Neun

30

Spreewaldfleischerei Koreng:

Jubiläum eines Traditionsberiebes.

LOKALTERMIN

Berliner Teller 20

serviert im Restaurant VOLK

Trattoria Paparazzi 26

Doris Burneleits vierter Streich

Spreewaldfleischerei Koreng 30

Jubiläum eines Traditionsbetriebes

Was bietet der Spreewald kulinarisch? 40

Gespräch mit Melanie Kossatz,

Spreewaldverein e. V. Lübben

GESCHMACKSSACHEN

NIHON MONO: 42

Shiitake aus Kyushu

Neues Buch: Magic Fermentation 46

06

Applaus für Annette:

Die Kuchenkönigin der Markthalle Neun.

56 Porridge:

Von wegen igitt.

Buchweizen47

Porträt einer vergessenen Kulturpflanze

Anaïs Causse empfiehlt: 54

Corises mi-cuites

Porridge 56

Von wegen igitt

Mehl selber mahlen? 61

Gespräch mit Paul Lebeau,

Wolfgang Mock GmbH Otzberg

Kostproben 62

Von Garçon-Autoren entdeckt

und für gut befunden

KOPFSALAT

Jenny von Düsterlho 65

Die Dame vom Grill

auf dem Mierendorffplatz

4


GTS

Großküchentechnik &

Service GmbH

Planung

Montage

Kundendienst

Notdienst

77

Unterwegs in Brandenburg: Obermühle Gottsdorf,

Frischerei Schröder Strodehne, Dahmequell Landprodukte Schöna.

Ihr zuverlässiger Partner für:

Kochgruppen, Herde, Kombidämpfer,

Bratplatten, Kochkessel, Fritteusen u.v.m.

Gewerbe-Geschirrspülmaschinen

Tiefkühl- und Kühlanlagen

Arbeits- und Spültische

65

Jenny von Düsterlho:

Die Dame vom Mierendorff-Grill.

Wie geht’s eigentlich...? 68

Christoph Hauser

KULINARISCHE EXKURSION

Unterwegs in Brandenburg 77

Gottsdorf: Die Obermühle

Strodehne: Fischerei Schröder

Schöna: Dahmequell Landprodukte

68

Wie geht’s eigentlich…?

Christoph Hauser.

RUBRIKEN

Fuhrmanns Früchtekorb 98

Die Passionsfrucht

Berliner Marktnischen 102

Polnische Backwaren von Natalia Stark

Kulinarische Nachlese 106

Garçon-Quiz110

Impressum110

98

Fuhrmanns Früchtekorb:

Die Passionsfrucht.

GTS Großküchentechnik & Service GmbH

Schwedter Str. 45-46

10435 Berlin

Tel.: 030 - 440 540 48

www.gts-grosskuechentechnik.de 5


• Titel Annette Zeller

www.bettinaduesberg.de

Bettina Düesberg, geboren in Tübingen, aufgewachsen in Brüssel,

studierte in Nürtingen, München und Berlin Grafikdesign, Malerei

und Bildhauerei. Seit 2005 ist die 59-Jährige in Kreuzberg zu Hause,

Atelier und Galerie befinden sich am Lausitzer Platz.

Da hängen großformatige Landschaften, farbige Wucht, viele

Nuancen, keine romantisierenden Veduten. Und Menschen, immer

wieder Menschen. Bekannte Köpfe – und Gesichter aus dem Kiez.

„Besonders in Bettina Düesbergs Menschenbildern wird ihre Auseinandersetzung

mit der Darstellbarkeit von Emotionen sichtbar...“,

schreibt Julia Schmitz im Vorwort eines Ausstellungskatalogs. Das

trifft es. Die Tour de force der Malerin ist auch eine des Betrachters,

dessen Sinne einer ständigen Belastungsprobe ausgesetzt werden.

Sie hat Angela Merkel gemalt, mütterlich und mit planender

Intelligenz, die zerbrochene Amy Winehouse, und sie hat Menschen

von nebenan porträtiert – Menschen, die im Gedächtnis bleiben. Die

Frau mit der Pelzmütze, einen Mann mit Hund und Annette Zeller.

6


Annette Zeller Titel •

Applaus für Annette

DIE KUCHENKÖNIGIN DER MARKTHALLE NEUN

VON JÖRG TEUSCHER

7


• Titel Annette Zeller

Annette Zeller und ihre Eltern Margarete und Arnold Zeller.

Geschichten, die das Leben schreibt – zum Beispiel die von Annette

Zeller. Behütete Kindheit im beschaulichen Rechberg am Rande der

Schwäbischen Alb. Die Eltern betreiben eine Landbäckerei und ein

Café, der Name Zeller gilt was in der Gegend. Des Meisters Wasserwecken

sind legendär, die Brezeln schmecken auch nachmittags noch

frisch und wegen des Genetzten – das ist ein Brot, dessen Teig mit

feuchten Händen aus dem Kessel direkt in den Ofen gehoben wird,

ohne ihn zuvor zu formen – kommen Kunden sogar von weit her nach

Rechberg. Bei seinen Kuchen und Torten hat Arnold Zeller den gleichen

Qualitätsanspruch: In den Ofen kommt nichts Vorgefertigtes, Handarbeit

zählt – frisch aufgeschlagene Eier, frische Früchte vom Markt,

beste Rohstoffe überhaupt. Der Erfolg gibt dem Meister auch da Recht.

Dennoch rieten die Eltern ab, als sich Annette Zeller nach dem

Abitur in Schwäbisch Gmünd entschied, Bäckerin zu werden: „Mein

Bildungshunger war fürs Erste gestillt.“ Doch sie setzte ihren Kopf

durch und ging beim Vater in die Lehre. Dem Gesellenbrief ließ sie mit

Mitte zwanzig den Meisterbrief folgen, die Übernahme des elterlichen

Betriebes schien nur eine Frage der Zeit.

8


Annette Zeller Titel •

Aber da war so ein Gefühl: „Nennen Sie es Fernweh oder Freiheitsdrang,

ich wollte jedenfalls raus, wenigstens eine Zeit lang.“ Annette

Zeller stieg ins Catering-Geschäft ein, kochte für die Darsteller von

Mittelalterspielen Maultäschle und Kässpätzle und zog mit dem Tross

nicht nur durchs Ländle: „Gelnhausen, Hamburg, Telgte, sogar bis

nach Innsbruck und ins dänische Horsens sind wir gefahren.“ Auf

der Festung Königstein kamen dann der Berliner Apotheker Michael

Reuter und die Liebe ins Spiel. Annette Zeller, die sich nie vorstellen

konnte, ihre Heimat dauerhaft zu verlassen – „höchstens bis Heilbronn“

– folgte ihm in die Hauptstadt.

Sie schrieb sich an der Humboldt-Uni ein, doch ein Jahr später, 2001,

kam Sohn Luis zur Welt. Uni ade. Inzwischen 37-jährig, heuerte Annette

Zeller bei Manufactum in der Hardenbergstraße an und backte dann

und wann Hochzeits- und andere Torten für gute Bekannte. Sie waren

es auch, die ihr rieten, sich selbstständig zu machen. Eine Anzeige

gab schließlich den Ausschlag …

(Übrigens: Ihre Eltern schlossen 2016 die Bäckerei in Rechberg.

Annette Zeller hatte sich für Berlin entschieden, ihre Schwester Barbara

für die IT-Branche.)

Hochzeitstorte für Toska und Stefan Hartmann.

Annette Zeller und ihre beste Freundin als

Marketenderinnen auf einem Mittelaltermarkt.

9


• Titel Annette Zeller

Sie starteten 2011 die Renaissance der Markthalle Neun: Nikolaus Driessen, Florian Niedermeier und Bernd Maier, v. li.

Die Annonce, von der die Rede war, kam von Nikolaus Driessen,

Florian Niedermeier und Bernd Maier. Das Trio hatte 2011 mit Unterstützung

einer Anwohnerinitiative die 1891 erbaute Kreuzberger

Markthalle Neun übernommen und so die Umwandlung des denkmalgeschützten

preußischen Klinkerbaus in ein Supermarktcenter

verhindert. Ihr Konzept des „Anders-Einkaufens“ und „Anders-Essens“

klang nicht nur gut, sondern war es auch und ist es noch immer:

regional, saisonal, fair, nachhaltig und was es sonst noch braucht, um

Essensschätzer anzuziehen. Und genau dafür suchten die drei Hallenbetreiber

im Herbst 2011 geeignete Händler. „Die Wiederansiedlung

des kleinteiligen Lebensmittelhandels und -handwerks hat die Wiederaneignung

der Halle als lebendigen Ort im Quartier zum Ziel“, hieß es.

Das überzeugte Annette Zeller.

10


Annette Zeller Titel •

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Der erste Garçon-Bericht über Annette Zeller und ihre Backwaren …

…erschien im Januar 2012 – Titel: Berlin backt.

Sie kündigte ihren Manufactum-Job, richtete im Keller ihres Hauses

eine Backstube ein und im Internet die Seite www.frauzeller.de und

setzte auf die schon von ihrem Vater gespielten Karten: handwerkliches

Können, traditionelle Rezepte, beste Zutaten, geschmackliche

Stärke. Und auf eine Prise Originalität. Um Himmelswillen aber kein

Chichi, weder Goldstaub noch Glitzerperlen. Stattdessen Gaumengemütlichkeit.

Sie liebt dieses Wort.

„Ich backe für meine Kunden wie für Freunde oder die Familie“, sagte

sie uns, als wir sie am 1. Oktober 2011 in der Markthalle besuchten,

um ein Interview zu führen. Dass es erstmal nicht wie geplant zustande

kam, lag vor allem daran, dass sich so viele Menschen um ihren

winzigen Stand drängten und Kuchen kauften als gäbe es zum letzten

Mal welchen. „Vier Torten-Sorten – Apfel-Sauerrahm, Käse-Mohn,

Schoko-Feige-Ingwer und Zitronen-Wolke sowie ein bisschen Gebäck

hatte ich an diesem ersten Markttag dabei“, erinnert sich Annette

Zeller. Der Sturm auf das Kuchenbuffet bescherte ihr binnen weniger

Stunden gähnende Leere in den Vitrinen – die meisten von denen, die

damals kamen, sind heute Stammkunden.

Die Kreuzberger Malerin Bettina Düesberg beispielsweise entdeckte

an diesem Tag Annette Zellers Wolkentorte: „Meine Großmutter in

Tübingen hat eine ähnliche Torte gebacken, sie erinnert mich deshalb

an meine Kindheit und ist wie ein Schlüssel zur Heimat.“

Für den Juristen David Richter, ebenfalls vor zehn Jahren schon

Annette Zellers Kunde, war es von Anfang an die zuverlässige handwerkliche

Qualität, die zählte: „Ihr Shortbread ist einfach geschmacklich

besser als das schottische Original.“

11


• Titel Annette Zeller

Am Anfang noch ein Geheimtipp, avancierte Annette Zeller rasch

zur „Kuchenkönigin der Markthalle Neun“, die Kunden kamen bald

sogar von weit her. Das sprach einerseits für die Güte ihrer Backwaren,

andererseits aber auch gegen die Fertigung in der heimischen

Bohnsdorfer Backstube und die Fahrt ins 16 Kilometer entfernte

Kreuzberg. Früh morgens Kuchenkisten einladen, transportieren,

Kuchenkisten ausladen, Stand aufbauen, verkaufen und spät nachmittags

wieder Kuchenkisten einladen, transportieren, Kuchenkisten

ausladen – die frei- und samstäglichen Markttage waren für Annette

Zeller Stresstage.

Schon früh träumte die praktisch veranlagte Bäckermeisterin

deshalb von einer eigenen Markthallenbäckerei. „Der Wille war

immer da, aber der Platz fehlte“, sagt sie. Ihr Frust darüber wuchs,

und man hörte von der sonst so fröhlichen Frau schon mal Sätze

wie: „Entweder bauen oder gehen, eine andere Alternative gibt es

nicht.“ Doch wie das so ist im Leben – erstens kommt es anders

und zweitens als man denkt. Und dann geht alles auch noch ganz

schnell.

Im Februar 2021 verschickte Annette Zeller eine Jubel-Mail:

„Hurra, wir bauen!!! Die Tofu Tussis und La Cazuela sind Ende des

Jahres ausgezogen. Ich habe beide Hallen-Stände und die Küche

im Keller übernommen. Endlich kann’s losgehen!!!“

Viele beglückwünschten sie zu der mutigen Entscheidung, aber

auch die Bedenkenträger traten auf den Plan. „Vollgas mit 55? In dem

Alter sollte man lieber auf die Bremse treten!“ Annette Zeller konterte

charmant, aber bestimmt: „Jetzt erst recht und endlich richtig!“ Dabei

setzte sie auch auf ihre Intuition, obwohl Bauchgefühle in Zeiten der

Rationalität nicht eben das beste Image haben.

Engagierte Helfer: Bauleiter Jens Nevermann, Annette Zellers Mann Michael Reuter und ihr Sohn Luis Zeller, v. li.

12


Annette Zeller Titel •

Elektromeister Reinhard Pantermüller.

Beleuchtungsmeister Jürgen Heitzer.

Installateur Federico Pomodoro.

Bäckermeisterin Annette Zeller: „Hurra, der neue Ofen ist da!“

13


• Titel Annette Zeller

Zudem baute sie auf eine Kraft, die in unserer pragmatischen

Kosten-Nutzen-Gesellschaft häufig nur noch verbal existiert.

Auf uneigennützige Unterstützung, und die bekam sie reichlich.

„Familien-und-Freunde-Aktion“, so nannte sie deshalb ihr Projekt,

dessen „Kronjuwel“ zweifellos die Backstube in den Katakomben

der Markthalle ist. Klein, aber ausreichend, um all das unterzubringen,

was für eine manufakturelle Backwarenproduktion nun

mal nötig ist. Die Frage, wie der professionelle Backofen seinen

Weg zum richtigen Platz fand, quittiert sie mit einem vielsagendem

Lächeln. „Irgendwie.“

Auch ihre backende Brigade ist ein „Familien-und-Freunde-Team“:

Da ist ihre Schwiegermutter Marita Reuter (s. Seite 15, o. li.), ihr

Schwager Federico Pomodoro, einige Tage zuvor noch als Installateur

zu Gange (s. Seite 15, o. re.), Gabi Bräunig, Freundin seit früheren

Manufactum-Zeiten und Karen Pollicardo, Bäckerin und mindestens

im Status einer guten Bekannten.

Alles, was diese Truppe aus dem Ofen holt – ob Apfel-Sauerrahmoder

Käse-Mohn-Torte, Blech- oder Rührkuchen, Johannis- oder

Orangentaler, Florentiner oder Engadiner oder die legendäre Wolkentorte

– ist Ergebnis meisterlicher Handwerksarbeit, ganz ohne den

üblichen Deko-Kitsch, dafür aber mit unendlich viel Geschmack.

A la bonne heure!

Mein Favorit übrigens ist Annette Zellers schon erwähnte Kreuzberger

Eierschecke nach einem Uralt-Rezept von Tante Karin aus dem

sächsischen Freiberg. „Die Eierschecke ist eine Kuchensorte, die

zum Schaden der Menschheit auf dem Rest des Globus unbekannt

geblieben ist“, lobte einst Erich Kästner die Spezialität. Wie recht der

Dichter hatte!

14


Annette Zeller Titel •

15


• Titel Annette Zeller

Backstubeneröffnung am 30. April 2021: Blumen für die Chefin…

Es ist Freitag, der 30. April 2021. Die abstandshaltende und

maskentragende Menschenschlange vor Annette Zellers neuer

Markthallenbäckerei ist an diesem Tag länger als die am Kumpelund-Keule-Stand,

und das will was heißen. Die Gratulationscour der

Frau-Zeller-Fangemeinde. Einige haben Blumensträuße dabei, andere

Sektflaschen. Wer es bisher nur ahnte, jetzt weiß er es: Annette Zeller

ist in den zehn Jahren ihres Da-Seins zu einer Markthallen-Institution

gewachsen, zur festen und zuverlässigen Größe an einem in Berlin

einmaligen Einkaufs-, Begegnungs- und Erlebnisort, der weder etwas

mit Gentrifizierung noch dessen Besuch etwas mit Geldbörsendicke

zu tun hat – aber das nur am Rande und nur deshalb, weil die Debatte

um den Auszug einer in der Halle beheimateten Aldi-Filiale schon

groteske Züge angenommen hatte. Und zwar so grotesk, dass einige

Aldi-Anhänger sogar eine Trauerkundgebung organisierten, auf der

die „Halle für alle“ symbolisch beerdigt wurde. „Es geht nicht um Ernährung,

es geht nicht um Lebensmittel, es geht um Immobilien und

Profit“, hieß es da.

Auch die sonst eher zurückhaltende Kuchenfrau fühlte sich

angesprochen. „Ich verwende Demeter-Eier und Bio-Dinkelmehl“,

schrieb Annette Zeller in einem offenen Brief, „und Mitte des Jahres

will ich auch alle Molkereiprodukte auf bio umstellen. Deshalb die

Preise, die ich fair kalkuliere und die nichts mit Profitgier zu tun

haben, gar nichts.“

Meine Begleiterin an diesem Tag, eine Münchenerin, hatte von der

Geschichte gelesen und betrachtete deshalb die Frau-Zeller-Preisschilder

aufmerksam. Ihr Kommentar: „Wer mit zwei Euro für ein

Stück Kreuzberger Eierschecke ein Problem hat, der sollte mal unsere

Schrannenhalle besuchen und die Preise vergleichen.“

…und Freude bei ihren Mitstreitern Federico Pomodoro, Gabi Bräunig und Karen Pollicardo, v. li.

16


Annette Zeller Titel •

Glückwünsche auch für die Kuchenverkäuferinnen

Jenny Meier, Bild o. li. und Lina Sastimdur, Bild u. li.

17


• Titel

Annette Zeller

Als Michael Kasiske 1984 aus dem westfälischen Gronau (ja, jene

Lars Jäger ist diplomierter Kaufmann und Berater für Firmenkunden

bei einem international tätigen Geldinstitut. Seine Expertise zählt

allerdings nicht nur in monetären Angelegenheiten, sondern auch,

wenn es um Lebensmittel geht. Kein Wunder, denn der gebürtige

Niedersachse leitet seit elf Jahren ehrenamtlich Slow Food Berlin.

„Fast genauso lange kenne ich Frau Zeller“, sagt Lars Jäger, „und

sie hat aus mir – eigentlich eher einem Kuchenverweigerer – einen

Kuchenliebhaber gemacht.“ Die Gründe für den Sinneswandel: „Die

Geschmacksstärke ihrer Backwaren, die transparente Herkunft der

Zutaten, die unbedingte Saisonalität. Dazu reduzierte Süße und

Verzicht auf jegliches Chichi.“ Besondere Vorlieben? „Ihre obstigen

Blechkuchen und der Schwarzwälder Kirschkuchen.“

Marion Hielscher ist gebürtige Berlinerin und lebt mit ihrer

Familie in Kaulsdorf. Jeden Samstag macht sich die IT-Trainerin

auf den Weg in die Markthalle Neun. „Das Kuchenpaket, das ich

von Frau Zeller dann nach Hause trage, hat schon eine beachtliche

Dimension“, bekennt sie und fügt hinzu: „Ihre Blechkuchen

und die raffinierten Torten bestechen mit saftig-lockeren Teigen

und exzellenten Belägen.“ Marion Hielscher gehört zu den vielen

Stammkunden der Bäckermeisterin. „Mit den Jahren hat sich

sogar ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt“, sagt sie,

„etwas, das in unserer schnelllebigen Zeit immer häufiger verloren

geht.“

Stadt, aus der Udo Lindenberg stammt; die beiden besuchten sogar

dieselbe Schule und hatten dieselbe Musiklehrerin) zum Studium nach

Berlin kam, bemerkte er, dass in den meisten Bäckereien guter Kuchen

Mangelware war. Vor zehn Jahren entdeckte der Architekt Frau Zeller

und blieb ihren Backwerken treu. „Samt und sonders geschmacklich

ausgereift, perfektes Handwerk ohne Schnörkel, durchdachte Angelegenheiten

eben“, sagt er und lobt besonders „die angenehme

Dichte“ der Zellerschen Kuchen- und Tortenkreationen.

„Frau Zellers Sachertorte ist die beste weltweit“, erklärt Gerlinde Zigler,

„ohne Wenn und Aber“. Die Projektkauffrau muss es wissen, schließlich

ist sie gebürtige Wienerin. „Was Kaffee und Kuchen betrifft, da

macht uns so schnell keiner was vor.“ Inzwischen lebt Gerlinde Zigler

in Kreuzberg und absolviert einmal in der Woche ihre Einkaufstour in

der Markthalle Neun. „Frau Zeller ist dabei eine feste Größe“, sagt sie

„und ohne Amaretti, Orangenrührkuchen und Topfentorte gehe ich nicht

wieder nach Hause.“

18


Annette Zeller Titel •

19


• Lokaltermin Berliner Teller

Berliner Teller

SERVIERT VON MARGAUX ARABIAN IM RESTAURANT VOLK

Zwölf Uhr mittags in der Brunnenstraße. Auf dem Gehweg zwei weiß

gedeckte Gartentische. Sommerblumen, Weingläser, Bernardaud-

Porzellan. Ein Bild, irgendwie unwirklich. Kein Wunder, es ist der erste

Tag, an dem die Berliner Gastronomen nach einem Ewig-Lockdown

wieder Plätze im Freien anbieten dürfen. Ein Glas Chablis oder gleich

großes Kino? Ich entscheide mich für beides. Das große Kino heißt

Plateau de fruits de mer: Fine de Claire und Belon-Austern, Garnelen,

Kaisergranate, Bigorneaux-Schnecken, um einen Taschenkrebs

drapiert. Autos hupen, die Tram gibt Laut, trotzdem fühle ich mich

wie auf dem Quai Gambetta in Cancale.

Jörg Teuscher

20


Berliner Teller Lokaltermin •

Typiquement français: Das VOLK in Berlin-Mitte.

In Berlin gibt es Pasta-Bars, Pho-Bars, Ramen-Bars, Sushi-Bars und

noch ein paar andere auf die Verarbeitung weniger Grundprodukte

oder die Zubereitung bestenfalls einer Handvoll Gerichte spezialisierte

Winzig-Lokalitäten. Bars eben, bar jeder Gemütlichkeit und bar jeden

Platzkomforts, schlicht und funktional. Man geht hinein, bestellt, isst,

trinkt einen Schluck und zieht – wenn die Angebote keine kulinarische

Vollkatastrophe waren – zufrieden weiter.

Ein bisschen anders war das in vorpandemischer Zeit in der Austern-

Bar VOLK, einem seltenen Hort gelebter Berliner Frankophilie. Und

deshalb auch – trotz der Enge im ebenerdigen Stübchen mit Küche –

kein kulinarischer Kommen-Essen-Gehen-Ort, schnell, schnell, schnell

und zurück an die Werkbank.

Nein, im VOLK hat man sich schon immer Zeit gelassen, Zeit

für Genuss, vorausgesetzt, man konnte einen Stuhl am einzigen

Tisch ergattern. Das soll sich nun ändern – natürlich nicht die

Genussorientierung, sondern das Platzangebot und damit auch der

Wohlfühlfaktor. Ab September wird aus dem Mini-Bistro VOLK das

Restaurant VOLK – aber dazu später mehr …

„Als wir vor zwei Jahren die Austria-Bar Minutillo übernahmen

und daraus die Oyster-Bar VOLK machten, haben wir nie und nimmer

geglaubt, dass sich das mal so entwickeln würde“, erzählt Oliver

Chesler. Der 51-Jährige stammt aus New York, ist Musiker, Komponist,

Produzent und DJ. „Electronical Music“, beantwortet er die Frage nach

der Richtung seiner Musik.

„I prefer classical music“, erwidere ich und zeige – um dem Gespräch

eine andere Richtung zu geben – auf eine Tafel, auf die Oliver

Chesler die Textzeilen eines Songs von Grover Washington aus den

1980ern geschrieben hat: „I see the crystal raindrops fall and the

beauty of it all …“ Das ist musikalisch mehr meine Zeit. Der Amerikaner

lächelt, er ist auch in der Musik der 1980er Jahre zu Hause.

Eine junge Frau kommt – T-Shirt, Vorbinder, Touchon – augenscheinlich

die Küchenchefin. Ich kann das Thema wechseln …

Küchenchefin Margaux Arabian und ihr Partner Oliver Chesler.

21


• Lokaltermin Berliner Teller

„Je m’appelle Margaux“, sagt sie und buchstabiert ihren Vornamen

dem Reporter vorsichtshalber in den Block. Irgendwer hatte

mal Margot geschrieben, und das fand sie dann doch nicht so prickelnd.

Margaux also, Margaux Arabian.

Die Standardfragen nach Kochlehre und Küchenstationen

kommentiert die 34-Jährige erstmal mit einem Lächeln, dann holt

sie ein gerahmtes Foto, darauf eine Frau mit Kochjacke und Kind.

„Maman und ich“, sagt sie.

Ihre Mutter, Ghislaine Arabian, eine der wenigen 2-Sterne-Köchinnen

Frankreichs, war dann auch ihre kulinarische Lehrerin. „Und mein Vater,

Jean-Paul Arabian.“ „Tel père, tel fils“, fügt sie lächelnd hinzu. Das

Uralt-Sprichwort vom Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, kennen

auch die Franzosen.

Sicher hätte Margaux Arabian auch in Paris Karriere machen können,

aber das Fernweh siegte. 2017 kam sie gemeinsam mit ihrem Partner

Oliver Chesler nach Berlin, 2019 eröffneten die beiden das VOLK.

22


Berliner Teller Lokaltermin •

„Berlin ist einfach großartig, in jeder Hinsicht“, so Margaux Arabian

und Oliver Chesler unisono.

Die Küchenchefin servierte superfrisches Seafood und einige

französische Kleinigkeiten, punktete mit intensiven Aromen und

kreativen Arrangements – und die Social-Media-Community jubelte.

„Super süßes französisches Restaurant“, „so viel Charakter und

Charme“, „very good fresh French food“, „un petit coin de paradis“ …

Ein besonderes Lob gab es immer wieder auch für die kleine,

feine frankophile Weinofferte, für die neben Bras de Fer in Nantes

das Berliner Viniculture-Team verantwortlich zeichnet. Ja, das VOLK

hat metropolen Stil und eine sympathische Atmosphäre und – nomen

est omen – volkstümliche Preise.

Das soll natürlich auch in Zukunft so bleiben, alles andere wird sich

allerdings ändern. Margaux Arabian und Oliver Chesler haben – vom

Erfolg ermutigt – Großes vor, im wahrsten Wortsinn. Aus dem winzigen

Bistro soll ein stattliches Restaurant werden.

23


• Lokaltermin Berliner Teller

Stararchitekt und -designer Sam Chermayeff…

Passende Räume dafür haben sie im Nachbarhaus gefunden, und ein

bestens geeigneter Architekt ist auch schon am Werk.

Sam Chermayeff, New Yorker wie Oliver Chesler und ein guter Freund

des Musikers, führt beim Umbau der Räumlichkeiten und bei der Einrichtung

des neuen VOLK die Feder. Der Architekt und Designer ist

eine Größe in seiner Branche. Chermayeff arbeitete immerhin für das

Tokioter Architekturbüro SANAA, war Kurator der Venedig Biennale

und lehrte am Dessauer Bauhaus Institut und der New Yorker Columbia

Universität – 08 / 15 ist da nicht zu erwarten …

RESTAURANT VOLK

Das neue VOLK soll im September 2021 eröffnen.

Brunnenstraße 182

10119 Berlin-Mitte

Tel. 0173 – 686 38 83

www.volkmitte.de

…und sein Berliner Team.

24


Advertorial •

TRINKWASSER.

GANZ KLAR FÜR BERLIN.

Ganz klar für Berlin: Frisches Trinkwasser gibt es rund um die Uhr

direkt aus dem Hahn. Dafür sorgen die Berliner Wasserbetriebe mit

ihren Beschäftigten, ihrem Know-how und innovativen Ideen für die

Zukunft – 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche.

Berliner Trinkwasser ist ein Naturprodukt: Grundwasser plus ein

wenig Luft und Sand gegen das Eisen und fertig. Keine Chemie,

keine aufwändige Aufbereitung, viele Brunnen an vielen Orten,

umfassende Vorsorge, konsequente Kontrolle und immenser Aufwand

beim Abwasserrecycling sorgen für einen einwandfreien

Wasserkreislauf.

24 Prozent der Berliner Fläche sind Wasserschutzgebiete. Grüne

Orte, entspannte Plätze. Dort beginnt die Qualitätsvorsorge bis tief

in den Boden. Schon vor den Brunnen der Wasserwerke haben wir

das Grundwasser im Blick. Und behalten es fest im Auge, bis es aus

Hähnen und Duschen sprudelt. Kontinuierliche Analysen und Messfühler

sichern die Qualität bis zum Hausanschluss.

Damit das alles weiter so gut funktioniert, ist uns die Reinigung von

Schmutz- und Regenwasser genauso wichtig. Denn der Ablauf der

Klärwerke füllt Spree und Havel und damit letztlich auch das Grundwasser.

Deshalb bauen wir die Kläranlagen derzeit noch weiter aus.

Motto: Gewässer gut = Trinkwasser bestens.

Und weil das gute Berliner Trinkwasser nicht nur von Warentestern

und Gourmets, sondern auch von vielen anderen Berliner Bürgern hoch

gelobt wird, bringen wir es sichtbarer in die Stadt und zu den Leuten:

Mit Trinkbrunnen auf Straßen und Plätzen und mit Wasserspendern

in Schulen, Unternehmen und Behörden. Hundert neue Trinkbrunnen

haben wir in den letzten zwei Jahren zu den bestehenden 50 gestellt,

und an 450 Wasserspendern für alle Grundschulen arbeiten

wir gerade.

Und wenn Sie ganz genau wissen wollen, was in unserem Berliner

Trinkwasser steckt, dann erfahren Sie hier mehr:

www.berlinerwasser.de

Schneiden Sie die Hälfte einer Ananas in kleine Würfel. Geben

Sie nun eine kleine Menge frischen Ingwer zusammen

mit der Ananas in eine mit Wasser gefüllte Karaffe. Bevor

Sie genießen, lassen Sie alles etwas eine Stunde ziehen.

Schneiden Sie einen Pfirsich in Scheiben und legen Sie ihn

etwa

geschmacklich

alles Sie Lassen Karaffe.

Wasser

gefüllte

das Sie

Wasser

Runden

in eine mit

ziehen. Minuten 10

mit ein paar Spritzern Zitrone und einigen Minzblättern ab.

25


• Lokaltermin Trattoria Paparazzi

LA QUARTA VOLTA

DORIS BURNELEITS VIERTER STREICH

VON JÖRG TEUSCHER

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Trattoria Paparazzi Lokaltermin •

Ende Mai 2019 trafen wir uns für die Wie-Geht’s-eigentlich? -Rubrik

dieses Magazins mit Doris Burneleit, drei Monate nach der Schließung

ihrer Trattoria Paparazzi in Prenzlauer Berg. Am 17. Februar 2019

hatte sie dort zum letzten Mal ihre legendären Malfatti in Salbeibutter

serviert, dann blieb der Herd des Kultlokales kalt. „Und nun?“, fragten

wir die stadtbekannte Gastronomin damals, „Rückzug ins kanadische

Ferienhaus oder Neustart an anderer Stelle?“ Ihre Antwort kam prompt:

„Auf jeden Fall wird es weitergehen, schon wegen meiner Mitarbeiter

und meiner Tochter Nicole, die Mit-Geschäftsführerin unseres Unternehmens

ist.“

Wir bleiben in Kontakt. Doris Burneleit informierte immer mal

wieder über ihre Suche nach gastrogeeigneten Räumlichkeiten

und hauptstädtische Üblichkeiten: „200.000 Euro Ablöse und 30

bis 45 Euro Quadratmetermiete sind eher die Regel als die Ausnahme.“

Im November 2019 dann die Mail: „Endlich. Ein Ort ist in der

engeren Auswahl.“

Am 13. März 2020 eröffnete sie ihre neue Trattoria Paparazzi. Nicht

in Mitte oder Prenzlauer Berg, wovon sie geträumt hatte, sondern in

Friedrichshain. Lehmbruckstraße, Oberbaumcity. Früher eine Mietshausgegend,

grau und freudlos, heute ein aufstrebendes Areal, Heimat

junger Kreativer und gestandener Businessmenschen, die für ihren

Job keine Charlottenburger Nobeladresse brauchen. Die bekamen

nun ihren „Italiener“ um die Ecke, auch wenn der erstmal nur Pizza

und Pasta to go offerieren durfte – drei Tage nach der Eröffnung

musste Doris Burneleit ihren Feelgood-Laden wieder schließen. Am

16. März 2020 war die „Senatsverordnung über Maßnahmen zur Eindämmung

der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2“

in Kraft getreten.

Sie überstand die Lockdown-Tristesse, und als sie gut ein Jahr

später wieder Gäste empfangen und Essen auf Tellern servieren durfte,

gehörten wir zu den ersten, die auf der Bürgersteig-Terrasse Platz

nahmen, Malfatti bestellten und Nozze d’Oro tranken.

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• Lokaltermin Trattoria Paparazzi

Koch Marco Becker.

Köchin Anke Richter.

Sie hat Zeit, sich zu uns zu setzen, Tochter Nicole und ihre Küchenprofis

Anke und Marco rocken den Laden locker. Erinnerungen an ein

Gastronomen-Leben, das ein gutes Buch füllen würde.

Doris Burneleit, die aus Lutherstadt Eisleben stammende Küchenund

Servicemeisterin, die 1987 mit der Chuzpe eines Wilhelm Voigt

als Hauptfrau von Köpenick dort das italienische (! ) Restaurant

Fioretto eröffnete. Doris Burneleit, die nach dem Mauerfall zum Liebling

der Medien avancierte und zur bekanntesten DDR-Frau nach

Katharina Witt. Die 1990 vom FEINSCHMECKER zur Aufsteigerin

des Jahres gewählt wurde und ein Jahr später vom Gault&Millau

zur Restaurateurin des Jahres. Doris Burneleit, die 1992 den Sprung

aus dem verschlafenen Spindlersfeld / Ost ins quicklebendige

Charlottenburg / West wagte, dort das Fioretto by Carmers eröffnete

und scheiterte. Die Bösartigkeiten („Italo-Ossi“) wegsteckte, nicht

aufgab, 1997 in Prenzlauer Berg ihre Trattoria Paparazzi aufzog und

22 Jahre erfolgreich betrieb.

„Ja“, lächelt sie, „die Trattoria Numero due hier ist mein vierter Streich.“

Treu geblieben ist sie sowohl ihren Mitarbeitern als auch ihrem

Konzept. Italo-Hausmannskost, handwerklich perfekt, da und dort

auf modern gepolt und immer mit jenem Kick versehen, der beim Gast

Zufriedenheit erzeugt – oder mehr. Die Ostriche gratinate, gratinierte

Speckaustern, sind zum Niederknien; die Scampi crosta, Tiefseegarnelen

im Korianderknusper, lassen einem die Ohren schlackern

und die Malfatti, Ricotta-Spinat-Nocken mit Salbeibutter, macht man

auch in der Lombardei nicht besser.

TRATTORIA PAPARAZZI

Lehmbruckstraße 9

10245 Berlin-Friedrichshain

Tel. 030 – 29 04 44 64

www.trattoria-paparazzi.de

Doris Burneleit: „Anke, Marco und ich sind schon seit 25 Jahren ein Team“.

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Trattoria Paparazzi Lokaltermin •

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

Stadtkirche St. Nikolai in Lübbenau / Spreewald.

Als sich Theodor Fontane in seiner Eigenschaft als „Wanderer durch die Mark Brandenburg“ am

6. August 1851 auf den Weg von Berlin in den Spreewald machte, war er noch auf die Nachtpost

angewiesen – Züge der Preußischen Staatsbahnen verkehrten auf dieser Strecke erst ab 1866.

Fontanes Reisekutsche benötigte für die rund 110 Kilometer damals acht Stunden – Pferdewechsel

inklusive. „Mit Tagesanbruch haben wir Lübben …erreicht und fahren nunmehr am Rande des hier

beginnenden Spreewaldes hin …Ein vom Frühlicht umglühter Kirchturm wird sichtbar und spielt eine

Weile Verstecken mit uns; aber nun haben wir ihn wirklich und fahren durch einen hochgewölbten

Torweg in Lübbenau, der Spreewald-Hauptstadt, ein.“

Zu dieser Zeit war die 3.000 Einwohner zählende Ackerbürgerstadt auch das wirtschaftliche

Zentrum des Spreewaldes. „Die Spreewaldprodukte haben in Lübbenau ihren vorzüglichsten Stapelplatz“,

notierte Fontane, „und gehen erst von hier aus in die Welt.“ Er nannte Kürbis, Meerrettich,

Sellerie und natürlich die schon damals berühmte Gurke und hielt fest, „dass seitens eines einzigen

Händlers 800 Schock pro Woche verkauft wurden“ – also 48.000 Stück.

Nach einem schmutzigen Intermezzo als Kraftwerksstadt der DDR-Zeit setzt Lübbenau heute auf

den Tourismus – mit einigem Erfolg. Das einladende „Tor zum Spreewald“ ist seit 1998„Staatlich

anerkannter Erholungsort“. Keine Frage, Lübbenau ist eine Reise wert.

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Fleischerei Koreng Lokaltermin •

Familie

Koreng

Grützwurst & Co.

140 JAHRE SPREEWALDFLEISCHEREI KORENG

VON JÖRG TEUSCHER

Wer zu spät kommt, den bestraft das

Leben, sagt man seit Gorbatschow 1989.

Nun wollen wir den politischen Kontext des

Satzes nicht bagatellisieren, aber was ist

mit dem, der zu früh dran ist? Er vergeudet

entweder kostbare Zeit oder aber – wie in

unserem Fall – er lernt Menschen kennen,

deren Geschichte spannend genug für eine

Garçon-Story ist.

Folgendes war geschehen: Eine Interview-

Verabredung in Lübbenau, ein viel zu früher

Zug – zwischen Ankunft in der Spreewaldstadt

und vereinbartem Gesprächster min

lagen noch gut zwei Stunden. Auf dem

Bahnhofsvorplatz ein einsames Taxi, dessen

Fahrer dem Wunsch nach einer

Stadtrundfahrt mit Geschäftssinn und Auskunftsfreude

entsprach. Spreewaldmuseum,

Spreewaldhafen, Spreewaldbahn, der gute

Mann kannte sich aus. Die Frage nach

kulinarisch Bemerkenswertem allerdings

brachte ihn aus dem Takt.

„Alle Restaurants und Cafés sind geschlossen,

die Inzidenz liegt bei 160“, sagte

er, überlegte und hatte plötzlich eine Idee:

„Die älteste Fleischerei weit und breit,

interessiert Sie das?“ Und ob. So kam es,

dass wir Mitte April 2021 Sylvia Koreng und

ihre Familie kennenlernten. Die 40-Jährige ist

Fleischermeisterin in fünfter Generation und

Inhaberin eines Handwerksbetriebes, der seit

140 Jahren in Familienbesitz ist.

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

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Fleischerei Koreng Lokaltermin •

Fleischermeisterin Sylvia Koreng.

Sylvia Koreng ist stolz auf so viel Tradition. Im Laden hängen die

Meisterbriefe von fünf Koreng-Generationen, es gibt eine Familienchronik,

und einige Ponderabilien früherer Fleischerarbeit stehen

sogar im Lübbenauer Museum.

„Gründer des Betriebes war mein Ururgroßvater August Wilhelm

Koreng, im gleichen Haus, Anfang Mai 1881“, erzählt Sylvia Koreng,

„ihm folgten 1910 mein Urgroßvater Karl Richard Koreng und 1945

mein Großvater Oskar Wilhelm Koreng. Weil der einem Dolmetscher

der Sowjetarmee bei dessen Flucht in die Berliner Westsektoren half,

wurde er 1948 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, in die Sowjetunion

deportiert, nach fünf Jahren Straflager aber wieder entlassen.“

Sylvia Koreng, Jahrgang 1981, kennt diese Geschichten nur aus

Erzählungen. „Auch was dann folgte, die Verstaatlichung des Betriebes

1952, die Zeit als HO-Fleischerei, die Probleme mit der DDR-Zuteilungswirtschaft,

weiß ich natürlich nur vom Hörensagen. Wenn Sie darüber

mehr erfahren wollen, müssen Sie meinen Vater fragen.“

Der, Friedrich Wilhelm Koreng, Fleischermeister und Ingenieur für

Fleischverarbeitung, wurde 1977 Betriebsteilleiter im eigenen Haus

und arbeitete bis 1990 unter Aufsicht staatlicher Stellen. „Sogar die

Rezepturen wurden vorgegeben“, erinnert er sich, „wir bekamen zeitweise

im Monat nur fünf Kilogramm Majoran, mehr gab’s nicht.“

1990 reprivatisierte Friedrich Wilhelm Koreng die Traditionsfleischerei,

der alte Schriftzug kam wieder über das Schaufenster.

„Aber das war nur eine Äußerlichkeit“, so Altmeister Koreng, „die Unsicherheit

der Behörden, der Investitionsstau, alte Maschinen, fehlende

Computer“, das waren die wirklichen Probleme, die uns schlaflose

Nächte bereiteten. Hätten wir keine Hilfe aus dem Westen bekommen,

etwa von den Inhabern des Fleischreibedarf-Großhandels Josef

Schwan in Heilbronn, wir hätten es wahrscheinlich nicht geschafft.“

Nach einem Intermezzo ihres Bruders Andreas als Mit-Inhaber an

der Seite seines Vaters – Andreas Koreng zog 2011 dann nach Dresden

– übernahm Anfang Januar 2012 Sylvia Koreng die Fleischerei.

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

Fleischermeister Sven Wieder.

Glückliche Fügung: Sven Wieder, der Mann an Ihrer Seite, ist ebenfalls

Fleischermeister. „Wir haben uns 2008 auf der Meisterschule in Cottbus

kennengelernt“, so Sylvia Koreng, die zuvor im elterlichen Betrieb

Fleischfachverkäuferin gelernt hatte, ein Jahr lang in Amerika unterwegs

war und sich an der Hochschule Wildau an einem BWL-Studium

versuchte. „Das war mir aber zu dröge“ sagt sie, „also bin ich zurück

nach Lübbenau und konnte mit einer Ausnahmeregelung der Handwerkskammer

die Meisterschule absolvieren.“ Der Rest: siehe oben.

Sven Wieder, 44, ist Brandenburger (Sylvia Koreng: „Das hat gepasst.“)

und stammt ebenfalls aus einer Fleischerdynastie („Das

erst recht.“). Er lädt uns zum Wurstmachen ein, drei Uhr morgens,

Lübbenau. Wir einigen uns schließlich auf vier Uhr und tatsächlich –

als wir ankommen, ist der Zwei-Meter-Mann mit den wachen Augen

schon ziemlich lange mit seinen wurstigen Spezialitäten beschäftigt.

Die Nummer eins in den Spreewald-Charts ist zweifellos die Grützwurst.

„Es gibt sie sowohl frisch als auch kaltgeräuchert“, erklärt

34


Fleischerei Koreng Lokaltermin •

der Meister, „und das Format ist ebenfalls verschieden – dick, um

Scheiben zum Braten abzuschneiden oder dünn zum Warmmachen

oder Kaltessen.“

Schweineblut, Schweineschwarten, Gerstengrütze, reichlich

Thüringer Majoran, ein Hauch Spreewälder Thymian (auf die Herkunft

der Kräuter legt Wieder besonderen Wert) und eine hauseigene

Würzmischung, in der Pfeffer und Piment die Hauptrollen spielen,

das sind die Zutaten des regionalen Kultproduktes. Die Frische ist ihr

wichtigstes Qualitätsmerkmal. „Seit August Wilhelm Koreng, dem Ururgroßvater

meiner Frau, hat sich daran nichts geändert“, so Sven Wieder.

Auch seine Leberwurst fertigt der Fleischermeister nach einem

Traditionsrezept von 1881. Dazu kommen neue, eigene Kreationen –

beispielsweise die Gurkenbockwurst mit gewürfelter Gewürzgurke oder

die Meerrettichknacker mit zwölf Prozent frisch geriebenem Meerrettich,

auch Lamm- und Rindsbratwürste sowie Coppa und Pastrami

hat er schon gemacht. „Am Ball bleiben“, nennt der Meister das.

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

„Eine Wurst soll von Umglänztheit blitzen; die Haut muss das Fleisch

stramm umsitzen.“ Das Zitat stammt von Martin Walser und es passt

perfekt zu den Korengschen Offerten in der Ladentheke.

Dazu gibt es ein kleines, spreewaldtypisches Feinkostangebot,

einen täglich frisch gekochten Mittagstisch und jede Menge Service:

den Party- und Lieferservice, einen deutschlandweiten Wurstversand

und neuerdings sogar zwei Wurstautomaten auf Campingplätzen

in Lübben und Lübbenau. „Sie müssen sich diese Dinger wie große

Kühlschränke mit vielen Fächern vorstellen, die wir mit vakuumierten

Bock- oder Bratwürsten bestücken“, so Sylvia Koreng, „die sich aber

nur lohnen, wenn auch die Touristen kommen.“ „Und im letzten Jahr

war da eher Ebbe“, fügt Sven Wieder hinzu.

Möglicherweise auch deshalb reagieren die beiden Fleischermeister

ziemlich zurückhaltend, wenn es um die Zukunft ihres Betriebes geht,

der 2014 im FEINSCHMECKER-Ranking „Die besten Metzger Deutschlands“

immerhin Landessieger in Brandenburg wurde.

Doch solcher Ruhm hält eben nicht ewig. „Früher hatte Lübbenau

sage und schreibe mal sieben Fleischereien“, resümiert Sylvia Koreng,

„inzwischen sind wir der letzte noch selbst produzierende Betrieb.

Dafür gibt es sechs Supermärkte, mit deren industrieller Massenware

wir preislich natürlich nicht mithalten können, obwohl wir schon

knapp kalkulieren.“

Und so weiß die Inhaberin der Traditionsfleischerei heute auch

noch nicht, was sie ihren beiden Söhnen – Adrian ist sechs, Tristan

anderthalb – einmal raten wird, wenn es um deren Berufswahl geht...

SPREEWALDFLEISCHEREI KORENG

Ehm-Welk-Straße 3

03222 Lübbenau / Spreewald

Tel. 03542 – 27 15

www.spreewaldfleischerei.de

Fachverkäuferinnen Janine Leuschner und Manuela Nowka, v. li.

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Fleischerei Koreng Lokaltermin •

Jahre

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

Jubiläums-Gratulanten: Lübbenaus Bürgermeister Helmut Wenzel…

…und Innungsobermeister Frank Gerber aus Cottbus.

In präpandemischer Zeit galt „Normalität“ als verpönt, unsere

distinktionssüchtige Gesellschaft forderte permanent die Abkehr

vom Gewohnten. Doch dann kam Corona und aus der faden Spießervokabel

wurde ein ultimatives Sehnsuchtswort. „Das Virus macht

normales Verhalten zu einem Risiko“, formulierte Kanzlerin Angela

Merkel in ihrer Neujahrsansprache 2021. Die Menschen wünschten

sich ein „gutes normales Jahr“, und die meistgestellte Frage dieser

Zeit lautet: Wann wird endlich wieder alles normal?

Auch Sylvia Koreng bedient sich in diesem Baukasten. „Normalerweise“,

sinniert sie, „hätten wir ein Hoffest gefeiert, eine Jubiläumsparty

mit Freunden, Kunden, Nachbarn und Kollegen.“

Doch was ist schon normal an diesem 3. Mai 2021? „140 Jahre

Koreng. Ein Jubiläum, aber leider keine Feier“, schreibt die Fleischermeisterin

an ihre Schaufensterscheibe, bevor sie den Laden öffnet.

Zwei offizielle Gratulanten kommen dennoch. „Das ist doch normal“,

erklärt Lübbenaus Bürgermeister Helmut Wenzel.

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ECHTE KLIMAFREUNDE

Fleischerei Koreng Lokaltermin •

Es gibt sie, klimafreundliche

Schnellkühler & Schockfroster,

die mit dem natürlichen

Kältemittel R290 jeden Tag

Höchstleistungen vollbringen.

MultiFresh® Next mit 6 – 26 Einschüben

Gemäß F-Gas-Verordnung 517/2014 dürfen herkömmliche Kältemittel, wie R452A nicht mehr

hergestellt werden. Wenn beim Gerät Kältemittel nachgefüllt werden muss, erfolgt dies mit teurem,

recyceltem Material. Vorsicht Kostenfalle. Besser gleich in zukunftsfähige Technologie mit möglichst

kleinem, ökologischem Fußabdruck investieren. Der neue MultiFresh® Next ist ein solches. Obendrein

gibt es staatliche Förderprogramme, die den Geldbeutel entlasten.

Hohe Beladungskapazität

Wie aber lässt sich die Leistungsfähigkeit eines Gerätes messen? Entscheidend für die effiziente

Abkühlung von garheißen Speisen ist die maximale Beladungskapazität, die der Schnellkühler pro

Zyklus in der normgerechten Zeit von maximal 90 Minuten abkühlen kann. Je größer die maximale

Beladungsmenge, desto leistungsstärer ist das Gerät. Andernfalls ist die anteilige Beladung pro Einschub

sehr schnell überschritten und der Schnellkühler geht förmlich in die Knie. Bei der Konfiguration des

Schnellkühlers sollten man also auf die maximale Beladungsmenge in kg achten und nicht nur auf die

Anzahl der Einschübe.

Rollierende Beschickung

Ferner ist zu bedenken, dass die Abkühlzeiten der meisten Lebensmittel bis zu 5 x länger sind als

die jeweilige Garzeit. Um einen Stau vor dem Schnellkühler zu vermeiden, bedarf es Geräte mit

entsprechender Kapazität. Ein Musterbeispiel für hohe Effizienz ist der MultiFresh® Next LL, der 95 kg pro

Zyklus auf 26 Einschüben GN 1/1-65 abkühlen kann. Fertige Garchargen können rollieren, d.h. bei bereits

laufendem Kühlzyklus einfach nachgeschoben werden. Er wird nicht unterbrochen und die Speisen frieren

nicht an, da die Innenraumtemperatur beim Schnellkühlen im niedrigen Plusbereich gehalten wird.

Leistungskriterien, wie das rollierende Nachschieben oder die Beladungskapazität sind wichtig, weil

sie die Produktivität in der Küche enorm steigern. Lassen Sie sich unverbindlich beraten. IRINOX ist

spezialisiert auf Lösungen, die es ermöglichen produktiver und stressfreier zu arbeiten.

Irinox SpA

irinox.deutsch@irinox.com | Österreich +49 172 759 77 91 | Deutschland +49 151 641 021 73

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• Garçon-Gespräch Spreewald kulinarisch

Was macht den Spreewälder stark?

Kneedelen, Leinöl und Quark.

Was schmeckt am zur Sonntagsruh?

Kaffee und Plinze dazu.

Was werd er immer lieben?

Grützwurscht und große Grieben.

Was gibt am Mut und Zorn?

Alter Cottbuser Korn.

Was klärt den Kopp bei Mann und Frau?

Saure Gurken aus Lübbenau.

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Spreewald kulinarisch Garçon-Gespräch •

Melanie Kossatz ist waschechte Spreewälderin – geboren und

aufgewachsen in Lübben. Nach dem Abitur verließ sie die Heimat

und studierte an der Hochschule Braunschweig-Wolfenbüttel

Tourismuswirtschaft, Abschluss als Diplom-Kauffrau. Es folgten

Beratungstätigkeiten in Consulting- und Marketingfirmen in Dresden

und Berlin sowie die Arbeit als Referentin beim Deutschen Industrieund

Handelskammertag, ebenfalls in Berlin. 2016 folgte sie einem

Ruf aus ihrer Heimatstadt und übernahm die Geschäftsführung des

Spreewaldvereins e. V. mit Sitz in Lübben.

Man sagte uns, in Ihrem Verein schlage das kulinarische Herz des

Spreewaldes und nun gibt es hier nur ein paar normale Büros.

Was haben Sie denn erwartet? Eine Großküche?

Zumindest ein Kochstudio, einen Kochbuchverkauf, so was.

Da muss ich Sie enttäuschen.

Und womit können Sie mich erfreuen?

Vielleicht damit, dass ich Ihnen sage, dass wir dem Spreewald ein

kulinarisches Gesicht geben.

Und wie tun Sie das?

Das Arsenal unserer Mittel ist vielfältig. Zum Beispiel sind wir Inhaber

der regionalen Dachmarke Spreewald, das ist ein Gütesiegel, mit dem

wir regionale Produkte und Dienstleistungen sowohl der Land- und

Ernährungswirtschaft, aber auch des Handwerks, des Handels und

der Tourismuswirtschaft zertifizieren.

Welche Bedingungen müssen Produkte oder Dienstleistungen erfüllen,

damit Sie ihnen dieses Gütesiegel zuerkennen können?

Sie müssen im so genannten Wirtschaftsraum Spreewald, der nicht

nur das UNESCO-Biospährengebiet umfasst, sondern ein ganzes

Stück darüber hinaus reicht, angebaut, verarbeitet, erzeugt oder – im

Falle von Dienstleistungen – angeboten werden. Sie müssen hohen

Qualitätsstandards genügen und sie müssen natürlich typisch für

unsere Region sein.

Haben Sie ein kulinarisches Beispiel parat?

Nicht nur eins, aber am bekanntesten ist sicher die Spreewälder Gurke,

die inzwischen auf rund 600 Hektar kultiviert wird – das sind übrigens

80 Hektar mehr als im Vorjahr – und deren Ernte am 24. Juni begonnen

hat und bis in den September andauern wird.

Und diese Spreewald-Berühmtheit braucht noch ein Gütesiegel?

Richtig. Sowohl das von der EU 1999 verliehene g. g. A. -Prädikat, also

die geschützte geografische Angabe, als auch unser Spreewald-Gütesiegel

garantieren, dass es sich dort, wo Spreewälder Gurke drauf

steht, auch wirklich um Spreewälder Gurke handelt.

Das ist wirklich so immens wichtig?

Keine Frage. Die Spreewälder Gurke ist sowohl Imageprodukt und

Sympathieträger als auch ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor für

unsere Region. Und gewissermaßen auch eine Werbeikone. Das

gilt übrigens genauso für den Spreewälder Meerrettich. Gestatten

Sie mir in diesem Zusammenhang noch einen Gedanken. Indem

wir uns um den Schutz und die Sicherung der Qualitätsstandards

dieser Produkte kümmern, stärken wir die ländliche Wirtschaft

und den Tourismus – sozusagen als unsere übergeordnete Aufgabe.

Oder, um auf den Anfang unseres Gespräches zurückzukommen,

indem wir dem Spreewald ein kulinarisches Gesicht geben,

tragen wir dazu bei, den Prozess der ländlichen Entwicklung und

damit der Lebensverhältnisse der Menschen in unserer Region

voranzubringen.

Eigentlich ist das ein gutes Schlusswort, aber zwei direkte Essenund-Trinken-Fragen

hätte ich dann doch noch.

Bitte.

Erstens – welches kulinarische Potenzial hat denn die viel gerühmte

Spreewaldgurke – außer, dass sie knackig und ziemlich einzigartig

im Geschmack ist?

Wir haben gemeinsam mit 18 bekannten Spreewälder Küchenchefinnen

und Küchenchefs eine umfangreiche Sammlung mit

Gurkenrezepten veröffentlicht, die Ihre Frage sicher beantwortet.

Weil ich die Rezepte jetzt nicht alle aufzählen kann, empfehle ich

Ihnen diese Lektüre. Ich wette, Sie werden staunen. Soviel dazu –

und Ihre zweite Frage?

Stellen Sie sich vor, Frau Kossatz, Sie wollen Freunden, denen

die Spreewaldküche völlig fremd ist, ein regionaltypisches Menü

servieren. Was käme auf die Teller?

Wow, geben Sie mir eine Minute zum Überlegen … Also: Zuerst eine

Spreewälder Senfgurkensuppe. Als Hauptgang würde ich Ochsenbäckchen

mit Meerrettichsauce servieren und als Dessert Eierplinse,

angerichtet mit Zucker und Zimt. Ach ja, und dazu würde ich eine

Spreewälder Gurkenbowle nach einem Rezept von Peter Franke einschenken.

Zufrieden?

Voll und ganz und vielen Dank für das Gespräch.

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• Geschmackssachen NIHON MONO – Shiitake

Potsdamer Straße 91

10785 Berlin-Tiergarten

Tel. 0172 – 204 05 50

www.nihon-mono.shop

Die gebürtige Niedersächsin Dagmar Maas studierte Betriebswirtschaftslehre

und startete ihre berufliche Karriere als

Unternehmensberaterin. Während sie tagsüber internationale

Teams coachte, drückte die genussfreudige Managerin abends

selbst die Schulbank des Wine and Spirit Education Trusts (WSET).

2011 ging sie mit ihrer Familie nach Japan und begann, sich

das weite Feld der japanischen Kulinarik zu erschließen. In Tokio

besuchte sie die renommierte Kochschule von Elizabeth Andoh und

war als Assistentin der weltweit bekannten Kochbuchautorin tätig.

Zudem absolvierte sie eine Lehre zur Sake-Sommelière und wurde

danach vom WSET als Sake-Ausbilderin zertifiziert.

Nach der Rückkehr der Familie nach Berlin machte die Mutter

dreier Töchter ihre kulinarischen Kenntnisse zum Beruf. Dagmar

Maas eröffnete in der Potsdamer Straße die japanische Genusswerkstatt

Nihon Mono nebst kleinem Feinkosthandel. Für GarÇon

schreibt sie regelmäßig über das kulinarische Japan.

42


NIHON MONO – Shiitake Geschmackssachen •

S

H

I

I

T

A

K

E

Kyushu (auf der Karte unten dunkler) ist die südlichste und – was ihre

Größe betrifft – die Nummer drei unter den vier Hauptinseln Japans,

vergleichbar etwa mit der Fläche Baden-Württembergs.

Obwohl Kyushu nicht zum Programm der meisten Japan-Touristen

gehört, hat die Insel viel zu bieten, sowohl kulturell und kulinarisch

als auch was ihre Natur betrifft. Da sind einerseits die pulsierenden

Großstädte Fukuoka, Kagoshima, Kumamoto, Miyazaki und Nagasaki –

andererseits gibt es weite Strände, stille Wälder und ausgedehnte

Vulkanlandschaften, die allein schon mehr als eine Reise wert sind.

Natürlich kommen hier auch Feinschmecker auf ihre Kosten. Zu den

bekanntesten Kyushu-Delikatessen zählen Basashi (Pferde-Sashimi),

Jikumushi Pusin (im Onsen-Wasserbad gegarter Pudding) und Karashi

Renkon (mit Senf gefüllte Lotuswurzel).

Eine gewisse Berühmtheit erlangten Shochu – das inzwischen

weltweit bekannte Destillat vorwiegend aus Süßkartoffeln – sowie

die in den Wäldern von Kyushu kultivierten Shiitake.

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• Geschmackssachen NIHON MONO – Shiitake

Pilzkönig Kazuhide Sugimoto.

Sie zählen zum Besten, was es in dieser kulinarischen Kategorie gibt –

Geschmack, Textur, Umami sind einsame Spitze, und das ist noch

längst nicht alles.

Nur noch selten wachsen Shiitake so wie bei Kazuhide Sugimoto,

seinem Bruder und ihren Mitstreitern – mitten im Wald. In Japan sind

es immerhin noch etwa neun Prozent, ihr Anteil am weltweiten Anbau,

der im wesentlichen in China stattfindet, ist nur noch eine marginale

Größe. Zu aufwändig die Pflege, zu langsam das natürliche Wachstum,

zu gering die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen.

Knapp zwei Jahre braucht es, bis Shiitake-Pilze in ihrem natürlichen

Lebensraum die volle Größe und das perfekte Aroma

entwickeln. Im Gewächshaus dauert das Ganze lediglich um die 12

Wochen. Die Aromatik ist dann zwar weniger ausgeprägt, aber auch

hier ist Zeit eben Geld und bei den Mengen, die der Markt braucht,

sehr viel Geld.

Dennoch: Die qualitativ besten Shiitake wachsen im Freien – in den

Wäldern von Kyushu, der südlichsten der vier japanischen Hauptinseln

(s. Karte S. 43) – mit großen Temperaturunterschieden zwischen Tag

und Nacht und der vollen Bandbreite der Elemente, denen die Pilze

dort ausgesetzt sind. Aber genau darauf bauen Sugimoto und seine

Kollegen, die in Japan „Nabashi“ heißen und deren Sorgfalt im Umgang

mit den sensiblen Shiitake sprichwörtlich ist.

Traditionell werden die Pilze auf abgelagerten Holzstämmen der

Kunugi-Eiche kultiviert. Penibel und mit dem Blick auf unbedingte

Getrocknete Shiitake-Pilze sind in der Küche so etwas wie das Ass

im Ärmel. Kein Zauberer am Herd, dessen Kunstfertigkeit nicht

noch durch die letzte Prise Raffinesse aus dem Wald profitieren

würde. Was sich so anhört, als wäre es ein Highend-Superfood von

morgen, ist in Wahrheit nur ein behutsam in Empfang genommenes

Geschenk der Natur.

Beim Trocknen der unscheinbaren braunen Pilze multipliziert

sich das ihnen innewohnende Guanosin, ein Umami-Bestandteil,

der jedem Gericht eine extra Portion Geschmack verleiht. Guanosin

kommt in allen getrockneten Pilzen vor, etwa in Steinpilzen oder

Morcheln, jedoch keine andere Art ist damit so reich gesegnet

wie Shiitake.

Ein Rückblick, der gefühlt wie eine Ewigkeit wirkt. Dabei ist es

gerade mal zwei Jahre her, dass Kazuhide Sugimoto mit seinem

Shiitake-Hut auf dem Kopf und einem Elektroroller unter den Füßen

durch Berlin brauste. In kürzester Zeit wurde er damals zum beliebten

Fotomotiv und als Mr. Shiitake zum Publikumsmagnet der Berlin Food

Week 2019.

Als wir uns verabschiedeten, fügte er seinem „Sayōnara“ hinzu,

dass er sicher sei, bald wiederzukommen. Sein gewinnendes Lächeln

war Beweis genug, dass er meinte, was er sagte. Keine freundliche

Floskel. Dann kam Corona und nicht nur Kazuhide Sugimotos Reisepläne

liegen seitdem auf Eis. Immerhin – Mr. Shiitake ließ seine

Pilze in Berlin.

44


NIHON MONO – Shiitake Geschmackssachen •

Nachhaltigkeit wird darauf geachtet, dass der Wald sich selbst erneuern

kann. Keiner der Nabashis würde auf die Idee kommen, sich

die Lebensgrundlage zu zerstören.

Der Anbau ist körperlich herausfordernd. Weit gefehlt die Annahme,

dass diese Baumstämme nach dem Aufbringen der

Pilzsporen sich selbst überlassen bleiben. Sie werden regelmäßig

inspiziert, von Hand gewendet und mit einem Hammer beklopft,

um ein gleichmäßiges Wachstum zu fördern. Kein Dünger, keine

Schädlingsbekämpfung.

Der Lohn dafür sind Pilze mit herausragendem Geschmack, aber

auch mit einer Textur, die in einer künstlichen Gewächshaus-Umgebung

unerreichbar bleibt.

Ein guter Shiitake-Bauer kennt seinen Wald und seine Pilze aus dem

Effeff. Insbesondere kurz vor den Erntezeiten im Frühjahr und Herbst

schaut er bis zu drei Mal am Tag zu seinem „Hodaba“ – so heißt der

Ort im Wald, an dem er seine Baumstämme akkurat platziert hat. Der

perfekte Zeitpunkt ist binnen weniger Stunden verstrichen und so

kann es auch schon mal passieren, dass ein vierter, nächtlicher Weg

in den Wald unternommen wird.

Traditionelle Shiitake-Bauern wie die Brüder Sugimoto ernten ihre

Pilze ausschließlich von Hand. In die Sammelkörbe kommt nur die

Menge an Pilzen, die direkt getrocknet werden kann, da der Geschmack

nach der Ernte schnell abnimmt. Zeit spielt dann auch in dem aufwändigen

Trocknungsprozess, den Kazuhide Sugimoto entwickelt

Shiitake-Freiluftanbau in den Wäldern von Kyushi.

hat, eine wichtige Rolle. Ebenso Temperatur, Menge und Dauer der

einwirkenden UV-Strahlen. Nur wenn alle Faktoren stimmen, wird

aus den Pilzen ein Umami-Powerhaus mit außergewöhnlich hohem

Vitamin-D-Gehalt.

Besonders spannend ist das für die vegetarische und vegane

Küche. Nicht umsonst sind Shiitake Eckpfeiler der japanische

Tempelküche – Shojin Ryori genannt – die mit ihrer Hilfe pflanzliche

Geschmackserlebnisse der Extraklasse kreiert.

Ihre Verwendung beschränkt sich aber weder auf die japanische

Küche noch auf vegetarische oder vegane Speisen. Ihr kulinarischer

Karrierepfad zieht sich mittlerweile durch alle Länderküchen. Eine

Prise Shiitake-Pulver oder ein Schuss Shiitake-Dashi geben sowohl

einer Bolognese, BBQ-Sauce oder Aïoli als auch anderen Saucen,

Suppen, Tapenaden und Terrinen den letzten Kick.

Wichtig dabei ist jedoch, dass die Pilze unbehandelt sind. Weil man

ihnen dies aber nicht ansehen kann, ist der Kauf Vertrauenssache.

Wir bei Nihon Mono kennen nicht nur Kazuhide Sugimoto, sondern

auch etliche andere Shiitake-Bauern persönlich, besuchen Sie, wann

immer es geht, überzeugen uns vor Ort von der hohen Qualität ihrer

Produkte und kaufen ausschließlich bei ihnen ein.

Bei den Pilzen von „Mr. Shiitake“ kann man übrigens nicht nur das

Wasser zum Einweichen bedenkenlos benutzen – man würde sogar

auf viel Genuss verzichten, wenn man es nicht täte und das wäre

schon fast frevelhaft.

45


• Geschmackssachen Magic Fermentation

Marcel Kruse

35 Jahre

stammt aus Mecklenburg

Eventmanager, Fotograf,

Raw-Chef, Paleo-Coach

lebt in Berlin

Geru Pulsinger

44 Jahre

stammt aus Kärnten

Optiker, Koch, Ernährungs- und

Körpertherapeut

lebt in Graz

FERMENT IM TREND

VON NINJA-KIMCHI BIS WASSER-KEFIR

Die Fermentations-Freaks jubeln. Immer neue Titel über die Kunst des

kontrollierten Vergammelns füllen die Regale und feiern den jüngsten

Trend in den Hipsterküchen des 21. Jahrhunderts: Fermentation

von Heiko Antoniewicz, Fermentieren von Kirsten und Christopher

Shockey, Das Große Buch der Fermentation von Antonia Kögl, Die

Kunst des Fermentierens von Sandor Katz. Sogar der berühmte Noma-

Gründer René Redzepi und sein Fermentations-Lab-Guru David Zilber

sahen den Markt und bereicherten ihn mit dem Noma-Handbuch

Fermentation.

Und nun: Magic Fermentation von Marcel Kruse und Geru Pulsinger

und natürlich die Frage – braucht die Welt das auch noch? Wir sagen

ja, und um es gleich am Anfang zu schreiben, dieser 300-Seiten-Wälzer

macht von der ersten Seite an so viel Spaß, dass man sofort beginnen

möchte, eine Essigmutter zu züchten, Pink-Chi herzustellen oder

Torshi Seer anzusetzen …

Das liegt wohl einerseits daran, dass Kruse und Pulsinger erfahrene

Fermentatoren sind und zudem weit gereist und dass sie

sich andererseits – im Gegensatz zu mancher Ratzfatz-Printe – Zeit

für ihr Buch nahmen.

Hinzu kommt, dass die beiden Autoren mit dem Innsbrucker Löwenzahn

Verlag einen Partner an der Seite hatten, der ex usu weiß, wie

man kulinarische Themen be- und abhandelt. Nur am Rande: Ähnliches

schrieb ich schon vor zwölf Jahren über das Esterházy-Kochbuch aus

dem gleichen Verlag – für mich noch heute eines der inspirierendsten

österreichischen Kochbücher.

Ebenso kenntnisreich und sorgfältig zubereitet ist nun auch der Titel

Magic Fermentation. Der Band lässt keine Wünsche offen – außer,

dass mein Lieblingsrezept nicht die Gnade der Aufnahme fand (nach

Art der japanischen Umeboshi fermentierte unreife Aprikosen, für die

ich bei jedem Grillabend Beifall bekomme).

Sein Inhalt ist eine Fundgrube für das Thema „Fermentieren“, mit

viel Liebe zum Detail gestaltet und hervorragend rezeptiert. Überhaupt

die Rezepte: Alle Zubereitungen sind verständlich beschrieben, die

Einzel-Steps geben klare Umsetzungshilfen, die Zutatenangaben erscheinen

exakt und die Gerichte sind mit überschaubarem Aufwand

herzustellen. Kurz gefasst nennt man die Summe all dessen wohl

hoher Gebrauchswert.

Hinzu kommen die Ninja-Tipps. Die beiden Fermentations-Kämpfer

Marcel Kruse und Geru Pulsinger geben mit diesen Tipps wichtige

Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrer eigenen Fermentationspraxis

preis – beispielsweise, dass man bei der Herstellung von Oi-Sobagi

(Kimchi-Gurke) anstelle der Fischsauce des Originalrezepts getrost

Sojasauce benutzen kann oder, dass sich beim Ansetzen von

Wasserkefir mineralstoffarmes Wasser mit Hilfe von Backpulver oder

einiger zerkleinerter Eierschalen remineralisieren lässt. Und allein

dafür gehört Magic Fermentation in jede Küche.

Jörg Teuscher

Magic Fermentation

Fermentation, bis die Gläser überschwappen

Löwenzahn Verlag Innsbruck

www.loewenzahn.at

1. Auflage 2021

29,90 Euro

ISBN 978-3-7066-2686-6

46


Buchweizen Geschmackssachen •

Starkes

PORTRÄT EINER FAST VERGESSENEN KULTURPFLANZE

VON JÖRG TEUSCHER

47


• Geschmackssachen Buchweizen

Buchweizen, hierzulande sowohl auf Feldern als auch in Läden und

Lokalen eine herba incognita, gehört anderswo zu den kulinarischen

Selbstverständlichkeiten.

Zum Beispiel Frankreich. Kreuzritter brachten die Körner, die sie

ihrer dunklen Farbe wegen Sarrasin nannten, einst mit ins Land. Vor

allem die bretonischen Bauern waren begeistert, weil sie selbst auf

den kargen Böden im Innern der Bretagne gediehen und ihnen gute

Ernten bescherten. Aus dem Mehl wurden auf heißen Steinen – den

Jalets – Fladen gebacken, die, nach jenen Backsteinen benannt, bald

weit über die Bretagne hinaus bekannt wurden.

In Paris beispielsweise sind seit einigen Jahren die so genannten

BILIG-Mobile unterwegs, flinke, elektrobetriebene Dreiräder, ausgerüstet

mit einer Crêpes-Platte und einem Kühlschrank, die an vielen

Ecken Galettes anbieten – Buchweizenpfannkuchen mit Spiegelei,

Schinken und Käse, mit Gemüse, manchmal sogar mit Fisch (s. Bilder

auf dieser Seite). Streetfood à la française.

Eine feste Größe ist Buchweizen (Soba) auch in der japanischen Küche.

Rund eine Million Tonnen werden jährlich konsumiert, fast ausschließlich

in Form von Nudeln. Berühmt ist auch der Soba-Tscha, Tee aus

gerösteten Buchweizenkörnern, mild und leicht nussig im Geschmack.

Übrigens: Die Japaner stellen aus getrockneten Buchweizenblättern

ein staubfeines Pulver her, dass verwendet wird, um etwa Nudeln und

Speiseeis grün zu färben.

In Europa sind neben Frankreich auch Österreich, Slowenien

und die Schweiz besonders buchweizenaffin. Im Schweizer Kanton

Graubünden etwa gibt es Pizzocheri, einen traditionellen Eintopf

aus Gemüse und Buchweizenspätzle; in Slowenien wird Potiza gebacken,

ein Nusskuchen mit Buchweizen und in Österreich gehört

der Jauntaler Hadn (Hadn = Buchweizen) sogar zu den besonders

geförderten Produkten, die einer ganzen Gegend im Süden Kärntens

das Attribut „Genussregion“ bescherten. Die dort gebackene Hadntorte

gehört zu den besten Spezialitäten der Kärntner Küche.

48


Buchweizen Geschmackssachen •

49


• Geschmackssachen Buchweizen

Prof. Dr. Friedrich Longin, Jahrgang 1978, wurde in Backnang

im Rems-Murr-Kreis geboren und studierte an der Universität

Hohenheim Agrarbiologie mit den Schwerpunkten Pflanzenzüchtung

und Biotechnologie. Dem Diplom schloss sich die Promotion in einem

deutsch-chinesischen Graduiertenkolleg der Universität Hohenheim

und der China Agricultural University in Peking mit einem Thema

über optimierte Zuchtverfahren bei Mais an.

2009 folgte er dem Ruf der Limagrain Europe und arbeitete als

Maiszüchter in Frankreich und Spanien. 2010 kehrte er nach Baden-

Württemberg zurück, übernahm die Leitung der Arbeitsgruppe

Weizen an der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim

und habilitierte sich 2016 mit einer Arbeit über Pflanzenzüchtung.

2019 wurde er zum außerplanmäßigen Professor berufen. Einer

der Schwerpunkte seiner Arbeit liegt auf dem Erhalt weitgehend in

Vergessenheit geratener Kulturpflanzen und der Förderung ihres

Wiederanbaus – u. a. des Buchweizens.

Ihre große Liebe gilt dem Buchweizen, Herr Professor Longin …

Sorry, wenn ich Sie gleich unterbreche, aber Ihre Formulierung beziehe

ich doch zuerst auf meine Familie und meine Hobbies – ich liebe

zum Beispiel ausgedehnte Wanderungen, Fahrradtouren und das

Trompeten- und Tubaspiel in meinem Musikverein.

Und wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zum Buchweizen?

Nennen Sie es eine noch junge wissenschaftliche Beziehung.

Was ist denn das Außergewöhnliche an dieser Getreideart?

Erstmal, dass Buchweizen kein Getreide ist, sondern zur Familie der

Knöterichgewächse zählt. Das heißt, er ist weder mit dem Weizen,

aber auch nicht mit der Buche verwandt, sondern beispielsweise mit

dem Rhabarber und dem Sauerampfer.

Der einigermaßen irreführende Name leitet sich übrigens von der Form

der Frucht des Buchweizens ab, die ungeschält wie eine Buchecker aussieht

und nach dem Schälen einem Weizenkorn ähnelt. Das beschreibt

auch der botanische Name des Buchweizens – Fagopyrum – gebildet

aus dem lateinischen Wort, fagus’ für Buche und dem griechischen,

pyrus’ für Weizen.

Nun beschäftigen Sie sich sicher nicht wegen seiner eigenwilligen

Etymologie mit dem Buchweizen.

Nein, natürlich nicht. Buchweizen ist eine uralte Kulturpflanze, die

ursprünglich aus den Steppen hochgelegener Gebirgsländer in

Zentral- und Ostasien stammt und dort schon Jahrtausende v. Chr.

angebaut wurde.

Bis zum zweiten Weltkrieg war der Buchweizen auch in Mittel- und

Norddeutschland verbreitet, mit der Intensivierung des Ackerbaus

jedoch verschwand er immer mehr und ist heute auf deutschen Feldern

eine absolute Rarität.

Und das wollen Sie ändern …

Letztlich entscheidet der Landwirt welche Kulturen er anbaut, und er

Verarbeitungs- und Geschmackstest…

…mit 18 Buchweizensorten an der Universität Hohenheim.

50


Buchweizen Geschmackssachen •

baut eigentlich nur das an, womit er Geld verdienen kann – also, was

er gut verkauft bekommt. Insofern entscheiden hier eher der Einzelhandel

bzw. wir als Verbraucher. Als Wissenschaftler versuche ich, die

Re-Etablierung zu unterstützen mit – meiner Meinung nach – guten

Argumenten für den Buchweizen.

Zum Beispiel?

Buchweizen gilt als ernährungsphysiologisch äußerst wertvoll –

sowohl was die Menge als auch die Zusammensetzung von Proteinen,

Stärke, Fettsäuren, Vitaminen, Mineralstoffen sowie sekundären

Inhaltsstoffen angeht. Zudem ist er für die glutenfreie Ernährung

extrem wichtig.

Und wie steht es um den Geschmack?

Signifikante sensorische Untersuchungen gibt es bisher nicht, aber das

hartnäckige Vorurteil, Buchweizen schmecke fad oder muffig, konnten

die kulinarischen Experten, die wir zu Geschmackstests eingeladen

haben, nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil – sein Geschmack ist eher

aromatisch und fein nussig.

Welche weiteren Argumente sprechen für den Buchweizen?

Im Anbau zum Beispiel ist er relativ anspruchslos. Die Pflanze braucht

kaum Dünger, wächst sogar noch auf sandigen Böden und stellt somit

eine attraktive Sommerfrucht für den extensiven Anbau unter den

Bedingungen des Klimawandels dar.

Zudem ist der Buchweizen durch seine lange Blühzeit eine wichtige

Nektarquelle für viele Insekten zu einer Zeit, in der auf den Wiesen,

Feldern und in den Wäldern sonst nicht mehr viel blüht.

Gibt es auch Nachteile?

Die Erträge sind mit rund 25 Dezitonnen pro Hektar im Vergleich etwa

nur ein Drittel so hoch wie bei Sommergetreide. Deshalb arbeiten wir

an einem alternativen Anbausystem, das vorsieht, den Buchweizen als

Zweitkultur etwa nach Grünroggen oder einer frühreifenden Kartoffel

erst Mitte Juni auszusäen. Wenn dann eine rechtzeitige Reife im Herbst

vor der Wintersaat gesichert wäre, würde sich der Buchweizenanbau

trotz der geringen Erträge auch für den Landwirt eher lohnen.

Ein Problem ist auch die Verfügbarkeit von entsprechendem Saatgut,

ein weiteres von Mühlen, die in der Lage sind, Buchweizen zu

schälen, und weiterhin bedarf es attraktiver Verarbeitungsideen sowie

deren Kommunikation, um dem Verbraucher den Buchweizen-Konsum

schmackhaft zu machen.

Deshalb plädieren wir zum Beispiel für ein heimisches Buchweizenzuchtprogramm,

in das wir uns entsprechend einbringen könnten,

wenn Fördermittel dafür zur Verfügung stehen würden.

Was sollte denn die Aufgabe eines solchen Programms sein?

Der Name sagt es. Es müsste gelingen, wenige heimische Buchweizensorten

zu züchten, damit interessierte Landwirte sich nicht damit

herumschlagen müssen, Saatgut etwa aus Russland zu beschaffen.

Außerdem müsste es gelingen, stabile Wertschöpfungsketten vom

Züchter über den Landwirt, den Schälmüller bis zum Hersteller von Buchweizenprodukten

und dem Lebensmittelhandel zu schaffen und deren

langfristige Zusammenarbeit zu etablieren. Dass so etwas funktionieren

kann, haben wir in den letzten Jahren an der Universität Hohenheim etwa

bei Einkorn, Emmer und Dinkel ja eindrücklich bewiesen.

Es bleibt also noch viel zu tun, um den Buchweizen aus seiner vergessenen

Nische wieder ans Licht zu holen.

Keine Frage, aber ich bin mir sicher, dass sich jede Anstrengung dafür

lohnt. Eben auch, weil solche alternativen Kulturpflanzen einen großen

Beitrag für eine vielfältige Landwirtschaft und einen intensiven Naturschutz

leisten können.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Longin.

51


• Geschmackssachen Buchweizen

Inhaber Friedrich v. Gilsa und Mitarbeiterin Danielle Mancini.

Als Freda und Friedrich v. Gilsa Ende September 2014 Berlins erste

glutenfreie Bäckerei eröffneten, wussten sie über das Backen mit

Buchweizen nicht viel. Klar war ihnen und ihrem Bäckermeister

Guido Tauer damals nur, dass die Verarbeitung des Pseudogetreides

eine backtechnische Herausforderung darstellt. „Natürlich betraf

das nicht nur den Buchweizen, auch Hirse oder Teff waren für uns

bäckerisches Neuland“, so der 37-jährige diplomierte Landwirt Friedrich

v. Gilsa.

Sie eroberten es und ihre Jute-Bäckerei gilt heute als angesagte

Berliner Adresse, wenn es um glutenfreie Backwaren geht, die

geschmacklich höchste Ansprüche erfüllen. Dazu gehören auch eine

ganze Reihe von Buchweizenprodukten.

Das Bio-Buchweizenbrot „Max“ beispielsweise enthält 19 Prozent

Buchweizenvollkornmehl und 19 Prozent Buchweizenkerne und überzeugt

durch sein intensiv-nussiges Aroma, eine ausgebackene Krume

und die dunkel glänzende Kruste.

Auch das zuckerfreie Bio-Brot „Wilhelm“ mit einem 23-prozentigen Anteil

an Buchweizenvollkornmehl ist ein echtes Charakterbrot, herzhaft

und saftig (s. Bilder unten). „Unser Ciabatta und unsere Bagel werden

übrigens ebenfalls mit Buchweizenmehl gebacken“, ergänzt Friedrich

v. Gilsa die Aufzählung.

Nicht besonders glücklich ist er darüber, dass er Buchweizenmehl

aus dem Ausland kaufen muss, weil der Anbau der uralten Kulturpflanze

hierzulande kaum der Rede wert ist. „Dabei ist Buchweizen für eine

nachhaltige Landwirtschaft durchaus attraktiv.“

JUTE BÄCKEREI

Schönhauser Allee 52a

10437 Berlin-Prenzlauer Berg

Tel. 0172 – 938 09 42

www.jute-baeckerei.de

52


Buchweizen Geschmackssachen •

Es wäre angebracht gewesen, im Titel dieses Buches den Artikel fett

zu drucken: DAS BUCHWEIZENBUCH. Der Grund liegt auf der Hand.

Es gibt – zumindest im deutschsprachigen Raum – kein zweites Werk,

das derart umfassend über Fagopyrum esculentum und Fagopyrum

tataricum, die beiden Arten des glutenfreien Pseudogetreides aus der

Familie der Knöterichgewächse, informiert.

Bemerkenswert ist außerdem, dass hinter dem 259-Seiten-

Band zwar renommierte Autoren stecken (etwa Prof. Dr. Ivan Kreft,

Buchweizenforscher an der Universität Ljubljana und Mitglied der

Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste), als

Herausgeber allerdings kein bekannter Verlag fungiert, sondern

die wirtschaftliche Interessenvereinigung Islek ohne Grenzen mit

Sitz im luxemburgischen Weiswampach.(Der Islek übrigens ist eine

grenzüberschreitende Landschaft im Dreiländereck Belgien-Deutschland-Luxemburg

und eine der wenigen Regionen Europas, in der noch

großflächig Buchweizen kultiviert wird sowie mehrere Buchweizenmühlen

in Betrieb sind.)

DAS BUCHWEIZENbuch ist Sach-, Lehr- und Kochbuch zugleich.

Neben Kapiteln über Anbau und Verarbeitung von Buchweizen, enthält

es auch 70 Rezepte aus immerhin 15 Ländern.

Das Buchweizenbuch

Islek ohne Grenzen EWIV

Verkehrsamt Arzfeld

ISBN 978-2-9599967-1-9

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Tel. +49 6162-50 99 66 0


• Geschmackssachen Anaïs Causse empfehlt…

Anaïs Causse, 42, ist gebürtige Berlinerin. Nach dem Abitur an der

Goethe-Oberschule in Steglitz studierte sie Arabistik und Islamwissenschaften,

merkte aber zunehmend, dass das nicht ihr Ding ist.

Sie verabschiedete sich von der Freien Universität und einer möglichen

akademischen Laufbahn, heuerte bei Feinkost-Lindner an und

absolvierte eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie.

2003 stieg sie in das Feinkostgeschäft ihres Vaters ein. 2014

folgte ihre jüngere Schwester Noémie und übernahm den Onlineshop,

aus „Maître Philippe“ wurde „Maître Philippe & Filles“ – ein

Spezialitätenhandel, der beste Beziehungen vor allem nach Frankreich

pflegt und kulinarisch wie atmosphärisch zu den ersten

Adressen der Branche in Berlin zählt.

Für Garçon schreibt Anaïs Causse regelmäßig über ihre exquisiten

Spezereien und deren Produzenten.

www.maitrephilippe.de

CERISES MI-CUITES,

S‘IL VOUS PLAÎT

VON ANAÏS CAUSSE

Sommerzeit ist Kirschenzeit! Die Freude, die ich empfinde, wenn ich

beim Obsthändler die ersten Kirschen aus der Region sehe, kann ich

kaum in Worte fassen. Leider geht – zumindest für mich – diese Zeit

viel zu schnell vorüber.

Was also tun, wenn die Saison vorbei ist und man unbedingt einen

Clafouti aux cerises backen möchte? Ich hätte da einen heißen Tipp:

Les cerises mi-cuites, die halbgetrockneten Kirschen aus dem Hause

Peyrey im Dordogne-Dörfchen Maurens, rund 15 Autominuten oberhalb

von Bergerac.

Peyrey ist ein Familienbetrieb, der seit 1988 Trockenfrüchte

herstellt – wobei der Begriff eigentlich irreführend ist. Das, was die

Peyreys unter diesem Namen verkaufen, ist dermaßen saftig, dass es

fast wie frisch schmeckt. Seien es nun die Tomaten, die Aprikosen,

Rosinen, die berühmten Prunes d’Ente / Pruneaux d’Agen oder eben

die herrlichen Kirschen, um die es heute gehen soll.

Bei den Früchten, die von den Peyreys derzeit verarbeitet werden,

handelt es sich um Kirschen der diesjährigen Ernte und zwar um die

sogenannten Bigarreau-Kirschen, botanisch exakt prunus avium subsp.

duracinum, die in Deutschland auch als Knorpel- oder Knupperkirschen

54


Anaïs Causse empfehlt… Geschmackssachen •

Süße Früchte sind seine Welt: Der Unternehmer Marc Peyrey.

bekannt sind. Ihr Fruchtfleisch bleibt eher fest und die Süße der Früchte

wird durch eine angenehme Säure ausgeglichen.

Die im perfekten Reifestadium geernteten Kirschen werden in der

Manufaktur nach einem von Seniorchef Marc Peyrey entwickelten,

weltweit einzigartigen Verfahren verarbeitet. Es besteht darin, dem

Obst durch das Backen in speziellen Öfen genau so viel Feuchtigkeit

zu entziehen, dass es haltbar wird, ihm aber auch so viel Feuchtigkeit

wie möglich zu lassen, dass die Früchte trotz der „Trocknung“ schön

saftig und frisch schmecken. Nach dem Backen werden die Früchte

vakuumiert und pasteurisiert und bleiben natürlich frei von jeglichem

Farbstoff-, Konservierungsmittel- oder Zuckerzusatz.

Übrigens: Die Peyreys machten sich schon vor etlichen Jahren mit

einem ihrer ersten Produkte, den Pétales de Tomates (Tomaten-

„Blütenblätter“), in der französischen Spitzengastronomie einen

Namen.

Dafür werden französische Roma-Tomaten per Hand enthäutet,

sorgfältig filetiert, schonend halbgetrocknet und danach mit Gewürzen

und Kräutern in Öl eingelegt. Marc Peyreys Verfahren zur Herstellung

von Pétales de Tomates wurde sogar patentiert.

Inzwischen ist der Firmenchef pensioniert und seine Frau Isabelle,

die Töchter Lise und Tess sowie zwei Mitarbeiterinnen führen die

Manufaktur mit 100 Prozent Frauenpower!

Kirschblüte in der Dordogne in der Nähe des 1.000-Einwohner-Dörfchens Maurens.

55


• Geschmackssachen Porridge

Traditional Foods of Scotland – mindestens drei Kapitel sind unter

dieser Überschrift von besonderer Bedeutung: erstens die schottischen

Schnapsbrenner, deren Single Malt als Inbegriff für Whisky schlechthin

gilt; zweitens die schottischen Rinderzüchter und ihr Aberdeen

Angus, dessen Fleischqualität weltweit mit Superlativen bedacht

wird und drittens die schottischen Bäuerinnen, deren Erfindungsgabe

es zu verdanken ist, dass aus schlichtem Hafer ein Gericht namens

Porridge entstand.

Dabei handelt es sich um eine graue, gummiartige, weitgehend

geschmacklose Masse, die in den schottischen Highlands – ihrem

Ursprungsort – zudem noch „Brochan“ heißt. Das ist Gälisch und –

sorry – rein lautmalerisch ziemlich nah dran an „Erbrochenem“.

Den Siegeszug des Breis konnte das jedoch nicht aufhalten. Bald

aßen nicht nur schottische Bauern Porridge, sondern auch englische

Adelige. Allerdings: Während die Schotten dazu neigen, ihn mit Salz

zuzubereiten, lieben ihn die Engländer eher süß.

Die Debatte, was besser sei, füllte schon Leserbriefseiten der

„Times“ und spielt natürlich auch eine Rolle, wenn sich jedes Jahr

im Oktober Porridge-Jünger aus der halben Welt zur World Porridge

Making Championship treffen. Die Weltmeisterschaften im Haferbreikochen

finden seit 1984 in Carrbridge statt. Ein ganzes Wochenende

lang herrscht dann in dem 700-Seelen-Ort nahe Inverness Ausnahmezustand

– immerhin geht es um den Golden Spurtle, den goldenen

Rührstab – für den Gewinner eine Art Ritterschlag (s. Bilder oben).

56


Porridge Geschmackssachen •

Von wegen igitt

PORRIDGE EROBERT DEN FRÜCHSTÜCKSTISCH

VON JÖRG TEUSCHER

Was zu Schottland gehört wie Rugby und Whisky, taugte hierzulande

bestenfalls als kulinarischer Kinderschreck und galt als tödlich für die

schlanke Linie. Schon die Übersetzung sagt alles: Haferschleim. Was

so heißt, kann höchstens etwas mit Vernunft, nie und nimmer aber

etwas mit Genuss zu tun haben. Eine Meinung, die sich in Mitteleuropa

jahrzehntelang hartnäckig hielt.

Inzwischen erlebt das Gericht eine Renaissance nach der anderen,

steht regelmäßig auf vielen deutschen Frühstückstischen und wird

sogar in den Nobelherbergen des Landes serviert. Das mag einerseits

an der Erkenntnis liegen, dass Hafermehl sehr gesund ist,

kalorienarm, leicht verdaulich, voller Mineralstoffe, Proteine und

Eisen – andererseits aber wohl auch an der heutzutage liebevolleren

und sorgfältigeren Zubereitung. Dabei setzen die Porridge-Freaks vor

allem auf Pinhead Oatmeal, die relativ grob geschrotete Hafergrütze

(die allerdings schwer zu kriegen ist, es sei denn, man stellt sie mit

einer Haushaltsmühle selbst her – s. Seite 61) und kombinieren den

daraus gekochten Brei mit allem, was möglich ist, vorzugsweise mit

Obst. Es gibt Rezepte mit Birne, Rosmarin, Honig und Haselnüssen;

mit Cranberries, Sahne und Ahornsirup; mit Erdbeeren und grünem

Pfeffer; sogar mit Mascarpone und Waldpilzen.

Wem das alles zu bunt ist, dem sei der Klassiker empfohlen: in einem

gusseisernen Topf unter ständigem Rühren sorgfältig geköchelter

Haferbrei, der noch bissfest ist und, nur leicht gesalzen, seine „natural

nuttiness“, die natürliche Nussigkeit, voll entfaltet.

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• Geschmackssachen Porridge

Leandro Burguete

Anna Schubert

Levin Siert

Porridge hat in Berlin einen Namen: Haferkater. Er steht für eine Allesrichtig-gemacht-Gründung,

der 2014 – dem Jahr des Starts – allerdings

nur ein paar Freaks Chancen einräumten.

Anna Schubert, 30, aus Baden-Württemberg; der Elsässer Leandro

Burguete, 31 und Levin Siert, 33, aus Bremen gehören zu einer

Generation, die, wenn es um gemeinsame Projekte geht, nicht lange

fackelt. Das Trio lernte sich in Berlin kennen, vermisste sein geliebtes

Porridge-Frühstück, und beschloss, etwas dagegen zu tun. „Business-

Plan und Business-Zahlen spielten erstmal keine Rolle“, so Anna

Schubert, die Romanistik und Germanistische Linguistik studiert und

einen Master in Journalistik erworben hatte, „das unternehmerische

Denken kam erst später.“

Die junge Frau und ihre beiden Geschäftspartner – Leandro

Burguete hat ein Diplom als Jurist, Levin Siert ist Musik- und Medienwissenschaftler

– übernahmen im Friedrichshainer Boxi-Kiez eine

heruntergekommene Döner-Bude, hübschten den Laden auf und eröffneten

im September 2014 ein Porridge-Bistro. Motto: Das volle

Korn im Glas.

Dafür wird Bio-Hafer mit einer hauseigenen Getreidequetsche geflockt,

leicht angeröstet, lediglich mit etwas Salz cremig gekocht und kann

dann mit diversen Toppings verfeinert werden. Fertig ist das gesunde

Frühstück oder der nahrhafte Snack zwischendurch.

Die Geschäftsidee erwies sich als Volltreffer. Blogger und Instagramer

überschlugen sich, die traditionellen Medien verfassten

Lobeshymnen, etliche Preise folgten: September 2015 – Gewinn des

mit 10.000 Euro dotierten Gastro-Gründerpreises; Mai 2016 – Ehrung

mit dem DB Accelerators, Preisgeld 25.000 Euro. Das Friedrichshainer

Mini-Bistro musste abgerissen werden, an seine Stelle traten zwei

Haferkater-Edelcafés in der Eberswalder Straße und im Bahnhof Friedrichstraße.

Das Porridge-Angebot wurde durch weitere vegetarische

Offerten ergänzt, der Kaffee (Rösterei Van Gülpen) ist einsame Spitze

und – last but not least – gilt das Nachhaltigkeits-Gebot sowohl bei

der Einrichtung als auch bei den Verpackungen. Das alles findet sich

übrigens auch an sieben weiteren Haferkater-Standorten zwischen

Bremen, Bonn und München.

www.haferkater.com

Bescheidene Anfänge: Das Haferkater-Büdchen in Berlin-Friedrichshain.

58


Porridge Geschmackssachen •

59


• Geschmackssachen Porridge

Also gut, Holy Granola. Der Porridge aus geflocktem

und mit einer kräftigen Prise Salz

lange gekochtem Hafer ist weder klumpig noch

schleimig und das Topping aus Mandel-Granola,

Kürbiskernen, Ahornsirup, Banane und Blaubeeren

gibt der Kreation eine angenehme Aromatik. Ermutigt

von so viel geschmacklicher Exzellenz,

wagen wir uns noch an den Ziegenkater. Der

Porridge wird hier aufgepeppt mit einem Frischkäse-Ziegenmilch-Mix,

Walnüssen, Thymian, Ho ­

nig und frischen Birnenspalten. Diese herzhafte

Variante könnte unser Favorit werden.

Die Haferkater-Dependance im Eingangsbereich

des Bahnhof Friedrichstraße ist sowohl ein

schniekes Frühstückscafé als auch ein beliebter

Allzeittreffpunkt. Zwei sympathische junge

Frauen servieren Karotten- und Zitronen-Mohn-

Kuchen, verschiedene Wraps und Salate sowie

Avocado-Tomaten- und Rote-Bete-Hummus-

Stullen. Und natürlich Porridge. Cristina Silva

Jaitner, seit drei Jahren Haferkater-Store-Frau,

erklärt die angebotenen acht Sorten. „Bärenkater

und Holy-Granola-Kater sind derzeit die

gefragtesten“, sagt sie.

60


Getreidemühlen Garçon-Gespräch •

Während der vergangenen Lockdown-Monate erhielten wir eine

Reihe von Leserzuschriften – Anfragen vor allem zur Beschaffung

von Geräten und Zutaten, zur Vorratshaltung, aber auch zu speziellen

Koch- und Backverfahren: Wo kann man Gärtöpfe bestellen? Wie

bekommt man ein erstklassiges No-Knead-Bread hin? Lohnt sich

die Anschaffung einer Getreidemühle?

Auf jeden Fall bestätigten diese Leserbitten den ohnehin vorhandenen

Trend zum Homecooking und -baking, zum Einwecken,

Fermentieren, Räuchern und Trocknen, der durch die pandemisch

erzwungenen Ausgeh- und Einkaufseinschränkungen noch mehr

an Fahrt bekam.

Wie sich dieses Phänomen auf die Geschäfte seines Unternehmens,

der Wolfgang Mock GmbH im südhessischen Otzberg,

ausgewirkt hat, darüber sprachen wir mit Paul Lebeau, 65. Der gebürtige

Amerikaner aus Decatur, Illinois, studierte in den USA und

in Frankreich Betriebswirtschaftslehre, arbeitete in verschiedenen

Ländern als Unternehmensberater, kam 1983 nach Deutschland und

2015 zu Mockmill. Seitdem ist er Mitglied der Geschäftsleitung des

mittelständischen Mühlenbauers.

MEHL SELBER MAHLEN?

Wie hat sich der Lockdown-Trend ,Selbermachen‘

auf Ihr Unternehmen ausgewirkt,

Herr Lebeau?

Durchaus erfreulich, wie bei vielen anderen

Produzenten von Küchenwerkzeugen und

-geräten in Deutschland auch. Allerdings

würde ich nicht von einem Lockdown-

Trend sprechen. Wir haben jedenfalls die

Erfahrung gemacht, dass vor allem jüngere

Leute schon lange vor der Pandemie verstärkt

in der Küche selbst Hand angelegt

haben. Die über viele Monate geschlossenen

Restaurants haben das natürlich massiv

verstärkt.

Gilt das auch für Ihre Spezialdisziplin, die

Heimbäckerei?

Absolut, der gestiegene Absatz vor allem

unserer Mockmill 100, einer klassischen

Haushaltsmühle, beweist das eindrücklich.

Wer sein Brot im heimischen Herd

backt, sollte also auch sein Mehl zu

Hause mahlen?

Viele tun es, aber so kategorisch würde ich

das nun doch nicht formulieren.

Die Haushaltsmühle Mockmill 100 ist aus leicht zu

reinigendem Arboblend, einem Werkstoff aus nachwachsenden

Rohstoffen gefertigt, das Mahlwerk

besteht aus großen Korund-Mahlsteinen (Durchmesser

9 cm). Die Motorleistung beträgt 360 Watt, der Mahlgrad

kann mittels eines Schiebereglers problemlos von

grob bis sehr fein eingestellt werden. Die Mahlleistung

etwa bei Weizen liegt in der feinsten Einstellung bei

rund 100 Gramm/Minute.

Sondern?

Wir empfehlen Menschen, die ihr Brot regelmäßig

selber backen, auch ihr Mehl selber

zu mahlen.

Weshalb?

Es gibt viele Gründe. Erstens – und das

ist zumindest meine Erfahrung als langjähriger

Heimbäcker – ist just-in-time

gemahlenes, also frisches Mehl, aromastärker

und geschmacksintensiver als

länger gelagertes, von den vielen positiven

ernährungsphysiologischen Aspekten gar

nicht zu reden. Und zweitens kann man in der

Heimbäckerei besser mit seltenen Getreidesorten

experimentieren, die meist nur als

Körner verfügbar sind – etwa die Urgetreide

Einkorn, Emmer und Kamut oder solche alten

Sorten wie Champagnerroggen, Dickkopfweizen

und Fahnenhafer. Nicht zu vergessen,

dass man mit allen unseren Mühlen auch

Mais, Reis und diverse Gewürze mahlen und

beim Backen kreativ einsetzen kann.

Vielen Dank für das informative Gespräch,

Herr Lebeau.

61


• Geschmackssachen Kostproben

Ein Wein für alle Anlässe

Kostproben

MARRENON

VIGNOBLES EN LUBERON & VENTOUX

www.marrenon.com

Sie finden unsere Weine bei Chez Bruno

Berliner Str. 31, 14169 Berlin

Tel: 030 80907804

www.chezbruno.de

Fünf Supermarkt- und Discounterketten beherrschen 90 Prozent des

Lebensmittelhandels in Deutschland. In den Regalen aromaverstärkte

Fertiglebensmittel, plastikverschweißter Billigkäse, geschmacksuniforme

Industrieware. Nicht nur, aber größtenteils.

Die verbleibende Zehn-Prozent-Nische haben engagierte Genusshandwerker,

kenntnisreiche Feinkosthändler und Onlineverkäufer mit

ihrem Gegenentwurf zur Mas senware der Lebensmittelindustrie be setzt:

manufakturell hergestellte Aufstriche; Würste, die nicht aus der Schlachtfabrik

kommen; handgefertigte Schokoladen, haus gemachte Liköre,

Konser ven ohne E-Zusätze, vieles in Bioqualität. Das meiste ist teurer als

Supermarktware gleichen Namens, aber eben auch gesünder, nachhaltiger

und geschmackvoller.

Vier Kostproben dessen, was wir neben den vielen anderen erstklassigen

Produkten in diesem Heft in den letzen Wochen sonst noch entdeckten,

probierten und als kulinarisch bemerkenswert empfanden, servieren wir

Ihnen auf der folgenden Seite.

62


FINDE DEINEN GIN

Kostproben Geschmackssachen •

Jinok Kim-Eicken und die Kimchi-Spezialisten vom

Kreuzberger Korea-Restaurant NaNum sind bekannt

für ihre vielen Varianten des koreanischen Nationalgerichts.

Zum Beispiel Gak Du Gi, Kimchi aus Rettich

und Kohlrabi, knackig, mild-säuerlich und nicht von

jener überbordenden Chilischärfe wie andere Sorten.

Geschmackliche Überraschungen kommen ins Spiel,

wenn man Gak Du Gi etwa mit gedünstetem Fisch und

weichem Reis serviert. Und eine Vitaminbombe ist

die Kreation sowieso. „Maeu masitsseoyo“, sagen die

Koreaner, „äußerst lecker.“ Wir können da nur zustimmen.

Scharf, schärfer, am schärfsten – der Superlativ gebührt

auf jeden Fall der ohne jegliche Zusatzstoffe

hergestellten Habanero-Chilisauce BEWARE aus

der Manufaktur von Marie Sharp am Fuße der Maya

Mountains im mittelamerikanischen Belize. Bereits

1999 mit dem Highest Scoville Award ausgezeichnet, ist

BEWARE tatsächlich nur was für Schärfefanatiker und

selbst denen sei geraten, tröpfchenweise zu dosieren.

Für alle übrigen Chilisaucen-Freaks gibt’s aus dem

Hause von Marie Sharp acht weitere, etwas weniger

hotte Kreationen.

91

Punkte

BAR- & SPIRITS GUIDE

Preis: 5,00 Euro / 250 ml

Restaurant NaNum, www.nanumberlin.com

Lindenstraße 90

10969 Berlin-Kreuzberg

Markthalle Neun

Berlin-Kreuzberg, Samstag, 10.00–16.00 Uhr

Preis: 6,99 Euro / 148 ml

Marie Sharp’s Germany GmbH

Summerstraße 18

82211 Herrsching am Ammersee

Tel. 08152 – 983 39 40

Online-Bestellung: www.marie-sharp.de

Die weltweit größten Anbaugebiete für Aprikosen

liegen in der Türkei, die süßesten Früchte allerdings

wachsen in Österreich. Genauer gesagt in der Wachau,

einer sonnengesegneten Bilderbuchlandschaft im

Westen Niederösterreichs. Dort heißen sie Marillen

und gelten als das Parade-Obst der Weltkulturerbe-

Region. Dementsprechend beeindruckend ist auch

das Erlebnis dieses Marillen-Fruchtaufstrichs aus dem

Hause Aufreiter in Krems, der den vollen Geschmack

der aromatischen Früchte einfängt. Kein Wunder bei

einem Fruchtanteil von 75 Prozent.

Vor nunmehr vier Jahren brachten die Berliner Lebensmitteltechnologen

Swen Straßberger und Maja Linda

Gérard (SweMa) eine Bio-Gemüsepaste auf den Markt,

die inzwischen in vielen Haushalten zum must-have

gehört. Gemüsebrühe ohne SweMa? Undenkbar. Nun

legte die erfindungsreiche Crew gleich mit einem Trio

nach – den Bio-Kraftwürzen mediterran, indisch und

orientalisch. Wie bei ihrem Klassiker beträgt der Gemüseanteil

rund 70 Prozent, hinzu kommen Steinsalz

und die jeweils passenden Gewürze. Sonst nichts. Drei

saubere Sachen!

Preis: 5,90 Euro / 220 g

Feines aus Österreich

Leonhardtstraße 11

14057 Berlin-Charlottenburg

Tel. 030 – 31 01 68 20

www.feinesausoesterreich.org

Preis: 11,90 Euro / 2 Gläser (je 210 g)

SweMa GbR

Flottenstraße 50–53

13407 Berlin-Reinickendorf

Tel. 0176 – 61 09 60 73

Online-Bestellung: www.swema-lebensmittel.de

63


• Kopfsalat Jenny von Düsterlho

Wir lieben Fleisch

Original regional, eigene Zerlegung, Portionierung und Produktion.

B2B-BEREICH (für den Wiederverkauf) — T (030) 344 600 7 — F (030) 390 636 80 — bestellung@gezer-fleisch.de

EINZELHANDEL (für Privatkunden) — T (030) 344 600 819 — F (030) 390 636 80 — bestellung@gezer-fleisch.de

BISTRO (für den Vor-Ort-Genuss) — T (030) 344 600 843

Gezer Fleischmanufaktur Berlin GmbH — Riedemannweg 61– 63, 13627 Berlin — www.gezer-fleisch.de

64


Jenny von Düsterlho Kopfsalat •

Die Dame vom Grill

MITTWOCHMORGEN AUF DEM MIERENDORFFPLATZ

VON JÖRG TEUSCHER

65


• Kopfsalat

Jenny von Düsterlho

Jenny von Düsterlho – „alter Adel, aber wenig Jeld“ – geboren 1964

„Eine Curry bitte.“

„Scharf oder normal?“

„Sowas dazwischen.“

„Verstehe, scharf biste schon.“

Gerne hätte ich Jenny von Düsterlho ein Berliner Original genannt, aber

das trifft es wohl nicht ganz. Erstens stammt sie aus Niedersachsen

(was eben noch anginge), aber zweitens passt sie nicht in die Reihe

der schrägen Vögel und schrulligen Typen von Kaiser Kasimir über den

Grimassenschneider Horst „Knautschke“ Ehbauer bis zur Ficken-fürden-Frieden-Mahnwächterin

Helga Goetze.

Nein, Jenny von Düsterlho ist eine Berliner Marktfrau und verkauft

Bulette, Curry & Co. Dass sie auch Seelentrösterin, Lebenshelferin

und Problemlöserin ist, gehört zu ihrem Berufsbild, ebenso wie das

Gute-Laune-Talent und das Freundlichkeits-Gen. „Eine einzige Geste

der Freundlichkeit ist eine kleine Weltverbesserung im Alltag“, auch

solche Sätze sind vor ihr zu hören.

in Hannover, kam als Kind nach Berlin. „Papa hatte einen Imbiss an

der Havelchaussee, ick habe jeholfen, det hat jeprägt.“ Dennoch eine

Ausbildung zur Datenverarbeiterin. Rückkehr in den väterlichen Imbiss,

den sie später gemeinsam mit ihrem Mann betreibt. 1999 Geburt der

Zwillinge Lisa und Lars, auf die sie wahnsinnig stolz ist. „Lisa hat

Steurfachjehilfin jelernt und studiert jetzt was mit Wirtschaft, Lars

ist Fallschirmjäger bei der Bundeswehr.“

Seit dem Tod ihres Mannes im vorigen Jahr rockt sie den Imbisswagen

alleine – dienstags und freitags auf dem Rüdesheimer,

mittwochs und samstags auf dem Mierendorffplatz.

Ein Kunde fragt nach einer Kopfschmerztablette zum Kaffee. Jenny

hat. Ein zweiter braucht ein Pflaster. Jenny hilft. „Mein Mann ist ins

Krankenhaus gekommen, Corona“, klagt eine Frau. Jenny tröstet. So

ist sie, und so sind ihre Kolleginnen. Mal warmherzig, mal kodderschnauzig,

immer aber echt. Berliner Marktfrauen eben.

66


Jenny von Düsterlho Kopfsalat •

„Was ick antworte, wenn mich eener nach meinem Beruf fragt? Naja, je

nachdem. Ick habe mal EDV jelernt, lange her, bei Zeiss Ikon in Zehlendorf,

aber eigentlich bin ick Markthändlerin und verkaufe unjesunde

Sachen. Jenau. Unjesunde Sachen, die die Leute trotzdem lieben.

Und das – janz wichtig – seit 34 Jahren.“

„Die meisten Kunden kenn ick mit Namen. Jut, manchmal verwechsle

ick wat. Zu Norbert habe ick dauernd Thomas jesagt,

aber det weeß ick jetzt. Nur den Optiker bringe ick durcheinander,

der heeßt Dietmar und ick sage jedes Mal Detlef, vielleicht weil

die Namen so normal sind. Janz bestimmt, denn bei den Mädels

vom Stand jejenüber habe ick keene Probleme, det sind Namir,

Aytül und Sevgi, det kann ick mir jut merken.“

„Na klar haben sich die Märkte in Berlin verändert, da ist janz viel perdu

jejangen. Drei, vier Imbisse jab es auf jedem Markt, also normale

Imbisse wie ick. Klara zum Beispiel, die hatte einen Drei-Meter-Stand,

wo se nur Bockwurst verkauft hat. Aber ick sage ooch, die Imbisse

kommen wieder. Berlin braucht det. Die Curry jab es schon immer,

und die Curry jeht nicht unter, det ist sicher.“

„Nee, nee, Rente, daran denke ick jetzt noch nicht, aber wenn es soweit

ist, dann will ick ooch ein Buch schreiben, wie die Busfahrerin, wissen

se, die mit dem Bestseller, die Susi Schmidt. Den Titel hab ick schon.

Meine Märkte. Bei dem Rest kannste mir ja ein bisschen helfen, hast

det doch jelernt, also det Schreiben.“

67


• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?

Wie geht’s eigentlich…?

CHRISTOPH HAUSER

Als das 3 Minutes sur Mer Ende 2011 an den

Start ging, ließen wir es erstmal links liegen –

zu budikig, zu trubelig. Und: Was sollte ein

gänzlich unbekannter Küchenchef in der Mini-

Küche eines ehemaligen Dönergrills schon

zu bieten haben?

Irgendwann landeten wir dann doch mal

in der winzigen Stube – und staunten nicht

schlecht über das kulinarische Niveau im

lockeren Ambiente.

Christoph Hauser, den jungen Chef am

Herd, bekamen wir zwar damals nicht zu Gesicht,

aber seine Gerichte straften unsere

Vorurteile. Bestens in Erinnerung: Hausers

hitverdächtige Gurken-Gin-Kutteln mit

Joghurt und Estragon.

KINDHEIT UND SCHULE

Geboren am 21. Mai 1985 in Hechingen

Aufgewachsen in Hechingen, Realschulabschluss

AUSBILDUNG

Kochlehre im Gasthof Lamm, Hechingen-Stein

BERUFLICHE STATIONEN

Hotel Falkenstein Grand Kempinski, Königstein / Taunus

Vigilius Mountain Resort, San Vigilio / Südtirol

Villa Rothschild Kempinski, Königstein / Taunus

Rutz, Berlin-Mitte

3 Minutes sur Mer, Berlin-Mitte

Herz & Niere, Berlin-Kreuzberg

HEUTE TÄTIG

Gründer und Geschäftsführer

Weck die Heimat UG, Berlin-Kreuzberg.

Zwei Jahre später, im Mai 2014, lernten wir

den damals 29-Jährigen dann persönlich

kennen. Der gebürtige Baden-Württemberger

eröffnete gemeinsam mit seinem

Landsmann Michael Köhle, ehemals Chefsommelier

im Sternerestaurant Hugos, in der

Kreuzberger Fichtestraße das „Herz & Niere˝.

Was der Name versprach, hielt Hausers

Küche: Es gab – täglich wechselnd –

Innereiengerichte, ein Novum in Berlin!

Mal Lammleber auf gelben Linsen im Süß-

Sauer-Sud, mal Nierchen in Rotweinsauce,

mal medium gebratenes Herz mit geröstetem

Blumenkohl. Für einen Teil der Gäste waren

das völlig neue, für einen anderen Teil lange

vermisste Geschmackserlebnisse.

68


Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat •

Der Rest, der seinem Innereien-Tabu treu bleiben wollte, konnte

zwischen Ostseedorsch im Bohnensud, pochiertem Hirschtafelspitz,

gebackenem Kalbskopf mit Roter Bete oder Hausers legendärem

Ochsenmaulsalat mit Radieschen und etlichen anderen Kreationen

ohne sogenannte Schlachtnebenprodukte wählen.

Der Gault & Millau moserte zwar über „die eher bodenständige

und deftige als elegante kulinarische Abstimmung“, aber genau das

empfanden viele Gäste als besonders sympathisch.

Bereits das erste Jahr, das wahrscheinlich schwierigste nach einer

Restauranteröffnung, wurde ein voller Erfolg. Dementsprechend wurde

das Einjährige gefeiert – Big Party in der Fichtestraße, auf der auch

unser Foto auf Seite 68 entstand – Christoph Hauser, links, mit seinem

Küchenchef-Kollegen Matthias Gleiß vom Restaurant VOLT. Doch bei

so viel Sonnenschein blieb es nicht. In den folgenden Jahren suchten

dreimal Einbrecher das Herz & Niere heim, 2019 stoppte ein Wasserschaden

wochenlang den Restaurantbetrieb, es folgte eine Havarie,

die zur Folge hatte, dass im Haus sämtliche Abwasserrohre erneuert

werden mussten – wieder ewig kein Geschäft.

„Das alles hat mürbe gemacht“, sagt Christoph Hauser, „umso mehr,

wenn du kaum Freizeit hast.“ Im Herbst 2020 entschloss er sich nach

langem Überlegen, das Herz & Niere zu verlassen. Er gründete die

Lebensmittelmanufaktur „Weck die Heimat“ und zog Anfang Januar

2021 in einen kulinarischen Co-Working Space in der alten Schöneberger

Malzfabrik. Als wir ihn dort im Mai besuchen, wirkt er entspannt

und ist es wohl auch. „Schön wäre es, wenn Ihr meine Mitstreiter hier

erwähnen würdet“, bittet er. Gerne doch, Christoph Hauser.

Ein Ort, drei Projekte, vier Genussarbeiter: Christoph Hauser (Weck die Heimat), Sara Gretzer

und Sophie Aschenborn (Gretzer Cooking Lounge) und Julian Ronnefeldt (The Kulcha Box), v. li.

69


• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?

Inhaber Christoph Hauser.

Normalerweise herrscht in der hallenartigen Profiküche planvolle

Betriebsamkeit, aber heute wird ausnahmsweise zwischendurch mal

angestoßen. Mit Rheingau-Riesling auf 5.000 Weck-die-Heimat-Gläser.

Aber der Reihe nach.

Die Idee, Traditionsgerichte zu kochen, einzuwecken und Leuten zu

verkaufen, die zwischen Detox Smoothies und Quinoa Bowls auch mal

Bock auf Omas Signature Dish haben, kam Christoph Hauser schon

vor sieben Jahren, noch im Herz & Niere. Er köchelte das Projekt auf

kleiner Flamme und merkte schnell, dass da mehr möglich sei. Nach

der Entscheidung, das Kreuzberger Restaurant zu verlassen, war es

dann deshalb auch keine Frage, was er tun würde – Weck die Heimat

passte in die von Ausgangs- und Einkaufseinschränkungen betroffene

Welt und natürlich auch in die Zeit.

Der umtriebige Berliner Gastronom Jonathan Kartenberg nahm

Anfang Januar 2021 die ersten Hauser-Kreationen in das Angebot

seines Online-Shops www.the-good-taste.de auf, weitere Kunden

folgten, Christoph Hauser hatte gut zu tun. Hühnerfrikassee, Königsberger

Klopse, Coq au Vin, Linsenragout, Potthast, Rahmgoulasch,

Sauerbraten, Tafelspitz und einige andere Traditionsgerichte kamen

in einer Qualität ins Glas, die über jeden Zweifel erhaben war. „Kein

Chichi, keine Geschmacksverstärker, keine Konservierungsstoffe,

kein Mist“, so annoncierte der Weck-die-Heimat-Chef seine Offerten

im Internet. Für mehr Werbung hatte Hauser keine Zeit – eine treue

Fan-Gemeinde fand sich trotzdem.

Und so verwunderte es nicht, dass der Neu-Unternehmer am

15. April 2021 das 5.000. Weck-die-Heimat-Glas ausliefern konnte –

5.000 Gläser in dreieinhalb Monaten, darauf kann man schon mal

anstoßen. Prost, Christoph, auf die nächsten 5.000!

Und vor lauter Freude über den erhofften, aber nicht erwarteten

Erfolg, startete er im Mai gleich noch eine Rabattaktion. „Vier Wochen

lang gab es alle Gläser einen Euro günstiger und zudem eine 200-Euro-

Spende und 120 Gläser gratis für die Berliner Aids-Hilfe.“

70


Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat •

Inzwischen ist Christofer Radic gekommen, Inhaber des Wild- und Weinhandels PRACHT

am S-Bahnhof Schlachtensee und – Jäger. Gemeinsam schleppen er und Hauser zwei blaue

Plastiksäcke in die Produktionsküche, darin zwei Wildschweine, die Radic erlegt hat.

Der Küchenchef wird sie noch heute zerlegen und Wildschwein-Bolognese kochen, vielleicht

auch noch einen Wildschwein-Curry-Eintopf und ein bisschen Wildschwein-Rilette. Übrig

lassen wird er von den Tieren nicht viel, denn Christoph Hauser bleibt auch bei seiner neuen

Unternehmung den alten Prinzipien treu. „From nose to tail, das galt in der Restaurantküche

und das gilt auch im Weck-Studio“, sagt er, „weshalb sollte ich meine Grundsätze ändern, nur

weil ich nicht mehr unter der Augen von Gästen koche?“

WECK DIE HEIMAT

Bessemerstraße 16

12103 Berlin-Schöneberg

Tel. 0173 – 296 26 94

www.hauser-kocht.berlin

71


• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?

Inhaberin Sara Gretzer.

Die eigentliche Hausherrin im Schöneberger Co-Working Space ist

Sara Gretzer, 46-jährige Inhaberin und Geschäftsführerin der Gretzer

Cooking Lounge, die allerdings mehr eine Baking Lounge ist.

„Just bake“, sagte sich die gelernte Krankenschwester vor nunmehr

elf Jahren, machte ihr Hobby zum neuen Beruf, gründete

eine eigene Firma und beschäftigt inzwischen sieben Mitarbeiter.

An der Spitze Sophie Aschenborn, 33-jährige Berlinerin und

Konditormeisterin.

„Wir beliefern Cafés, Bistros, Restaurants und andere Gastronomien,

die weder das Personal noch das Know-how oder die technischen

Möglichkeiten dafür haben, mit feinen Backwaren“, beschreibt Sara

Gretzer den Gegenstand ihres Geschäfts. Dabei geht es weniger um

schwere Fett- und Kohlenhydratebomben – mit Sicherheit könnte

die Gretzer-Crew auch das – sondern um kleine Köstlichkeiten aus

lockeren Teigen, leichten Cremes und frischen Früchten, zuckerreduziert

und in vielen Fällen glutenfrei oder vegan.

Meister Bernhard Lamprecht, einst der liebe Gott der Konditorenzunft,

veröffentlichte 1950 ein Buch, das für viele Konditorgenerationen zum

Standardwerk wurde: „Das Gebot der Leckerheit“. Darin proklamierte

er die Einheit von Materialschönheit, Materialeinheit und Materialgebundenheit.

Ob Sara Gretzer und Sophie Aschenborn Lamprechts

Konditoren-Bibel kennen, wissen wir nicht. Dass sie nach deren Grundsätzen

arbeiten, sieht man jedoch.

Da gibt es Aprikosen-Lavendel-Tartes, Blaubeer-Tartes, Himbeer-Pekannuss-Tartes,

Brownies und Cookies, Banana-Loaf und

Lemon-Loaf, Carrot Cake und New-York-Cheesecake, Apfel-Keks-

Torte und Erdbeer-Mascarpone-Torte, Gugelhupf und Zupfliesel und

ein gutes Dutzend weiterer Konditor-Kreationen …

„Natürlich ist dieses Angebot nicht für alle Ewigkeit festgezurrt“,

so Konditormeisterin Sophie Aschenborn, „wir entwickeln regelmäßig

auch neue Offerten, derzeit beispielsweise einen versunkenen Apfelund

einen ebensolchen Kirschkuchen.“

Konditormeisterin Sophie Aschenborn.

72


Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat •

Und dann zeigt uns die Meisterin, die ihr Handwerk übrigens in der

Berliner Traditionskonditorei Rabien gelernt hat, noch ihren – wie sie

es nennt – „Absolut-Klassiker“. Kalter Hund! Die Kalorienbombe der

Nachkriegszeit! So recht glauben können wir die Renaissance des

Oma-Backwerks aus Keks, Kokosfett, Kakao und Zucker nicht, aber

Sophie Aschenborn betont: „Nachdem der Klassiker fast in Vergessenheit

geraten war, läuft er jetzt in vielen Berliner Cafés wie geschmiert.“

Tatsächlich, elf (!) der kastenförmigen Exemplare muss Sara Gretzer

heute noch ausliefern.

GRETZER COOKING LOUNGE

Bessemerstraße 16

12103 Berlin-Schöneberg

Tel. 0178 – 663 42 81

www.cookinglounge-berlin.de

73


• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?

Inhaber Julian Ronnefeldt.

Dritter im Bunde im Co-Working Space ist Julian Ronnefeldt. Natürlich

ist der Mann auch kulinarisch unterwegs, allerdings sind Kochen,

Braten oder Backen nicht so sehr seine Sachen – Ronnefeldt produziert

Kombucha und das in einer Qualität, die viele andere Getränke gleichen

Namens locker in den Schatten stellt.

Ronnefeldt, 51 und gebürtiger Münchener, ist eigentlich Fotograf

von Beruf und war auch in dieser Branche ziemlich erfolgreich. Er lebte

elf Jahre in London, kam 2006 nach Berlin, arbeitete in einer Galerie,

war Barkeeper und Nachtschwärmer.

Während eines Indientrips entdeckte er Kombucha. „An einem

Strand im südwestindischen Bundesstaat Karnataka probierte ich

das spritzige Erfrischungsgetränk zum ersten Mal und war sofort

begeistert.“ Und zwar dermaßen, dass er beschloss, nach seiner Rückkehr

selbst Kombucha herzustellen. Vor nunmehr vier Jahren ließ

er der Idee die Tat folgen. Ronnefeldt beschäftigte sich intensiv mit

Teesorten und Fermentationsprozessen, investierte in Anlagen und

Gerätschaften, gründete The Kulcha Box und zog in die Bessemerstraße

nach Schöneberg.

Seine Manufaktur wirkt ein bisschen wie ein Mittelding zwischen

Apotheke und Chemielabor. Überall in dem weiß gekachelten, klinisch

reinen Raum stehen Rund- und Erlenmeyerkolben, Pipetten und

Büretten, Mikroskope und diverse Messgeräte. Dazu ein Mini-Reaktor

und etliche weitere edelstählerne Apparaturen.

Der Laie staunt, der Profi erklärt: „Kombucha wird aus gesüßtem

Schwarz- oder Grüntee hergestellt, der mit Hilfe eines Kombucha-Pilzes

fermentiert wird. Dieser so genannte Scoby – das Kürzel steht für

Symbiotic Culture of Bacteria and Yeast – ist eine Lebensgemeinschaft

aus Bakterien und Hefen, mit deren Hilfe ein ziemlich komplexer Umwandlungsprozess

von Zucker und Alkohol abläuft, an dessen Ende

dann eben Kombucha steht.“

Julian Ronnefeldt hat die klassische Zubereitung mit der Zeit immer

weiter verfeinert, frische Früchte und Gewürze eingesetzt, die seine

74


Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat •

Versionen des probiotischen Superdrinks so unverwechselbar machen. „Außerdem“, so der

Geschäftsführer von The Kulcha Box, „verzichten wir auf die bei industriellen Produkten übliche

Filtration. Dadurch behält unser Kombucha seine Seele.“

Was er damit meint, lässt Ronnefeldt offen. Das erfrischende Getränk war eben schon

immer geheimnisumwittert – kein Wunder bei seiner jahrtausendealten Geschichte, die bis

ins alte China zurückreicht, wo Kombucha als Mittel zur Unsterblichkeit galt. „Das ist natürlich

zu viel des Guten“, grinst der Berliner Produzent, „aber es ist eben nicht nur ein Durstlöscher.“

Er verweist auf den Vitamin-C-Gehalt des moussierenden Teegetränks, auf eine Reihe von

B-Vitaminen und antioxidativen Polyphenolen.

THE KULCHA BOX

Bessemerstraße 16

12103 Berlin-Schöneberg

Tel. 0176 – 78 11 53 32

www.thekulchaboxstore.com

75


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

UNENDLICHER HORIZONT

ZWISCHEN ZWEI SEEN

BALSAM FÜR DIE SEELE

Buchen Sie hier Ihre Auszeit im Land der tausend Seen:

www.maremueritz.com

T.: +49 (0) 3991 1480500

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76

MAREMÜRITZ – Yachthafen Resort & Spa, Am Seeufer 50, 17192 Waren (Müritz)


Fläming

Prignitz

Ruppiner Seenland

Uckermark

Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst

Liebe zu Land und Leuten mitbringen,

mindestens keine Voreingenommenheit. Er muß

den guten Willen haben, das Gute gut zu finden,

anstatt es durch krittliche Vergleiche totzumachen.

Der Reisende in der Mark muß sich

ferner mit einer feineren Art von Natur- und

Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. Es gibt

gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder

Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein.

Diese mögen zu Hause bleiben.

Dahme-Seenland

Spreewald

Unterwegs

in Brandenburg

GOTTSDORF – STRODEHNE – SCHÖNA

VON ANAÏS CAUSSE,

THORSTEN TONSKI UND JÖRG TEUSCHER

Barnimer Land

Seenland Oder-Spree

Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen

Frauen. ‚Auch die häßlichste‘ — sagt das Sprichwort

— ‚hat immer noch sieben Schönheiten!‘

Ganz so ist es mit dem Lande zwischen Oder

und Elbe; wenige Punkte sind so arm, daß sie

nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man

muß sie nur zu finden verstehen. Wer das Auge

dafür hat, der wag es und reise.

Lausitzer Seenland

Elbe-Elster-Land

Havelland

Theodor Fontane

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Die Grafschaft Ruppin

Vorwort zur zweiten Auflage, Berlin 1864

77


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

78


Brandenburg Kulinarische Exkursion •

Wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, sind wir Mitarbeiter

von Maître Philippe viel unterwegs: Lieferantenbesuche in

Frankreich, Foodfestivals in Italien, Weinmessen in Portugal.

Damit wir am Ende die Bretagne, das Piemont oder die Algarve

nicht besser kennen als das Havelland oder die Uckermark,

unternehmen wir auch regelmäßig Ausflüge ins Berliner Umland

und informieren uns darüber, was regionale Lebensmittelproduzenten

dort auf der Pfanne haben. Bei einem dieser Trips

in vorpandemischer Zeit entdeckte ich die Obermühle Gottsdorf,

eine uralte Wassermühle, die immer noch in Betrieb ist.

Anaïs Causse, Garçon-Autorin, Berlin

Gottsdorf, 140 Einwohner, liegt abseits der großen Straßen ein paar

Kilometer nordwestlich von Luckenwalde und ist einer von 23 (!) Ortsteilen

der Gemeinde Nuthe-Urstromtal im Brandenburger Landkreis

Teltow-Fläming. In den einschlägigen Wander- und Reiseführern findet

das Dörfchen keine Beachtung, nicht mal der aktuelle Ausflugsguide

des Tourismusverbandes Fläming 2021 / 2022 würdigt Gottsdorf auch

nur eines Wortes. Und so bleibt ein Ort unerwähnt, der genau das nicht

verdient hat – die Gottsdorfer Obermühle. Die unter Denkmalschutz

stehende Wassermühle wurde 1285 errichtet und klappert heute noch

genauso zuverlässig wie vor 736 Jahren – das dürfte zumindest im

Land Brandenburg einzigartig sein.

Zwei Generationen Müllermeister: Martin Röthel und Markus Röthel, v. li.

79


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Wer über die Geschichte der Wassermühle recherchiert, landet erstmal

bei den alten Griechen, die im 2. Jahrhundert v. Chr. nicht nur den Erdumfang

annähernd richtig berechneten, sondern auch auf technischem

Gebiet bahnbrechende Erfindungen machten – etwa die Drehbank

oder eben die Wassermühle.

Karl Marx zitiert in seinem Werk „Das Kapital“ in diesem Zusammenhang

den griechischen Dichter Antipatros von Sidon, der die Erfindung

der Wassermühle zum Mahlen von Getreide als „Elementarform aller

produktiven Maschinerie, als Befreierin der Sklavinnen und Herstellerin

eines goldenen Zeitalters“ feierte.

Soviel Überschwang hatte einen guten Grund. Die ersten primitiven

Wassermühlen, die noch ohne Getriebe arbeiteten, schafften dennoch

das Vierfache der Leistung der bis dahin üblichen Handmühlen, statt

zwei also acht bis zwölf Kilogramm Getreide pro Stunde.

Bis diese Nachricht die Mark Brandenburg erreichte, dauerte es

dann noch ein paar Jahrhunderte. An den rauschenden Bächen des

Landes klapperten Mühlen erst zu Zeiten der Askanier, also im 11.

und 12. Jahrhundert. Albrecht der Bär und seine Nachfolger waren

moderner Technik gegenüber aufgeschlossen und holten Siedler etwa

aus Flandern ins Land (daher auch der Name Fläming), die davon was

Obwohl die meisten Anlagen und Geräte in unserer Mühle

sozusagen den Methusalem-Stempel tragen, also wirklich

schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel haben, sind wir kein

Mühlenmuseum mit Eintritt, täglichen Öffnungszeiten, regelmäßigen

Führungen und sonstigem Pipapo, sondern ein

produzierender Betrieb. Ein technisches Denkmal ja, aber eins,

in dem täglich Getreide zu Mehl vermahlen wird.

Markus Röthel, Müllermeister

verstanden. Sie führten die Dreifelderwirtschaft und den Eisenpflug

ein und bauten die ersten Wassermühlen. Auf ihr Konto dürfte auch

die Gottsdorfer Obermühle gehen, die 1285 erstmals urkundlich erwähnt

wurde. Vieles von dem, was dann in und mit der Mühle geschah,

verliert sich allerdings im Dunkel der Geschichte.

Licht wird erst wieder im 19. Jahrhundert. Marcus Röthel, „Baujahr

71 und Müllermeister in vierter Generation“, erzählt: „Das Mühlengebäude

und das Wohnhaus daneben entstanden 1879. Im Jahr 1904

hat mein Urgroßvater das Anwesen gekauft und die Mühle betrieben,

ihm folgten mein Großvater und Anfang der 1950er mein Vater.“

Martin Röthel, inzwischen 85 und seit über sechzig Jahren Müllermeister,

zeigt uns sein Reich, das sich über drei Etagen erstreckt.

Überall surrende Transmissionen, die dafür sorgen, dass Plansichter,

Steinausleser und Walzenstühle ihre Arbeit tun können. Faszination

der Mechanik und für den Müller die Logik seines Handwerks. Alles

hat seinen Platz und seinen Sinn, damit aus Getreide Mehl wird.

Marcus Röthel führt uns in eine Grotte hinter dem Haus. Das Wasserrad,

Durchmesser 3,60 Meter, 40 Schaufeln, Höchstleistung 10 PS.

„Das ist die Kraft, die alles schafft“, sagt er.

80


Brandenburg Kulinarische Exkursion •

81


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Markus Röthel und seine Töchter Melina und Miriam, v. li.

„In der Vergangenheit war es immer so, dass sich Müllersfamilien

selbst versorgen mussten, weshalb zu den meisten Mühlen stets ein

Bauernhof gehörte, auch hier in Gottsdorf“, erzählt Marcus Röthel.

Der 50-Jährige ist ein moderner Müllermeister, marketingerfahren

und kräftig in den sozialen Netzwerken unterwegs, der sicher auch

ohne Ackerbau und Viehzucht von seinem Job leben könnte. Dennoch

bleibt er der Tradition treu, allerdings auf ganz besondere Weise.

Marcus Röthel züchtet Welsh Black.

Die in Deutschland seltenen Fleischrinder stammen aus Wales und

haben sich in vielen Jahrhunderten dem rauen Klima und der kargen

Landschaft im Südwesten Großbritanniens bestens angepasst. „Anpassungsfähigkeit,

Robustheit, Langlebigkeit und bis zu zwanzig

Kälber pro Kuh“, zählt Marcus Röthel die wichtigsten Rassemerkmale

des Waliser Schwarzviehs auf. „In Sachen Fleischqualität und Futterverwertung

sind Welsh Black absolute Spitze“, fügt er hinzu.

Tatsächlich ergaben Tests, dass das Fleisch der Tiere, was seine

Zartheit (Tenderness) betrifft, das anderer Rassen – etwa Charolais,

Limousin oder Wagyu – um einiges übertrifft. Seine Marmorierung

(Marbeling) bleibt zwar erheblich hinter Wagyu-Fleisch zurück, liegt

Natürlich bin ich stolz, dass meine Töchter die Familien tradition

fortsetzen wollen. Sicher, es kann natürlich alles noch ganz

anders kommen, aber Melina spricht schon lange davon, dass

sie Landwirtin werden will, und auch Miriams Wunsch, Müllerin

zu werden, ist nicht ganz neu.

Markus Röthel, Müllermeister

aber gleichauf mit dem der meisten anderen Rassen. „Zudem ist

es reich an Omega-3-Fettsäuren, und wenn Sie noch einen Beweis

für die einmalige Fleischqualität des Welsh Black brauchen, der

legendäre Ruf des englischen Roastbeefs geht genau darauf zurück“,

so Marcus Röthel.

Umso verwunderlicher ist es, dass sich hierzulande derzeit nur

rund 130 Züchter dieser Rasse widmen – im Land Brandenburg sind

es lediglich vier, einer von ihnen eben der Gottsdorfer Müllermeister.

Seine Herde zählt 90 Tiere, die übrigens keinen Stall kennen. „Ganzjährige

extensive Weidehaltung“, nennt Röthel das. „Dafür müssen

natürlich ausreichend große Flächen naturbelassenes Grünland zur

Verfügung stehen“, ergänzt er. Bei ihm sind das etwa 100 Hektar.

Das Fleisch seiner Tiere ist natürlich bio und wird zusätzlich mit

dem Attribut „angstfrei“ offeriert. Angstfreies Fleisch? Marcus Röthel

erklärt: „Wenn ein Rind geschlachtet wird, dann soll es so sanft wie

nur möglich sterben, ohne Transport- und Schlachthofstress.“ Dafür

erhielt der passionierte Jäger die Genehmigung zum so genannten

Weideschuss. „Diese ungewöhnliche Art der Schlachtung bereitet den

Tieren am wenigsten Stress und Schmerz“, so Röthel.

www.welshblack.de

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Brandenburg Kulinarische Exkursion •

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Übrigens: Auch aus Sicht der meisten Tierschützer ist der Weideschuss

die beste Methode der Schlachtung, nicht zu vergleichen mit

dem Massenbetrieb eines Schlachthofes, wo permanenter Zeitdruck

herrscht und vor allem Freilandrinder durch ungewohnte Geräusche

und enge Gänge schnell in Panik geraten.

Natürlich liegt es auf der Hand, dass sich die stressfreie Schlachtung

auf der Weide auch auf den Fleischpreis auswirkt. Röthels Kunden

jedenfalls akzeptieren den höheren Preis klaglos. Meist kenntnisreiche

Karnivoren, wissen sie natürlich, dass die Fleischqualität zusätzlich

profitiert, wenn ein präziser Schuss die Tiere plötzlich aus dem Leben

holt und keine Stresshormone den Körper fluten.

Zweimal im Monat ist in Röthels Gottsdorfer Hofladen Fleischverkauf.

Der Meister rät, sich im Internet über die Termine zu informieren,

Fleisch online vorzubestellen und es dann zum Termin abzuholen.

Obwohl sein Welsh Black etwa in Berlin immer noch als Geheimtipp

gehandelt wird, sind einige Hauptstadt-Gastronomen schon auf den

Geschmack gekommen. So plant beispielsweise James Doppler, der

Burger-King aus der Arminiushalle („Pound & Pence“), sein Angebot

um einen Welsh-Black-Spitzenburger zu erweitern.

Neben dem Premium-Fleisch gibt es im Hofladen natürlich auch die

in der Obermühle gemahlenen Mehle – dann und wann auch seltene

Sorten wie Gelbweizen- oder Lichtkornroggenmehl. „Aber bitte sagen

Sie ihren Lesern“, so Marcus Röthel zum Abschied noch einmal mit

Nachdruck, „dass unser Hofladen wirklich nur an zwei Tagen im Monat

geöffnet ist!“

OBERMÜHLE GOTTSDORF

An der Obermühle 12

14947 Nuthe-Urstromtal OT Gottsdorf

Tel. 033732 – 40 314

www.obermuehle-gottsdorf.de

84


Brandenburg Kulinarische Exkursion •

„Wir sind natürlich glücklich, dass uns – neben einigen kleinen Handwerksbäckereien

– mit der Potsdamer Bio-Bäckerei Fahland auch eine

Branchengröße seit vielen Jahren die Treue hält“, bemerkt Markus

Röthel zum Abschied, und man sieht ihm an, wie stolz er darauf ist.

Frank Fahland, Chef des angesprochenen Unternehmens in der

Landeshauptstadt, erwidert lächelnd: „Wir sind nicht nur der wichtigste

Kunde der Gottsdorfer Obermühle, sondern auch ihr größter Fan.“

Der 67-jährige Bäcker- und Konditormeister kam 1989 aus Sachsen-

Anhalt nach Brandenburg, eröffnete in Wilhelmshorst eine Bäckerei,

zog 2013 nach Potsdam-Babelsberg weiter und gehört heute mit 140

Mitarbeitern und 15 Filialen – zwei davon in Berlin – zu den größten

Bio-Bäckern der Region.

„Größe ist aber nicht das Entscheidende“, so Fahland, „letztlich

bestimmend ist die Qualität.“ Eine Aussage, die er sowohl auf seine

Bäckerei als auch auf deren Lieferanten bezogen wissen will. Also

auch auf die Obermühle.

„Wir bekommen aus Gottsdorf Roggen- und Dinkelmehl, und beide

Mehle sind schon was Besonderes“, sagt Frank Fahland, „deshalb

unterstützen wir die Röthel-Familie, wo wir können.“

Vor acht Jahren haben die Potsdamer Bio-Bäcker dem Altmeister

Martin Röthel zu Ehren sogar ein Brot kreiert, das inzwischen zum

Fahland-Standardsortiment gehört. Der runde Laib aus 94 Prozent

Dinkel- und sechs Prozent Roggenvollkornmehl – beide Mehle stammen

aus der Obermühle – trägt den Namen „Kleiner Martin“ und besticht

mit dichter Krume, knuspriger Kruste und vollmundigem Geschmack.

„Das Ergebnis einer perfekten Partnerschaft“, kommentiert Fahland-

Verkaufsleiter Christoph Schröder. Der erfahrene Manager beantwortet

schließlich auch die Frage nach dem Risiko der Zusammenarbeit einer

großen Bäckerei mit einer kleinen und zudem noch musealen Mühle.

Schröder sagt: „Wir bei Fahland haben noch nie zuerst die sichere

Seite gesucht.“

www.baeckerei-fahland.de

Fahland-Filiale in Berlin: Bleibtreustraße 38 / 39.

Filial-Chefin Yvonne Kaiser und Verkaufsleiter Christoph Schröder.

85


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

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Brandenburg Kulinarische Exkursion •

Ehrlich gesagt, Strodehne hatte ich gar nicht auf dem Schirm

als ich mich auf den Weg ins Havelland machte. Mein Ziel war

der Gollenberg in der Nähe von Stölln, wo Otto Lilienthal einst

seine legendären Flugapparate testete und am 9. August 1896

abstürzte und wo der Interflugpilot Heinz-Dieter Kallbach am

23. Oktober 1989 ein Langstreckenpassagierflugzeug vom

Typ IL-62 spektakulär landete – der Jet ist heute ein Museum,

das ich besuchen wollte. Doch dann meldete sich der kleine

Hunger, das Navi lotste mich erstmal nach Strodehne und ich

lernte den Fischer Wolgang Schröder kennen.

Thorsten Tonski, Garçon-Autor, Recklinghausen

Das Dörfchen Strodehne, 240 Einwohner, liegt im westlichen Havelland,

nahe der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Der Treckerschrauber, den

ich nach dem Weg zur Fischerei Schröder frage, ist zwar wortkarg,

seine Antwort dafür aber präzise: „Gahlberg zwo.“ Dabei weist sein

ausgestreckter Arm nach Süden. Obwohl weit und breit kein Berg zu

sehen ist, erreiche ich nach wenigen Minuten das Fischerei-Anwesen.

Neben dem Eingangstor steht ein „Kühlschrank des Vertrauens“, bestückt

mit vakuumiertem Räucherfisch und diversen Fischkonserven.

Da ich weder Messer noch Gabel dabei habe, setze ich auf das Imbissangebot

des Hofladens, der mittwochs bis samstags von 10.00 bis

16.00 Uhr und freitags sogar bis 18.00 Uhr geöffnet ist.

Fischwirtschaftsmeister Wolfgang Schröder.

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Auf dem Weg über das Fischereigelände begegne ich einem hochgewachsenen

Mann mit Gummistiefeln, Schiffermütze und derbem

Sweater – keine Frage, das muss der Chef sein.

„Wolfgang Schröder“, stellt er sich vor. Auf meine Bitte um eine

Essensempfehlung reagiert er schnell: „Brassenfilet mit Kartoffelsalat

oder Brassenburger und fürs Abendessen saure Bratbrasse.“ Brasse?

„Unsere Spezialität“, sagt er. Und nicht nur das. Schröder hat Zeit und

erzählt mir die ganze Geschichte.

Der 54-Jährige, Fischer in vierter Generation, stammt aus Havelberg.

Fischerlehre 1983 bis 85, zehn Jahre später Fischwirtschaftsmeister

und seitdem beruflich auf Havel, Elbe und vor allem dem Gülper See

unterwegs. Das 570 Hektar große, allerdings nur ein bis zwei Meter

tiefe Gewässer, ist als Internationales Vogelschutzgebiet ausgewiesen

und gehört seit 2009 zur NABU-Stiftung Nationales Naturerbe. Für

Freizeitangler und Wassersportler ist der Gülper See tabu, lediglich

Berufsfischer und deren Mitarbeiter dürfen hier ihrer Profession

nachgehen.

Wolfgang Schröder: „Durch seine geringe Tiefe ist der See ein

idealer Laichplatz für viele Fischarten. Neben Zander und Hecht sind

In den meisten Fischkochbüchern kommt die Brasse überhaupt

nicht vor – und wenn doch, dann nur unter, ferner liefen’ und

mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass es sich um einen

nicht eben edlen Süßwasserfsch handelt. Dass ich nicht lache.

Fragen Sie mal Gäste, die unser gebratenes Brassenflet probiert

haben, wie die das sehen.

Wolfgang Schröder, Fischwirtschaftsmeister

Aal, Barsch, Schlei und Wels sowie Karpfen, Karausche, Plötze, Quappe

und Rotfeder im Gülper See heimisch. Und eben die Brasse.“ Schröder

nennt ihn einen „Massenfisch“, weil er 70 bis 80 Prozent seines Fangs

ausmacht. Im Jahr 2019 landeten insgesamt 32 Tonnen Brassen in

seinen Netzen. Fisch, den kaum einer wollte und der deshalb in der

Tonne landete, also beim Abdecker oder – moderner formuliert – in

einer Tierkörperbeseitigungsanlage. Für Wolfgang Schröder ein Graus,

sowohl finanziell als auch ethisch.

Früher galt die zur Familie der Karpfenfische gehörende Brasse

als sogenannter ‚Brotfisch‘ und plötzlich sollte er nichts mehr wert

sein, das verstehe wer will, sagte sich Schröder und entwickelte ein

Veredelungskonzept. Inzwischen gibt es Brassenbulette, Brassenrollmops,

Brassensülze und eben die saure Bratbrasse. Ein regionales

Produkt, nachhaltig und wertschöpfend zugleich, so wirbt die Fischerei

Schröder für ihre Kreation und hofft natürlich auf Nachahmer.

Der Meister – einmal in Fahrt – will mir unbedingt noch sein Projekt

„Erlebnisfischen auf dem Gülper See“ vorstellen. „Sie werden von uns

wasserfest ausgerüstet, können beim Zugnetzfischen mittun und

danach ein Fischmenü genießen“, bringt er sein Tourismus-Projekt

auf den Punkt. Mein Projekt heißt jetzt Hofladen und Fischereiimbiss.

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Brandenburg Kulinarische Exkursion •

89


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Beides befindet sich in einer ehemaligen Garage. Gleich nebenan hat

Wolfgang Schröder eine stattliche Profiküche eingerichtet. Sie ist das

Reich von Sebastian Krieblin (Bild u.) und von seinem Stellvertreter

Marco Möller (Bild S. 89 Mitte). Küchenchef Krieblin stammt aus Kyritz

und stand, bevor er ins Havelland kam, in Hamburg und Florenz am

Herd, in „ziemlich angesagten Läden“, wie er sagt. Und nun Strodehne?

Die Frage ist ihm offensichtlich nicht zum ersten Mal gestellt worden,

denn die Antwort kommt prompt. „Sie mögen es als Karriereknick

ansehen, für mich ist es eine Herausforderung.“

Er spricht über die Möglichkeiten, die Brasse, Karpfen, Schlei und

Co. kulinarisch bieten und man sieht dem 34-Jährigen an, wie ernst er

es meint. „In zehn, zwölf Jahren werden viele Köche, die heute noch

ganz selbstverständlich jeden Tag Seeteufel, Steinbutt und Saint-Pierre

servieren, ziemlich blöd aus der Wäsche gucken – so wie wir bisher mit

unseren natürlichen Ressourcen umgegangen sind. Und Aquakultur hin

oder her, die Rettung für alles, was wir verbockt haben, ist das auch

nicht.“ Genauso leidenschaftlich klingt sein Plädoyer für die bessere

Nutzung heimischer Fischarten, vor allen solcher, die kulinarisch bisher

unter ferner liefen rangierten. „Wir experimentieren zum Beispiel

mit dem Karpfen“, erzählt er, „und selbst Menschen, die diesem Fisch

nichts abgewinnen können, fanden unseren Karpfenschinken, mit

Kräutern gefüllt und kalt geräuchert, ziemlich cool.“

Wir vergeben das gleiche Prädikat an das gebratene Brassenfilet

und die saure Bratbrasse und schlagen dem Fischerei-Team vor, das

bisher namenlose Mini-Restaurant „Brasserie Schröder“ zu taufen.

FISCHEREI WOLFGANG SCHRÖDER

Gahlberg 2

14715 Havelaue OT Strodehne

Tel. 033875 – 30 737

www.fischerei-schroeder.eu

Küchenchef Sebastian Krieblin.

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Brandenburg Kulinarische Exkursion •

Zu-gut-für-die-Tonne!-Preisverleihung…

…am 20. Mai 2021 als Livestream-Event.

Chancen rechnete sich Wolfgang Schröder übrigens nicht aus, als

er sich mit seinem Projekt „Saure Bratbrasse“ für den Zu-gut-fürdie-Tonne!

-Bundespreis 2021 bewarb, der seit sechs Jahren vom

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ausgeschrieben

wird. Motto: Lebensmittel retten, Klima schützen.

„Ein plausibler Zusammenhang“, erklärt Fischer Schröder, „weil für

Produktion, Verarbeitung, Lagerung und Transport von Lebensmitteln

wertvolle Ressourcen – Wasser, Boden, Energie – benötigt und Treibhausgase

freigesetzt werden. Wenn ein Teil dieser Lebensmittel dann

in der Tonne landet, war der ganze Aufwand inklusive der verursachten

Treibhausgasemissionen umsonst.“ Eine Erkenntnis, die sich – wenn

auch nur langsam – durchzusetzen scheint.

Beweis dafür sind die 160 innovativen Projekte, die in diesem Jahr

für den Zu-gut-für-die-Tonne! -Bundespreis eingereicht wurden –

darunter Schröders „Saure Bratbrasse“. Die Jury erkannte der Kreation

einen der drei mit 5.000 Euro dotierten Förderpreise zu. Chapeau!

Mit ihrer ungewöhnlichen und mutigen Idee zur Verwertung

von Beifang fndet die Fischerei Schröder mit Sitz in Strodehne

im Land Brandenburg eine sehr gute Lösung für eine

Herausforderung, vor der viele große und kleine Fischereibetriebe

stehen. Die einfache und zugleich effektive Idee, die

zu einem Umdenken der Kundschaft geführt hat, besitzt Vorbildcharakter

und Potenzial. Wir freuen uns, das besondere

regionale Engagement der Fischerei Schröder mit einem Förderpreis

zu unterstützen.

Bärbel Dieckmann

Juryvorsitzende

Zu-gut-für-die-Tonne!-Bundespreis

Ehem. Präsidentin der Welthungerhilfe (WHH)

Moderatorin Sarah Oswald im Gespräch

mit Staatssekretärin Beate Kasch, v.re.

91


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

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Brandenburg Kulinarische Exkursion •

Der Weg zum Ziel ist bestens ausgeschildert und – dort angekommen

– gibt es sogar einen Rastplatz mit Info-Tafel. Aber

sonst? Unter den wenig spektakulären Quellen vieler Flüsse

ist die Quelle der Dahme die wohl unspektakulärste. Weder

rauscht noch sprudelt es in dem Wäldchen nahe der Ortschaft

Schöna-Kolpien im Brandenburger Landkreis Teltow-Fläming,

lediglich ein paar feuchte Wiesen verraten, dass hier irgendwo

Wasser sein muss. Ein Schild bestätigt die Annahme: „An dieser

Stelle befndet sich die Dahmequelle.“

Jörg Teuscher, Garçon-Autor, Berlin

Anke und Jens Kottke ist diese Touristen-Enttäuschung nicht neu.

„Einen Wasserfall dürfen Sie hier nicht erwarten“, erklärt Jens Kottke,

„deshalb heißt es korrekt auch Quellgebiet.“ Gemeinsam mit seiner

Frau betreibt der 57-Jährige im Dörfchen Schöna, nahe des besagten

Gebietes, eine Lebensmittelmanufaktur mit schnuckeligem Hofladen,

winziger Sonntagsbackstube und freundlichem Café. Und weil die

Dahmequelle nun mal die größte Sehenswürdigkeit der Gegend ist

(außer, man fährt in die benachbarte Kleinstadt Dahme), benannten sie

auch ihre Unternehmung danach: Dahmequell Landprodukte Schöna.

Deren erheblicher Bekanntheitsgrad allerdings liegt wohl weniger am

Namen, sondern eher an den Offerten des rührigen Paares.

Dahmequell-Inhaber Anke und Jens Kottke.

93


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Die Stadtflucht ist kein neues Phänomen. Etliche meiner Freunde

fanden Berlin schon vor Jahren zu voll und zu teuer und zogen aufs

Dorf. Dort erprobten sie neue Wohn- und Arbeitsformen, gründeten

Co-Living- und Co-Working-Spaces, probierten sich im genossenschaftlichen

Arbeiten, einige erlernten sogar neue Berufe, um sich

ihren Traum vom Öko-Paradies zu erfüllen.

Auch Anke und Jens Kottke sind Stadtflüchter. Als sie 1999 aus

Schwedt/Oder nach Schöna im Landkreis Teltow-Fläming zogen,

hatten sie allerdings weniger das Landleben als soziales Experiment

im Blick, sondern folgten eher praktischen Erwägungen. „Wir wollten

vor allem“, so Jens Kottke, heute 57 und diplomierter Sozialpädagoge,

„dass unsere beiden Söhne in einer lebenswerteren Umgebung aufwachsen

als Schwedt sie bieten konnte.“

Als die Söhne dann zum Studium in die Welt zogen – „einer wird

Arzt, der andere Lehrer“ – suchten Anke und Jens Kottke eine neue

Herausforderung. Die fanden sie in der Herstellung und dem Vertrieb

regionaler Lebensmittel. „Am Anfang war das Leinöl“, erzählt die gelernte

Bürokauffrau Anke Kottke, „wir hatten uns eine eigene Ölmühle

zugelegt und uns mit der Materie beschäftigt. Das erste Öl boten wir

dann auf einem Erntefest an, es war ein voller Erfolg.“

Die Gründung der Dahmequell Landprodukte war keine Fahrt ins

Blaue mit ungewissem Ausgang. Bevor wir die erste Investition

tätigten, haben wir uns viel umgesehen – zum Beispiel in der

Bodenseeregion – um rauszukriegen, wie Leute arbeiten, die

ähnliche Projekte auf die Beine gestellt haben. Wir wollten

jedenfalls genau wissen, was bei einem solchen Vorhaben

auf uns zukommt.

Jens Kottke, Unternehmer

Dann ging alles Schlag auf Schlag. Das Ehepaar kaufte das ehemalige

Schönaer Schulzenhaus, richtete einen kleinen Hofladen ein und

gründete 2015 die Manufaktur Dahmequell Landprodukte. Vier Jahre

später machten Anke und Jens Kottke aus ihrem Hobby dann endgültig

einen Beruf und sich als Lebensmittelproduzenten selbstständig.

Dem klassischen Leinöl – kaltgepresst und zwölf Stunden dekantiert,

damit sich grobe Schwebstoffe absetzen – folgte bald ihr

Leinöl aus gerösteter Saat. „Unser absoluter Renner“, so Jens Kottke.

Inzwischen gibt es auch Rapsöl aus gerösteter Saat, Walnuss- und

Kürbiskernöl, ein halbes Dutzend Würz- und ebensoviele Kräuteröle,

unter denen das Bärlauchöl bei den Juroren des pro-agro-Marketingpreises

im Frühjahr 2021 große Anerkennung fand.

Wo Öl ist, sollte auch Essig nicht weit sein, sagten sich Anke und

Jens Kottke und machten sich auf die Suche nach einem passenden

Partner für ihre Premium-Öle. In einer Wustermärker Manufaktur

wurden sie fündig. Inzwischen investierten die beiden rührigen Unternehmer

in einen eigenen Essigreaktor, ernteten die Früchte der Bäume

einer uralten Mostbirnenallee in Kolpien, pressten sie zu Saft und

ließen ihn zu Essig vergären. „Die ersten Geschmackstests sind vielversprechend“,

so Jens Kottke.

94


Brandenburg Kulinarische Exkursion •

95


• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Um die Kernidee eines guten Geschäftsmodells vorzustellen, braucht

man nicht viele Worte. Im Fall der Dahmequell-Landprodukte-Gründer

ist es der Satz „Wir sind angetreten, die Geschenke der Natur zu verarbeiten.“

Jens Kottke fügt hinzu: „Es geht nie um Geplänkel, sondern

immer um Geschmack!“

Der Unternehmer, der gerne auch über ernährungsphysiologische

Themen referiert, bezieht seine Bemerkung nicht nur auf die Produkte

der eigenen Manufaktur, sondern auch auf die Kreationen anderer

regionaler Lebensmittelhersteller in den Regalen des Schönaer Hofladens.

Da stehen Eierliköre von „Scharfes Gelb“ in Senftenberg,

Obstbrände der Brennerei Kullmann in Reppininchen, Heidelbeerhonige

eines Hohenseefelder Wanderimkers und Gewächse des Jessener

Weingutes Hanke. Anke Kottke: „Wir erweitern unser Sortiment

schrittweise, allerdings nur mit Angeboten, die uns 100-prozentig

überzeugen.“ Ihr Mann zeigt uns schließlich noch, was ihr Hof sonst

so zu bieten hat: einen kleinen, liebevoll ausgestatteten Gastraum, der

bis zu 40 Personen Platz für Feiern aller Art bietet; einen 135 Jahre

alten Backofen, der aufwändig restauriert wurde und in dem die Kottkes

Landbrot und Bauernkuchen backen. „Und sonntags Brötchen für die

Schönaer und Kolpiener“, fügt er hinzu und vergisst auch nicht zu erwähnen,

dass – wenn es die Corona-Verordnungen erlauben – auch

wieder Hoffeste, Grillabende und Mottopartys stattfinden werden.

„Abenteuer Vielfalt – Fernweh stillen, Brandenburg genießen“,

lautet das pro-agro-Jahresmotto 2021. Vielleicht auch mit einem

Besuch in Schöna.

DAHMEQUELL LANDPRODUKTE

Schöna 13

15936 Dahme / Mark OT Schöna

Tel. 035346 – 72 039

www.dahmequelllandprodukte.de

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Brandenburg Kulinarische Exkursion •

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• Rubriken Fuhrmanns Früchtekorb

Marcus Fuhrmann.

Wenn in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die weißen

7,5-Tonnen-Kühltransporter mit dem Zeichen der Kirsche Hotels,

Restaurants, Kantinen, Krankenhäuser und Kitas ansteuern, heißt es

bei den Küchenchefs dort meist kurz und knapp: Fuhrmann kommt.

Mit Dieter und Marcus Fuhrmann lenkte jahrelang eine Vater-Sohn-

Doppelspitze die Geschicke des renommierten Fruchtgroßhandels

mit Sitz auf dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße. Nach dem

plötzlichen Tod seines Vaters im Mai 2020 trägt nun Marcus Fuhrmann

die alleinige Verantwortung für das 1977 gegründete Unternehmen.

Der 55-Jährige trat nach seinem BWL-Studium in Bochum und einem

Intermezzo als Tennistrainer 1996 in die Firma seines Vaters ein, absolvierte

eine Großhandelsausbildung und lernte die Besonderheiten

des Geschäfts mit Obst, Gemüse, Kartoffeln und Kräutern von der Pike

auf. Sein unternehmerisches Credo fasst er heute so zusammen: Zuverlässigkeit,

unbedingte Serviceorientierung und ein ausgeprägtes

Bewusstsein für Qualität. Dem fühlen sich auch die 28 „Fuhrmänner”

verpflichtet, die ihre Kunden täglich mit rund 500 Produkten beliefern

– von A wie Artischocke bis Z wie Zitronengras. Für unser Magazin

stellt Marcus Fuhrmann seine „Früchtchen” vor.

Heute: Die Passionsfrucht

Fuhrmanns Früchtekorb

DIE FRUCHT, DIE NACH SONNE SCHMECKT

VON MARCUS FUHRMANN

Mit der Passionsfrucht verhält es sich wie

mit etlichen anderen Exoten, etwa der Mangostane

oder der Sapote.

Äußerlich ist sie ein nichtssagendes

Etwas, schrumpelig und von undefinierbar

violett-brauner Farbe, ihr Innenleben

allerdings glänzt mit strahlend gelb-orangem

Fruchtfleisch, dessen delikates, süß-säuerliches

Aroma viele Feinschmecker ins

Schwärmen geraten lässt.

Für mich jedenfalls zählt die Passionsfrucht

zu den köstlichsten Tropenfrüchten

der Welt, und ich bin mit meiner Meinung da

nicht alleine. Spitzenköche wie der Bayer

Christian Jürgens aus Rottach-Egern am

Tegernsee oder Tim Raue aus Berlin (siehe

auch Seite 100) teilen mit mir die Liebe

zu Passiflora edulis, so der botanische

Name der Pflanze aus der Familie der

Passionsblumengewächse.

98


Fuhrmanns Früchtekorb Rubriken •

Die eigentliche Heimat der lianenartigen Kletterpflanzen sind die

tropischen Regionen Mittel- und Südamerikas. Spanische Missionare

entdeckten sie im brasilianischen Amazonasregenwald, wo sie besonders

gut gedeihen. Die Jesuiten schätzten das intensiv-säuerliche

Aroma ihrer Früchte und bewunderten die eigenwillige Blütenform. Die

Geistlichen meinten, in der Anordnung der Kronen- und Staubblätter

sowie der Stempel der Blüte, die Zeichen der Passion Christi – das

Kreuz und die Dornenkrone – wiederzuerkennen und nannten sie

deshalb Passionsblume – Passiflora.

Über 400 Passiflora-Arten sind bekannt, viele davon sind Wildformen

mit größtenteils ungenießbaren Früchten. Die für den Verzehr

ihrer Früchte geeigneten Arten erhielten deshalb den Zusatz „edulis“,

das bedeutet essbar. Die beiden für uns Fruchthändler wichtigsten

Arten sind die rote und die gelbe Passionsfrucht, letztere wird übrigens

meist unter dem Namen Maracuja angeboten. Für die Botanik-Freaks

habe ich hier noch die exakten wissenschaftlichen Bezeichnungen

herausgesucht: Die kleinere und nicht ganz so saure rote Passionsfrucht

heißt Passiflora edulis Sims f. Edulis, ihre gelbe Schwester

Passiflora edulis Sims f. Flavicarpa deg. – wie gesagt, das nur für

die absoluten Freaks.

Passionsfrüchte werden heute weltweit kultiviert. Die gelbe Variante

wächst vorzugsweise in den Tropen, die rote wird inzwischen in allen

subtropischen Regionen der Erde angebaut. Auf der Rangliste der

Erzeugerländer steht Brasilien vor Ecuador, Kolumbien und Kenia.

Die Welt-Jahresproduktion liegt bei 700.000 Tonnen, verschiebt sich

allerdings immer mehr zu Gunsten der roten Passionsfrucht.

Der Grund für diese Entwicklung: Während sich die Blüten der rote

Früchte tragenden Pflanzen selbst bestäuben, sind die Blüten der

gelbfrüchtigen Ranken auf Fremdbestäubung angewiesen. Diese Rolle

übernehmen so genannte Holzbienen, solitär lebende Insekten, deren

Körperbau der Blütenform angepasst ist. Der Klimawandel, fehlender

Lebensraum durch großflächige Rodungen und der Pestizideinsatz

machen den Holzbienen jedoch das Leben schwer, ihre Population

verringert sich zunehmend. Einzige Alternative: Bestäubung durch

Menschenhand. Keine guten Aussichten, finde ich...

www.dieter-fuhrmann.de

99


• Rubriken Fuhrmanns Früchtekorb

Christian Jürgens, Rottach-Egern.

Rezepte von Sterneköchen gibt es jede Menge – sowohl in den

Kochbüchern der Stars als auch in diversen Zeitschriften. Allerdings

bedarf es allzu häufig ausgedehnter Einkaufstouren, um alle Zutaten

zu beschaffen, die ein einigermaßen authentisches Nachkochen

ermöglichen.

Im Falle der Passionsfrucht haben zwei kulinarische Großmeister

die Latte mal nicht auf Rekordhöhe gelegt, sodass eine Zubereitung

am heimischen Herd mühelos möglich ist.

Rigatoni Dolce nennt der 3-Sterne-Koch Christian Jürgens seine

süßen Nudeln mit Charentais-Melone und Passionsfrucht. Dafür

werden kurze Rigatoni in Milch, die zuvor mit Butter, Salz, Zucker

und einer aufgeschnittenen Vanilleschote aufgekocht wurde, al dente

gegart. In einem zweiten Topf wird Puddingpulver mit kaltem Wasser

angerührt, aufgekocht und, wenn es gebunden ist, langsam in den

Nudeltopf eingerührt. Melonenscheiben und Rigatoni auf einem Teller

anrichten, das Mark von vier Passionsfrüchten darüber geben und das

Ganze mit Limettenabrieb bestreuen.

Tomatensalat „Marie“, die Kreation des Berliner 2-Sterne-Kochs Tim

Raue, ist noch einen Zacken einfacher. Tomaten und rote Zwiebeln,

beides gewürfelt, werden mit Olivenöl und Passionsfruchtmark

mariniert, mit Meersalz und Pfeffer gewürzt, auf geröstetem Sauerteigbrot

angerichtet und mit Basilikum bestreut.

Tim Raue, Berlin.

(Die Originalrezepte wurden von der Garçon-Autorin, Köchin

und Catering-Unternehmerin Sandra Schwarzwälder nachgekocht.)

100


Fuhrmanns Früchtekorb Rubriken •

www.dieter-fuhrmann.de

101


• Rubriken Berliner Marktnischen

Berlin-Wedding 1926: Der Toppmarkt.

Wochenmärkte haben in Berlin eine lange

Tradition. Der erste urkundlich erwähnte

Markt ist der Spandauer, bereits im Stadtgründungsdokument

vom 7. März 1232 wird

er genannt. Im benachbarten Berlin sind der

Molkenmarkt und der 1728 von Friedrich

Wilhelm I. per Kabinettsbeschluss ge -

schaffene Gendarmenmarkt die wichtigsten

öffentlichen Verkaufsplätze für Butter, Eier,

Honig, Käse, Korn und Wolle. Deren Zahl

stieg mit der Zeit zunehmend, so gab es 1882

innerhalb der Stadtgrenzen 19 Wochenmärkte

mit rund 10.500 Marktständen, die

jedoch mit dem Bau der Markthallen wieder

verschwanden.

1952, die meisten Markthallen waren

zerstört, forderte der Regierende Bürgermeister

Ernst Reuter: „Vor’s Rathaus

gehört ein Markt!“ Er meinte das Rathaus

Schöneberg und beendete mit seinem

Machtwort eine jahrelange Diskussion um

den wichtigsten Wochenmarkt Berlins.

Heute gibt es wieder rund 120 Wochen -

märkte in Berlin – nicht nur vor Rathäusern

– die sich wachsender Beliebtheit erfreuen.

Unter der Rubrik „Marktnischen“

stellt GarÇon Händler vor, deren Offerten

auch eine weite Anreise wert sind.

Berliner Marktnischen

ENTDECKUNGEN ZWISCHEN ARMINIUSHALLE UND MAYBACHUFER

Dieses Backwerk ist sicher nichts für die New-cool-Generation: ein untertassengroßer

und daumendicker Hefeteigfladen, auf dem sich in Schmalz glasig

gedünstete Zwiebeln breitmachen, die dazu noch mit reichlich Mohn bestreut

sind. Ja, das ist old school und ja, das ist kalorienreiche Oma-Küche. Trotzdem

liebe ich diese Teile – allemal, wenn ich sie nicht selbst backen muss.

Jörg Teuscher.

Dass ich Natalia Stark und ihre polnischen

Backwaren kennenlernte, verdanke ich –

genau genommen – meinem Freund Uwe.

„Immer wieder Akazienstraße, Preußenallee,

Karl-August-, Kollwitz- oder Winterfeldtplatz“,

krittelte er über unsere Rubrik Berliner

Marktnischen, „sind das denn die einzigen

Wochenmärkte in Berlin oder seid ihr nur

zu borniert, um auch mal woanders nach

interessanten Offerten zu suchen?“

Sind wir nicht, lieber Uwe, dieser Bericht

ist der erste Beweis – und weitere werden

folgen, versprochen, denn wir sind tatsächlich

auch abseits der prominenten Plätze auf

den Geschmack gekommen.

102


Berliner Marktnischen Rubriken •

Charmant und kenntnisreich: Die Markthändlerin Natalia Stark.

Viermal in der Woche muss Natalia Stark verdammt früh aufstehen.

Die 30-Jährige ist Markthändlerin, lebt in Szczecin und steuert ihren

knallgelben Citroën Jumper immer dienstags nach Bernau, mittwochs

und freitags nach Berlin und samstags nach Greifswald – das sind

wöchentlich 1.100 Kilometer. An Bord hat sie polnische Backwaren:

Roggen-, Weizen- und Mischbrote, einige freigeschoben, andere in

Form gebacken, etliche mit Kümmel oder Mohn gewürzt. Dazu viel

Hefegebäck – Hefehörnchen, Hefestückchen, Hefezöpfe.

„Alle Produkte stammen aus der Pikarnia Pawłowski“, berichtet

Natalia Stark in fließendem Deutsch, „dass ist eine kleine Bäckerei

in Szczecin, in der die Backtraditionen unserer Region wirklich noch

hochgehalten werden.“ Sie zeigt auf ein Schild, das sie in die Auslage

gestellt hat und lächelt. „Gesundes Brot ohne Geschmacksverstärker

und Konservierungsstoffe, ohne Emulgatoren, Regulatoren und

Stabilisatoren“, heißt es da. Diese Begriffe gehen ihr dann doch nur

schwer über die Zunge, zumal sie das Bäckerhandwerk nicht gelernt hat.

Trainerin wollte sie einst werden, vielleicht auch Lehrerin. An der

Hochschule in Krakόw ging sie daran, diesen Traum zu erfüllen und

absolvierte ein Sportstudium. Aber wie das mit Träumen eben so

ist, manche erfüllen sich und manche platzen wie eine Seifenblase.

Das letzte Wort hat immer die Realität. Und die sah bei der aus

Koszalin stammenden Natalia Stark alles andere als rosig aus. Dem

Verkäuferinnenjob in einem Sportgeschäft folgte der als Rettungsschwimmerin

in einer Hotelanlage, beides nicht eben das Gelbe vom

Ei für eine diplomierte Hochschulabsolventin.

„Ich beschloss, mich selbstständig zu machen“, fasst sie den sicher

nicht einfachen Schritt in eine völlig fremde Branche zusammen. Über

die Zweifel, das Richtige zu tun, will sie heute nicht mehr reden. 2020

gründete sie ihre Firma „Polskie Smakołyki“, das heißt polnische

Leckerbissen und machte sich auf den Weg. Ihr Ziel: Wochenmärkte

im benachbarten Deutschland. „Am besten solche, auf denen ich nicht

die einzige Händlerin aus Polen bin.“ Die Rechnung ging auf.

103


• Rubriken Berliner Marktnischen

Inzwischen stehen die Leute Schlange, wenn Natalia Stark am Freitagmorgen

an der Marzahner Promenade ihren Verkaufswagen neben

Karl Hillerts Marzahnerbauer-Skulptur rangiert. Die grundsolide

handwerkliche Qualität ihrer Backwaren hat sich offensichtlich herumgesprochen.

Das intensive Kümmelbrot aus reinem Roggenmehl, das

helle Stettiner Brot mit der rustikalen Mohnkruste und der dichten

Krume und die buttrigen Hefezöpfe sind ebenso schnell verkauft wie

die Zwiebelkuchen. Und auch die cremigen Kreationen der Stettiner

Konditorei Cukiernia Domowa finden rasch ihre Liebhaber.

Polnische Backwaren

auf dem Wochenmarkt Marzahner Promenade

12679 Berlin-Marzahn

Freitag, 8.00–15.00 Uhr

(außerdem mittwochs auf dem Kaulsdorfer Cecilienplatz)

104


Advertorial •

SCHWARZES GOLD ROTE PERLEN

LEMBERG – EINER DER FÜHRENDEN KAVIAR-PRODUZENTEN AUS BERLIN

War Kaviar einst ein Privileg von Monarchen und Adligen, ist der zarte

Rogen heute für jedermann zugänglich und sogar erschwinglich. Wer

hätte gedacht, dass sich die Produktionsstätte von Europas größtem

Kaviarhändler in Berlin-Tempelhof befindet. Geschäftsführer Ruslan

Volny erklärt: „Wir haben Kaviar vom Keta-, Buckel-, Silber- und Rotlachs,

von Lachsforelle, Dorsch und Hecht, Kaviar aus Pollack- und

Heringsrogen und natürlich verschiedene Sorten von Störkaviar in

unserem Sortiment.“ Zur Hauptsaison von November bis Januar

verlassen täglich bis zu 2000 Pakete nach ganz Europa die Firma

Lemberg. „Unser Online-Shop ist ja auch 24 Stunden erreichbar“, sagt

der gebürtige Ukrainer, der seit 20 Jahren im Geschäft ist. Seine Lieblingssorte

ist der Gorbuscha-Lachskaviar, der vom bis zu 60 cm großen

Buckellachs stammt und in Alaskas Flüssen laicht. 250 Gramm der

leuchtend orangenen Kaviarkörner, die ein herrlich mildes Aroma und

eine zarte Schale haben, kosten 14,50 Euro. „Ich fliege jeden Sommer

persönlich nach Alaska, überwache den Einkauf von Wildlachskaviar,

prüfe die Qualität und es wird mit unseren verlässlichen Partnern

verhandelt“, betont Volny.

Im Berliner Ladengeschäft „Lemberg Feinkost“ am Olivaerplatz wird

am meisten Lachskaviar verkauft. Die beliebtesten Sorten Lachsforelle

und Keta erhält man zu moderaten Preisen. „In unserem Kulturkreis

gehört Kaviar zu jeder Familienfeier“, erzählt Volny „aber auch die

Berliner sind immer mehr an dieser Delikatessen interessiert.“ Er

empfiehlt die Störkaviarsorte Amur Royal, die sich durch großkörnige

und zartschalige Perlen mit schönem dunklen Glanz und zartem Aroma

auszeichnet. Und er ist eine sehr gute und preisgünstigere Alternative

zu dem immer rarer werdenden Beluga Kaviar.

Eine weitere Ladenadresse – wo unter anderem auch das ganze

Lemberg-Kaviar-Sortiment zu fairen Herstellerpreisen angeboten

wird – gehört der Supermarkt LEDO in der Forckenbeckstrasse. Neben

Kaviar gibt es frischen und geräucherten Fisch, ein großes Fleischsortiment,

saisonales Obst und Gemüse und viele osteuropäische

Spezialitäten zu günstigen Preisen.

Zum Schluss, und um bei Ruslan Volnys Liebling dem Kaviar zu

bleiben, verrät der Chef noch seinen Verzehrtipp: „Kaviar sollte kalte

zwei Grad haben und wird mit einem Perlmutt-Löffel probiert. Wenn

man die Kügelchen mit der Zunge am Gaumen zerdrückt, entfaltet

sich das Aroma am besten. Wir essen auch kleine Blinis und trinken

ein Glas Champagner dazu. Ich bevorzuge aber Wodka, am besten

von Lemberg.“

LEMBERG FEINKOST, Olivaer Platz 8, 10707 Berlin, Tel. 030-889 136 50, www.lemberg-kaviar.de

LEDO BERLIN, Forckenbeckstr. 1, 14199 Berlin, www.ledo-supermarkt.de

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• Rubriken Kulinarische Nachlese

Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr, v. re.

„Trotz Internet und Fernsehküche – Kochbücher

werden immer ein Kulturgut bleiben“, aus dem Ruhrpott nach Berlin und betreiben

Die beiden Männer zogen im Januar 2010

davon sind Johannes Mohr und Swen seitdem in einem restaurierten Altbau-

Kernemann-Mohr überzeugt.

Souterrain in Berlin-Mitte, in der Nähe des

Rosenthaler Platzes, Deutschlands vermutlich

größtes, auf jeden Fall aber Berlins

einziges Kochbuchantiquariat.

Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb

Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca

Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben,

etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte

Originale, handgeschriebene

Unikate, kulinarische Enzyklopädien,

Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher

von Sophia Loren bis Vico Torriani,

Kriegs- und Nachkriegskochbücher.

„Das Stöbern in diesem Fundus ist für uns

immer auch eine Art besonderer Geschichtsstunde“,

sagen die Antiquare.

Nun stöbern Johannes Mohr und

Swen Kernemann-Mohr sozusagen auch

öffentlich. Für Garçon blättern sie in Kochbüchern

aus vergangenen Zeiten und

notieren, was sie dabei bewegt.

Kulinarische Nachlese

IN ALTEN KOCHBÜCHERN GEBLÄTTERT

VON JOHANNES MOHR UND SWEN KERNEMANN-MOHR

Es liegt mir auf der Zunge

Der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod

Illustrationen von Gisela Grieger

Hoffmann und Campe Verlag

Hamburg 1954

5. Auflage

37.– 46. Tausend

Umschlaggestaltung H. H. Hagedorn, Hamburg

144 Seiten

Preis (antiquarisch): 38,00 Euro

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Kulinarische Nachlese Rubriken •

NWDR-Fernsehkoch Clemens Wilmenrod im Hamburger TV-Kochstudio.

Wir beide sind Jahrgang 1956 bzw. 1963, haben also auf Grund später

Geburt ein revolutionäres Ereignis der deutschen Fernsehgeschichte

verpasst und können es nur mit Hilfe unserer Bücher und des Internets

rekapitulieren.

Es geschah am 20. Februar 1953, einem Freitag. Um 21.30 Uhr,

zur besten Sendezeit, begrüßte aus einem deckenhoch gefliesten

Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks auf dem Hamburger

Heiligengeistfeld ein Mann die Zuschauer. Markenzeichen: schwarzes

Menjoubärtchen, knappe Latzschürze, schmieriger Hausfrauenverführerblick.

„Ihr lieben goldigen Menschen“, säuselte er und kochte

in den folgenden fünfzehn Minuten live und in schwarz-weiß ein

italienisches Omelett und Kalbsniere mit Mischgemüse aus der Dose.

Dazu gab es Fruchtsaft im Glas, danach türkischen Mokka.

Wer damals vor dem Fernsehapparat saß, hatte die Geburtsstunde

des deutschen TV-Kochens erlebt (die Sendung konnte übrigens auch

in Berlin empfangen werden, denn der NWDR versorgte von 1946 bis

1954 die Stadt mit seinem Programm, der Sender Freies Berlin ging

erst am 1. Juni 1954 an den Start).

Und den ersten deutschen Fernsehkoch. Übrigens: Weder sein

Name noch sein Beruf waren echt. Er hieß nicht Clemens Wilmenrod,

sondern Carl Clemens Hahn (Wilmenrod im schönen Westerwald

war sein Geburtsort), und er war kein Koch, sondern ein mittelloser

Schauspieler mit mäßigem Erfolg. Das Konzept für die Kochsendung

ersann er gemeinsam mit seiner Frau Erika, einer Metzgerstochter aus

Wiesbaden. Sie war es auch, die dem blutigen Anfänger die wichtigsten

Handgriffe beibrachte, die er für die Sendung brauchte. Beide stellten

ihr Projekt dem damaligen NWDR-Intendanten Adolf Grimme vor, der

hatte offensichtlich einen guten Riecher für erfolgversprechende

Exposés – und gab grünes Licht.

Grimmes Entscheidung erwies sich als goldrichtig. „Bitte, in zehn

Minuten zu Tisch“ avancierte schnell zur beliebtesten Fernsehsendung

der Deutschen. Zuschauerzahlen von bis zu drei Millionen entsprachen

zur damaligen Zeit Einschaltquoten von 50 bis 80 Prozent. Das lag

vor allem daran, dass Koch-Darsteller Wilmenrod perfekt sowohl auf

der Fress- als auch auf der Reisewelle der 1950er Jahre surfte und

unserer Elterngeneration vor Augen führte, dass sie wieder wer sei.

Leute mit Geschmack und „Was-kostet-die-Welt-Flavour“.

Irgendwo lasen wir im Zusammenhang mit dem Phänomen der

Gastronomisierung deutscher TV-Kanäle und dem damit verbundenen

massenhaften Auftritt von televisionären Herdarbeitern mal den

Satz, dass man fürs Fernsehen weder kompetent noch originell, nur

penetrant genug sein müsse. Sicher eine böse Formulierung, aber

auf Clemens Wilmenrod, den „Felix Krull des Fernsehkochens“, traf

sie ohne jede Einschränkung zu. Er jazzte Banalrezepte (Arabisches

Reiterfleisch oder Gefüllte Erdbeere) zu kulinarischen Außergewöhnlichkeiten

hoch; entdeckte, wie lukrativ Schleichwerbung sein kann

und wie man Popularität sonst noch zu Geld machen kann.. .

Immer dabei: Der Infrarotgrill „Heinzelmann“.

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• Rubriken

Kulinarische Nachlese

Seine Bücher waren Bückware und sind sogar heute noch gefragt –

DFF-Fernsehkoch Kurt Drummer im Adlershofer TV-Kochstudio.

Übrigens: Auch die DDR hatte ihren Fernsehkoch, dessen Bücher

in unserem Kochbuchantiquariat zum Standardsortiment gehören.

Kurt Drummer (1928-2000) stammte aus dem erzgebirgischen

Gornsdorf – Kochlehre in Chemnitz, Küchenmeister, Karriere im

Weimarer „Elephant“, im „Erfurter Hof“ und im Karl-Marx-Städter Carola

Hotel. Am 5. August 1958 – zwei Jahre nach dem Start des regulären

DDR-Fernsehprogramms – stand er zum ersten Mal vor der Kamera:

Kurt Drummer, die ostdeutsche Antwort auf Clemens Wilmenrod.

Der stets standesgemäß gekleidete Sachse wirkte zwar – so

jedenfalls Leute, die ihn live erlebten – im Vergleich zu seinem westdeutschen

Pendant ziemlich dröge, aber Drummer kam an bei den

Zuschauern zwischen Plauen und Saßnitz. Der TV-Liebling produzierte

insgesamt 650 Folgen von „Der Fernsehkoch empfiehlt“, in denen er

über 2.000 Gerichte zubereitete, wurde mit dem Goldenen Lorbeer

des DFF ausgezeichnet (s. Bild unten Mi.) und stieg 1965 sogar zum

Chefkoch der DDR-Vereinigung Interhotel auf.

allerdings, so unsere Vermutung – weniger aus Gründen kulinarischer

Nostalgie, sondern eher aus Neugier auf die deutsche Küche der

DDR, die häufig als „Wechselbad zwischen Verzicht und Völlerei“

beschrieben wird.

Vor allem Drummers 1963 erschienenes „Fernsehkochbuch“

gibt tiefe Einblicke in die Versorgungslage im Land der begrenzten

Möglichkeiten zu jener Zeit. Statt Butter empfiehlt Kurt Drummer zum

Backen und Braten Margarine – wechselweise die Sorten Marina,

Sonja, Sahna und Vita und statt Sojasauce BINO-Würze aus Bitterfeld-Nord.

Und wenn die Würze trotzdem fehlte, setzte Drummer

eben auf Glutal …

Dennoch sind wir der Meinung, dass viele der Regionalrezepte etwa

aus seinem Buch „Von Apfelkartoffeln bis Zwiebelkuchen“(1982) auch

heute noch durchaus ihre Berechtigung haben.

www.bibliotheca-culinaria.de

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Kulinarische Nachlese Rubriken •

Loodse

Gerätemanagement in neuer

Servicedimension

Alle Erfahrungen aus dem Geräte- und Reparaturmanagement

sind in die Entwicklung der Servicekontor

eigenen Software eingeflossen. Überregionale Filialisten

erreichen damit ein Maximum an Transparenz und die

Rentabilität der Filialen kann durch ein aktives Management

erheblich gesteigert werden.

Demo

Vorführung

info@servicekontor24.de

0441 480678-0

Alles im Blick

Bereits das Dashboard auf der Startseite macht

die Ziele deutlich: Transparenz und Performance.

Leicht lassen sich die Betrachtungen

von deutschlandweit bis betriebsbezogen

skalieren.

Im Überblick alle Informationen zum Status der

Gerätereparatur, dem Standort und den Tickets

in allen Status:

— Geräte in Reparatur

— Reparierte Geräte in Filialen

— Aktuell abgeschlossene Reparaturen

Mobile Erfassung

Ermittelt werden die Havarien vor Ort mit

dem Smartphone. Mit dem Scan des gerätespezifischen

QR-Codes loggt der Mitarbeiter

das Gerät in das Ticketsystem ein. Ab jetzt läuft

alles reibungslos in den vorstrukturierten Abläufen

– und der Kunde hat stets den aktuellen

Überblick.

Darüber hinaus wurde ein ergänzender Bereich

für Facility Services eingerichtet. Hier

finden Kunden alle laufenden Tickets aus der

Gebäude instandhaltung.

Erhebliche Einsparpotentiale

Eine Statistik macht die Kosten transparent,

so können Einsparpotentiale filialübergreifend

ermittelt werden. Damit wird es dem Zentraleinkauf

ermöglicht die Kosten filialübergreifend zu

kontrollieren.

Ein Webshop ergänzt den Service. Hier kann

Zubehör bestellt werden: Von der Ofenklappe

über das Schneidbrett bis zum Schraubensatz –

mit hoher Verfügbarkeit und hochintegrativ.

www.servicekontor24.de/loodse

Servicekontor24 GmbH & Co. KG ∙ Geschäftsführer: Hermann Kuper ∙ Steinkamp 13 ∙ D-26125 Oldenburg

www.servicekontor24.de ∙ info@servicekontor24.de ∙ Tel: +49 (0) 441 480 678 - 0 ∙ Fax: +49 (0) 441 480 - 678 - 50

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GARÇON-QUIZ

IMPRESSUM

VERLAG UND REDAKTION

Bild Art Media Verlag

Inh. Yvonne Weinlich

Marzahner Promenade 26

12679 Berlin

Fon 030 – 28 86 79 70

Fax 030 – 28 86 79 69

info@bildart-verlag.de

www.garcon24.de | facebook.de/garcon24

HERAUSGEBERIN

Yvonne Weinlich (V.i.S.d.P.)

REDAKTION

Petra Leonhardt (Leitung)

Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Marc Steyer,

Wolf-Dietrich Strobel, Henning Tietze

Stefanie Hartmann, Jessica Kynast

(Praktikantinnen)

AUTOREN UND KOLUMNISTEN

Uwe Ahrens, Anaïs Causse, Hans Diener,

Stephan Falke, Marcus Fuhrmann,

Swen Kernemann-Mohr, Shoko Kono,

Dagmar Maas, Johannes Mohr,

Rafael Neitzsch, Sandra Schwarzwälder,

Jörg Teuscher, Thorsten Tonski

GRAFIK UND LAYOUT

Diana Putzu (diana.putzu@freenet.de)

Hannes Schulze (hannes@nur-mut.com)

Der Spritzkuchen ist ein mit Hilfe eines

Spritzbeutels mit Sterntülle ringförmig auf

Pergamentpapier gespritztes und in Fett

schwimmend ausgebackenes Brandteiggebäck,

das abschließend mit Puderzucker

bestäubt oder auf der Oberseite mit Fondant

glasiert wird.

So jedenfalls formuliert es ein Handbuch

zur Gesellen- und Meisterprüfung im

Bäckerhandwerk, das auch nicht vergisst,

den Erfinder dieser beliebten süßen Kreation

zu erwähnen.

Der Berliner Konditor Gustav Louis

Zietemann soll demnach 1832 erstmals

Spritzkuchen gebacken haben. Das entspricht

zwar nicht den historischen

Tatsachen – bereits 1713 wurde in dem in

Nürnberg erschienenen Werk „Der wohlbestehende

Bäcker“ ein Spritzkuchenrezept

veröffentlicht – dennoch wurde Meister

Zietemann am Ort seines Wirkens ein

Denkmal gesetzt.

Wir wollen wissen, wo die lebensgroße

Statue des Spritzkuchenjungen (siehe Bild

oben) steht:

A in Eberswalde?

B in Fürstenwalde?

C in Mittenwalde?

Ihre Antwort bitte an:

Bildart Media Verlag

Redaktion GARÇON

Marzahner Promenade 26

12679 Berlin

E-Mail: info@bildart-verlag.de

Die Gewinne, drei wertvolle Kochbücher, werden

unter den Teilnehmern verlost, die die Frage richtig

beantwortet haben.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Einsendeschluss: 26. September 2021.

Die Gewinne werden per Post zugesandt.

TITELBILD

Marie Geißler

www.mariegeissler.de

FOTOS UND ILLUSTRATIONEN

Heiko Gralki, Jörg Teuscher, Archiv Garçon,

Haferkater GmbH (1/S.4 u., 4/S.58), PALMEN­

MANN (1/S.5 u.), Annette Zeller privat (6/S.8

und 9), Sylvia Koreng privat (7/S.32), Spreewaldverein

e.V. Lübben (1/S.41), Nihon Mono

Dagmar Maas (1/S.42 o., 1/S.43), Sugimoto

Co., Ltd. (1/S.44 o., 2/S.45), Universität

Hohenheim/Steffen Hoeft (1/S.50 o.), Universität

Hohenheim/Agron Beqiri (4/S.50 u.,

S.51 u.), SARL Marc Peyrey (2/S.55), James

Ross, Carrbridge (3/S.56), Wolfgang Mock

GmbH (2/S.61), Fischerei Schröder privat

(1/S.89 o.), Bundesministerium für Ernährung

und Landwirtschaft (3/S.91), Norddeutscher

Rundfunk (3/S.107).

ANZEIGEN

Yvonne Weinlich, Heiko Gralki, Henriette Jüngel

anzeigen@bildart-verlag.de

DRUCK

www.pingoprint.de

Zu beziehen im Zeitschriftenhandel oder im

Abon nement. Einzelheftbestellung: Jedes Heft

kostet 6,00 Euro, zuzüglich 1,55 Euro Versandkosten

pro Sendung. Bezahlung nach Erhalt der

Rechnung oder im Lastschrifteinzugsverfahren.

Alle Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich

geschützt. Jede Verwertung bedarf

der Zustimmung des Ver lages. Aufnahme in Online-Dienste,

Internet und Ver vielfältigung auf

Datenträgern nur nach schriftlicher Bestätigung

des Verlages.

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BERLINS LIVE-SHOWS

2021

20.08. – 10.09.

Grahame Patrick, der als „bester Elvis nach

Elvis“ gilt, bringt dessen Musik in einzigartiger,

mitreißender Weise auf die Bühne.

19.09. – 17.10.

Fotos: A. Friese, K. Matic

Erleben Sie den kraftvollen Sound der

Rock-Ikone und erfahren Sie, wie aus einem

unbekannten Mädchen ein Weltstar wurde.

Genießen Sie vor oder nach

der Show in unserer neuen

Open-Air-Location „Waterfront“ direkt am

Wasser eine erstklassige Auswahl an Food

& Drinks. Sollte das Wetter einmal nicht

mitspielen, erwartet Sie das Restaurant

„Portofino“ mit kulinarischer Vielfalt.

Kostenlose Corona-Schnelltests gibt es ganz unkompliziert direkt in unserer ESTREL Teststation!

ESTREL SHOWTHEATER · TICKETS 030 6831 6831 · STARS-IN-CONCERT.DE


berlinerwasser.de

Unser Trinkwasser.

Ganz klar für Berlin.

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