21. September 2021
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<strong>21.</strong> <strong>September</strong> <strong>2021</strong> Porträt 9<br />
ALLIANCE F-PRÄSIDENTIN SOPHIE ACHERMANN<br />
Von Bümpliz aus auf die<br />
Gleichstellungsbaustelle<br />
Mit Realismus und einer<br />
unerschütterlichen Portion<br />
Idealismus setzt sich Sophie<br />
Achermann für Gleichstellung<br />
und gegen Hass im Netz ein.<br />
Daneben ist sie zweifache<br />
Mutter und politisch engagiert.<br />
Wie sie das alles schafft?<br />
Teamwork und viel Schlaf.<br />
Bilder von vernachlässigten Kindern<br />
und erhobenen Damenhänden<br />
– heutzutage befremden die<br />
alten Wahlplakate gegen das<br />
Frauenstimmrecht sehr. Bewusst<br />
haben Sophie Achermann (28)<br />
und ihre Mitarbeitenden in der<br />
Geschäftsstelle der Alliance F die<br />
damaligen Ja- und Nein-Parolen<br />
aufgehängt. Eine Schweiz ohne<br />
Stimmen der Frauen – heute undenkbar<br />
und doch: «Wir feiern<br />
nicht 50 Jahre Frauenstimmrecht,<br />
aber dessen Vorkämpferinnen.<br />
Wir stehen heute dankbar auf<br />
den Schultern der Frauen, die damals<br />
mutig dafür eingetreten<br />
sind. Die Geschichte zeigt: Wenn<br />
die unterschiedlichsten Frauen<br />
zusammen kämpfen, haben wir<br />
ein riesiges Potential die Schweiz<br />
zu verändern.»<br />
So lancierte der Dachverband<br />
schon Projekte wie Helvetia ruft,<br />
<strong>2021</strong> das Frauenrütli, demnächst<br />
steht die Frauensession an. Die<br />
vollkommene Gleichstellung der<br />
Geschlechter bleibt eine Langzeitbaustelle,<br />
auf der die Bernerin<br />
Achermann unermüdlich schafft.<br />
Komplexe Probleme<br />
Die reflektierte Geschäftsführerin<br />
von Alliance F zeigt, dass die Probleme<br />
dabei oft zusammenhängen.<br />
Es fehlten eine ideal lange<br />
Elternzeit, Vaterschaftsurlaub<br />
und genügend bezahlbare Kitaplätze,<br />
so dass Frauen schneller<br />
ZUR PERSON<br />
Für die Gleichstellung von Frau und Mann ein: Sophie Achermann. Foto: aniwaniwa.ch<br />
wieder in den Beruf einsteigen<br />
können. Achermann, selbst zweifache<br />
Mutter, sagt: «In der Stadt<br />
Bern funktioniert es mit den Kitas<br />
glücklicherweise gut, aber in<br />
ländlichen Gegenden können<br />
meine Bekannten von einer solchen<br />
Infrastruktur nur träumen.»<br />
Hinzu kommt eine hohe Besteuerung<br />
des meist weiblichen<br />
Zweiteinkommens in der Ehe. Zusammen<br />
mit den Betreuungskosten<br />
lohne sich Mütterarbeit so<br />
weniger. Achermann weiss: «20<br />
Prozent der Mütter geben an, unfreiwillig<br />
unterbeschäftigt zu<br />
sein. Sie würden gerne mehr arbeiten,<br />
können es sich aber nicht<br />
INFOKASTEN<br />
Alliance F setzt sich als überparteiliche Stimme der Frauen in der<br />
Schweizer Politik ein. Die Organisation macht Interessenvertretung, um<br />
die Gleichstellung von Frau und Mann zu realisieren – in der Gesellschaft,<br />
in der Wirtschaft und der Politik. Alliance F besteht aus über 100<br />
Frauenorganisationen, welche sich vor 120 Jahren zu einem Dachverband<br />
zusammengeschlossen haben. Zu den Mitgliedern zählen Frauen<br />
und Männer aus allen grossen politischen Parteien, darunter aktive und<br />
ehemalige National-, Stände-, und BundesrätInnen. Das Büro befindet<br />
sich in der Berner Länggasse.<br />
einer Community, die positive Gegenrede<br />
erzeugt, ein.<br />
Wie schafft sie das alles? Achermann<br />
lacht. «Das sieht von aussen<br />
schlimmer aus, als es ist. Ich habe<br />
hier ein unglaubliches Team. Wir<br />
Sophie Achermann, 28, aus Bern, verheiratet, ist seit drei<br />
Jahren Geschäftsführerin von Alliance F. Die gelernte<br />
Kauffrau baute das Berner Jungendparlament mit<br />
auf und sass für dieses im Berner Stadtrat. Sie lebt<br />
mit ihrer Familie in Bümpliz.<br />
leisten. Das ist eine Absurdität!»<br />
So kämpft Alliance F auch für die<br />
Individualbesteuerung und gegen<br />
weibliche Altersarmut. Letztlich<br />
bleibt die finanzielle Unabhängigkeit<br />
einer der wichtigsten<br />
Faktorn der Gleichstellung und<br />
gegen Gewalt an Frauen. «Patriarchale<br />
Strukturen zementieren<br />
sich, wenn eine Person die Macht<br />
und das Geld hat.» Mit der richtigen<br />
Gesetzgebung kann dies<br />
durchbrochen werden.<br />
So hat Helvetia Sophie Achermann<br />
selbst früh gerufen. Sie war<br />
Schweizer Jugenddelegierte bei<br />
der UNO in New in New York und<br />
baute das Berner Jugendparlaments<br />
mit auf. Nach KV und Berufsmatura<br />
arbeitete sie im Sekretariat<br />
der Kommissionen für<br />
Umwelt, Raumplanung und Energie<br />
der Parlamentsdienste. Mit<br />
gerade einmal 25 Jahren wurde<br />
sie Geschäftsführerin bei Alliance<br />
F. Für das Grüne Bündnis sass sie<br />
die letzten Jahre im Stadtrat. Mit<br />
dem Projekt Stop Hate Speech<br />
setzt Achermann sich heute gegen<br />
Hass im Netz mittels eines intelligenten<br />
Suchalgorithmus und<br />
retten uns immer gegenseitig.» Ihr<br />
zweites Erfolgsrezept? «Ich schlafe<br />
viel, so dass ich danach möglichst<br />
effizient sein kann. Eltern<br />
kennen das: Um 18 Uhr macht die<br />
Kita zu, bis dahin muss man seine<br />
Arbeit erledigt haben.»<br />
Stöckacker Süd<br />
In ihrer Heimat Bern ist sie sehr<br />
verwurzelt, lebt gerne als Städterin.<br />
«Ich habe es nie aus Bern<br />
rausgeschafft», sagt sie mit einem<br />
Lächeln. Achermann stammt aus<br />
dem Läggass-Quartier. Mit ihrer<br />
Familie lebte sie lange in einer<br />
kleinen Wohnung im Steigerhubel,<br />
wo es bald zu eng wurde.<br />
«Nun ist es der Stöckacker Süd geworden»,<br />
sagt sie begeistert. Besonders<br />
die Diversität des Quartiers<br />
ist ihr sehr sympathisch.<br />
«Vom Schweizer Einfamilienhaus<br />
bis zum grossen Wohnblock. Hier<br />
findet sich alles. Das ist spannender<br />
als in der Länggasse.»<br />
Natürlich sieht sie auch die Gentrifizierung,<br />
nimmt es aber mit<br />
Humor: «Wir sind in einen Inplace<br />
gezogen, wir wissen es nur<br />
noch nicht.» In ihrer wenigen<br />
Freizeit tanzt sie leidenschaftlich<br />
gerne oder trifft sich mit alten<br />
Freudinnen oder der Familie.<br />
«Viele haben ganz andere Lebensrealitäten<br />
als ich und holen<br />
mich im Denken aus der Komfortzone.»<br />
Menschliche Kontakte sind<br />
für sie immer eine grosse Inspiration.<br />
Egal welches Lebens- und<br />
Familienmodell, Achermann will<br />
erreichen, dass Frauen sich gegenseitig<br />
nicht mehr beurteilen,<br />
sondern unterstützen.<br />
Michèle Graf