Magazin GARCON - Essen, Trinken, Lebensart Nr. 58
Unsere Annette (Torten-) Zeller hat Applaus verdient. Warum? Lesen Sie alles dazu im neuen GARCON Genuss Magazin! Auch was es mit dem VOLK oder Burneleits vierten Streich auf sich hat, was das Besondere an den Corises mi-cuites von Anais oder den Shitake aus Kyushu ist oder wie eine Spreewälder Traditionsfleischerei bis heute bestehen konnte. Natürlich waren wir auch wieder bei tollen Produzenten in Brandenburg zu Gast, aber auch bei einer adligen Dame vom Grill, bei Christoph Hauser und seinen Mitstreitern und bei Natalie, die sich mit polnischen Backwaren auskennt. Lesen Sie alles rund um Passionsfrucht, Buchweizen und Porridge - auf keinen Fall langweilig!
Unsere Annette (Torten-) Zeller hat Applaus verdient. Warum? Lesen Sie alles dazu im neuen GARCON Genuss Magazin! Auch was es mit dem VOLK oder Burneleits vierten Streich auf sich hat, was das Besondere an den Corises mi-cuites von Anais oder den Shitake aus Kyushu ist oder wie eine Spreewälder Traditionsfleischerei bis heute bestehen konnte. Natürlich waren wir auch wieder bei tollen Produzenten in Brandenburg zu Gast, aber auch bei einer adligen Dame vom Grill, bei Christoph Hauser und seinen Mitstreitern und bei Natalie, die sich mit polnischen Backwaren auskennt. Lesen Sie alles rund um Passionsfrucht, Buchweizen und Porridge - auf keinen Fall langweilig!
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ausgabe nr. 58 | 2021 | 6 €
essen, tRinKen & leBensaRt
VOlK | tRattORia papaRaZZi | spReeWalDFleischeRei KORenG | shiitaKe
BUchWeiZen | pORRiDGe | JennY VOn DÜsteRlhO | chRistOph haUseR
UnteRWeGs in BRanDenBURG | FUhRManns FRÜchteKORB | KUlinaRische nachlese
• Mise en place
Liebe Freunde,
Yvonne Weinlich
Herausgeberin
immer mal wieder werde ich gefragt, welches Restaurant ich für das beste in Berlin hielte. Ich antworte
meist ausweichend, weil ich mich schwer tue mit dem Superlativ und nenne dann mindestens ein halbes
Dutzend Namen, die für mich die Berliner Spitzengastronomie repräsentieren. Immer dabei ist das Facil
im Mandala Hotel am Potsdamer Platz.
Es gehört sicher zu den schönsten gastronomischen Orten der Stadt, weil es trotz seiner intimen Eleganz
sympathisch unschnöselhaft daherkommt und so herrlich mediterran luzid wirkt. Das ist ein Grund.
Ein zweiter ist natürlich das Essen. Was hier auf die Teller kommt, begeistert, weil es einfallsreich und
originell ist, ohne brachiale Kreativität auskommt, nicht aber ohne zeitgemäße Regionalität. Und dafür,
dass es auch mittags serviert wird, müsste es sowieso Szenenapplaus geben.
Ein dritter Grund ist die Tatsache, dass im Facil eine verlässliche Konstante der Berliner Gastronomie
außer Kraft gesetzt scheint: der stete Wechsel des Personals. Küchendirektor Michael Kempf steht seit
18 Jahren hier am Herd, sein Alter ego, Küchenchef Joachim Gerner, seit 15 Jahren. Und Restaurantleiter
Manuel Finster, Sommelier Felix Voges sowie Chefpatissier Thomas Yoshida sind sogar seit der Eröffnung
am 2. Juli 2001 dabei. Am 2. Juli 2021 also wurde eins der besten Restaurants Berlins zwanzig. Ich erhebe
mein Glas und gratuliere. Chapeau, Facil!
Michael Kempf, Restaurant Facil:
Spargel, Sauerampfer, Eigelb, Roquefort.
(Übrigens: das Bild auf dieser Seite ist Reverenz an eins der intelligentesten Spargelgerichte, die mir
jemals serviert wurden und zugleich ein Tipp für meinen Kollegen Jacques Ritzel, wo er in der Saison
2022 erfahren kann, wie Spargel wirklich schmeckt, um seinen Hass auf das Gemüse möglicherweise zu
therapieren – siehe: Hass mit Hollandaise, Berliner Zeitung, 5. / 6. Juli 2021.)
Ihre Yvonne Weinlich
weinlich@bildart-verlag. de
3
Inhalt
MISE EN PLACE
TITEL
Applaus für Annette
Die Kuchenkönigin der Markthalle Neun
30
Spreewaldfleischerei Koreng:
Jubiläum eines Traditionsberiebes.
LOKALTERMIN
Berliner Teller 20
serviert im Restaurant VOLK
Trattoria Paparazzi 26
Doris Burneleits vierter Streich
Spreewaldfleischerei Koreng 30
Jubiläum eines Traditionsbetriebes
Was bietet der Spreewald kulinarisch? 40
Gespräch mit Melanie Kossatz,
Spreewaldverein e. V. Lübben
GESCHMACKSSACHEN
NIHON MONO: 42
Shiitake aus Kyushu
Neues Buch: Magic Fermentation 46
06
Applaus für Annette:
Die Kuchenkönigin der Markthalle Neun.
56 Porridge:
Von wegen igitt.
Buchweizen47
Porträt einer vergessenen Kulturpflanze
Anaïs Causse empfiehlt: 54
Corises mi-cuites
Porridge 56
Von wegen igitt
Mehl selber mahlen? 61
Gespräch mit Paul Lebeau,
Wolfgang Mock GmbH Otzberg
Kostproben 62
Von Garçon-Autoren entdeckt
und für gut befunden
KOPFSALAT
Jenny von Düsterlho 65
Die Dame vom Grill
auf dem Mierendorffplatz
4
GTS
Großküchentechnik &
Service GmbH
Planung
Montage
Kundendienst
Notdienst
77
Unterwegs in Brandenburg: Obermühle Gottsdorf,
Frischerei Schröder Strodehne, Dahmequell Landprodukte Schöna.
Ihr zuverlässiger Partner für:
Kochgruppen, Herde, Kombidämpfer,
Bratplatten, Kochkessel, Fritteusen u.v.m.
Gewerbe-Geschirrspülmaschinen
Tiefkühl- und Kühlanlagen
Arbeits- und Spültische
65
Jenny von Düsterlho:
Die Dame vom Mierendorff-Grill.
Wie geht’s eigentlich...? 68
Christoph Hauser
KULINARISCHE EXKURSION
Unterwegs in Brandenburg 77
Gottsdorf: Die Obermühle
Strodehne: Fischerei Schröder
Schöna: Dahmequell Landprodukte
68
Wie geht’s eigentlich…?
Christoph Hauser.
RUBRIKEN
Fuhrmanns Früchtekorb 98
Die Passionsfrucht
Berliner Marktnischen 102
Polnische Backwaren von Natalia Stark
Kulinarische Nachlese 106
Garçon-Quiz110
Impressum110
98
Fuhrmanns Früchtekorb:
Die Passionsfrucht.
GTS Großküchentechnik & Service GmbH
Schwedter Str. 45-46
10435 Berlin
Tel.: 030 - 440 540 48
www.gts-grosskuechentechnik.de 5
• Titel Annette Zeller
www.bettinaduesberg.de
Bettina Düesberg, geboren in Tübingen, aufgewachsen in Brüssel,
studierte in Nürtingen, München und Berlin Grafikdesign, Malerei
und Bildhauerei. Seit 2005 ist die 59-Jährige in Kreuzberg zu Hause,
Atelier und Galerie befinden sich am Lausitzer Platz.
Da hängen großformatige Landschaften, farbige Wucht, viele
Nuancen, keine romantisierenden Veduten. Und Menschen, immer
wieder Menschen. Bekannte Köpfe – und Gesichter aus dem Kiez.
„Besonders in Bettina Düesbergs Menschenbildern wird ihre Auseinandersetzung
mit der Darstellbarkeit von Emotionen sichtbar...“,
schreibt Julia Schmitz im Vorwort eines Ausstellungskatalogs. Das
trifft es. Die Tour de force der Malerin ist auch eine des Betrachters,
dessen Sinne einer ständigen Belastungsprobe ausgesetzt werden.
Sie hat Angela Merkel gemalt, mütterlich und mit planender
Intelligenz, die zerbrochene Amy Winehouse, und sie hat Menschen
von nebenan porträtiert – Menschen, die im Gedächtnis bleiben. Die
Frau mit der Pelzmütze, einen Mann mit Hund und Annette Zeller.
6
Annette Zeller Titel •
Applaus für Annette
DIE KUCHENKÖNIGIN DER MARKTHALLE NEUN
VON JÖRG TEUSCHER
7
• Titel Annette Zeller
Annette Zeller und ihre Eltern Margarete und Arnold Zeller.
Geschichten, die das Leben schreibt – zum Beispiel die von Annette
Zeller. Behütete Kindheit im beschaulichen Rechberg am Rande der
Schwäbischen Alb. Die Eltern betreiben eine Landbäckerei und ein
Café, der Name Zeller gilt was in der Gegend. Des Meisters Wasserwecken
sind legendär, die Brezeln schmecken auch nachmittags noch
frisch und wegen des Genetzten – das ist ein Brot, dessen Teig mit
feuchten Händen aus dem Kessel direkt in den Ofen gehoben wird,
ohne ihn zuvor zu formen – kommen Kunden sogar von weit her nach
Rechberg. Bei seinen Kuchen und Torten hat Arnold Zeller den gleichen
Qualitätsanspruch: In den Ofen kommt nichts Vorgefertigtes, Handarbeit
zählt – frisch aufgeschlagene Eier, frische Früchte vom Markt,
beste Rohstoffe überhaupt. Der Erfolg gibt dem Meister auch da Recht.
Dennoch rieten die Eltern ab, als sich Annette Zeller nach dem
Abitur in Schwäbisch Gmünd entschied, Bäckerin zu werden: „Mein
Bildungshunger war fürs Erste gestillt.“ Doch sie setzte ihren Kopf
durch und ging beim Vater in die Lehre. Dem Gesellenbrief ließ sie mit
Mitte zwanzig den Meisterbrief folgen, die Übernahme des elterlichen
Betriebes schien nur eine Frage der Zeit.
8
Annette Zeller Titel •
Aber da war so ein Gefühl: „Nennen Sie es Fernweh oder Freiheitsdrang,
ich wollte jedenfalls raus, wenigstens eine Zeit lang.“ Annette
Zeller stieg ins Catering-Geschäft ein, kochte für die Darsteller von
Mittelalterspielen Maultäschle und Kässpätzle und zog mit dem Tross
nicht nur durchs Ländle: „Gelnhausen, Hamburg, Telgte, sogar bis
nach Innsbruck und ins dänische Horsens sind wir gefahren.“ Auf
der Festung Königstein kamen dann der Berliner Apotheker Michael
Reuter und die Liebe ins Spiel. Annette Zeller, die sich nie vorstellen
konnte, ihre Heimat dauerhaft zu verlassen – „höchstens bis Heilbronn“
– folgte ihm in die Hauptstadt.
Sie schrieb sich an der Humboldt-Uni ein, doch ein Jahr später, 2001,
kam Sohn Luis zur Welt. Uni ade. Inzwischen 37-jährig, heuerte Annette
Zeller bei Manufactum in der Hardenbergstraße an und backte dann
und wann Hochzeits- und andere Torten für gute Bekannte. Sie waren
es auch, die ihr rieten, sich selbstständig zu machen. Eine Anzeige
gab schließlich den Ausschlag …
(Übrigens: Ihre Eltern schlossen 2016 die Bäckerei in Rechberg.
Annette Zeller hatte sich für Berlin entschieden, ihre Schwester Barbara
für die IT-Branche.)
Hochzeitstorte für Toska und Stefan Hartmann.
Annette Zeller und ihre beste Freundin als
Marketenderinnen auf einem Mittelaltermarkt.
9
• Titel Annette Zeller
Sie starteten 2011 die Renaissance der Markthalle Neun: Nikolaus Driessen, Florian Niedermeier und Bernd Maier, v. li.
Die Annonce, von der die Rede war, kam von Nikolaus Driessen,
Florian Niedermeier und Bernd Maier. Das Trio hatte 2011 mit Unterstützung
einer Anwohnerinitiative die 1891 erbaute Kreuzberger
Markthalle Neun übernommen und so die Umwandlung des denkmalgeschützten
preußischen Klinkerbaus in ein Supermarktcenter
verhindert. Ihr Konzept des „Anders-Einkaufens“ und „Anders-Essens“
klang nicht nur gut, sondern war es auch und ist es noch immer:
regional, saisonal, fair, nachhaltig und was es sonst noch braucht, um
Essensschätzer anzuziehen. Und genau dafür suchten die drei Hallenbetreiber
im Herbst 2011 geeignete Händler. „Die Wiederansiedlung
des kleinteiligen Lebensmittelhandels und -handwerks hat die Wiederaneignung
der Halle als lebendigen Ort im Quartier zum Ziel“, hieß es.
Das überzeugte Annette Zeller.
10
Annette Zeller Titel •
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Der erste Garçon-Bericht über Annette Zeller und ihre Backwaren …
…erschien im Januar 2012 – Titel: Berlin backt.
Sie kündigte ihren Manufactum-Job, richtete im Keller ihres Hauses
eine Backstube ein und im Internet die Seite www.frauzeller.de und
setzte auf die schon von ihrem Vater gespielten Karten: handwerkliches
Können, traditionelle Rezepte, beste Zutaten, geschmackliche
Stärke. Und auf eine Prise Originalität. Um Himmelswillen aber kein
Chichi, weder Goldstaub noch Glitzerperlen. Stattdessen Gaumengemütlichkeit.
Sie liebt dieses Wort.
„Ich backe für meine Kunden wie für Freunde oder die Familie“, sagte
sie uns, als wir sie am 1. Oktober 2011 in der Markthalle besuchten,
um ein Interview zu führen. Dass es erstmal nicht wie geplant zustande
kam, lag vor allem daran, dass sich so viele Menschen um ihren
winzigen Stand drängten und Kuchen kauften als gäbe es zum letzten
Mal welchen. „Vier Torten-Sorten – Apfel-Sauerrahm, Käse-Mohn,
Schoko-Feige-Ingwer und Zitronen-Wolke sowie ein bisschen Gebäck
hatte ich an diesem ersten Markttag dabei“, erinnert sich Annette
Zeller. Der Sturm auf das Kuchenbuffet bescherte ihr binnen weniger
Stunden gähnende Leere in den Vitrinen – die meisten von denen, die
damals kamen, sind heute Stammkunden.
Die Kreuzberger Malerin Bettina Düesberg beispielsweise entdeckte
an diesem Tag Annette Zellers Wolkentorte: „Meine Großmutter in
Tübingen hat eine ähnliche Torte gebacken, sie erinnert mich deshalb
an meine Kindheit und ist wie ein Schlüssel zur Heimat.“
Für den Juristen David Richter, ebenfalls vor zehn Jahren schon
Annette Zellers Kunde, war es von Anfang an die zuverlässige handwerkliche
Qualität, die zählte: „Ihr Shortbread ist einfach geschmacklich
besser als das schottische Original.“
11
• Titel Annette Zeller
Am Anfang noch ein Geheimtipp, avancierte Annette Zeller rasch
zur „Kuchenkönigin der Markthalle Neun“, die Kunden kamen bald
sogar von weit her. Das sprach einerseits für die Güte ihrer Backwaren,
andererseits aber auch gegen die Fertigung in der heimischen
Bohnsdorfer Backstube und die Fahrt ins 16 Kilometer entfernte
Kreuzberg. Früh morgens Kuchenkisten einladen, transportieren,
Kuchenkisten ausladen, Stand aufbauen, verkaufen und spät nachmittags
wieder Kuchenkisten einladen, transportieren, Kuchenkisten
ausladen – die frei- und samstäglichen Markttage waren für Annette
Zeller Stresstage.
Schon früh träumte die praktisch veranlagte Bäckermeisterin
deshalb von einer eigenen Markthallenbäckerei. „Der Wille war
immer da, aber der Platz fehlte“, sagt sie. Ihr Frust darüber wuchs,
und man hörte von der sonst so fröhlichen Frau schon mal Sätze
wie: „Entweder bauen oder gehen, eine andere Alternative gibt es
nicht.“ Doch wie das so ist im Leben – erstens kommt es anders
und zweitens als man denkt. Und dann geht alles auch noch ganz
schnell.
Im Februar 2021 verschickte Annette Zeller eine Jubel-Mail:
„Hurra, wir bauen!!! Die Tofu Tussis und La Cazuela sind Ende des
Jahres ausgezogen. Ich habe beide Hallen-Stände und die Küche
im Keller übernommen. Endlich kann’s losgehen!!!“
Viele beglückwünschten sie zu der mutigen Entscheidung, aber
auch die Bedenkenträger traten auf den Plan. „Vollgas mit 55? In dem
Alter sollte man lieber auf die Bremse treten!“ Annette Zeller konterte
charmant, aber bestimmt: „Jetzt erst recht und endlich richtig!“ Dabei
setzte sie auch auf ihre Intuition, obwohl Bauchgefühle in Zeiten der
Rationalität nicht eben das beste Image haben.
Engagierte Helfer: Bauleiter Jens Nevermann, Annette Zellers Mann Michael Reuter und ihr Sohn Luis Zeller, v. li.
12
Annette Zeller Titel •
Elektromeister Reinhard Pantermüller.
Beleuchtungsmeister Jürgen Heitzer.
Installateur Federico Pomodoro.
Bäckermeisterin Annette Zeller: „Hurra, der neue Ofen ist da!“
13
• Titel Annette Zeller
Zudem baute sie auf eine Kraft, die in unserer pragmatischen
Kosten-Nutzen-Gesellschaft häufig nur noch verbal existiert.
Auf uneigennützige Unterstützung, und die bekam sie reichlich.
„Familien-und-Freunde-Aktion“, so nannte sie deshalb ihr Projekt,
dessen „Kronjuwel“ zweifellos die Backstube in den Katakomben
der Markthalle ist. Klein, aber ausreichend, um all das unterzubringen,
was für eine manufakturelle Backwarenproduktion nun
mal nötig ist. Die Frage, wie der professionelle Backofen seinen
Weg zum richtigen Platz fand, quittiert sie mit einem vielsagendem
Lächeln. „Irgendwie.“
Auch ihre backende Brigade ist ein „Familien-und-Freunde-Team“:
Da ist ihre Schwiegermutter Marita Reuter (s. Seite 15, o. li.), ihr
Schwager Federico Pomodoro, einige Tage zuvor noch als Installateur
zu Gange (s. Seite 15, o. re.), Gabi Bräunig, Freundin seit früheren
Manufactum-Zeiten und Karen Pollicardo, Bäckerin und mindestens
im Status einer guten Bekannten.
Alles, was diese Truppe aus dem Ofen holt – ob Apfel-Sauerrahmoder
Käse-Mohn-Torte, Blech- oder Rührkuchen, Johannis- oder
Orangentaler, Florentiner oder Engadiner oder die legendäre Wolkentorte
– ist Ergebnis meisterlicher Handwerksarbeit, ganz ohne den
üblichen Deko-Kitsch, dafür aber mit unendlich viel Geschmack.
A la bonne heure!
Mein Favorit übrigens ist Annette Zellers schon erwähnte Kreuzberger
Eierschecke nach einem Uralt-Rezept von Tante Karin aus dem
sächsischen Freiberg. „Die Eierschecke ist eine Kuchensorte, die
zum Schaden der Menschheit auf dem Rest des Globus unbekannt
geblieben ist“, lobte einst Erich Kästner die Spezialität. Wie recht der
Dichter hatte!
14
Annette Zeller Titel •
15
• Titel Annette Zeller
Backstubeneröffnung am 30. April 2021: Blumen für die Chefin…
Es ist Freitag, der 30. April 2021. Die abstandshaltende und
maskentragende Menschenschlange vor Annette Zellers neuer
Markthallenbäckerei ist an diesem Tag länger als die am Kumpelund-Keule-Stand,
und das will was heißen. Die Gratulationscour der
Frau-Zeller-Fangemeinde. Einige haben Blumensträuße dabei, andere
Sektflaschen. Wer es bisher nur ahnte, jetzt weiß er es: Annette Zeller
ist in den zehn Jahren ihres Da-Seins zu einer Markthallen-Institution
gewachsen, zur festen und zuverlässigen Größe an einem in Berlin
einmaligen Einkaufs-, Begegnungs- und Erlebnisort, der weder etwas
mit Gentrifizierung noch dessen Besuch etwas mit Geldbörsendicke
zu tun hat – aber das nur am Rande und nur deshalb, weil die Debatte
um den Auszug einer in der Halle beheimateten Aldi-Filiale schon
groteske Züge angenommen hatte. Und zwar so grotesk, dass einige
Aldi-Anhänger sogar eine Trauerkundgebung organisierten, auf der
die „Halle für alle“ symbolisch beerdigt wurde. „Es geht nicht um Ernährung,
es geht nicht um Lebensmittel, es geht um Immobilien und
Profit“, hieß es da.
Auch die sonst eher zurückhaltende Kuchenfrau fühlte sich
angesprochen. „Ich verwende Demeter-Eier und Bio-Dinkelmehl“,
schrieb Annette Zeller in einem offenen Brief, „und Mitte des Jahres
will ich auch alle Molkereiprodukte auf bio umstellen. Deshalb die
Preise, die ich fair kalkuliere und die nichts mit Profitgier zu tun
haben, gar nichts.“
Meine Begleiterin an diesem Tag, eine Münchenerin, hatte von der
Geschichte gelesen und betrachtete deshalb die Frau-Zeller-Preisschilder
aufmerksam. Ihr Kommentar: „Wer mit zwei Euro für ein
Stück Kreuzberger Eierschecke ein Problem hat, der sollte mal unsere
Schrannenhalle besuchen und die Preise vergleichen.“
…und Freude bei ihren Mitstreitern Federico Pomodoro, Gabi Bräunig und Karen Pollicardo, v. li.
16
Annette Zeller Titel •
Glückwünsche auch für die Kuchenverkäuferinnen
Jenny Meier, Bild o. li. und Lina Sastimdur, Bild u. li.
17
• Titel
Annette Zeller
Als Michael Kasiske 1984 aus dem westfälischen Gronau (ja, jene
Lars Jäger ist diplomierter Kaufmann und Berater für Firmenkunden
bei einem international tätigen Geldinstitut. Seine Expertise zählt
allerdings nicht nur in monetären Angelegenheiten, sondern auch,
wenn es um Lebensmittel geht. Kein Wunder, denn der gebürtige
Niedersachse leitet seit elf Jahren ehrenamtlich Slow Food Berlin.
„Fast genauso lange kenne ich Frau Zeller“, sagt Lars Jäger, „und
sie hat aus mir – eigentlich eher einem Kuchenverweigerer – einen
Kuchenliebhaber gemacht.“ Die Gründe für den Sinneswandel: „Die
Geschmacksstärke ihrer Backwaren, die transparente Herkunft der
Zutaten, die unbedingte Saisonalität. Dazu reduzierte Süße und
Verzicht auf jegliches Chichi.“ Besondere Vorlieben? „Ihre obstigen
Blechkuchen und der Schwarzwälder Kirschkuchen.“
Marion Hielscher ist gebürtige Berlinerin und lebt mit ihrer
Familie in Kaulsdorf. Jeden Samstag macht sich die IT-Trainerin
auf den Weg in die Markthalle Neun. „Das Kuchenpaket, das ich
von Frau Zeller dann nach Hause trage, hat schon eine beachtliche
Dimension“, bekennt sie und fügt hinzu: „Ihre Blechkuchen
und die raffinierten Torten bestechen mit saftig-lockeren Teigen
und exzellenten Belägen.“ Marion Hielscher gehört zu den vielen
Stammkunden der Bäckermeisterin. „Mit den Jahren hat sich
sogar ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt“, sagt sie,
„etwas, das in unserer schnelllebigen Zeit immer häufiger verloren
geht.“
Stadt, aus der Udo Lindenberg stammt; die beiden besuchten sogar
dieselbe Schule und hatten dieselbe Musiklehrerin) zum Studium nach
Berlin kam, bemerkte er, dass in den meisten Bäckereien guter Kuchen
Mangelware war. Vor zehn Jahren entdeckte der Architekt Frau Zeller
und blieb ihren Backwerken treu. „Samt und sonders geschmacklich
ausgereift, perfektes Handwerk ohne Schnörkel, durchdachte Angelegenheiten
eben“, sagt er und lobt besonders „die angenehme
Dichte“ der Zellerschen Kuchen- und Tortenkreationen.
„Frau Zellers Sachertorte ist die beste weltweit“, erklärt Gerlinde Zigler,
„ohne Wenn und Aber“. Die Projektkauffrau muss es wissen, schließlich
ist sie gebürtige Wienerin. „Was Kaffee und Kuchen betrifft, da
macht uns so schnell keiner was vor.“ Inzwischen lebt Gerlinde Zigler
in Kreuzberg und absolviert einmal in der Woche ihre Einkaufstour in
der Markthalle Neun. „Frau Zeller ist dabei eine feste Größe“, sagt sie
„und ohne Amaretti, Orangenrührkuchen und Topfentorte gehe ich nicht
wieder nach Hause.“
18
Annette Zeller Titel •
19
• Lokaltermin Berliner Teller
Berliner Teller
SERVIERT VON MARGAUX ARABIAN IM RESTAURANT VOLK
Zwölf Uhr mittags in der Brunnenstraße. Auf dem Gehweg zwei weiß
gedeckte Gartentische. Sommerblumen, Weingläser, Bernardaud-
Porzellan. Ein Bild, irgendwie unwirklich. Kein Wunder, es ist der erste
Tag, an dem die Berliner Gastronomen nach einem Ewig-Lockdown
wieder Plätze im Freien anbieten dürfen. Ein Glas Chablis oder gleich
großes Kino? Ich entscheide mich für beides. Das große Kino heißt
Plateau de fruits de mer: Fine de Claire und Belon-Austern, Garnelen,
Kaisergranate, Bigorneaux-Schnecken, um einen Taschenkrebs
drapiert. Autos hupen, die Tram gibt Laut, trotzdem fühle ich mich
wie auf dem Quai Gambetta in Cancale.
Jörg Teuscher
20
Berliner Teller Lokaltermin •
Typiquement français: Das VOLK in Berlin-Mitte.
In Berlin gibt es Pasta-Bars, Pho-Bars, Ramen-Bars, Sushi-Bars und
noch ein paar andere auf die Verarbeitung weniger Grundprodukte
oder die Zubereitung bestenfalls einer Handvoll Gerichte spezialisierte
Winzig-Lokalitäten. Bars eben, bar jeder Gemütlichkeit und bar jeden
Platzkomforts, schlicht und funktional. Man geht hinein, bestellt, isst,
trinkt einen Schluck und zieht – wenn die Angebote keine kulinarische
Vollkatastrophe waren – zufrieden weiter.
Ein bisschen anders war das in vorpandemischer Zeit in der Austern-
Bar VOLK, einem seltenen Hort gelebter Berliner Frankophilie. Und
deshalb auch – trotz der Enge im ebenerdigen Stübchen mit Küche –
kein kulinarischer Kommen-Essen-Gehen-Ort, schnell, schnell, schnell
und zurück an die Werkbank.
Nein, im VOLK hat man sich schon immer Zeit gelassen, Zeit
für Genuss, vorausgesetzt, man konnte einen Stuhl am einzigen
Tisch ergattern. Das soll sich nun ändern – natürlich nicht die
Genussorientierung, sondern das Platzangebot und damit auch der
Wohlfühlfaktor. Ab September wird aus dem Mini-Bistro VOLK das
Restaurant VOLK – aber dazu später mehr …
„Als wir vor zwei Jahren die Austria-Bar Minutillo übernahmen
und daraus die Oyster-Bar VOLK machten, haben wir nie und nimmer
geglaubt, dass sich das mal so entwickeln würde“, erzählt Oliver
Chesler. Der 51-Jährige stammt aus New York, ist Musiker, Komponist,
Produzent und DJ. „Electronical Music“, beantwortet er die Frage nach
der Richtung seiner Musik.
„I prefer classical music“, erwidere ich und zeige – um dem Gespräch
eine andere Richtung zu geben – auf eine Tafel, auf die Oliver
Chesler die Textzeilen eines Songs von Grover Washington aus den
1980ern geschrieben hat: „I see the crystal raindrops fall and the
beauty of it all …“ Das ist musikalisch mehr meine Zeit. Der Amerikaner
lächelt, er ist auch in der Musik der 1980er Jahre zu Hause.
Eine junge Frau kommt – T-Shirt, Vorbinder, Touchon – augenscheinlich
die Küchenchefin. Ich kann das Thema wechseln …
Küchenchefin Margaux Arabian und ihr Partner Oliver Chesler.
21
• Lokaltermin Berliner Teller
„Je m’appelle Margaux“, sagt sie und buchstabiert ihren Vornamen
dem Reporter vorsichtshalber in den Block. Irgendwer hatte
mal Margot geschrieben, und das fand sie dann doch nicht so prickelnd.
Margaux also, Margaux Arabian.
Die Standardfragen nach Kochlehre und Küchenstationen
kommentiert die 34-Jährige erstmal mit einem Lächeln, dann holt
sie ein gerahmtes Foto, darauf eine Frau mit Kochjacke und Kind.
„Maman und ich“, sagt sie.
Ihre Mutter, Ghislaine Arabian, eine der wenigen 2-Sterne-Köchinnen
Frankreichs, war dann auch ihre kulinarische Lehrerin. „Und mein Vater,
Jean-Paul Arabian.“ „Tel père, tel fils“, fügt sie lächelnd hinzu. Das
Uralt-Sprichwort vom Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, kennen
auch die Franzosen.
Sicher hätte Margaux Arabian auch in Paris Karriere machen können,
aber das Fernweh siegte. 2017 kam sie gemeinsam mit ihrem Partner
Oliver Chesler nach Berlin, 2019 eröffneten die beiden das VOLK.
22
Berliner Teller Lokaltermin •
„Berlin ist einfach großartig, in jeder Hinsicht“, so Margaux Arabian
und Oliver Chesler unisono.
Die Küchenchefin servierte superfrisches Seafood und einige
französische Kleinigkeiten, punktete mit intensiven Aromen und
kreativen Arrangements – und die Social-Media-Community jubelte.
„Super süßes französisches Restaurant“, „so viel Charakter und
Charme“, „very good fresh French food“, „un petit coin de paradis“ …
Ein besonderes Lob gab es immer wieder auch für die kleine,
feine frankophile Weinofferte, für die neben Bras de Fer in Nantes
das Berliner Viniculture-Team verantwortlich zeichnet. Ja, das VOLK
hat metropolen Stil und eine sympathische Atmosphäre und – nomen
est omen – volkstümliche Preise.
Das soll natürlich auch in Zukunft so bleiben, alles andere wird sich
allerdings ändern. Margaux Arabian und Oliver Chesler haben – vom
Erfolg ermutigt – Großes vor, im wahrsten Wortsinn. Aus dem winzigen
Bistro soll ein stattliches Restaurant werden.
23
• Lokaltermin Berliner Teller
Stararchitekt und -designer Sam Chermayeff…
Passende Räume dafür haben sie im Nachbarhaus gefunden, und ein
bestens geeigneter Architekt ist auch schon am Werk.
Sam Chermayeff, New Yorker wie Oliver Chesler und ein guter Freund
des Musikers, führt beim Umbau der Räumlichkeiten und bei der Einrichtung
des neuen VOLK die Feder. Der Architekt und Designer ist
eine Größe in seiner Branche. Chermayeff arbeitete immerhin für das
Tokioter Architekturbüro SANAA, war Kurator der Venedig Biennale
und lehrte am Dessauer Bauhaus Institut und der New Yorker Columbia
Universität – 08 / 15 ist da nicht zu erwarten …
RESTAURANT VOLK
Das neue VOLK soll im September 2021 eröffnen.
Brunnenstraße 182
10119 Berlin-Mitte
Tel. 0173 – 686 38 83
www.volkmitte.de
…und sein Berliner Team.
24
Advertorial •
TRINKWASSER.
GANZ KLAR FÜR BERLIN.
Ganz klar für Berlin: Frisches Trinkwasser gibt es rund um die Uhr
direkt aus dem Hahn. Dafür sorgen die Berliner Wasserbetriebe mit
ihren Beschäftigten, ihrem Know-how und innovativen Ideen für die
Zukunft – 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche.
Berliner Trinkwasser ist ein Naturprodukt: Grundwasser plus ein
wenig Luft und Sand gegen das Eisen und fertig. Keine Chemie,
keine aufwändige Aufbereitung, viele Brunnen an vielen Orten,
umfassende Vorsorge, konsequente Kontrolle und immenser Aufwand
beim Abwasserrecycling sorgen für einen einwandfreien
Wasserkreislauf.
24 Prozent der Berliner Fläche sind Wasserschutzgebiete. Grüne
Orte, entspannte Plätze. Dort beginnt die Qualitätsvorsorge bis tief
in den Boden. Schon vor den Brunnen der Wasserwerke haben wir
das Grundwasser im Blick. Und behalten es fest im Auge, bis es aus
Hähnen und Duschen sprudelt. Kontinuierliche Analysen und Messfühler
sichern die Qualität bis zum Hausanschluss.
Damit das alles weiter so gut funktioniert, ist uns die Reinigung von
Schmutz- und Regenwasser genauso wichtig. Denn der Ablauf der
Klärwerke füllt Spree und Havel und damit letztlich auch das Grundwasser.
Deshalb bauen wir die Kläranlagen derzeit noch weiter aus.
Motto: Gewässer gut = Trinkwasser bestens.
Und weil das gute Berliner Trinkwasser nicht nur von Warentestern
und Gourmets, sondern auch von vielen anderen Berliner Bürgern hoch
gelobt wird, bringen wir es sichtbarer in die Stadt und zu den Leuten:
Mit Trinkbrunnen auf Straßen und Plätzen und mit Wasserspendern
in Schulen, Unternehmen und Behörden. Hundert neue Trinkbrunnen
haben wir in den letzten zwei Jahren zu den bestehenden 50 gestellt,
und an 450 Wasserspendern für alle Grundschulen arbeiten
wir gerade.
Und wenn Sie ganz genau wissen wollen, was in unserem Berliner
Trinkwasser steckt, dann erfahren Sie hier mehr:
www.berlinerwasser.de
Schneiden Sie die Hälfte einer Ananas in kleine Würfel. Geben
Sie nun eine kleine Menge frischen Ingwer zusammen
mit der Ananas in eine mit Wasser gefüllte Karaffe. Bevor
Sie genießen, lassen Sie alles etwas eine Stunde ziehen.
Schneiden Sie einen Pfirsich in Scheiben und legen Sie ihn
etwa
geschmacklich
alles Sie Lassen Karaffe.
Wasser
gefüllte
das Sie
Wasser
Runden
in eine mit
ziehen. Minuten 10
mit ein paar Spritzern Zitrone und einigen Minzblättern ab.
25
• Lokaltermin Trattoria Paparazzi
LA QUARTA VOLTA
DORIS BURNELEITS VIERTER STREICH
VON JÖRG TEUSCHER
26
Trattoria Paparazzi Lokaltermin •
Ende Mai 2019 trafen wir uns für die Wie-Geht’s-eigentlich? -Rubrik
dieses Magazins mit Doris Burneleit, drei Monate nach der Schließung
ihrer Trattoria Paparazzi in Prenzlauer Berg. Am 17. Februar 2019
hatte sie dort zum letzten Mal ihre legendären Malfatti in Salbeibutter
serviert, dann blieb der Herd des Kultlokales kalt. „Und nun?“, fragten
wir die stadtbekannte Gastronomin damals, „Rückzug ins kanadische
Ferienhaus oder Neustart an anderer Stelle?“ Ihre Antwort kam prompt:
„Auf jeden Fall wird es weitergehen, schon wegen meiner Mitarbeiter
und meiner Tochter Nicole, die Mit-Geschäftsführerin unseres Unternehmens
ist.“
Wir bleiben in Kontakt. Doris Burneleit informierte immer mal
wieder über ihre Suche nach gastrogeeigneten Räumlichkeiten
und hauptstädtische Üblichkeiten: „200.000 Euro Ablöse und 30
bis 45 Euro Quadratmetermiete sind eher die Regel als die Ausnahme.“
Im November 2019 dann die Mail: „Endlich. Ein Ort ist in der
engeren Auswahl.“
Am 13. März 2020 eröffnete sie ihre neue Trattoria Paparazzi. Nicht
in Mitte oder Prenzlauer Berg, wovon sie geträumt hatte, sondern in
Friedrichshain. Lehmbruckstraße, Oberbaumcity. Früher eine Mietshausgegend,
grau und freudlos, heute ein aufstrebendes Areal, Heimat
junger Kreativer und gestandener Businessmenschen, die für ihren
Job keine Charlottenburger Nobeladresse brauchen. Die bekamen
nun ihren „Italiener“ um die Ecke, auch wenn der erstmal nur Pizza
und Pasta to go offerieren durfte – drei Tage nach der Eröffnung
musste Doris Burneleit ihren Feelgood-Laden wieder schließen. Am
16. März 2020 war die „Senatsverordnung über Maßnahmen zur Eindämmung
der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2“
in Kraft getreten.
Sie überstand die Lockdown-Tristesse, und als sie gut ein Jahr
später wieder Gäste empfangen und Essen auf Tellern servieren durfte,
gehörten wir zu den ersten, die auf der Bürgersteig-Terrasse Platz
nahmen, Malfatti bestellten und Nozze d’Oro tranken.
27
• Lokaltermin Trattoria Paparazzi
Koch Marco Becker.
Köchin Anke Richter.
Sie hat Zeit, sich zu uns zu setzen, Tochter Nicole und ihre Küchenprofis
Anke und Marco rocken den Laden locker. Erinnerungen an ein
Gastronomen-Leben, das ein gutes Buch füllen würde.
Doris Burneleit, die aus Lutherstadt Eisleben stammende Küchenund
Servicemeisterin, die 1987 mit der Chuzpe eines Wilhelm Voigt
als Hauptfrau von Köpenick dort das italienische (! ) Restaurant
Fioretto eröffnete. Doris Burneleit, die nach dem Mauerfall zum Liebling
der Medien avancierte und zur bekanntesten DDR-Frau nach
Katharina Witt. Die 1990 vom FEINSCHMECKER zur Aufsteigerin
des Jahres gewählt wurde und ein Jahr später vom Gault&Millau
zur Restaurateurin des Jahres. Doris Burneleit, die 1992 den Sprung
aus dem verschlafenen Spindlersfeld / Ost ins quicklebendige
Charlottenburg / West wagte, dort das Fioretto by Carmers eröffnete
und scheiterte. Die Bösartigkeiten („Italo-Ossi“) wegsteckte, nicht
aufgab, 1997 in Prenzlauer Berg ihre Trattoria Paparazzi aufzog und
22 Jahre erfolgreich betrieb.
„Ja“, lächelt sie, „die Trattoria Numero due hier ist mein vierter Streich.“
Treu geblieben ist sie sowohl ihren Mitarbeitern als auch ihrem
Konzept. Italo-Hausmannskost, handwerklich perfekt, da und dort
auf modern gepolt und immer mit jenem Kick versehen, der beim Gast
Zufriedenheit erzeugt – oder mehr. Die Ostriche gratinate, gratinierte
Speckaustern, sind zum Niederknien; die Scampi crosta, Tiefseegarnelen
im Korianderknusper, lassen einem die Ohren schlackern
und die Malfatti, Ricotta-Spinat-Nocken mit Salbeibutter, macht man
auch in der Lombardei nicht besser.
TRATTORIA PAPARAZZI
Lehmbruckstraße 9
10245 Berlin-Friedrichshain
Tel. 030 – 29 04 44 64
www.trattoria-paparazzi.de
Doris Burneleit: „Anke, Marco und ich sind schon seit 25 Jahren ein Team“.
28
Trattoria Paparazzi Lokaltermin •
29
• Lokaltermin Fleischerei Koreng
Stadtkirche St. Nikolai in Lübbenau / Spreewald.
Als sich Theodor Fontane in seiner Eigenschaft als „Wanderer durch die Mark Brandenburg“ am
6. August 1851 auf den Weg von Berlin in den Spreewald machte, war er noch auf die Nachtpost
angewiesen – Züge der Preußischen Staatsbahnen verkehrten auf dieser Strecke erst ab 1866.
Fontanes Reisekutsche benötigte für die rund 110 Kilometer damals acht Stunden – Pferdewechsel
inklusive. „Mit Tagesanbruch haben wir Lübben …erreicht und fahren nunmehr am Rande des hier
beginnenden Spreewaldes hin …Ein vom Frühlicht umglühter Kirchturm wird sichtbar und spielt eine
Weile Verstecken mit uns; aber nun haben wir ihn wirklich und fahren durch einen hochgewölbten
Torweg in Lübbenau, der Spreewald-Hauptstadt, ein.“
Zu dieser Zeit war die 3.000 Einwohner zählende Ackerbürgerstadt auch das wirtschaftliche
Zentrum des Spreewaldes. „Die Spreewaldprodukte haben in Lübbenau ihren vorzüglichsten Stapelplatz“,
notierte Fontane, „und gehen erst von hier aus in die Welt.“ Er nannte Kürbis, Meerrettich,
Sellerie und natürlich die schon damals berühmte Gurke und hielt fest, „dass seitens eines einzigen
Händlers 800 Schock pro Woche verkauft wurden“ – also 48.000 Stück.
Nach einem schmutzigen Intermezzo als Kraftwerksstadt der DDR-Zeit setzt Lübbenau heute auf
den Tourismus – mit einigem Erfolg. Das einladende „Tor zum Spreewald“ ist seit 1998„Staatlich
anerkannter Erholungsort“. Keine Frage, Lübbenau ist eine Reise wert.
30
Fleischerei Koreng Lokaltermin •
Familie
Koreng
Grützwurst & Co.
140 JAHRE SPREEWALDFLEISCHEREI KORENG
VON JÖRG TEUSCHER
Wer zu spät kommt, den bestraft das
Leben, sagt man seit Gorbatschow 1989.
Nun wollen wir den politischen Kontext des
Satzes nicht bagatellisieren, aber was ist
mit dem, der zu früh dran ist? Er vergeudet
entweder kostbare Zeit oder aber – wie in
unserem Fall – er lernt Menschen kennen,
deren Geschichte spannend genug für eine
Garçon-Story ist.
Folgendes war geschehen: Eine Interview-
Verabredung in Lübbenau, ein viel zu früher
Zug – zwischen Ankunft in der Spreewaldstadt
und vereinbartem Gesprächster min
lagen noch gut zwei Stunden. Auf dem
Bahnhofsvorplatz ein einsames Taxi, dessen
Fahrer dem Wunsch nach einer
Stadtrundfahrt mit Geschäftssinn und Auskunftsfreude
entsprach. Spreewaldmuseum,
Spreewaldhafen, Spreewaldbahn, der gute
Mann kannte sich aus. Die Frage nach
kulinarisch Bemerkenswertem allerdings
brachte ihn aus dem Takt.
„Alle Restaurants und Cafés sind geschlossen,
die Inzidenz liegt bei 160“, sagte
er, überlegte und hatte plötzlich eine Idee:
„Die älteste Fleischerei weit und breit,
interessiert Sie das?“ Und ob. So kam es,
dass wir Mitte April 2021 Sylvia Koreng und
ihre Familie kennenlernten. Die 40-Jährige ist
Fleischermeisterin in fünfter Generation und
Inhaberin eines Handwerksbetriebes, der seit
140 Jahren in Familienbesitz ist.
31
• Lokaltermin Fleischerei Koreng
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Fleischerei Koreng Lokaltermin •
Fleischermeisterin Sylvia Koreng.
Sylvia Koreng ist stolz auf so viel Tradition. Im Laden hängen die
Meisterbriefe von fünf Koreng-Generationen, es gibt eine Familienchronik,
und einige Ponderabilien früherer Fleischerarbeit stehen
sogar im Lübbenauer Museum.
„Gründer des Betriebes war mein Ururgroßvater August Wilhelm
Koreng, im gleichen Haus, Anfang Mai 1881“, erzählt Sylvia Koreng,
„ihm folgten 1910 mein Urgroßvater Karl Richard Koreng und 1945
mein Großvater Oskar Wilhelm Koreng. Weil der einem Dolmetscher
der Sowjetarmee bei dessen Flucht in die Berliner Westsektoren half,
wurde er 1948 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, in die Sowjetunion
deportiert, nach fünf Jahren Straflager aber wieder entlassen.“
Sylvia Koreng, Jahrgang 1981, kennt diese Geschichten nur aus
Erzählungen. „Auch was dann folgte, die Verstaatlichung des Betriebes
1952, die Zeit als HO-Fleischerei, die Probleme mit der DDR-Zuteilungswirtschaft,
weiß ich natürlich nur vom Hörensagen. Wenn Sie darüber
mehr erfahren wollen, müssen Sie meinen Vater fragen.“
Der, Friedrich Wilhelm Koreng, Fleischermeister und Ingenieur für
Fleischverarbeitung, wurde 1977 Betriebsteilleiter im eigenen Haus
und arbeitete bis 1990 unter Aufsicht staatlicher Stellen. „Sogar die
Rezepturen wurden vorgegeben“, erinnert er sich, „wir bekamen zeitweise
im Monat nur fünf Kilogramm Majoran, mehr gab’s nicht.“
1990 reprivatisierte Friedrich Wilhelm Koreng die Traditionsfleischerei,
der alte Schriftzug kam wieder über das Schaufenster.
„Aber das war nur eine Äußerlichkeit“, so Altmeister Koreng, „die Unsicherheit
der Behörden, der Investitionsstau, alte Maschinen, fehlende
Computer“, das waren die wirklichen Probleme, die uns schlaflose
Nächte bereiteten. Hätten wir keine Hilfe aus dem Westen bekommen,
etwa von den Inhabern des Fleischreibedarf-Großhandels Josef
Schwan in Heilbronn, wir hätten es wahrscheinlich nicht geschafft.“
Nach einem Intermezzo ihres Bruders Andreas als Mit-Inhaber an
der Seite seines Vaters – Andreas Koreng zog 2011 dann nach Dresden
– übernahm Anfang Januar 2012 Sylvia Koreng die Fleischerei.
33
• Lokaltermin Fleischerei Koreng
Fleischermeister Sven Wieder.
Glückliche Fügung: Sven Wieder, der Mann an Ihrer Seite, ist ebenfalls
Fleischermeister. „Wir haben uns 2008 auf der Meisterschule in Cottbus
kennengelernt“, so Sylvia Koreng, die zuvor im elterlichen Betrieb
Fleischfachverkäuferin gelernt hatte, ein Jahr lang in Amerika unterwegs
war und sich an der Hochschule Wildau an einem BWL-Studium
versuchte. „Das war mir aber zu dröge“ sagt sie, „also bin ich zurück
nach Lübbenau und konnte mit einer Ausnahmeregelung der Handwerkskammer
die Meisterschule absolvieren.“ Der Rest: siehe oben.
Sven Wieder, 44, ist Brandenburger (Sylvia Koreng: „Das hat gepasst.“)
und stammt ebenfalls aus einer Fleischerdynastie („Das
erst recht.“). Er lädt uns zum Wurstmachen ein, drei Uhr morgens,
Lübbenau. Wir einigen uns schließlich auf vier Uhr und tatsächlich –
als wir ankommen, ist der Zwei-Meter-Mann mit den wachen Augen
schon ziemlich lange mit seinen wurstigen Spezialitäten beschäftigt.
Die Nummer eins in den Spreewald-Charts ist zweifellos die Grützwurst.
„Es gibt sie sowohl frisch als auch kaltgeräuchert“, erklärt
34
Fleischerei Koreng Lokaltermin •
der Meister, „und das Format ist ebenfalls verschieden – dick, um
Scheiben zum Braten abzuschneiden oder dünn zum Warmmachen
oder Kaltessen.“
Schweineblut, Schweineschwarten, Gerstengrütze, reichlich
Thüringer Majoran, ein Hauch Spreewälder Thymian (auf die Herkunft
der Kräuter legt Wieder besonderen Wert) und eine hauseigene
Würzmischung, in der Pfeffer und Piment die Hauptrollen spielen,
das sind die Zutaten des regionalen Kultproduktes. Die Frische ist ihr
wichtigstes Qualitätsmerkmal. „Seit August Wilhelm Koreng, dem Ururgroßvater
meiner Frau, hat sich daran nichts geändert“, so Sven Wieder.
Auch seine Leberwurst fertigt der Fleischermeister nach einem
Traditionsrezept von 1881. Dazu kommen neue, eigene Kreationen –
beispielsweise die Gurkenbockwurst mit gewürfelter Gewürzgurke oder
die Meerrettichknacker mit zwölf Prozent frisch geriebenem Meerrettich,
auch Lamm- und Rindsbratwürste sowie Coppa und Pastrami
hat er schon gemacht. „Am Ball bleiben“, nennt der Meister das.
35
• Lokaltermin Fleischerei Koreng
„Eine Wurst soll von Umglänztheit blitzen; die Haut muss das Fleisch
stramm umsitzen.“ Das Zitat stammt von Martin Walser und es passt
perfekt zu den Korengschen Offerten in der Ladentheke.
Dazu gibt es ein kleines, spreewaldtypisches Feinkostangebot,
einen täglich frisch gekochten Mittagstisch und jede Menge Service:
den Party- und Lieferservice, einen deutschlandweiten Wurstversand
und neuerdings sogar zwei Wurstautomaten auf Campingplätzen
in Lübben und Lübbenau. „Sie müssen sich diese Dinger wie große
Kühlschränke mit vielen Fächern vorstellen, die wir mit vakuumierten
Bock- oder Bratwürsten bestücken“, so Sylvia Koreng, „die sich aber
nur lohnen, wenn auch die Touristen kommen.“ „Und im letzten Jahr
war da eher Ebbe“, fügt Sven Wieder hinzu.
Möglicherweise auch deshalb reagieren die beiden Fleischermeister
ziemlich zurückhaltend, wenn es um die Zukunft ihres Betriebes geht,
der 2014 im FEINSCHMECKER-Ranking „Die besten Metzger Deutschlands“
immerhin Landessieger in Brandenburg wurde.
Doch solcher Ruhm hält eben nicht ewig. „Früher hatte Lübbenau
sage und schreibe mal sieben Fleischereien“, resümiert Sylvia Koreng,
„inzwischen sind wir der letzte noch selbst produzierende Betrieb.
Dafür gibt es sechs Supermärkte, mit deren industrieller Massenware
wir preislich natürlich nicht mithalten können, obwohl wir schon
knapp kalkulieren.“
Und so weiß die Inhaberin der Traditionsfleischerei heute auch
noch nicht, was sie ihren beiden Söhnen – Adrian ist sechs, Tristan
anderthalb – einmal raten wird, wenn es um deren Berufswahl geht...
SPREEWALDFLEISCHEREI KORENG
Ehm-Welk-Straße 3
03222 Lübbenau / Spreewald
Tel. 03542 – 27 15
www.spreewaldfleischerei.de
Fachverkäuferinnen Janine Leuschner und Manuela Nowka, v. li.
36
Fleischerei Koreng Lokaltermin •
Jahre
37
• Lokaltermin Fleischerei Koreng
Jubiläums-Gratulanten: Lübbenaus Bürgermeister Helmut Wenzel…
…und Innungsobermeister Frank Gerber aus Cottbus.
In präpandemischer Zeit galt „Normalität“ als verpönt, unsere
distinktionssüchtige Gesellschaft forderte permanent die Abkehr
vom Gewohnten. Doch dann kam Corona und aus der faden Spießervokabel
wurde ein ultimatives Sehnsuchtswort. „Das Virus macht
normales Verhalten zu einem Risiko“, formulierte Kanzlerin Angela
Merkel in ihrer Neujahrsansprache 2021. Die Menschen wünschten
sich ein „gutes normales Jahr“, und die meistgestellte Frage dieser
Zeit lautet: Wann wird endlich wieder alles normal?
Auch Sylvia Koreng bedient sich in diesem Baukasten. „Normalerweise“,
sinniert sie, „hätten wir ein Hoffest gefeiert, eine Jubiläumsparty
mit Freunden, Kunden, Nachbarn und Kollegen.“
Doch was ist schon normal an diesem 3. Mai 2021? „140 Jahre
Koreng. Ein Jubiläum, aber leider keine Feier“, schreibt die Fleischermeisterin
an ihre Schaufensterscheibe, bevor sie den Laden öffnet.
Zwei offizielle Gratulanten kommen dennoch. „Das ist doch normal“,
erklärt Lübbenaus Bürgermeister Helmut Wenzel.
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ECHTE KLIMAFREUNDE
Fleischerei Koreng Lokaltermin •
Es gibt sie, klimafreundliche
Schnellkühler & Schockfroster,
die mit dem natürlichen
Kältemittel R290 jeden Tag
Höchstleistungen vollbringen.
MultiFresh® Next mit 6 – 26 Einschüben
Gemäß F-Gas-Verordnung 517/2014 dürfen herkömmliche Kältemittel, wie R452A nicht mehr
hergestellt werden. Wenn beim Gerät Kältemittel nachgefüllt werden muss, erfolgt dies mit teurem,
recyceltem Material. Vorsicht Kostenfalle. Besser gleich in zukunftsfähige Technologie mit möglichst
kleinem, ökologischem Fußabdruck investieren. Der neue MultiFresh® Next ist ein solches. Obendrein
gibt es staatliche Förderprogramme, die den Geldbeutel entlasten.
Hohe Beladungskapazität
Wie aber lässt sich die Leistungsfähigkeit eines Gerätes messen? Entscheidend für die effiziente
Abkühlung von garheißen Speisen ist die maximale Beladungskapazität, die der Schnellkühler pro
Zyklus in der normgerechten Zeit von maximal 90 Minuten abkühlen kann. Je größer die maximale
Beladungsmenge, desto leistungsstärer ist das Gerät. Andernfalls ist die anteilige Beladung pro Einschub
sehr schnell überschritten und der Schnellkühler geht förmlich in die Knie. Bei der Konfiguration des
Schnellkühlers sollten man also auf die maximale Beladungsmenge in kg achten und nicht nur auf die
Anzahl der Einschübe.
Rollierende Beschickung
Ferner ist zu bedenken, dass die Abkühlzeiten der meisten Lebensmittel bis zu 5 x länger sind als
die jeweilige Garzeit. Um einen Stau vor dem Schnellkühler zu vermeiden, bedarf es Geräte mit
entsprechender Kapazität. Ein Musterbeispiel für hohe Effizienz ist der MultiFresh® Next LL, der 95 kg pro
Zyklus auf 26 Einschüben GN 1/1-65 abkühlen kann. Fertige Garchargen können rollieren, d.h. bei bereits
laufendem Kühlzyklus einfach nachgeschoben werden. Er wird nicht unterbrochen und die Speisen frieren
nicht an, da die Innenraumtemperatur beim Schnellkühlen im niedrigen Plusbereich gehalten wird.
Leistungskriterien, wie das rollierende Nachschieben oder die Beladungskapazität sind wichtig, weil
sie die Produktivität in der Küche enorm steigern. Lassen Sie sich unverbindlich beraten. IRINOX ist
spezialisiert auf Lösungen, die es ermöglichen produktiver und stressfreier zu arbeiten.
Irinox SpA
irinox.deutsch@irinox.com | Österreich +49 172 759 77 91 | Deutschland +49 151 641 021 73
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• Garçon-Gespräch Spreewald kulinarisch
Was macht den Spreewälder stark?
Kneedelen, Leinöl und Quark.
Was schmeckt am zur Sonntagsruh?
Kaffee und Plinze dazu.
Was werd er immer lieben?
Grützwurscht und große Grieben.
Was gibt am Mut und Zorn?
Alter Cottbuser Korn.
Was klärt den Kopp bei Mann und Frau?
Saure Gurken aus Lübbenau.
40
Spreewald kulinarisch Garçon-Gespräch •
Melanie Kossatz ist waschechte Spreewälderin – geboren und
aufgewachsen in Lübben. Nach dem Abitur verließ sie die Heimat
und studierte an der Hochschule Braunschweig-Wolfenbüttel
Tourismuswirtschaft, Abschluss als Diplom-Kauffrau. Es folgten
Beratungstätigkeiten in Consulting- und Marketingfirmen in Dresden
und Berlin sowie die Arbeit als Referentin beim Deutschen Industrieund
Handelskammertag, ebenfalls in Berlin. 2016 folgte sie einem
Ruf aus ihrer Heimatstadt und übernahm die Geschäftsführung des
Spreewaldvereins e. V. mit Sitz in Lübben.
Man sagte uns, in Ihrem Verein schlage das kulinarische Herz des
Spreewaldes und nun gibt es hier nur ein paar normale Büros.
Was haben Sie denn erwartet? Eine Großküche?
Zumindest ein Kochstudio, einen Kochbuchverkauf, so was.
Da muss ich Sie enttäuschen.
Und womit können Sie mich erfreuen?
Vielleicht damit, dass ich Ihnen sage, dass wir dem Spreewald ein
kulinarisches Gesicht geben.
Und wie tun Sie das?
Das Arsenal unserer Mittel ist vielfältig. Zum Beispiel sind wir Inhaber
der regionalen Dachmarke Spreewald, das ist ein Gütesiegel, mit dem
wir regionale Produkte und Dienstleistungen sowohl der Land- und
Ernährungswirtschaft, aber auch des Handwerks, des Handels und
der Tourismuswirtschaft zertifizieren.
Welche Bedingungen müssen Produkte oder Dienstleistungen erfüllen,
damit Sie ihnen dieses Gütesiegel zuerkennen können?
Sie müssen im so genannten Wirtschaftsraum Spreewald, der nicht
nur das UNESCO-Biospährengebiet umfasst, sondern ein ganzes
Stück darüber hinaus reicht, angebaut, verarbeitet, erzeugt oder – im
Falle von Dienstleistungen – angeboten werden. Sie müssen hohen
Qualitätsstandards genügen und sie müssen natürlich typisch für
unsere Region sein.
Haben Sie ein kulinarisches Beispiel parat?
Nicht nur eins, aber am bekanntesten ist sicher die Spreewälder Gurke,
die inzwischen auf rund 600 Hektar kultiviert wird – das sind übrigens
80 Hektar mehr als im Vorjahr – und deren Ernte am 24. Juni begonnen
hat und bis in den September andauern wird.
Und diese Spreewald-Berühmtheit braucht noch ein Gütesiegel?
Richtig. Sowohl das von der EU 1999 verliehene g. g. A. -Prädikat, also
die geschützte geografische Angabe, als auch unser Spreewald-Gütesiegel
garantieren, dass es sich dort, wo Spreewälder Gurke drauf
steht, auch wirklich um Spreewälder Gurke handelt.
Das ist wirklich so immens wichtig?
Keine Frage. Die Spreewälder Gurke ist sowohl Imageprodukt und
Sympathieträger als auch ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor für
unsere Region. Und gewissermaßen auch eine Werbeikone. Das
gilt übrigens genauso für den Spreewälder Meerrettich. Gestatten
Sie mir in diesem Zusammenhang noch einen Gedanken. Indem
wir uns um den Schutz und die Sicherung der Qualitätsstandards
dieser Produkte kümmern, stärken wir die ländliche Wirtschaft
und den Tourismus – sozusagen als unsere übergeordnete Aufgabe.
Oder, um auf den Anfang unseres Gespräches zurückzukommen,
indem wir dem Spreewald ein kulinarisches Gesicht geben,
tragen wir dazu bei, den Prozess der ländlichen Entwicklung und
damit der Lebensverhältnisse der Menschen in unserer Region
voranzubringen.
Eigentlich ist das ein gutes Schlusswort, aber zwei direkte Essenund-Trinken-Fragen
hätte ich dann doch noch.
Bitte.
Erstens – welches kulinarische Potenzial hat denn die viel gerühmte
Spreewaldgurke – außer, dass sie knackig und ziemlich einzigartig
im Geschmack ist?
Wir haben gemeinsam mit 18 bekannten Spreewälder Küchenchefinnen
und Küchenchefs eine umfangreiche Sammlung mit
Gurkenrezepten veröffentlicht, die Ihre Frage sicher beantwortet.
Weil ich die Rezepte jetzt nicht alle aufzählen kann, empfehle ich
Ihnen diese Lektüre. Ich wette, Sie werden staunen. Soviel dazu –
und Ihre zweite Frage?
Stellen Sie sich vor, Frau Kossatz, Sie wollen Freunden, denen
die Spreewaldküche völlig fremd ist, ein regionaltypisches Menü
servieren. Was käme auf die Teller?
Wow, geben Sie mir eine Minute zum Überlegen … Also: Zuerst eine
Spreewälder Senfgurkensuppe. Als Hauptgang würde ich Ochsenbäckchen
mit Meerrettichsauce servieren und als Dessert Eierplinse,
angerichtet mit Zucker und Zimt. Ach ja, und dazu würde ich eine
Spreewälder Gurkenbowle nach einem Rezept von Peter Franke einschenken.
Zufrieden?
Voll und ganz und vielen Dank für das Gespräch.
41
• Geschmackssachen NIHON MONO – Shiitake
Potsdamer Straße 91
10785 Berlin-Tiergarten
Tel. 0172 – 204 05 50
www.nihon-mono.shop
Die gebürtige Niedersächsin Dagmar Maas studierte Betriebswirtschaftslehre
und startete ihre berufliche Karriere als
Unternehmensberaterin. Während sie tagsüber internationale
Teams coachte, drückte die genussfreudige Managerin abends
selbst die Schulbank des Wine and Spirit Education Trusts (WSET).
2011 ging sie mit ihrer Familie nach Japan und begann, sich
das weite Feld der japanischen Kulinarik zu erschließen. In Tokio
besuchte sie die renommierte Kochschule von Elizabeth Andoh und
war als Assistentin der weltweit bekannten Kochbuchautorin tätig.
Zudem absolvierte sie eine Lehre zur Sake-Sommelière und wurde
danach vom WSET als Sake-Ausbilderin zertifiziert.
Nach der Rückkehr der Familie nach Berlin machte die Mutter
dreier Töchter ihre kulinarischen Kenntnisse zum Beruf. Dagmar
Maas eröffnete in der Potsdamer Straße die japanische Genusswerkstatt
Nihon Mono nebst kleinem Feinkosthandel. Für GarÇon
schreibt sie regelmäßig über das kulinarische Japan.
42
NIHON MONO – Shiitake Geschmackssachen •
S
H
I
I
T
A
K
E
Kyushu (auf der Karte unten dunkler) ist die südlichste und – was ihre
Größe betrifft – die Nummer drei unter den vier Hauptinseln Japans,
vergleichbar etwa mit der Fläche Baden-Württembergs.
Obwohl Kyushu nicht zum Programm der meisten Japan-Touristen
gehört, hat die Insel viel zu bieten, sowohl kulturell und kulinarisch
als auch was ihre Natur betrifft. Da sind einerseits die pulsierenden
Großstädte Fukuoka, Kagoshima, Kumamoto, Miyazaki und Nagasaki –
andererseits gibt es weite Strände, stille Wälder und ausgedehnte
Vulkanlandschaften, die allein schon mehr als eine Reise wert sind.
Natürlich kommen hier auch Feinschmecker auf ihre Kosten. Zu den
bekanntesten Kyushu-Delikatessen zählen Basashi (Pferde-Sashimi),
Jikumushi Pusin (im Onsen-Wasserbad gegarter Pudding) und Karashi
Renkon (mit Senf gefüllte Lotuswurzel).
Eine gewisse Berühmtheit erlangten Shochu – das inzwischen
weltweit bekannte Destillat vorwiegend aus Süßkartoffeln – sowie
die in den Wäldern von Kyushu kultivierten Shiitake.
43
• Geschmackssachen NIHON MONO – Shiitake
Pilzkönig Kazuhide Sugimoto.
Sie zählen zum Besten, was es in dieser kulinarischen Kategorie gibt –
Geschmack, Textur, Umami sind einsame Spitze, und das ist noch
längst nicht alles.
Nur noch selten wachsen Shiitake so wie bei Kazuhide Sugimoto,
seinem Bruder und ihren Mitstreitern – mitten im Wald. In Japan sind
es immerhin noch etwa neun Prozent, ihr Anteil am weltweiten Anbau,
der im wesentlichen in China stattfindet, ist nur noch eine marginale
Größe. Zu aufwändig die Pflege, zu langsam das natürliche Wachstum,
zu gering die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen.
Knapp zwei Jahre braucht es, bis Shiitake-Pilze in ihrem natürlichen
Lebensraum die volle Größe und das perfekte Aroma
entwickeln. Im Gewächshaus dauert das Ganze lediglich um die 12
Wochen. Die Aromatik ist dann zwar weniger ausgeprägt, aber auch
hier ist Zeit eben Geld und bei den Mengen, die der Markt braucht,
sehr viel Geld.
Dennoch: Die qualitativ besten Shiitake wachsen im Freien – in den
Wäldern von Kyushu, der südlichsten der vier japanischen Hauptinseln
(s. Karte S. 43) – mit großen Temperaturunterschieden zwischen Tag
und Nacht und der vollen Bandbreite der Elemente, denen die Pilze
dort ausgesetzt sind. Aber genau darauf bauen Sugimoto und seine
Kollegen, die in Japan „Nabashi“ heißen und deren Sorgfalt im Umgang
mit den sensiblen Shiitake sprichwörtlich ist.
Traditionell werden die Pilze auf abgelagerten Holzstämmen der
Kunugi-Eiche kultiviert. Penibel und mit dem Blick auf unbedingte
Getrocknete Shiitake-Pilze sind in der Küche so etwas wie das Ass
im Ärmel. Kein Zauberer am Herd, dessen Kunstfertigkeit nicht
noch durch die letzte Prise Raffinesse aus dem Wald profitieren
würde. Was sich so anhört, als wäre es ein Highend-Superfood von
morgen, ist in Wahrheit nur ein behutsam in Empfang genommenes
Geschenk der Natur.
Beim Trocknen der unscheinbaren braunen Pilze multipliziert
sich das ihnen innewohnende Guanosin, ein Umami-Bestandteil,
der jedem Gericht eine extra Portion Geschmack verleiht. Guanosin
kommt in allen getrockneten Pilzen vor, etwa in Steinpilzen oder
Morcheln, jedoch keine andere Art ist damit so reich gesegnet
wie Shiitake.
Ein Rückblick, der gefühlt wie eine Ewigkeit wirkt. Dabei ist es
gerade mal zwei Jahre her, dass Kazuhide Sugimoto mit seinem
Shiitake-Hut auf dem Kopf und einem Elektroroller unter den Füßen
durch Berlin brauste. In kürzester Zeit wurde er damals zum beliebten
Fotomotiv und als Mr. Shiitake zum Publikumsmagnet der Berlin Food
Week 2019.
Als wir uns verabschiedeten, fügte er seinem „Sayōnara“ hinzu,
dass er sicher sei, bald wiederzukommen. Sein gewinnendes Lächeln
war Beweis genug, dass er meinte, was er sagte. Keine freundliche
Floskel. Dann kam Corona und nicht nur Kazuhide Sugimotos Reisepläne
liegen seitdem auf Eis. Immerhin – Mr. Shiitake ließ seine
Pilze in Berlin.
44
NIHON MONO – Shiitake Geschmackssachen •
Nachhaltigkeit wird darauf geachtet, dass der Wald sich selbst erneuern
kann. Keiner der Nabashis würde auf die Idee kommen, sich
die Lebensgrundlage zu zerstören.
Der Anbau ist körperlich herausfordernd. Weit gefehlt die Annahme,
dass diese Baumstämme nach dem Aufbringen der
Pilzsporen sich selbst überlassen bleiben. Sie werden regelmäßig
inspiziert, von Hand gewendet und mit einem Hammer beklopft,
um ein gleichmäßiges Wachstum zu fördern. Kein Dünger, keine
Schädlingsbekämpfung.
Der Lohn dafür sind Pilze mit herausragendem Geschmack, aber
auch mit einer Textur, die in einer künstlichen Gewächshaus-Umgebung
unerreichbar bleibt.
Ein guter Shiitake-Bauer kennt seinen Wald und seine Pilze aus dem
Effeff. Insbesondere kurz vor den Erntezeiten im Frühjahr und Herbst
schaut er bis zu drei Mal am Tag zu seinem „Hodaba“ – so heißt der
Ort im Wald, an dem er seine Baumstämme akkurat platziert hat. Der
perfekte Zeitpunkt ist binnen weniger Stunden verstrichen und so
kann es auch schon mal passieren, dass ein vierter, nächtlicher Weg
in den Wald unternommen wird.
Traditionelle Shiitake-Bauern wie die Brüder Sugimoto ernten ihre
Pilze ausschließlich von Hand. In die Sammelkörbe kommt nur die
Menge an Pilzen, die direkt getrocknet werden kann, da der Geschmack
nach der Ernte schnell abnimmt. Zeit spielt dann auch in dem aufwändigen
Trocknungsprozess, den Kazuhide Sugimoto entwickelt
Shiitake-Freiluftanbau in den Wäldern von Kyushi.
hat, eine wichtige Rolle. Ebenso Temperatur, Menge und Dauer der
einwirkenden UV-Strahlen. Nur wenn alle Faktoren stimmen, wird
aus den Pilzen ein Umami-Powerhaus mit außergewöhnlich hohem
Vitamin-D-Gehalt.
Besonders spannend ist das für die vegetarische und vegane
Küche. Nicht umsonst sind Shiitake Eckpfeiler der japanische
Tempelküche – Shojin Ryori genannt – die mit ihrer Hilfe pflanzliche
Geschmackserlebnisse der Extraklasse kreiert.
Ihre Verwendung beschränkt sich aber weder auf die japanische
Küche noch auf vegetarische oder vegane Speisen. Ihr kulinarischer
Karrierepfad zieht sich mittlerweile durch alle Länderküchen. Eine
Prise Shiitake-Pulver oder ein Schuss Shiitake-Dashi geben sowohl
einer Bolognese, BBQ-Sauce oder Aïoli als auch anderen Saucen,
Suppen, Tapenaden und Terrinen den letzten Kick.
Wichtig dabei ist jedoch, dass die Pilze unbehandelt sind. Weil man
ihnen dies aber nicht ansehen kann, ist der Kauf Vertrauenssache.
Wir bei Nihon Mono kennen nicht nur Kazuhide Sugimoto, sondern
auch etliche andere Shiitake-Bauern persönlich, besuchen Sie, wann
immer es geht, überzeugen uns vor Ort von der hohen Qualität ihrer
Produkte und kaufen ausschließlich bei ihnen ein.
Bei den Pilzen von „Mr. Shiitake“ kann man übrigens nicht nur das
Wasser zum Einweichen bedenkenlos benutzen – man würde sogar
auf viel Genuss verzichten, wenn man es nicht täte und das wäre
schon fast frevelhaft.
45
• Geschmackssachen Magic Fermentation
Marcel Kruse
35 Jahre
stammt aus Mecklenburg
Eventmanager, Fotograf,
Raw-Chef, Paleo-Coach
lebt in Berlin
Geru Pulsinger
44 Jahre
stammt aus Kärnten
Optiker, Koch, Ernährungs- und
Körpertherapeut
lebt in Graz
FERMENT IM TREND
VON NINJA-KIMCHI BIS WASSER-KEFIR
Die Fermentations-Freaks jubeln. Immer neue Titel über die Kunst des
kontrollierten Vergammelns füllen die Regale und feiern den jüngsten
Trend in den Hipsterküchen des 21. Jahrhunderts: Fermentation
von Heiko Antoniewicz, Fermentieren von Kirsten und Christopher
Shockey, Das Große Buch der Fermentation von Antonia Kögl, Die
Kunst des Fermentierens von Sandor Katz. Sogar der berühmte Noma-
Gründer René Redzepi und sein Fermentations-Lab-Guru David Zilber
sahen den Markt und bereicherten ihn mit dem Noma-Handbuch
Fermentation.
Und nun: Magic Fermentation von Marcel Kruse und Geru Pulsinger
und natürlich die Frage – braucht die Welt das auch noch? Wir sagen
ja, und um es gleich am Anfang zu schreiben, dieser 300-Seiten-Wälzer
macht von der ersten Seite an so viel Spaß, dass man sofort beginnen
möchte, eine Essigmutter zu züchten, Pink-Chi herzustellen oder
Torshi Seer anzusetzen …
Das liegt wohl einerseits daran, dass Kruse und Pulsinger erfahrene
Fermentatoren sind und zudem weit gereist und dass sie
sich andererseits – im Gegensatz zu mancher Ratzfatz-Printe – Zeit
für ihr Buch nahmen.
Hinzu kommt, dass die beiden Autoren mit dem Innsbrucker Löwenzahn
Verlag einen Partner an der Seite hatten, der ex usu weiß, wie
man kulinarische Themen be- und abhandelt. Nur am Rande: Ähnliches
schrieb ich schon vor zwölf Jahren über das Esterházy-Kochbuch aus
dem gleichen Verlag – für mich noch heute eines der inspirierendsten
österreichischen Kochbücher.
Ebenso kenntnisreich und sorgfältig zubereitet ist nun auch der Titel
Magic Fermentation. Der Band lässt keine Wünsche offen – außer,
dass mein Lieblingsrezept nicht die Gnade der Aufnahme fand (nach
Art der japanischen Umeboshi fermentierte unreife Aprikosen, für die
ich bei jedem Grillabend Beifall bekomme).
Sein Inhalt ist eine Fundgrube für das Thema „Fermentieren“, mit
viel Liebe zum Detail gestaltet und hervorragend rezeptiert. Überhaupt
die Rezepte: Alle Zubereitungen sind verständlich beschrieben, die
Einzel-Steps geben klare Umsetzungshilfen, die Zutatenangaben erscheinen
exakt und die Gerichte sind mit überschaubarem Aufwand
herzustellen. Kurz gefasst nennt man die Summe all dessen wohl
hoher Gebrauchswert.
Hinzu kommen die Ninja-Tipps. Die beiden Fermentations-Kämpfer
Marcel Kruse und Geru Pulsinger geben mit diesen Tipps wichtige
Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrer eigenen Fermentationspraxis
preis – beispielsweise, dass man bei der Herstellung von Oi-Sobagi
(Kimchi-Gurke) anstelle der Fischsauce des Originalrezepts getrost
Sojasauce benutzen kann oder, dass sich beim Ansetzen von
Wasserkefir mineralstoffarmes Wasser mit Hilfe von Backpulver oder
einiger zerkleinerter Eierschalen remineralisieren lässt. Und allein
dafür gehört Magic Fermentation in jede Küche.
Jörg Teuscher
Magic Fermentation
Fermentation, bis die Gläser überschwappen
Löwenzahn Verlag Innsbruck
www.loewenzahn.at
1. Auflage 2021
29,90 Euro
ISBN 978-3-7066-2686-6
46
Buchweizen Geschmackssachen •
Starkes
PORTRÄT EINER FAST VERGESSENEN KULTURPFLANZE
VON JÖRG TEUSCHER
47
• Geschmackssachen Buchweizen
Buchweizen, hierzulande sowohl auf Feldern als auch in Läden und
Lokalen eine herba incognita, gehört anderswo zu den kulinarischen
Selbstverständlichkeiten.
Zum Beispiel Frankreich. Kreuzritter brachten die Körner, die sie
ihrer dunklen Farbe wegen Sarrasin nannten, einst mit ins Land. Vor
allem die bretonischen Bauern waren begeistert, weil sie selbst auf
den kargen Böden im Innern der Bretagne gediehen und ihnen gute
Ernten bescherten. Aus dem Mehl wurden auf heißen Steinen – den
Jalets – Fladen gebacken, die, nach jenen Backsteinen benannt, bald
weit über die Bretagne hinaus bekannt wurden.
In Paris beispielsweise sind seit einigen Jahren die so genannten
BILIG-Mobile unterwegs, flinke, elektrobetriebene Dreiräder, ausgerüstet
mit einer Crêpes-Platte und einem Kühlschrank, die an vielen
Ecken Galettes anbieten – Buchweizenpfannkuchen mit Spiegelei,
Schinken und Käse, mit Gemüse, manchmal sogar mit Fisch (s. Bilder
auf dieser Seite). Streetfood à la française.
Eine feste Größe ist Buchweizen (Soba) auch in der japanischen Küche.
Rund eine Million Tonnen werden jährlich konsumiert, fast ausschließlich
in Form von Nudeln. Berühmt ist auch der Soba-Tscha, Tee aus
gerösteten Buchweizenkörnern, mild und leicht nussig im Geschmack.
Übrigens: Die Japaner stellen aus getrockneten Buchweizenblättern
ein staubfeines Pulver her, dass verwendet wird, um etwa Nudeln und
Speiseeis grün zu färben.
In Europa sind neben Frankreich auch Österreich, Slowenien
und die Schweiz besonders buchweizenaffin. Im Schweizer Kanton
Graubünden etwa gibt es Pizzocheri, einen traditionellen Eintopf
aus Gemüse und Buchweizenspätzle; in Slowenien wird Potiza gebacken,
ein Nusskuchen mit Buchweizen und in Österreich gehört
der Jauntaler Hadn (Hadn = Buchweizen) sogar zu den besonders
geförderten Produkten, die einer ganzen Gegend im Süden Kärntens
das Attribut „Genussregion“ bescherten. Die dort gebackene Hadntorte
gehört zu den besten Spezialitäten der Kärntner Küche.
48
Buchweizen Geschmackssachen •
49
• Geschmackssachen Buchweizen
Prof. Dr. Friedrich Longin, Jahrgang 1978, wurde in Backnang
im Rems-Murr-Kreis geboren und studierte an der Universität
Hohenheim Agrarbiologie mit den Schwerpunkten Pflanzenzüchtung
und Biotechnologie. Dem Diplom schloss sich die Promotion in einem
deutsch-chinesischen Graduiertenkolleg der Universität Hohenheim
und der China Agricultural University in Peking mit einem Thema
über optimierte Zuchtverfahren bei Mais an.
2009 folgte er dem Ruf der Limagrain Europe und arbeitete als
Maiszüchter in Frankreich und Spanien. 2010 kehrte er nach Baden-
Württemberg zurück, übernahm die Leitung der Arbeitsgruppe
Weizen an der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim
und habilitierte sich 2016 mit einer Arbeit über Pflanzenzüchtung.
2019 wurde er zum außerplanmäßigen Professor berufen. Einer
der Schwerpunkte seiner Arbeit liegt auf dem Erhalt weitgehend in
Vergessenheit geratener Kulturpflanzen und der Förderung ihres
Wiederanbaus – u. a. des Buchweizens.
Ihre große Liebe gilt dem Buchweizen, Herr Professor Longin …
Sorry, wenn ich Sie gleich unterbreche, aber Ihre Formulierung beziehe
ich doch zuerst auf meine Familie und meine Hobbies – ich liebe
zum Beispiel ausgedehnte Wanderungen, Fahrradtouren und das
Trompeten- und Tubaspiel in meinem Musikverein.
Und wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zum Buchweizen?
Nennen Sie es eine noch junge wissenschaftliche Beziehung.
Was ist denn das Außergewöhnliche an dieser Getreideart?
Erstmal, dass Buchweizen kein Getreide ist, sondern zur Familie der
Knöterichgewächse zählt. Das heißt, er ist weder mit dem Weizen,
aber auch nicht mit der Buche verwandt, sondern beispielsweise mit
dem Rhabarber und dem Sauerampfer.
Der einigermaßen irreführende Name leitet sich übrigens von der Form
der Frucht des Buchweizens ab, die ungeschält wie eine Buchecker aussieht
und nach dem Schälen einem Weizenkorn ähnelt. Das beschreibt
auch der botanische Name des Buchweizens – Fagopyrum – gebildet
aus dem lateinischen Wort, fagus’ für Buche und dem griechischen,
pyrus’ für Weizen.
Nun beschäftigen Sie sich sicher nicht wegen seiner eigenwilligen
Etymologie mit dem Buchweizen.
Nein, natürlich nicht. Buchweizen ist eine uralte Kulturpflanze, die
ursprünglich aus den Steppen hochgelegener Gebirgsländer in
Zentral- und Ostasien stammt und dort schon Jahrtausende v. Chr.
angebaut wurde.
Bis zum zweiten Weltkrieg war der Buchweizen auch in Mittel- und
Norddeutschland verbreitet, mit der Intensivierung des Ackerbaus
jedoch verschwand er immer mehr und ist heute auf deutschen Feldern
eine absolute Rarität.
Und das wollen Sie ändern …
Letztlich entscheidet der Landwirt welche Kulturen er anbaut, und er
Verarbeitungs- und Geschmackstest…
…mit 18 Buchweizensorten an der Universität Hohenheim.
50
Buchweizen Geschmackssachen •
baut eigentlich nur das an, womit er Geld verdienen kann – also, was
er gut verkauft bekommt. Insofern entscheiden hier eher der Einzelhandel
bzw. wir als Verbraucher. Als Wissenschaftler versuche ich, die
Re-Etablierung zu unterstützen mit – meiner Meinung nach – guten
Argumenten für den Buchweizen.
Zum Beispiel?
Buchweizen gilt als ernährungsphysiologisch äußerst wertvoll –
sowohl was die Menge als auch die Zusammensetzung von Proteinen,
Stärke, Fettsäuren, Vitaminen, Mineralstoffen sowie sekundären
Inhaltsstoffen angeht. Zudem ist er für die glutenfreie Ernährung
extrem wichtig.
Und wie steht es um den Geschmack?
Signifikante sensorische Untersuchungen gibt es bisher nicht, aber das
hartnäckige Vorurteil, Buchweizen schmecke fad oder muffig, konnten
die kulinarischen Experten, die wir zu Geschmackstests eingeladen
haben, nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil – sein Geschmack ist eher
aromatisch und fein nussig.
Welche weiteren Argumente sprechen für den Buchweizen?
Im Anbau zum Beispiel ist er relativ anspruchslos. Die Pflanze braucht
kaum Dünger, wächst sogar noch auf sandigen Böden und stellt somit
eine attraktive Sommerfrucht für den extensiven Anbau unter den
Bedingungen des Klimawandels dar.
Zudem ist der Buchweizen durch seine lange Blühzeit eine wichtige
Nektarquelle für viele Insekten zu einer Zeit, in der auf den Wiesen,
Feldern und in den Wäldern sonst nicht mehr viel blüht.
Gibt es auch Nachteile?
Die Erträge sind mit rund 25 Dezitonnen pro Hektar im Vergleich etwa
nur ein Drittel so hoch wie bei Sommergetreide. Deshalb arbeiten wir
an einem alternativen Anbausystem, das vorsieht, den Buchweizen als
Zweitkultur etwa nach Grünroggen oder einer frühreifenden Kartoffel
erst Mitte Juni auszusäen. Wenn dann eine rechtzeitige Reife im Herbst
vor der Wintersaat gesichert wäre, würde sich der Buchweizenanbau
trotz der geringen Erträge auch für den Landwirt eher lohnen.
Ein Problem ist auch die Verfügbarkeit von entsprechendem Saatgut,
ein weiteres von Mühlen, die in der Lage sind, Buchweizen zu
schälen, und weiterhin bedarf es attraktiver Verarbeitungsideen sowie
deren Kommunikation, um dem Verbraucher den Buchweizen-Konsum
schmackhaft zu machen.
Deshalb plädieren wir zum Beispiel für ein heimisches Buchweizenzuchtprogramm,
in das wir uns entsprechend einbringen könnten,
wenn Fördermittel dafür zur Verfügung stehen würden.
Was sollte denn die Aufgabe eines solchen Programms sein?
Der Name sagt es. Es müsste gelingen, wenige heimische Buchweizensorten
zu züchten, damit interessierte Landwirte sich nicht damit
herumschlagen müssen, Saatgut etwa aus Russland zu beschaffen.
Außerdem müsste es gelingen, stabile Wertschöpfungsketten vom
Züchter über den Landwirt, den Schälmüller bis zum Hersteller von Buchweizenprodukten
und dem Lebensmittelhandel zu schaffen und deren
langfristige Zusammenarbeit zu etablieren. Dass so etwas funktionieren
kann, haben wir in den letzten Jahren an der Universität Hohenheim etwa
bei Einkorn, Emmer und Dinkel ja eindrücklich bewiesen.
Es bleibt also noch viel zu tun, um den Buchweizen aus seiner vergessenen
Nische wieder ans Licht zu holen.
Keine Frage, aber ich bin mir sicher, dass sich jede Anstrengung dafür
lohnt. Eben auch, weil solche alternativen Kulturpflanzen einen großen
Beitrag für eine vielfältige Landwirtschaft und einen intensiven Naturschutz
leisten können.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Longin.
51
• Geschmackssachen Buchweizen
Inhaber Friedrich v. Gilsa und Mitarbeiterin Danielle Mancini.
Als Freda und Friedrich v. Gilsa Ende September 2014 Berlins erste
glutenfreie Bäckerei eröffneten, wussten sie über das Backen mit
Buchweizen nicht viel. Klar war ihnen und ihrem Bäckermeister
Guido Tauer damals nur, dass die Verarbeitung des Pseudogetreides
eine backtechnische Herausforderung darstellt. „Natürlich betraf
das nicht nur den Buchweizen, auch Hirse oder Teff waren für uns
bäckerisches Neuland“, so der 37-jährige diplomierte Landwirt Friedrich
v. Gilsa.
Sie eroberten es und ihre Jute-Bäckerei gilt heute als angesagte
Berliner Adresse, wenn es um glutenfreie Backwaren geht, die
geschmacklich höchste Ansprüche erfüllen. Dazu gehören auch eine
ganze Reihe von Buchweizenprodukten.
Das Bio-Buchweizenbrot „Max“ beispielsweise enthält 19 Prozent
Buchweizenvollkornmehl und 19 Prozent Buchweizenkerne und überzeugt
durch sein intensiv-nussiges Aroma, eine ausgebackene Krume
und die dunkel glänzende Kruste.
Auch das zuckerfreie Bio-Brot „Wilhelm“ mit einem 23-prozentigen Anteil
an Buchweizenvollkornmehl ist ein echtes Charakterbrot, herzhaft
und saftig (s. Bilder unten). „Unser Ciabatta und unsere Bagel werden
übrigens ebenfalls mit Buchweizenmehl gebacken“, ergänzt Friedrich
v. Gilsa die Aufzählung.
Nicht besonders glücklich ist er darüber, dass er Buchweizenmehl
aus dem Ausland kaufen muss, weil der Anbau der uralten Kulturpflanze
hierzulande kaum der Rede wert ist. „Dabei ist Buchweizen für eine
nachhaltige Landwirtschaft durchaus attraktiv.“
JUTE BÄCKEREI
Schönhauser Allee 52a
10437 Berlin-Prenzlauer Berg
Tel. 0172 – 938 09 42
www.jute-baeckerei.de
52
Buchweizen Geschmackssachen •
Es wäre angebracht gewesen, im Titel dieses Buches den Artikel fett
zu drucken: DAS BUCHWEIZENBUCH. Der Grund liegt auf der Hand.
Es gibt – zumindest im deutschsprachigen Raum – kein zweites Werk,
das derart umfassend über Fagopyrum esculentum und Fagopyrum
tataricum, die beiden Arten des glutenfreien Pseudogetreides aus der
Familie der Knöterichgewächse, informiert.
Bemerkenswert ist außerdem, dass hinter dem 259-Seiten-
Band zwar renommierte Autoren stecken (etwa Prof. Dr. Ivan Kreft,
Buchweizenforscher an der Universität Ljubljana und Mitglied der
Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste), als
Herausgeber allerdings kein bekannter Verlag fungiert, sondern
die wirtschaftliche Interessenvereinigung Islek ohne Grenzen mit
Sitz im luxemburgischen Weiswampach.(Der Islek übrigens ist eine
grenzüberschreitende Landschaft im Dreiländereck Belgien-Deutschland-Luxemburg
und eine der wenigen Regionen Europas, in der noch
großflächig Buchweizen kultiviert wird sowie mehrere Buchweizenmühlen
in Betrieb sind.)
DAS BUCHWEIZENbuch ist Sach-, Lehr- und Kochbuch zugleich.
Neben Kapiteln über Anbau und Verarbeitung von Buchweizen, enthält
es auch 70 Rezepte aus immerhin 15 Ländern.
Das Buchweizenbuch
Islek ohne Grenzen EWIV
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ISBN 978-2-9599967-1-9
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• Geschmackssachen Anaïs Causse empfehlt…
Anaïs Causse, 42, ist gebürtige Berlinerin. Nach dem Abitur an der
Goethe-Oberschule in Steglitz studierte sie Arabistik und Islamwissenschaften,
merkte aber zunehmend, dass das nicht ihr Ding ist.
Sie verabschiedete sich von der Freien Universität und einer möglichen
akademischen Laufbahn, heuerte bei Feinkost-Lindner an und
absolvierte eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie.
2003 stieg sie in das Feinkostgeschäft ihres Vaters ein. 2014
folgte ihre jüngere Schwester Noémie und übernahm den Onlineshop,
aus „Maître Philippe“ wurde „Maître Philippe & Filles“ – ein
Spezialitätenhandel, der beste Beziehungen vor allem nach Frankreich
pflegt und kulinarisch wie atmosphärisch zu den ersten
Adressen der Branche in Berlin zählt.
Für Garçon schreibt Anaïs Causse regelmäßig über ihre exquisiten
Spezereien und deren Produzenten.
www.maitrephilippe.de
CERISES MI-CUITES,
S‘IL VOUS PLAÎT
VON ANAÏS CAUSSE
Sommerzeit ist Kirschenzeit! Die Freude, die ich empfinde, wenn ich
beim Obsthändler die ersten Kirschen aus der Region sehe, kann ich
kaum in Worte fassen. Leider geht – zumindest für mich – diese Zeit
viel zu schnell vorüber.
Was also tun, wenn die Saison vorbei ist und man unbedingt einen
Clafouti aux cerises backen möchte? Ich hätte da einen heißen Tipp:
Les cerises mi-cuites, die halbgetrockneten Kirschen aus dem Hause
Peyrey im Dordogne-Dörfchen Maurens, rund 15 Autominuten oberhalb
von Bergerac.
Peyrey ist ein Familienbetrieb, der seit 1988 Trockenfrüchte
herstellt – wobei der Begriff eigentlich irreführend ist. Das, was die
Peyreys unter diesem Namen verkaufen, ist dermaßen saftig, dass es
fast wie frisch schmeckt. Seien es nun die Tomaten, die Aprikosen,
Rosinen, die berühmten Prunes d’Ente / Pruneaux d’Agen oder eben
die herrlichen Kirschen, um die es heute gehen soll.
Bei den Früchten, die von den Peyreys derzeit verarbeitet werden,
handelt es sich um Kirschen der diesjährigen Ernte und zwar um die
sogenannten Bigarreau-Kirschen, botanisch exakt prunus avium subsp.
duracinum, die in Deutschland auch als Knorpel- oder Knupperkirschen
54
Anaïs Causse empfehlt… Geschmackssachen •
Süße Früchte sind seine Welt: Der Unternehmer Marc Peyrey.
bekannt sind. Ihr Fruchtfleisch bleibt eher fest und die Süße der Früchte
wird durch eine angenehme Säure ausgeglichen.
Die im perfekten Reifestadium geernteten Kirschen werden in der
Manufaktur nach einem von Seniorchef Marc Peyrey entwickelten,
weltweit einzigartigen Verfahren verarbeitet. Es besteht darin, dem
Obst durch das Backen in speziellen Öfen genau so viel Feuchtigkeit
zu entziehen, dass es haltbar wird, ihm aber auch so viel Feuchtigkeit
wie möglich zu lassen, dass die Früchte trotz der „Trocknung“ schön
saftig und frisch schmecken. Nach dem Backen werden die Früchte
vakuumiert und pasteurisiert und bleiben natürlich frei von jeglichem
Farbstoff-, Konservierungsmittel- oder Zuckerzusatz.
Übrigens: Die Peyreys machten sich schon vor etlichen Jahren mit
einem ihrer ersten Produkte, den Pétales de Tomates (Tomaten-
„Blütenblätter“), in der französischen Spitzengastronomie einen
Namen.
Dafür werden französische Roma-Tomaten per Hand enthäutet,
sorgfältig filetiert, schonend halbgetrocknet und danach mit Gewürzen
und Kräutern in Öl eingelegt. Marc Peyreys Verfahren zur Herstellung
von Pétales de Tomates wurde sogar patentiert.
Inzwischen ist der Firmenchef pensioniert und seine Frau Isabelle,
die Töchter Lise und Tess sowie zwei Mitarbeiterinnen führen die
Manufaktur mit 100 Prozent Frauenpower!
Kirschblüte in der Dordogne in der Nähe des 1.000-Einwohner-Dörfchens Maurens.
55
• Geschmackssachen Porridge
Traditional Foods of Scotland – mindestens drei Kapitel sind unter
dieser Überschrift von besonderer Bedeutung: erstens die schottischen
Schnapsbrenner, deren Single Malt als Inbegriff für Whisky schlechthin
gilt; zweitens die schottischen Rinderzüchter und ihr Aberdeen
Angus, dessen Fleischqualität weltweit mit Superlativen bedacht
wird und drittens die schottischen Bäuerinnen, deren Erfindungsgabe
es zu verdanken ist, dass aus schlichtem Hafer ein Gericht namens
Porridge entstand.
Dabei handelt es sich um eine graue, gummiartige, weitgehend
geschmacklose Masse, die in den schottischen Highlands – ihrem
Ursprungsort – zudem noch „Brochan“ heißt. Das ist Gälisch und –
sorry – rein lautmalerisch ziemlich nah dran an „Erbrochenem“.
Den Siegeszug des Breis konnte das jedoch nicht aufhalten. Bald
aßen nicht nur schottische Bauern Porridge, sondern auch englische
Adelige. Allerdings: Während die Schotten dazu neigen, ihn mit Salz
zuzubereiten, lieben ihn die Engländer eher süß.
Die Debatte, was besser sei, füllte schon Leserbriefseiten der
„Times“ und spielt natürlich auch eine Rolle, wenn sich jedes Jahr
im Oktober Porridge-Jünger aus der halben Welt zur World Porridge
Making Championship treffen. Die Weltmeisterschaften im Haferbreikochen
finden seit 1984 in Carrbridge statt. Ein ganzes Wochenende
lang herrscht dann in dem 700-Seelen-Ort nahe Inverness Ausnahmezustand
– immerhin geht es um den Golden Spurtle, den goldenen
Rührstab – für den Gewinner eine Art Ritterschlag (s. Bilder oben).
56
Porridge Geschmackssachen •
Von wegen igitt
PORRIDGE EROBERT DEN FRÜCHSTÜCKSTISCH
VON JÖRG TEUSCHER
Was zu Schottland gehört wie Rugby und Whisky, taugte hierzulande
bestenfalls als kulinarischer Kinderschreck und galt als tödlich für die
schlanke Linie. Schon die Übersetzung sagt alles: Haferschleim. Was
so heißt, kann höchstens etwas mit Vernunft, nie und nimmer aber
etwas mit Genuss zu tun haben. Eine Meinung, die sich in Mitteleuropa
jahrzehntelang hartnäckig hielt.
Inzwischen erlebt das Gericht eine Renaissance nach der anderen,
steht regelmäßig auf vielen deutschen Frühstückstischen und wird
sogar in den Nobelherbergen des Landes serviert. Das mag einerseits
an der Erkenntnis liegen, dass Hafermehl sehr gesund ist,
kalorienarm, leicht verdaulich, voller Mineralstoffe, Proteine und
Eisen – andererseits aber wohl auch an der heutzutage liebevolleren
und sorgfältigeren Zubereitung. Dabei setzen die Porridge-Freaks vor
allem auf Pinhead Oatmeal, die relativ grob geschrotete Hafergrütze
(die allerdings schwer zu kriegen ist, es sei denn, man stellt sie mit
einer Haushaltsmühle selbst her – s. Seite 61) und kombinieren den
daraus gekochten Brei mit allem, was möglich ist, vorzugsweise mit
Obst. Es gibt Rezepte mit Birne, Rosmarin, Honig und Haselnüssen;
mit Cranberries, Sahne und Ahornsirup; mit Erdbeeren und grünem
Pfeffer; sogar mit Mascarpone und Waldpilzen.
Wem das alles zu bunt ist, dem sei der Klassiker empfohlen: in einem
gusseisernen Topf unter ständigem Rühren sorgfältig geköchelter
Haferbrei, der noch bissfest ist und, nur leicht gesalzen, seine „natural
nuttiness“, die natürliche Nussigkeit, voll entfaltet.
57
• Geschmackssachen Porridge
Leandro Burguete
Anna Schubert
Levin Siert
Porridge hat in Berlin einen Namen: Haferkater. Er steht für eine Allesrichtig-gemacht-Gründung,
der 2014 – dem Jahr des Starts – allerdings
nur ein paar Freaks Chancen einräumten.
Anna Schubert, 30, aus Baden-Württemberg; der Elsässer Leandro
Burguete, 31 und Levin Siert, 33, aus Bremen gehören zu einer
Generation, die, wenn es um gemeinsame Projekte geht, nicht lange
fackelt. Das Trio lernte sich in Berlin kennen, vermisste sein geliebtes
Porridge-Frühstück, und beschloss, etwas dagegen zu tun. „Business-
Plan und Business-Zahlen spielten erstmal keine Rolle“, so Anna
Schubert, die Romanistik und Germanistische Linguistik studiert und
einen Master in Journalistik erworben hatte, „das unternehmerische
Denken kam erst später.“
Die junge Frau und ihre beiden Geschäftspartner – Leandro
Burguete hat ein Diplom als Jurist, Levin Siert ist Musik- und Medienwissenschaftler
– übernahmen im Friedrichshainer Boxi-Kiez eine
heruntergekommene Döner-Bude, hübschten den Laden auf und eröffneten
im September 2014 ein Porridge-Bistro. Motto: Das volle
Korn im Glas.
Dafür wird Bio-Hafer mit einer hauseigenen Getreidequetsche geflockt,
leicht angeröstet, lediglich mit etwas Salz cremig gekocht und kann
dann mit diversen Toppings verfeinert werden. Fertig ist das gesunde
Frühstück oder der nahrhafte Snack zwischendurch.
Die Geschäftsidee erwies sich als Volltreffer. Blogger und Instagramer
überschlugen sich, die traditionellen Medien verfassten
Lobeshymnen, etliche Preise folgten: September 2015 – Gewinn des
mit 10.000 Euro dotierten Gastro-Gründerpreises; Mai 2016 – Ehrung
mit dem DB Accelerators, Preisgeld 25.000 Euro. Das Friedrichshainer
Mini-Bistro musste abgerissen werden, an seine Stelle traten zwei
Haferkater-Edelcafés in der Eberswalder Straße und im Bahnhof Friedrichstraße.
Das Porridge-Angebot wurde durch weitere vegetarische
Offerten ergänzt, der Kaffee (Rösterei Van Gülpen) ist einsame Spitze
und – last but not least – gilt das Nachhaltigkeits-Gebot sowohl bei
der Einrichtung als auch bei den Verpackungen. Das alles findet sich
übrigens auch an sieben weiteren Haferkater-Standorten zwischen
Bremen, Bonn und München.
www.haferkater.com
Bescheidene Anfänge: Das Haferkater-Büdchen in Berlin-Friedrichshain.
58
Porridge Geschmackssachen •
59
• Geschmackssachen Porridge
Also gut, Holy Granola. Der Porridge aus geflocktem
und mit einer kräftigen Prise Salz
lange gekochtem Hafer ist weder klumpig noch
schleimig und das Topping aus Mandel-Granola,
Kürbiskernen, Ahornsirup, Banane und Blaubeeren
gibt der Kreation eine angenehme Aromatik. Ermutigt
von so viel geschmacklicher Exzellenz,
wagen wir uns noch an den Ziegenkater. Der
Porridge wird hier aufgepeppt mit einem Frischkäse-Ziegenmilch-Mix,
Walnüssen, Thymian, Ho
nig und frischen Birnenspalten. Diese herzhafte
Variante könnte unser Favorit werden.
Die Haferkater-Dependance im Eingangsbereich
des Bahnhof Friedrichstraße ist sowohl ein
schniekes Frühstückscafé als auch ein beliebter
Allzeittreffpunkt. Zwei sympathische junge
Frauen servieren Karotten- und Zitronen-Mohn-
Kuchen, verschiedene Wraps und Salate sowie
Avocado-Tomaten- und Rote-Bete-Hummus-
Stullen. Und natürlich Porridge. Cristina Silva
Jaitner, seit drei Jahren Haferkater-Store-Frau,
erklärt die angebotenen acht Sorten. „Bärenkater
und Holy-Granola-Kater sind derzeit die
gefragtesten“, sagt sie.
60
Getreidemühlen Garçon-Gespräch •
Während der vergangenen Lockdown-Monate erhielten wir eine
Reihe von Leserzuschriften – Anfragen vor allem zur Beschaffung
von Geräten und Zutaten, zur Vorratshaltung, aber auch zu speziellen
Koch- und Backverfahren: Wo kann man Gärtöpfe bestellen? Wie
bekommt man ein erstklassiges No-Knead-Bread hin? Lohnt sich
die Anschaffung einer Getreidemühle?
Auf jeden Fall bestätigten diese Leserbitten den ohnehin vorhandenen
Trend zum Homecooking und -baking, zum Einwecken,
Fermentieren, Räuchern und Trocknen, der durch die pandemisch
erzwungenen Ausgeh- und Einkaufseinschränkungen noch mehr
an Fahrt bekam.
Wie sich dieses Phänomen auf die Geschäfte seines Unternehmens,
der Wolfgang Mock GmbH im südhessischen Otzberg,
ausgewirkt hat, darüber sprachen wir mit Paul Lebeau, 65. Der gebürtige
Amerikaner aus Decatur, Illinois, studierte in den USA und
in Frankreich Betriebswirtschaftslehre, arbeitete in verschiedenen
Ländern als Unternehmensberater, kam 1983 nach Deutschland und
2015 zu Mockmill. Seitdem ist er Mitglied der Geschäftsleitung des
mittelständischen Mühlenbauers.
MEHL SELBER MAHLEN?
Wie hat sich der Lockdown-Trend ,Selbermachen‘
auf Ihr Unternehmen ausgewirkt,
Herr Lebeau?
Durchaus erfreulich, wie bei vielen anderen
Produzenten von Küchenwerkzeugen und
-geräten in Deutschland auch. Allerdings
würde ich nicht von einem Lockdown-
Trend sprechen. Wir haben jedenfalls die
Erfahrung gemacht, dass vor allem jüngere
Leute schon lange vor der Pandemie verstärkt
in der Küche selbst Hand angelegt
haben. Die über viele Monate geschlossenen
Restaurants haben das natürlich massiv
verstärkt.
Gilt das auch für Ihre Spezialdisziplin, die
Heimbäckerei?
Absolut, der gestiegene Absatz vor allem
unserer Mockmill 100, einer klassischen
Haushaltsmühle, beweist das eindrücklich.
Wer sein Brot im heimischen Herd
backt, sollte also auch sein Mehl zu
Hause mahlen?
Viele tun es, aber so kategorisch würde ich
das nun doch nicht formulieren.
Die Haushaltsmühle Mockmill 100 ist aus leicht zu
reinigendem Arboblend, einem Werkstoff aus nachwachsenden
Rohstoffen gefertigt, das Mahlwerk
besteht aus großen Korund-Mahlsteinen (Durchmesser
9 cm). Die Motorleistung beträgt 360 Watt, der Mahlgrad
kann mittels eines Schiebereglers problemlos von
grob bis sehr fein eingestellt werden. Die Mahlleistung
etwa bei Weizen liegt in der feinsten Einstellung bei
rund 100 Gramm/Minute.
Sondern?
Wir empfehlen Menschen, die ihr Brot regelmäßig
selber backen, auch ihr Mehl selber
zu mahlen.
Weshalb?
Es gibt viele Gründe. Erstens – und das
ist zumindest meine Erfahrung als langjähriger
Heimbäcker – ist just-in-time
gemahlenes, also frisches Mehl, aromastärker
und geschmacksintensiver als
länger gelagertes, von den vielen positiven
ernährungsphysiologischen Aspekten gar
nicht zu reden. Und zweitens kann man in der
Heimbäckerei besser mit seltenen Getreidesorten
experimentieren, die meist nur als
Körner verfügbar sind – etwa die Urgetreide
Einkorn, Emmer und Kamut oder solche alten
Sorten wie Champagnerroggen, Dickkopfweizen
und Fahnenhafer. Nicht zu vergessen,
dass man mit allen unseren Mühlen auch
Mais, Reis und diverse Gewürze mahlen und
beim Backen kreativ einsetzen kann.
Vielen Dank für das informative Gespräch,
Herr Lebeau.
61
• Geschmackssachen Kostproben
Ein Wein für alle Anlässe
Kostproben
MARRENON
VIGNOBLES EN LUBERON & VENTOUX
www.marrenon.com
Sie finden unsere Weine bei Chez Bruno
Berliner Str. 31, 14169 Berlin
Tel: 030 80907804
www.chezbruno.de
Fünf Supermarkt- und Discounterketten beherrschen 90 Prozent des
Lebensmittelhandels in Deutschland. In den Regalen aromaverstärkte
Fertiglebensmittel, plastikverschweißter Billigkäse, geschmacksuniforme
Industrieware. Nicht nur, aber größtenteils.
Die verbleibende Zehn-Prozent-Nische haben engagierte Genusshandwerker,
kenntnisreiche Feinkosthändler und Onlineverkäufer mit
ihrem Gegenentwurf zur Mas senware der Lebensmittelindustrie be setzt:
manufakturell hergestellte Aufstriche; Würste, die nicht aus der Schlachtfabrik
kommen; handgefertigte Schokoladen, haus gemachte Liköre,
Konser ven ohne E-Zusätze, vieles in Bioqualität. Das meiste ist teurer als
Supermarktware gleichen Namens, aber eben auch gesünder, nachhaltiger
und geschmackvoller.
Vier Kostproben dessen, was wir neben den vielen anderen erstklassigen
Produkten in diesem Heft in den letzen Wochen sonst noch entdeckten,
probierten und als kulinarisch bemerkenswert empfanden, servieren wir
Ihnen auf der folgenden Seite.
62
FINDE DEINEN GIN
Kostproben Geschmackssachen •
Jinok Kim-Eicken und die Kimchi-Spezialisten vom
Kreuzberger Korea-Restaurant NaNum sind bekannt
für ihre vielen Varianten des koreanischen Nationalgerichts.
Zum Beispiel Gak Du Gi, Kimchi aus Rettich
und Kohlrabi, knackig, mild-säuerlich und nicht von
jener überbordenden Chilischärfe wie andere Sorten.
Geschmackliche Überraschungen kommen ins Spiel,
wenn man Gak Du Gi etwa mit gedünstetem Fisch und
weichem Reis serviert. Und eine Vitaminbombe ist
die Kreation sowieso. „Maeu masitsseoyo“, sagen die
Koreaner, „äußerst lecker.“ Wir können da nur zustimmen.
Scharf, schärfer, am schärfsten – der Superlativ gebührt
auf jeden Fall der ohne jegliche Zusatzstoffe
hergestellten Habanero-Chilisauce BEWARE aus
der Manufaktur von Marie Sharp am Fuße der Maya
Mountains im mittelamerikanischen Belize. Bereits
1999 mit dem Highest Scoville Award ausgezeichnet, ist
BEWARE tatsächlich nur was für Schärfefanatiker und
selbst denen sei geraten, tröpfchenweise zu dosieren.
Für alle übrigen Chilisaucen-Freaks gibt’s aus dem
Hause von Marie Sharp acht weitere, etwas weniger
hotte Kreationen.
91
Punkte
BAR- & SPIRITS GUIDE
Preis: 5,00 Euro / 250 ml
Restaurant NaNum, www.nanumberlin.com
Lindenstraße 90
10969 Berlin-Kreuzberg
Markthalle Neun
Berlin-Kreuzberg, Samstag, 10.00–16.00 Uhr
Preis: 6,99 Euro / 148 ml
Marie Sharp’s Germany GmbH
Summerstraße 18
82211 Herrsching am Ammersee
Tel. 08152 – 983 39 40
Online-Bestellung: www.marie-sharp.de
Die weltweit größten Anbaugebiete für Aprikosen
liegen in der Türkei, die süßesten Früchte allerdings
wachsen in Österreich. Genauer gesagt in der Wachau,
einer sonnengesegneten Bilderbuchlandschaft im
Westen Niederösterreichs. Dort heißen sie Marillen
und gelten als das Parade-Obst der Weltkulturerbe-
Region. Dementsprechend beeindruckend ist auch
das Erlebnis dieses Marillen-Fruchtaufstrichs aus dem
Hause Aufreiter in Krems, der den vollen Geschmack
der aromatischen Früchte einfängt. Kein Wunder bei
einem Fruchtanteil von 75 Prozent.
Vor nunmehr vier Jahren brachten die Berliner Lebensmitteltechnologen
Swen Straßberger und Maja Linda
Gérard (SweMa) eine Bio-Gemüsepaste auf den Markt,
die inzwischen in vielen Haushalten zum must-have
gehört. Gemüsebrühe ohne SweMa? Undenkbar. Nun
legte die erfindungsreiche Crew gleich mit einem Trio
nach – den Bio-Kraftwürzen mediterran, indisch und
orientalisch. Wie bei ihrem Klassiker beträgt der Gemüseanteil
rund 70 Prozent, hinzu kommen Steinsalz
und die jeweils passenden Gewürze. Sonst nichts. Drei
saubere Sachen!
Preis: 5,90 Euro / 220 g
Feines aus Österreich
Leonhardtstraße 11
14057 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 – 31 01 68 20
www.feinesausoesterreich.org
Preis: 11,90 Euro / 2 Gläser (je 210 g)
SweMa GbR
Flottenstraße 50–53
13407 Berlin-Reinickendorf
Tel. 0176 – 61 09 60 73
Online-Bestellung: www.swema-lebensmittel.de
63
• Kopfsalat Jenny von Düsterlho
Wir lieben Fleisch
Original regional, eigene Zerlegung, Portionierung und Produktion.
B2B-BEREICH (für den Wiederverkauf) — T (030) 344 600 7 — F (030) 390 636 80 — bestellung@gezer-fleisch.de
EINZELHANDEL (für Privatkunden) — T (030) 344 600 819 — F (030) 390 636 80 — bestellung@gezer-fleisch.de
BISTRO (für den Vor-Ort-Genuss) — T (030) 344 600 843
Gezer Fleischmanufaktur Berlin GmbH — Riedemannweg 61– 63, 13627 Berlin — www.gezer-fleisch.de
64
Jenny von Düsterlho Kopfsalat •
Die Dame vom Grill
MITTWOCHMORGEN AUF DEM MIERENDORFFPLATZ
VON JÖRG TEUSCHER
65
• Kopfsalat
Jenny von Düsterlho
Jenny von Düsterlho – „alter Adel, aber wenig Jeld“ – geboren 1964
„Eine Curry bitte.“
„Scharf oder normal?“
„Sowas dazwischen.“
„Verstehe, scharf biste schon.“
Gerne hätte ich Jenny von Düsterlho ein Berliner Original genannt, aber
das trifft es wohl nicht ganz. Erstens stammt sie aus Niedersachsen
(was eben noch anginge), aber zweitens passt sie nicht in die Reihe
der schrägen Vögel und schrulligen Typen von Kaiser Kasimir über den
Grimassenschneider Horst „Knautschke“ Ehbauer bis zur Ficken-fürden-Frieden-Mahnwächterin
Helga Goetze.
Nein, Jenny von Düsterlho ist eine Berliner Marktfrau und verkauft
Bulette, Curry & Co. Dass sie auch Seelentrösterin, Lebenshelferin
und Problemlöserin ist, gehört zu ihrem Berufsbild, ebenso wie das
Gute-Laune-Talent und das Freundlichkeits-Gen. „Eine einzige Geste
der Freundlichkeit ist eine kleine Weltverbesserung im Alltag“, auch
solche Sätze sind vor ihr zu hören.
in Hannover, kam als Kind nach Berlin. „Papa hatte einen Imbiss an
der Havelchaussee, ick habe jeholfen, det hat jeprägt.“ Dennoch eine
Ausbildung zur Datenverarbeiterin. Rückkehr in den väterlichen Imbiss,
den sie später gemeinsam mit ihrem Mann betreibt. 1999 Geburt der
Zwillinge Lisa und Lars, auf die sie wahnsinnig stolz ist. „Lisa hat
Steurfachjehilfin jelernt und studiert jetzt was mit Wirtschaft, Lars
ist Fallschirmjäger bei der Bundeswehr.“
Seit dem Tod ihres Mannes im vorigen Jahr rockt sie den Imbisswagen
alleine – dienstags und freitags auf dem Rüdesheimer,
mittwochs und samstags auf dem Mierendorffplatz.
Ein Kunde fragt nach einer Kopfschmerztablette zum Kaffee. Jenny
hat. Ein zweiter braucht ein Pflaster. Jenny hilft. „Mein Mann ist ins
Krankenhaus gekommen, Corona“, klagt eine Frau. Jenny tröstet. So
ist sie, und so sind ihre Kolleginnen. Mal warmherzig, mal kodderschnauzig,
immer aber echt. Berliner Marktfrauen eben.
66
Jenny von Düsterlho Kopfsalat •
„Was ick antworte, wenn mich eener nach meinem Beruf fragt? Naja, je
nachdem. Ick habe mal EDV jelernt, lange her, bei Zeiss Ikon in Zehlendorf,
aber eigentlich bin ick Markthändlerin und verkaufe unjesunde
Sachen. Jenau. Unjesunde Sachen, die die Leute trotzdem lieben.
Und das – janz wichtig – seit 34 Jahren.“
„Die meisten Kunden kenn ick mit Namen. Jut, manchmal verwechsle
ick wat. Zu Norbert habe ick dauernd Thomas jesagt,
aber det weeß ick jetzt. Nur den Optiker bringe ick durcheinander,
der heeßt Dietmar und ick sage jedes Mal Detlef, vielleicht weil
die Namen so normal sind. Janz bestimmt, denn bei den Mädels
vom Stand jejenüber habe ick keene Probleme, det sind Namir,
Aytül und Sevgi, det kann ick mir jut merken.“
„Na klar haben sich die Märkte in Berlin verändert, da ist janz viel perdu
jejangen. Drei, vier Imbisse jab es auf jedem Markt, also normale
Imbisse wie ick. Klara zum Beispiel, die hatte einen Drei-Meter-Stand,
wo se nur Bockwurst verkauft hat. Aber ick sage ooch, die Imbisse
kommen wieder. Berlin braucht det. Die Curry jab es schon immer,
und die Curry jeht nicht unter, det ist sicher.“
„Nee, nee, Rente, daran denke ick jetzt noch nicht, aber wenn es soweit
ist, dann will ick ooch ein Buch schreiben, wie die Busfahrerin, wissen
se, die mit dem Bestseller, die Susi Schmidt. Den Titel hab ick schon.
Meine Märkte. Bei dem Rest kannste mir ja ein bisschen helfen, hast
det doch jelernt, also det Schreiben.“
67
• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?
Wie geht’s eigentlich…?
CHRISTOPH HAUSER
Als das 3 Minutes sur Mer Ende 2011 an den
Start ging, ließen wir es erstmal links liegen –
zu budikig, zu trubelig. Und: Was sollte ein
gänzlich unbekannter Küchenchef in der Mini-
Küche eines ehemaligen Dönergrills schon
zu bieten haben?
Irgendwann landeten wir dann doch mal
in der winzigen Stube – und staunten nicht
schlecht über das kulinarische Niveau im
lockeren Ambiente.
Christoph Hauser, den jungen Chef am
Herd, bekamen wir zwar damals nicht zu Gesicht,
aber seine Gerichte straften unsere
Vorurteile. Bestens in Erinnerung: Hausers
hitverdächtige Gurken-Gin-Kutteln mit
Joghurt und Estragon.
KINDHEIT UND SCHULE
Geboren am 21. Mai 1985 in Hechingen
Aufgewachsen in Hechingen, Realschulabschluss
AUSBILDUNG
Kochlehre im Gasthof Lamm, Hechingen-Stein
BERUFLICHE STATIONEN
Hotel Falkenstein Grand Kempinski, Königstein / Taunus
Vigilius Mountain Resort, San Vigilio / Südtirol
Villa Rothschild Kempinski, Königstein / Taunus
Rutz, Berlin-Mitte
3 Minutes sur Mer, Berlin-Mitte
Herz & Niere, Berlin-Kreuzberg
HEUTE TÄTIG
Gründer und Geschäftsführer
Weck die Heimat UG, Berlin-Kreuzberg.
Zwei Jahre später, im Mai 2014, lernten wir
den damals 29-Jährigen dann persönlich
kennen. Der gebürtige Baden-Württemberger
eröffnete gemeinsam mit seinem
Landsmann Michael Köhle, ehemals Chefsommelier
im Sternerestaurant Hugos, in der
Kreuzberger Fichtestraße das „Herz & Niere˝.
Was der Name versprach, hielt Hausers
Küche: Es gab – täglich wechselnd –
Innereiengerichte, ein Novum in Berlin!
Mal Lammleber auf gelben Linsen im Süß-
Sauer-Sud, mal Nierchen in Rotweinsauce,
mal medium gebratenes Herz mit geröstetem
Blumenkohl. Für einen Teil der Gäste waren
das völlig neue, für einen anderen Teil lange
vermisste Geschmackserlebnisse.
68
Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat •
Der Rest, der seinem Innereien-Tabu treu bleiben wollte, konnte
zwischen Ostseedorsch im Bohnensud, pochiertem Hirschtafelspitz,
gebackenem Kalbskopf mit Roter Bete oder Hausers legendärem
Ochsenmaulsalat mit Radieschen und etlichen anderen Kreationen
ohne sogenannte Schlachtnebenprodukte wählen.
Der Gault & Millau moserte zwar über „die eher bodenständige
und deftige als elegante kulinarische Abstimmung“, aber genau das
empfanden viele Gäste als besonders sympathisch.
Bereits das erste Jahr, das wahrscheinlich schwierigste nach einer
Restauranteröffnung, wurde ein voller Erfolg. Dementsprechend wurde
das Einjährige gefeiert – Big Party in der Fichtestraße, auf der auch
unser Foto auf Seite 68 entstand – Christoph Hauser, links, mit seinem
Küchenchef-Kollegen Matthias Gleiß vom Restaurant VOLT. Doch bei
so viel Sonnenschein blieb es nicht. In den folgenden Jahren suchten
dreimal Einbrecher das Herz & Niere heim, 2019 stoppte ein Wasserschaden
wochenlang den Restaurantbetrieb, es folgte eine Havarie,
die zur Folge hatte, dass im Haus sämtliche Abwasserrohre erneuert
werden mussten – wieder ewig kein Geschäft.
„Das alles hat mürbe gemacht“, sagt Christoph Hauser, „umso mehr,
wenn du kaum Freizeit hast.“ Im Herbst 2020 entschloss er sich nach
langem Überlegen, das Herz & Niere zu verlassen. Er gründete die
Lebensmittelmanufaktur „Weck die Heimat“ und zog Anfang Januar
2021 in einen kulinarischen Co-Working Space in der alten Schöneberger
Malzfabrik. Als wir ihn dort im Mai besuchen, wirkt er entspannt
und ist es wohl auch. „Schön wäre es, wenn Ihr meine Mitstreiter hier
erwähnen würdet“, bittet er. Gerne doch, Christoph Hauser.
Ein Ort, drei Projekte, vier Genussarbeiter: Christoph Hauser (Weck die Heimat), Sara Gretzer
und Sophie Aschenborn (Gretzer Cooking Lounge) und Julian Ronnefeldt (The Kulcha Box), v. li.
69
• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?
Inhaber Christoph Hauser.
Normalerweise herrscht in der hallenartigen Profiküche planvolle
Betriebsamkeit, aber heute wird ausnahmsweise zwischendurch mal
angestoßen. Mit Rheingau-Riesling auf 5.000 Weck-die-Heimat-Gläser.
Aber der Reihe nach.
Die Idee, Traditionsgerichte zu kochen, einzuwecken und Leuten zu
verkaufen, die zwischen Detox Smoothies und Quinoa Bowls auch mal
Bock auf Omas Signature Dish haben, kam Christoph Hauser schon
vor sieben Jahren, noch im Herz & Niere. Er köchelte das Projekt auf
kleiner Flamme und merkte schnell, dass da mehr möglich sei. Nach
der Entscheidung, das Kreuzberger Restaurant zu verlassen, war es
dann deshalb auch keine Frage, was er tun würde – Weck die Heimat
passte in die von Ausgangs- und Einkaufseinschränkungen betroffene
Welt und natürlich auch in die Zeit.
Der umtriebige Berliner Gastronom Jonathan Kartenberg nahm
Anfang Januar 2021 die ersten Hauser-Kreationen in das Angebot
seines Online-Shops www.the-good-taste.de auf, weitere Kunden
folgten, Christoph Hauser hatte gut zu tun. Hühnerfrikassee, Königsberger
Klopse, Coq au Vin, Linsenragout, Potthast, Rahmgoulasch,
Sauerbraten, Tafelspitz und einige andere Traditionsgerichte kamen
in einer Qualität ins Glas, die über jeden Zweifel erhaben war. „Kein
Chichi, keine Geschmacksverstärker, keine Konservierungsstoffe,
kein Mist“, so annoncierte der Weck-die-Heimat-Chef seine Offerten
im Internet. Für mehr Werbung hatte Hauser keine Zeit – eine treue
Fan-Gemeinde fand sich trotzdem.
Und so verwunderte es nicht, dass der Neu-Unternehmer am
15. April 2021 das 5.000. Weck-die-Heimat-Glas ausliefern konnte –
5.000 Gläser in dreieinhalb Monaten, darauf kann man schon mal
anstoßen. Prost, Christoph, auf die nächsten 5.000!
Und vor lauter Freude über den erhofften, aber nicht erwarteten
Erfolg, startete er im Mai gleich noch eine Rabattaktion. „Vier Wochen
lang gab es alle Gläser einen Euro günstiger und zudem eine 200-Euro-
Spende und 120 Gläser gratis für die Berliner Aids-Hilfe.“
70
Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat •
Inzwischen ist Christofer Radic gekommen, Inhaber des Wild- und Weinhandels PRACHT
am S-Bahnhof Schlachtensee und – Jäger. Gemeinsam schleppen er und Hauser zwei blaue
Plastiksäcke in die Produktionsküche, darin zwei Wildschweine, die Radic erlegt hat.
Der Küchenchef wird sie noch heute zerlegen und Wildschwein-Bolognese kochen, vielleicht
auch noch einen Wildschwein-Curry-Eintopf und ein bisschen Wildschwein-Rilette. Übrig
lassen wird er von den Tieren nicht viel, denn Christoph Hauser bleibt auch bei seiner neuen
Unternehmung den alten Prinzipien treu. „From nose to tail, das galt in der Restaurantküche
und das gilt auch im Weck-Studio“, sagt er, „weshalb sollte ich meine Grundsätze ändern, nur
weil ich nicht mehr unter der Augen von Gästen koche?“
WECK DIE HEIMAT
Bessemerstraße 16
12103 Berlin-Schöneberg
Tel. 0173 – 296 26 94
www.hauser-kocht.berlin
71
• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?
Inhaberin Sara Gretzer.
Die eigentliche Hausherrin im Schöneberger Co-Working Space ist
Sara Gretzer, 46-jährige Inhaberin und Geschäftsführerin der Gretzer
Cooking Lounge, die allerdings mehr eine Baking Lounge ist.
„Just bake“, sagte sich die gelernte Krankenschwester vor nunmehr
elf Jahren, machte ihr Hobby zum neuen Beruf, gründete
eine eigene Firma und beschäftigt inzwischen sieben Mitarbeiter.
An der Spitze Sophie Aschenborn, 33-jährige Berlinerin und
Konditormeisterin.
„Wir beliefern Cafés, Bistros, Restaurants und andere Gastronomien,
die weder das Personal noch das Know-how oder die technischen
Möglichkeiten dafür haben, mit feinen Backwaren“, beschreibt Sara
Gretzer den Gegenstand ihres Geschäfts. Dabei geht es weniger um
schwere Fett- und Kohlenhydratebomben – mit Sicherheit könnte
die Gretzer-Crew auch das – sondern um kleine Köstlichkeiten aus
lockeren Teigen, leichten Cremes und frischen Früchten, zuckerreduziert
und in vielen Fällen glutenfrei oder vegan.
Meister Bernhard Lamprecht, einst der liebe Gott der Konditorenzunft,
veröffentlichte 1950 ein Buch, das für viele Konditorgenerationen zum
Standardwerk wurde: „Das Gebot der Leckerheit“. Darin proklamierte
er die Einheit von Materialschönheit, Materialeinheit und Materialgebundenheit.
Ob Sara Gretzer und Sophie Aschenborn Lamprechts
Konditoren-Bibel kennen, wissen wir nicht. Dass sie nach deren Grundsätzen
arbeiten, sieht man jedoch.
Da gibt es Aprikosen-Lavendel-Tartes, Blaubeer-Tartes, Himbeer-Pekannuss-Tartes,
Brownies und Cookies, Banana-Loaf und
Lemon-Loaf, Carrot Cake und New-York-Cheesecake, Apfel-Keks-
Torte und Erdbeer-Mascarpone-Torte, Gugelhupf und Zupfliesel und
ein gutes Dutzend weiterer Konditor-Kreationen …
„Natürlich ist dieses Angebot nicht für alle Ewigkeit festgezurrt“,
so Konditormeisterin Sophie Aschenborn, „wir entwickeln regelmäßig
auch neue Offerten, derzeit beispielsweise einen versunkenen Apfelund
einen ebensolchen Kirschkuchen.“
Konditormeisterin Sophie Aschenborn.
72
Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat •
Und dann zeigt uns die Meisterin, die ihr Handwerk übrigens in der
Berliner Traditionskonditorei Rabien gelernt hat, noch ihren – wie sie
es nennt – „Absolut-Klassiker“. Kalter Hund! Die Kalorienbombe der
Nachkriegszeit! So recht glauben können wir die Renaissance des
Oma-Backwerks aus Keks, Kokosfett, Kakao und Zucker nicht, aber
Sophie Aschenborn betont: „Nachdem der Klassiker fast in Vergessenheit
geraten war, läuft er jetzt in vielen Berliner Cafés wie geschmiert.“
Tatsächlich, elf (!) der kastenförmigen Exemplare muss Sara Gretzer
heute noch ausliefern.
GRETZER COOKING LOUNGE
Bessemerstraße 16
12103 Berlin-Schöneberg
Tel. 0178 – 663 42 81
www.cookinglounge-berlin.de
73
• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?
Inhaber Julian Ronnefeldt.
Dritter im Bunde im Co-Working Space ist Julian Ronnefeldt. Natürlich
ist der Mann auch kulinarisch unterwegs, allerdings sind Kochen,
Braten oder Backen nicht so sehr seine Sachen – Ronnefeldt produziert
Kombucha und das in einer Qualität, die viele andere Getränke gleichen
Namens locker in den Schatten stellt.
Ronnefeldt, 51 und gebürtiger Münchener, ist eigentlich Fotograf
von Beruf und war auch in dieser Branche ziemlich erfolgreich. Er lebte
elf Jahre in London, kam 2006 nach Berlin, arbeitete in einer Galerie,
war Barkeeper und Nachtschwärmer.
Während eines Indientrips entdeckte er Kombucha. „An einem
Strand im südwestindischen Bundesstaat Karnataka probierte ich
das spritzige Erfrischungsgetränk zum ersten Mal und war sofort
begeistert.“ Und zwar dermaßen, dass er beschloss, nach seiner Rückkehr
selbst Kombucha herzustellen. Vor nunmehr vier Jahren ließ
er der Idee die Tat folgen. Ronnefeldt beschäftigte sich intensiv mit
Teesorten und Fermentationsprozessen, investierte in Anlagen und
Gerätschaften, gründete The Kulcha Box und zog in die Bessemerstraße
nach Schöneberg.
Seine Manufaktur wirkt ein bisschen wie ein Mittelding zwischen
Apotheke und Chemielabor. Überall in dem weiß gekachelten, klinisch
reinen Raum stehen Rund- und Erlenmeyerkolben, Pipetten und
Büretten, Mikroskope und diverse Messgeräte. Dazu ein Mini-Reaktor
und etliche weitere edelstählerne Apparaturen.
Der Laie staunt, der Profi erklärt: „Kombucha wird aus gesüßtem
Schwarz- oder Grüntee hergestellt, der mit Hilfe eines Kombucha-Pilzes
fermentiert wird. Dieser so genannte Scoby – das Kürzel steht für
Symbiotic Culture of Bacteria and Yeast – ist eine Lebensgemeinschaft
aus Bakterien und Hefen, mit deren Hilfe ein ziemlich komplexer Umwandlungsprozess
von Zucker und Alkohol abläuft, an dessen Ende
dann eben Kombucha steht.“
Julian Ronnefeldt hat die klassische Zubereitung mit der Zeit immer
weiter verfeinert, frische Früchte und Gewürze eingesetzt, die seine
74
Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat •
Versionen des probiotischen Superdrinks so unverwechselbar machen. „Außerdem“, so der
Geschäftsführer von The Kulcha Box, „verzichten wir auf die bei industriellen Produkten übliche
Filtration. Dadurch behält unser Kombucha seine Seele.“
Was er damit meint, lässt Ronnefeldt offen. Das erfrischende Getränk war eben schon
immer geheimnisumwittert – kein Wunder bei seiner jahrtausendealten Geschichte, die bis
ins alte China zurückreicht, wo Kombucha als Mittel zur Unsterblichkeit galt. „Das ist natürlich
zu viel des Guten“, grinst der Berliner Produzent, „aber es ist eben nicht nur ein Durstlöscher.“
Er verweist auf den Vitamin-C-Gehalt des moussierenden Teegetränks, auf eine Reihe von
B-Vitaminen und antioxidativen Polyphenolen.
THE KULCHA BOX
Bessemerstraße 16
12103 Berlin-Schöneberg
Tel. 0176 – 78 11 53 32
www.thekulchaboxstore.com
75
• Kulinarische Exkursion Brandenburg
UNENDLICHER HORIZONT
ZWISCHEN ZWEI SEEN
BALSAM FÜR DIE SEELE
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76
MAREMÜRITZ – Yachthafen Resort & Spa, Am Seeufer 50, 17192 Waren (Müritz)
Fläming
Prignitz
Ruppiner Seenland
Uckermark
Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst
Liebe zu Land und Leuten mitbringen,
mindestens keine Voreingenommenheit. Er muß
den guten Willen haben, das Gute gut zu finden,
anstatt es durch krittliche Vergleiche totzumachen.
Der Reisende in der Mark muß sich
ferner mit einer feineren Art von Natur- und
Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. Es gibt
gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder
Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein.
Diese mögen zu Hause bleiben.
Dahme-Seenland
Spreewald
Unterwegs
in Brandenburg
GOTTSDORF – STRODEHNE – SCHÖNA
VON ANAÏS CAUSSE,
THORSTEN TONSKI UND JÖRG TEUSCHER
Barnimer Land
Seenland Oder-Spree
Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen
Frauen. ‚Auch die häßlichste‘ — sagt das Sprichwort
— ‚hat immer noch sieben Schönheiten!‘
Ganz so ist es mit dem Lande zwischen Oder
und Elbe; wenige Punkte sind so arm, daß sie
nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man
muß sie nur zu finden verstehen. Wer das Auge
dafür hat, der wag es und reise.
Lausitzer Seenland
Elbe-Elster-Land
Havelland
Theodor Fontane
Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Die Grafschaft Ruppin
Vorwort zur zweiten Auflage, Berlin 1864
77
• Kulinarische Exkursion Brandenburg
78
Brandenburg Kulinarische Exkursion •
Wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, sind wir Mitarbeiter
von Maître Philippe viel unterwegs: Lieferantenbesuche in
Frankreich, Foodfestivals in Italien, Weinmessen in Portugal.
Damit wir am Ende die Bretagne, das Piemont oder die Algarve
nicht besser kennen als das Havelland oder die Uckermark,
unternehmen wir auch regelmäßig Ausflüge ins Berliner Umland
und informieren uns darüber, was regionale Lebensmittelproduzenten
dort auf der Pfanne haben. Bei einem dieser Trips
in vorpandemischer Zeit entdeckte ich die Obermühle Gottsdorf,
eine uralte Wassermühle, die immer noch in Betrieb ist.
Anaïs Causse, Garçon-Autorin, Berlin
Gottsdorf, 140 Einwohner, liegt abseits der großen Straßen ein paar
Kilometer nordwestlich von Luckenwalde und ist einer von 23 (!) Ortsteilen
der Gemeinde Nuthe-Urstromtal im Brandenburger Landkreis
Teltow-Fläming. In den einschlägigen Wander- und Reiseführern findet
das Dörfchen keine Beachtung, nicht mal der aktuelle Ausflugsguide
des Tourismusverbandes Fläming 2021 / 2022 würdigt Gottsdorf auch
nur eines Wortes. Und so bleibt ein Ort unerwähnt, der genau das nicht
verdient hat – die Gottsdorfer Obermühle. Die unter Denkmalschutz
stehende Wassermühle wurde 1285 errichtet und klappert heute noch
genauso zuverlässig wie vor 736 Jahren – das dürfte zumindest im
Land Brandenburg einzigartig sein.
Zwei Generationen Müllermeister: Martin Röthel und Markus Röthel, v. li.
79
• Kulinarische Exkursion Brandenburg
Wer über die Geschichte der Wassermühle recherchiert, landet erstmal
bei den alten Griechen, die im 2. Jahrhundert v. Chr. nicht nur den Erdumfang
annähernd richtig berechneten, sondern auch auf technischem
Gebiet bahnbrechende Erfindungen machten – etwa die Drehbank
oder eben die Wassermühle.
Karl Marx zitiert in seinem Werk „Das Kapital“ in diesem Zusammenhang
den griechischen Dichter Antipatros von Sidon, der die Erfindung
der Wassermühle zum Mahlen von Getreide als „Elementarform aller
produktiven Maschinerie, als Befreierin der Sklavinnen und Herstellerin
eines goldenen Zeitalters“ feierte.
Soviel Überschwang hatte einen guten Grund. Die ersten primitiven
Wassermühlen, die noch ohne Getriebe arbeiteten, schafften dennoch
das Vierfache der Leistung der bis dahin üblichen Handmühlen, statt
zwei also acht bis zwölf Kilogramm Getreide pro Stunde.
Bis diese Nachricht die Mark Brandenburg erreichte, dauerte es
dann noch ein paar Jahrhunderte. An den rauschenden Bächen des
Landes klapperten Mühlen erst zu Zeiten der Askanier, also im 11.
und 12. Jahrhundert. Albrecht der Bär und seine Nachfolger waren
moderner Technik gegenüber aufgeschlossen und holten Siedler etwa
aus Flandern ins Land (daher auch der Name Fläming), die davon was
Obwohl die meisten Anlagen und Geräte in unserer Mühle
sozusagen den Methusalem-Stempel tragen, also wirklich
schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel haben, sind wir kein
Mühlenmuseum mit Eintritt, täglichen Öffnungszeiten, regelmäßigen
Führungen und sonstigem Pipapo, sondern ein
produzierender Betrieb. Ein technisches Denkmal ja, aber eins,
in dem täglich Getreide zu Mehl vermahlen wird.
Markus Röthel, Müllermeister
verstanden. Sie führten die Dreifelderwirtschaft und den Eisenpflug
ein und bauten die ersten Wassermühlen. Auf ihr Konto dürfte auch
die Gottsdorfer Obermühle gehen, die 1285 erstmals urkundlich erwähnt
wurde. Vieles von dem, was dann in und mit der Mühle geschah,
verliert sich allerdings im Dunkel der Geschichte.
Licht wird erst wieder im 19. Jahrhundert. Marcus Röthel, „Baujahr
71 und Müllermeister in vierter Generation“, erzählt: „Das Mühlengebäude
und das Wohnhaus daneben entstanden 1879. Im Jahr 1904
hat mein Urgroßvater das Anwesen gekauft und die Mühle betrieben,
ihm folgten mein Großvater und Anfang der 1950er mein Vater.“
Martin Röthel, inzwischen 85 und seit über sechzig Jahren Müllermeister,
zeigt uns sein Reich, das sich über drei Etagen erstreckt.
Überall surrende Transmissionen, die dafür sorgen, dass Plansichter,
Steinausleser und Walzenstühle ihre Arbeit tun können. Faszination
der Mechanik und für den Müller die Logik seines Handwerks. Alles
hat seinen Platz und seinen Sinn, damit aus Getreide Mehl wird.
Marcus Röthel führt uns in eine Grotte hinter dem Haus. Das Wasserrad,
Durchmesser 3,60 Meter, 40 Schaufeln, Höchstleistung 10 PS.
„Das ist die Kraft, die alles schafft“, sagt er.
80
Brandenburg Kulinarische Exkursion •
81
• Kulinarische Exkursion Brandenburg
Markus Röthel und seine Töchter Melina und Miriam, v. li.
„In der Vergangenheit war es immer so, dass sich Müllersfamilien
selbst versorgen mussten, weshalb zu den meisten Mühlen stets ein
Bauernhof gehörte, auch hier in Gottsdorf“, erzählt Marcus Röthel.
Der 50-Jährige ist ein moderner Müllermeister, marketingerfahren
und kräftig in den sozialen Netzwerken unterwegs, der sicher auch
ohne Ackerbau und Viehzucht von seinem Job leben könnte. Dennoch
bleibt er der Tradition treu, allerdings auf ganz besondere Weise.
Marcus Röthel züchtet Welsh Black.
Die in Deutschland seltenen Fleischrinder stammen aus Wales und
haben sich in vielen Jahrhunderten dem rauen Klima und der kargen
Landschaft im Südwesten Großbritanniens bestens angepasst. „Anpassungsfähigkeit,
Robustheit, Langlebigkeit und bis zu zwanzig
Kälber pro Kuh“, zählt Marcus Röthel die wichtigsten Rassemerkmale
des Waliser Schwarzviehs auf. „In Sachen Fleischqualität und Futterverwertung
sind Welsh Black absolute Spitze“, fügt er hinzu.
Tatsächlich ergaben Tests, dass das Fleisch der Tiere, was seine
Zartheit (Tenderness) betrifft, das anderer Rassen – etwa Charolais,
Limousin oder Wagyu – um einiges übertrifft. Seine Marmorierung
(Marbeling) bleibt zwar erheblich hinter Wagyu-Fleisch zurück, liegt
Natürlich bin ich stolz, dass meine Töchter die Familien tradition
fortsetzen wollen. Sicher, es kann natürlich alles noch ganz
anders kommen, aber Melina spricht schon lange davon, dass
sie Landwirtin werden will, und auch Miriams Wunsch, Müllerin
zu werden, ist nicht ganz neu.
Markus Röthel, Müllermeister
aber gleichauf mit dem der meisten anderen Rassen. „Zudem ist
es reich an Omega-3-Fettsäuren, und wenn Sie noch einen Beweis
für die einmalige Fleischqualität des Welsh Black brauchen, der
legendäre Ruf des englischen Roastbeefs geht genau darauf zurück“,
so Marcus Röthel.
Umso verwunderlicher ist es, dass sich hierzulande derzeit nur
rund 130 Züchter dieser Rasse widmen – im Land Brandenburg sind
es lediglich vier, einer von ihnen eben der Gottsdorfer Müllermeister.
Seine Herde zählt 90 Tiere, die übrigens keinen Stall kennen. „Ganzjährige
extensive Weidehaltung“, nennt Röthel das. „Dafür müssen
natürlich ausreichend große Flächen naturbelassenes Grünland zur
Verfügung stehen“, ergänzt er. Bei ihm sind das etwa 100 Hektar.
Das Fleisch seiner Tiere ist natürlich bio und wird zusätzlich mit
dem Attribut „angstfrei“ offeriert. Angstfreies Fleisch? Marcus Röthel
erklärt: „Wenn ein Rind geschlachtet wird, dann soll es so sanft wie
nur möglich sterben, ohne Transport- und Schlachthofstress.“ Dafür
erhielt der passionierte Jäger die Genehmigung zum so genannten
Weideschuss. „Diese ungewöhnliche Art der Schlachtung bereitet den
Tieren am wenigsten Stress und Schmerz“, so Röthel.
www.welshblack.de
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Brandenburg Kulinarische Exkursion •
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• Kulinarische Exkursion Brandenburg
Übrigens: Auch aus Sicht der meisten Tierschützer ist der Weideschuss
die beste Methode der Schlachtung, nicht zu vergleichen mit
dem Massenbetrieb eines Schlachthofes, wo permanenter Zeitdruck
herrscht und vor allem Freilandrinder durch ungewohnte Geräusche
und enge Gänge schnell in Panik geraten.
Natürlich liegt es auf der Hand, dass sich die stressfreie Schlachtung
auf der Weide auch auf den Fleischpreis auswirkt. Röthels Kunden
jedenfalls akzeptieren den höheren Preis klaglos. Meist kenntnisreiche
Karnivoren, wissen sie natürlich, dass die Fleischqualität zusätzlich
profitiert, wenn ein präziser Schuss die Tiere plötzlich aus dem Leben
holt und keine Stresshormone den Körper fluten.
Zweimal im Monat ist in Röthels Gottsdorfer Hofladen Fleischverkauf.
Der Meister rät, sich im Internet über die Termine zu informieren,
Fleisch online vorzubestellen und es dann zum Termin abzuholen.
Obwohl sein Welsh Black etwa in Berlin immer noch als Geheimtipp
gehandelt wird, sind einige Hauptstadt-Gastronomen schon auf den
Geschmack gekommen. So plant beispielsweise James Doppler, der
Burger-King aus der Arminiushalle („Pound & Pence“), sein Angebot
um einen Welsh-Black-Spitzenburger zu erweitern.
Neben dem Premium-Fleisch gibt es im Hofladen natürlich auch die
in der Obermühle gemahlenen Mehle – dann und wann auch seltene
Sorten wie Gelbweizen- oder Lichtkornroggenmehl. „Aber bitte sagen
Sie ihren Lesern“, so Marcus Röthel zum Abschied noch einmal mit
Nachdruck, „dass unser Hofladen wirklich nur an zwei Tagen im Monat
geöffnet ist!“
OBERMÜHLE GOTTSDORF
An der Obermühle 12
14947 Nuthe-Urstromtal OT Gottsdorf
Tel. 033732 – 40 314
www.obermuehle-gottsdorf.de
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Brandenburg Kulinarische Exkursion •
„Wir sind natürlich glücklich, dass uns – neben einigen kleinen Handwerksbäckereien
– mit der Potsdamer Bio-Bäckerei Fahland auch eine
Branchengröße seit vielen Jahren die Treue hält“, bemerkt Markus
Röthel zum Abschied, und man sieht ihm an, wie stolz er darauf ist.
Frank Fahland, Chef des angesprochenen Unternehmens in der
Landeshauptstadt, erwidert lächelnd: „Wir sind nicht nur der wichtigste
Kunde der Gottsdorfer Obermühle, sondern auch ihr größter Fan.“
Der 67-jährige Bäcker- und Konditormeister kam 1989 aus Sachsen-
Anhalt nach Brandenburg, eröffnete in Wilhelmshorst eine Bäckerei,
zog 2013 nach Potsdam-Babelsberg weiter und gehört heute mit 140
Mitarbeitern und 15 Filialen – zwei davon in Berlin – zu den größten
Bio-Bäckern der Region.
„Größe ist aber nicht das Entscheidende“, so Fahland, „letztlich
bestimmend ist die Qualität.“ Eine Aussage, die er sowohl auf seine
Bäckerei als auch auf deren Lieferanten bezogen wissen will. Also
auch auf die Obermühle.
„Wir bekommen aus Gottsdorf Roggen- und Dinkelmehl, und beide
Mehle sind schon was Besonderes“, sagt Frank Fahland, „deshalb
unterstützen wir die Röthel-Familie, wo wir können.“
Vor acht Jahren haben die Potsdamer Bio-Bäcker dem Altmeister
Martin Röthel zu Ehren sogar ein Brot kreiert, das inzwischen zum
Fahland-Standardsortiment gehört. Der runde Laib aus 94 Prozent
Dinkel- und sechs Prozent Roggenvollkornmehl – beide Mehle stammen
aus der Obermühle – trägt den Namen „Kleiner Martin“ und besticht
mit dichter Krume, knuspriger Kruste und vollmundigem Geschmack.
„Das Ergebnis einer perfekten Partnerschaft“, kommentiert Fahland-
Verkaufsleiter Christoph Schröder. Der erfahrene Manager beantwortet
schließlich auch die Frage nach dem Risiko der Zusammenarbeit einer
großen Bäckerei mit einer kleinen und zudem noch musealen Mühle.
Schröder sagt: „Wir bei Fahland haben noch nie zuerst die sichere
Seite gesucht.“
www.baeckerei-fahland.de
Fahland-Filiale in Berlin: Bleibtreustraße 38 / 39.
Filial-Chefin Yvonne Kaiser und Verkaufsleiter Christoph Schröder.
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• Kulinarische Exkursion Brandenburg
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Brandenburg Kulinarische Exkursion •
Ehrlich gesagt, Strodehne hatte ich gar nicht auf dem Schirm
als ich mich auf den Weg ins Havelland machte. Mein Ziel war
der Gollenberg in der Nähe von Stölln, wo Otto Lilienthal einst
seine legendären Flugapparate testete und am 9. August 1896
abstürzte und wo der Interflugpilot Heinz-Dieter Kallbach am
23. Oktober 1989 ein Langstreckenpassagierflugzeug vom
Typ IL-62 spektakulär landete – der Jet ist heute ein Museum,
das ich besuchen wollte. Doch dann meldete sich der kleine
Hunger, das Navi lotste mich erstmal nach Strodehne und ich
lernte den Fischer Wolgang Schröder kennen.
Thorsten Tonski, Garçon-Autor, Recklinghausen
Das Dörfchen Strodehne, 240 Einwohner, liegt im westlichen Havelland,
nahe der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Der Treckerschrauber, den
ich nach dem Weg zur Fischerei Schröder frage, ist zwar wortkarg,
seine Antwort dafür aber präzise: „Gahlberg zwo.“ Dabei weist sein
ausgestreckter Arm nach Süden. Obwohl weit und breit kein Berg zu
sehen ist, erreiche ich nach wenigen Minuten das Fischerei-Anwesen.
Neben dem Eingangstor steht ein „Kühlschrank des Vertrauens“, bestückt
mit vakuumiertem Räucherfisch und diversen Fischkonserven.
Da ich weder Messer noch Gabel dabei habe, setze ich auf das Imbissangebot
des Hofladens, der mittwochs bis samstags von 10.00 bis
16.00 Uhr und freitags sogar bis 18.00 Uhr geöffnet ist.
Fischwirtschaftsmeister Wolfgang Schröder.
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• Kulinarische Exkursion Brandenburg
Auf dem Weg über das Fischereigelände begegne ich einem hochgewachsenen
Mann mit Gummistiefeln, Schiffermütze und derbem
Sweater – keine Frage, das muss der Chef sein.
„Wolfgang Schröder“, stellt er sich vor. Auf meine Bitte um eine
Essensempfehlung reagiert er schnell: „Brassenfilet mit Kartoffelsalat
oder Brassenburger und fürs Abendessen saure Bratbrasse.“ Brasse?
„Unsere Spezialität“, sagt er. Und nicht nur das. Schröder hat Zeit und
erzählt mir die ganze Geschichte.
Der 54-Jährige, Fischer in vierter Generation, stammt aus Havelberg.
Fischerlehre 1983 bis 85, zehn Jahre später Fischwirtschaftsmeister
und seitdem beruflich auf Havel, Elbe und vor allem dem Gülper See
unterwegs. Das 570 Hektar große, allerdings nur ein bis zwei Meter
tiefe Gewässer, ist als Internationales Vogelschutzgebiet ausgewiesen
und gehört seit 2009 zur NABU-Stiftung Nationales Naturerbe. Für
Freizeitangler und Wassersportler ist der Gülper See tabu, lediglich
Berufsfischer und deren Mitarbeiter dürfen hier ihrer Profession
nachgehen.
Wolfgang Schröder: „Durch seine geringe Tiefe ist der See ein
idealer Laichplatz für viele Fischarten. Neben Zander und Hecht sind
In den meisten Fischkochbüchern kommt die Brasse überhaupt
nicht vor – und wenn doch, dann nur unter, ferner liefen’ und
mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass es sich um einen
nicht eben edlen Süßwasserfsch handelt. Dass ich nicht lache.
Fragen Sie mal Gäste, die unser gebratenes Brassenflet probiert
haben, wie die das sehen.
Wolfgang Schröder, Fischwirtschaftsmeister
Aal, Barsch, Schlei und Wels sowie Karpfen, Karausche, Plötze, Quappe
und Rotfeder im Gülper See heimisch. Und eben die Brasse.“ Schröder
nennt ihn einen „Massenfisch“, weil er 70 bis 80 Prozent seines Fangs
ausmacht. Im Jahr 2019 landeten insgesamt 32 Tonnen Brassen in
seinen Netzen. Fisch, den kaum einer wollte und der deshalb in der
Tonne landete, also beim Abdecker oder – moderner formuliert – in
einer Tierkörperbeseitigungsanlage. Für Wolfgang Schröder ein Graus,
sowohl finanziell als auch ethisch.
Früher galt die zur Familie der Karpfenfische gehörende Brasse
als sogenannter ‚Brotfisch‘ und plötzlich sollte er nichts mehr wert
sein, das verstehe wer will, sagte sich Schröder und entwickelte ein
Veredelungskonzept. Inzwischen gibt es Brassenbulette, Brassenrollmops,
Brassensülze und eben die saure Bratbrasse. Ein regionales
Produkt, nachhaltig und wertschöpfend zugleich, so wirbt die Fischerei
Schröder für ihre Kreation und hofft natürlich auf Nachahmer.
Der Meister – einmal in Fahrt – will mir unbedingt noch sein Projekt
„Erlebnisfischen auf dem Gülper See“ vorstellen. „Sie werden von uns
wasserfest ausgerüstet, können beim Zugnetzfischen mittun und
danach ein Fischmenü genießen“, bringt er sein Tourismus-Projekt
auf den Punkt. Mein Projekt heißt jetzt Hofladen und Fischereiimbiss.
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Brandenburg Kulinarische Exkursion •
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• Kulinarische Exkursion Brandenburg
Beides befindet sich in einer ehemaligen Garage. Gleich nebenan hat
Wolfgang Schröder eine stattliche Profiküche eingerichtet. Sie ist das
Reich von Sebastian Krieblin (Bild u.) und von seinem Stellvertreter
Marco Möller (Bild S. 89 Mitte). Küchenchef Krieblin stammt aus Kyritz
und stand, bevor er ins Havelland kam, in Hamburg und Florenz am
Herd, in „ziemlich angesagten Läden“, wie er sagt. Und nun Strodehne?
Die Frage ist ihm offensichtlich nicht zum ersten Mal gestellt worden,
denn die Antwort kommt prompt. „Sie mögen es als Karriereknick
ansehen, für mich ist es eine Herausforderung.“
Er spricht über die Möglichkeiten, die Brasse, Karpfen, Schlei und
Co. kulinarisch bieten und man sieht dem 34-Jährigen an, wie ernst er
es meint. „In zehn, zwölf Jahren werden viele Köche, die heute noch
ganz selbstverständlich jeden Tag Seeteufel, Steinbutt und Saint-Pierre
servieren, ziemlich blöd aus der Wäsche gucken – so wie wir bisher mit
unseren natürlichen Ressourcen umgegangen sind. Und Aquakultur hin
oder her, die Rettung für alles, was wir verbockt haben, ist das auch
nicht.“ Genauso leidenschaftlich klingt sein Plädoyer für die bessere
Nutzung heimischer Fischarten, vor allen solcher, die kulinarisch bisher
unter ferner liefen rangierten. „Wir experimentieren zum Beispiel
mit dem Karpfen“, erzählt er, „und selbst Menschen, die diesem Fisch
nichts abgewinnen können, fanden unseren Karpfenschinken, mit
Kräutern gefüllt und kalt geräuchert, ziemlich cool.“
Wir vergeben das gleiche Prädikat an das gebratene Brassenfilet
und die saure Bratbrasse und schlagen dem Fischerei-Team vor, das
bisher namenlose Mini-Restaurant „Brasserie Schröder“ zu taufen.
FISCHEREI WOLFGANG SCHRÖDER
Gahlberg 2
14715 Havelaue OT Strodehne
Tel. 033875 – 30 737
www.fischerei-schroeder.eu
Küchenchef Sebastian Krieblin.
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Brandenburg Kulinarische Exkursion •
Zu-gut-für-die-Tonne!-Preisverleihung…
…am 20. Mai 2021 als Livestream-Event.
Chancen rechnete sich Wolfgang Schröder übrigens nicht aus, als
er sich mit seinem Projekt „Saure Bratbrasse“ für den Zu-gut-fürdie-Tonne!
-Bundespreis 2021 bewarb, der seit sechs Jahren vom
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ausgeschrieben
wird. Motto: Lebensmittel retten, Klima schützen.
„Ein plausibler Zusammenhang“, erklärt Fischer Schröder, „weil für
Produktion, Verarbeitung, Lagerung und Transport von Lebensmitteln
wertvolle Ressourcen – Wasser, Boden, Energie – benötigt und Treibhausgase
freigesetzt werden. Wenn ein Teil dieser Lebensmittel dann
in der Tonne landet, war der ganze Aufwand inklusive der verursachten
Treibhausgasemissionen umsonst.“ Eine Erkenntnis, die sich – wenn
auch nur langsam – durchzusetzen scheint.
Beweis dafür sind die 160 innovativen Projekte, die in diesem Jahr
für den Zu-gut-für-die-Tonne! -Bundespreis eingereicht wurden –
darunter Schröders „Saure Bratbrasse“. Die Jury erkannte der Kreation
einen der drei mit 5.000 Euro dotierten Förderpreise zu. Chapeau!
Mit ihrer ungewöhnlichen und mutigen Idee zur Verwertung
von Beifang fndet die Fischerei Schröder mit Sitz in Strodehne
im Land Brandenburg eine sehr gute Lösung für eine
Herausforderung, vor der viele große und kleine Fischereibetriebe
stehen. Die einfache und zugleich effektive Idee, die
zu einem Umdenken der Kundschaft geführt hat, besitzt Vorbildcharakter
und Potenzial. Wir freuen uns, das besondere
regionale Engagement der Fischerei Schröder mit einem Förderpreis
zu unterstützen.
Bärbel Dieckmann
Juryvorsitzende
Zu-gut-für-die-Tonne!-Bundespreis
Ehem. Präsidentin der Welthungerhilfe (WHH)
Moderatorin Sarah Oswald im Gespräch
mit Staatssekretärin Beate Kasch, v.re.
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• Kulinarische Exkursion Brandenburg
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Brandenburg Kulinarische Exkursion •
Der Weg zum Ziel ist bestens ausgeschildert und – dort angekommen
– gibt es sogar einen Rastplatz mit Info-Tafel. Aber
sonst? Unter den wenig spektakulären Quellen vieler Flüsse
ist die Quelle der Dahme die wohl unspektakulärste. Weder
rauscht noch sprudelt es in dem Wäldchen nahe der Ortschaft
Schöna-Kolpien im Brandenburger Landkreis Teltow-Fläming,
lediglich ein paar feuchte Wiesen verraten, dass hier irgendwo
Wasser sein muss. Ein Schild bestätigt die Annahme: „An dieser
Stelle befndet sich die Dahmequelle.“
Jörg Teuscher, Garçon-Autor, Berlin
Anke und Jens Kottke ist diese Touristen-Enttäuschung nicht neu.
„Einen Wasserfall dürfen Sie hier nicht erwarten“, erklärt Jens Kottke,
„deshalb heißt es korrekt auch Quellgebiet.“ Gemeinsam mit seiner
Frau betreibt der 57-Jährige im Dörfchen Schöna, nahe des besagten
Gebietes, eine Lebensmittelmanufaktur mit schnuckeligem Hofladen,
winziger Sonntagsbackstube und freundlichem Café. Und weil die
Dahmequelle nun mal die größte Sehenswürdigkeit der Gegend ist
(außer, man fährt in die benachbarte Kleinstadt Dahme), benannten sie
auch ihre Unternehmung danach: Dahmequell Landprodukte Schöna.
Deren erheblicher Bekanntheitsgrad allerdings liegt wohl weniger am
Namen, sondern eher an den Offerten des rührigen Paares.
Dahmequell-Inhaber Anke und Jens Kottke.
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• Kulinarische Exkursion Brandenburg
Die Stadtflucht ist kein neues Phänomen. Etliche meiner Freunde
fanden Berlin schon vor Jahren zu voll und zu teuer und zogen aufs
Dorf. Dort erprobten sie neue Wohn- und Arbeitsformen, gründeten
Co-Living- und Co-Working-Spaces, probierten sich im genossenschaftlichen
Arbeiten, einige erlernten sogar neue Berufe, um sich
ihren Traum vom Öko-Paradies zu erfüllen.
Auch Anke und Jens Kottke sind Stadtflüchter. Als sie 1999 aus
Schwedt/Oder nach Schöna im Landkreis Teltow-Fläming zogen,
hatten sie allerdings weniger das Landleben als soziales Experiment
im Blick, sondern folgten eher praktischen Erwägungen. „Wir wollten
vor allem“, so Jens Kottke, heute 57 und diplomierter Sozialpädagoge,
„dass unsere beiden Söhne in einer lebenswerteren Umgebung aufwachsen
als Schwedt sie bieten konnte.“
Als die Söhne dann zum Studium in die Welt zogen – „einer wird
Arzt, der andere Lehrer“ – suchten Anke und Jens Kottke eine neue
Herausforderung. Die fanden sie in der Herstellung und dem Vertrieb
regionaler Lebensmittel. „Am Anfang war das Leinöl“, erzählt die gelernte
Bürokauffrau Anke Kottke, „wir hatten uns eine eigene Ölmühle
zugelegt und uns mit der Materie beschäftigt. Das erste Öl boten wir
dann auf einem Erntefest an, es war ein voller Erfolg.“
Die Gründung der Dahmequell Landprodukte war keine Fahrt ins
Blaue mit ungewissem Ausgang. Bevor wir die erste Investition
tätigten, haben wir uns viel umgesehen – zum Beispiel in der
Bodenseeregion – um rauszukriegen, wie Leute arbeiten, die
ähnliche Projekte auf die Beine gestellt haben. Wir wollten
jedenfalls genau wissen, was bei einem solchen Vorhaben
auf uns zukommt.
Jens Kottke, Unternehmer
Dann ging alles Schlag auf Schlag. Das Ehepaar kaufte das ehemalige
Schönaer Schulzenhaus, richtete einen kleinen Hofladen ein und
gründete 2015 die Manufaktur Dahmequell Landprodukte. Vier Jahre
später machten Anke und Jens Kottke aus ihrem Hobby dann endgültig
einen Beruf und sich als Lebensmittelproduzenten selbstständig.
Dem klassischen Leinöl – kaltgepresst und zwölf Stunden dekantiert,
damit sich grobe Schwebstoffe absetzen – folgte bald ihr
Leinöl aus gerösteter Saat. „Unser absoluter Renner“, so Jens Kottke.
Inzwischen gibt es auch Rapsöl aus gerösteter Saat, Walnuss- und
Kürbiskernöl, ein halbes Dutzend Würz- und ebensoviele Kräuteröle,
unter denen das Bärlauchöl bei den Juroren des pro-agro-Marketingpreises
im Frühjahr 2021 große Anerkennung fand.
Wo Öl ist, sollte auch Essig nicht weit sein, sagten sich Anke und
Jens Kottke und machten sich auf die Suche nach einem passenden
Partner für ihre Premium-Öle. In einer Wustermärker Manufaktur
wurden sie fündig. Inzwischen investierten die beiden rührigen Unternehmer
in einen eigenen Essigreaktor, ernteten die Früchte der Bäume
einer uralten Mostbirnenallee in Kolpien, pressten sie zu Saft und
ließen ihn zu Essig vergären. „Die ersten Geschmackstests sind vielversprechend“,
so Jens Kottke.
94
Brandenburg Kulinarische Exkursion •
95
• Kulinarische Exkursion Brandenburg
Um die Kernidee eines guten Geschäftsmodells vorzustellen, braucht
man nicht viele Worte. Im Fall der Dahmequell-Landprodukte-Gründer
ist es der Satz „Wir sind angetreten, die Geschenke der Natur zu verarbeiten.“
Jens Kottke fügt hinzu: „Es geht nie um Geplänkel, sondern
immer um Geschmack!“
Der Unternehmer, der gerne auch über ernährungsphysiologische
Themen referiert, bezieht seine Bemerkung nicht nur auf die Produkte
der eigenen Manufaktur, sondern auch auf die Kreationen anderer
regionaler Lebensmittelhersteller in den Regalen des Schönaer Hofladens.
Da stehen Eierliköre von „Scharfes Gelb“ in Senftenberg,
Obstbrände der Brennerei Kullmann in Reppininchen, Heidelbeerhonige
eines Hohenseefelder Wanderimkers und Gewächse des Jessener
Weingutes Hanke. Anke Kottke: „Wir erweitern unser Sortiment
schrittweise, allerdings nur mit Angeboten, die uns 100-prozentig
überzeugen.“ Ihr Mann zeigt uns schließlich noch, was ihr Hof sonst
so zu bieten hat: einen kleinen, liebevoll ausgestatteten Gastraum, der
bis zu 40 Personen Platz für Feiern aller Art bietet; einen 135 Jahre
alten Backofen, der aufwändig restauriert wurde und in dem die Kottkes
Landbrot und Bauernkuchen backen. „Und sonntags Brötchen für die
Schönaer und Kolpiener“, fügt er hinzu und vergisst auch nicht zu erwähnen,
dass – wenn es die Corona-Verordnungen erlauben – auch
wieder Hoffeste, Grillabende und Mottopartys stattfinden werden.
„Abenteuer Vielfalt – Fernweh stillen, Brandenburg genießen“,
lautet das pro-agro-Jahresmotto 2021. Vielleicht auch mit einem
Besuch in Schöna.
DAHMEQUELL LANDPRODUKTE
Schöna 13
15936 Dahme / Mark OT Schöna
Tel. 035346 – 72 039
www.dahmequelllandprodukte.de
96
JUBILÄUM
150 JAHRE
Brandenburg Kulinarische Exkursion •
5
JAHRE
GARANTIE
AVUS
Handaufzug
Flagshipstore / Manufaktur
Hackesche Höfe, Hof 1
Rosenthaler Straße 40/41
10178 Berlin
TEL +49 (0)30 364 285 160
Atelier
Palais Holler
Kurfürstendamm 170
10707 Berlin
TEL +49 (0)30 364 285 153
Online Boutique
www.askania.berlin
ASKANIA AG
97
Kurfürstendamm 170
10707 Berlin
• Rubriken Fuhrmanns Früchtekorb
Marcus Fuhrmann.
Wenn in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die weißen
7,5-Tonnen-Kühltransporter mit dem Zeichen der Kirsche Hotels,
Restaurants, Kantinen, Krankenhäuser und Kitas ansteuern, heißt es
bei den Küchenchefs dort meist kurz und knapp: Fuhrmann kommt.
Mit Dieter und Marcus Fuhrmann lenkte jahrelang eine Vater-Sohn-
Doppelspitze die Geschicke des renommierten Fruchtgroßhandels
mit Sitz auf dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße. Nach dem
plötzlichen Tod seines Vaters im Mai 2020 trägt nun Marcus Fuhrmann
die alleinige Verantwortung für das 1977 gegründete Unternehmen.
Der 55-Jährige trat nach seinem BWL-Studium in Bochum und einem
Intermezzo als Tennistrainer 1996 in die Firma seines Vaters ein, absolvierte
eine Großhandelsausbildung und lernte die Besonderheiten
des Geschäfts mit Obst, Gemüse, Kartoffeln und Kräutern von der Pike
auf. Sein unternehmerisches Credo fasst er heute so zusammen: Zuverlässigkeit,
unbedingte Serviceorientierung und ein ausgeprägtes
Bewusstsein für Qualität. Dem fühlen sich auch die 28 „Fuhrmänner”
verpflichtet, die ihre Kunden täglich mit rund 500 Produkten beliefern
– von A wie Artischocke bis Z wie Zitronengras. Für unser Magazin
stellt Marcus Fuhrmann seine „Früchtchen” vor.
Heute: Die Passionsfrucht
Fuhrmanns Früchtekorb
DIE FRUCHT, DIE NACH SONNE SCHMECKT
VON MARCUS FUHRMANN
Mit der Passionsfrucht verhält es sich wie
mit etlichen anderen Exoten, etwa der Mangostane
oder der Sapote.
Äußerlich ist sie ein nichtssagendes
Etwas, schrumpelig und von undefinierbar
violett-brauner Farbe, ihr Innenleben
allerdings glänzt mit strahlend gelb-orangem
Fruchtfleisch, dessen delikates, süß-säuerliches
Aroma viele Feinschmecker ins
Schwärmen geraten lässt.
Für mich jedenfalls zählt die Passionsfrucht
zu den köstlichsten Tropenfrüchten
der Welt, und ich bin mit meiner Meinung da
nicht alleine. Spitzenköche wie der Bayer
Christian Jürgens aus Rottach-Egern am
Tegernsee oder Tim Raue aus Berlin (siehe
auch Seite 100) teilen mit mir die Liebe
zu Passiflora edulis, so der botanische
Name der Pflanze aus der Familie der
Passionsblumengewächse.
98
Fuhrmanns Früchtekorb Rubriken •
Die eigentliche Heimat der lianenartigen Kletterpflanzen sind die
tropischen Regionen Mittel- und Südamerikas. Spanische Missionare
entdeckten sie im brasilianischen Amazonasregenwald, wo sie besonders
gut gedeihen. Die Jesuiten schätzten das intensiv-säuerliche
Aroma ihrer Früchte und bewunderten die eigenwillige Blütenform. Die
Geistlichen meinten, in der Anordnung der Kronen- und Staubblätter
sowie der Stempel der Blüte, die Zeichen der Passion Christi – das
Kreuz und die Dornenkrone – wiederzuerkennen und nannten sie
deshalb Passionsblume – Passiflora.
Über 400 Passiflora-Arten sind bekannt, viele davon sind Wildformen
mit größtenteils ungenießbaren Früchten. Die für den Verzehr
ihrer Früchte geeigneten Arten erhielten deshalb den Zusatz „edulis“,
das bedeutet essbar. Die beiden für uns Fruchthändler wichtigsten
Arten sind die rote und die gelbe Passionsfrucht, letztere wird übrigens
meist unter dem Namen Maracuja angeboten. Für die Botanik-Freaks
habe ich hier noch die exakten wissenschaftlichen Bezeichnungen
herausgesucht: Die kleinere und nicht ganz so saure rote Passionsfrucht
heißt Passiflora edulis Sims f. Edulis, ihre gelbe Schwester
Passiflora edulis Sims f. Flavicarpa deg. – wie gesagt, das nur für
die absoluten Freaks.
Passionsfrüchte werden heute weltweit kultiviert. Die gelbe Variante
wächst vorzugsweise in den Tropen, die rote wird inzwischen in allen
subtropischen Regionen der Erde angebaut. Auf der Rangliste der
Erzeugerländer steht Brasilien vor Ecuador, Kolumbien und Kenia.
Die Welt-Jahresproduktion liegt bei 700.000 Tonnen, verschiebt sich
allerdings immer mehr zu Gunsten der roten Passionsfrucht.
Der Grund für diese Entwicklung: Während sich die Blüten der rote
Früchte tragenden Pflanzen selbst bestäuben, sind die Blüten der
gelbfrüchtigen Ranken auf Fremdbestäubung angewiesen. Diese Rolle
übernehmen so genannte Holzbienen, solitär lebende Insekten, deren
Körperbau der Blütenform angepasst ist. Der Klimawandel, fehlender
Lebensraum durch großflächige Rodungen und der Pestizideinsatz
machen den Holzbienen jedoch das Leben schwer, ihre Population
verringert sich zunehmend. Einzige Alternative: Bestäubung durch
Menschenhand. Keine guten Aussichten, finde ich...
www.dieter-fuhrmann.de
99
• Rubriken Fuhrmanns Früchtekorb
Christian Jürgens, Rottach-Egern.
Rezepte von Sterneköchen gibt es jede Menge – sowohl in den
Kochbüchern der Stars als auch in diversen Zeitschriften. Allerdings
bedarf es allzu häufig ausgedehnter Einkaufstouren, um alle Zutaten
zu beschaffen, die ein einigermaßen authentisches Nachkochen
ermöglichen.
Im Falle der Passionsfrucht haben zwei kulinarische Großmeister
die Latte mal nicht auf Rekordhöhe gelegt, sodass eine Zubereitung
am heimischen Herd mühelos möglich ist.
Rigatoni Dolce nennt der 3-Sterne-Koch Christian Jürgens seine
süßen Nudeln mit Charentais-Melone und Passionsfrucht. Dafür
werden kurze Rigatoni in Milch, die zuvor mit Butter, Salz, Zucker
und einer aufgeschnittenen Vanilleschote aufgekocht wurde, al dente
gegart. In einem zweiten Topf wird Puddingpulver mit kaltem Wasser
angerührt, aufgekocht und, wenn es gebunden ist, langsam in den
Nudeltopf eingerührt. Melonenscheiben und Rigatoni auf einem Teller
anrichten, das Mark von vier Passionsfrüchten darüber geben und das
Ganze mit Limettenabrieb bestreuen.
Tomatensalat „Marie“, die Kreation des Berliner 2-Sterne-Kochs Tim
Raue, ist noch einen Zacken einfacher. Tomaten und rote Zwiebeln,
beides gewürfelt, werden mit Olivenöl und Passionsfruchtmark
mariniert, mit Meersalz und Pfeffer gewürzt, auf geröstetem Sauerteigbrot
angerichtet und mit Basilikum bestreut.
Tim Raue, Berlin.
(Die Originalrezepte wurden von der Garçon-Autorin, Köchin
und Catering-Unternehmerin Sandra Schwarzwälder nachgekocht.)
100
Fuhrmanns Früchtekorb Rubriken •
www.dieter-fuhrmann.de
101
• Rubriken Berliner Marktnischen
Berlin-Wedding 1926: Der Toppmarkt.
Wochenmärkte haben in Berlin eine lange
Tradition. Der erste urkundlich erwähnte
Markt ist der Spandauer, bereits im Stadtgründungsdokument
vom 7. März 1232 wird
er genannt. Im benachbarten Berlin sind der
Molkenmarkt und der 1728 von Friedrich
Wilhelm I. per Kabinettsbeschluss ge -
schaffene Gendarmenmarkt die wichtigsten
öffentlichen Verkaufsplätze für Butter, Eier,
Honig, Käse, Korn und Wolle. Deren Zahl
stieg mit der Zeit zunehmend, so gab es 1882
innerhalb der Stadtgrenzen 19 Wochenmärkte
mit rund 10.500 Marktständen, die
jedoch mit dem Bau der Markthallen wieder
verschwanden.
1952, die meisten Markthallen waren
zerstört, forderte der Regierende Bürgermeister
Ernst Reuter: „Vor’s Rathaus
gehört ein Markt!“ Er meinte das Rathaus
Schöneberg und beendete mit seinem
Machtwort eine jahrelange Diskussion um
den wichtigsten Wochenmarkt Berlins.
Heute gibt es wieder rund 120 Wochen -
märkte in Berlin – nicht nur vor Rathäusern
– die sich wachsender Beliebtheit erfreuen.
Unter der Rubrik „Marktnischen“
stellt GarÇon Händler vor, deren Offerten
auch eine weite Anreise wert sind.
Berliner Marktnischen
ENTDECKUNGEN ZWISCHEN ARMINIUSHALLE UND MAYBACHUFER
Dieses Backwerk ist sicher nichts für die New-cool-Generation: ein untertassengroßer
und daumendicker Hefeteigfladen, auf dem sich in Schmalz glasig
gedünstete Zwiebeln breitmachen, die dazu noch mit reichlich Mohn bestreut
sind. Ja, das ist old school und ja, das ist kalorienreiche Oma-Küche. Trotzdem
liebe ich diese Teile – allemal, wenn ich sie nicht selbst backen muss.
Jörg Teuscher.
Dass ich Natalia Stark und ihre polnischen
Backwaren kennenlernte, verdanke ich –
genau genommen – meinem Freund Uwe.
„Immer wieder Akazienstraße, Preußenallee,
Karl-August-, Kollwitz- oder Winterfeldtplatz“,
krittelte er über unsere Rubrik Berliner
Marktnischen, „sind das denn die einzigen
Wochenmärkte in Berlin oder seid ihr nur
zu borniert, um auch mal woanders nach
interessanten Offerten zu suchen?“
Sind wir nicht, lieber Uwe, dieser Bericht
ist der erste Beweis – und weitere werden
folgen, versprochen, denn wir sind tatsächlich
auch abseits der prominenten Plätze auf
den Geschmack gekommen.
102
Berliner Marktnischen Rubriken •
Charmant und kenntnisreich: Die Markthändlerin Natalia Stark.
Viermal in der Woche muss Natalia Stark verdammt früh aufstehen.
Die 30-Jährige ist Markthändlerin, lebt in Szczecin und steuert ihren
knallgelben Citroën Jumper immer dienstags nach Bernau, mittwochs
und freitags nach Berlin und samstags nach Greifswald – das sind
wöchentlich 1.100 Kilometer. An Bord hat sie polnische Backwaren:
Roggen-, Weizen- und Mischbrote, einige freigeschoben, andere in
Form gebacken, etliche mit Kümmel oder Mohn gewürzt. Dazu viel
Hefegebäck – Hefehörnchen, Hefestückchen, Hefezöpfe.
„Alle Produkte stammen aus der Pikarnia Pawłowski“, berichtet
Natalia Stark in fließendem Deutsch, „dass ist eine kleine Bäckerei
in Szczecin, in der die Backtraditionen unserer Region wirklich noch
hochgehalten werden.“ Sie zeigt auf ein Schild, das sie in die Auslage
gestellt hat und lächelt. „Gesundes Brot ohne Geschmacksverstärker
und Konservierungsstoffe, ohne Emulgatoren, Regulatoren und
Stabilisatoren“, heißt es da. Diese Begriffe gehen ihr dann doch nur
schwer über die Zunge, zumal sie das Bäckerhandwerk nicht gelernt hat.
Trainerin wollte sie einst werden, vielleicht auch Lehrerin. An der
Hochschule in Krakόw ging sie daran, diesen Traum zu erfüllen und
absolvierte ein Sportstudium. Aber wie das mit Träumen eben so
ist, manche erfüllen sich und manche platzen wie eine Seifenblase.
Das letzte Wort hat immer die Realität. Und die sah bei der aus
Koszalin stammenden Natalia Stark alles andere als rosig aus. Dem
Verkäuferinnenjob in einem Sportgeschäft folgte der als Rettungsschwimmerin
in einer Hotelanlage, beides nicht eben das Gelbe vom
Ei für eine diplomierte Hochschulabsolventin.
„Ich beschloss, mich selbstständig zu machen“, fasst sie den sicher
nicht einfachen Schritt in eine völlig fremde Branche zusammen. Über
die Zweifel, das Richtige zu tun, will sie heute nicht mehr reden. 2020
gründete sie ihre Firma „Polskie Smakołyki“, das heißt polnische
Leckerbissen und machte sich auf den Weg. Ihr Ziel: Wochenmärkte
im benachbarten Deutschland. „Am besten solche, auf denen ich nicht
die einzige Händlerin aus Polen bin.“ Die Rechnung ging auf.
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• Rubriken Berliner Marktnischen
Inzwischen stehen die Leute Schlange, wenn Natalia Stark am Freitagmorgen
an der Marzahner Promenade ihren Verkaufswagen neben
Karl Hillerts Marzahnerbauer-Skulptur rangiert. Die grundsolide
handwerkliche Qualität ihrer Backwaren hat sich offensichtlich herumgesprochen.
Das intensive Kümmelbrot aus reinem Roggenmehl, das
helle Stettiner Brot mit der rustikalen Mohnkruste und der dichten
Krume und die buttrigen Hefezöpfe sind ebenso schnell verkauft wie
die Zwiebelkuchen. Und auch die cremigen Kreationen der Stettiner
Konditorei Cukiernia Domowa finden rasch ihre Liebhaber.
Polnische Backwaren
auf dem Wochenmarkt Marzahner Promenade
12679 Berlin-Marzahn
Freitag, 8.00–15.00 Uhr
(außerdem mittwochs auf dem Kaulsdorfer Cecilienplatz)
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Advertorial •
SCHWARZES GOLD ROTE PERLEN
LEMBERG – EINER DER FÜHRENDEN KAVIAR-PRODUZENTEN AUS BERLIN
War Kaviar einst ein Privileg von Monarchen und Adligen, ist der zarte
Rogen heute für jedermann zugänglich und sogar erschwinglich. Wer
hätte gedacht, dass sich die Produktionsstätte von Europas größtem
Kaviarhändler in Berlin-Tempelhof befindet. Geschäftsführer Ruslan
Volny erklärt: „Wir haben Kaviar vom Keta-, Buckel-, Silber- und Rotlachs,
von Lachsforelle, Dorsch und Hecht, Kaviar aus Pollack- und
Heringsrogen und natürlich verschiedene Sorten von Störkaviar in
unserem Sortiment.“ Zur Hauptsaison von November bis Januar
verlassen täglich bis zu 2000 Pakete nach ganz Europa die Firma
Lemberg. „Unser Online-Shop ist ja auch 24 Stunden erreichbar“, sagt
der gebürtige Ukrainer, der seit 20 Jahren im Geschäft ist. Seine Lieblingssorte
ist der Gorbuscha-Lachskaviar, der vom bis zu 60 cm großen
Buckellachs stammt und in Alaskas Flüssen laicht. 250 Gramm der
leuchtend orangenen Kaviarkörner, die ein herrlich mildes Aroma und
eine zarte Schale haben, kosten 14,50 Euro. „Ich fliege jeden Sommer
persönlich nach Alaska, überwache den Einkauf von Wildlachskaviar,
prüfe die Qualität und es wird mit unseren verlässlichen Partnern
verhandelt“, betont Volny.
Im Berliner Ladengeschäft „Lemberg Feinkost“ am Olivaerplatz wird
am meisten Lachskaviar verkauft. Die beliebtesten Sorten Lachsforelle
und Keta erhält man zu moderaten Preisen. „In unserem Kulturkreis
gehört Kaviar zu jeder Familienfeier“, erzählt Volny „aber auch die
Berliner sind immer mehr an dieser Delikatessen interessiert.“ Er
empfiehlt die Störkaviarsorte Amur Royal, die sich durch großkörnige
und zartschalige Perlen mit schönem dunklen Glanz und zartem Aroma
auszeichnet. Und er ist eine sehr gute und preisgünstigere Alternative
zu dem immer rarer werdenden Beluga Kaviar.
Eine weitere Ladenadresse – wo unter anderem auch das ganze
Lemberg-Kaviar-Sortiment zu fairen Herstellerpreisen angeboten
wird – gehört der Supermarkt LEDO in der Forckenbeckstrasse. Neben
Kaviar gibt es frischen und geräucherten Fisch, ein großes Fleischsortiment,
saisonales Obst und Gemüse und viele osteuropäische
Spezialitäten zu günstigen Preisen.
Zum Schluss, und um bei Ruslan Volnys Liebling dem Kaviar zu
bleiben, verrät der Chef noch seinen Verzehrtipp: „Kaviar sollte kalte
zwei Grad haben und wird mit einem Perlmutt-Löffel probiert. Wenn
man die Kügelchen mit der Zunge am Gaumen zerdrückt, entfaltet
sich das Aroma am besten. Wir essen auch kleine Blinis und trinken
ein Glas Champagner dazu. Ich bevorzuge aber Wodka, am besten
von Lemberg.“
LEMBERG FEINKOST, Olivaer Platz 8, 10707 Berlin, Tel. 030-889 136 50, www.lemberg-kaviar.de
LEDO BERLIN, Forckenbeckstr. 1, 14199 Berlin, www.ledo-supermarkt.de
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• Rubriken Kulinarische Nachlese
Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr, v. re.
„Trotz Internet und Fernsehküche – Kochbücher
werden immer ein Kulturgut bleiben“, aus dem Ruhrpott nach Berlin und betreiben
Die beiden Männer zogen im Januar 2010
davon sind Johannes Mohr und Swen seitdem in einem restaurierten Altbau-
Kernemann-Mohr überzeugt.
Souterrain in Berlin-Mitte, in der Nähe des
Rosenthaler Platzes, Deutschlands vermutlich
größtes, auf jeden Fall aber Berlins
einziges Kochbuchantiquariat.
Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb
Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca
Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben,
etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte
Originale, handgeschriebene
Unikate, kulinarische Enzyklopädien,
Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher
von Sophia Loren bis Vico Torriani,
Kriegs- und Nachkriegskochbücher.
„Das Stöbern in diesem Fundus ist für uns
immer auch eine Art besonderer Geschichtsstunde“,
sagen die Antiquare.
Nun stöbern Johannes Mohr und
Swen Kernemann-Mohr sozusagen auch
öffentlich. Für Garçon blättern sie in Kochbüchern
aus vergangenen Zeiten und
notieren, was sie dabei bewegt.
Kulinarische Nachlese
IN ALTEN KOCHBÜCHERN GEBLÄTTERT
VON JOHANNES MOHR UND SWEN KERNEMANN-MOHR
Es liegt mir auf der Zunge
Der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod
Illustrationen von Gisela Grieger
Hoffmann und Campe Verlag
Hamburg 1954
5. Auflage
37.– 46. Tausend
Umschlaggestaltung H. H. Hagedorn, Hamburg
144 Seiten
Preis (antiquarisch): 38,00 Euro
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Kulinarische Nachlese Rubriken •
NWDR-Fernsehkoch Clemens Wilmenrod im Hamburger TV-Kochstudio.
Wir beide sind Jahrgang 1956 bzw. 1963, haben also auf Grund später
Geburt ein revolutionäres Ereignis der deutschen Fernsehgeschichte
verpasst und können es nur mit Hilfe unserer Bücher und des Internets
rekapitulieren.
Es geschah am 20. Februar 1953, einem Freitag. Um 21.30 Uhr,
zur besten Sendezeit, begrüßte aus einem deckenhoch gefliesten
Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks auf dem Hamburger
Heiligengeistfeld ein Mann die Zuschauer. Markenzeichen: schwarzes
Menjoubärtchen, knappe Latzschürze, schmieriger Hausfrauenverführerblick.
„Ihr lieben goldigen Menschen“, säuselte er und kochte
in den folgenden fünfzehn Minuten live und in schwarz-weiß ein
italienisches Omelett und Kalbsniere mit Mischgemüse aus der Dose.
Dazu gab es Fruchtsaft im Glas, danach türkischen Mokka.
Wer damals vor dem Fernsehapparat saß, hatte die Geburtsstunde
des deutschen TV-Kochens erlebt (die Sendung konnte übrigens auch
in Berlin empfangen werden, denn der NWDR versorgte von 1946 bis
1954 die Stadt mit seinem Programm, der Sender Freies Berlin ging
erst am 1. Juni 1954 an den Start).
Und den ersten deutschen Fernsehkoch. Übrigens: Weder sein
Name noch sein Beruf waren echt. Er hieß nicht Clemens Wilmenrod,
sondern Carl Clemens Hahn (Wilmenrod im schönen Westerwald
war sein Geburtsort), und er war kein Koch, sondern ein mittelloser
Schauspieler mit mäßigem Erfolg. Das Konzept für die Kochsendung
ersann er gemeinsam mit seiner Frau Erika, einer Metzgerstochter aus
Wiesbaden. Sie war es auch, die dem blutigen Anfänger die wichtigsten
Handgriffe beibrachte, die er für die Sendung brauchte. Beide stellten
ihr Projekt dem damaligen NWDR-Intendanten Adolf Grimme vor, der
hatte offensichtlich einen guten Riecher für erfolgversprechende
Exposés – und gab grünes Licht.
Grimmes Entscheidung erwies sich als goldrichtig. „Bitte, in zehn
Minuten zu Tisch“ avancierte schnell zur beliebtesten Fernsehsendung
der Deutschen. Zuschauerzahlen von bis zu drei Millionen entsprachen
zur damaligen Zeit Einschaltquoten von 50 bis 80 Prozent. Das lag
vor allem daran, dass Koch-Darsteller Wilmenrod perfekt sowohl auf
der Fress- als auch auf der Reisewelle der 1950er Jahre surfte und
unserer Elterngeneration vor Augen führte, dass sie wieder wer sei.
Leute mit Geschmack und „Was-kostet-die-Welt-Flavour“.
Irgendwo lasen wir im Zusammenhang mit dem Phänomen der
Gastronomisierung deutscher TV-Kanäle und dem damit verbundenen
massenhaften Auftritt von televisionären Herdarbeitern mal den
Satz, dass man fürs Fernsehen weder kompetent noch originell, nur
penetrant genug sein müsse. Sicher eine böse Formulierung, aber
auf Clemens Wilmenrod, den „Felix Krull des Fernsehkochens“, traf
sie ohne jede Einschränkung zu. Er jazzte Banalrezepte (Arabisches
Reiterfleisch oder Gefüllte Erdbeere) zu kulinarischen Außergewöhnlichkeiten
hoch; entdeckte, wie lukrativ Schleichwerbung sein kann
und wie man Popularität sonst noch zu Geld machen kann.. .
Immer dabei: Der Infrarotgrill „Heinzelmann“.
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• Rubriken
Kulinarische Nachlese
Seine Bücher waren Bückware und sind sogar heute noch gefragt –
DFF-Fernsehkoch Kurt Drummer im Adlershofer TV-Kochstudio.
Übrigens: Auch die DDR hatte ihren Fernsehkoch, dessen Bücher
in unserem Kochbuchantiquariat zum Standardsortiment gehören.
Kurt Drummer (1928-2000) stammte aus dem erzgebirgischen
Gornsdorf – Kochlehre in Chemnitz, Küchenmeister, Karriere im
Weimarer „Elephant“, im „Erfurter Hof“ und im Karl-Marx-Städter Carola
Hotel. Am 5. August 1958 – zwei Jahre nach dem Start des regulären
DDR-Fernsehprogramms – stand er zum ersten Mal vor der Kamera:
Kurt Drummer, die ostdeutsche Antwort auf Clemens Wilmenrod.
Der stets standesgemäß gekleidete Sachse wirkte zwar – so
jedenfalls Leute, die ihn live erlebten – im Vergleich zu seinem westdeutschen
Pendant ziemlich dröge, aber Drummer kam an bei den
Zuschauern zwischen Plauen und Saßnitz. Der TV-Liebling produzierte
insgesamt 650 Folgen von „Der Fernsehkoch empfiehlt“, in denen er
über 2.000 Gerichte zubereitete, wurde mit dem Goldenen Lorbeer
des DFF ausgezeichnet (s. Bild unten Mi.) und stieg 1965 sogar zum
Chefkoch der DDR-Vereinigung Interhotel auf.
allerdings, so unsere Vermutung – weniger aus Gründen kulinarischer
Nostalgie, sondern eher aus Neugier auf die deutsche Küche der
DDR, die häufig als „Wechselbad zwischen Verzicht und Völlerei“
beschrieben wird.
Vor allem Drummers 1963 erschienenes „Fernsehkochbuch“
gibt tiefe Einblicke in die Versorgungslage im Land der begrenzten
Möglichkeiten zu jener Zeit. Statt Butter empfiehlt Kurt Drummer zum
Backen und Braten Margarine – wechselweise die Sorten Marina,
Sonja, Sahna und Vita und statt Sojasauce BINO-Würze aus Bitterfeld-Nord.
Und wenn die Würze trotzdem fehlte, setzte Drummer
eben auf Glutal …
Dennoch sind wir der Meinung, dass viele der Regionalrezepte etwa
aus seinem Buch „Von Apfelkartoffeln bis Zwiebelkuchen“(1982) auch
heute noch durchaus ihre Berechtigung haben.
www.bibliotheca-culinaria.de
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Kulinarische Nachlese Rubriken •
Loodse
Gerätemanagement in neuer
Servicedimension
Alle Erfahrungen aus dem Geräte- und Reparaturmanagement
sind in die Entwicklung der Servicekontor
eigenen Software eingeflossen. Überregionale Filialisten
erreichen damit ein Maximum an Transparenz und die
Rentabilität der Filialen kann durch ein aktives Management
erheblich gesteigert werden.
Demo
Vorführung
info@servicekontor24.de
0441 480678-0
Alles im Blick
Bereits das Dashboard auf der Startseite macht
die Ziele deutlich: Transparenz und Performance.
Leicht lassen sich die Betrachtungen
von deutschlandweit bis betriebsbezogen
skalieren.
Im Überblick alle Informationen zum Status der
Gerätereparatur, dem Standort und den Tickets
in allen Status:
— Geräte in Reparatur
— Reparierte Geräte in Filialen
— Aktuell abgeschlossene Reparaturen
Mobile Erfassung
Ermittelt werden die Havarien vor Ort mit
dem Smartphone. Mit dem Scan des gerätespezifischen
QR-Codes loggt der Mitarbeiter
das Gerät in das Ticketsystem ein. Ab jetzt läuft
alles reibungslos in den vorstrukturierten Abläufen
– und der Kunde hat stets den aktuellen
Überblick.
Darüber hinaus wurde ein ergänzender Bereich
für Facility Services eingerichtet. Hier
finden Kunden alle laufenden Tickets aus der
Gebäude instandhaltung.
Erhebliche Einsparpotentiale
Eine Statistik macht die Kosten transparent,
so können Einsparpotentiale filialübergreifend
ermittelt werden. Damit wird es dem Zentraleinkauf
ermöglicht die Kosten filialübergreifend zu
kontrollieren.
Ein Webshop ergänzt den Service. Hier kann
Zubehör bestellt werden: Von der Ofenklappe
über das Schneidbrett bis zum Schraubensatz –
mit hoher Verfügbarkeit und hochintegrativ.
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Servicekontor24 GmbH & Co. KG ∙ Geschäftsführer: Hermann Kuper ∙ Steinkamp 13 ∙ D-26125 Oldenburg
www.servicekontor24.de ∙ info@servicekontor24.de ∙ Tel: +49 (0) 441 480 678 - 0 ∙ Fax: +49 (0) 441 480 - 678 - 50
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GARÇON-QUIZ
IMPRESSUM
VERLAG UND REDAKTION
Bild Art Media Verlag
Inh. Yvonne Weinlich
Marzahner Promenade 26
12679 Berlin
Fon 030 – 28 86 79 70
Fax 030 – 28 86 79 69
info@bildart-verlag.de
www.garcon24.de | facebook.de/garcon24
HERAUSGEBERIN
Yvonne Weinlich (V.i.S.d.P.)
REDAKTION
Petra Leonhardt (Leitung)
Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Marc Steyer,
Wolf-Dietrich Strobel, Henning Tietze
Stefanie Hartmann, Jessica Kynast
(Praktikantinnen)
AUTOREN UND KOLUMNISTEN
Uwe Ahrens, Anaïs Causse, Hans Diener,
Stephan Falke, Marcus Fuhrmann,
Swen Kernemann-Mohr, Shoko Kono,
Dagmar Maas, Johannes Mohr,
Rafael Neitzsch, Sandra Schwarzwälder,
Jörg Teuscher, Thorsten Tonski
GRAFIK UND LAYOUT
Diana Putzu (diana.putzu@freenet.de)
Hannes Schulze (hannes@nur-mut.com)
Der Spritzkuchen ist ein mit Hilfe eines
Spritzbeutels mit Sterntülle ringförmig auf
Pergamentpapier gespritztes und in Fett
schwimmend ausgebackenes Brandteiggebäck,
das abschließend mit Puderzucker
bestäubt oder auf der Oberseite mit Fondant
glasiert wird.
So jedenfalls formuliert es ein Handbuch
zur Gesellen- und Meisterprüfung im
Bäckerhandwerk, das auch nicht vergisst,
den Erfinder dieser beliebten süßen Kreation
zu erwähnen.
Der Berliner Konditor Gustav Louis
Zietemann soll demnach 1832 erstmals
Spritzkuchen gebacken haben. Das entspricht
zwar nicht den historischen
Tatsachen – bereits 1713 wurde in dem in
Nürnberg erschienenen Werk „Der wohlbestehende
Bäcker“ ein Spritzkuchenrezept
veröffentlicht – dennoch wurde Meister
Zietemann am Ort seines Wirkens ein
Denkmal gesetzt.
Wir wollen wissen, wo die lebensgroße
Statue des Spritzkuchenjungen (siehe Bild
oben) steht:
A in Eberswalde?
B in Fürstenwalde?
C in Mittenwalde?
Ihre Antwort bitte an:
Bildart Media Verlag
Redaktion GARÇON
Marzahner Promenade 26
12679 Berlin
E-Mail: info@bildart-verlag.de
Die Gewinne, drei wertvolle Kochbücher, werden
unter den Teilnehmern verlost, die die Frage richtig
beantwortet haben.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Einsendeschluss: 26. September 2021.
Die Gewinne werden per Post zugesandt.
TITELBILD
Marie Geißler
www.mariegeissler.de
FOTOS UND ILLUSTRATIONEN
Heiko Gralki, Jörg Teuscher, Archiv Garçon,
Haferkater GmbH (1/S.4 u., 4/S.58), PALMEN
MANN (1/S.5 u.), Annette Zeller privat (6/S.8
und 9), Sylvia Koreng privat (7/S.32), Spreewaldverein
e.V. Lübben (1/S.41), Nihon Mono
Dagmar Maas (1/S.42 o., 1/S.43), Sugimoto
Co., Ltd. (1/S.44 o., 2/S.45), Universität
Hohenheim/Steffen Hoeft (1/S.50 o.), Universität
Hohenheim/Agron Beqiri (4/S.50 u.,
S.51 u.), SARL Marc Peyrey (2/S.55), James
Ross, Carrbridge (3/S.56), Wolfgang Mock
GmbH (2/S.61), Fischerei Schröder privat
(1/S.89 o.), Bundesministerium für Ernährung
und Landwirtschaft (3/S.91), Norddeutscher
Rundfunk (3/S.107).
ANZEIGEN
Yvonne Weinlich, Heiko Gralki, Henriette Jüngel
anzeigen@bildart-verlag.de
DRUCK
www.pingoprint.de
Zu beziehen im Zeitschriftenhandel oder im
Abon nement. Einzelheftbestellung: Jedes Heft
kostet 6,00 Euro, zuzüglich 1,55 Euro Versandkosten
pro Sendung. Bezahlung nach Erhalt der
Rechnung oder im Lastschrifteinzugsverfahren.
Alle Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich
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Datenträgern nur nach schriftlicher Bestätigung
des Verlages.
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BERLINS LIVE-SHOWS
2021
20.08. – 10.09.
Grahame Patrick, der als „bester Elvis nach
Elvis“ gilt, bringt dessen Musik in einzigartiger,
mitreißender Weise auf die Bühne.
19.09. – 17.10.
Fotos: A. Friese, K. Matic
Erleben Sie den kraftvollen Sound der
Rock-Ikone und erfahren Sie, wie aus einem
unbekannten Mädchen ein Weltstar wurde.
Genießen Sie vor oder nach
der Show in unserer neuen
Open-Air-Location „Waterfront“ direkt am
Wasser eine erstklassige Auswahl an Food
& Drinks. Sollte das Wetter einmal nicht
mitspielen, erwartet Sie das Restaurant
„Portofino“ mit kulinarischer Vielfalt.
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Unser Trinkwasser.
Ganz klar für Berlin.