Kunstbulletin November 2021
Unsere November Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Martina Morger, Gebana Swiss Collection, Claudia & Julia Müller, Christian Marclay, uvm.
Unsere November Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Martina Morger, Gebana Swiss Collection, Claudia & Julia Müller, Christian Marclay, uvm.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
My name is Fuzzy<br />
Sion — Wenn man die Musikvideos von My<br />
name is Fuzzy hören und sehen möchte, muss<br />
man ein bisschen aktiv werden. Da ist zum<br />
Beispiel die Videostation ‹Gin Tonic›, 2020: Ein<br />
Sockel mit Bildschirm darauf, davor ein Hometrainer,<br />
über dem Lenker hängt ein Kopfhörer.<br />
Da heisst es: Kopfhörer über die Ohren und<br />
strampeln. Und dann geht’s los: Auf dem Bildschirm<br />
sieht man Velofahrerinnen von hinten,<br />
lauter Popos und dazu tönt aus dem Kopfhörer<br />
frankophone Popmusik mit skurrilen Texten.<br />
Die Ausstellung ‹Septante-Quatorze› setzt sich<br />
aus mehreren solcher Musikvideos zusammen,<br />
die mit viel Witz und Lust am kreativen<br />
Experimentieren gemacht sind. Die Kunstfigur<br />
Fuzzy ist eine Art ironischer Kommentar auf<br />
die Popwelt und ihr Bestreben, Einzigartigkeit<br />
mit Massenkompatibilität zu verbinden. Dank<br />
des markanten Outfits – gelbes Sweatshirt,<br />
dunkle Jeans, grosse Brille und Schnauz – gut<br />
wiedererkennbar, singt Fuzzy von freundlichen<br />
Nudisten umgeben in der Sauna, im Chor mit<br />
sich selbst auf fünf Bildschirmen oder auch im<br />
Kreis von Fuzzy Lookalikes – alle mit Brille und<br />
Schnauz, versteht sich. Hinter Fuzzy verbirgt<br />
sich der Musiker und Videokünstler Bastien<br />
Bron (*1984) aus Neuenburg. Unter dem<br />
Projektnamen ‹My name is Fuzzy› erschafft er<br />
Songs und Videos, die nirgendwo gestreamt<br />
werden können, sondern nur in Ausstellungen<br />
zu sehen und zu hören sind. AH<br />
My name is Fuzzy (Bastien Bron), Gin Tonic,<br />
2019, Musikvideo, Hometrainer<br />
→ Le port franc, 12.–14.11.<br />
↗ www.leportfranc.ch<br />
Christine Bänninger und Peti<br />
Wiskemann<br />
Stans — Das komplexe ökologische System<br />
eines Waldes bietet im ursprünglich wilden<br />
Zustand eine perfekte Lebensgemeinschaft für<br />
alle beteiligten Pflanzen und Lebewesen. Wie<br />
der Wald ist auch die menschliche Gesellschaft<br />
ein Gebilde aus vielen einzelnen Individuen, die<br />
sich gegenseitig unterstützen und inspirieren.<br />
Das Zürcher Künstlerduo Christine Bänninger<br />
(*1959) und Peti Wiskemann (*1969) erarbeitete<br />
seit Januar <strong>2021</strong> mit den Bewohner*innen<br />
der Tagesstätte Weidli in Stans eine raumübergreifende<br />
Skulptur, ähnlich dem System eines<br />
«wilden Waldes».<br />
Die Gewinner der Kunst-am-Bau-Ausschreibung<br />
der Stiftung Weidli entwarfen schon in<br />
ihren früheren Arbeiten jeweils ein Konzept,<br />
welches das Publikum in das zu schaffende<br />
Werk miteinbeziehen sollte, unter anderem in<br />
der Installation ‹Kunstpost›: Hier waren Menschen<br />
vom Künstlerduo eingeladen, im Moment<br />
entstandene Postkarten an ihre Liebsten zu<br />
senden. Dieses Setting des aktiven Miteinbeziehens<br />
vom Publikum in ihre Performance kam<br />
nun auch im Weidli zur Anwendung. Bewohnerinnen,<br />
Bewohner und Pflegende waren während<br />
eines langsamen Prozesses des Learning<br />
by Doing – die Arbeit begann trotz Corona<br />
bereits im Januar <strong>2021</strong> – an der Projektentstehung<br />
beteiligt und niemand konnte vorhersehen,<br />
in welche Richtung und auf welche Art sich<br />
die Skulptur ausdehnen und entwickeln würde.<br />
In der Tat ist nun ein Wald mit vielen Schattierungen<br />
und Formen entstanden, ein Netz aus<br />
zusammengetackerten, bemalten und «bezeichneten»<br />
feinen Kartonstreifen. Das riesige<br />
Gebilde schwebt wie ein buntes Waldgeflecht<br />
aus Lianen über und durch eine dreistöckige<br />
Rampenarchitektur in der Mitte des Gebäudes.<br />
Durch die Barrierefreiheit des «Treppenhauses»<br />
aus Betonstrassen ist das Kunstwerk für alle<br />
Beteiligten begehbar. Bänninger und Wiskemann<br />
haben hier einen Raum für alle geschaffen,<br />
im räumlichen und künstlerischen Sinne.<br />
Die provokative These Beuys’, wonach jede und<br />
66 <strong>Kunstbulletin</strong> 11/<strong>2021</strong>