Garcon_Genuss_Magazine_Nr.61©BildArt media
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Ausgabe Nr. 61 | 2022| 6 €
essen, tRinKen & leBensaRt
patiO | ORa | BaR BRass | Kantine ZUKUnFt | JUGenD BacKt
haVellanD eXpRess | seRhat aKtas | elena chechenDaieVa
1
Kurz nach Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen
die Ukraine im Februar 2022 reiste die seit zwölf Jahren in
Berlin lebende Künstlerin und Fotografin Mila Teshaieva in
ihre Heimatstadt Kyjiw. Ihr dabei entstandenes Tagebuch,
das zuerst auf der Internetplattform dekoder. org veröffentlicht
wurde, enthält persönliche Aufzeichnungen aus den
ersten Kriegsmonaten in Wort und Bild. Gemeinsam mit Mila
Teshaieva haben wir Fotos und Notizen ausgewählt und daraus
kurzfristig die Ausstellung „Splitter des Lebens. Ein Ukraine-
Tagebuch“ organisiert.
elisabeth tietmeyer, Direktorin des Museums
europäischer Kulturen, Berlin-Dahlem
Als mich Freunde zur Eröffnung dieser Ausstellung einluden,
habe ich zuerst gezögert, ich wollte nicht noch mehr Krieg in
meine Gedanken lassen. Dann habe ich aber doch zugesagt
und es nicht bereut. An keinem Tag seit meiner Flucht am 28.
Februar waren mir die Heimat und mein bei der Verteidigung
von Mariupol gefallener Bruder Ivan so nahe wie in dieser
Ausstellung.
elena chechendaieva, Konditorin und Unternehmerin
aus charkiw (s. auch s. 94)
Ich sah eine junge Frau – Elena Chechendaieva, wie ich später
erfuhr – die still vor meinen Bildern stand und weinte. Ich ging
zu ihr. Es ist in dieser Zeit natürlich nicht leicht, die richtigen
Worte für etwas zu finden, das einen im Grunde nur sprachlos
machen kann. Ich sagte ihr den sinnlosen Satz, den ich
in Kyjiw jedem gesagt habe, den ich traf: „Alles wird gut.“ In
diesem Satz gibt es ein Moment der Nichtakzeptanz dessen,
was geschieht. Nichtakzeptanz als Überlebensinstinkt. Alles
wird gut – in Elenas Fall half meine eher hilflose Bemerkung
auch, Tränen zu trocknen.
Mila teshaieva, Künstlerin, Mitglied der agentur Ostkreuz
Die Künstlerin und die Konditorin:
Mila teshaieva und elena chechendaieva, v. li.
• Mise en place
Liebe Freunde,
das mit Sandsäcken geschützte Bronzemonument des ukrainischen
Kosakenhetmans Petro Konaschewytsch-Sahaidatschnyj auf dem Kyjiwer
Kontraktowa-Platz – ein ausgebrannter russischer Kampfpanzer in einem
Wald bei Irpin – drei Männer an einer Barrikade aus Autoreifen und Betonteilen
… stille Bilder, aufgenommen von Mila Teshaieva.
Die 1974 in Kyjiw geborene und aufgewachsene Künstlerin, die seit
zwölf Jahren in Berlin lebt und Mitglied der renommierten Agentur Ostkreuz
ist, war wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in ihre Heimat
gereist, um dort das Leben im Krieg zu dokumentieren. Vier Wochen
später notierte sie: „Jeden Tag denke ich, dass das, was schon passiert ist, das Schlimmste ist, was
geschehen konnte, mehr geht nicht. Und dann bricht ein neuer Tag an.“ Sie war in Butscha und Irpin
und sah, wozu Militärs fähig sind, deren einziges Gesetz die Gesetzlosigkeit ist, die jegliche ethische
Normen missachten und deren Führung der Welt zynisch den Mittelfinger zeigt. „Nasrat’“ lautet ein in
Russland beliebter Slogan: „Wir scheißen darauf“…
Kyjiw, 27. März 2022
Kyjiw Oblast, 3. April 2022
Gemeinsam mit den Kuratoren des Museums Europäischer Kulturen wählte Mila Teshaieva achtzehn
ihrer Fotos und die zugehörigen Tagebuchaufzeichnungen aus – sie bilden die Ausstellung „Splitter des
Lebens“, die noch bis zum 15. Januar 2023 zu sehen ist (MEK, 14195 Berlin-Dahlem, Arnimallee 25).
Ihre Yvonne Weinlich
Herausgeberin
weinlich@bildart-verlag.de
3
Inhalt
MISE EN PLACE
TITEL
the CORD & Co.
Der EUREF-Campus kulinarisch
36
Restaurantschiff Patio
Spitzenküche mit Spreeblick.
06
the CORD & Co.
Der EUREF-Campus kulinarisch.
LOKALTERMIN
Restaurantschiff Patio 36
Spitzenküche mit Spreeblick
GESCHMACKSSACHEN
Berliner Teller 53
Serviert in der Bar Brass
ORA 43
Austern aus der Apotheke
Jugend backt 60
Meisterlicher Bäckernachwuchs
Havelland Express 50
30 Jahre im Dienst des Genusses
Anaïs Causse empfiehlt: 70
Uivo Aqua Nat
Kantine Zukunft 73
Aufbruch zu neuen Ufern
Von wegen igitt 75
Die Mensa der Waldorfschule Berlin-Mitte
43 ORA
Austern aus der Apotheke.
53
Berliner Teller
Serviert in der Bar Brass.
Mein Lieblingsmesser 83
150 Jahre Windmühlenmanufaktur
Kostproben 84
4
75
Von wegen igitt
Die Mensa der Waldorfschule Berlin-Mitte.
Bar Raval
MÉS QUE UN BAR
Tapas • Vinos • Catering
Te vienes
de tapas con nosotros
por España?
60
Jugend backt
Meisterlicher Bäckernachwuchs.
KOPFSALAT
Serhat Aktas 86
Der Weinlobbyist
86
Serhat Aktas
Der Weinlobbyist.
Elena Chechendaieva 94
„Wir wollten nur noch weg…“
RUBRIKEN
Fuhrmanns Früchtekorb 102
Die Brombeere
Kulinarische Nachlese 106
In alten Kochbüchern geblättert
Garçon-Quiz 110
94
Impressum 110
Elena Chechendaieva
„Wir wollten nur noch weg.“
Ab dem 1. Juni zeigen wir euch
alle drei Wochen eine neue Region
Spaniens mit Aperitif, besonderen
Tapas und typischen Weinen.
Bar Raval
Lübbener Straße 1 • 10997 Berlin
+49 30 53 16 79 54 • hola@barraval.de
www.barraval.de
5
barravalberlin
• Titel Campus kulinarisch
Der Maler war ein scharfer Beobachter und ein Chronist seiner Zeit.
In Dutzenden Bildern hielt er die Industriemetropole Berlin von der
Jahrhundertwende bis zum Ende der Weimarer Republik fest: Eisenbahnen,
Mietskasernen, Fabrikanlagen, der Alltag der Arbeiterschicht
waren seine bevorzugten Themen.
Dass der Schöneberger Gasometer und dessen Umgebung so
oft Gegenstand seiner Bilder wurden, liegt daran, dass Baluschek
jahrelang in unmittelbarer Nachbarschaft des zwischen 1908 und
1910 erbauten stählernen Riesen wohnte, der damals zu den drei
größten Gasometern Europas gehörte.
Cheruskerstraße 5, Vorbergstraße 5, Akazienstraße 30, Hauptstraße
34 / 35 – das waren Hans Baluscheks Schöneberger Adressen.
Und auch von seinem späteren Atelier in den Ceciliengärten aus hatte
er einen Blick auf die Bahngleise, das Gaswerk und den Gasometer…
1946, elf Jahre nach Hans Baluscheks Tod, wurde das Gaswerk
Schöneberg abgeschaltet, der Gasometer allerdings weiter als
Gasspeicher genutzt – bis die GASAG 1995 auf Fernversorgung
mit Erdgas umstellte. 2007 schließlich verkaufte das Unternehmen
das Industriedenkmal an die EUREF AG. Es avancierte zum Wahrzeichen
des neuen Schöneberger Campus, auf dessen Gelände es
inzwischen – unser Thema – auch gute Gastronomie gibt.
Hans Baluschek wurde 1870 als Sohn eines Eisenbahningenieurs
in Breslau geboren, sechs Jahre später zog die Familie nach Berlin.
Baluschek besuchte das Askanische Gymnasium und studierte nach
dem Abitur an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste
Malerei. 1893 schloss er sein Studium ab und ließ sich als freier
Künstler in Schöneberg nieder, damals noch eine 30.000-Einwohner-
Landgemeinde vor den Toren von Berlin.
1898 gehörte er neben Käthe Kollwitz, Max Liebermann und Walter
Leistikow zu den Gründern der Künstlergruppe „Berliner Secession“.
Dennoch wurde Baluschek kunstgeschichtlich eher stiefmütterlich
behandelt und musste viele Schmähungen einstecken.
Kaiser Wilhelm II. diffamierte ihn als „Rinnsteinkünstler“, für den
zeitgenössischen Kritiker Willy Pastor hatten Baluscheks Bilder
„zu wenig Parfüm und zu viel Pfütze“ und sein Malerkollege Max
Beckmann schließlich urteilte ebenso verachtend wie bewundernd:
„Schade, der Kerl hat so famose Einfälle, zu dumm, dass er wie ein
farbiger Photograph arbeitet.“
Fabian Reifferscheidt, Kurator des Berliner Bröhan-Museums, das
vor zwei Jahren dem Künstler anlässlich seines 150. Geburtstages
eine Werkschau widmete, fand einen neuen Zugang zu Baluschek,
den er unter die Überschrift „synthetischer Realismus“ stellte.
Der Gasometer im Spätsommer 2022.
6
Campus kulinarisch Titel •
CORD & CO.
DER EUREF-CAMPUS KULINARISCH
the
VON JÖRG TEUSCHER
7
• Titel Campus kulinarisch
Reinhard Müller, Vorstandsvorsitzender EUREF AG.
Reinhard Müller, Jahrgang 1953, stammt aus Krefeld. Der Vater,
ein Konditormeister, sah den Sohn beruflich in seinen Fußstapfen,
doch das stieß bei dem auf taube Ohren. Also bewarb sich Reinhard
Müller an der Werkkunstschule Krefeld, bestand die Aufnahmeprüfung
und entdeckte sein kreatives Talent. Danach Abschlüsse
als Diplom-Ingenieur Architektur an der Fachhochschule Düsseldorf
und als Diplom-Ingenieur Stadt- und Raumplanung an der
Technischen Universität Berlin. 1984 Aufnahme in die Berliner
Architektenkammer, 1987 Eröffnung eines eigenen Architekturbüros,
Realisierung vieler stadtbildprägender Bauten etwa am Osthafen,
am Hackeschen Markt und Unter den Linden, 1999 Gründung
der Stiftung Denkmalschutz Berlin. 2007 erwarb Reinhard Müller
ein 5,5 Hektar großes Areal um den Schöneberger Gasometer und
startete sein bisher größtes Projekt: die Entwicklung des EUREF-
Campus als ein Think-Tank rund um die Energiewende.
Wer mit der S-Bahn auf dem südlichen Berliner Ring fährt, kann
die Arbeiten am Gasometer, dem Wahrzeichen des EUREF-Campus,
beobachten. Was geschieht dort eigentlich, Herr Müller?
In der Tat ist dieser Gasometer eine eindrucksvolle Landmarke und mit
seiner Höhe von 78 Metern das Symbol für den Innovationsstandort
EUREF-Campus. Vor einem Jahr haben wir begonnen, das filigrane
Stahlgerüst denkmalgerecht zu restaurieren und ihm sein ursprüngliches
Erscheinungsbild zurückzugeben. Nun bildet es sozusagen
den Rahmen für ein zylinderförmiges transparentes Bürogebäude,
wobei die Wände des gläsernen Neubaus einen Abstand von einem
Meter zu der historischen Stahlkonstruktion einhalten.
Weshalb betonen Sie das?
Weil ich darauf aufmerksam machen möchte, welchen Respekt wir
diesem einzigartigen Industriedenkmal entgegenbringen.
In das Bürogebäude wird die Deutsche Bahn einziehen?
Genau, mit 2.000 Mitarbeitern, die hier an Zukunftsprojekten wie der
Digitalen Schiene arbeiten werden.
Was ist die Digitale Schiene?
Das müssten Sie eigentlich die Deutsche Bahn fragen. Es geht bei
diesem Projekt um die digitale Ausrüstung der Strecken und den
digitalgesteuerten Bahnbetrieb, wodurch auf dem vorhandenen
Schienennetz ein Kapazitätszuwachs von bis zu 30 Prozent erreicht
werden kann – ohne den aufwändigen Neubau von Infrastruktur also.
Klingt gut…
…und passt perfekt zum EUREF-Campus.
Weshalb?
Weil der Campus ein Ort ist, an dem es ausschließlich um solche
Themen geht. Einer unserer Grundsätze lautet beispielsweise, dass
nur Mieter auf den Campus kommen, die mit den Themen Energiewende,
Mobilitätswende oder Klimaschutz zu tun haben. Wir nennen
ihn deshalb auch ein Reallabor, in dem Technologien und Innovationen
aus den Bereichen Energie, Mobilität und Klimaschutz erforscht und
getestet werden.
Es heißt, die Energiewende sei auf dem Campus bereits vollzogen.
Genauso ist es. Die gesamte Energieversorgung der Gebäude
erfolgt durch den Einsatz regenerativer Energien CO 2
-neutral. Die
GASAG-Zentrale, der Sitz der NBB-Netzgesellschaft und das Gasometergebäude
erfüllen sogar den höchsten energetischen Effizienzstandard,
das heißt, diese Gebäude benötigen nur 55 Prozent der
Energie eines herkömmlichen Gebäudes.
Um nochmal auf den Gasometer zurückzukommen, Herr Müller,
wann werden denn die Deutsche-Bahn-Mitarbeiter ihr transparentes
Bürogebäude in Besitz nehmen?
Die Fertigstellung ist für 2024 geplant. Im Gasometer entstehen
neben den zwölf Büroetagen noch weitere, durchaus spektakuläre
Orte. Ganz unten, wo Sie jetzt nur den 16 Meter hohen Stahlmantel
sehen, der zum einstigen Gasbehälter gehörte, wird es ein hochmodernes
Konferenzzentrum geben, darüber folgen, wie gesagt,
die Deutsche-Bahn-Büros und auf der obersten Etage bauen wir eine
Skylounge mit einer dazugehörigen Terrasse, die öffentlich zugänglich
sein wird und den Besuchern einen fantastischen Blick aus 66
Metern Höhe auf die Hauptstadt bietet.
Welche Rolle hat eigentlich bei der Planung des Standortes die
Gastronomie gespielt?
Jedenfalls keine Nebenrolle. Sie können kein Stadtquartier entwickeln,
das Standort so vieler Firmen ist, ohne dabei die Versorgung
der dort Beschäftigten im Blick zu haben. Und ich bin durchaus
stolz darauf, wie gut uns das gelungen ist. Schauen Sie sich um,
und besuchen Sie unbedingt unser gastronomisches Flaggschiff
the CORD, das nach meiner bescheidenen Meinung durchaus etwas
mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Vielen Dank für die interessanten Informationen, Herr Müller.
8
Campus kulinarisch Titel •
9
• Titel Campus kulinarisch
Thomas Kammeier, Jahrgang 1966, geboren im westfälischen
Schermbeck, absolvierte nach dem Schulabschluss eine Bäckerlehre
und hätte sicher auch in diesem Beruf Karriere machen
können. Doch er entschloss sich, Koch zu werden und begann,
bereits 22-jährig, eine zweite Ausbildung. Die führte ihn zu Ernst
Scherrer nach Recklinghausen und zu Wolfgang Dubs nach Worms.
Weitere Stationen: die 2-Sterne-Restaurants Landhaus Scherrer
in Hamburg und Hummerstübchen in Düsseldorf. Der Liebe wegen
kam er 1996 nach Berlin, wurde zwei Jahre später Küchenchef
im InterConti-Nobelrestaurant Zum Hugenotten und danach im
Hugos. Sternekoch von 1999 bis 2015, dem Jahr seines Wechsels
zum EUREF-Campus, auf dessen Areal vor gut anderthalb Jahren
das Fine-Dining-Restaurant the CORD eröffnete, das mit beeindruckendem
Ambiente, der wahrscheinlich schönsten Terrasse der
Stadt und einer bemerkenswerten zeitgenössischen Küche punktet.
Weshalb eigentlich, Herr Kammeier, findet man das Restaurant the
CORD in keinem der einschlägigen Gastroguides?
Darum ging es uns zunächst ja gar nicht. Unser Plan war es, erstmal
das Konzept Fine Dining mit einem Nachhaltigkeitscampus, also dem
EUREF-Campus, in Übereinstimmung zu bringen. Jetzt freuen wir uns
natürlich auf Besuche der Tester etwa aus Karlsruhe oder München.
Es wurmt Sie aber schon, dass Branchengrößen wie Michelin und
Gault&Millau das the CORD in diesem Jahr links liegen gelassen
haben, oder?
Wir nehmen uns gerne die Zeit, die es dafür braucht und freuen uns
bis dahin über die Anerkennung durch unsere Gäste.
Auf Ihrer Visitenkarte steht die Funktionsbezeichnung Gastronomischer
Leiter. Wofür sind Sie denn auf dem EUREF-Campus
verantwortlich?
Für alle gastronomischen Belange des Campus. Es gibt auf dem Gelände
fünf Tagesrestaurants, die in der Regel von 11.30 Uhr bis 15.00
Uhr geöffnet sind und sich um die Versorgung der hier Beschäftigten
kümmern, immerhin sind inzwischen mehr als 150 Unternehmen und
Wissenschaftseinrichtungen auf dem Campus ansässig, wir reden
von rund 5.000 Arbeitsplätzen, und wenn der Ausbau des Gasometers
abgeschlossen und die Mitarbeiter der Deutschen Bahn dort eingezogen
sind, werden weitere 2.000 hinzukommen…
Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, Herr Kammeier, diese
Restaurants sind dann sozusagen ‚for campus-people only‘?
Nein, gar nicht! Während der Öffnungszeiten empfangen diese
Restaurants, also etwa die Schmiede, in der italienische Hausmannskost
serviert wird, das Bamboo Bay mit seiner asiatischen Küche oder
unser vegetarisch-veganes Restaurant Grüns gerne auch Campus-Besucher
oder Nachbarn. Wenn sie wollen, lade ich Sie im Anschluss an
unser Gespräch zu einer Stippvisite in diese Restaurants ein.
Gerne, aber ich habe Sie unterbrochen…
Hinzu kommt unser Fine-Dining-Restaurant the CORD und ein
ziemlich umfangreiches Catering-Geschäft, für das wir auch zwei
Foodtrucks betreiben. Und wenn ich ‚umfangreich‘ sage, dann spreche
ich von drei- bis vierhundert Empfängen, Kongressen, Tagungen,
Workshops und Produktpräsentationen jährlich, sowohl in den
diversen Eventlocations und auf den Freiflächen des Campus als
auch außerhalb.
Haben Sie ein paar Beispiele parat?
Spontan fallen mir das Sommerfest des Vereins Berliner Kaufleute
und Industrieller mit über 800 Gästen ein, die Verleihung der Fairtrade
Awards mit schätzungsweise 400 Gästen und die ICNC, also die
Intercharge Network Conference, eine wahnsinnig gut besuchte
Messe rund um die Elektromobilität. Soll ich weitermachen?
Nein, aber um das alles zu stemmen, brauchen Sie ziemlich viele
Mitarbeiter, angesichts der großen Personalnot in der Gastronomie
sicher ein Problem?
Zuallererst braucht es gute Planung, ordentliche Koordinierung und
strukturelles Arbeiten und dann, da haben Sie recht, ein eingespieltes
Team. Und das sind unsere 35 festangestellten Köche, Kellner und
Sales-Mitarbeiter ohne Frage.
Ich hatte ehrlich gesagt, mit weit mehr Leuten gerechnet.
Natürlich arbeiten wir im Veranstaltungsgeschäft mit Agenturen zusammen,
die uns Köche und Servicepersonal für bestimmte Events
vermitteln.
Stimmt es, dass seit einiger Zeit eine prominente Sterneköchin an
Ihrer Seite tätig ist?
Absolut: Cornelia Poletto, das stimmt. Wobei Ihre Formulierung ‚an
meiner Seite‘ relativ ist. Sie hat die gastronomische Leitung des
neuen EUREF-Campus Düsseldorf übernommen. Wir sind natürlich
in ständigem Austausch, aber leider nur selten in räumlicher Nähe.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kammeier.
10
Campus kulinarisch Titel •
Thomas Kammeier und Küchenplaner Herbert Breckner (Lohberger).
Sous Chefin Doris Schön.
Die Küchenchefs Florian Peters (the CORD)
und Dirk Biedermann (EUREF-Event GmbH), v. re.
11
• Titel Campus kulinarisch
The CORD also, das gastronomische Flaggschiff auf dem EUREF-
Campus. Dem ersten Blick folgt das große Staunen. Hier haben
Architekten, Designer, Küchen- und Terrassenbauer tatsächlich
Bestes geleistet. Gestalterisches Nonplusultra, außen wie innen.
Ein Ambiente, das in Berlin wohl einmalig sein dürfte.
12
Campus kulinarisch Titel •
Blickfang im Restaurant und gleichzeitig sein Namensgeber ist ein
amerikanischer Oldtimer aus dem Jahr 1937 – eins der wenigen noch
im Originalzustand erhaltenen Exemplare des Cord 810 / 812. Die
von Gorden M. Buehrig entworfene und in Auburn / Indiana gebaute
Limousine gilt als modernstes Automobil seiner Zeit.
Durch die stromlinienförmige Karosserie, die vergleichsweise niedrige
Bauweise, seine Klappscheinwerfer und die unsichtbar angebrachten
Hauben- und Türscharniere konnte der Cord 810 / 812 den Luftwiderstand
minimieren und so den Kraftstoffverbrauch erheblich
reduzieren – damals eine automobile Revolution.
13
• Titel Campus kulinarisch
Einige der Menschen im the CORD sind gute Bekannte, nicht nur für
uns, sondern für viele Berliner, die gastronomisch mehr unterwegs
sind als nur bis zum Italiener um die Ecke.
Da ist Florian Peters, 33-jähriger Berliner aus Lichterfelde und seit
zwei Jahren Küchenchef im the CORD. Peters absolvierte seine Kochlehre
im Grand Hyatt am Potsdamer Platz, übernahm – gerade mal
23 – die Küche des Golfclubs Stolper Heide als Chef de cuisine, kehrte
2014 nach Berlin zurück und trat im Restaurant VOX des Grand Hyatt
Hotels die Stelle des Sous Chefs an. 2016 wurde er zum Küchenchef
des Nobellokals ernannt. „Der Ruf ins the CORD war für mich Ehre
und Herausforderung zugleich“, so Peters, „Ehre, weil er von Thomas
Kammeier kam, einem der erfahrensten Sterneköche Berlins und
Herausforderung, weil ich auf dem EUREF-Campus ein kulinarisches
Konzept mit entwickeln und etablieren konnte.“ Ein innovatives Fine-
Dining-Konzept im Family Style, so formuliert es ein Flyer.
Küchenchef Florian Peters.
Was sich hinter der zwar knappen, aber auch ein bisschen gespreizten
Marketing-Formulierung verbirgt, zeigen Florian Peters und die
Männer seiner Küchenbrigade mit dem, was im the CORD auf die
Teller kommt. Das ist leicht, produktbewusst, extrem nahbar gekocht,
interessant komponiert und ansehnlich arrangiert.
Da ist die gebratene und in einer Escabeche marinierte Fjordforelle,
die mit eingelegter Roter Bete und reifen Brombeeren auf die Teller
kommt – ein erster, wunderbar frischer Lichtblick der CORD-Karte.
Geschmacklich auf gleicher Höhe: Kammeiers Fischeintopf, ein
Klassiker aus seligen Hugos-Zeiten. Fleischig geht’s weiter – entweder
mit einem 850 Gramm schweren irischen Porterhouse oder
einem 300-Gramm-US-Rib-Eye, optimal gereift und im extrem heißen
Beefer karamellisiert. Dazu klassisch Fritten und Kräuterbutter oder
extravagant Chimichurri. Und für Veggies gibt’s Erbsen-Tortelloni mit
Hollandaise oder Buchweizen-Risotto mit Bundmöhren.
Entremetier Stefan Hager.
Sous Chef Sven Evers.
14
Campus kulinarisch Titel •
Restaurantleiter Olaf Rode.
In diesem Zusammenhang spricht Rode kenntnisreich und leidenschaftlich
über „das Restaurant als Innovationswerkstatt und Ort
unbedingter Nachhaltigkeit“. Ein Thema, das ihm möglicherweise
auch deshalb so nahe ist, weil er vor seiner Gastgeber-Karriere den
Beruf des Landwirts erlernt hat…
„Nachhaltig erzeugte Produkte sind die Basis unserer Gerichte“,
erklärt der Restaurantleiter und fügt hinzu: „Ob Fisch, Fleisch oder Gemüse
– für die Verarbeitung unserer Lebensmittel nutzen wir zudem
ausschließlich auf dem EUREF-Campus nachhaltig erzeugte Energie.“
Vins fins du monde, die feine Welt der Weine, war schon immer
auch Olaf Rodes Welt. Heute allerdings ergänzt er die Fügung: „die
feine Welt nachhaltig und umweltbewusst hergestellter Weine“ und
nennt die Winzer Jochen Dreissigacker aus Rheinhessen, Christian
Stahl aus Franken und das Familienwein- und Sektgut Bamberger
von der Nahe…
Keine Frage – alles, was man aufgabelt oder auslöffelt, demonstriert
das Können und die Passion der jungen Küchenbrigade um Florian
Peters. Ebenso ambitioniert und weltoffen wie sich Interieur und
Küche präsentieren, agiert auch der Service im the CORD. An der
Spitze des Teams: Olaf Rode.
Der 55-jährige Restaurantfachmann war Servicemitarbeiter im
Schloßhotel Vier Jahreszeiten im Grunewald, Maîtrestellvertreter im
Restaurant First Floor des Palace Hotels und ab 2003 Restaurantleiter
im Hugos. Schon damals gehörte Rode zur Créme de la créme
seines Berufsstandes, wurde 2007 als „Berliner Maître des Jahres“
ausgezeichnet und bildete mit dem Hugos-Küchenchef Thomas
Kammeier ein Duo perfetto. 2014 zog Olaf Rode ins Restaurant Alpenstück
und wechselte schließlich sechs Jahre später auf den EUREF-
Campus, um hier die Servicebrigade im the CORD aufzubauen und
zu leiten. „Die Aufgabe ist ebenso spannend wie der Ort“, sagt er.
Zu Gast im the CORD: Der Winzer Jochen Dreissigacker
aus Bechtheim / Rheinhessen.
15
• Titel Campus kulinarisch
1. Mai 2022: All about Spargel.
3. Juli 2022: Beef and Barbecue.
16. Oktober 2022: Wild.
4. Dezember 2022: X-mas-Markt.
Vier Termine und eine Headline: Sunday Special. Die Idee der in Berlin
einmaligen Eventreihe im the CORD erklärt Küchenchef Florian Peters
so: „Fernab des normalen À-la-carte-Geschäfts bieten wir unseren
Gästen zu einem Thema kulinarisch Besonderes. Wir laden sie in
unsere Küche ein, in der die gesamte Brigade an verschiedenen
Stationen Flying Dishes zubereitet und hoffen natürlich auf viele
gute Gespräche.“
Die Rechnung ging auf – unsere Bilder von der Eventpremiere am
ersten Maisonntag auf den Seiten 16 und 17 beweisen das. Rund 60
ess- und wissbegierige Gäste kamen um 16 Uhr ins the CORD und
hatten fünf Stunden lang Spaß in jeder Hinsicht.
16
Campus kulinarisch Titel •
Locker, ungezwungen, einfach nett, lobten sie die Atmosphäre, und
auch die kulinarische Offerte des the CORD-Teams bekam ausschließlich
Bestnoten – vom kalt geräucherten Ikarimi-Lachs, der von einer
grünen Gazpacho, griechischem Joghurt, Pumpernickel und Wiesenkräutern
begleitet wurde bis zum Fürstenberger Maibock, der mit
weißem Spargel, Schnittlauch-Kartoffeln und Sauce hollandaise auf
die Teller kam. Und selbst Gastwinzer Jochen Dreissigacker staunte
nicht schlecht über die vielen vinophilen Fachfragen der Gäste…
THE CORD
EUREF-Campus 23–24
10829 Berlin-Schöneberg
Tel. 030 – 26 47 67 92
www.thecord.de
17
• Titel Campus kulinarisch
Inhaber Pino und Maria Sangermano.
Die „Schmiede“ ist ein denkmalgeschütztes Werkstattgebäude
am Fuße des Gasometers, das nach aufwändiger Restaurierung zu
einer gefragten Tagungs- und Eventlocation für bis zu 200 Personen
wurde – und auch ein Restaurant beherbergt, die „Schmiede da Pino“.
Inhaber des Lokals sind Giuseppe Sangermano, genannt Pino,
und seine Frau Maria. Der 66-jährige Koch und Gastronom stammt
aus einem Dorf in der Nähe von Cosenza, einer 90.000-Einwohner-
Stadt in der süditalienischen Region Kalabrien und gilt in Berlin als
gastronomisches Urgestein.
Bereits 1977 empfing er, damals noch gemeinsam mit seinem
Onkel, im Ristorante Isola Dino die große Schar äußerst italo-minded
Steglitzer, ab 1984 managte er den Laden alleine. Hier lernte er auch
seine Frau Maria kennen, die zwar perfekt italienisch parliert, aber
gebürtige Griechin ist.
Die beiden eröffneten Mitte der 1990er das Tavola Calda in Tiergarten
und ließen sich schließlich, einige Jahre später, von EUREF-
Chef Reinhard Müller überzeugen, auf dem an gastronomischen
Ereignissen damals noch eher öden Campusgelände ein italienisches
Restaurant zu betreiben – die Schmiede da Pino war geboren. Das
Lokal erlebte erste Glanzzeiten als Günther Jauch von 2011 bis 2015
seinen Polittalk aus der Kuppel im Gasometer sendete.
18
Campus kulinarisch Titel •
Die inzwischen üblichen Verkünstelungen klassischer Italo-Gerichte
sind dem Team der Schmiede fremd. Tatsächlich würde man
glatt die sprichwörtliche Mamma am Herd vermuten, wenn da nicht
immer wieder junge Männer am Werk wären. Küchenchef Andrea
Cassan – er stammt aus dem Friaul – und der sizilianische Pizzabäcker
Michele Ferrante sorgen für die kulinarischen Konstanten der
Schmiede: Pasta und Pizza. Dann und wann wird auch der Garnele
und dem Raviolo gehuldigt, frische Salate stehen immer auf der
Karte. Spaghetti, Tagliatelle, Penne & Co sind straight und gut,
und die Pizzen haben mit dem, was diverse Lieferdienste zuweilen
anschleppen, nur den Namen gemeinsam. „Der Teig ist nach einem
alten Rezept hausgemacht“, so Maestro Pino, „und auf den Fladen
kommt nur bestes Zeugs.“
SCHMIEDE DA PINO
EUREF-Campus 15
10829 Berlin-Schöneberg
Tel. 030 – 78 89 07 82
www.pino-schmiede.de
19
• Titel Campus kulinarisch
20
Campus kulinarisch Titel •
Erwarten Sie bei uns bitte keine Cucina Italiana 2.0 oder wie das heute heißt, wenn von
Klassikern der italienischen Küche gerade mal noch der Name übrig bleibt. Verstehen
Sie mich nicht falsch, das muss es sicher auch geben, aber zu uns passt dann doch die
Casalinga-Tradition besser. Cucina Mamma eben, mit Liebe und Sorgfalt zubereitet.
Giuseppe „Pino“ Sangermano, Gastronom und Inhaber, Schmiede da Pino
21
• Titel Campus kulinarisch
Restaurantleiterin Nicole Schäfer.
„Wir legen großen Wert auf die Kommunikation mit unseren Mietern“,
sagt EUREF AG-Vorstandsvorsitzender Reinhard Müller und hat, damit
der Satz nicht nach Platitüde klingt, auch gleich ein paar Beispiele
parat. „Im Ergebnis solcher Gespräche haben wir entschieden, auf
dem Campus nur die Hälfte der geplanten Parkplätze zu bauen“,
erzählt er, „etwa drei Viertel aller Mitarbeiter der hier ansässigen
150 Unternehmen kommt nämlich mit dem Fahrrad oder benutzt den
öffentlichen Nahverkehr, weil die Anbindung so gut ist.“ Und auch
die Eröffnung unseres vegetarisch-veganen Restaurants Grüns, so
Müller, sei letztlich das Resultat einer Mieterumfrage.
Das Grüns also – ein Restaurant, das – nomen est omen – schon
auf den ersten Blick hält, was der Name verspricht. Die Farbe der
Hoffnung dominiert. Grüne Kissen, grüne Lampen, grüne Tabletts,
selbst die Kleiderbügel an der Garderobe sind grün. Und natürlich
begrüßt auch Restaurantleiterin Nicole Schäfer ihre Gäste nicht in
x-beliebiger Outfitfarbe, sondern mit resedagrüner Leinenschürze.
Die 43-jährige Hessin (Heimat der Grünen Soße!) ist Restaurant- und
Hotelfachfrau von Beruf und gehört seit sieben Jahren zum Serviceteam
des EUREF-Campus. „Ich hätte nie gedacht, dass es so viel Spaß
machen kann, in einem Selbstbedienungsrestaurant zu arbeiten“,
sagt sie noch, dann beginnt der Sturm auf das Buffet.
22
Campus kulinarisch Titel •
Tatsächlich ist das im Oktober 2018 eröffnete Grüns das am stärksten
frequentierte Restaurant auf dem Campus. Veggie liegt eben im
Trend und das offensichtlich nicht nur bei den Gästen. „Kochen ist
immer dann geil, wenn du merkst, dass das Konzept stimmt, dass
deine Kreationen ankommen, dass kaum was in der Tonne landet“,
kommentiert Doris Schön, erfahrene Sous Chefin und eine gute alte
Bekannte aus seligen Kreuzberger e.t.a.-hoffmann-Zeiten (s. Bild
S. 24 oben links). Das Grüns-Konzept beschreibt sie dann so: „Unsere
Basics sind Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse und Saaten, fast
alles in Bio-Qualität. Daraus bereiten wir Komponenten zu, aus denen
sich die Gäste in Bowls ihren persönlichen Mix zusammenstellen
können. Und weil alle Komponenten farbig gekennzeichnet sind,
wissen auch Veganer, woran sie sind und was für sie passt.“
GRÜNS
EUREF-Campus 21–22
10829 Berlin-Schöneberg
Tel. 030 – 26 47 67 41
www.euref.de/entry/gruens-restaurant/
23
• Titel Campus kulinarisch
24
Campus kulinarisch Titel •
Ich bin zwar selbst keine Vegetarierin, aber mich fasziniert diese Küche schon seit
vielen Jahren. Als ich 1984 als junge Köchin nach Berlin kam, war meine erste Stelle
im gerade eröffneten Thürnagel am Südstern, dem meines Wissens damals einzigen
Restaurant in der Stadt, in dem tatsächlich ausschließlich fleischlos gekocht wurde.
Mein Gott, was wir da experimentiert haben, es gab ja kaum Erfahrungen mit der
vegetarischen Küche! Aber das prägt – bis heute.
Doris Schön, Sous Chefin
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• Titel Campus kulinarisch
Inhaber Lu Truc Kieu und Huu Phap Tran, v. re.
Als Ende der 1990er in Berlin Sushi-Bars wie Pilze aus dem Boden
schossen und jeder, der in der Lage war, das Wort leidlich fehlerfrei
zu buchstabieren, meinte, Sushi auch zubereiten zu können, war’s
um das japanische Fastfood geschehen. Den Rest besorgten dann
die Sushi-Offerten diverser Supermärkte, die vielleicht hygienisch
einwandfrei sein mögen, aber geschmacklich eine Vollkatastrophe
sind, staubig trockener Reis, geschmacklos und totgekühlt der Fisch.
Kein Wunder, dass das Image der gefüllten Reisröllchen bald den
Tiefstpunkt erreicht hatte.
Das wussten natürlich auch Lu Truc Kieu und Huu Phap Tran, als
sie Sushi auf die Speisekarte ihres Restaurants Bamboo Bay setzten,
das übrigens im Gegensatz zu den meisten Sushi-Bars weder bar
jeder Gemütlichkeit noch bar jeden Platzkomforts ist.
Und auch das Servierte ist über alle Zweifel erhaben. Der Reis der
Sushis ist handwarm, die Ein- oder Auflagen vom Feinsten. Das Sushi-
Set beinhaltet zweimal Lachs – einmal ein mageres Stück aus dem
Kern des Rückenfilets, das andere ist ein wenig fetter und saftiger. Ein
ähnliches Variantenspiel findet beim Thunfisch statt. Verschiedene
Gemüse und japanischer Tofu schließlich sorgen für Abwechslung
am Reishügel. „Wir kümmern uns um die Frische der Produkte“, so
Lu Truc Kieu, „Hoang Cuong Pham um deren Verarbeitung.“
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Campus kulinarisch Titel •
Neben dem Sushi-Angebot offeriert das Bamboo Bay diverse
Varianten eines sensationell würzigen vietnamesischen Currys sowie
einige Suppen – etwa die Sup Wan Tan mit hausgemachten Hühnerfleisch-Teigtaschen
oder die Sup Nuoc Dua, eine Kokosmilchsuppe
mit Champignons, Zitronengras, Bambus und wahlweise Hühnerfleisch
oder Tofu.
Der tägliche Gästeansturm und die vielen Büro-Caterings belegen,
dass Lu Truc Kieu und Huu Phap Tran mit ihrem All-Asia-Fusion-
Konzept eine kulinarische Punktlandung auf dem EUREF-Campus
hingelegt haben. „Das macht uns schon stolz“, so die beiden
Vietnamesen, „zumal wir gastronomische Seiteneinsteiger sind.“
Der 42-jährige Lu Truc Kieu hat übrigens BWL und Wirtschaftsrecht
studiert, sein drei Jahre jüngerer Partner Medieninformatik…
BAMBOO BAY
EUREF-Campus 12
10829 Berlin-Schöneberg
Tel. 030 – 78 95 05 90
www.bamboobay.berlin
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• Titel Campus kulinarisch
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Campus kulinarisch Titel •
Wie in den meisten asiatischen Ländern hat auch in unserer Heimat das Essen einen
hohen Stellenwert. Ein altes vietnamesisches Sprichwort sagt: ‚Glück heißt satt werden‘.
Aber das sollte nicht alles sein. Es geht auch um ein Gefühl von Wohlbefinden. Je ausgewogener
und leichter die Speisen, desto vitaler fühlt man sich. Dieser Erkenntnis
folgt unser kulinarisches Angebot.
Lu Truc Kieu und Huu Phap Tran, Inhaber Bamboo Bay
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• Titel Campus kulinarisch
Gründer und Inhaber: Frithjof Wodarg und Matteo Angioi Petia, v. li.
HERMANNSTRASSE 211
12049 BERLIN-NEUKÖLLN
WWW.GORILLA-BAECKEREI.DE
„Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung“, sagt
Heraklit, der griechische Denker aus Ephesos (550–480 v.Chr.).
Frithjof Wodarg hat Geschichte und Philosophie studiert und
kennt natürlich den „Lehrer des Werdens“. Und auch für Matteo
Angioi, den Dottore farmacologia, ist der Alte Grieche kein Unbekannter.
„Zumindest unser Leben scheint die Richtigkeit des
Heraklitschen Postulats zu beweisen“, sagt Frithjof Wodarg, „aber
das ist schon alles.“
Der 35-jährige Berliner hätte sicher auch als Unternehmensberater
weiter Karriere machen können, ebenso wie der 39-jährige Italiener
Angioi als Apotheker. Doch der Hang der beiden Männer zu allem
Kulinarischen brachte sie auf eine andere Spur.
Geboren wurde die Idee einer Bäckerei, die sowohl italienische
als auch französische (Wodarg ist mit einer Französin verheiratet)
und deutsche Spezialitäten herstellt, vor fünf Jahren. Frithjof Wodarg
hatte da noch seinen Beraterjob, Angioi arbeitete nach einem einjährigen
Konditoreipraktikum und einer Zwischenstation bei Alfredo
Sironi in der Markthalle Neun schon als Produktionsleiter für die
Albatross-Bäckerei im Kreuzberger Graefekiez.
„Während meiner Elternzeit entstand aus der Idee dann ein Projekt,
und Ende 2019 wurde es endgültig ernst“, so Wodarg.
30
Campus kulinarisch Titel •
In der Hermannstraße in Neukölln fanden sie geeignete Räumlichkeiten
– das frühere Domizil von Batman Elektronik, eine stadtbekannte
Adresse. Muharren Batman hatte hier jahrelang alles
Elektronische repariert, was sich reparieren ließ und aus dem Rest
Kunst gemacht: Elektroschrott-Skulpturen, die nicht nur viele private
Sammler interessierten, sondern auch die Kuratoren des Museums
Nixdorf in Paderborn, des größten Computermuseums der Welt.
Frithjof Wodarg und Matteo Angioi bauten den Laden um und
eröffneten im Dezember 2020 die Gorilla Bäckerei. Sie freuten
sich über den respektablen Kundenzuspruch und das positive
Presseecho – dass der nunmehr kulinarische Ort in kurzer Zeit
wieder eine stadtbekannte Adresse werden würde, damit hatten
sie allerdings nicht gerechnet.
Wodarg kümmerte sich um die Struktur der Firma und den Unternehmensaufbau,
Angioi übernahm die Produktentwicklung. Die
Bäcker, Konditoren und Backwarenverkäufer kamen aus der halben
Welt. Die Kreationen des Teams überzeugten milieu- und generationsübergreifend,
schnell wurde die Gorilla Bäckerei (benannt übrigens
nach der Steve-Studinski-Skulptur vor der Tür) in einem Atemzug mit
Branchengrößen wie Domberger und Gragger genannt.
31
• Titel Campus kulinarisch
Diese Tatsache blieb auch dem Management des EUREF-Campus
nicht verborgen, das ohnehin auf der Suche nach einem backenden
Partner war, um das kulinarische Campus-Angebot zu vervollständigen.
Man verhandelte erfolgreich – im April 2022 übernahm
die Gorilla Bäckerei die Erdgeschossräume des Campus-Hauses
1–2 direkt an der Torgauer Straße (deren rumpelpistiger Zustand
übrigens so gar nicht zu diesem Zukunftsort passt, aber das nur
am Rande).
Der Umbau war keine Frage großer Kraftakte, schnell entstand ein
für Gorilla maßgeschneidertes Ambiente: schlicht, funktional und
mediterran luzid wegen der vielen Fenster und hellen Farben. Und
wegen der wirklich großen, von Dutzenden Hortensien umwachsenen
Sonnenterrasse.
Duplizität der Ereignisse: Wie in der Neuköllner Hermannstraße gab
es auch am zweiten Gorillastandort von Beginn an einen respektablen
Kundenzuspruch nicht nur von Campus-Mitarbeitern, sondern auch
von Bewohnern des Kiezes rund um das Schöneberger Tor und sogar
von weiter her. Und auch das Presseecho war nicht zu überhören –
Tagesspiegel und tip waren voll des Lobes, und das ist in Berlin schon
so etwas wie ein Ritterschlag.
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Campus kulinarisch Titel •
Bäckereimanagerin Fee Halstenbach.
„Wir bieten eine große Auswahl verschiedener Brotsorten an, vom
kräftigen Sauerteig-Laib bis zum feinen französischen Baguette“,
diktiert uns Fee Halstenbach in den Block, „außerdem gibt es verschiedene
Focaccia-Sorten, Quiches und unsere Römischen Pizzen,
die sich peu à peu zum absoluten Renner entwickeln.“ Weshalb
sie das „Römische“ betont, wollen wir wissen. „Im Gegensatz zur
normalen Pizza Italiana, die meist rund und frei geschoben ist, werden
Römische Pizzen auf großen viereckigen Blechen gebacken“, erklärt
sie und fährt fort: „Wer es lieber süß mag, kommt bei unseren
französischen Viennoiserie- und Patisserieofferten auf seine Kosten.“
Fee Halstenbach zeigt auf Mandelcroissants, Schokocroissants,
Kardamom-Zitronen-Rolls, Tartes au citron, Pains aux raisins und
andere mehr oder weniger süße Teilchen.
Die 29-jährige Wuppertalerin ist ebenso eloquent wie kompetent –
Bäckerin oder Konditorin oder beides, vermuten wir. Doch weit gefehlt
– Fee Halstenbach hat an der Film Acting School Cologne
Schauspiel studiert und kam vor drei Jahren mit der großen Hoffnung
auf Engagements nach Berlin. „Als Corona dann den Kunstbetrieb
lahmlegte und die meisten Künstler zum Arbeitsamt zogen, war
ich froh, dass ich den Job bei der Gorilla Bäckerei angeboten bekam“,
sagt sie.
EUREF-CAMPUS 1
TORGAUER / ECKE DOMENICUSSTRASSE
10829 BERLIN-SCHÖNEBERG
WWW.GORILLA-BAECKEREI.DE
33
• Titel Campus kulinarisch
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Campus kulinarisch Titel •
Küchenchef Guillermo Luengas.
Sous Chefin Sarah Brewer.
Last but not least und mehr als nur eine Erwähnung wert sind die
täglichen Mittagsangebote und das späte Wochenendfrühstück
von Sarah Brewer, 30, und dem 38-jährigen Guillermo Luengas. Die
Engländerin aus Brighton und der Mexikaner aus Tamaulipas standen
schon bei etlichen Küchengrößen dieser Welt am Herd – das merkt
man. Sie kochen nicht für ihr Ego, sondern für ihre Gäste – und das
tun sie unverschämt gut.
Ebenso einfach wie genial: eine vegane Safran-Kokosnuss-
Orangenpolenta, die mit gebratenen Austernpilzen serviert wird,
über denen ein Hauch Zimtöl schwebt und das vegetarische
Breakfast-Board, bestehend aus hausgemachtem Labneh, der mit
Limettenblattöl aromatisiert wurde, gebrannter Sumach-Orange,
Blutorangen-Ingwer-Marmelade, Karotten-Ingwer-Butter und Weizen-
Sauerteigbrot. Dazu vielleicht noch ein Bio-Ei, zwei Stunden lang bei
63 Grad gekocht – so macht brunchen Spaß!
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• Lokaltermin Restaurantschiff Patio
Restaurantschiff Patio
NICHT NUR DIE LAGE IST EIN GLÜCKSFALL
VON JÖRG TEUSCHER
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Restaurantschiff Patio Lokaltermin •
Als Mathias Böhme vor 20 Jahren einen schrottreifen Werkstattkahn
des Berliner Wasser- und Schifffahrtsamtes erwarb und erklärte,
ihn zu einem Restaurantschiff umbauen zu wollen, stand für viele,
die davon hörten, fest: bekloppt oder besessen. Doch der heute
53-Jährige, gebürtig im Ostseebad Wustrow, hatte für solcherart
Kommentare nur ein müdes Lächeln.
Der gelernte Maschinenbauer und erfahrene Restaurantfachmann
wusste nämlich genau, was er tat. Nach fünfjähriger Bautätigkeit,
die Böhme gemeinsam mit einigen Freunden absolvierte, konnte er
sein Restaurant-Traumschiff tatsächlich eröffnen.
Einen Motor hat das 450-Bruttoregistertonnen-Schiff zwar nicht
mehr – es liegt fest verankert am Helgoländer Ufer in Tiergarten
in der Nähe des Berliner Regierungsviertels – dafür gibt es ein
Sonnendeck, ein Bardeck und ein Partydeck mit Platz für insgesamt
über 160 Gäste.
Küchenchef Christopher Kümper.
Eigner Mathias Böhme.
Dann kamen das Jahr 2022 – und Christopher Kümper. Der 35-jährige
Küchenchef, gebürtig aus Menden im Sauerland, hatte sich 2015
für Berlin entschieden – nach Stationen bei Heinz Otto Wehmann in
Hamburg, Nils Henkel in Bergisch Gladbach, Daniel Boulud in New
York und André Chiang in Singapur. Gemeinsam mit David Monnie
eröffnete er das Schwein in der Elisabethkirchstraße in Mitte, das
nach zwei Jahren und vielen Streitereien mit dem Vermieter nach
Charlottenburg umzog und später Christopher’s hieß.
2021 beschlossen Gastronom Monnie und Küchenchef Kümper,
gleichzeitig die beiden Inhaber, das Restaurant zu verkaufen. Patio-
Eigner Mahias Böhme erfuhr davon und wählte Kümpers Nummer:
„Hallo Christopher, wir müssen reden.“ Der Coup gelang, und im
April 2022 heuerte der Spitzenkoch, immerhin Berliner Aufsteiger
des Jahres 2017 und Kandidat für den Michelin-Stern, auf dem
Restaurantschiff an.
Nach der Bedeutung des Schiffsnamens gefragt, grinst Böhme: „Dreimal
dürfen Sie raten!“ Mit jedem unserer Versuche wird das Grinsen
des Patio-Eigners breiter. Dann liefert er des Rätsels Lösung. „Das
Wort stammt weder aus dem Italienischen noch aus dem Lateinischen
und aus dem Griechischen schon gar nicht.“ Sondern? „Es ist eine
Erfindung, entstanden während eines weinigen Brainstormings. Kurz
sollte der Schiffsname sein, knackig klingen und Ausländer sollten
ihn problemlos aussprechen können. Unter den vielen Ideen war Patio
die beste.“ Klingt zumindest besser als Schrotti, geben wir Mathias
Böhme zumindest eins zurück.
Obwohl die meisten Gastroguides das Restaurantschiff links
liegen ließen, reichten Mundpropaganda, Digitalagitation und ein
Mein-Lokal-Dein-Lokal-Fernsehauftritt, um es bekannt zu machen.
Dutzende Firmenevents und 40 bis 50 Hochzeiten fanden in der
Vor-Corona-Zeit jährlich auf der Patio statt.
Restaurantleiter Richard-David Heinen.
37
• Lokaltermin Restaurantschiff Patio
Chef der sechsköpfigen Servicebrigade ist der 35-jährige Richard-
David Heinen, gebürtiger Luxemburger, gelernter Koch und Hotelfachmann
und seit neun Jahren auf der Patio (s. Bild S. 37).
Heinen erinnert sich: „Der Wechsel von Christopher Kümper auf
unser Schiff brachte tatsächlich etliche neue Gäste, sowas hatte ich
bisher noch nicht erlebt.“ Und auch die hauptstädtischen Restauranttester
(zumindest die) entdeckten nun die gastliche Stätte am Helgoländer
Ufer und schrieben verzückt über den einmaligen Spreeblick,
das sanfte Plätschern des Wassers, den still vorübergleitenden
Schiffsverkehr...
Und lobten natürlich Kümpers Küche über den grünen Klee.
„Soulfood auf der Spree“, formulierte die tip-Edition Berlin Food
2022 / 23 treffend, „eine wirklich schöne Casual-Fine-Dining-Küche,
gekocht von einem der handwerklich besten und dramaturgisch feinsinnigsten
Köche der Stadt.“
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen – außer vielleicht, dass
hinter Kümper mit Daniel Biskupski (kam mit dem Küchenchef aus
dem Christopher’s), Oliver Hoffmann (früher im Bricole), Markus
Suntinger (früher im Abion Hotel) sowie den Auszubildenden Signe
Winkelmann und Friedrich Theue eine hoch motivierte Mannschaft
steht, die Kümpers ambitionierte Zubereitungs- und Anrichtideen
perfekt umsetzt.
Und dass Heinens Service-Team (Anis Boughanmi, Anja Herold,
Marc-Etienne Möllinger, Donald Pilton und Janek Yannick) locker
und zuvorkommend agiert – trotz einiger kleiner Erschwernisse, die
ein Schiff für Kellner nun mal bereithält. Da ist einerseits das sanfte
Schaukeln, wenn dann und wann eine leichte Brise aufkommt, und
andererseits sind da die 14 Stufen einer schmalen Wendeltreppe, die
das Oberdeck mit der Schiffsküche verbindet und auf der sich schon
mal zwei Kellner mit vollen Tabletts begegnen…
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Restaurantschiff Patio Lokaltermin •
39
• Lokaltermin Restaurantschiff Patio
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Restaurantschiff Patio Lokaltermin •
Die Wirkungsstätte von Christopher Kümper und seiner Brigade mit
Sous Chef Daniel Biskupski an der Spitze heißt tatsächlich Kombüse.
Die Assoziationen, die sich möglicherweise damit verbinden – Raumenge,
Schmuddelambiente, kulinarisches Niedrigstniveau – gehen
an der Patio-Gegenwart natürlich komplett vorbei.
Diese Crew garantiert, dass einem hier nicht simple Schiffskost
vorgesetzt wird, sondern dass man was bekommt für sein Geld: eine
wunderbar jugendlich-frisch-fröhliche Küche mit viel Esprit. Intensive
Aromen, kreative Arrangements, mutiges Würzen, das hat schon was.
Da ist zum Beispiel eine typische Kümper-Vorspeise: Artischockenpüree,
begleitet von geräuchertem Paprikasud, einer Paprikacreme,
getrocknetem Feta und Gazpachoeis (s. Teller re. oben). Sie macht
deutlich, wie sehr Kümper sowohl auf geschmackliche Intensität als
auch auf Finesse in der Zubereitung fokussiert ist.
Gleiches gilt für den Zwischengang, der als „Dashi, Kaffir-Limette,
Waldpilze“ auf der Karte steht und mit seiner subtilen Produktkombination
punktet (s. Teller re. Mitte). Auch das Hauptgericht
(s. Teller li. unten) und das Dessert stellen sich als ausgefeilte
Kreationen und absolut kochmützenwürdig vor. Bleibt unsere Frage,
die wir schon im Fall des the CORD stellten: Weshalb ist das Patio
dem Gault&Millau eigentlich nicht mal eine Erwähnung wert?
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• Lokaltermin Restaurantschiff Patio
Wer, und sei es nur aus maritimer Unkenntnis, die „Riethoen“ einen
„Kahn“ nennt, bekommt von Eigner Mathias Böhme zuerst einen
missbilligenden Blick und dann eine ausführliche Nachhilfe in
Schiffskunde.
„Bei der ,Riethoen‘ handelt es sich um einen so genannten Backdecker“,
doziert er, „also um eine spezielle Konstruktionsform im
Schiffbau, bei der die Aufbauten des Vorschiffes – seemännisch
Back genannt – die des Hauptdecks überragen.“
Wir erfahren, dass die „Riethoen“ als Salonkreuzer gebaut wurde,
1938 in Holland vom Stapel lief und dass der Name – ziemlich schiffsuntypisch
– „Moorhuhn“ bedeutet. Böhme kaufte vor sechs Jahren
das reichlich heruntergekommene Boot, restaurierte es aufwändig,
stattete es mit einem modernen Schiffsdiesel aus und bietet den
schmucken Backdecker nun für exklusive Spree-Rundfahrten oder
auch weitere Touren an.
Liegt direkt neben der Patio am Helgoländer Ufer: Die „Riethoen“.
Kann ich auch mit nur fünf Gästen eine Rundfahrt buchen?
Keine Frage, Sie können auch zu zweit an Bord kommen.
Und wie ist die Verpflegung geregelt?
Auch da gilt – Ihre Wünsche sind entscheidend, also sprechen Sie
mit uns oder konsultieren Sie das Internet: www.charter.patio-berlin.
de. Wir bieten zum Beispiel auch ein Bootsstegdinner mit einem
Überraschungsmenü und anschließender Tour mit der ‚Riethoen‘ an.
Vielen Dank für die Auskünfte, Herr Böhme.
RESTAURANTSCHIFF PATIO & RIETHOEN
Schiffsführer Malte Böhme.
Helgoländer Ufer / Kirchstraße
10557 Berlin-Moabit
Tel. 030 – 40 30 17 00
www.patio-berlin.de
Gibt es bei Ihnen auch Fahr- und Tourenpläne wie bei den großen
Berliner Reedereien, Herr Böhme?
Nein, alles ist auf die individuellen Wünsche der Gäste abgestimmt.
Das heißt?
Na ja, Sie können die ‚Riethoen‘ stunden- oder auch tageweise exklusiv
buchen: für eine Tour mit Geschäftspartnern, für ein Familientreffen
oder ein Get-together mit Freunden. Wir haben viele Ideen
für mögliche Touren auf der Spree, wir schippern Sie aber auch zum
Müggelsee oder bis nach Potsdam. Wir machen also Vorschläge,
und Sie entscheiden, wohin es gehen soll – frei nach Fontane: Ein
Vergnügen eigner Art ist doch eine Wasserfahrt…
Wie viele Personen dürfen an Bord?
Insgesamt zwölf Gäste. Hinzu kommen der Schiffsführer – mein
Sohn Malte und ich selbst haben die erforderlichen Zertifikate – und
möglicherweise noch ein Mitarbeiter aus der Patio-Crew.
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ORA Lokaltermin •
Austern aus
der Apotheke
ZU GAST IM RESTAURANT ORA
VON JÖRG TEUSCHER
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• Lokaltermin ORA
Als der Apotheker Klaus Dallmann, letzter Pächter der Oranien-Apotheke,
2012 in den Ruhestand trat und die Räumlichkeiten inklusive
des alten Mobiliars an die Filmemacher Christoph Mack und Lukas
Schmid gingen, sahen viele Anwohner das Ende des historischen
Apotheken-Ambientes nahe. Doch Mack und Schmid wussten um
dessen Wert und richteten ihre Brasserie ORA rund um das über einhundertjährige
Interieur ein. Das bescherte ihnen nicht nur Lob bei
Architekten, Designern und Historikern, die Adresse des ORA fand
sich fortan auch in vielen Reiseführern. Und das wiederum bescherte
dem nunmehr kulinarischen Ort schnell Gäste aus der halben Welt,
die den sensiblen Umgang mit einem Stück Hauptstadtgeschichte
lobten und die Brasserie weiterempfahlen.
Tatsächlich gehört die 1860 eröffnete Oranien-Apotheke zu den
ältesten Apotheken in Berlin. In jenem Jahr hatte der Charité-Apotheker
Rudolf Kade die Konzession zur Eröffnung einer Apotheke
am Oranienplatz erhalten – damals übrigens die erst vierzigste
Apothekengründung in der bereits 430.000 Einwohner zählenden
Stadt. 1874 ging die Konzession auf Kades Sohn Richard über, 1886
schließlich erwarb Franz Lutze die Oranien-Apotheke.
Der aus Ostpreußen stammende und an der Universität Rostock
promovierte Lutze baute das Kellerlabor der Apotheke in den Folgejahren
zu einem „Medizinisch-pharmazeutischen Fabrikations- und
Exportgeschäft“ aus und zählte mit seiner Saccharintablettenproduktion
zu den ersten Herstellern dieser Arzneiform in Deutschland.
1895 wurde er „Hoflieferant des Kaisers und Königs“ und
„Lieferant des Reichskolonialamtes“ und versorgte sowohl die kaiserliche
Yacht „Hohenzollern“ als auch die sogenannte Schutztruppe in
den deutschen Kolonien mit Arzneimitteln und Verbandsmaterial.
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ORA Lokaltermin •
45
• Lokaltermin ORA
Sie übernahmen im Frühjahr 2020 gemeinsam das ORA: Nadine und Tom Michelberger sowie Alan Micks, Mi.
So langsam kriegen die Michelbergers ja etwas Unheimliches. Egal,
was sie sich vornehmen, es wird so stimmig, dass es einem den
Atem verschlägt. Das gilt für ihr Hotel in der Warschauer Straße
ebenso wie für ihre Spreewaldfarm und natürlich auch fürs ORA am
Oranienplatz, das Nadine und Tom Michelberger gemeinsam mit
ihrem Küchendirektor Alan Micks vor gut zwei Jahren übernahmen
und das alteingesessene Kiezbewohner seitdem mehr ehrfürchtig
als despektierlich „Austern-Apotheke“ nennen.
Auch die neuen Betreiber vermieden es, an das historische Interieur
Hand anzulegen, sondern setzten nur einige Details ins rechte Licht:
Apothekerwaagen, Mikroskope, Pipetten und Petrischalen sowie
etliche andere antiquarische Schätze. Übrigens: Für das „Deutsche
Arzneibuch“ von 1910, den Band „Specialitäten und Geheimmittel“
von Hahn und Holfert oder für „Gehes Codex“ aus dem Jahr 1918
sollen Liebhaber schon dreistellige Summen geboten haben…
46
ORA Lokaltermin •
Restaurantleiter Giorgio Pirrone.
Sommeliere Amyna Le.
Keine Frage, eine Einkehr im ORA ist ein lohnender Bildungsausflug –
historisch lehrreich und sättigend zugleich. „Manchmal kommen wir
uns schon ein bisschen wie Museumsführer vor“, sagt Giorgio Pirrone,
„vor allem, wenn Gäste aus dem Ausland nicht nur allgemeine Fragen
zum Apotheken-Ambiente haben, sondern auch noch wissen wollen,
was es mit der geometrischen Struktur des Deckenstucks oder der
besonderen Art der Polsterung unserer alten Ledersofas auf sich hat.“
Der 37-jährige Italiener aus Palermo lebt seit neun Jahren in Berlin
und war – bevor er als Restaurantleiter ins ORA wechselte – vier Jahre
lang Servicechef im Schöneberger In-Lokal To Beef Or Not To Beef.
An der Seite des allzeit bestens gelaunten (außer, wenn er fotografiert
werden soll) Pirrone agiert Sommeliere Amyna Le, 28, gebürtig
im australischen Perth und seit vier Jahren in Berlin.
„Miss Charming“ Amyna Le präsentiert eine respektable Weinkarte,
insgesamt 190 Positionen: Deutschland, Frankreich, Italien,
Spanien, Österreich, Griechenland, Portugal, Neue Welt. Dazu
einige Kreszenzen aus Kroatien, Rumänien, Tschechien, Ungarn
und der Slowakei.
Respekt dafür und vor allem für die große Zahl von biodynamisch
erzeugten Gewächsen und Naturweinen, darunter etliche Lieblinge
wie der Silvaner „Ziegental“ von Konni & Evi Buddrus aus Freyburg
/ Unstrut, der Lemberger „roterfaden“ von Olympia Samara &
Hannes Hoffmann aus Vaihingen / Württemberg (nicht aus Franken,
wie die Weinkarte meint) und der als Pet Nat „Ancestrale“ ausgebaute
St. Laurent von Claus Preisinger aus Gols im österreichischen Burgenland
nahe des Vierwaldstättersees.
Der aktuelle Favorit von Amyna Le kommt von weiter her – ein
herrlich süffiger Chenin Blanc Orange namens „Baby Bandito“
von Testalonga, dem Naturwein-Projekt des südafrikanischen
Winemakers Craig Hawkins.
Barkeeper Giacomo Dondeo empfiehlt als Aperitif…
…seinen ORA Spritz.
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• Lokaltermin ORA
Küchenchef Sam Kindillon.
Das ORA steht natürlich nicht nur für eine ziemlich außergewöhnliche
Weinofferte und einen aufmerksamen, gästefreundlichen Service (das
von Kritikern bemängelte „Husch-Husch“ der Mitarbeiter konnten wir
bei keinem unserer Besuche nachempfinden), sondern auch für eine
ebenso befriedigende wie verantwortungsvolle metropole Küche.
Zuständig dafür ist der 31-jährige Sam Kindillon, Ire aus Dublin,
der sich sein Rüstzeug für den Job als Küchenchef in der Kopenhagener
Weinbar Manfreds holte, die neben dem Sternerestaurant
Relæ, der Pizzeria Bæst und der Bäckerei Mirabelle zum kleinen
Gastroimperium des italienisch-norwegischen Spitzenkochs Christian
Puglisi gehörte.
Kindillon und sein internationales Team bieten Kleinigkeiten für
Menschen, die nur mal eben auf ein Glas Wein oder einen Cocktail
ins ORA kommen: Butter und Brot; Burrata und Olivenöl; Rüben
und Bottarga; Gegrillte Languste und fermentierte Chilibutter sowie
natürlich Austern – Fine de Claire mit Shiso-Mignonette. Außerdem
gibt es je drei Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts sowie einen
Käseteller, aus denen sich die Gäste ein Drei- oder Vier-Gänge-Menü
zusammenstellen können: Zucchinisuppe mit Frischkäse, Rhabarber
und Haselnüssen; Jakobsmuscheln mit Kohlrabi, Meerrettich und
Holunderblüten oder Seezunge mit Queller, Erbsen und Sauce
Américaine – alles orientiert sich am saisonalen Marktangebot,
wird mit Liebe und Witz gekocht und ist vielleicht unter der Headline
„lässige Moderne“ am besten aufgehoben.
Sam Kindillon sind solche Schubladen egal. „Schreiben Sie lieber
über unsere Lieferanten“, bittet er und nennt Wilmars Gaerten in
Märkisch Wilmersdorf, den Siebengiebelhof in Drenkow, die eigene
Michelberger Farm in Vetschau, den WeideEi-Hof von Johannes
Habel in Falkenhagen und natürlich den Berliner Fish Klub (dessen
Chefin Margaux Friocourt ist übrigens Kindillons Lebenspartnerin).
48
ORA Lokaltermin •
RESTAURANT ORA
Oranienplatz 14
10999 Berlin-Kreuzberg
Tel. 030 – 54 86 10 70
www.ora.berlin
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• Lokaltermin 30 Jahre Havelland Express
Große Jubiläumsparty mit viel kulinarischer Prominenz:
Sternekoch Philipp Liebisch (Stolberg / Harz)
und Havelland Express-Gründer Horst Bernd Paech…
Angekündigt war eine kleine Geburtstagsfeier. 30 Jahre Havelland
Express, Ort: Berlin-Tempelhof, Gottlieb-Dunkel-Straße, Zeit:
17.00 bis 21.00 Uhr. Wer kam – und es kamen viele – erlebte eine
Jubiläumsparty der Superlative, ein Get-together von Sterneköchen,
Spitzengastronomen und Top-Erzeugern aus Berlin, Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und anderen
Bundesländern. Großes kulinarisches Kino eben, wie immer, wenn
es bei Havelland Express etwas zu feiern gibt.
Die Firmengeschichte begann 1992 mit einem gebrauchten Lieferwagen,
einer Kühlkammer am Schwielowsee und zwei Männern,
deren Begeisterung für gute Produkte aus dem Berliner Umland
kaum Grenzen kannte. Horst Bernd Paech und Michael Kunzmann
hatten es sich in den Kopf gesetzt, die Berliner Gastronomie nach
dem Mauerfall wieder mit Spargel aus Beelitz, Erdbeeren aus Werder
und anderen regionalen Spezialitäten zu beliefern.
…Ritz-Carlton-Küchendirektor Frank Koppelkamm (Berlin)…
…Müritzfischer Steffen Steinbeck (Waren)…
50
30 Jahre Havelland Express Lokaltermin •
…Sterneköchin Sonja Frühsammer (Berlin)…
Während die Konkurrenz über den „Ostkram“ bestenfalls müde
lächelte und weiter badischen Spargel und Erdbeeren aus der Pfalz
nach Berlin karrte, knüpften Paech und Kunzmann neue Netzwerke,
bauten Lieferketten auf und hatten mit ihrer Regional-Idee bald die
Nase vorn.
Die Havelland Express Frischdienst GmbH avancierte rasch zum so
genannten Vollsortimenter (weit über 3.000 Artikel, knapp ein Viertel
davon regionale Produkte), und weil der Charlottenburger Standort
dafür nicht ausgelegt war, suchten Horst Bernd Paech und Michael
Kunzmann „neue Ufer“. Die fanden sie in Tempelhof. In der Gottlieb-
Dunkel-Straße stemmten sie eine 5-Millionen-Euro-Investition und
eröffneten im September 2007 ein Frische-Logistik-Zentrum mit rund
3.500 Quadratmetern Nutzfläche. Das neue Hauptquartier der Firma
und ein guter Ort zum Feiern…
www.havelland-express.de
…Sternekoch Daniel Schmidthaler (Fürstenhagen)…
…und Patio-Küchenchef Christopher Kümper (Berlin), s. auch S. 36.
51
• Advertorial
badische tradition
modern interpretiert
AdvertoriAl
blanc de blancS
der 1112 blanc de blancs ist eine
badische cuvée aus weißen rebsorten,
der mit fruchtigen noten von apfel und
Pfirsich begeistert. Er unterstreicht die
aromatik der verschiedenen komponenten
des gerichts hervorragend und passt auch
perfekt zu hellem gemüse, gegrilltem
Fisch oder auch zur Käseplatte.
der koch
Veganer hochgenuss ohne Verzicht –
dafür steht das restaurant zwei und
Zwanzig in Geisenheim am Rhein.
dirk Schritt machte seine leidenschaft für
Kulinarik 2015 zum Beruf. Heute ist das
restaurant eine beliebte anlaufstelle weit
über die Region hinaus. Sein Erfolgsrezept:
die veganen Speisen haben einen
sensationellen geschmack und
bestehen aus besten, größtenteils
regionalen Bio-Zutaten.
Semmelknödel mit
gebratenen Pfifferlingen
SPinatSalat und
malztrunk-Sauce
Zutaten für 4 Portionen
Semmelknödel
4 alte brötchen
1 zwiebel
1 bund Petersilie
2 g Pfeffer
3 g Salz
200 g Sojamilch
- frischhaltefolie
- alufolie
malztrunk-Sauce
1 zwiebel
30 g bratöl
3 g thymian
330 g malzbier
200 g karottensaft
5 g Salz
15 g Speisestärke
52
400 g Pfifferlinge
1 zwiebel
5 g Salz
50 g margarine
10 g Petersilie
200 g babyspinat (frisch)
30 g Sesam (schwarz/
weiß)
1/2 zwiebel
100 g rapsöl nativ
5 g Salz
10 g zucker
10 g Senf
6 g apfelessig
Für die Semmelknödel Zwiebel
1schälen und fein würfeln. Die
Brötchen in ca. 2 x 2 cm große Stücke
schneiden. Sojamilch leicht erwärmen
und in der Folge alle Zutaten zusammen
in einer Schüssel durchkneten, bis ein
griffiger Teig entsteht. Den Teig nun
zunächst in Frischhaltefolie einrollen.
Danach in Alufolie einrollen und für
30 Minuten in einem großen Topf mit
kochendem Wasser garen. Sobald
die Knödel im Wasser sind, muss das
Wasser nicht mehr kochen.
Die Knödelrollen abkühlen lassen
2 und in ca. 2 cm breite Scheiben
schneiden. Diese können im Anschluss
in einer beschichteten Pfanne mit
Margarine anbraten.
Für das Salatdressing
3 Zwiebel schälen und grob
zerkleinern. Alle Zutaten in
einen Mixer geben und zu einem
homogenen Dressing mixen.
Für die Malzbiersauce die
4 Zwiebel schälen und fein
würfeln. In einem kleinen Topf
die Zwiebel anschwitzen.
Mit Malzbier und Karottensaft
ablöschen. Gewürze hinzugeben
und für 20 Minuten köcheln
lassen. Gegebenenfalls mit
etwas Stärke andicken.
Die Pfifferlinge säubern
5 und mit fein gewürfelten
Zwiebeln in einer Pfanne
anbraten. Zum Schluss fein
geschnittene Petersilie hinzugeben.
Beim Anrichten den Spinat
mit Dressing marinieren und
dem bunten Sesam dekorieren.
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Berliner Teller Geschmackssachen •
Berliner Teller
SERVIERT IN DER BAR BRASS IN CHARLOTTENBURG
Wir mögen Handwerk. Und deshalb mögen wir auch Restaurants,
die Handwerk zelebrieren – wie die Bar Brass in Charlottenburg.
Küchenchef Reza Daeinabi, Sous Chef Oliver Frahm und ihre Brigade
servieren hier Comfortfood at its best. Keine spektakulären Inszenierungen,
sondern durchdachte, geschmacksintensive Gerichte.
Zum Beispiel das gebratene Wildschweinfilet mit sautierten
Pfifferlingen, gegrilltem Grünspargel sowie sous vide gegarten und
angebratenen Pastinaken. Einen besonderen Kick liefert Vadouvan,
die indische Gewürzmischung aus Zwiebeln, Knoblauch, Kreuzkümmel,
Fenchel und Senfsaat (s. Bild oben). Das ist ein Teller,
der noch jeden Gast abholt – und deshalb unser Berliner Teller.
Jörg Teuscher und Thorsten Tonski
53
• Geschmackssachen Berliner Teller
Serviert wurde uns dieser Teller, wie gesagt, in der Charlottenburger
Bar Brass. Der Name steht nicht etwa für Brasserie, wie wir
anfangs annahmen, sondern kommt aus dem Englischen: Brass
wie Bronze, und das macht auch Sinn, denn das Restaurant hat
sein Domizil im Noack-Haus – so jedenfalls nennen Anwohner
den Gebäudekomplex zwischen Heizkraftwerk Charlottenburg
und Sömmeringstraße nördlich der Caprivibrücke.
Noack-Haus deshalb, weil hier eins der traditionsreichsten
Berliner Familienunternehmen seinen Sitz hat: die Bildgießerei
Hermann Noack, mit deren Namen nicht nur Schadows Quadriga
auf dem Brandenburger Tor und Drakes Viktoria auf der Siegessäule
verbunden sind, sondern auch die nach einem Entwurf von Renée
Sintenis gefertigten Berlinale-Bären.
Die längst weltbekannte Gießerei wurde 1897 von dem Berliner
Bronzegießermeister Hermann Noack I. in der Friedenauer
Brass-Geschäftsführer Reza Daeinabi, Inhaber Hermann Noack IV. und Restaurantleiter Alessandro Francioso, v. re.
54
Berliner Teller Geschmackssachen •
Restaurantleiter Alessandro Francioso.
Fehlerstraße gegründet und war dort auch über ein Jahrhundert
ansässig. Als der Standort Anfang der 2000er aus allen Nähten zu
platzen drohte, entschied sich Urenkel Hermann Noack IV., gelernter
Sandformer und Gießereimechanikermeister, für einen Neubau auf
größerem Gelände. Am Charlottenburger Spreebord entstanden in
den Folgejahren sowohl eine moderne Gießerei, ein großzügiger
Atelierbau, Ausstellungsflächen, ein Verwaltungsgebäude als auch –
ein Restaurant. Alles zusammengenommen ist es das Skulpturenzentrum
am Spreebord. „Es soll die Skulptur aus dem Schatten der
Kunstgeschichte wieder in den Mittelpunkt der Kunst rücken“, so
Hermann Noack IV. zur Einweihung 2009.
Mit der Eröffnung der Bar Brass setzte er übrigens eine Familientradition
fort. Auch sein Urgroßvater betrieb nämlich ein Lokal, angeblich,
weil er für ein ordentlich gezapftes Bier partout nicht mehr
als 100 Schritte laufen wollte.
Im Service: Elias Braun…
…und Diego Hunoz.
55
• Geschmackssachen Berliner Teller
Geschäftsführer und Küchenchef Reza Daeinabi und Sous Chef Oliver Frahm, v. re.
Natürlich hat die Bierkneipe von Noack I. weder ambientisch
noch kulinarisch irgendetwas gemeinsam mit dem Edelbistro von
Noack IV. – das wäre dann doch wohl zuviel der Traditionspflege –
o. k., Bier gibt’s in der Bar Brass auch.
Das Lokal gehört zu jener Kategorie Restaurants, für die sich
durchaus eine weitere Anreise lohnt. Die das gewisse Wohlfühl-
Etwas haben. Wo man bei schönem Wetter im gepflegten Garten
und ansonsten zwischen viel Kunst an fein gedeckten Tischen von
der ersten Minute an entspannen kann. Wo es nie langweilig ist, weil
die Küche stets Neues, zuweilen auch Kühnes wagt.
Dort agieren Reza Daeinabi, 52, der gleichzeitig Pächter und Geschäftsführer
ist, und der 33-jährige Oliver Frahm an einem maßgeschneiderten
Riesentrumm von Molteni, dessen in Messing
gegossenes Firmenschild allein 700 Euro kostet. „Das Grandiose
an diesem Herd ist seine weiche Wärme“, schwärmt Daeinabi.
Hier zeigen die beiden Köche, was sie können: französische Klassik,
mediterrane Leichtigkeit, dazu den einen oder anderen asiatischen
Kick. Das gilt sowohl für den Mittagstisch als auch fürs Abendmahl –
so jedenfalls sind die beiden Speisekarten für die verschiedenen
Essenszeiten überschrieben.
Da gibt es mittags zum Beispiel eine wunderbare Piccata vom
Weißen Heilbutt, die mit Rote-Bete-Bulgur und Blattspinat sowohl
eine farbenfrohe als auch geschmacksstarke Liaison eingeht. Und
abends überzeugte uns nicht nur die Wildschweinkeule (unser Berliner
Teller), voll des Lobes waren wir auch über eine Vorspeise, bei der
Puntarella (eine hierzulande leider viel zu selten servierte italienische
Endivienart mit schönen Bitternoten) mit Kapuzinerwurzel, Walnuss
und einem intensiven Parmesandressing bestens harmoniert. Lobend
erwähnen wollen wir auch das Mais-Dinkel-Risotto, das mit wildem
Brokkoli, einem wachsweichen Ei und kräftigem Pecorino auf die
56
Berliner Teller Geschmackssachen •
Teller kommt. Das alles ist weltläufig gekocht, subtil abgeschmeckt,
apart arrangiert und – obwohl wir selten über Preise reden, in diesem
Fall tun wir’s – äußerst fair kalkuliert.
„In der Bar Brass im Charlottenburger Skulpturenforum wird die
Verbindung zwischen Kunst und Handwerk nicht nur betont, sondern
noch verstärkt – mit gutem Essen und gutem Wein“, so Reza Daeinabi,
52, diplomierter Modedesigner, früherer Bistrobetreiber und spät
berufener Küchenkünstler.
BAR BRASS
Am Spreebord 9
10589 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 – 38 30 32 00
www.barbrass.de
57
• Geschmackssachen Berliner Teller
58
Berliner Teller Geschmackssachen •
Freie Termine sind bei Isabella Mannozzi derzeit rar. Ein Jubiläum steht
ins Haus, und die Chefkuratorin der Bildgießerei ist im Stress. „125 Jahre
Noack, das ist ja schon was“, lächelt sie, „dafür macht man gerne mal
Überstunden.“ Die Kunst- und Literaturwissenschaftlerin zeigt einen
opulenten Bild-Text-Band. „Unsere Jubiläumspublikation“, sagt sie mit
einigem Stolz, „in der die Geschichte unserer Bildgießerei erzählt wird.“
Sie beginnt 1897 in einem unbelüfteten Friedenauer Kellergeschoss.
Wenn der junge Firmengründer Hermann Noack I. nicht
gerade Mitarbeiter an die frische Luft tragen muss, die während des
Gusses der 1.000 Grad heißen Bronze in Ohnmacht gefallen sind, bespricht
er mit den aufstrebenden Bildhauertalenten August Gaul und
Fritz Klimsch ihre plastischen Projekte und führt sie in die handwerklichen
Grundlagen ihrer Kunst ein. „Schnell stand der Name Noack für
etwas, das für Künstler eine Verheißung ist“, so Isabella Mannozzi, „für
einen Ort, an dem Kunst und Handwerk miteinander verschmelzen.“
Kuratorin Isabella Mannozzi.
Eineinviertel Jahrhunderte später wird die Bildgießerei noch immer
von einem Hermann Noack geführt, mittlerweile in vierter Generation.
Und noch immer wenden sich die Größen der Kunstwelt mit ihren
Entwürfen an ihn. Hier lassen Anselm Kiefer, Georg Baselitz und Tony
Cragg ihre monumentalen Werke gießen, hier versammelt sich die
internationale Kunstszene, um ihre Ideen zu verwirklichen.
„Als mein Urgroßvater vor 125 Jahren das Unternehmen gründete,
wurde noch sehr figürlich gearbeitet“, so Hermann Noack IV., heute
sind es häufig komplexe Geschichten mit verschiedenen Materialien
und Techniken, etwa mit 3-D oder Wasserstrahlschneiden.“
Zum Jubiläum wird es auch eine Sonderausstellung geben –
kuratiert von Isabella Mannozzi, die übrigens seit 2006 im Hause
Noack tätig ist. „Sie erzählt von der wechselvollen Geschichte der
Werkstattgalerie“, gibt sie zu Protokoll, „vor allem von der Verbindung
zu den namhaftesten Künstlern der Nachkriegsmoderne bis heute.“
59
• Geschmackssachen Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker
Jugend backt
50. WELTMEISTERSCHAFT DES BÄCKERNACHWUCHSES
VON JÖRG TEUSCHER
60
Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker Geschmackssachen •
Das isländische Team verarbeitet kiloweise Zucker
für sein Schaustück – einen lavaspeienden Vulkan.
Fanden wir übrigens auch (s. S. 60) und fügen der Vollständigkeit
halber noch den Namen der Künstlerin hinzu. Gemalt hat das Bild
Birgit Schulz, Verkaufsleiterin der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks
Berlin-Brandenburg.
Was es mit dem Backen und der Kunst auf sich hat, verorteten wir
bäckerischen Laien zuerst bei den so genannten Schaustücken, von
denen bei dieser Weltmeisterschaft jedes Team eins – welches Verb
passt jetzt eigentlich am besten? – backen oder bauen musste. Das
Thema: Natur. Ehrlich gesagt standen wir etwas ratlos vor den bis zu
1,60 Meter hohen Back-Skulpturen und fragten uns, ob der Zeit- und
Produktaufwand die ganze Sache wirklich wert ist, zumal aus den
Schaustücken am Ende des Tages auch keine Essstücke werden.
Günther Koerffer, deutsch-schwedischer Bäcker- und Konditormeister,
Hofkonditor des schwedischen Königshauses, Vizepräsident
der International Union of Bakers and Confectioners
(UIBC) und Juror beim großen RTL-Profibacken, nennt die „Show
pieces“ das „Nonplusultra der Backkunst“. „Hier kommen künstlerische
Fähigkeiten und handwerkliche Fertigkeiten zusammen“,
sagte er uns, „es geht um Perfektion und gegebenenfalls
um Improvisation und um Teamwork.“ Das klang zwar
überzeugend, räumte aber dennoch unsere Zweifel
nicht völlig aus, ob solche Schaustück-Show wirklich
noch zeitgemäß ist.
Das „Bäckerhaus“ in der Lankwitzer Seydelstraße –
so genannt, weil hier die Akademie des Deutschen
Bäckerhandwerks Berlin-Brandenburg und die
Bäcker-Innung Berlin unter einem Dach residieren – ist
normalerweise ein Ort eher stillen Schaffens. Am zweiten
Junidonnerstag allerdings herrschte im Haus bereits um 6.30 Uhr
morgens ein Gewimmel wie auf einem Berliner Wochenmarkt zur
Mittagszeit – mit dem Unterschied, dass dort vorwiegend deutsch gesprochen
wird, hier das Sprachengewirr aber nachgerade babylonisch
wirkte. Johannes Kamm, Geschäftsführer der Berliner Bäcker-Innung,
lächelte milde: „So ist das eben bei einer Weltmeisterschaft.“
Der 43-jährige Jurist, seit 2016 im Innungsamt, begleitete uns,
begrüßte Teilnehmer, Trainer und Kampfrichter der 50th UIBC International
Competition of Young Bakers – so die offizielle Bezeichnung
dieses Championats – erläuterte Medienleuten aus verschiedenen
Ländern Regeln und Räumlichkeiten und fungierte ganz nebenbei
auch noch als Kunst-Erklärer.
Ein Kameramann aus Singapur hatte in der Cafeteria des Bäckerhauses
ein Bild entdeckt und bat um ein Statement. Johannes Kamm
studierte die farbenfrohe Malerei intensiv, wies auf das Motiv und
lächelte wieder milde: „It means, baking is art!“ „Oh, it’s great“, bedankte
sich der singapurische Kameramann, „it’s a very good title
for our story!“
Das Schaustück des spanischen Teams trägt den Titel
„Cristina“ – ein Frauen-Torso aus dunklem Brotteig.
61
• Geschmackssachen Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker
CHILE: Antonia Coppola, und Maria Fernandez, v. li.
SPANIEN: Jesús López und Mohammad Abdeselam Lazrak, v. re.
Jury-Präsident Bernd Kütscher.
Acht Mannschaften aus acht Ländern und von drei Kontinenten –
Amerika, Asien, Europa – waren angereist, um die weltbesten Jungbäcker
zu ermitteln. Keiner der Teilnehmer über 25, so verlangt es das
Reglement. Daneben ist in dem Papier auch festgelegt, welche Backwaren
zu produzieren sind – Brot, Brötchen, Blätterteiggebäck und
natürlich das Schaustück – in welcher Zeit und mit welchem Gerät.
Die insgesamt neun Bäckerinnen und sieben Bäcker hatten sich
bei nationalen Meisterschaften für das Weltchampionat qualifiziert –
Deutschland zum Beispiel wurde von der 24-jährigen Bäckermeisterin
Susanna Rupp aus Neu-Ulm und der Bäckergesellin Tina Reicherter,
22, aus Reutlingen vertreten.
Gecoacht übrigens wurde das deutsche Team von Bäckermeister
Dominic Reuter aus Rotenburg (Wümme) und von Lisa Sophie Schultz,
die 2021 in Lyon den Weltmeister-Titel gewonnen hatte und der wir
Jahre zuvor schon einmal begegnet sind.
FRANKREICH: Julie Unterreiner und Léa Paturel, v. li.
SCHWEDEN: Michaela Andersten und Mattias Jogmark, v. li.
62
Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker Geschmackssachen •
DEUTSCHLAND: Tina Reicherter und Susanna Rupp, v. li.
VIETNAM: Nguyen Hoang Viet Huy und Nguyen Huu Kha, v. li.
Hallo Lisa, wir kennen uns doch…
Natürlich, Sie haben mich während meiner Lehre bei Christa Lutum in
Charlottenburg interviewt und dann über den Bäckerberuf geschrieben
und weshalb er so wenig Achtung in der Gesellschaft genießt.
Wie lange ist das her?
Ich meine vier Jahre, ich war gerade mit dem Abi fertig und demnach
im ersten Ausbildungsjahr.
Genau, Sie haben mir erzählt, dass Sie, als Sie sich für eine Bäckerlehre
entschieden hatten, von Freunden gefragt wurden, ob Sie mit
Gewalt verblöden wollten.
Wie Sie sehen, bin ich es nicht. Und ich sage es heute wieder und mit
noch größerer Überzeugung: Bäcker ist ein abwechslungsreicher und
unfassbar kreativer Beruf, man muss viele Prozesse gleichzeitig auf
dem Schirm haben und braucht jede Menge Wissen.
Wie man hier beobachten kann. Danke und viel Erfolg für Ihr Team!
Coach Lisa Sophie Schultz.
ISLAND: Finnur Guðberg Ívarsson und Matthías Jóhannesson, v. re.
SINGAPUR: Sarah Tan und Jessica Lee, v. li.
63
• Geschmackssachen Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker
Die Teilnehmer „im Tunnel“: Julie Unterreiner, Frankreich…
Das deutsche Duo ist ein bestens eingespieltes Team, das merkten
auch die Konkurrenten aus den anderen Ländern schnell. Tina
Reicherter und Susanna Rupp arbeiteten konzentriert und beinahe
wortlos, vermieden überflüssige Handgriffe und weite Wege – alles
bei den beiden Bäckerinnen lief nach einem offenbar vorher genau
ausgetüftelten Plan.
„Kein Wunder, die haben ja auch wochenlang wirklich hart trainiert“,
erzählte Kerstin Reicherter, „sowohl an der Akademie des Deutschen
Bäckerhandwerks in Weinheim als auch am heimischen Herd.“ Die
Mutter der späteren Weltmeisterin war mit einem kleinen Fanclub
eigens aus Reutlingen nach Berlin gekommen, um ihre Tochter zumindest
moralisch zu unterstützen. Doch die hatte während des
Wettkampfes keinen Blick für ihre Freunde. Tina Reicherter war
„im Tunnel“, lediglich das permanente Blitzen einiger Fotografen
kommentierte sie mit einem kategorischen „Licht aus!“
…Susanna Rupp und Coach Dominik Reuter, Deutschland…
…Sarah Tan, Singapur…
64
Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker Geschmackssachen •
…Antonia Coppola, Chile…
…Jesús Lopez, Spanien…
Auch Judy Koh, Trainerin der Mannschaft aus Singapur und Mitglied
der internationalen Jury, hat das deutsche Team lange beobachtet.
Das Urteil der Meisterbäckerin und Gründerin der Kulinarischen
Akademie des Stadtstaates in Südostasien war schnell klar: „Die
beiden deutschen Bäckerinnen sind bei dieser 50. Weltmeisterschaft
die Favoritinnen, ihnen am nächsten kommen wahrscheinlich
die Französinnen, und die beiden Jungs aus Island finde ich
auch ganz gut.“
Und welche Chancen geben Sie Ihrem Team, Frau Koh? „Ich
bin realistisch, gegen diese Backprofis haben wir keine Chance.
Allerdings sind Sarah Tan und Jessica Lee mit ihren 15 bzw. 17 Jahren
auch noch sehr jung. Sie konnten hier viele Erfahrungen sammeln und
werden vielleicht in vier, fünf Jahren dann auch mal auf dem Podest
stehen.“ So sah es auch Juror Günther Koerffer. „Erfahrungsaustausch
ist allemal die billigste Investition“, sagte er.
…und Tina Reicherter, Deutschland.
65
• Geschmackssachen Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker
Die Jury bei der Arbeit: Amanda Bäckström (Schweden)
und Daniela Paz Pizzarro Díaz (Chile), v. li…
…Jean-Claude Iltis (Frankreich)…
Während die Juroren am Ende jedes Wettkampftages die Backwaren
der Kontrahenten ebenso konzentriert wie wort- und (zumindest
äußerlich) emotionslos unter die sprichwörtliche Lupe nahmen,
schien Oliver Fettke schier aus dem Häuschen angesichts der
kreativen Vielfalt. „Einfach nur geil“, murmelte er, „mein Gott, so
jung und schon so gut.“
Fettke ist 52, Berliner und selbst ein gestandener Bäcker. Zaungast
der Weltmeisterschaft war Fettke zufällig, weil er aktuell im gleichen
Haus die fünfmonatige Ausbildung zum Meister seines Handwerks
absolviert. Und er nutzte diesen Zufall. „Die Croissants des Teams
aus Island beispielsweise sind um Klassen besser als das, was ich
bisher kennengelernt habe“, sagte er, „den Grund will ich mit Hilfe
der beiden jungen Kollegen aus Reykjavík unbedingt noch herausfinden.“
Weshalb? „Wenn’s passt, mache ich meine Croissants in
Zukunft genauso!“
Zaungast Oliver Fettke, Meisterschüler aus Berlin.
…Günther Koerffer (Schweden)…
…und Bernd Kütscher (Deutschland).
66
Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker Geschmackssachen •
67
• Geschmackssachen Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker
Apropos Zukunft. Fettke wird sich nach seiner Meisterausbildung
im nächsten Jahr selbstständig machen – allerdings nicht in Berlin,
sondern 4.000 Kilometer entfernt, in Maspalomas auf der Urlaubsinsel
Gran Canaria. Seine Frau ist Spanierin, er spricht die Landessprache
und weiß, dass deutsches Brot dort geschätzt wird. Und sicher auch
isländische Croissants. Also dann, viel Erfolg, Maestro Fettke.
Den wünschte Christa Lutum, Obermeisterin der Bäcker-Innung
Berlin, nach den beiden Wettbewerbstagen auch den Teilnehmern
dieser 50. Nachwuchs-Weltmeisterschaft. Die normalerweise nicht
eben zu verbalem Überschwang neigende Meisterin lobte die beeindruckende
Kreativität und die bemerkenswerte Perfektion der jungen
Bäcker und – ja – sie sprach sogar von Backkunst.
Bevor sie den Siegern ihre Pokale, Medaillen und Urkunden überreichte,
sagte sie: „Alle haben gewonnen, an erster Stelle unser
schönes altes Handwerk!“ Eine gute Botschaft.
50 TH UIBC INTERNATIONAL COMPETITION
OF YOUNG BAKERS 2022
1. Platz:
› Team Deutschland (Tina Reicherter & Susanna Rupp)
2. Platz:
› Team Frankreich (Julie Unterreiner & Léa Paturel)
3. Platz:
› Team Schweden (Michaela Andersten & Mattias Jogmark)
Sonderpreis der Jury:
› Team Spanien (Jesús López & Mohammad Abdeselam Lazrak)
Sonderpreis für Newcomer:
› Team Island (Finnur Guðberg Ìvarsson & Matthias Jóhannesson)
68
Weltmeisterschaft der Nachwuchsbäcker Geschmackssachen •
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69
• Geschmackssachen Anaïs Causse empfiehlt…
Anaïs Causse, 43, ist gebürtige Berlinerin. Nach dem Abitur an der
Goethe-Oberschule in Steglitz studierte sie Arabistik und Islamwissenschaften,
merkte aber zunehmend, dass das nicht ihr Ding ist.
Sie verabschiedete sich von der Freien Universität und einer möglichen
akademischen Laufbahn, heuerte bei Feinkost-Lindner an und
absolvierte eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie.
2003 stieg sie in das Feinkostgeschäft ihres Vaters ein, aus
„Maître Philippe“ wurde „Maître Philippe & Filles“ – ein Spezialitätenhandel,
der beste Beziehungen vor allem nach Frankreich
pflegt und kulinarisch wie atmosphärisch zu den ersten Adressen
der Branche in Berlin zählt.
Für Garçon schreibt Anaïs Causse regelmäßig über ihre exquisiten
Spezereien und deren Produzenten.
www.maitrephilippe.de
UIVO AQUA NAT,
POR FAVOR
VON ANAÏS CAUSSE
Der Sommer ist nun wirklich vorbei und der Herbst hat Einzug gehalten.
Ich mag den Herbst eigentlich ganz gerne, vor allem seine
Farben. Trotzdem trauere ich den lauen Sommernächten und den
erfrischenden Drinks nach. Da trifft es sich ganz gut, dass ich das
perfekte Getränk gefunden habe, um den Sommer noch ein bisschen
festzuhalten, wenigstens im Glas. Ich rede vom Aqua Nat des
portugiesischen Winzers Tiago Sampaio.
Der Aqua Nat ist eine Piquette. Piquette? Für die bekannte britische
Weinkritikerin Jancis Robinson ist sie „a summer wine for everyone“,
ein Sommerwein für Jedermann. Genaue Anweisungen für seine
Herstellung finden sich übrigens bereits 1786 in Francois Rosiers
„Cours complet d’agriculture“(Vollständiger Landwirtschaftskurs).
Kurz gesagt ist die Piquette ein Tresterwein, hergestellt aus
Schalen, Kernen und allem, was sonst noch nach dem Pressen der
Trauben übrig bleibt. Diesem Trester wird Wasser zugesetzt und
nach kurzer Zeit beginnt die Gärung. Das Ergebnis ist ein leicht
moussierendes Getränk mit fünf bis sechs Vol.% Alkohol. Für mich
schmeckt es wie eine Art Wein-Brause, nicht besonders süß, sondern
eher herb und schön erfrischend. Eine flüchtige Erinnerung an Wein…
70
Anaïs Causse empfiehlt… Geschmackssachen •
Das Weinbaugebiet Alto Douro, seit 2001 Teil des UNESCO-Welterbes.
Tiago Sampaio ist Jahrgang 1978 und wuchs in Porto auf. Er studierte
in seiner Heimat Agrarwissenschaften und promovierte in den USA
in Weinbau und Önologie. Nach seiner Rückkehr übernahm er das
Familienweingut, das bis dahin sein Großvater geführt hatte. Die
Weinberge des Gutes liegen vorwiegend im Alto Douro, in der Subregion
Cima-Corgo, wo sich die Rebstöcke auf einer Höhe von 500
bis 700 Metern an die Hänge aus Schiefer und Granit klammern.
Früher gab es in der Gegend sogar Wölfe, und Tiago Sampaio hofft,
dass sie vielleicht eines Tages zurückkehren…
Das ist wohl auch der Grund, weshalb die meisten seiner Weine inzwischen
unter dem Namen UIVO laufen. UIVO ist das portugiesische
Wort für Wolfsgeheul, das für Tiago Sampaio die Rückkehr zur Natur
symbolisiert. Und so findet sich auf jedem UIVO-Etikett auch ein
Verweis auf den Wolf: auf dem Rabigato ist der Schwanz zu sehen,
auf dem Renegado die Tatze und auf dem Moscatel Galeto das Ohr.
Das alles sind Weine, die übrigens einen reißenden Absatz finden – in
Portugal und weltweit.
Auch seine Piquette, die in Sampaios Heimat Aqua Nat heißt, verkauft
der Winzer vorwiegend nach Übersee. Für ihn ist das Getränk
„eine gute Alternative zum Bier, erfrischend und leicht zu trinken,
ohne, dass man allzuviel darüber nachdenken muss.“ Also dann:
SaÚde! Prost!
Anaïs Causse und der Winzer Tiago Sampaio.
71
• Geschmackssachen Schulessen
Herbst auf dem Bauernhof!
Großer Kürbismarkt
mit über
30 Kürbissorten!
Kürbisküche
Sonntagsbraten
Maislabyrinth
großer Spielplatz
Wohnmobilstellplätze
Tausende bunte Kürbisse haben unseren
Hof mit ihren leuchtenden Farben längst
in herbstliches Licht getaucht, auf der
Speisekarte locken neben brandneuen
Köstlichkeiten rund um den Kürbis regionale
Spezialitäten, wie der „Falsche
Hase vom Wasserbüffel“ und auch der
prächtige Sonntagsbraten sorgt für große
Freude bei seinen vielen Fans…
Auch den Herbst genießt man unserer
Meinung nach am besten in der Natur
und an der frischen Luft. Entdeckt unser
großes Maislabyrinth und den Abenteuerspielplatz,
besucht unsere vielen
Hof-Tiere und lauscht den Rufen tausender
Kraniche, die sich nun wieder auf
den Feldern rund um unseren Hof sammeln!
Am ersten Oktoberwochenende freuen
wir uns auf euch in Dirndl und Krachlederner
– erlebt eine lustige Wiesnparty
in der urigen Location unseres Restau-
rants „LandWirt“ – mehr dazu unter
https://spargelhof-kremmen.de/
veranstaltungen/
Auch die Gänse- und Entenzeit wirft
bereits ihre Schatten voraus – sichert
euch eurer Freilandgeflügel rechtzeitig
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Anfang November wird dann diese letzte
unserer Vier Jahreszeiten auf unserem
Hof eingeläutet – hier erwartet euch neben
dem heiß geliebten Gänseschmaus
unsere fast 400 m² große Eisbahn, der
Weihnachtsurwald und an den Feiertagen
unser Festtagsbuffet!
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Schulessen Geschmackssachen •
Gemeinschaftsverpflegung:
Aufbruch zu neuen Ufern
Als die Kantine Zukunft Ende August 2021 im Rahmen der Veranstaltung
„Berliner Meisterköche“ den Preis als Gastronomischer
Innovator erhielt, fragten etliche Gäste auf dem Hof der Königlichen
Porzellanmanufaktur: „Kantine Zukunft? Wo ist denn das und was
kochen die überhaupt?“
Die Begründung der Meisterköche-Jury lieferte Aufklärung. „Die
Berliner Gemeinschaftsgastronomie“, so deren Vorsitzender Dr.
Stefan Elfenbein, „soll gesünder und nachhaltiger werden. Das Ziel:
60 Prozent Bio-Anteil am Gesamtwareneinsatz, möglichst ohne Mehrkosten.
Das interdisziplinäre Team der Kantine Zukunft steht den
Betreibern der Gemeinschaftsgastronomie als Partner in diesem
Transformationsprozess zur Seite. Mit Workshops, Mitarbeit im
laufenden Betrieb und vielen frischen Ideen sorgt es dafür, dass der
Wandel nachhaltig gelingt.“
Inzwischen muss das deutschlandweit einmalige Projekt keiner mehr
erklären. Die vom Senat mit 1,15 Millionen Euro jährlich geförderte
Kantine Zukunft zur Verbesserung des Essens in Betrieben, Kitas,
Krankenhäusern und Schulen ist längst in vieler Munde – auch, weil
sich beispielsweise in den Kantinen der Berliner Wasserbetriebe
sowie von BSR und BVG, im Krankenhaus Havelhöhe in Kladow, im
Kindergarten Fröbelspatzen in Friedrichshain oder in der Mensa der
Freien Waldorfschule in Mitte in den letzten Jahren viel getan hat.
Dort kommt längst weniger Fleisch oder im Falle der Waldorfschule
gar kein Fleisch auf die Teller, stattdessen mehr frisches Gemüse,
im besten Fall aus regionalem Bio-Anbau.
„Ja, es hat sich schon viel zum Besseren gewendet“, so Phillipp
Stierand, promovierter Stadt- und Raumplaner und Leiter des Projekts,
„wir müssen aber gemeinsam auch noch jede Menge umkrempeln.“
Projektleiter Dr. Philipp Stierand.
73
• Geschmackssachen Schulessen
Podiumsdiskussion am 17. Mai 2022: Gemeinschaftsgastronomie im Wandel.
Was Stierand damit meinte, wurde auf einem Workshop deutlich,
der Mitte Mai 2022 in der Trainingsküche der Kantine Zukunft in der
Markthalle Neun stattfand. Rund 30 am Thema „Gemeinschaftsgastronomie
im Wandel“ Interessierte kamen zusammen und diskutierten
mit Experten aus Landwirtschaft und Ernährungspolitik,
was die Gemeinschaftsgastronomie im internationalen Vergleich
voneinander lernen kann.
Per Video zugeschaltet waren Ruth Westcott, Kampagnenleiterin
Climate and Nature Emergency aus London und Thomas Mosor,
Leiter von ÖkoKauf Wien. Während Mosor über die Erfahrungen bei
der öffentlichen Beschaffung nachhaltig produzierter Lebensmittel
für die Gemeinschaftsverpflegung in der Donaumetropole sprach
und dafür viel Anerkennung erntete, bekam Ruth Westcott für das
englische Projekt, in dem Spitzenköche Kantinen „adoptieren“, um
dort als Berater zu fungieren, sogar Szenenapplaus.
Und in der Diskussion hieß es: „Für die Transformation der Gemeinschaftsgastronomie
braucht es Menschen, die den Wandel aktiv
und persönlich begleiten.“ „Ein Expertenrat“, so Ann-Christin Weber,
Ernährungsreferentin in der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität,
Verbraucher- und Klimaschutz, „wäre ein wichtiger Schritt zu mehr
Austausch und Zusammenarbeit, ähnlich wie in Kopenhagen.“
Tatsächlich gelang es der dänischen Hauptstadt innerhalb weniger
Jahre, den Bio-Anteil in fast allen öffentlichen Küchen auf 90 Prozent
zu erhöhen. Doch das ist nicht alles.
Der Veränderungsprozess muss dem Gedanken folgen, dass es
für eine Umstellung des Speisenangebotes weit mehr bedarf, als
nur Lebensmittelkomponenten auszutauschen. Ein nachhaltigeres
Verpflegungskonzept erfordert eine Veränderung des Speiseplans,
des Einkaufs, der Zubereitung bis hin zum Abfallmanagement.
www.kantine-zukunft.de
Ann-Christin Weber, Senatsverwaltung für
Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz.
74
Schulessen Geschmackssachen •
Von wegen igitt
ZU GAST IN DER MENSA DER FREIEN
WALDORFSCHULE BERLIN-MITTE
VON JÖRG TEUSCHER
75
• Geschmackssachen Schulessen
„Für heute ist alles klar“, sagt Bettina Zehner, „wir machen den Eierreis,
dazu Gemüse – Auberginen, Paprika, Zucchini – und Hummus.
Und zum Nachtisch unsere Honigwaffeln.“ Dann bespricht die
Mensaleiterin der Freien Waldorfschule Berlin-Mitte mit ihren Mitarbeitern
Chiara Strobl und Michael Lechner noch den Speiseplan
für die kommende Woche.
Am Montag soll es Ravioli mit Erbsenfüllung geben – „entweder
mit Salbeibutter oder mit Tomatensauce“, so Bettina Zehner –
am Dienstag Risotto ai funghi, ein italienisches Reisgericht mit
Pilzen, mittwochs Ofenkartoffeln mit Kräuterquark, donnerstags
Gemüselasagne und am Freitag rote Linsensuppe. „Hatten wir
nicht noch Milchreis geplant?“, fragt Chiara Strobl. „Den kochen wir
auch am Freitag“, entscheidet Bettina Zehner, „am besten unsere
orientalische Variante mit Kokosmilch, Kardamom und Zimt und
servieren ihn mit gekühlter Aprikosensauce als Dessert.“
Morgenmeeting: Mensaleiterin Bettina Zehner, Mi., Köchin Chiara Strobl und Beikoch Michael Lechner.
76
Schulessen Geschmackssachen •
Beikoch Michael Lechner.
Küchenhelfer Mahmoud Mohamad.
77
• Geschmackssachen Schulessen
Gott sei Dank, ich bin a Frank. Das „Roll-R“ verrät die Herkunft von
Bettina Zehner. Die 58-Jährige stammt aus Ostheim, einem Städtchen
in Unterfranken, das kulinarisch Interessierte sofort mit einer
fleischigen Spezialität in Verbindung bringen – dem Ostheimer
Leberkäs’, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte…
Bettina Zehner absolvierte ihre Ausbildung zur Köchin im Allgäu
und stand danach sieben Jahre lang in Schweizer 5-Sterne-Hotels am
Herd: Luzern, Pontresina, Zürich. 2010 kam sie nach Berlin, studierte
Betriebswirtschaft für das Hotel- und Gaststättenwesen und erfuhr
mehr zufällig von einer Ausschreibung, die sie interessierte.
Rund 340 Schüler werden heute täglich in der Mensa in der Weinmeisterstraße
versorgt, deren Ambiente übrigens einen Extrapunkt
verdient hat. „Alle Gerichte sind vollwertig und vegetarisch und vorwiegend
mit Demeter-Produkten aus der Region zubereitet“, so die
Mensaleiterin, „auf isolierte und raffinierte Produkte wie Zucker,
Auszugsmehl oder geschältes Getreide verzichten wir völlig.“
Die Küchenmannschaft süßt mit Ahornsirup oder Honig, verwendet
ausschließlich kaltgepresste Öle und naturbelassene Butter und
achtet genau auf Allergien und Unverträglichkeiten. „Und jedes Kind
darf natürlich von jedem Gericht probieren“, so Bettina Zehner.
Die 1990 als eine der ersten Waldorfschulen der damals noch
existierenden DDR gegründete Freie Waldorfschule Berlin-Mitte
plante die Eröffnung einer eigenen Mensa und suchte dafür ein
entsprechendes Konzept und geeignetes Personal. Bettina Zehner
schrieb einen Ernährungs- und Küchenplan und reichte ihn ein. Mit ihr
am Start – 25 weitere Bewerber. Zehners Konzept einer abwechslungsreichen,
vegetarisch-vollwertigen Frischeküche überzeugte und die
erfahrene Köchin bekam den Zuschlag. 2011 wurde die Mensa eröffnet,
Bettina Zehner übernahm deren Leitung und etablierte eine
moderne, pflanzenbasierte Gemeinschaftsverpflegung.
Vor dem Kochen kommt der Einkauf. Dabei setzen wir auf
gewachsene Beziehungen zu Biobauern, die in der Region
arbeiten. Bestes Beispiel ist der Demeterhof von Torsten Voigt
in Gumtow in der Prignitz. Von dort bekommen wir Eier und
Kartoffeln. Der Syringhof in Zauchwitz bei Beelitz beliefert
uns mit Spargel, und unser Honig stammt zu 100 Prozent
aus der Demeter-Imkerei von Olaf Nils Dube in Blankenfelde.
Bettina Zehner, Köchin und Mensaleiterin
78
Schulessen Geschmackssachen •
Neben Bettina Zehner steht Chiara Strobl am Mensa-Herd, eine junge
Frau, die jedes Sternerestaurant in Berlin und anderswo mit Kusshand
einstellen würde. Doch die 35-jährige winkt ab: „Besten Dank, hatte
ich schon, brauche ich nicht mehr.“
Chiara Strobl ist Österreicherin, geboren und aufgewachsen in
Dornbirn, einer 50.000-Einwohner-Stadt im Bundesland Vorarlberg.
Den eigenwilligen, ein bisschen nach Schweizerdeutsch klingenden
Dialekt, der im westlichen Zipfel der Alpenrepublik gesprochen wird,
hat sie allerdings abgelegt. „Wahrscheinlich war ich zu lange woanders
unterwegs“, sagt sie und nennt Städtenamen: „Madrid, Wien, Berlin.“
Drei Jahre blieb sie in Billy Wagners Sternerestaurant, dann zog es
Chiara Strobl nach Südamerika. Sieben Monate reiste sie kreuz und
quer durch den Kontinent. Ihr rückblickender Kommentar: „Neue
Welten, neue Küchen, neue Erfahrungen.“ 2019 Rückkehr nach Berlin,
Sous Chefin im Kreuzberger Lode&Stijn und viel Lob der beiden
Holländer: „Ihre Arbeit ist von der Lust am Geschmack geprägt und
bei allem handwerklichen Können fern von Routine.“
Dann kam Corona. Sie nahm das Angebot der Waldorfschule an,
drei Monate in deren Mensa auszuhelfen. Als die vorbei waren, fragte
Bettina Zehner, ob sie bleiben wolle. Chiara Strobl wollte.
Nach einer „Such- und Findungsphase“, zu der ein einjähriges Medienpraktikum
und ein ebenso langes Universitätsgastspiel gehörten,
beschloss sie, Köchin zu werden. Sie bewarb sich um eine Lehrstelle
bei Markus Mraz und wurde genommen. Dessen Restaurant in Wien-
Brigittenau war bereits damals mit einem Michelin-Stern und drei
Gault&Millau-Hauben ausgezeichnet und zählte in Österreich zur
kulinarischen Spitze. „Hier habe ich gelernt, was fundiertes Handwerk
ist und was kreatives Kochen bedeutet“, so Chiara Strobl.
Nach dem Abschluss folgte sie ihrem damaligen Partner – ebenfalls
Koch von Beruf – nach Berlin und heuerte im Nobelhart & Schmutzig an.
Die wichtigsten Unterschiede zwischen einem Sternerestaurant
und unserer Mensa? Kann ich Ihnen sagen. Wir
kochen in einem 100-Liter-Kessel, benutzen schaufelgroße
Kochlöffel und brauchen zum Anrichten keine Zahnarztpinzetten,
das ist der erste. Und der zweite: Der Kontakt zu
den Gästen ist hier direkter und deren Meinung zu dem, was
wir servieren, unverblümter.
Chiara Strobl, Köchin
79
• Geschmackssachen Schulessen
80
Schulessen Geschmackssachen •
Mit der Österreicherin kamen auch einige neue Gerichte auf den
Speiseplan: Frittatensuppe zum Beispiel, Spinatknödel oder Vollkornbuchteln.
„Unser signature dish allerdings ist eine vegetarische
Lasagne“, so Chiara Strobl. Die Basis der Bolognese dafür besteht
in der Waldorf-Mensa natürlich nicht aus Hackfleisch, sondern aus
geschroteten und über Nacht eingeweichten Kichererbsen, die mit
reichlich Gewürzen gekocht werden – neben Pfeffer und Salz sorgen
auch Lorbeer, Oregano, Thymian und eine Prise Zimt für den feinen
Geschmack des Lieblingsgerichts der meisten Mensagäste.
„Kochen für viele darf nicht nur reine Verpflegung sein“, sagt
Bettina Zehner, „wir wollen mit unseren Gerichten unsere Gäste auch
glücklich und zufrieden machen.“ Dann fügt sie noch hinzu: „Genau
das ist auch der Grund, weshalb wir neben der hohen Produktqualität
auch das nachhaltige, saisonale und regionale Kochen favorisieren.“
www.waldorfschule-mitte.de
81
• Geschmackssachen Schulessen
(Geschmack) und Möchtest du dieses Essen
nochmal haben? Antwort einer Schülerin:
„Nur wenn der Spinat nicht mehr aus
Blättern besteht!“
Als ich diesen Satz las, erinnerte ich
mich, dass ich vor vielen Jahren in einer
französischen Schule in Avallon in der
Bourgogne am Geschmacksunterricht – ja,
sowas gibt es dort – teilnehmen durfte.
Der Sternekoch Marc Meneau referierte
über den ernährungsphysiologischen Wert
von Spinat und dessen Zubereitung. Als er
erklärte, dass man ihn auch pürieren könne,
erregte sich einer der Fünftklässler: „Mon
Dieu, wer macht denn sowas?“…
Selmas Liebeserklärung war nicht die einzige
für die Küchencrew der Schulmensa
in diesem Jahr. Franziska fand die Nudeln
super und tat ihr Urteil ebenso schriftlich
kund wie Marie, der eine Lasagne besonders
gut geschmeckt hatte.
„Wir bekommen natürlich auch reichlich
Kritik“, sagt Chiara Strobl und erzählt
von hausgemachten Müsliriegeln, die wohl
„einen Hauch zu lange“ im Backofen waren.
„Da gab’s einen regelrechten Shitstorm“,
lacht sie. Bettina Zehner schließlich holt
ein paar so genannte Feedbackbogen,
darauf drei Fragen: Wie hat dir das Essen gefallen?
(Optik), Wie hat es dir geschmeckt?
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150 Jahre Windmühlenmesser Geschmackssachen •
MEIN LIEBLINGSMESSER
ZUM 150. JUBILÄUM DER
WINDMÜHLENMANUFAKTUR SOLINGEN
VON JÖRG TEUSCHER
Nein, eine Schönheit ist dieses Messer
nicht (mehr) und ja, ich habe auch Schneidwerkzeuge,
die deutlich mehr hermachen.
Dennoch benutze ich es fast täglich, weil
es sich für so viele Küchen- und andere
Arbeiten bestens eignet. Ich brauche es zum
Kartoffelschälen ebenso wie zum Gemüseschnippeln,
ich entsteine mit seiner Hilfe
Obst, schneide Käse und schuppe Fisch.
Es dient mir aber auch zum Anspitzen
meiner Bleistifte, und ich bekomme damit
lockere Schrauben wieder fest und feste
endlich locker. Es hat mich in schätzungsweise
dreißig Jahren nie im Stich gelassen,
und als sich vor langer Zeit mal die Spitze
verbog, brachte ich es zu Meister Lehmann,
der hat sie einfach abgeschliffen. Seitdem
ist die Klinge nur noch 7,5 Zentimeter lang
anstelle der ursprünglichen 8,5 Zentimeter.
Aber das ist kein Problem, es bleibt meine
Allzweckwaffe – natürlich nur im haushaltstechnischen
Sinn – mein Lieblingsmesser.
Hergestellt wurde es Anfang der 1990er
in der Solinger Windmühlenmanufaktur, die
offiziell Robert Herder GmbH & Co. KG heißt
und vor ein paar Wochen ihr 150-jähriges
Bestehen feierte.
Bereits 1872, im Gründungsjahr der Manufaktur,
wurde dort das Modell meines
Lieblingsmessers gefertigt – aus nicht-
rostfreiem Carbonstahl und einem Buchenholzgriff,
die Klinge nach dem Prinzip des
Solinger Dünnschliffs bearbeitet und von
Hand feingepließtet (das ist ein spezieller
Feinschliff), dazu zwei Alu-Nieten, die Griff
und Klinge zusammenhalten.
Wohl auch deshalb hat es keinen besonderen
Namen bekommen, sondern heißt
schlicht „Der Klassiker“. Natürlich sind die
„Windmühler“ stolz auf diese Tradition, und
Solingen ist stolz auf die traditionsreiche
Manufaktur. „Sie ist ein Teil des Stolzes
unserer Stadt“, sagte Oberbürgermeister
Tim Kurzbach auf der Jubiläumsfeier, und
das sagt wohl alles.
Firmengründer Robert Herder.
Geschäftsführerin Giselheid Herder-Scholz.
83
FINDE DEINEN GIN
• Geschmackssachen Kostproben
91
Punkte
BAR- & SPIRITS GUIDE
Kostproben
Fünf Supermarkt- und Discounterketten beherrschen 90 Prozent des
Lebensmittelhandels in Deutschland. In den Regalen aromaverstärkte
Fertiglebensmittel, plastikverschweißter Billigkäse, geschmacksuniforme
Industrieware. Nicht nur, aber größtenteils.
Die verbleibende Zehn-Prozent-Nische haben engagierte Genusshandwerker,
kenntnisreiche Feinkosthändler und Onlineverkäufer mit
ihrem Gegenentwurf zur Mas senware der Lebensmittelindustrie be -
setzt: manufakturell hergestellte Aufstriche; Würste, die nicht aus der
Schlachtfabrik kommen; handgefertigte Schokoladen, haus gemachte
Liköre, Konser ven ohne E-Zusätze, vieles in Bioqualität. Das meiste
ist teurer als Supermarktware gleichen Namens, aber eben auch
gesünder, nachhaltiger und geschmackvoller.
Vier Kostproben dessen, was wir neben den vielen anderen erstklassigen
Produkten in diesem Heft in den letzen Wochen sonst
noch entdeckten, probierten und als kulinarisch bemerkenswert
empfanden, servieren wir Ihnen auf der folgenden Seite.
84
Kostproben Geschmackssachen •
GTS
Großküchentechnik &
Service GmbH
Cha ist zwar das japanische Wort für Tee, dennoch
ist Mugi-cha kein Tee im eigentlichen Sinn, denn das
traditionelle Nippon-Getränk besteht aus gerösteter
Nacktgerste. Sie wird mit kochendem Wasser aufgegossen,
und nach zehnminütigem Ziehen ist der
Mugi-cha fertig. Serviert wird der intensiv duftende und
angenehm nussige Gerstensud im Sommer eisgekühlt
und im Winter heiß. Übrigens: In diesem Fall stammt die
Gerste aus bayerischem Bioanbau – also: ein kräftiges
Kampai auf Nachhaltigkeit und Regionalität!
Lange im kulinarischen Abseits, entdeckten Küchenchefs
und Cocktailkreateure vor 20, 25 Jahren den
Verjus neu. Der Saft unreifer Trauben passte besser
in die Zeit, weil er bekömmlicher ist als etwa Weinessig
und aromatisch vielfältiger als Zitronensaft.
Ein junges Berliner Startup erkannte den Trend und
brachte Ende 2019 einen Verjus aus der Grünlese von
Riesling-, Kerner- und Spätburgundertrauben auf den
Markt, dessen Eleganz und dezente Säure ihn zu einem
Geschmackserlebnis der besonderen Art machen.
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Tiefkühl- und Kühlanlagen
Arbeits- und Spültische
Der Gutshof Einklang liegt in Jahnsfelde im Landkreis
Märkisch-Oderland, rund 50 Kilometer östlich
von Berlin. In der Feinkost-Manufaktur des Gutes
entstehen meisterliche Chutneys, Pesti und Sirupe,
deren Herstellung einem gleichen Credo folgt: beste
Zutaten, kleine Chargen und Handarbeit. Wir empfehlen
ein unverschämt gutes Bärlauchpesto (ohne Käse!),
das bestens zu jeder Art Pasta passt, Lammlachse
auf kulinarisches Hochniveau hebt oder gebratene
Zucchini krönt.
Bio-Buffet-Chefin Ulrike Piecha und ihr Team – allen
voran Küchenchef Marcus Wolf – starteten vor gut
zwei Jahren ihr Projekt „Feine Convenience“. Dabei
handelt es sich um fix und fertig zubereitete und einzeln
vakuumierte Komponenten für diverse Gerichte – etwa
Rindsroulade, Polenta und Rotkohl. Neueste Kreation
dieser Produktlinie ist das BBQ-Schwein: mit Fenchel,
Koriander und Rauchpaprika trocken marinierter
Schweinerücken, der anschließend sous vide gegart
wurde. Ein Kracher!
Preis: 5,60 Euro / 120 g
Gutshof Einklang
15374 Müncheberg OT Jahnsfelde
Wochenmarkt Boxhagener Platz
Samstag, 9.00–15.30 Uhr
www.gutshof-einklang.de
Preis: 4,99 Euro / je 100 g
Piechas BioBuffet in der Marheinekehalle
Biofleischerei und Ladenlokal
10961 Berlin-Kreuzberg
Marheinekeplatz 15
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Schwedter Str. 45-46
10435 Berlin
Tel.: 030 - 440 540 48
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85
• Kopfsalat Serhat Aktas
Der Weinlobbyist
SERHAT AKTAS MACHT FURORE
VON JÖRG TEUSCHER
Als Serhat Aktas am letzten Junitag 2020 in der Schöneberger
Kolonnenstraße seine Weinbar eröffnete (s. Bilder S. 87), blieb die
Zahl der Premierengäste überschaubar. Eine kleine Schar guter
Freunde gratulierte dem jungen Gastronomen brav und mit dem gebotenen
Abstand zu seinem Mut, sich in diesen Zeiten selbstständig
zu machen, aber an den Erfolg der Pandemiegründung glaubten wohl
nur die größten Optimisten. Kein Wunder, der elfwöchige Lockdown
im ersten Halbjahr 2020 wirkte wie eine Vollbremsung im deutschen
Gastgewerbe, allein in Berlin verloren rund 5.500 Beschäftigte ihren
Job, über 64.000 mussten in Kurzarbeit. Als Ende Mai Restaurants,
Bars und Cafés unter strengen Hygieneauflagen wieder Gäste bewirten
durften, blieben die Türen etlicher gastronomischer Betriebe
bereits geschlossen, weitere folgten, und in der Branche machte die
schwarzseherische Prophezeiung von Großmeister Tim Raue die
Runde, „dass Corona über kurz oder lang unser kulinarisches Leben
in Schutt und Asche legen werde.“ Serhat Aktas, kein Freund solcher
Kassandrarufe, entgegnete trotzig: „Ich bin doch nicht an den Start
gegangen, um gleich wieder aufzugeben.“
86
Serhat Aktas Kopfsalat •
87
• Kopfsalat Serhat Aktas
Der 31-jährige Aktas überstand auch den zweiten Lockdown und
blickte Anfang 2022 mit dem ihm eigenen Optimismus nach vorn:
„Jetzt kann es nur noch aufwärts gehen.“
Es ging tatsächlich aufwärts – und wie! Am 24. April nahm
Serhat Aktas in der Mainzer Rheingoldhalle den Sonderpreis des
Verbandes Deutscher Prädikatsweingüter für die beste Offerte einheimischer
Winzersekte entgegen. Begründung: „Seine mehr als
50 Positionen an deutschem Flaschengärsekt sind mit viel Knowhow
zusammengestellt und bilden nahezu die gesamte innovative
deutsche Sektszene ab.“
Gut drei Wochen später nominierte ihn die Meisterköche-Jury
für die Titel in gleich zwei Kategorien: Berliner Gastgeber 2022
und Berliner Barkultur 2022. Und Ende Juni schließlich lobte der
Gault&Millau sein Konzept und zeichnete die Weinbar mit einer Kochmütze
aus. Die steht immerhin für „sehr empfehlenswert.“
Einer der ersten Gratulanten: Herbert Beltle,
Serhat Aktas’ einstiger Ausbilder.
Alle Achtung, Herr Aktas und herzlichen Glückwunsch, da ist ja
in kurzer Zeit ziemlich viel zusammengekommen. Welche Ehrung
wiegt denn für Sie besonders schwer?
Glauben sie im Ernst, dass ich jetzt ein Auszeichnungs-Ranking
aufmache? Nein, ich bin auf alle Ehrungen gleichermaßen stolz, weil
sie am Ende des Tages belegen, dass wir, ich meine unser gesamtes
Team, doch vieles richtig gemacht haben. Und dass der Weg, den
wir gehen und auf dem wir noch einiges vorhaben, der richtige ist.
Welche Projekte sind denn bei Ihnen derzeit in der Pipeline?
Na ja, aktuell läuft der Countdown für unsere ersten eat! berlin-Auftritte.
Am 28. Oktober laden wir zu einem 4-gängigen Menü ein, das
von Weinen begleitet wird, die alle aus dem Sieger-Weingut unseres
diesjährigen Lagencups stammen.
Also aus dem VDP. Weingut Burggarten in Heppingen.
Genau. Inhaber Paul-Josef Schäfer, Kellermeister Paul-Michael
Schäfer und sicher noch weitere Familienmitglieder kommen aus
dem Ahrtal nach Berlin und bringen Gewächse ihrer besten Lagen
mit, etwa vom Neuenahrer Sonnenberg oder dem Heimersheimer
Burggarten. Und wir werden an diesem Abend natürlich auch erfahren,
wie es um die Weingüter an der Ahr bestellt ist, von denen
viele von der Jahrhundertflut im vorigen Jahr heimgesucht wurden.
Am 1. November dann zieht die gesamte Weinlobbyist-Crew in
Clärchens Ballhaus, wo unser Küchenchef Ronny Marx gemeinsam
mit Arne Anker vom BRIKZ und Thomas Kammeier vom the CORD
ein 6-gängiges Menü zubereiten wird, zu dem wir ausschließlich
deutsche Winzersekte servieren – vom VDP. Wein- und Sektgut Barth
aus Hattenheim im Rheingau, vom Sekthaus Griesel aus Bensheim
an der Hessischen Bergstraße und vom VDP. Weingut Reichsrat von
Buhl aus Deidesheim in der Pfalz. Damit wollen wir gleichzeitig einen
Vorgeschmack auf ein Megaevent geben, das wir für 2023 planen.
Ein Megaevent?
Ganz genau. Im kommenden Jahr soll das 1. Berliner Sektfestival
steigen, zu dem wir Weinlobbyisten alle deutschen Hochkaräter der
Schaumwein-Szene nach Berlin holen wollen – Barth, Griesel, Gützler,
Hattemer, Raumland, Schloss Vaux, Stengel, St. Laurentius, von Buhl.
Man merkt, Sie sind bei Ihrem Lieblingsthema…
Absolut, und ich will Ihnen auch sagen, warum. Niemand auf der Welt
liebt das große Prickeln so sehr wie wir Deutschen. Mehr als 300
Millionen Liter Schaumwein werden hierzulande jährlich getrunken:
Champagner aus Frankreich, Franciacorta und Trentodoc aus Italien,
Cava aus Spanien und eben Winzersekt aus Deutschland – alle nach
der Méthode champenoise hergestellt. Was das Resultat betrifft,
können sich die besten deutschen Winzersekte durchaus mit den
großen Franzosen messen und mit den Italienern und Spaniern
sowieso. Deshalb plädiere ich so vehement für die Winzersekte aus
Deutschland und sehe mich auch als deren Lobbyist.
Vielen Dank für die interessanten Auskünfte, Herr Aktas.
88
Serhat Aktas Kopfsalat •
89
• Kopfsalat Serhat Aktas
Regelmäßig organisiert Serhat Aktas Branchentreffen:
Hier der Bio-Winzer Mark Barth aus dem Rheingau…
…zu Gast in Berlin und im Gespräch
mit hauptstädtischen Weinexperten.
Dass Serhat Aktas mal zu den erfolgreichsten Berliner Gastronomen
gehören würde, wurde ihm nicht an der Wiege gesungen, die übrigens
in der westtürkischen Provinzhauptstadt Izmir am Ägäischen Meer
stand. Als Zwölfjähriger kam er 2003 mit seinen Eltern nach Berlin,
lernte die fremde Sprache seiner neuen Heimat schnell und träumte
von einem Techniker-Job. „Irgendwas mit Computern, am liebsten
Programmierer.“
Dass es nach dem Schulabschluss was ganz anderes wurde,
empfand er nicht als Niederlage. „Restaurantfachmann stand auf
meinem Ausbildungs-Wunschzettel auf Platz zwei.“ Und dass er
ins Restaurant Aigner und dort zu Herbert Beltle kam, nennt Aktas
heute „einen Glücksfall“.
Zu einer Zeit, in der Essen und Trinken zu Megathemen wurden
und Köche zu Popstars avancierten, versuchten auch die Vertreter
des Service-Berufes ihre Rolle neu zu definieren. Irre locker und
dabei wahnsinnig besonders, das erschien vielen als die gängigste
Masche. Beltle, erfahrener Gastgeber und schon damals eine Berliner
Legende, erdete die jungen Leute. „Ein guter Kellner zeichnet sich
durch Empathie und Natürlichkeit aus“, predigte er, „und durch die
Fähigkeit, die Gäste zu lesen.“
Serhat Aktas verstand, begriff seinen Beruf rasch als Berufung
und die Binse, dass Wissen den Weg nach vorn ebnet, als Aufgabe.
Er wandte sich dem Wein zu, heimste bei Berufswettbewerben erste
Lorbeeren ein, absolvierte nach der Lehre eine Sommelierausbildung
und steht heute kurz vor seinem Abschluss als Weinakademiker an
der Hochschule Geisenheim – Voraussetzung übrigens für die Aufnahme
in das Master-of-Wine-Studienprogramm…
Doch der 31-Jährige hält den Ball flach. „Jetzt muss erst mal unser
Baby erwachsen werden, das heißt, in Bar und Bistro gibt es noch
einiges zu tun, Feinschliff sozusagen.“
Unter den 70 Winzersekten auf der über 600 Positionen
umfassenden Weinkarte des Weinlobbyisten…
…finden sich natürlich auch die
berühmten Lagensekte von Mark Barth.
90
Serhat Aktas Kopfsalat •
Küchenchef Ronny Marx.
Seit August 2021 mit an Bord im Weinlobbyisten ist Küchenchef Ronny
Marx. Der eher stille Zwei-Meter-Mann stammt aus der südbrandenburgischen
Sängerstadt Finsterwalde, lernte sein Handwerk in der
Bodensee-Metropole Koblenz – feinbürgerliche Küche mit badischem
Akzent – und stand nach der Ausbildung u. a. im Brechts am Schiffbauerdamm
und im legendären Kreuzberger Café Rizz am Herd.
Im Weinlobbyisten verzichtet er tunlichst auf abgehobene
kulinarische Experimente und setzt auf zuverlässige Weinbegleiter:
Jakobsmuschel im Steinpilzsud, Rindertatar mit Forellenkaviar und
fermentiertem Grünspargel, Schweinebauch mit Rettichkimchi und
schwarzem Knoblauch oder Salat von alten Tomatensorten mit
Burrata und Sauerteigbrot.
Apropos Sauerteigbrot. Wir verorteten dessen Herkunft in eine
der hauptstädtischen Edelschmieden – Albatross, Domberger oder
Brot&Butter – doch denkste und das auf ganzer Linie.
Das ebenso kernige wie saftige Weinbar-Brot stammt von Ronny
Marx höchstselbst und wird in einem Holzfässchen serviert. Darauf
angesprochen, grinst der 31-jährige Küchenchef: „Das mit dem Mini-
Fass ist eine Idee des Chefs (von Serhat Aktas also, d. Red.), für den
Rest bin ich zuständig.“ Kurz, knapp, knackig – typisch Marx.
Nach einer gefühlten Ewig-Pause spricht er dann doch noch
über den Wert lokaler Mehle, den hauseigenen Sauerteig, dessen
tagesfrische Führung und händische Aufarbeitung. Und er bekennt
schließlich sogar – ganz und gar untypisch Marx – wie stolz er auf
das Gästelob ist: „Jeder Zweite will bei mir Brot kaufen.“
Das entging natürlich auch Serhat Aktas nicht, und als das Angebot
auf seinen Tisch kam, neben der Weinbar noch den Nachbarladen
zu übernehmen, griff er beherzt zu. In Kürze wird der Weinlobbyist
also in der Kolonnenstraße mit einem Brot-, Wein- und Sekhandel
an den Start gehen.
91
• Kopfsalat Serhat Aktas
14. Juni 2022 – Der Weinlobbyist feiert seinen 2. Geburtstag mit prominenten Gästen:
Rolf Paasburg.
Dr. Stefan und Ana Franzke.
Dr. Stefan Elfenbein.
Bernhard Moser.
Anja Schmidt.
Fazit: Der Weinlobbyist ist ein wirklich
heißer Tipp für Menschen, die dem Leben
ein paar Besonderheiten abringen wollen.
Die stärksten Faktoren an diesem charmanten
Schöneberger After-Office-Treffpunkt
nahe der wuselnden Hauptstraße: das unschnöselhafte
Konzept, die sympathische
Atmosphäre, der behagliche Innenhof, das
enorme Weinangebot mit seinen 30 offenen
Positionen, die kreative Küche mit ihren
genialen Kleinigkeiten und – natürlich –
Serhat Aktas.
DER WEINLOBBYIST
Kolonnenstraße 62
10827 Berlin-Schöneberg
Tel. 030 – 30 64 07 72
www.derweinlobbyist.de
92
Serhat Aktas Kopfsalat •
Wir lieben Fleisch
Original regional, eigene Zerlegung, Portionierung und Produktion.
B2B-BEREICH (für den Wiederverkauf) — T (030) 344 600 7 — F (030) 390 636 80 — bestellung@gezer-fleisch.de
EINZELHANDEL (für Privatkunden) — T (030) 344 600 819 — F (030) 390 636 80 — bestellung@gezer-fleisch.de
BISTRO (für den Vor-Ort-Genuss) — T (030) 344 600 843
Gezer Fleischmanufaktur Berlin GmbH — Riedemannweg 61– 63, 13627 Berlin — www.gezer-fleisch.de
93
• Kopfsalat Elena Chechendaieva
Das Steglitzer Le Café war eine gastronomische Institution und blieb es auch, als Annette Baier
das stilvolle Kaffeehaus in der ersten Etage eines noblen Jugendstilhauses am Zusammentreffen
von Schloß- und Zimmerstraße übernahm. Anwälte, Architekten, Geschäftsleute,
Künstler, Lehrer und Wissenschaftler sind Stammgäste hier – sie schätzen die Atmosphäre,
die gutbürgerlichen Offerten und den diskreten Service. Die Sehen-und-Gesehenwerden-
Society bevorzugt Etablissements mit mehr Tamtam und Tralala.
Dieses Café Baier und einige Menschen, die mit oder in ihm zu tun haben, spielen in der
folgenden Geschichte über die Ukrainerin Elena Chechendaieva und ihre Familie eine wichtige
Rolle. Sie wollen allerdings weder ihre Namen in der Zeitung lesen noch ein Bild von sich
dort gedruckt sehen.
Wir respektieren das und nennen sie Helfer im Hintergrund, obwohl sie es verdient hätten,
öffentlich genannt zu werden. Schließlich haben sie Elena Chechendaieva völlig uneigennützig
und ohne die in solchen Fällen häufig üblichen großen Gesten das gegeben, was die
aus Charkiw geflüchtete Konditorin am dringendsten brauchte: eine gute Arbeit und eine
ordentliche Wohnung…
94
Elena Chechendaieva Kopfsalat •
„Wir wollten nur noch weg…“
Die Konditorin und Unternehmerin Elena Chechendaieva floh am 28. Februar
2022 mit ihrer Familie aus Charkiw nach Berlin. Ende März traf ich sie hier.
Protokoll eines Kennenlernens.
VON JÖRG TEUSCHER
95
• Kopfsalat Elena Chechendaieva
28. März 2022: Meine erste Begegnung mit Elena Chechendaieva, geflohen Ende Februar aus Charkiw.
Die ukrainischen Flüchtlinge wollen sich im Ausland nicht
nur als Vertriebene fühlen, sondern auch als Menschen,
die dazugehören, die das Leben leben und genießen
wollen. Wir sind sehr auf den Willkommenswillen, die
Zuvorkommenheit und Offenheit der Gastgebergesellschaften
angewiesen. Das ist ein sehr kostbarer Schatz.
Also bitte, seht uns nicht nur als Entrechtete, sondern auch
als Teil unserer gemeinsamen europäischen Kultur – als
Menschen, die diese auch leben wollen und können.
Jurko Prochasko,
ukrainischer Schriftsteller am 13. März 2022
in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
96
Elena Chechendaieva Kopfsalat •
Am 28. März 2022 begegne ich Elena Chechendaieva zum ersten
Mal. Wir sitzen in einem Café am Olivaer Platz, die junge Frau wirkt
müde und irgendwie weit weg. Kein Wunder, denke ich, nach dem,
was sie in den letzten Wochen erlebt hat.
Zustande gekommen ist das Treffen übrigens durch Julia, eine
Bekannte, die ein paar Wochen zuvor von einer jungen Konditorin aus
Charkiw und deren Flucht nach Berlin erzählt hatte. Ich bat Julia, ein
Interview zu vermitteln.
Nun sitzt mir Elena Chechendaieva also gegenüber, wir nippen
an unseren Cappuccini, sie buchstabiert mir ihren Nachnamen und
ich überlege, wie man ein Gespräch über Krieg und Zerstörung,
Flucht und Vertreibung eigentlich beginnt – mit einer Frau, die man
gerade kennengelernt hat, an einem sonnigen Montagmorgen im
sicheren Berlin.
Elena Chechendaieva ist es, die das Schweigen beendet. Sie zeigt
auf meine Brille und fragt, ob grün meine Lieblingsfarbe sei. Als
ich bejahe, weist sie auf ihren Pullover. „Meine auch, weil die Farbe
Hoffnung bedeutet.“ Ihr Englisch ist hervorragend, das macht die
Verständigung leicht. Wir sprechen über Persönliches. Elena ist 30,
geboren und aufgewachsen in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der
Ukraine. Nach dem Schulabschluss folgte sie dem Wunsch ihrer
Mutter und begann ein IT-Studium. „Das war mir aber zu theoretisch“,
sagt sie, „nach anderthalb Jahren habe ich der Uni good-bye gesagt.“
Etwas Handwerkliches wollte sie machen, etwas mit Kochen
und Backen, ihren beiden großen Leidenschaften. Sie beschloss,
Konditorin zu werden. Eine gute Entscheidung, denn der Erfolg ließ
nicht lange auf sich warten. 2017 eröffnete Elena Chechendaieva
in ihrer Heimatstadt eine Konditorei – Che Bakery –, die schnell
zum Liebling vieler Charkiwer avancierte. Weil der Ansturm auf ihre
Kuchen und Torten anhielt, brachte sie drei Jahre später eine zweite
Konditorei an den Start, 2021 dann das Che Bakery Café.
Sie zeigt mir Fotos auf ihrem Smartphone (s. unten). Wie unwiederbringlich
wunderbar sind solche Bilder aus besseren Zeiten: ihr kleiner
bunter Laden mit Sternenhimmel-Decke, die Torten in den Vitrinen,
sie selbst mit Hund Vavlya und ihrem berühmten Osterkuchen, der in
der Ukraine Tvoroshnaya paska heißt. Sie swipt weiter. Kinderbilder.
Drei Töchter hat sie – Kseniia, Yeseniia und Serafina – fröhliche
Kinder. Normalität, Leben, Frieden.
Als am 24. Februar 2022 um 6 Uhr morgens in Charkiw Sirenen
heulen, weiß Elena Chechendaieva, dass es damit jetzt vorbei ist. Im
Radio hört sie, dass Russlands Präsident Putin seinen Truppen den
Befehl zum Angriff auf die Ukraine gegeben hat. Als noch am gleichen
Tag die ersten Bomben fallen, fassen sie und ihr Mann Wassilij den
Entschluss, das Land zu verlassen. Mögliche Ziele: Deutschland,
Georgien oder Zypern, weil sie diese Länder von Urlaubsreisen kennen
und dort Freunde leben. Sie entscheiden sich für Berlin.
97
• Kopfsalat Elena Chechendaieva
17. April 2022: Osterbrunch im Café Baier. Elena Chechendaieva, ihr Mann Wassilij und die Töchter Kseniia, re., Yeseniia, li. und Sefarina, Mi.
In Daniel Libeskinds Jüdischem Museum führt die ‚Achse des
Exils‘ in den ‚Garten des Exils‘ mit seinen schrägen Stelen, die
die Perspektive verschieben und einen schwanken lassen.
Die Koordinaten sind aus dem Lot nach einer Vertreibung.
Krieg, Gewalt, Gräueltaten, selbst nur als Schreckensbilder in
den Fernsehnachrichten, ist es ein Zuviel an Wirklichkeit, ein
Realitätsschock. Wir möchten die Augen verschließen, wollen,
dass es vorbei ist. Aber auch der Ukraine-Krieg dauert, es ist
nie vorbei mit dem Töten. Auch deshalb die Unfassbarkeit des
Osterfests: Da soll einer von den Toten auferstanden sein? Die
Freunde des Gekreuzigten reiben sich ungläubig die Augen.
Christiane Peitz,
Publizistin und Redakteurin am 17. April 2022
im Tagesspiegel
Der 17. April, Ostersonntag, ist der 53. Tag des Krieges. Die Zeitungen
berichten von russischen Raketenangriffen auf ukrainische Städte
und drucken Bilder von leeren Straßen und Barrikaden und von
Menschen, die in den U-Bahn-Schächten von Kyjiw und Charkiw
Schutz suchen.
„Noch vor zwei Monaten war Charkiw eine ganz normale
Metropole“, sagt Elena Chechendaieva, „hip und jung, fröhlich und
voller Leben. Und nun ist nichts mehr, wie es einmal war.“ Wir sitzen
in der Steglitzer Schloßstraße im Café Baier. Das Café ist ein kinderund
familienfreundlicher Ort, und ich kenne die Inhaberin – deshalb
habe ich Elena, ihren Mann Wassilij und die Töchter Kseniia, 11,
Yeseniia, 7, und die fünfjährige Serafina hierher zum Osterbrunch
eingeladen.
Wir frühstücken, Annette Baier, die Chefin, bringt den Kindern
Buntstifte und Malbücher und setzt sich zu uns. Wir sprechen über
die Flucht. Wassilij Chechendaiev markiert mit dem Finger auf einer
Osteuropa-Karte eine Linie zwischen Charkiw und Berlin. „Das sind
rund 1.800 Kilometer“, sagt er, „normalerweise schafft man das
mit dem Auto in zwei Tagen.“ Und wie lange haben Sie gebraucht?
„Fünfeinhalb.“ Er zeigt auf die ukrainisch-ungarische Grenze. „Um 22
Uhr abends waren wir hier, erst am folgenden Nachmittag konnten
wir passieren. Über Ungarn, die Slowakei und Polen sind wir dann
nach Berlin gefahren.“
98
Elena Chechendaieva Kopfsalat •
„Obwohl nach Kriegsbeginn Männern zwischen 18 und 54 Jahren
die Ausreise aus der Ukraine verboten wurde, durfte ich mit“, sagt er
noch, „der Kinder wegen.“ Gefragt hatten wir danach nicht.
Seine Frau berichtet über die ersten Wochen in Berlin, über
Freunde, die halfen, eine Bleibe besorgten, mit Möbeln und
Kleidung unterstützten, sich um die Kinder kümmerten. „Wir sind
mit offenen Armen barmherzig aufgenommen worden“, fügt Elena
Chechendaieva hinzu, „dafür sind wir enorm dankbar.“ Ob sie wisse,
wie es um ihr Café stehe, fragt Annette Baier. „Einige meiner Mitarbeiter
sind geblieben“, erzählt die ukrainische Konditorin, „und
backen jetzt Brot für unsere Soldaten.“ Wieder zeigt sie Fotos.
Dann ist da das Bild eines jungen Mannes in Uniform, ein Bild von
der Front. Elena Chechendaievas jüngerer Bruder Ivan. „Er ist am
1. April bei der Verteidigung des Asow-Stahlwerks in Mariupol gefallen“,
sagt sie leise, „er war erst 24…“
99
• Kopfsalat Elena Chechendaieva
23. Mai 2022: Die Konditorin Elena Chechendaieva unterschreibt einen Arbeitsvertrag, re. Café-Baier-Betreiberin Annette Baier.
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein Krieg,
in dem es um fundamentale Fragen geht: In welcher Welt
werden wir künftig leben? Welche Werte und Grundsätze sehen
wir als unverrückbar und damit auch als global gültig an?
Sind Demokratie, Menschenrechte, Freiheit und Frieden die
Resultate eines Fortschritts, den zu verteidigen wir bereit und
im Stande sind? Oder werden sich totalitäre Regime wieder
auf brutale Art und Weise über alles hinwegsetzen können,
was wir als Fundament unserer europäischen Friedensordnung
betrachten? Werden Autokraten auch in Europa wieder Völker
vereinnahmen und unterjochen können?
Katrin Eigendorf,
ZDF-Korrespondentin in der Ukraine in ihrem Buch
„Putins Krieg“, S. Fischer Verlag 2022
Der 23. Mai 2022 ist ein Montag. Ich bin mit Elena Chechendaieva
verabredet, 16 Uhr, Café Baier. In den letzten Wochen haben wir lediglich
telefoniert. Ich weiß, dass sie sich bei Berlitz in Charlottenburg
zum Deutschkurs angemeldet hat, dass ihre Mutter Viktoria und
ihr 17-jähriger Bruder Kirill inzwischen auch in Deutschland sind, in
Lübeck. Und dass ihr Vater und Vsewolod, ihr dritter Bruder, noch
immer in Charkiw leben. Eine zerrissene Familie, eine Familie im
Ausnahmezustand.
Und wir haben viel über Butscha gesprochen, über das, was sich
während der 33 Tage russischer Besetzung vom 27. Februar bis zum
31. März dort ereignete. „Einige der Russlandversteher in Deutschland
begreifen hoffentlich jetzt, worum es Putin in diesem Krieg geht“,
hatte sie mir gesagt, „sein Ziel ist unsere Vernichtung.“
Später lese ich in Katrins Eigendorfs Buch „Putins Krieg“ über den
Aufenthalt der ZDF-Korrespondentin am 4. April 2022 in Butscha:
„Dieser 4. April 2022 wird zu einem Tag, der die Wahrnehmung des
russischen Angriffskrieges in der Ukraine verändert – auch meine
eigene. Was wir in den Orten im Norden des Landes sehen, aus
denen sich die russische Armee am 31. März zurückgezogen hat,
offenbart erstmals den wahren Charakter des Krieges, den Putin
gegen die Ukrainer: innen führt. Er zeigt die enthemmte Grausamkeit
und Entmenschlichung der Soldaten, die für den Kreml morden,
vergewaltigen und plündern.“
100
Elena Chechendaieva Kopfsalat •
Annette Baier, die Inhaberin des gleichnamigen Cafés, ist erstaunt,
dass ich an diesem 23. Mai in ihr Kaffeehaus komme. „Elena hat mich
eingeladen“, erwidere ich auf die entsprechende Frage. „Eigentlich
war der Termin heute nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, auch
nicht für dich“, so Annette Baier. Ich erfahre schließlich, dass es
ein besonderer Tag ist und darf sogar ein paar Fotos machen: Elena
Chechendaieva und Annette Baier unterschreiben Elenas Arbeitsvertrag
als Konditorin im Café Baier…
CAFÉ BAIER
Schlossstraße 26
12163 Berlin-Steglitz
Tel. 030 – 22 02 27 04
www.cafe-baier.com
101
• Rubriken Fuhrmanns Früchtekorb
Marcus Fuhrmann.
Wenn in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die weißen
7,5-Tonnen-Kühltransporter mit dem Zeichen der Kirsche Hotels,
Restaurants, Kantinen, Krankenhäuser und Kitas ansteuern, heißt es
bei den Küchenchefs dort meist kurz und knapp: Fuhrmann kommt.
Mit Dieter und Marcus Fuhrmann lenkte jahrelang eine Vater-Sohn-
Doppelspitze die Geschicke des renommierten Fruchtgroßhandels
mit Sitz auf dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße. Nach dem
plötzlichen Tod seines Vaters im Mai 2020 trägt nun Marcus Fuhrmann
die alleinige Verantwortung für das 1977 gegründete Unternehmen.
Der 55-Jährige trat nach seinem BWL-Studium in Bochum und
einem Intermezzo als Tennistrainer 1996 in die Firma seines Vaters
ein, absolvierte eine Großhandelsausbildung und lernte die Besonderheiten
des Geschäfts mit Obst, Gemüse, Kartoffeln und Kräutern
von der Pike auf. Sein unternehmerisches Credo fasst er heute so
zusammen: Zuverlässigkeit, unbedingte Serviceorientierung und
ein ausgeprägtes Bewusstsein für Qualität. Dem fühlen sich auch die
28„Fuhrmänner“ verpflichtet, die ihre Kunden täglich mit rund 500
Produkten beliefern – von A wie Artischocke bis Z wie Zitronengras.
Für unser Magazin stellt Marcus Fuhrmann seine „Früchtchen“ vor.
Heute: Die Brombeere
Fuhrmanns Früchtekorb
DIE FRUCHT DES JAHRES 2022
VON MARCUS FUHRMANN
Brombeere vor Avocado und Granatapfel –
so lautete das Votum der Frucht-des-Jahres-
Jury 2022. Eine gute Wahl, fand ich, vor
allem deshalb, weil die Brombeere in der
Verbrauchergunst ziemlich weit hinten
rangiert – auf jeden Fall hinter Erdbeere,
Himbeere und Johannisbeere. Und das hat
die zur Familie der Rosengewächse zählende
Brombeere nun wirklich nicht verdient.
Die schwarz glänzenden, prallen Früchte
sind schon optisch eine Augenweide, sie
punkten geschmacklich mit ihrer einzigartigen
Aromatik, in der sich Fruchtigkeit,
Süße und Herbheit harmonisch vereinen, sie
enthalten nur wenig Zucker, sind kalorienarm
und bringen jede Menge wichtiger
Inhaltsstoffe mit.
Da sind zum einen die Mineralien
Kalzium, Kalium, Magnesium, Phosphor
102
Fuhrmanns Früchtekorb Rubriken •
bereits im Mittelalter den Ruf des „gemeinsten aller Beerensträucher“
ein. Die Früchte fanden als Armenspeise nur wenig Beachtung, die
Beerensuche galt als Volksrecht. Dennoch stand die Brombeere als
Heilpflanze in hohem Ansehen – bereits in der Antike bezeichneten
Ärzte ihren Saft als „Blut der Titanen“ und behandelten damit Gelenk-
und andere Entzündungen.
Begehrt waren auch die Wurzelstöcke der Brombeersträucher –
zum einen, um daraus Pfeifen zu schnitzen, zum anderen, um Holzkohle
herzustellen, die wiederum für die Schießpulverproduktion
außerordentlich gut geeignet gewesen sein soll.
Eine zielgerichtete Brombeerzüchtung und -kultivierung begann
übrigens erst im 19. Jahrhundert – die ersten Sorten wurden 1859 beschrieben,
stammten überwiegend aus den USA und waren stachelig
und kleinfrüchtig. Inzwischen gibt es auch zahlreiche stachellose
Sorten mit größeren Früchten, die auch aromatisch durchaus mit
den Wildformen mithalten können – etwa Asterina, Hull Thornless
oder Navaho. Diese Züchtungen machten in vielen Ländern auch den
gewerbsmäßigen Anbau attraktiv. In Deutschland beispielsweise
finden sich Brombeerplantagen vor allen in den Weinbauregionen
von Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz.
Kulinarisch steht natürlich der Frischverzehr an erster Stelle, wobei
der Banon, ein zum Reifen in getrocknete Kastanienblätter gewickelter
provenzalischer Ziegenkäse, als Traumpartner gilt.
und Mangan, die sich positiv auf den Knochenbau und die Zähne
auswirken sowie für einen ausgewogenen Flüssigkeitshaushalt im
Körper sorgen. Hinzu kommen immerhin 17 Milligramm Vitamin C
je 100 Gramm Brombeeren, die wichtigsten B-Vitamine sowie eine
gehörige Portion des Provitamins A, das als effektives natürliches
Anti-Aging-Mittel gilt.
Last but not least: Brombeeren enthalten große Mengen an natürlichen
Pflanzenfarbstoffen, so genannte Anthocyane, die nicht nur für
die dunkle Farbe der Früchte sorgen, sondern auch in der Lage sind,
freie Radikale abzufangen, bevor sie in den Körperzellen Schaden
anrichten können.
Übrigens: Auch die Blätter des Brombeerstrauches haben es in
sich. Die Naturheilkunde empfiehlt ihre Verwendung – frisch oder
getrocknet – als Tee, der bei Fieber, Entzündungen im Mund-Rachen-
Raum oder bei Durchfallerkrankungen gute Dienste leistet.
Die ursprünglich in den Wäldern Europas, Nordamerikas und
einiger Teile Asiens beheimatete Brombeere gehört zu den ältesten
Obstarten der Welt, und die Vermutung liegt nahe, dass sie bereits
den Speiseplan der Jäger und Sammler bereicherte.
Ihr Name stammt übrigens aus dem Althochdeutschen, wo „bramo
beri“ so viel wie „Dornbeere“ bedeutete. Ihre Dornen, bei denen es
sich – botanisch genau genommen – um Stacheln handelt und die Tatsache
der weiten Verbreitung des Brombeerstrauches brachten ihm
103
• Rubriken Fuhrmanns Früchtekorb
Ich war schon als Kind ein begeisterter
Brombeersammler. Ich
pflückte die wilden Beeren auf dem
Heimweg von der Schule auf einem
Feld im ländlichen Worcestershire,
das ein bedrohlicher Hereford-Bulle
mit Nasenring vervollständigte…
Die heutigen modernen Zuchtsorten
sind zwar auch nicht schlecht, aber
oft zu groß und auch zu süß, um als
Erinnerung an meine kindlichen
Hecken-Festessen zu taugen.
Nigel Slater
Bei mir belegt dann noch die gute alte Rote Grütze einen Spitzenplatz,
gekocht aus Sauerkirschen, Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren,
Brombeeren, dem Saft dieser Früchte und einem trockenen Rotwein.
Ansonsten erwies sich meine Suche nach Rezepten, die dem eigenwilligen,
leicht säuerlichen und an Zedernholz erinnernden Aroma der
Brombeere gerecht werden, als schwieriger als erwartet. Einschlägige
deutsche Kochbücher offerieren lediglich einige Desserts, bei denen
die Brombeere allerdings meist nur als Deko-Statistin fungiert.
Anders ist das schon bei Nigel Slater. Der vielfach ausgezeichnete
englische Kochbuchautor – seine wichtigsten Titel (u. a. Das Küchentagebuch:
Mit 250 Rezepten durch das Jahr) erschienen auch in
Deutschland – gilt als ausgemachter Brombeer-Fan. So bekannte
der 64-jährige „britische Siebeck“ in einer seiner monatlichen Koch-
Kolumnen für die Londoner Sonntagszeitung The Observer: „Wenn
die Ranken mit ihren arterienbedrohenden Dornen und den reifen
Früchten sich aus Nachbars Garten über meine Mauer winden, schaffe
ich es nur selten, dieses Stadium ihrer Saison ohne ein Punkt-Komma-
Strich-Muster aus verschorften Kratzern auf den Unterarmen zu
erleben.“ Von Slaters vielen Brombeer-Rezepten gefiel mir sein Rollbraten
am besten (s. Bild unten, Zubereitung: Garcon-Autorin Sandra
Schwarzwälder). Dafür wird ein rund zwei Kilogramm schweres und
25 × 35 Zentimeter großes Stück Schweinebauch benötigt, entbeint
und auf der Hautseite eingekerbt. Die Füllung besteht aus acht EL
Panko, fünf EL grob gehackter Petersilie, drei TL gemörsertem
Fenchelsamen, dem Abrieb einer unbehandelten Zitrone, Salz und
schwarzem Pfeffer. Die Mischung wird auf dem Schweinebauch
verteilt, darauf kommen 300 Gramm Brombeeren. Dann wird das
Fleisch aufgerollt, mit Küchengarn gebunden und rund zwei Stunden
lang gebraten.
www.dieter-fuhrmann.de
104
Fuhrmanns Früchtekorb Rubriken •
www.dieter-fuhrmann.de
105
• Rubriken Kulinarische Nachlese
Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr, v. re.
„Trotz Internet und vieler Fernsehküchen – Die beiden Männer zogen im Januar 2010
Koch bücher werden immer ein Kulturgut aus dem Ruhrpott nach Berlin und betreiben
seitdem in einem restaurierten
bleiben“, davon sind Johannes Mohr und
Swen Kernemann-Mohr überzeugt.
Altbau-Souterrain in Berlin-Mitte, in der
Nähe des Rosenthaler Platzes, Deutschlands
vermutlich größtes, auf jeden Fall
aber Berlins einziges Kochbuchantiquariat.
Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb
Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca
Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben,
etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte
Originale, handgeschriebene
Unikate, kulinarische Enzyklopädien,
Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher
von Sophia Loren bis Vico Torriani,
Kriegs- und Nachkriegskochbücher.
„Das Stöbern in diesem Fundus ist
für uns immer auch eine Art besonderer
Geschichtsstunde“, sagen die Antiquare.
Nun stöbern Johannes Mohr und
Swen Kernemann-Mohr sozusagen auch
öffentlich. Für Garçon blättern sie in
Kochbüchern aus vergangenen Zeiten und
notieren, was sie dabei bewegt.
Kulinarische Nachlese
IN ALTEN KOCHBÜCHERN GEBLÄTTERT
VON JOHANNES MOHR UND SWEN KERNEMANN-MOHR
Wiener Küche
Sammlung von Kochrezepten
von Olga Hess und Adolf F. Hess
Dreiunddreißigste Auflage
mit 107 Abbildungen im Text
und 4 farbigen Fleischtafeln als Anhang
Verlag von Franz Deuticke, Wien 1963
404 Seiten
Preis (antiquarisch): 140,00 Euro
106
Kulinarische Nachlese Rubriken •
Adolf F. Hess (1862–1928) und seine Frau Olga Hess (1881–1965)
gehörten in den ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts zur besseren
Wiener Gesellschaft. Hess (Bild links) war Handelsschulprofessor
und führte den Titel Hofrat. Bereits 1891 gehörte er zu den Gründern
der Wiener Fachschule für Gastwirte, Hoteliers und Kaffeesieder,
die übrigens heute noch existiert und zu den österreichweit
renommiertesten Ausbildungsstätten ihrer Art zählt.
Hess machte sich aber nicht nur als Ausbilder von Gastronomen
und Hoteliers einen Namen, er war auch einer der wichtigsten Förderer
des Tourismus in der Donaumetropole. So geht beispielsweise die
Gründung des Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs in Wien auf
sein Konto, des ersten Tourismusvereins in Österreich überhaupt.
Krönung seiner kulinarischen Karriere war zweifellos das Buch
„Wiener Küche“, das er 1912 gemeinsam mit seiner Frau Olga,
Hauswirtschaftslehrerin, Kochschulinspektorin und später auch
Regierungsrätin (Bild rechts), herausgab.
Bereits die erste Auflage der über 400-seitigen Rezeptsammlung
war schnell vergriffen. In rascher Folge erschienen weitere Auflagen,
während der Weltkriegsjahre 1914 bis 1918 auch mit neuen Gerichten,
die dem Mangel an hochwertigen Zutaten Rechnung trugen.
Die „Wiener Küche“ avancierte zum Standardwerk. „Der Hess“, wie
der Band bald nur noch genannt wurde, fehlte in kaum einem österreichischen
Haushalt, er war Pflichtlektüre für alle Kochschüler des
Alpenlandes und wurde in viele Sprachen übersetzt.
107
• Rubriken Kulinarische Nachlese
Ein Klassiker eben – etwa wie „Der Silberlöffel“ – im Original „Il
Cucchiaio d’Argento“ – mit über 2.000 Rezepten der italienischen
Küche oder „Das Bayerische Kochbuch“ von Maria Hofmann und
Helmut Lydtin mit 1.700 Rezepten.
Wie für diese und andere Werke gilt auch für die „Wiener Küche“
von Olga und Adolf Hess: unbegrenzt haltbar. Der Grund liegt auf
der Hand. Alle Rezepte funktionieren, ob es sich um Bohnengulyas,
Kalbsbeuschel, Krautomelette, Leberknödel, Schinkenkipfel, Tafelspitz,
Topfenschnitten oder Wildhaschee handelt, um Salzburger
Nockerln, Tiroler G’röstl, Wiener Schnitzel oder Znaimer Braten.
In diesem Zusammenhang zitieren wir gern den Wiener Sternekoch
Ewald Plachutta, der mit über einer Million verkaufter Exemplare
seiner Kochbücher (u. a. „Die gute Küche. Das österreichische Jahrhundertkochbuch“)
als erfolgreichster Kochbuchautor der Alpenrepublik
gilt. „Einem funktionierenden Rezept“, so Plachutta, „kann
die Zeit nichts anhaben. Ein guter Strudelteig bleibt immer ein guter
Strudelteig.“
Übrigens: Immer, wenn wir in Wien waren, wurden wir auf den Zusammenhang
von Wiener Küche und Wiener Wirtshaus – auf gut
Wienerisch „Beisl“ – hingewiesen. Weil dort die typische Wiener
Küche gekocht wird und wo sie zu jedem Gang am liebsten den
Kaiserwalzer spielen würden.
Allerdings war’s mit dem Beisl-Stolz nicht immer so heiß wie heuer.
Tatsächlich musste man sich Anfang der Nullerjahre um die Fixpunkte
im Wiener Stadtleben ein bisschen Sorgen machen. Knödel, Kutteln
und selbst der Tafelspitz hatten irgendwie ihren Spin verloren, und die
Wirte griffen, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden,
zu Wok und Wasserspinat. Sogar vom großen Beislsterben war die
Rede, doch inzwischen scheint der Turnaround gelungen: Viele alte
Wirtshäuser wurden in die Jetztzeit geholt – mit fescher Einrichtung
und traditionellen Gerichten. Manche Neueröffnungen versuchten ihr
Glück auch mit Modischerem, Gulasch mit Bitterschokolade-Bier-
Safterl etwa oder ganz und gar fleischlos.
www.bibliotheca-culinaria.de
108
Kulinarische Nachlese Rubriken •
Übrigens: Was es wirklich mit der Wiener
Küche auf sich hat, wie sie entstand, wie
sie sich entwickelte und was von ihr tatsächlich
übrig ist, das beantwortet Ingrid
Haslinger.
Als ihr Titel „Die Wiener Küche –
Kulturgeschichte und Rezepte“ 2018 erschien,
übertrafen sich die meist eher
auf Verriss gebürsteten Rezensenten der
Alpenrepublik in elativen Formulierungen.
In der Wiener Tageszeitung DIE PRESSE
jubelte die Autorin Anna Burghardt: „Ein
Standardwerk… ein Opus magnum.“ In
die gleiche Richtung formulierte Kritiker
Armin Thurnher im FALTER: „Ein Werk,
welches das Prädikat ‚monumental‘
verdient.“
Wir haben das Buch gelesen und verstehen
die Elogen der österreichischen
Journalisten. Was die promovierte
Wiener Historikerin Ingrid Haslinger, die
seit Jahrzehnten die kaiserliche Hofwirtschaft
und die Tafelkultur der Donaumonarchie
erforscht, zu jeder Menge
kulinarischer Themen publiziert und
zahlreiche Ausstellungen kuratiert hat,
in diesem Band darlegt, ist tatsächlich
mit dem Attribut „umfassend“ wohl am
besten beschrieben.
Wie intensiv sich die Autorin mit der
Wiener Küche beschäftigt hat, deren
namentliche Geburtsstunde übrigens
erst in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts schlug, wird in einem
14-seitigen Verzeichnis der zum Thema
ausgewerteten Kochbücher deutlich, das
für uns Kochbuch-Antiquare natürlich
besonders interessant ist.
Dieser Anhang reicht vom Wiener
Dorotheenklosterkochbuch, einer
Handschrift aus dem 15. Jahrhundert,
über das berühmte Neue Lexicon der
französischen, sächsischen, österreichischen
und böhmischen Kochkunst,
Dr. Ingrid Haslinger.
das 1785 in Wien erschien und die damals
in Mitteleuropa beliebtesten Küchen
zusammenfasste, bis zu den neuzeitlichen
Klassikern solcher Kochgrößen
wie Werner Matt, Ewald Plachutta, Franz
Ruhm und Franz Zimmer.
Großen Genuss bereitete uns, die
wir nördlich der Alpen aufgewachsen
sind, auch das Kapitel „Wiener Küchensprache“,
in dem Ingrid Haslinger
nachweist, wie weit das Wiener
Küchendeutsch, das mitunter schon
in Salzburg kaum noch verstanden
wird, vom Hochdeutschen entfernt ist.
Es präsentiert sich als Konglomerat
sprachlicher Einflüsse der ehemaligen
Kronländer der Donaumonarchie, die
die Wiener Küche maßgeblich mitprägten
und besonderer Ausdrücke des
Wiener Dialekts.
Dabei plädiert Haslinger eindringlich
für die unbedingte Bewahrung dieser
Küchensprache und gibt dem geneigten
Leser ein über 600 Begriffe umfassendes
Glossar des Wiener Küchenwortschatzes
an die Hand. Das reicht von A wie Ananas
(Wienerisch für große Erdbeere) bis Z wie
Zuckerl (Wienerisch für Bonbon).
Erschienen ist dieser 372-seitige
Band, der übrigens ganz ohne stylishes
Cover, bunte Fotos und expressives
Layout auskommt, im Wiener Mandelbaum
Verlag. Dessen kulinarische
Editionen bewiesen schon häufiger, dass
Kochbücher weit mehr als bloße Rezeptschleudern
sein können.
Mandelbaum Verlag
Feine Gourmandisen
Wien 2018
www.mandelbaum.at
ISBN 978 385 476-558-5
109
GARÇON-QUIZ
IMPRESSUM
VERLAG UND REDAKTION
Bild Art Media Verlag
Inh. Yvonne Weinlich
Marzahner Promenade 26
12679 Berlin
Fon 030 – 28 86 79 70
Fax 030 – 28 86 79 69
info@bildart-verlag.de
www.garcon24.de| facebook.de/garcon24
HERAUSGEBERIN
Yvonne Weinlich (V. i. S. d. P.)
REDAKTION
Petra Leonhardt (Leitung)
Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Marc
Steyer, Wolf-Dietrich Strobel, Henning Tietze,
Beatrix Kranz, Jessica Flügel (Praktikanten)
AUTOREN UND KOLUMNISTEN
Uwe Ahrens, Anaïs Causse, Hans Diener,
Stephan Falke, Marcus Fuhrmann,
Swen Kernemann-Mohr, Shoko Kono,
Dagmar Maas, Johannes Mohr,
Rafael Neitzsch, Sandra Schwarzwälder,
Jörg Teuscher, Thorsten Tonski
GRAFIK UND LAYOUT
Hannes Schulze
design.nur-mut.com
TITELBILD
Marie Geißler
www.mariegeissler.de
Der Berliner Unternehmer Eberhard Paech
(1910–2000, Bild oben) gehörte zu den
Pionieren des industriellen Backens in
Deutschland.
1936 hatte der gelernte Bäcker die
neun Jahre zuvor von seinem Vater erworbene
Reformbäckerei Vitamin-Brot in
der Moabiter Stephanstraße übernommen
und sie Schritt für Schritt zu einem der hierzulande
erfolgreichsten Backwarenunternehmen
entwickelt.
Die im Jahr 1949 gegründete Paech-Brot
GmbH zählte bis zu ihrem Verkauf 1987 an
die ebenfalls in Berlin ansässige Firma
Geschi-Brot Schiesser & Sohn mit über
1.300 Mitarbeitern und rund 120 Millionen
D-Mark Jahresumsatz zu den deutschen
Branchenführern.
Der Star in Paechs Brotregal war ein Ein-Kilogramm-Roggenmischbrot,
von dem seinerzeit
bis zu 40.000 Stück täglich gebacken
und verkauft wurden.
Unsere Preisfrage heute: Wie hieß dieses
legendäre Brot:
A Oldenburger Landbrot
B Siegerländer Drittelbrot
C Tiefenfurter Bauernbrot
Ihre Antwort bitte an:
Bildart Media Verlag
Redaktion GARÇON
Marzahner Promenade 26
12679 Berlin
E-Mail: info@bildart-verlag.de
Die Gewinne, drei wertvolle Kochbücher, werden
unter den Teilnehmern verlost, die die Frage
richtig beantwortet haben.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Einsendeschluss: 26. November 2022.
Die Gewinne werden per Post zugesandt.
FOTOS UND ILLUSTRATIONEN
Jörg Teuscher, Archiv Garçon,
Mila Teshaieva (2 / S. 3), EUREF AG / Florian
Bolk (1 / S. 4 o. re.), Der Weinlobbyist (1 / S.
5 Mi. re.), EUREF AG / Andreas Schwarz
(2 / S. 11 u. li. und S. 12 o.), Archiv Dr. KADE
Pharmazeutische Fabrik GmbH Berlin (1 / S.
44 und 5 / S. 45 o.), Birgit Schulz / ADB Berlin-
Brandenburg (1 / S. 60), Anaïs Causse privat
(3 / S. 71), Kantine Zukunft Berlin (1 / S. 73 u.
li.), Robert Herder GmbH & Co. KG Solingen
(1 / S. 83 u. li.), VDP. Prädikatsweingüter
(1 / S. 88 o.), Elena Chechendaieva privat
(4 / S. 96 u. 97 u.), Dr. Ingrid Haslinger privat
(1 / S. 109 Mi.), Archiv Hartmut Grahn / Vereinigung
Der Backbranche e. V.(1 / S. 110)
ANZEIGEN
Heiko Gralki, Petra Strohbeck
anzeigen@bildart-verlag.de
DRUCK
www.pingoprint.de
Zu beziehen im Zeitschriftenhandel oder im
Abon nement. Einzelheftbestellung: Jedes
Heft kostet 6,00 Euro, zuzüglich 1,55 Euro
Versandkosten pro Sendung. Bezahlung
nach Erhalt der Rechnung oder im Lastschrifteinzugsverfahren.
Alle Beiträge
und Abbildungen sind urheberrechtlich
geschützt. Jede Verwertung bedarf der
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auf Datenträgern nur nach schriftlicher
Bestätigung des Verlages.
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Zukunft ist Herkunft
Brandenburg schafft Wohlgefühle
Rubriken •
Das Jahresthema
Die Leitidee
Seit 30 Jahren haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, gemeinsam mit den
Brandenburger Gastronomen, Handwerkern und Produzenten die Regionen
Brandenburgs zu stärken und Menschen für unsere Regionen zu begeistern.
Mit der Einführung von jährlich wechselnden Jahresthemen möchte der
Verband pro agro Unternehmen, Traditionen und die lebendige Kultur des
ländlichen Raumes in Brandenburg stärken und damit einen immer wieder
veränderten Blickwinkel auf die kreativen Produktideen des Landes aus
regionaler Kulinarik und ländlichem Tourismus bieten.
Regionale Spezialitäten, Hofläden,
Kulinarik, Gastronomie und Aktiv-
Tourismus für den Körper; Kultur und
Kunst für den Geist; Land, Landschaft
und entspanntes Entdecken für die
Seele… Wir zeigen tolle Menschen mit
Ideen, was und warum so vieles original
Brandenburg ist und dass in Regionalität
der Schlüssel für morgen liegen kann.
UNSERE BOTSCHAFTER
Tobias Exner: Führt die Bäckerei
Exner in 3. Generation. Gegründet
1928 in Beelitz, seit 1976 unter
Führung der Familie Exner ist sie
inzwischen mit rund 40 Fachgeschäften
und Cafés in Brandenburg-Berlin
vertreten.
Andi Neumann: Moderner
Fleischsommelier, Grillspezialist und
Teil des Meat-Bringer-Netzwerks.
Neumann arbeitet im Baruth (Mark)
noch im traditionellen Handwerksverfahren
und verarbeitet ausschließlich
regionale Tiere.
Heike Thomas: Führt den Thomashof
im Zehdenicker Ortsteil Kleinmutz.
Ein regionaltypischer Bauernhof
wurde hier erhalten, bietet nun
Ferienwohnungen, Hofcafé und ist
Ort für Seminare und vielfältige
Veranstaltungen.
Foto: Frank Liebke Illustration: Martin Rümmele
Informationen finden Brandenburgentdecker auf:
brandenburger-landpartie.de
Natürlich Brandenburg – pro agro, Brandenburger Landpartie
pro_agro_eV pro agro e.V.
gefördert durch
EUROPÄISCHE UNION
Europäischer Landwirtschaftsfonds
für die Entwicklung des
ländlichen Raums
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EUROPÄISCHE UNION
Europäischer Landwirtschaftsfonds
für die Entwicklung des
ländlichen Raums
• Titel
Unser Trinkwasser.
Ganz klar für Berlin.
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berlinerwasser.de