Kunstbulletin November 2021
Unsere November Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Martina Morger, Gebana Swiss Collection, Claudia & Julia Müller, Christian Marclay, uvm.
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Casper Faassen<br />
Zürich — Die Liegende im seidenen, brokatbesetzten<br />
Kimono kehrt den Betrachtenden den<br />
Rücken zu und streift sie, über ihre Schulter<br />
hinweg, dennoch mit einem flüchtigen, schüchternen<br />
Blick. Im ersten Moment erscheint die<br />
Arbeit von Casper Faassen (*1975, NL) wie Malerei.<br />
Tatsächlich aber handelt es sich um eine<br />
Fotografie, wenn auch nicht auf Papier, sondern<br />
hinter Glas und unter Einsatz von Ölfarbe. Gedruckt<br />
wird in einem Sandwich-Verfahren, bei<br />
dem nicht nur das Glas zum Bildträger mutiert,<br />
sondern auch die Rückwand des Bilderrahmens<br />
einbezogen wird.<br />
Genau daraus entsteht die besondere Transparenz<br />
und Tiefenwirkung der Fotos. Denn<br />
transluzente Weiss- oder Grautöne auf dem<br />
Glas im Vordergrund eröffnen eine Durchsicht<br />
bis auf die metallisch-reflektierende, zum Teil<br />
farbig bedruckte Rahmenwand im Hintergrund,<br />
die so zu einem integralen Bestandteil des<br />
Motivs avanciert. Eigentlich könnte man von<br />
Foto-Objekten, von Guckkästen sprechen.<br />
Die Tiefenräumlichkeit wird auch von den<br />
Sujets selbst unterstützt, wenn Körper, wie<br />
besonders eindrücklich bei den grossen<br />
Tanzenden zu beobachten, in die Unschärfe<br />
entschwinden, einzelne Gliedmassen wie<br />
Hände aber scharf gezeichnet und zum Greifen<br />
nah erscheinen.<br />
Dieses faszinierende Wechselspiel von Nah und<br />
Fern, Schärfe und Unschärfe gelingt Casper<br />
Faassen durch den intelligenten Einsatz von<br />
Glas bereits bei der Aufnahme im Studio. Er<br />
benutzt mannshohe, opake Scheiben wie<br />
eine Folie, die den Fotografen mitsamt seiner<br />
Kamera von dem Motiv, der Tänzerin, trennt.<br />
Faassen befindet sich also nicht nur hinter der<br />
Linse seiner Kamera, sondern zusätzlich hinter<br />
einem gläsernen Vorhang, wenn er den Auslöser<br />
betätigt. Das Glas trägt zur Distanzierung des<br />
Fotografen von seinem Modell bei. Die Tänzerinnen<br />
berühren im Tanz zwar das Glas und hinterlassen<br />
Abdrücke darauf, gleichzeitig bewahrt<br />
es ihre Körper aber vor indiskreten Blicken, weil<br />
diese im Hintergrund flüchtig und schemenhaft<br />
bleiben. Körper, die allesamt in edle, wallende<br />
Stoffe gehüllt sind, deren Draperien und Farbschattierungen<br />
das Bild bestimmen.<br />
Aktaufnahmen kommen in der Ausstellung<br />
nicht vor. Und dennoch verweist Casper<br />
Faassen angesichts seines ikonischen Motivs<br />
der eingangs erwähnten Liegenden im Kimono<br />
subtil auf ein berühmtes Vorbild aus der historischen<br />
Malerei. Denn sein Foto wirkt wie ein<br />
Echo auf die ‹Grosse Odaliske, 1814, von Jean<br />
Auguste Dominique Ingres, die heute im Louvre<br />
hängt. MH<br />
Casper Faassen · Mono No Aware II, 2017,<br />
Ölfarben, farbiger und weisser Druck auf<br />
Setasand-Acrylglas, Edition 6 von 7 & 2 AP,<br />
120 x 180 cm<br />
Casper Faassen · Falling floating, 2019, Ölfarbe,<br />
farbiger und weisser Druck auf Setasand-<br />
Acrylglas, Edition 3 von 7 & 2 AP, 150 x 150 cm<br />
→ Bildhalle, bis 20.11.<br />
↗ www.bildhalle.ch<br />
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