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Bajour Magazin #2

Unsere journalistischen Perlen des letzten Jahres zusammengefasst in einem Magazin.

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Editorial<br />

Es lese Basel!<br />

Ihr Einkauf bei uns unterstützt einen<br />

lebendigen Basler Kulturplatz.<br />

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Aeschenvorstadt 2 | 4010 Basel<br />

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Wir<br />

Basel.<br />

Unternehmer*innen, die ständig<br />

über die Erfolge ihrer Firma<br />

sprechen, gehen mir auf<br />

die Nerven. Müssen sie auch,<br />

schliesslich bin ich Journalistin<br />

und es ist mein Job, gut<br />

klingende Schwurbelsätze auf<br />

ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen.<br />

Nur bin ich nicht nur Journalistin,<br />

sondern auch Chefredaktorin<br />

und Mitglied der Geschäftsleitung.<br />

Und als solche ist es<br />

mein Job, die Geschichte von<br />

<strong>Bajour</strong> nach aussen zu tragen.<br />

Gerade auch in diesem <strong>Magazin</strong>. Zum zweiten<br />

Mal zeigen wir Ausschnitte unserer Arbeit des<br />

zu Ende gehenden Jahres in gedruckter Form<br />

– eine Art journalistischer Geschäftsbericht.<br />

<strong>Bajour</strong> ist einiges gelungen: Wir haben im harten<br />

Regierungswahlkampf von Stephanie Eymann<br />

bis Heidi Mück alle auf ihre politischen<br />

Fähigkeiten abgeklopft. Wir haben mit Tausenden<br />

Freiwilligen dem Grundbuchamt einen<br />

virtuellen Besuch abgestattet und alle Hauseigentümer*innen<br />

in Basel erfasst. Wir wissen<br />

jetzt, welche Zürcher Bank am meisten Basler<br />

Liegenschaften besitzt (die Credit Suisse) und<br />

wo die nächste Sammelkündigung zu erwarten<br />

ist. Wir haben die Gerichtsfälle der Nazifrei-<br />

Demo in Zusammenarbeit mit der «Republik»<br />

aufgearbeitet, bei den rumänischen Bettler*innen<br />

übernachtet und einen Grazer Pfarrer mit<br />

Lösungsansätzen aufgetrieben. Wir sind mit<br />

Autoposer*innen – sorry, Autoliebhaber*innen<br />

– durch die Nacht gecruised, haben die Autorin<br />

Jessica Jurassica zu einer Lesung zu uns ins<br />

<strong>Bajour</strong>-Foyer eingeladen und zig Familien, die<br />

wegen Corona knapp dran sind, mit Lebensmittelabgaben<br />

unterstützt und ihren Kindern<br />

zu 150 Mässpäggli verholfen.<br />

Dabei haben wir unsere unternehmerischen Ziele<br />

erreicht: <strong>Bajour</strong> hat 2800 zahlende Unterstützer*innen,<br />

7000 Basel-Briefing-Abonnent*innen<br />

und auf Social Media fast 20’000 Follower*innen.<br />

3<br />

Alles mit steigender Tendenz. Darauf können<br />

wir stolz sein.<br />

Aber wenn ich so zurückblicke, muss ich auch<br />

zugeben: Wir haben uns zweimal im Ton ver–<br />

griffen und uns dafür entschuldigt. Wie es sich<br />

eigentlich gehört. Im Rückblick lief also vieles<br />

gut, weniges schief und ziemlich viel spontan<br />

und chaotisch ab. Das ganze Team hat überall<br />

zugepackt. Abseits der Jobdescriptions. Für<br />

mich als Chefredaktorin galt es zwischendurch<br />

auch Marketingtexte und Business–Zwischenberichte<br />

zu schreiben. Und der Bürohund wollte<br />

auch gefüttert sein.<br />

Das ist normal für die Anfangszeit eines jun–<br />

gen Unternehmens: Alle packen überall an, das<br />

Team muss sich einspielen, sich finden und die<br />

Prozesse aufbauen.<br />

Doch jetzt wird <strong>Bajour</strong> zwei Jahre alt: Die Start–<br />

up-Phase ist vorbei. Wir haben uns konsolidiert.<br />

Es ist jetzt Zeit, auf der erreichten Basis die<br />

nächsten Schritte zu tun. Und zu wachsen. <strong>Bajour</strong><br />

will in Basel – noch stärker als jetzt – eine<br />

Rolle spielen. Wir sind gekommen, um zu blei–<br />

ben, und wir haben ehrgeizige journalistische<br />

Pläne: eine immer besser gehörte publizistische<br />

Stimme aus Basel für Basel werden. Wir wol–<br />

len Ihnen gute Gründe geben, bei <strong>Bajour</strong> vor–<br />

beizuschauen und eine andere journalistische<br />

Perspektive zu hören. Dafür brauchen wir: Sie.<br />

Damit Sie uns weiterhin unterstützen, oder falls<br />

Sie noch nicht sicher sind, ob es sich überhaupt<br />

lohnt, <strong>Bajour</strong>-Gönner*in zu werden: Lesen Sie<br />

das <strong>Magazin</strong> und verschaffen Sie sich einen<br />

Überblick über unser Schaffen. Ich freue mich<br />

auf Feedback von Ihnen und auf alles, was im<br />

kommenden Jahr noch vor <strong>Bajour</strong> liegt:<br />

andrea.fopp@bajour.ch<br />

Herzlichen Dank<br />

Andrea Fopp, Chefredaktorin<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> wird von 2800 Members und Gönner*innen<br />

sowie diversen Stiftungen, Partner*innen<br />

und Sponsor*innen unterstützt. Wir danken<br />

von Herzen für diesen Support!<br />

→Stiftungen<br />

→ Eventpartner<br />

→ Kulturpartner<br />

→ Hardwarepartner<br />

→ Druckpartner<br />

MARTIN<br />

SCHAFFNER<br />

VIDEOPRODUKTIONEN<br />

GREENSCREEN-STUDIO<br />

LIVESTREAMING<br />

Impressum<br />

Erschienen<br />

30. November 2021<br />

Auflage: 4000 Ex.<br />

Einzelpreis<br />

CHF 10.–<br />

Herausgeber<br />

<strong>Bajour</strong><br />

Clarastrasse 10<br />

4058 Basel<br />

www.bajour.ch<br />

info@bajour.ch<br />

Tel. 061 271 02 02<br />

Redaktion<br />

Andrea Fopp, Chefredaktorin<br />

Ina Bullwinkel<br />

Daniel Faulhaber<br />

Adelina Gashi<br />

Naomi Gregoris<br />

Samuel Hufschmid<br />

Romina Loliva<br />

Pauline Lutz<br />

Hansi Voigt<br />

Franziska Zambach<br />

Valerie Zeiser<br />

Fotos<br />

Dominik Asche<br />

Eleni Kougionis<br />

Roland Schmid<br />

Layout<br />

Yannick Frich, Squadra Violi<br />

Druck<br />

Expressdruckerei, Rheinfelden<br />

Korrektorat<br />

Christian Bertin<br />

Koordination/Organisation<br />

Sabrina Stäubli<br />

Valentin Ismail<br />

Inhalt<br />

06<br />

16<br />

22<br />

30<br />

38<br />

48<br />

56<br />

58<br />

60<br />

62<br />

64<br />

67<br />

69<br />

73<br />

74<br />

78<br />

80<br />

83<br />

86<br />

→ Bettler*innen-Dossier<br />

→ Szene isch Avia<br />

→ Wem gehört Basel?<br />

→ Interview mit Beat Jans, Regierungspräsident<br />

→ Vergewaltigung an der Elsässerstrasse<br />

→ #BaselNazifrei<br />

→ Unterwegs mit dem Stadtreiniger<br />

→ Gärngschee macht satt<br />

→ Gärngschee macht glücklich<br />

→ Bester Brunch? Die Gärngschee-Community weiss, wo!<br />

→ Best of Inas Baseldytsch<br />

→ Rechnen mit Sämi<br />

→ Cover-Wettbewerb<br />

→ Basler*in des Jahres<br />

→ Gewalt unter Geburt<br />

→ <strong>Bajour</strong> macht Schule<br />

→ Banksy in Basel<br />

→ Die <strong>Bajour</strong>-Redaktion stellt sich vor<br />

→ <strong>Bajour</strong> in Zahlen<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

4


Betteln<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Eine Nacht mit den<br />

Bettler*innen bei<br />

Schneeregen<br />

Die Roma-Familie, die seit dem Sommer in Basel bettelt<br />

und draussen schläft, ist immer noch hier. Warum denn<br />

bloss? Wir haben eine Nacht bei ihnen verbracht.<br />

Adelina Gashi<br />

Roland Schmid (Fotos)<br />

Natalie Sigg (interkulturelle Übersetzung)<br />

Ich zittere am ganzen Körper. Um mich zu wärmen,<br />

ziehe ich die Beine an, grabe meinen Kopf<br />

noch tiefer unter die Kapuze meines Schlafsacks.<br />

Es nützt nichts, ich friere weiter.<br />

Es ist der 5. Dezember, 3 Uhr nachts. Das Thermometer<br />

zeigt 1 Grad an, es regnet.<br />

Ich liege im Eingang der Sarasin-Bank auf<br />

dem Asphalt. Neben mir schlafen drei Roma:<br />

ein Ehepaar und die Mutter des Mannes. Wie<br />

Sardinen dicht aneinandergedrängt, liegen sie<br />

nebeneinander unter zwei Wolldecken. Unter<br />

ihnen dünne Plastikmatten.<br />

Seit Monaten schlafen die Bettler*innen aus<br />

Rumänien draussen. Nur mit alten Decken ausgestattet,<br />

liegen sie in Gruppen auf dünnen<br />

Matten oder sogar auf Kartons. Zum Unmut<br />

der bürgerlichen Politiker*innen, sie wollen die<br />

Rumän*innen loswerden. Am 9. Dezember 2020<br />

diskutiert der Grosse Rat über die Wiedereinführung<br />

des Bettelverbots in Basel-Stadt. Ein<br />

Übernachtungsverbot scheiterte. Beide Motionen<br />

kommen von der SVP.<br />

Auch die <strong>Bajour</strong>-Community sorgt sich wegen<br />

der Bettler*innen, wie man in der Gärngschee-<br />

Facebook-Gruppe nachlesen kann. Allerdings<br />

nicht wegen des Stadtbildes, sondern wegen<br />

der Kälte. Letzte Woche war es in Basel minus<br />

3 Grad kalt, sogar geschneit hat es. Viele Freiwillige<br />

brachten den Bettler*innen deshalb<br />

Decken und Schlafsäcke.<br />

Wir von <strong>Bajour</strong> wollten wissen, wie es den<br />

Bettler*innen geht in dieser Winterkälte. Und<br />

beschlossen, eine Nacht mit ihnen draussen<br />

zu verbringen.<br />

Ich selbst habe für diese Nacht zwei Hightech-<br />

Schlafsäcke und Isomatten von einem Bergsteigerfreund<br />

ausgeliehen. Die Kälte ist stärker als<br />

die Kunstfasern.<br />

Steppjacke statt Frotteemantel<br />

Unser Abend beginnt um 20 Uhr an der Bahnhofsunterführung.<br />

Eine Gruppe von Frauen und<br />

Männern steht schwer bepackt mit Tüten, fleckigen<br />

Schaumstoffmatratzen, lädierten Wolldecken<br />

und Schlafsäcken im grellen Neonlicht<br />

der Unterführung.<br />

«Habt ihr Brot und<br />

Wurst für uns?»<br />

Gavril, Bettler aus Rumänien<br />

↗ Bettler Gavril hat Durst. Immerhin kostet Brunnenwasser nichts.<br />

Es handelt sich um Ludovic, Gavril und ihre<br />

Familienmitglieder. Die Familie bettelt seit<br />

dem Sommer hier in Basel, <strong>Bajour</strong> hat schon<br />

mehrere Male mit ihnen gesprochen. Vor einer<br />

Woche trug Ludovic noch einen Frotteemantel<br />

gegen die Kälte, jetzt hat er immerhin eine<br />

dünne Steppjacke an.<br />

Als wir auf die Gruppe zugehen, erblickt uns<br />

Gavril, sein Schnurrbart zuckt erfreut. Er empfängt<br />

uns mit grossem Hallo. Es dauert bloss<br />

Sekunden und schon beginnen vier von ihnen,<br />

schnell und fordernd auf uns einzureden. Ob wir<br />

etwas Brot und Wurst für sie haben, ein bisschen<br />

Kleingeld. Ob wir ihnen helfen können, ein<br />

Rückfahrticket nach Rumänien zu finanzieren.<br />

Basel, die Humanist*innenstadt?<br />

Vielleicht muss so beharrlich sein, wer vom<br />

Betteln leben will. Aber es ist wohl diese Aufdringlichkeit,<br />

von der sich viele Basler*innen<br />

gestört fühlen. Ideales Material für bürgerliche<br />

Politiker*innen und gewisse Medien, um das<br />

Empörungsfeuer angesichts der sichtbaren Armut<br />

inmitten unserer sauberen Stadt zu füttern.<br />

Die Bettler*innen stürzten Basel in eine regelrechte<br />

Identitätskrise. Die Humanist*innenstadt<br />

ist seither in diesem Thema wie gelähmt. Während<br />

die Rechte überkocht wie ein zu heisser<br />

Dampfkochtopf und ein Verbot nach dem anderen<br />

fordert, ganz nach dem Motto «aus den<br />

Augen, aus dem Sinn», macht die Linke: gar<br />

nichts. Oder fast nichts. Und die GLP fährt ihren<br />

üblichen Schlingerkurs, will zwar kein Bettelverbot,<br />

stimmt aber trotzdem dafür.<br />

Gavril und Ludovic betteln uns weiter an, bis<br />

wir sagen, wir seien zum Reden hier. «Wie ist<br />

es euch ergangen in den letzten Monaten in<br />

Basel?», frage ich mit Hilfe der Übersetzerin.<br />

«Na, wie soll es uns ergangen sein? Nicht besonders<br />

gut», ruft jemand im lauten Stimmengewirr<br />

dazwischen.<br />

Ein junger Mann mit kurzem schwarzem Haar,<br />

er ist etwas korpulent und trägt eine dünne<br />

dunkelrote Bomberjacke, fragt uns, ob es nicht<br />

möglich wäre, günstig eine Wohnung zu mieten.<br />

«Dort könnten wir ja zu zehnt oder fünfzehnt<br />

wohnen. Es muss nichts Grosses sein. Aber ich<br />

habe es satt, draussen in der Kälte zu schlafen.»<br />

Ferma sei sein Name, sagt er uns. Ferma möchte<br />

gerne einen temporären Job. Das Betteln lohne<br />

sich kaum noch. «Ich möchte auf den Bau. Wie<br />

finde ich eine Stelle?»<br />

Die Adventszeit ist normalerweise für Bettler*innen<br />

die Zeit, in der sich der Pappbecher<br />

etwas besser füllen lässt als während des übrigen<br />

Jahres. In diesem Dezember ist aber alles<br />

Betteldebatte:<br />

Was bisher geschah<br />

In ungeahntem Tempo hat Basel-Stadt<br />

das Bettelverbot abgeschafft und wieder<br />

eingeführt.<br />

1.7. 2020: Das generelle Bettelverbot fällt<br />

nach einem Volksentscheid.<br />

Daraufhin kommen rumänische Bettler*innen<br />

nach Basel und betteln die Bevölkerung<br />

auf der Strasse und im Aussenbereich<br />

von Beizen an, die Polizei spricht von bis<br />

zu 150 Personen.<br />

5.8.2020: Joël Thüring, Grossrat SVP,<br />

reicht eine Motion für ein erneutes Bettelverbot<br />

ein.<br />

23.6.2021: Der Grosse Rat beschliesst ein<br />

eingeschränktes Bettelverbot.<br />

1.9.2021: Das Bettelverbot tritt in Kraft.<br />

Daraufhin reichen die Demokratischen Juristinnen<br />

und Juristen Basel Beschwerde<br />

beim Bundesgericht ein. Sie sind der Meinung,<br />

das Bettelverbot widerspreche der<br />

Menschenrechtskonvention. Das Urteil ist<br />

noch offen.<br />

November 2021: Rumänische Gruppen<br />

betteln weiter. Die Polizei zählt 50 bis 60<br />

Personen.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

6 7


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

anders. Die Pandemie trifft die Bettler*innen<br />

hart. Der Weihnachtsmarkt ist abgesagt, viele<br />

Geschäfte sind geschlossen, haben Existenzsorgen<br />

und kein Kleingeld übrig. Und trotzdem<br />

vermeldete die Polizei eine Zunahme: «Es ist<br />

augenfällig, dass wieder mehr Bettler unterwegs<br />

sind. Das milde Wetter der vergangenen Tage<br />

und die vielen Passanten könnten zu einer Zunahme<br />

geführt haben», sagte Polizeisprecher<br />

Toprak Yerguz am 23. November 2020.<br />

Das milde Wetter hat sich in der Zwischenzeit<br />

verabschiedet, aber die Hoffnung vieler<br />

Basler*innen, dass sich die Problematik rund<br />

um die Bettler*innen mit dem Einsetzen der<br />

Minustemperaturen erledigen würde, hat sich<br />

nicht bewahrheitet. Sie sind noch immer da.<br />

Und scheinen nicht so bald abreisen zu wollen.<br />

Ludovic zieht sich seine rote Bommelmütze mit<br />

dem Schweizerkreuz etwas tiefer ins Gesicht,<br />

klemmt sich die Schaumstoffmatratze unter<br />

den Arm und läuft schwerfällig los. Sein Neffe<br />

Gavril und der Rest der Gruppe tut es ihm nach.<br />

Sie gehen in Richtung De-Wette-Park. Gavril<br />

hat einen schweren Rucksack geschultert. An<br />

den Füssen trägt er braune abgewetzte Lederlatschen,<br />

die Spitze der Schuhe hat sich von<br />

der Feuchtigkeit dunkel gefärbt. Unter seiner<br />

sandfarbenen Winterjacke hat er einen grauen<br />

Pulli und ein blaues verwaschenes T-Shirt an. Er<br />

habe ein paar Kleider bei der Verteilaktion am<br />

Bahnhof vor ein paar Tagen bekommen, sagt er.<br />

Community-Mitglied Jean hatte letzte Woche<br />

mit Hilfe von «Gärn gschee – Basel hilft» Bettler*innen<br />

mit warmen Kleidern, Decken, Schlafsäcken<br />

und Essen ausgerüstet.<br />

21 Uhr, 1 Grad<br />

Nieselregen hat eingesetzt, es ist etwa 1 Grad<br />

kalt. Wir laufen neben Gavril und Ludovic her<br />

und fragen zögerlich, ob wir heute Nacht bei<br />

ihnen und ihren Verwandten bleiben dürfen. Ich<br />

bin ein bisschen nervös, kann nicht abschätzen,<br />

wie ihre Reaktion ausfallen wird, und hoffe, sie<br />

nicht vor den Kopf zu stossen.<br />

«Ihr wollt auch draussen schlafen?», fragen<br />

sie ungläubig. Gavril sieht uns mit weit aufgerissenen<br />

Augen an. Unser Vorhaben sorgt<br />

für ratlose Gesichter. Aber niemand hat etwas<br />

dagegen. «Das könnt ihr schon machen. Ich<br />

verstehe zwar nicht ganz, warum, aber bleibt<br />

ruhig», sagt Gavril mit seiner tiefen Stimme auf<br />

Rumänisch. «Neben mir hat es vielleicht etwas<br />

Platz für euch.» Wir sind die Letzten, die im<br />

Park ankommen. Die Grossfamilie hat sich in<br />

der Zwischenzeit im Pavillon eingerichtet. Die<br />

Wolldecken hängen über dem Geländer und<br />

sollen vor dem Wind schützen. Eng nebeneinander<br />

liegen sie zugedeckt im Kreis. Es sind<br />

etwa zwanzig Menschen.<br />

Gavril steht am Brunnen und füllt seine PET-<br />

Flasche mit Wasser. Sein Cousin Mihail tut es<br />

ihm gleich und hält einen kleinen Milchkarton<br />

unter den Wasserstrahl.<br />

«Ich bin seit einer Woche wieder hier. Es läuft<br />

nicht besonders gut für uns. Gestern habe ich<br />

fünf Franken gemacht. Heute gar nichts», sagt<br />

Gavril.<br />

Es seien zu viele Bettler*innen in der Stadt,<br />

hören wir Gavril und auch andere Bettler*innen<br />

immer wieder sagen. Das mache das Geschäft<br />

kaputt. Die Menschen seien vielleicht<br />

↓Auf zum Nachtlager.<br />

spendemüde geworden, jetzt, wo man fast an<br />

jeder Ecke in der Innenstadt eine*n Bettler*in<br />

antrifft, sagen sie.<br />

«In den letzten drei<br />

Monaten haben wir<br />

vom erbettelten<br />

Geld gelebt.»<br />

Gavril, Bettler aus Rumänien<br />

Der Regen ist etwas stärker geworden. Gavril<br />

bedeutet uns, uns unter den Dachvorsprung des<br />

Pavillons zu stellen. Er beisst in einen halben<br />

Laib Weissbrot und beginnt kauend zu erzählen:<br />

«Im Sommer waren meine Frau und ich zwei<br />

Wochen da. Gemeinsam haben wir 500 Euro<br />

gemacht und sind damit wieder zurück nach<br />

Rumänien zu unseren drei Kindern.» Er hält uns<br />

ein Foto hin. «Hier, das ist meine grosse Tochter.<br />

Sie ist zwanzig.» Seine anderen beiden Kinder,<br />

Söhne, sind im Teenager-Alter und haben Trisomie<br />

21, sagt Gavril.<br />

Jetzt ist er mit Cousin Mihail angereist. Die Frau<br />

sei bei den Kindern geblieben. «In den letzten<br />

drei Monaten haben wir vom erbettelten Geld<br />

gelebt.» Einen Job hat er zu Hause nicht.<br />

Plötzlich hören wir eine verärgerte Stimme, direkt<br />

neben uns. «Geht woandershin. Ich versuche<br />

hier zu schlafen», sagt einer der Roma, der<br />

gleich neben uns liegt. Wir entfernen uns ein<br />

paar Schritte. Ich ziehe meine Kapuze auf und<br />

meine Jacke zu. Gegen den Regen nützt das<br />

trotzdem nicht lange. Meine Beine sind irgendwann<br />

nass. Ich spüre, wie die kalte Feuchtigkeit<br />

in meine Kleidung kriecht.<br />

Organisiert, aber keine Bande<br />

Gavril will genug Geld sparen, um seine Rückreise<br />

zu finanzieren. Die koste 100 Euro pro<br />

Person. Rumänen würden sie in einem Van<br />

mit acht Plätzen zurückfahren. Aber sie fahren<br />

erst, wenn genug Geld zusammengekommen<br />

sei. Es komme auch vor, dass man sich bei ihnen<br />

verschulde.<br />

Sofort denke ich an Schlepper, die sich auf Kosten<br />

von armen Menschen bereichern.<br />

«Setzen diese Fahrer euch unter Druck? Versteht<br />

ihr euch gut mit ihnen?», wollen wir von<br />

Gavril wissen.<br />

«Nein, kein Druck. Sie gehören nun zu unserer<br />

Gruppe. Wir sind Freunde», sagt Gavril.<br />

Gut, 100 Franken für eine Fahrt sind nicht viel.<br />

Klingt nicht nach Bereicherung ... Schaut man bei<br />

FlixBus, kostet die nächste Fahrt am Sonntag,<br />

13.12., von Zürich nach Bukarest 195 Franken.<br />

8 9<br />

Roma-Familien reisen häufig organisiert zum<br />

Betteln ins Ausland, wie schon die deutsche<br />

Reporterin Anna Tillack recherchiert hat. Sie<br />

hat eine Romni für eine Doku ein Jahr lang<br />

begleitet.<br />

Wer jetzt einen mafiösen Bettelboss mit Goldkette<br />

und Villa vor dem inneren Auge sieht:<br />

Das ist ein Hirngespinst. Wir von <strong>Bajour</strong> haben<br />

den Bettelboss im Sommer gesucht und<br />

keinen gefunden. Jean-Pierre Tabin, Professor<br />

an der Fachhochschule für soziale Arbeit und<br />

Gesundheit in Lausanne, hat das Thema Betteln<br />

wissenschaftlich untersucht. Resultat: Die<br />

Verdienstmöglichkeit einer Bettlerin liegt in der<br />

Schweiz zwischen 10 und 20 Franken pro Tag.<br />

Das spricht gegen mafiöses Betteln, oder wie<br />

Wissenschaftler Tabin gegenüber swissinfo.ch<br />

sagt: «Es existiert nicht, es ist eine Fantasie.»<br />

Was es gebe, sei Familiensolidarität.<br />

In Basel ist seit Juli 2020 Betteln erlaubt, solange<br />

es nicht bandenmässig geschieht. Die<br />

Polizei soll mehrere Dutzend Bettler*innen<br />

verzeigt haben. Die Gründe dafür sind aber<br />

Teil der Ermittlungen und wurden bisher nicht<br />

kommuniziert.<br />

Rückkehrhilfe für Roma<br />

Allerdings gäbe es noch eine zweite Lösung,<br />

um heimzufahren. Sie könnten beim Kanton<br />

Basel-Stadt Nothilfe beantragen und so ihr<br />

Rückfahrtbillet finanzieren. «Ja, das wissen<br />

wir», sagt Gavril. Aber er und seine Familienmitglieder<br />

seien skeptisch. «Wir wären dann<br />

mit unseren Personalien registriert. Ich weiss<br />

nicht, ob das gut ist. Wir fragen uns, ob das<br />

dann bedeutet, dass wir nie mehr nach Basel<br />

zurück dürfen?»<br />

Auch Michel Steiner, Co-Geschäftsleiter des<br />

Vereins für Gassenarbeit «Schwarzer Peter»,<br />

hat die Erfahrung gemacht, dass die Bettler*innen<br />

sich ungern Hilfe holen: «Das Problem ist,<br />

dass die Menschen sich dafür offiziell anmelden<br />

müssten und die Rückkehrhilfe einmalig gilt.<br />

Aber die meisten wollen nicht definitiv zurück.<br />

Höchstens über die Festtage.» Die Schweizer<br />

Asylverordnung sieht nämlich vor, dass Begünstigte,<br />

die in die Schweiz zurückkommen,<br />

die Nothilfe zurückzahlen müssen.<br />

Aus demselben Grund gehen viele Bettler*innen<br />

wohl nicht in die Notschlafstelle. Auswärtige, die<br />

nicht über die Sozialhilfe gehen, zahlen in der<br />

Notschlafstelle 40 Franken pro Übernachtung.<br />

Auf einmal stellt sich ein Mann neben uns und<br />

redet aufgeregt auf Rumänisch auf uns ein.<br />

«Seid ihr meine Anwältinnen?», will er wissen.<br />

Er erzählt uns, dass er Ärger mit den Behörden<br />

habe. Er soll unschuldig im Gefängnis gewe-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


↓ Unser Schlafplatz für die Nacht.<br />

sen sein. «Man wollte mich wegen Diebstahls<br />

verurteilen. Aber ich habe nichts getan. Trotzdem<br />

musste ich einen Monat in U-Haft», sagt<br />

er aufgebracht. Er will wissen, ob er nicht eine<br />

Entschädigung für die im Gefängnis verbrachte<br />

Zeit erhalten könne. Schliesslich habe die<br />

Untersuchung nichts ergeben. Wir blicken uns<br />

an und sagen, dass das eher unwahrscheinlich<br />

klingt. Der Mann, der uns seinen Namen nicht<br />

verraten wollte, verwirft die Hände, schimpft<br />

laut los und läuft sauer davon.<br />

Weihnachten zu Hause<br />

Gavril kaut noch immer an seinem Brot und hat<br />

die Szene wortlos mitangesehen. «Im Sommer<br />

kam ein Polizist zu uns und hat uns die Regeln<br />

erklärt. Wir halten uns daran und wollen keinen<br />

Ärger», sagt Gavril. «Ich bin katholisch. Ich<br />

würde nie stehlen», sagt er ernst. Cousin Mihail<br />

pflichtet ihm bei.<br />

«Mihail taugt als Bettler nichts», sagt Gavril<br />

lachend. «Er ist zu schüchtern. Das nächste<br />

Mal nehme ich ihn nicht mehr mit.» Mihail ist<br />

etwas kleiner und schmaler als Gavril, trägt<br />

auch Schnurrbart und hat sich in mehrere dicke<br />

Pullis gepackt. Er schüttelt den Kopf, lacht verlegen<br />

und meint nur: «Ich wollte nicht betteln.<br />

Ich schäme mich. Aber ich habe meinen Job<br />

als Putzkraft verloren und darum mittlerweile<br />

keine Wahl mehr.» Die beiden hoffen, in etwa<br />

↓ Assia, Kalin, Ivo und das, was von ihrem<br />

Nachtlager übrig geblieben ist.<br />

einer Woche nach Hause reisen zu können. Sie<br />

würden die Festtage gerne zu Hause verbringen.<br />

An Weihnachten sitzt man mit der Familie zusammen,<br />

isst Sermale – rumänische Sauerkrautrouladen<br />

– und trinkt Cola. Und zieht von Tür<br />

zu Tür und singt rumänische Weihnachtslieder.<br />

Bis dahin müssten sie aber noch mehr Geld erbetteln,<br />

um das möglich zu machen.<br />

Mihail und Gavril gehen zu ihren Schlafplätzen.<br />

«Gute Nacht und bis morgen», sagen wir<br />

zu ihnen. «Bis morgen. Und vergesst nicht, mir<br />

eine Wurst mitzubringen», ruft uns Gavril noch<br />

hinterher. Dann schlüpft er unter seine Decke<br />

und zieht sie sich bis unters Kinn.<br />

Wir gehen weiter, machen aber mit Gavril ab,<br />

dass wir später zum Schlafen zum Pavillon zurückkommen.<br />

22 Uhr, Unterführung Heuwaage<br />

Assia, Kalin und Ivo schlafen schon, als wir bei<br />

ihnen in der Unterführung an der Heuwaage<br />

auftauchen. «Hallo zusammen», rufen wir zaghaft.<br />

Eine Hand schiebt ein Stück Karton weg,<br />

darunter taucht eine dunkelhaarige Frau mit<br />

weisser Bommelmütze auf. Sie streckt verschlafen<br />

ihren Kopf hoch. «Oh, hallo», sagt sie<br />

erfreut zu uns auf Deutsch. Wir haben uns letzte<br />

Woche schon einmal unterhalten.<br />

Assia, ihr Ehemann Kalin und ihr Bruder Ivo sind<br />

aus Bulgarien. Seit etwa einem Monat sind sie<br />

in Basel und betteln nach Geld. Ein schlimmer<br />

Autounfall, der Assias Ehemann vor zehn Jahren<br />

beide Hände kostete, stürzte die Familie<br />

zunächst in die Arbeitslosigkeit und dann in<br />

die Armut. «Eine Hand hätte nicht amputiert<br />

werden müssen. Aber wir hatten schon damals<br />

nicht so viel Geld und konnten uns die Operation<br />

nicht leisten.» Seither bleibt ihnen nichts<br />

anderes übrig, als zu betteln. Es sei das zweite<br />

Mal, dass sie in Basel seien. Das erste Mal waren<br />

sie im Oktober 2020 hier.<br />

«Weisst du, wir sind das Problem. Nicht die<br />

Menschen hier, ich weiss das», sagt Assia in<br />

nüchternem Ton. Sie verstehe, dass die Menschen<br />

nicht gerne angebettelt werden. Aber sie<br />

und ihre Familienmitglieder würden nur stumm<br />

dasitzen, mit einem Becher vor ihnen. «Ich bin<br />

meistens vor der Post. Und die anderen beiden<br />

in der Shoppingstrasse», erzählt sie.<br />

Damals, im Oktober 2020, hätten sie deutlich<br />

mehr Geld zusammenbekommen. «Es gab<br />

Tage, da haben wir zu dritt bis zu 200 Euro<br />

erhalten», sagt Assia. Mittlerweile bekommen<br />

sie fast nichts. Es reichte aber immerhin für die<br />

Easyjet-Rückflugtickets. Denn morgen Samstag<br />

wollen sie zurück nach Hause.<br />

Von ihrem anderen Bruder, der in Bern lebt, haben<br />

Assia und die anderen vom aufgehobenen<br />

Bettelverbot erfahren. Darum seien sie diesen<br />

Herbst nach Basel gekommen.<br />

«Und warum lebt ihr nicht in Bern bei deinem<br />

Bruder?», will ich wissen.<br />

«Er kann uns ja nicht alle durchfüttern. Und wir<br />

haben kein Geld, um ihm etwas an die Miete zu<br />

zahlen. Wir wollen ihm nicht zur Last fallen»,<br />

sagt Assia und zuckt mit den Schultern.<br />

«Heute ist es wenigstens nicht ganz so kalt»,<br />

sagt sie. Sie hat recht. Zwei Nächte zuvor stieg<br />

das Thermometer nicht über minus 3 Grad. Der<br />

Regen hält weiterhin an. Aber in der Unterführung<br />

ist es immerhin trocken.<br />

«Wir sprechen seit<br />

diesem Sommer<br />

darüber und suchen<br />

krampfhaft nach<br />

schnellen Lösungen.<br />

Wie aber auch in der<br />

Coronakrise gibt es<br />

diese hier nicht.»<br />

Beda Baumgartner, SP-Grossrat<br />

Dünner Karton schützt die drei Bulgar*innen<br />

vor dem kalten Asphalt. Sie teilen sich drei<br />

Wolldecken. Vorher hätten sie mehr warme<br />

Kleidung und Decken gehabt. Aber dann habe<br />

die Polizei ihre Sachen vor wenigen Tagen abgeräumt,<br />

erzählen sie.<br />

Denn die Bettler*innen dürfen sich nur nachts<br />

im Park und in den Unterführungen einquartieren.<br />

Im Freien zu übernachten, ist in Basel nicht<br />

verboten. Aber die Polizei will, dass die Lager<br />

ab 7 Uhr geräumt werden. Tagsüber ist auch<br />

im Pavillon, wo die Roma übernachten, nichts<br />

mehr übrig von ihrem Schlafplatz. Sie schleppen<br />

während des Tages all ihr Hab und Gut mit.<br />

Die SP ist nicht glücklich über den Umgang<br />

mit den Bettler*innen in Basel. Dass man sie<br />

vom Platz verweise und sogar eine Wiedereinführung<br />

des Bettelverbots im Grossen Rat<br />

diskutiert, sorgt für Unmut unter den Linken.<br />

So sagte SP-Grossrat Beda Baumgartner am<br />

2. Dezember 2020 zur «bz»: «Wir haben ein<br />

grundsätzliches Problem und müssen einen<br />

anderen Umgang damit finden.»<br />

Wie dieser Umgang aussehen soll, das weiss die<br />

SP allerdings auch nicht. Baumgartner wünscht<br />

sich einen stärkeren Dialog mit den Bettler*innen<br />

und sagt aber gleichzeitig: «Wir sprechen seit<br />

diesem Sommer darüber und suchen krampfhaft<br />

nach schnellen Lösungen. Wie aber auch<br />

in der Coronakrise gibt es diese hier nicht.»<br />

Schneeregen<br />

Wir wollen Assia, Ivo und Kalin nicht weiter vom<br />

Schlafen abhalten und beschliessen, zum Pavillon<br />

zurückzukehren. Als wir uns verabschieden,<br />

laden uns die drei ein, sie in Bulgarien irgendwann<br />

zu besuchen.<br />

Wir stapfen durch den Park, vorbei an dem<br />

grün-weissen Schild der Stadtgärtnerei, das<br />

darauf hinweist, dass es verboten ist, sich im<br />

Gebüsch zu erleichtern. Ein Schild extra für die<br />

Bettler*innen, die hinter Büsche und an Kirchenmauern<br />

gepinkelt hatten.<br />

Zurück beim Pavillon, schlafen längst alle. Man<br />

hört bloss noch das leise Schnarchen Einzelner.<br />

Platz hat es für uns dort inzwischen keinen<br />

mehr. Darum legen wir uns zu den anderen drei<br />

Familienangehörigen, die vor der Sarasin-Bank<br />

übernachten. Eine ältere Frau mit ihrem Sohn<br />

und seiner Ehefrau.<br />

Der Mann hebt bloss kurz den Kopf und nimmt<br />

uns kommentarlos zur Kenntnis. Dann verschwindet<br />

er wieder unter der Decke. Die Stunden<br />

vergehen nur zäh, während ich mich in meinem<br />

Schlafsack hin und her wälze. Meine Füsse sind<br />

kalt. Dagegen helfen auch die Skisocken nicht.<br />

Ich spüre meine noch vom Regen feuchte Jeans<br />

durch die Thermoleggins. Gegen 2 Uhr, es ist<br />

etwa null Grad mittlerweile, setzt der Schneeregen<br />

ein und peitscht auf den Asphalt. Der<br />

Dachvorsprung ist gerade so breit, dass wir<br />

davon verschont bleiben.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

11


Betteldebatte<br />

Mein Nachbar kann auch nicht schlafen. Er setzt<br />

sich auf und holt ein Stück Salami aus einer<br />

Tüte, in das er hineinbeisst, während er dem<br />

Schneeregen zusieht. Irgendwann, es ist etwa<br />

3 Uhr, legt er sich wieder schlafen.<br />

Kurz nach 5 wachen unsere drei Nachbar*innen<br />

auf. Sie beginnen ihre Sachen in grosse Plastiktüten<br />

zu packen. Die ältere Frau kniet sich auf<br />

ihre blau-weisse Decke, hält ihre kleinen faltigen<br />

Hände aneinander und beginnt zu beten. Dann<br />

erhebt sie sich, legt die Decke zusammen und<br />

läuft mit ihrem Sohn und seiner Frau davon.<br />

Als ich aus dem Schlafsack steige, schüttelt es<br />

mich kurz vor Kälte. Wir packen rasch unsere<br />

Sachen und wollen uns am Bahnhof einen Tee<br />

holen gehen.<br />

Vorher gucken wir aber noch beim Pavillon vorbei.<br />

Die meisten schlafen noch. Ein paar Plätze<br />

sind aber schon wieder frei.<br />

Der nächste Tag<br />

Am Bahnhof treffen wir die Frühaufsteher*innen<br />

in der Unterführung. Es sind Gabor und<br />

seine Frau Elena, die im siebten Monat schwanger<br />

ist. Für sie hat Gabor am Montag bei der<br />

Gärngschee-Verteilaktion eine warme Jacke<br />

ergattern können. Davor trug sie bloss ein Gilet<br />

über einem dicken Pullover. Sie begrüssen uns<br />

lächelnd und mit verquollenen, verschlafenen<br />

Gesichtern. Bald ziehen sie los in die Innenstadt.<br />

Aber zuvor stärken sie sich mit Kaffee aus dem<br />

Take-away am Bahnhof.<br />

«Stimmt es, dass das Bettelverbot vielleicht<br />

wieder eingeführt wird?», fragt Gabor. Sie hätten<br />

sowas gehört.<br />

«Es wird von der Politik verhandelt», sagen wir.<br />

Gabor nickt und sagt nichts.<br />

Gegen 8 Uhr verabschiede ich mich von ihnen,<br />

steige in den Bus und fahre nach Hause. Die<br />

Sonne geht langsam auf, die Stadt erwacht,<br />

die Läden sind wieder offen. Die Bettler*innen<br />

begeben sich in Position.<br />

Und ich stelle mich zu Hause unter die heisse<br />

Dusche, spüre, wie die stechende Kälte langsam<br />

nachlässt und wieder mehr Gefühl in meine<br />

Gliedmassen zurückkehrt. Ich schäme mich<br />

für mein Privileg – heute Abend kann ich wie<br />

gewohnt in meinem warmen Bett schlafen, die<br />

Minustemperaturen können mir nichts mehr anhaben.<br />

Gavril und die anderen Roma müssen<br />

wieder mit dem Pavillon vorliebnehmen.<br />

Der Armenpfarrer<br />

aus Graz im Talk<br />

mit <strong>Bajour</strong><br />

<strong>Bajour</strong> hat den Armenpfarrer Wolfgang Pucher<br />

aus Graz nach Basel zum Talk eingeladen und<br />

wollte von ihm wissen: «Hat Basel-Stadt das<br />

gut gemacht mit den Bettler*innen?» Puchers<br />

klare Antwort: «Nein.»<br />

Bevor der 82-jährige Pfarrer, der eigens für den<br />

<strong>Bajour</strong>-Talk in der Klara aus Österreich angereist<br />

ist, tiefer einsteigt in die Basler Politik, holt er<br />

aus. Rhetorisch, natürlich. Und erzählt den fast<br />

50 Zuhörer*innen, was er in den vergangenen<br />

Jahrzehnten erlebt hat mit den Bettler*innen in<br />

seiner Stadt. Im Gespräch erzählt er anschaulich,<br />

wie in der österreichischen Stadt Frieden<br />

mit den Bettler*innen eingekehrt ist.<br />

Im Laufe des Interviews fragt Andrea: «In Basel<br />

war die Ablehnung so gross, dass sogar<br />

Linke ein neues Bettelverbot forderten. Waren<br />

Sie nie genervt von den Bettler*innen?»<br />

«Selbstverständlich», entgegnet Pucher. «Ich<br />

habe alle Grazer Bettler in der Notschlafstelle<br />

untergebracht und konnte mit ihnen reden.»<br />

Er habe ihnen gesagt, wenn sie wollten, dass<br />

die Grazer*innen sie akzeptieren, müssten sie<br />

sich an verschiedene Regeln halten:<br />

1. ohne Kinder im Schlepptau betteln<br />

2. niemandem nachlaufen<br />

3. Passant*innen nicht am Ärmel zupfen<br />

4. nicht sagen, es sei zu wenig, was man bekommen<br />

hat<br />

Wenn sich die Bettler*innen nicht daran hielten<br />

und eine Busse bekamen, habe er ihnen<br />

nie Geld gegeben. Das hätten sie sich selbst<br />

zuzuschreiben gehabt.<br />

Welche Tipps hat er noch? «Die Bettler*innen<br />

in Basel kommen aller Wahrscheinlichkeit nach<br />

alle aus der gleichen Gegend. Machen Sie den<br />

Ort zur Partnerstadt», sagt Pucher. Er formuliert<br />

drei Tipps:<br />

1. Bilden Sie eine Gruppe von zwölf jungen<br />

Leuten. Zusammen soll man dann darüber<br />

nachdenken, was in Basel verändert<br />

werden kann.<br />

2. Schaffen Sie ein Quartier mit Wohnraum<br />

ohne Verpflichtung zur Anmeldung.<br />

3. Nehmen Sie Kontakt mit der Heimat auf,<br />

verstehen Sie, was vor Ort los ist.<br />

«Und was empfehlen Sie den Verantwortlichen<br />

der Kirchen in Basel?», will Andrea noch<br />

wissen. «Ich bin nicht euer Stadtpapst», meint<br />

Pucher erst. Dann sagt er: «Wenn alle Pfarrer<br />

in Österreich einen Raum freigeben würden für<br />

Obdachlose – und jede Kirche hat einen Raum<br />

frei – dann gäbe es keine Obdachlosen mehr.»<br />

– «Das Gleiche gilt für Basel», ruft jemand aus<br />

dem Publikum.<br />

Bei allen möglichen Lösungsansätzen mahnt<br />

Pfarrer Pucher: «Das Problem ist auf die Schnelle<br />

nicht lösbar. Es hat 20 Jahre gebraucht, bis<br />

in Graz Ruhe eingekehrt ist.»<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Wer ist dieser<br />

Pfarrer Pucher?<br />

Graz machte Ähnliches durch wie Basel:<br />

Die Roma kamen, die Leute nervten sich,<br />

die Politik führte ein Bettelverbot ein.<br />

Nur: Die Roma blieben und die politische<br />

Schlammschlacht ging weiter.<br />

Dann kam Wolfgang Pucher, Pfarrer der<br />

katholischen St. Vinzenz-Kirche. Er brachte<br />

die Bettler*innen in Kirchenräumen unter<br />

und das Bettelverbot vor Gericht zu Fall.<br />

Und er vermittelte zwischen Bettler*innen<br />

und Bevölkerung. Heute leben Bettler*innen<br />

und Grazer*innen friedlich zusammen.<br />

12 13<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Bettelverbot<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Die Politik hat bei<br />

den Roma versagt<br />

– auch die Linke<br />

Der Grosse Rat hat ein restriktives Bettelgesetz<br />

durchgepeitscht. Die Linke ist enttäuscht. Aber ehrlich: Sie<br />

trägt Mitverantwortung an der Misere. Ein Kommentar.<br />

Andrea Fopp<br />

Jetzt haben wir faktisch wieder ein Bettelverbot.<br />

In selten gesehenem Tempo hat die Regierung<br />

das neue Verbot ausgearbeitet, der Grosse<br />

Rat hat es ohne Kommissionsberatung verabschiedet.<br />

Auch wenn die Bürgerlichen jetzt<br />

von Humanismus und Hilfe vor Ort reden, hat<br />

das Gesetz vor allem ein Ziel: die Bettler*innen<br />

loszuwerden.<br />

Sorgfältig und menschenfreundlich ist anders.<br />

Die Empörung der Linken hat was: Es ist kleingeistig,<br />

wie Basel reagiert, wenn es mit Globalisierungsverlierer*innen<br />

aus Rumänien oder<br />

Bulgarien konfrontiert ist (ausser sie putzen<br />

unsere Wohnungen, duschen unsere Eltern<br />

oder geben uns einen Blowjob).<br />

Aber die Linke müsste ehrlicherweise selbst in<br />

den Spiegel sehen: SP, Grüne und BastA! tragen<br />

Mitverantwortung dafür, dass die Bettelsituation<br />

auf Basels Strassen eskaliert ist und<br />

wir als Konsequenz jetzt ein Gesetz haben, das<br />

restriktiver kaum sein könnte.<br />

Die Linke hat das Thema schlicht zu lange verschlafen<br />

und naiv schöngeredet. Damit hat sie<br />

in die Hände der Bürgerlichen gespielt, zuvorderst<br />

SVP-Grossrat Joël Thüring, von dem die<br />

Motion für ein neues Verbot stammt.<br />

Offenbar hat die Linke das auch gemerkt: «Es<br />

gibt Handlungsbedarf. Das bestreitet die SP<br />

nicht», begann Grossrat Pascal Pfister, bis vor<br />

kurzem Parteipräsident, sein Votum im Parlament.<br />

Es gebe «Grenzen des Zumutbaren», sagte<br />

er in Bezug auf aufdringliche Bettler*innen und<br />

genervte Basler*innen: «Die Toleranzgrenze<br />

wurde für viele Menschen in der Bevölkerung<br />

erreicht und für gewisse auch überschritten.»<br />

Und Heidi Mück von BastA! sagte: «Es war richtig,<br />

das Bettelverbot aufzuheben. Dann kam<br />

der Sommer 2020 und wir Linken müssen zugeben,<br />

dass wir nicht damit gerechnet haben,<br />

dass so viele arme Menschen kommen, und wir<br />

haben nicht erwartet, dass die Reaktionen so<br />

rassistisch ausfallen würden.»<br />

Dieses Eingeständnis kommt zu spät.<br />

Den ersten Fehler machte die Linke, als sie das<br />

Bettelverbot aus dem revidierten Übertretungsstrafgesetz<br />

kippte, ohne Begleitmassnahmen zu<br />

erlassen. Betteln ist ein Geschäftsmodell, ebenso<br />

wie Prostitution oder Altenbetreuung. Das<br />

anzuerkennen, ist legitim. Doch die Linke sah<br />

in ihrem humanistischen Denken nicht voraus,<br />

dass Tage nach der Aufhebung gruppenweise<br />

Roma auftauchen und die Basler Bevölkerung<br />

überfordern würden.<br />

Ein solcher Fehler kann passieren. Doch die<br />

Linke gab ihn erst jetzt zu. Als die Betteldiskussion<br />

letzten Sommer begann, reagierten<br />

SP, Grüne und BastA! zuerst mit moralischen<br />

Appellen im Sinne von: Armut muss man akzeptieren,<br />

nicht ignorieren. Dann mit der Forderung<br />

nach Mitgefühl und Unterstützung für<br />

die Bettler*innen. Erst im Frühling – also zehn<br />

Monate nach Beginn des Konflikts – kam sie<br />

auf die Idee, dass wohlmeinende Worte nicht<br />

reichen. Es braucht auch Regeln.<br />

Solche wie in Graz, zum Beispiel. Dort ist Betteln<br />

erlaubt, aber nur stilles. Leuten nachzugehen,<br />

aufdringlich zu werden, ist nicht akzeptiert. Und<br />

es gibt Ordnungswächter*innen, die im Gespräch<br />

mit den Bettler*innen sind und schauen, dass<br />

sie sich an die Regeln halten.<br />

Als die SP dann im Frühling endlich auch mit<br />

solchen Vorschlägen kam, war es für Basel allerdings<br />

längst zu spät. Die Bevölkerung war<br />

so genervt, dass sie kein Gehör mehr hatte für<br />

konstruktive Ansätze. Die Monate der Eskalation<br />

hatten längst denen in die Hände gespielt, die<br />

nie Interesse hatten an humanistischen Ansätzen:<br />

SVP, FDP, Mitte, und ja, jetzt zuletzt auch<br />

die Grünliberalen, auch wenn Letztere ständig<br />

von konstruktiven Massnahmen redeten.<br />

Damit ich hier nicht falsch verstanden werde:<br />

Hauptverantwortung für das restriktive Gesetz,<br />

das Betteln quasi überall verbietet und damit<br />

14 15<br />

«Wir Linken müssen<br />

zugeben, dass<br />

wir nicht damit<br />

gerechnet haben,<br />

dass so viele arme<br />

Menschen kommen,<br />

und wir haben<br />

nicht erwartet, dass<br />

die Reaktionen<br />

so rassistisch<br />

ausfallen würden.»<br />

Heidi Mück<br />

die Roma loswerden will, hatten die Bürgerlichen,<br />

mit freundlicher Unterstützung einer<br />

– über Monate hinweg – passiven Regierung.<br />

Aber in die Hände gespielt hat den Bürgerlichen<br />

das Zaudern der Linken, wie wir es auch bei<br />

Themen zur Kriminalität von Ausländer*innen<br />

kennen: Aus einer falsch verstandenen Menschlichkeit<br />

Probleme ignorieren und schönreden,<br />

bis alle hässig sind.<br />

Politischen Profit schlagen aus der linken Zögerlichkeit<br />

die Rechten. Das Nachsehen haben die<br />

Menschen, die es sowieso schon schwer haben.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Szene isch Avia<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Wie eine verdammte<br />

Discokugel auf<br />

vier Rädern<br />

An den Stadträndern macht sich eine neue Szene breit. Tankstellen<br />

werden zu Sehnsuchtsorten. Wir sind eingestiegen und im glitzernden<br />

BMW mitgefahren – quer durch die halbe Schweiz.<br />

Daniel Faulhaber<br />

Zusammengezählt stehen auf der kleinen Avia-<br />

Tankstelle in Kleinhüningen an diesem Samstag<br />

im April 2021 genug Pferdestärken, um eine<br />

mittelgrosse Armee beritten in den Kampf zu<br />

schicken. Ein Lamborghini Gallardo, orange, mit<br />

offenem Verdeck, ca. 500 PS. Ein Mercedes mit<br />

Maybach-Ausstattung, 300 PS. Ein BMW X6M,<br />

mit rot metallisierter Diamantoptik-Folie, 600<br />

PS. Und so weiter.<br />

Zirka 30 sehr starke Autos stehen Flanke an<br />

Flanke in der Frühlingssonne, während manchen<br />

von ihnen der frische Reinigungsschaum<br />

von den Felgen tropft wie Tau von frischen<br />

Blättern. Wie das alles glitzert! Motorhauben<br />

werden aufgeklappt und wieder zu, es wird<br />

umhergegangen und gegrüsst. Dann verteilt<br />

einer der Jungen die Funkgeräte. Es geht los.<br />

Stress durch Lärm:<br />

Einer belastet alle?<br />

Im öffentlichen Diskurs hat ein neues Feindbild<br />

Einzug gehalten: Autoposer*innen. Erkennungsmerkmale,<br />

herausdestilliert aus Reportagen der<br />

Boulevardmedien «Blick», «20 Minuten» und<br />

anderen Presseorganen: jung, schnell, laut. Migrationshintergrund.<br />

In einem «Psychogramm»<br />

des «St. Galler Tagblatts» – «So ticken die Poser»<br />

– vergleicht ein Verkehrspsychologe die<br />

Szene-Teilnehmer mit Tieren. Grundlage dieser<br />

«Analyse»: Konkurrenzverhalten junger Männer.<br />

BlickTV hat mit einem Verkehrsgutachter gesprochen,<br />

der «genau weiss, wie die Autoposer<br />

ticken». Frage des Moderators, ob es bei der<br />

Poserei vor allem darum gehe, Frauen zu beeindrucken?<br />

Der Experte antwortete, das werde<br />

wohl so sein, aber man müsse sich schon<br />

fragen, welche Frau auf so ein getuntes Auto<br />

stehe. Wahrscheinlich sei das nicht die Frau<br />

fürs Leben.<br />

Zusammengefasst: In der Berichterstattung<br />

über Autoposer*innen dominieren Vorurteile.<br />

Normalerweise führen Vorurteile zu Kontroversen.<br />

Aber weil es so schwer ist, mit lauten,<br />

schnellen Maschinen eine Lobby zu kriegen,<br />

werden Autoposer*innen von allen Seiten missgünstig<br />

verachtet. In den Augen der Öffentlichkeit<br />

sind sie alle Troublemaker.<br />

Manche sind das auch. In einer Antwort der<br />

Regierung auf eine Interpellation des alt SP-<br />

Grossrats Talha Uğur Çamlıbel vom Herbst 2020<br />

steht, dass an Teilen der Hochbergerstrasse, die<br />

auch an der Avia-Tankstelle vorbeiführt, die zumutbare<br />

Lärmbelastung für Anwohner*innen<br />

regelmässig überschritten wird.<br />

Dass der Lärm von Raser*innen stammt, kann<br />

die Regierung allerdings nicht bestätigen, die<br />

Übertretungsquote auf diesem Strassenabschnitt<br />

sei eher unterdurchschnittlich. Heisst:<br />

Diese Strasse ist einfach laut, mit der Autoszene<br />

hat das nur bedingt zu tun.<br />

Ein weiterer Anzug von Talha Uğur Çamlıbel<br />

betreffend einer «Strategie gegen Autoposer»<br />

ist zurzeit hängig.<br />

Mirsan und Sinan Ajeti sind Stars der lokalen<br />

Liebhaber*innenszene. Seit sie ihren BMW X6M<br />

in präziser Handarbeit mit einem glitzernden,<br />

knallroten Stoff neu foliert haben, taucht das<br />

Auto auf Instagram überall dort in den Storys<br />

der User*innen auf, wo sich die Szene trifft.<br />

Das sind vor allem Tankstellen. Der beliebteste<br />

Treffpunkt Basels hat längst einen eigenen<br />

Account: Szene_isch_Avia. Seit die Polizei an<br />

der Avia-Tankstelle in Kleinhüningen mit rigorosen<br />

Kontrollen gegen Autoliebhaber*innen<br />

vorgeht, hat sich ein neuer Treffpunkt etabliert<br />

und die Szene trifft sich jetzt auf dem Parkplatz<br />

der Autobahnraststätte Pratteln Süd in Fahrtrichtung<br />

Basel. Szene isch neuerdings Prattele.<br />

Der Begriff «Szene» hat auf der Strasse nicht<br />

zuletzt durch den Kleinbasler Rapper S-Hot<br />

Einzug gehalten. Es ist eine Art Code, der Zugehörigkeitsgefühl<br />

und Stolz bedeutet.<br />

Manche Autos haben «Szene isch Avia»-Sticker<br />

auf den Autos, um zu zeigen, wo sie in Basel dazugehören,<br />

und auf dem dazugehörigen «Szene<br />

isch Avia»-Instagram-Account, auf dem Fotos<br />

von allen möglichen Autos geteilt und geliked<br />

werden, taucht irgendwann im März 2021 sehr<br />

oft das Auto von Mirsan und Sinan Ajeti auf.<br />

Weil es so heftig glitzert wie eine gottverdammte<br />

Discokugel auf vier Rädern. Man kann sich<br />

diesem Auto nicht entziehen.<br />

«Bro, bis auf Rückspiegel»<br />

Es versteht sich daher von selbst, dass Mirsan<br />

und Sinan Ajeti mit ihrem Auto ganz vorne einspuren,<br />

als sich der Fuhrpark von zirka fünfundzwanzig<br />

Autos an der Avia-Tankstelle zur<br />

Abfahrt bereit macht.<br />

Geplant ist ein Ausflug. Abfahrt an der Avia,<br />

von da geht es nach Luzern, dann nach Zürich<br />

und wieder zurück nach Basel. Die Fahrer sind<br />

untereinander mit Walkie-Talkies verbunden.<br />

Mirsan startet den BMW. «Alle bereit? Abfahrt.»<br />

Vor dem Einsteigen sagt einer der Fahrer im<br />

Spass zum anderen: «Bro, bis auf Rückspiegel.»<br />

Szenesprech für: «Bis gleich.»<br />

16 17<br />

«Wir sind<br />

perfekt<br />

integriert,<br />

mein Vater<br />

redet wie<br />

ein Bünzli.»<br />

Mirsan Ajeti<br />

↗ Mirsan und Sinan Ajeti vor ihrem BMW X6M, mit rot metallisierter Diamantoptik-Folie. Auf Instagram ist dieses Auto ein Star der Basler Szene. (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Das klingt wie ein Versprechen auf Speed,<br />

aber als der Tross kurze Zeit später auf die A2<br />

einbiegt, wird gar nicht überholt. Die Kolonne<br />

hält sich in eiserner Disziplin an die zuvor abgemachte<br />

Reihenfolge. Gefahren wird auf der<br />

rechten Spur. Tempo 90, sonst droht der Korso<br />

auszufransen, und das wäre dann schlecht für<br />

die Wirkung. Man will was hermachen.<br />

Wenn eine*r der Fahrer*innen von weiter hinten<br />

was sagen will, rauscht und knackt in der<br />

Hand von Mirsan das Walkie-Talkie. Der Funk<br />

wird aus zwei Gründen aktiviert. Erstens: für<br />

Fragen zu Ordnung und Disziplin. In dieser<br />

Hinsicht ist Mirsan der Leader. Zweitens: um<br />

zu artikulieren, was für eine geile Zeit man hier<br />

gerade hat. Für die Party sind die Jungs weiter<br />

hinten zuständig.<br />

Funkspruch Mirsan: «Warte, Bro, fahr langsam.<br />

Wir haben ein paar an der roten Ampel verloren.»<br />

Funkspruch aus dem Porsche ganz hinten: «Vor<br />

Luzern steht die Polizei auf einer Brücke und<br />

beobachtet. Fahrt gemäss der Schilder.»<br />

Woher kriegt die Kolonne diese Information?<br />

Mirsan: «Weiss ich nicht, irgendwer weiss das<br />

eben.»<br />

Manchmal wird auf dem Funkkanal auch einfach<br />

gesungen.<br />

Wir rollen jetzt sehr gelassen auf der Autobahn<br />

dahin. Fenster auf, erst mal rauchen. Und jetzt<br />

wird geplaudert, deswegen sind wir schliesslich<br />

da. Was sind das für Typen, deren perfekt<br />

rasierte Hinterköpfe von der Rückbank dieses<br />

schönen Autos aus betrachtet souverän in den<br />

Nackenstützen liegen wie Königshäupter unter<br />

der Krone?<br />

Man tauscht Floskeln, um sich ein bisschen kennenzulernen,<br />

dann sagt Mirsan: «Es war immer<br />

unser Ziel, das Image von Kosovaren besser zu<br />

machen. Wir sind perfekt integriert, mein Vater<br />

redet wie ein Bünzli.» Warum muss das Image<br />

besser gemacht werden, gibt es ein Problem mit<br />

dem Image von Kosovar*innen? Mirsan erklärt:<br />

«Früher war das anders, die ältere Generation.<br />

Die kamen aus dem Krieg und haben Kinder<br />

sterben gesehen, die waren anders drauf.» Sinan<br />

schaltet sich ein: «Wir machen keine Probleme,<br />

wir sind hier geboren. Die Schweiz ist<br />

unsere Heimat.»<br />

Nur kein Troublemaker sein<br />

Interessante Beobachtung: Wenn man mit Mirsan<br />

und Sinan Ajeti über den Rassismus sprechen<br />

will, den sie oder ihre Familien in der Schweiz<br />

erlebt haben, dann reden sie erst einmal davon,<br />

dass die Kosovar*innen ihrer Elterngeneration<br />

sich nicht gut verhalten haben.<br />

Sie wollen es besser machen. Der Satz «Wir<br />

haben grosse Ziele» fällt ein paar Mal in diesem<br />

Auto. Die Bewertung aus den Medien ist den<br />

höflichen Männern in diesem Auto offenbar in<br />

ihr Selbstbild eingegangen: Die Troublemaker<br />

sind sie. Sie müssen, wem auch immer, das<br />

Gegenteil beweisen.<br />

Aufwachsen mit der Bringschuld, keiner zu sein,<br />

der Stress macht.<br />

Heute dieses Auto fahren. Mit 21 Jahren Chef<br />

einer eigenen Firma sein.<br />

In den Medien trotzdem als Loser abgestempelt<br />

werden. Sinan: «Benutze in deinem Bericht<br />

bloss nicht das Wort Autoposer.»<br />

Was seid ihr dann?<br />

«Autoliebhaber», sagt Mirsan.<br />

Cashtalk<br />

Der Grossvater von Mirsan und Sinan kam in<br />

den 1960er-Jahren in die Schweiz, der Vater<br />

und die Mutter in den 1980ern. Sie hatten Glück<br />

und hatten den Krieg nicht am eigenen Leib erlebt.<br />

Der Vater hat hart gearbeitet und wurde<br />

schliesslich Transportleiter Nordwestschweiz<br />

bei einem grossen Bauunternehmen. Mirsan<br />

hat eine Lehre gemacht als Sanitärinstallateur,<br />

Sinan als Kaufmann. Heute haben die beiden<br />

eine Garage für Folierungen und Scheibentönungen<br />

in Lausen BL. Name: NWS Folierungen.<br />

Das schimmernde Auto ist ihr rollendes Werbebanner.<br />

Mirsan ist 21, Sinan 22 Jahre alt. Ganz<br />

schön jung. Mirsan sagt: «Im Kopf bin ich ausgewachsener<br />

als andere in meinem Alter. Wir<br />

haben grosse Ziele, die wir erreichen wollen.»<br />

Welche Ziele denn?<br />

«Wir wollen mit der Werkstatt etwas aufbauen.<br />

Vielleicht etwas mit Immobilien. Damit gutes<br />

Geld reinkommt und wir nicht mehr 13, 14 Stunden<br />

am Tag arbeiten müssen, wie wir das jetzt<br />

tun.» Der BMW hat 72’000 Franken gekostet.<br />

Ein Teil davon ist abbezahlt. Den Rest berappen<br />

die Brüder über einen Leasingvertrag.<br />

Der Autokorso rollt jetzt von der A2 auf die<br />

Raststätte Neuenkirch. Es war zwar bislang<br />

eine sehr wohltemperierte Ausfahrt, aber Mirsan<br />

sagt am Funk, den Schalk in der Stimme:<br />

«Hier machen wir erst mal Pause, damit sich<br />

alle ein birebizzeli beruhigen.»<br />

Die meisten Fahrer*innen der Maseratis und<br />

BMWs, der Mercedes und Maybachs stehen<br />

eher am Anfang einer beruflichen Laufbahn.<br />

Valbone zum Beispiel hat einen Beratungsjob<br />

beim Modehaus PKZ, ihre Schwester Saranda<br />

hat zuletzt als Detailhändlerin gearbeitet.<br />

Zusammen fahren sie einen pechschwarzen<br />

Mercedes AMG C-Klasse mit Sternenhimmel.<br />

So heisst die Innenausstattung. Sternenhimmel.<br />

Das komplette Dach des Mercedes ist innen mit<br />

kleinen leuchtenden Punkten überzogen, die<br />

auf Knopfdruck die Farbe wechseln. Das Auto<br />

gehört den Schwestern gemeinsam, und wenn<br />

man sie ein bisschen peinlich berührt fragt,<br />

ob sie, naja, wie das denn sei, so als Frauen in<br />

dieser Männerszene, dann ziehen sie kurz die<br />

Stirn in Falten und sagen, das sei doch Blödsinn,<br />

sie begeisterten sich eben auch für Autos,<br />

und basta.<br />

Das sagt auch Folita, die ein weisses BMW-<br />

Cabriolet steuert. «Es gibt hier keinen Chef,<br />

der entscheidet, wer mitmachen darf und wer<br />

nicht. Wir sind eine Familie. Wer Bock hat, ist<br />

dabei.» Seit dem Ausbruch der Coronakrise<br />

fehlen Treffpunkte, alle Clubs und Bars sind zu.<br />

Die Autoszene gab es zwar schon vorher, sagt<br />

Valbone, aber seit Corona hat sie einen neuen<br />

Schub erhalten. «Das Tolle ist: Früher waren wir<br />

oft über verschiedene Lokale verstreut. Seit die<br />

Bars zu sind, gehen wir eben an die Treffs. Das<br />

ist viel übersichtlicher. Alle sind da.»<br />

18 19<br />

Leasing: Wie<br />

funktioniert das?<br />

Wenn sich ein*e Kund*in entscheidet, ein<br />

Auto zu leasen, findet eine Art Dreiecksvertrag<br />

statt. Die Leasinggesellschaft<br />

kauft das Fahrzeug. Der*die Kund*in erhält<br />

das Nutzungsrecht und bezahlt eine<br />

monatliche Rate. Wie das «St. Galler Tagblatt»<br />

recherchiert hat, lässt sich beispielsweise<br />

ein über 70’000 Franken teurer<br />

BMW M2 Competition für monatlich rund<br />

800 Franken über eine Laufzeit von vier<br />

Jahren leasen. Bei vielen Leasingverträgen<br />

besteht die Möglichkeit, das Auto<br />

nach Ablauf der Vertragsfrist zu kaufen.<br />

<strong>Bajour</strong> wollte w issen, ob es zurzeit<br />

ein zunehmendes Interesse an Leasing-Verträgen<br />

von Autos gibt. Der Schweizerische<br />

Leasingverband (SLV) antwortet, dass es<br />

seit ein paar Jahren allgemein, und nicht<br />

nur in einer bestimmten Zielgruppe, Trends<br />

zu sogenannten Abo-Modellen gibt. Den<br />

Konsument*innen seien die Fahrzeuge<br />

bzw. das Eigentum am Fahrzeug immer<br />

weniger wichtig. «Sie wollen zwar mobil<br />

sein, aber sich möglichst wenig um das<br />

Fahrzeug an sich oder seine Wartung etc.<br />

kümmern müssen», schreibt der SLV. Deshalb<br />

entscheiden sich immer mehr Konsument*innen<br />

für ein Abo, in welchem der<br />

Unterhalt, die Versicherungen, Assistance,<br />

Reifen etc. alles bereits enthalten sind.<br />

Toprak Yerguz, der Sprecher der Basler Kantonspolizei,<br />

bestätigt das. «Seit rund einem Jahr<br />

verzeichnen wir im Kleinhüninger Hafengebiet<br />

eine deutlich erhöhte Aktivität der Autoszene.»<br />

Die Anwohner*innen störten sich an den lauten<br />

Motoren, an den Treffpunkten bleibe Abfall liegen.<br />

Seit Februar gebe es wieder grössere Kontrollaktionen.<br />

«Der Kantonspolizei war wichtig,<br />

bereits früh zu Beginn der ‹Saison› Präsenz zu<br />

markieren. Die wettermässig schönen Monate<br />

stehen uns erst noch bevor», schreibt Yerguz.<br />

Das Anschwellen der Autoszene ist kein reines<br />

Basler Phänomen. In der ganzen Schweiz,<br />

von Genf bis Basel, stehen jetzt Schilder an<br />

den Strassenrändern der Innenstädte. Slogan:<br />

Laut ist out.<br />

Die Autoszene versucht ihrerseits, mit einer<br />

Charmeoffensive die Wellen zu glätten. Unter<br />

dem Hashtag #Carloverstogether haben sich<br />

mehrere reichweitenstarke Szene-Accounts in<br />

den sozialen Medien zusammengeschlossen.<br />

Sie bitten ihre Follower um drei Dinge: Abfall<br />

mitnehmen, kein Aufheulenlassen der Motoren,<br />

Coronaregeln einhalten.<br />

Polizeisprecher Yerguz sagt dazu: «Die Kantonspolizei<br />

Basel-Stadt begrüsst grundsätzlich jede<br />

Initiative, die eine Rücksichtnahme unterstützt.<br />

Die Wirkung der genannten Aktion können wir<br />

nicht abschätzen.» In der Regel liessen die Autolenker*innen<br />

den Motor nicht in Anwesenheit<br />

der Polizei aufheulen.<br />

Tanken statt Tindern<br />

Apropos Anwesenheit. Der Raum, auf dem sich<br />

die Szene trifft, gehört allen. Es ist Steuerzahler*innenterrain,<br />

es ist die Strasse. Aber es ist<br />

eben auch vernachlässigter Raum, Durchfahrtsraum.<br />

Tankstellen sind nicht zum Verweilen<br />

gedacht. Und so ist es unter dem Gesichtspunkt<br />

der Aneignung interessant, was da an<br />

den Stadträndern passiert. Dass nämlich Unorte<br />

sozial aufgewertet werden und eine neue<br />

Belebung erfahren. Cornern an der Tanke, das<br />

kannte man zuletzt in den 1990er-Jahren als<br />

Jugendphänomen.<br />

Aber jetzt ist die Tanke als Topos zurück. Man<br />

darf das auch wertschätzen. Denn da passiert<br />

so viel mehr, als die paar eingebrannten Donuts<br />

auf dem Asphalt erzählen.<br />

An den Tankstellen entstehen zum Beispiel neue<br />

Spielformen des Kennenlernens. Das ist gerade<br />

in Zeiten von Corona ohnehin eine erschwerte<br />

Angelegenheit. Die einschlägigen Treffpunkte<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


1<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

haben, wie bereits erwähnt, Ableger in Form<br />

von gleichnamigen Accounts in den sozialen<br />

Medien, Stichwort «Szene isch Avia». Aber es<br />

gibt auch noch andere Accounts, die mehr dazu<br />

da sind, Flirts zu verkuppeln.<br />

«Habe dich (weiblich, LÖ-Kennzeichen) heute<br />

Abend an der Coop-Tankstelle gesehen. Du<br />

hast getankt und dann eine geraucht. Haben<br />

uns, während ich getankt habe, ein paar Mal<br />

angeschaut, meld dich doch mal, wenn du das<br />

siehst …»<br />

Diese Spotted-Accounts sammeln solche Aufrufe<br />

und teilen sie auf Instagram. An sich nichts<br />

Neues, im «Blick am Abend» gab es für sowas<br />

die Rubrik «Schatzkästchen». Aber hier spielen<br />

alle Flirts an der Tanke, die Blicke fliegen von<br />

den Rücksitzen der BWMs an die Tanksäulen<br />

und wieder zurück, Nummernschilder halten als<br />

Indiz her und Beifahrer*innen und Fahrer*innen<br />

werden gesucht, weil sie «verdammt heiss»<br />

ausgesehen haben in ihren Autos und ihren<br />

Jumpsuits oder wie das heisst.<br />

Zurück im Auto, kurz vor dem ersten Ziel am<br />

Luzerner Seeufer. Bevor wir die City erreichen<br />

und sich alle Beteiligten ganz dem Sehen und<br />

Gesehen-Werden hingeben, müssen wir noch<br />

mal die grundsätzlichste Frage stellen.<br />

3<br />

1 | Valbone und Saranda vor ihrem Mercedes AMG. Saranda und<br />

2<br />

Valbone sagen, das Vorurteil in den Medien, dass nur Männer in der<br />

Szene rumhängen, sei falsch. Sie kommen regelmässig zu den Treffen.<br />

2| Sie haben sich eine Ambientbeleuchtung einbauen lassen, die<br />

aussieht wie ein Sternenhimmel am Wagendach inklusive Herz.<br />

3 | Der BMW X6M ist das Flaggschiff der Gang. Bis<br />

später heisst in der Szene «bis auf Rückspiegel».<br />

(Fotos: Daniel Faulhaber)<br />

20 21<br />

Was um Himmels willen ist so toll an einem<br />

Auto, Mirsan und Sinan? Was ist wünschenswert<br />

daran, im Jahr 2021 mit einem viel zu starken<br />

Motor über Autobahnen mit Tempolimit 120<br />

zu rollen, an Tankstellen herumzustehen und<br />

Winston-Zigaretten zu rauchen?<br />

«Für mich zählt der Stil, die Eleganz. Ob du<br />

ein guter Fahrer bist. Mit einem lauten Motor<br />

kannst du heute niemanden mehr beeindrucken,<br />

jeder weiss, was dein Auto kann, und wer<br />

an der Auspuffanlage rumschraubt, macht sich<br />

nur lächerlich. Für mich ist das Fahren in diesem<br />

Auto nicht ein Gefühl von Eitelkeit. Aber<br />

es macht mich stolz.»<br />

Dann erreichen wir Luzern, und das Blickgewitter<br />

bricht über die glitzernde Karosserie herein.<br />

Man kann sich das nicht vorstellen, wenn man<br />

nie im Mittelpunkt dieses Spektakels sass,<br />

aber alle schauen dieses Auto an. An der Ampel,<br />

beim Vorbeifahren, beim Um-die-Kurve-<br />

Biegen. Blicke. Münder, die kommentieren.<br />

Finger, die zeigen. Die ganze Strasse wird zum<br />

Spalier, wenn dieses Auto hindurchfährt, und<br />

natürlich ist das im Innern dieses Autos ein erhebendes<br />

Gefühl, im Zentrum der gesamten<br />

Aufmerksamkeit zu sein. An der Ampel bleiben<br />

Autos auf der gleichen Höhe stehen, die Beifahrer*innen<br />

machen Fotos aus dem Fenster.<br />

Dann zeigen sie mit dem Daumen nach oben.<br />

Anerkennung überall.<br />

Vielleicht auch Spott, aber das ist aus den Blicken<br />

der Passant*innen schwer herauszulesen.<br />

Ohnehin gilt: Wer schaut, ist eingeknickt. Mirsan<br />

und Sinan schauen cool nach vorne, sie erahnen<br />

die Blicke von der Seite. Man kann diese<br />

Art erzwungener Aufmerksamkeit als Umkehr<br />

der Machtverhältnisse lesen: Wer ignoriert hier<br />

wen und wer wird gesehen? Über die Anerkennung<br />

lachen vielleicht auch nur jene, die nie um<br />

sie kämpfen mussten.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Wem gehört Basel?<br />

Zürcher Grossbanken<br />

bestimmen Basler<br />

Mietpreise<br />

Grossbanken und Versicherungen besitzen in Basel fast<br />

jede dritte Wohnung und führen stolze Renditen ab. Das<br />

sind anteilsmässig mehr Wohnungen als in Zürich, wie die<br />

grosse «Wem gehört Basel?»-Recherche zeigt. Kanton<br />

und Genossenschaften haben das Handtuch geworfen.<br />

Besitzer*innenkategorie<br />

Anlagestiftung<br />

Immobiliengesellschaft<br />

Immobilienfonds<br />

Versicherung<br />

Pensionskasse<br />

Bank<br />

Recherchiert und umgesetzt von <strong>Bajour</strong> (Samuel<br />

Hufschmid, Andrea Fopp und Romina<br />

Loliva) in Kooperation mit dem Recherche-<br />

Netzwerk Reflekt und Unterstützung von Le<br />

Pacte – Bündnis für Recherche und Reportage.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Unsere 5 wichtigsten<br />

Erkenntnisse<br />

1. Um den Boden und die Immobilien in Basel<br />

herrscht seit Jahren ein politischer Kampf.<br />

Doch nicht einmal die Behörden wissen,<br />

wer die grossen Player auf dem Basler Immobilienmarkt<br />

sind. Die Daten liegen im<br />

Grundbuch, können aber nicht ausgewertet<br />

werden.<br />

2. Gemeinsam mit Tausenden Freiwilligen<br />

hat <strong>Bajour</strong> im März die Grundbuchauszüge<br />

sämtlicher 25’204 Liegenschaften auf Stadtgebiet<br />

heruntergeladen und ausgewertet.<br />

So zeigt sich erstmals, dass Grossbanken<br />

und andere institutionelle Anleger, angeführt<br />

von Credit Suisse und UBS, fast jede<br />

dritte Wohnung in Basel besitzen.<br />

3. Die institutionellen Anleger haben in den<br />

letzten 20 Jahren 6000 zusätzliche Wohnungen<br />

gekauft. Die Anzahl Genossenschaftswohnungen<br />

stagnierte in dieser<br />

Zeit nahezu.<br />

4. Der überhitzte Markt führt zu steigenden<br />

Mieten. Die Kosten für Wohneigentum haben<br />

sich in Basel-Stadt seit der Finanzkrise<br />

2008 verdoppelt.<br />

5. Zudem gibt es weitere preistreibende Faktoren:<br />

Seit 20 Jahren wächst die Basler Bevölkerung<br />

stetig und auch der Druck auf<br />

die Pensionskassen, für ihre Versicherten<br />

jährliche Renditen zu erzielen, nimmt zu.<br />

All das führt dazu, dass Kanton und Genossenschaften<br />

kaum noch neuen Wohnraum<br />

kaufen können, obwohl der politische<br />

Auftrag klar da ist.<br />

22


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Die Haltingerstrasse schlägt sich wie eine Schneise<br />

durch das Matthäusquartier. Die kleine Wohnoase<br />

kann im rauschenden Verkehr auf dem<br />

Riehenring leicht übersehen werden. Für die<br />

Bewohner*innen ist das eigentlich ein Glück.<br />

Die Häuser haben hier kleine Vorgärten; Velos,<br />

Trottinetts und Dreiräder sind ordentlich aufgereiht,<br />

bunte Fahnen flattern im Wind. Schön<br />

friedlich. So war es jedoch nicht immer.<br />

Im Jahr 2000 hingen aus den Fenstern der<br />

Hausnummer 100 beschriftete Leintücher. Darauf<br />

stand: «Wir wollen hier wohnen bleiben!»<br />

Die Mieter*innen machten öffentlich ihrem<br />

Unmut Luft und protestierten lautstark. Denn<br />

das mit dem Bleiben sah die ehemalige Eigentümerin<br />

anders.<br />

Dann kam Jan Delpy. Mit seinem Pensionskassengeld<br />

hat der ehemalige Lehrer vor 20<br />

Jahren das abbruchreife Mehrfamilienhaus im<br />

Matthäusquartier gekauft, «kreativ saniert» und<br />

vermietet es seither kostendeckend an langjährige<br />

Mieter*innen.<br />

An einer grossen Rendite ist er nicht interessiert,<br />

dafür am Wohl seiner Mieter*innen: «Wir<br />

sind keine Wohngemeinschaft, aber eine Hausgemeinschaft»,<br />

sagt er bei unserem Besuch im<br />

März 2021, als <strong>Bajour</strong> ihn mit dem Prädikat «sozialster<br />

Vermieter Basels» porträtiert hat. Eine<br />

begehrte Einzimmerwohnung bei ihm kostet<br />

700 Franken inklusive.<br />

Ein paar Häuser weiter, an der Haltingerstrasse<br />

78, gab es auch eine Totalsanierung. 2012 wurde<br />

das Gebäude für 1,5 Millionen Franken von<br />

Grund auf auf den neuesten Stand gebracht:<br />

weisse Fassade, optimierte Grundrisse, Parkettböden,<br />

neue Bäder, neue Küchen. Anfang Juli<br />

war eine Zweizimmerwohnung (55 Quadratmeter)<br />

für 1445 Franken ausgeschrieben. Das Haus<br />

gehört der Credit Suisse. Die Zürcher Grossbank<br />

ist die grösste Immobilienbesitzerin der<br />

Stadt. Sie hat das dortige Haus 2007 gekauft,<br />

wie aus dem Geschäftsbericht der CS hervorgeht.<br />

Seither liefern die elf Wohnungen jährlich<br />

einen satten Soll-Mietertrag. 2019 betrug<br />

er 173’000 Franken, keine Wohnung stand leer.<br />

Hier der Privateigentümer Delpy, dort die Grossbank.<br />

Gut – böse?<br />

Ganz so einfach ist es aus Sicht der Basler*innen<br />

nicht. Denn dahinter verbirgt sich ein System,<br />

an dem viele teilnehmen. Auch etwa die Pensionskassenbezüger*innen<br />

bzw. fast alle. Dass<br />

immer mehr Immobilien als Renditeobjekte betrieben<br />

werden, hat allerdings Auswirkungen.<br />

Weit über die Mietpreise in den einzelnen Häusern<br />

hinaus. Welche Interessen und Strategien<br />

sich durchsetzen, entscheidet, wie die Stadt in<br />

20 Jahren aussehen und wer hier leben wird.<br />

Das zeigt ein Blick zurück in die Vergangenheit.<br />

Seit der Finanzkrise 2008 gilt Wohnen als renditesichere<br />

Anlage für das viele günstige Geld<br />

und die Entwicklung kennt im Immobilienmarkt,<br />

nicht nur in Basel, preislich nur noch<br />

eine Richtung: nach oben. Entsprechend sind<br />

Grossinvestor*innen noch stärker in den Immobilienmarkt<br />

eingestiegen und kaufen – wie in<br />

Basel – grosse Teile der Stadt auf. Die <strong>Bajour</strong>-<br />

Recherche zeigt: Firmen wie Credit Suisse, UBS<br />

oder die Pensionskasse Basel-Stadt besitzen<br />

inzwischen 29,7 Prozent aller Wohnungen in<br />

Basel. Das ist viel. Mehr noch als in Zürich, wo<br />

28 Prozent aller Wohnungen renditeorientierten<br />

Anleger*innen gehören. Und der Anteil nimmt<br />

zu: Seit dem Jahr 2000 gehören den institutionellen<br />

Anleger*innen in Basel weitere 6000<br />

andere Institutionelle Anleger<br />

Vorsorgestiftungen<br />

30’000 Wohnungen sind 2021 in Basel im Besitz von Vorsorgestiftungen<br />

und anderen institutionellen Anlegerinnen. Diese Wohnungen dominieren<br />

das Angebot im freien Markt und haben einen massgeblichen Einfluss auf<br />

die Ausgestaltung der Mietpreise.<br />

Quelle: Statistisches Amt Basel-Stadt, Volkszählung 2000 (Eigendeklaration<br />

Immobilienbesitzer, Kategorien «andere institutionelle Anleger» = Bau- und<br />

Immobiliengesellschaft, Versicherung, Immobilienfonds. Daten für 2021:<br />

«Wem gehört Basel?», ergänzt durch Eigendeklaraiton PKBS.<br />

Anzahl Wohnungen<br />

* Eigendeklaration durch PKBS. Im Datensatz sind einige der Grundstücke<br />

im Finanzvermögen der Einwohnergemeinde.<br />

Quelle: <strong>Bajour</strong>/«Wem gehört Basel?»,Statistisches Amt Basel-Stadt.<br />

24 25<br />

Wohnungen. Das sind 6 Prozentpunkte mehr,<br />

während die Anzahl Genossenschaftswohnungen<br />

annähernd stagniert.<br />

Der Grund: Immobilien gelten als begehrte<br />

Anlageobjekte, die in Zeiten von Negativzinsen<br />

eine sichere Rendite generieren. Denn der<br />

Boden ist knapp und die Nachfrage da: Die<br />

Einwohner*innenzahl von Basel nimmt seit 30<br />

Jahren zu, ein Abflachen dieses Trends ist derzeit<br />

nicht absehbar.<br />

Bislang fehlten in Basel die Zahlen zu den<br />

Besitzverhältnissen. Das Statistische Amt<br />

Basel-Stadt hat, anders als etwa in Zürich, keine<br />

Anbindung ans Grundbuch. Die aktuellste<br />

verfügbare Erhebung stammt deshalb von der<br />

letzten Volkszählung im Jahr 2000. Die Daten<br />

sind also mehr als 20 Jahre alt. Lukas Mohler,<br />

stellvertretender Abteilungsleiter Statistik<br />

Basel-Stadt, sagt: «Es ist uns bewusst, dass<br />

dies ein grösseres Bedürfnis ist.»<br />

<strong>Bajour</strong> bzw. unsere Leser*innen haben die Zahlen<br />

inzwischen selbst erhoben. Anfang März<br />

2021 lancierten wir mit «Wem gehört Basel?»<br />

die erste systematische Sammlung von Eigentumsinformationen<br />

der Stadt. Gemeinsam mit<br />

Tausenden Freiwilligen konnten wir sämtliche<br />

25’204 Grundbuchauszüge herunterladen und<br />

in eine riesige Datenbank einspeisen. Jetzt haben<br />

wir ein klares Bild, wem die Stadt gehört.<br />

Die Recherche zeigt: Der Basler Wohnungsmarkt<br />

wird von zwei Banken (CS und UBS),<br />

vier Versicherungen (Baloise, Zurich, Swiss Life<br />

und Helvetia) und der Pensionskasse der Basler<br />

Kantonsangestellten dominiert. Zusammen<br />

besitzen die sieben grössten renditeorientierten<br />

Anleger zehn Prozent aller Wohnungen auf<br />

dem Stadtgebiet.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Mieterhöhungen in Basel<br />

bedeuten Dividende in Zürich<br />

Danach folgen weitere Pensionskassen, aber<br />

auch Immobilienfirmen und Anlagefonds mit<br />

ebenfalls Hunderten Wohnungen.<br />

Dem gegenüber stehen die privaten sowie die<br />

gemeinnützigen Immobilienbesitzer*innen: Sie<br />

besitzen noch immer zwei Drittel der Wohnungen.<br />

Das ist viel, könnte man denken. Doch ihr<br />

Anteil geht zurück – zugunsten der institutionellen<br />

Anleger*innen und mit Auswirkungen<br />

auf die Immobilienpreise.<br />

Denn, so sagt Beat Leuthardt vom Basler Mieterinnen-<br />

und Mieterverband: «Die grossen<br />

Firmen können viel mehr Druck ausüben und<br />

Rendite bolzen als die kleinen.» Resultat: «Die<br />

Kosten explodieren.»<br />

Tatsächlich: Seit 2005 haben sich die Immobilienpreise<br />

in allen<br />

Quartieren mehr<br />

als verdoppelt, so<br />

steht es in der jährlich<br />

erscheinenden<br />

Wohn-Studie der<br />

Basler Kantonalbank<br />

(BKB). Fabrice Lanz,<br />

der bei der BKB die<br />

Immobilienabteilung<br />

leitet, rechnet vor:<br />

«Vor zehn Jahren<br />

brauchte ein typischer<br />

Basler Haushalt<br />

mit einem Einkommen<br />

von 80’000<br />

Franken im Jahr rund<br />

370’000 Franken<br />

Eigenkapital für eine<br />

Vergleichswohnung.<br />

Heute sind 930’000<br />

Franken Eigenkapital nötig.» Die Studie kommt<br />

deshalb zum Schluss: «Ein Eigenheim in der<br />

Stadt ist inzwischen praktisch unerschwinglich<br />

geworden.»<br />

Diese Preise schlagen auch auf die Mieten.<br />

Durchschnittlich zahlen die Basler*innen heute<br />

20 Prozent mehr für die Miete als 2005, wie eine<br />

Erhebung des Statistischen Amts ergeben hat.<br />

Dabei schenkt auch die Lage ein: Vergleichbare<br />

Wohnungen auf dem Bruderholz sind gemäss<br />

Mietpreisraster 17 bis 18 Prozent teurer als in<br />

den günstigsten Wohnvierteln Klybeck und<br />

Kleinhüningen.<br />

Diese Zunahme bei den Mieten hat selbstverständlich<br />

mit der Wohnungsknappheit und den<br />

höheren Ansprüchen zu tun, die Leute leben<br />

lieber in grossen Wohnungen.<br />

Die steigenden Mietpreise hängen aber auch<br />

mit dem Renditedruck der Investor*innen zusammen.<br />

Das zeigen die Genossenschaften,<br />

die auf Kostenmiete setzen: Wer in einer Dreizimmerwohnung<br />

lebt, zahlt 38 Prozent mehr<br />

als jemand, der eine gleich grosse Genossenschaftswohnung<br />

hat.<br />

In diesen 38 Prozent versteckt sich die Rendite.<br />

Genossenschaften sind gemeinnützig und verlangen<br />

nur so viel Miete, wie sie für den Unterhalt<br />

brauchen, das nennt man Kostenmiete. Investor*innen<br />

dagegen schlagen noch Rendite<br />

darauf, um an den Wohnungen zu verdienen.<br />

Für Beat Leuthardt vom Basler Mieterinnenund<br />

Mieterverband<br />

ist klar: «Es sind vor<br />

allem die grossen Firmen,<br />

die Rendite bolzen,<br />

koste es, was es<br />

wolle.» Auch kleine<br />

Vermieter*innen können<br />

ihre «Macken»<br />

haben, sagt er. Aber:<br />

«Die leben in Basel<br />

und setzen sich im<br />

Allgemeinen mit uns<br />

und den Mieter*innen<br />

an einen Tisch und<br />

handeln Lösungen<br />

aus.» Firmen wie die<br />

CS oder UBS hätten<br />

ihren Sitz dagegen in<br />

Zürich und würden<br />

für Verhandlungen<br />

mit Mieter*innen nur<br />

noch ihre Anwält*innen vorbeischicken. «Denen<br />

ist egal, ob du Schimmel hast im Badezimmer<br />

oder der Kühlschrank nicht funktioniert.»<br />

Den harschen Befund teilt nicht nur der Mieter*innenvertreter.<br />

Auch Andreas Zappalà vom<br />

Hauseigentümerverband bestätigt, dass grosse<br />

Investor*innen bei den Preisen mehr ans Limit<br />

gehen als kleine Vermieter*innen.<br />

Ein*e Kleinunternehmer*in mit einer Liegenschaft<br />

schaue Ende Jahr, ob es noch ein Plus<br />

gebe, «dann ist gut». Ausserdem würden viele<br />

private Hauseigentümer*innen selbst in der<br />

Liegenschaft wohnen. «Dann kennt man seine<br />

Mieter vielleicht seit Jahren und geht nicht ständig<br />

mit der Miete rauf», sagt Zappalà.<br />

Gerade Pensionskassen, beispielsweise, müssen<br />

genug Einnahmen erwirtschaften, um ihre<br />

Renten zu finanzieren. «Deswegen analysieren<br />

sie regelmässig den Markt, vergleichen Mietpreise<br />

und schauen, wie die Ertragslage gehalten<br />

oder verbessert werden kann», sagt Zappalà.<br />

Die Credit Suisse sagt: Unsere<br />

Mietpreise sind quartierüblich<br />

Wir haben die Credit Suisse als grösste Immobilienbesitzerin<br />

der Stadt mit diesen Vorwürfen<br />

konfrontiert. Sprecherin Joya Martellosio hält<br />

fest: «Credit Suisse Asset Management verwaltet<br />

für seine Fonds ein breites Immobilienportfolio<br />

in der Stadt Basel. Die Mietpreise in<br />

diesen Immobilien bewegen sich in der Regel<br />

im Rahmen der Orts- und Quartierüblichkeit<br />

für vergleichbare Objekte. Die Bewirtschaftung<br />

der Liegenschaften erfolgt durch vor Ort anwesende<br />

Immobilienverwaltungen, was eine<br />

professionelle Betreuung unserer Mieterinnen<br />

und Mieter sicherstellt.»<br />

Wie das vor sich geht, zeigt sich beispielsweise<br />

entlang der Verkehrsader Luzernerring. Eine<br />

gänzlich unspektakuläre Lage, an welcher sich<br />

Wohnungen im Besitz von Grossinvestor*innen<br />

aneinanderreihen.<br />

Offenbar verbergen sich dank des aufgeheizten<br />

Markts auch in eher schmucklosen Mehrfamilienhäusern<br />

Renditechancen für Immobilienfirmen.<br />

So erklärt Robert Weinert, Immobilienexperte<br />

bei Wuest Partner: «Grossstädte wie<br />

Basel, Zürich und Genf sind sehr attraktiv in<br />

Bezug auf Investments. Hier ist die Nachfrage<br />

nach Wohnungen hoch, die Wohnungen sind<br />

oft knapp und demzufolge die Leerstände sehr<br />

tief», auch durchschnittliche Mietobjekte würden<br />

sich langfristig lohnen, weil die Mieteinnahmen<br />

stabile und kalkulierbare Einnahmen darstellen<br />

würden. Wer also eine stetige Rendite erzielen<br />

will, kauft und baut Mehrfamilienhäuser, vermietet<br />

sie, saniert sie zum richtigen Zeitpunkt,<br />

kann so die Mieteinnahmen steigern und die<br />

Rendite erhöhen. Das lockt.<br />

Zwei der Gebäude in der Häuserzeile am Luzernerring<br />

gehören dem Lausanner Investmentfonds<br />

Realstone. 7,2 Millionen Franken hat die<br />

26 27<br />

Firma vor zwei Jahren für die acht Wohnungen<br />

bezahlt und erzielt damit jährliche Mieteinnahmen<br />

von einer Viertelmillion, wie aus dem Geschäftsbericht<br />

hervorgeht.<br />

Doch offenbar will Realstone noch mehr Rendite<br />

rausholen: mittels Totalsanierungen.<br />

Darauf weist ein Schreiben an die Investor*innen<br />

hin, das <strong>Bajour</strong> vorliegt. Nach einer geplanten<br />

Aufzonung 2022 sollen die acht grösseren,<br />

eher günstigen Wohnungen allenfalls in<br />

bis zu 34 kleinere Wohnungen umgewandelt<br />

werden, was die Rendite vervielfachen würde:<br />

«Je nach Szenario besteht ein substanzielles<br />

Wertschöpfungspotenzial», informiert ein<br />

Realstone-Manager die Investor*innen im Brief.<br />

<strong>Bajour</strong> wollte mit Realstone sprechen, die Anfrage<br />

wurde nicht beantwortet.<br />

Vor einigen Jahren berichtete die «Tageswoche»<br />

in einer Serie über die Firma Immro AG<br />

aus dem luzernischen Schötz. Diese verdiente<br />

ihr Geld mit dem Kaufen, Umbauen und Weiterverkaufen<br />

als Stockwerkeigentum von Basler<br />

Wohnungen. Im «Wem gehört Basel?»-Datensatz<br />

ist sie nur noch bei einer einzigen Liegenschaft<br />

als Besitzerin eingetragen, während sie<br />

von Mitte 2008 bis Mitte 2017 45 Objekte gekauft<br />

(und mittlerweile auch weiterverkauft) hat.<br />

Doch die Realität ist, wie so oft, nicht schwarzweiss.<br />

So sagt Rolf Borner, Chef von Immobilien<br />

Basel-Stadt: «Aus unserer Sicht gibt es gerade<br />

unter den Tausenden privaten Vermietern<br />

solche, die hauptsächlich auf den Gewinn aus<br />

sind.» Anders als grosse Immobilienfirmen: «Die<br />

grossen Player auf dem Markt treten professioneller<br />

auf und senken beispielsweise von sich<br />

aus die Mieten, wenn der Referenzzinssatz angepasst<br />

wird», sagt Borner. Immobilien Basel-<br />

Stadt verwaltet die Immobilien des Kantons,<br />

der Einwohner*innengemeinde der Stadt Basel<br />

und der Pensionskasse Basel-Stadt.<br />

Und was macht die Politik?<br />

Ob für eine Basler Kleinunternehmerin oder für<br />

eine Zürcher Grossbank: Das Kaufen und Verkaufen<br />

von Wohneigentum ist nicht verboten.<br />

Gerade Pensionskassen und Anlagefonds haben<br />

in Zeiten des Negativzinses oft gar keine<br />

andere Wahl, als Rendite auf dem Immobilienmarkt<br />

zu erwirtschaften.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Doch im Immobilienmarkt gibt es einen weiteren<br />

Player: die Bevölkerung. Sie hat sich in den vergangenen<br />

Jahren in Person von Politiker*innen,<br />

Mietendenvertreter*innen und Anwohner*innen<br />

lautstark in den Wohnungsmarkt eingemischt.<br />

In Basel tobt ein politischer Machtkampf um<br />

den städtischen Boden.<br />

Und die Mehrheit des Basler Stimmvolks hat sich<br />

in diesem Kampf klar positioniert, beispielsweise<br />

mit der angenommenen Bodeninitiative: Der<br />

Basler Boden soll nicht zum Spielball von Spekulant*innen<br />

und Investor*innen verkommen,<br />

sondern zu grossen Teilen für günstigen Wohnraum<br />

zur Verfügung stehen. Und bestehende<br />

Miethäuser sollen vor Totalsanierungen und<br />

Mieterhöhungen geschützt werden, wie das<br />

vierfache Ja zu den Mietinitiativen 2018 zeigte<br />

– eine Zustimmung, die selbst die Initiant*innen<br />

erstaunte.<br />

Die Basler Politik gibt<br />

sich zögerlich …<br />

Der Auftrag der Regierung ist also eigentlich<br />

klar: Der Kanton soll regulierend in den Markt<br />

eingreifen, den öffentlichen Grund behalten<br />

und darauf günstigen Wohnraum ermöglichen.<br />

Der Kanton hat auch schon einige Massnahmen<br />

aufgegleist. So fördert die Regierung beispielsweise<br />

Genossenschaften und will deren Anteil<br />

von 13,5 auf 25 Prozent erhöhen.<br />

Gerade im aufgeheizten Immobilienmarkt ist<br />

die Situation auch für die Genossenschaften<br />

schwieriger geworden. Das sagt Ivo Balmer,<br />

Präsident Mietshäuser Syndikat und Vorstandsmitglied<br />

im Regionalverband Nordwestschweiz<br />

von Wohngenossenschaften Schweiz: «Die Immobilienpreise<br />

sind mittlerweile so hoch, dass<br />

unser Modell einer bezahlbaren Kostenmiete<br />

kaum mehr umsetzbar ist. Vor einigen Jahren<br />

noch gab es Verkäufer*innen, etwa Erbgemeinschaften,<br />

die aus sozialen Gründen lieber an eine<br />

Genossenschaft verkauft haben, selbst wenn<br />

der Preis etwas tiefer lag. Heute ist der Unterschied<br />

zwischen dem, was Renditeinvestoren<br />

zahlen, und dem, was Genossenschaften bezahlen<br />

können, so gross, dass wir Gefahr laufen,<br />

auch diesen Handlungsspielraum zu verlieren.»<br />

Die Regierung hätte aber noch einen weiteren<br />

Hebel: selbst zu bauen. Einen Schritt in diese<br />

Richtung hat sie mit dem Programm 1000+ getan,<br />

bis 2030 will sie 1000 günstige Wohnungen<br />

erstellen. Das kommt einem Paradigmenwechsel<br />

gleich: Bisher unterstützte die Regierung<br />

Familien lieber mittels finanzieller Zuschüsse<br />

bei den Mieten.<br />

Doch viel mehr liegt offenbar nicht drin, wenn<br />

man der zuständigen Regierungsrätin Tanja<br />

Soland (SP) glaubt. Sie wurde 2019 als Nachfolgerin<br />

von Parteikollegin Eva Herzog gewählt<br />

und gab sich während des Wahlkampfs deutlich<br />

mieter*innenfreundlicher als ihre Vorgängerin.<br />

Doch wenn man jetzt mit Soland und Rolf<br />

Borner spricht, geben sie sich zurückhaltend.<br />

«Ein Programm wie 1000+ ist mehrheitsfähig»,<br />

sagt die Regierungsrätin. «Wenn wir hingegen<br />

auf dem überhitzten Markt flächendeckend mitbieten<br />

würden, gäbe es Widerstand. Ebenso bei<br />

gross angerichteten Bauplänen, beispielsweise<br />

Wohnhochhäusern», sagt Soland.<br />

Im Gespräch wird klar: Hier wird in kleinen<br />

Schritten geplant, Projekte werden primär<br />

danach bestimmt, ob sie politisch umsetzbar<br />

sind. Statt zu investieren, will Immobilien Basel-<br />

Stadt als Vermieterin deshalb eine Vorbildrolle<br />

einnehmen und anderen Vermieter*innen aufzeigen,<br />

wie es auch gehen könnte.<br />

Das klingt nicht wie die frühere Soland. Tatsächlich:<br />

Seit ihrer Wahl hat sich die Mehrheit<br />

in der Regierung verändert: Rot-Grün verlor<br />

einen Sitz und muss nun mit einer Grünliberalen<br />

kutschieren, die punkto Wohn- und Sozialpolitik<br />

bürgerlicher tickt.<br />

Auch der überhitzte Markt und die hohen Preise<br />

lassen die Behörden zögern. Diese Dynamik<br />

kennen andere Städte ebenfalls, etwa Zürich.<br />

Gegenüber dem Recherche-Team Reflekt sagte<br />

André Odermatt, der Vorsteher des Zürcher<br />

Hochbau departements, kürzlich: «Es stellt sich<br />

schon die Frage, unter welchen Bedingungen<br />

wir als Stadt überhaupt noch Bauland oder<br />

Liegen schaften kaufen können.» Das gelte auch<br />

für Basel, sagen Soland und Borner, allerdings<br />

sei es bisher gelungen, vertretbare Zukäufe zu<br />

machen, etwa das Rosental-Areal 2016 oder<br />

die Messehalle 3 und das Musical-Theater im<br />

vergangenen Jahr.<br />

28 29<br />

… und lässt privaten<br />

Investoren den Vortritt<br />

Allerdings gibt es ein Entwicklungsareal, bei<br />

dem der Kanton dankend ablehnte: im Klybeck.<br />

Dort liess der Kanton Investor*innen, die heute<br />

unter dem Namen Rhystadt AG firmieren, den<br />

Vortritt. Konsequenz: Quartierbewohner*innen<br />

und linke Parteien tragen im Klybeck einen politischen<br />

und rechtlichen Machtkampf mit den<br />

Investor*innen um jeden Zentimeter Grün- und<br />

Wohnfläche aus. Die einen wollen mittels Initiative<br />

50 Prozent gemeinnützigen Wohnbau<br />

erreichen, bürgerliche Politiker dagegen lassen,<br />

stellvertretend für die Investor*innen, das<br />

Volksbegehren rechtlich anfechten. Obendrauf<br />

rüsten sich die linken Parteien für die nächste<br />

Initiative mit dem Namen «Ja zum echten Wohnschutz»,<br />

sie kommt Ende November 2021 vors<br />

Volk. Ziel ist es, praktisch alle Mietwohnungen<br />

vor Totalsanierungen und entsprechenden Mieterhöhungen<br />

zu schützen.<br />

Beat Leuthardt vom Mieterinnen- und Mieterverband<br />

ist überzeugt, dass es diesen Schutz<br />

braucht. Ansonsten werde Basel in wenigen<br />

Jahren zu einem zweiten Zürich, wo «ohne regulierende<br />

Eingriffe nur noch Reiche sich das<br />

Leben in der Stadt leisten könnten». Er ist überzeugt:<br />

«Nur wenn die Mieten auf dem jeweiligen<br />

Stand und somit bezahlbar bleiben, können die<br />

Menschen in Basel wohnen bleiben, welche die<br />

Stadt ausmachen.»<br />

Andreas Zappalà vom Hauseigentümerverband<br />

hat dagegen gar keine Freude an diesem Begehren.<br />

«Die Initiative zielt auf die Grossinvestoren,<br />

aber sie trifft die Kleinen.» Sie verunmögliche<br />

es kleinen Hauseigentümer*innen, ihre Liegenschaften<br />

zu sanieren. An den Mieten werde sich<br />

nichts ändern: «Wenn das so weitergeht, haben<br />

wir in Basel Quartiere wie in Genf: Mit verlotterten<br />

Häusern und trotzdem hohen Mieten.»<br />

Zappalà warnt ausserdem davor, auf Entwicklungsarealen<br />

wie dem Klybeck 50 Prozent Genossenschaften<br />

zu bauen, wie es die Initiative<br />

wolle. Das lohne sich weder für die Investor*innen<br />

noch für die Quartierbewohner*innen:<br />

«Nicht alle Basler wollen in Genossenschaften<br />

wohnen.» Und auch an die wohlhabenden Menschen<br />

müsse man denken: «Ich weiss von älteren<br />

Leuten mit gehobenen Ansprüchen, die in<br />

Basel nichts gefunden haben und deshalb ins<br />

Baselbiet gezogen sind.»<br />

Dank der «Wem gehört Basel?»-Recherche<br />

weiss man jetzt wenigstens, wer die grossen<br />

Player sind. Und vielleicht sitzt der eine oder<br />

andere mit Leuthardt, Zappalà, Borner oder<br />

Soland an einen Tisch und sucht Wege, um<br />

bezahlbare Wohnungen zu erhalten.<br />

Denn eins ist klar: Ob man den Investor*innen<br />

freie Hand lässt oder den Wohnungsmarkt<br />

staatlich einfriert, alle Probleme löst man nie<br />

gleichzeitig. Dafür ist der Wohnungsmarkt zu<br />

eng mit einem anderen Politikum verknüpft, das<br />

ebenfalls das Portemonnaie der Basler*innen<br />

direkt betrifft: das Schweizer Rentensystem.<br />

Als Mieter*innen sind die Basler*innen zwar auf<br />

bezahlbare Wohnungen angewiesen oder träumen<br />

gar von einem eigenen Haus im Grünen.<br />

Doch in der Wohndebatte haben die Bürger*innen<br />

zwei Hüte an: Sie werden dereinst auch<br />

pensioniert und sind auf eine anständige Rente<br />

angewiesen. Wie aber sollen die Pensionskassen<br />

die dringend nötigen Renditen erzielen, um die<br />

Renten zu sichern, wenn der Immobilienmarkt<br />

reguliert wird?<br />

Dazu braucht es Antworten, die nicht aus Basel<br />

alleine kommen können.<br />

So lief das<br />

Crowdsourcing<br />

In über 500 Arbeitsstunden haben 7000<br />

Freiwillige die Besitzer*innen sämtlicher<br />

25’204 Grundstücke in der Stadt Basel<br />

erfasst. Sie haben dafür ein von <strong>Bajour</strong><br />

entwickeltes Tool eingesetzt.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


«Wir können<br />

Bodenbesitzer<br />

nicht enteignen»<br />

Regierungspräsident Jans<br />

Die Bevölkerung erwartet viel von Beat Jans: Der neue<br />

Regierungspräsident hat vor seiner Wahl versprochen,<br />

Basel zur Klimahauptstadt zu machen und die Stärken der<br />

Region «stolz» in die Welt hinauszutragen. Stecken auch<br />

Inhalte hinter den schönen Worten? Ein Interview.<br />

Andrea Fopp<br />

̤ Beat Jans, sind Sie parat?<br />

▹ Ja, ist gut.<br />

Interview<br />

̤ Wir machen es wie immer in Interviews: Ich kürze sicher<br />

einige Antworten raus, bleibe aber beim Redigieren so nah<br />

am gesprochenen Wort wie möglich. Sie können inhaltliche<br />

Fehler korrigieren.<br />

▹ Für mich gilt: Gesagt ist gesagt. Aber wenn ich das Gefühl<br />

habe, die Verständlichkeit kann man verbessern, erlaube ich<br />

mir, das reinzuschreiben. Und wenn ich nicht einverstanden<br />

bin, erlaube ich mir, das zu melden.<br />

̤ Zuerst möchte ich gern über die Beziehung Schweiz–EU<br />

reden. Nimmt Bundesrat Guy Parmelin das Telefon noch<br />

ab, wenn Sie anrufen?<br />

▹ Ja, wir hatten kürzlich einen super Austausch in Stuttgart.<br />

Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg,<br />

hat Parmelin zu einem Talk und zu einem Nachtessen<br />

eingeladen und dann haben die beiden auch noch mich eingeladen.<br />

Wir haben uns hervorragend verstanden.<br />

̤ Im Mai konnte man den Eindruck gewinnen, Sie wollen<br />

mit Basel aus der Schweiz aus- und in die EU eintreten. So<br />

pointiert, wie Sie Guy Parmelin wegen des gescheiterten<br />

Rahmenabkommens kritisiert haben.<br />

▹ Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich wehrt, wenn bedrohliche<br />

Entscheide getroffen werden. Das weiss Herr Parmelin<br />

genauso gut wie ich. Ich würde behaupten, der Bundesrat<br />

interessiert sich jetzt mehr für unsere Region als vorher.<br />

̤ Sie sprachen auf Telebasel von einem «Affront gegenüber<br />

dem Badischen», der Bundesrat habe «einmal mehr die Interessen<br />

unserer Region ‹übergumpt›». Ein ziemlicher Rüffel.<br />

▹ Ja, das ist sicher mit ein Grund, weshalb ich mit Bundesrat<br />

Parmelin zu Kretschmann nach Stuttgart eingeladen wurde.<br />

Von Seiten Bundesrat muss man jetzt über einen neuen institutionellen<br />

Rahmen verhandeln.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Zur Person<br />

Beat Jans (SP) ist seit Februar 2021 Regierungspräsident. Er<br />

hat Elisabeth Ackermann (Grüne) abgelöst. Jans war unter<br />

anderem Präsident der SP Basel-Stadt, Grossrat und Nationalrat<br />

(2010 bis 2020). Danach wollte er eigentlich Ständerat<br />

werden, liess aber Eva Herzog den Vortritt, stattdessen wurde<br />

er Regierungspräsident. Beruflich war er zuletzt selbstständiger<br />

Berater im Bereich Nachhaltigkeit und Kommunikation.<br />

30 31<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

̤ Also ein neues Rahmenabkommen?<br />

▹ Es ist eine Illusion, zu meinen, wir könnten<br />

ohne Rahmenabkommen die bilateralen Beziehungen<br />

erneuern. Es ist wie beim Fussball.<br />

Du kannst während des Spiels nicht ständig die<br />

Regeln ändern. Deshalb finde ich das Bedürfnis<br />

der EU nach einem geregelten Schlichtungsverfahren<br />

nachvollziehbar.<br />

̤ Muss die Region Basel in Zukunft mehr auf<br />

den Tisch hauen, wenn es um unsere Interessen<br />

in Bern geht?<br />

▹ Das ist das eine. Aber Aussenbeziehungen<br />

laufen letztlich über menschliche Beziehungen,<br />

und genau das ist das Problem der Schweiz. Als<br />

Herr Parmelin zum Verhandeln nach Brüssel<br />

ging, dachte sich Frau von der Leyen (Präsidentin<br />

der Europäischen Kommission, Anm. der<br />

Redaktion) wohl: Wer ist dieser Mann? Nehmen<br />

Sie Draghi und Macron, die geben der EU jetzt<br />

quasi die Richtung vor. Sie können das, weil<br />

sie sich gegenseitig gut kennen und vertrauen.<br />

Unser Rotationssystem mit dem wechselnden<br />

Präsidium ist das grosse Problem der Schweizer<br />

Aussenpolitik.<br />

̤ Machen Sie jetzt über die Aussenpolitik<br />

Lobbyarbeit für das Präsidialdepartement<br />

in Basel-Stadt? Das droht ja abgeschafft zu<br />

werden, eine entsprechende Initiative wurde<br />

eingereicht.<br />

▹ Ja, also ich glaube wirklich, dass die Beziehungspflege<br />

einer der grossen Vorteile des Präsidialdepartements<br />

ist.<br />

̤ Als Sie fürs Präsidium kandidierten, wollten<br />

Sie das Amt für Umwelt und Energie ins<br />

Präsidialdepartement integrieren, um ein<br />

Klimadepartement daraus zu machen. Acht<br />

Monate später ist das AUE immer noch bei<br />

Kaspar Sutter (SP) im Wirtschaftsdepartement.<br />

Wieso?<br />

▹ Es gibt noch keinen definitiven Entscheid der<br />

Regierung. Wir werden uns dazu äussern, wenn<br />

wir unseren Ratschlag zur erwähnten Initiative<br />

für eine Reduktion von 7 auf 5 Departemente<br />

schreiben.<br />

̤ Gemäss unseren Informationen bleibt das<br />

AUE im Wirtschaftsdepartement. Will Genosse<br />

Sutter Ihnen das Amt nicht abtreten?<br />

▹ Am Schluss ist das Klima eine Gesamtregierungsaufgabe,<br />

die jedes Departement betrifft.<br />

Mir war es wichtig, im Wahlkampf ein Zeichen<br />

zu setzen. Ich hatte genau einen Tag Zeit, mich<br />

zu entscheiden, ob ich für das Präsidium kandidiere.<br />

Das ging unglaublich hektisch zu und her.<br />

Ich wollte mit der Idee des Klimadepartements<br />

zeigen, dass mit mir das Klima Priorität bekommt.<br />

̤ Weil es die Grünen mit der Präsidiumswahl<br />

nicht hinbekommen haben, sind Sie eingesprungen.<br />

▹ Ich bin Umweltnaturwissenschaftler und setze<br />

mich seit meinem 20. Lebensjahr für den Klimaschutz<br />

ein. Es ist, glaube ich, nicht vermessen<br />

zu sagen, dass ich Klimapolitik repräsentiere.<br />

̤ Sie haben versprochen, Basel-Stadt zu einem<br />

Vorbild punkto Klima zu machen und bewerben<br />

sich für den sogenannten Green Capital<br />

Award. Aber wenn es darum geht, die Klimagerechtigkeitsinitiative<br />

umzusetzen, tritt die<br />

Regierung auf die Bremse. Die Initiative fordert<br />

netto null bis 2030, Sie wollen Zeit bis 2040.<br />

▹ Eine Studie zeigt: Wir schaffen das nicht. Es<br />

ist enorm schwierig, die Heizungen, Fahrzeuge<br />

etc. umzustellen.<br />

̤ Bitte erklären Sie mir: Was passiert denn<br />

bei einer Umstellung auf netto null?<br />

▹ Der grosse Hebel ist die Wärme. Bis vor wenigen<br />

Jahren hat man in Basel noch ganz viele<br />

Öl- und Gasheizungen eingebaut. Jetzt sind wir<br />

dank des neuen Energiegesetzes bei ungefähr<br />

5 Prozent. Deshalb ist netto null bis 2040 realistisch.<br />

Der Kanton Zürich baut übrigens noch<br />

50 Prozent Ölheizungen.<br />

̤ Heisst das, wir haben einen Haufen Gasheizungen,<br />

die wir durch Fernwärme ersetzen<br />

müssen? Der Grosse Rat hat ja gerade 460 Millionen<br />

Franken für die Fernwärme gesprochen.<br />

▹ Genau. Wir müssen die restlichen Öl- und die<br />

vielen Gasheizungen ersetzen. Aber Sie müssen<br />

sich vorstellen: Gasheizungen haben eine Abschreibedauer<br />

von etwa 20 Jahren. Wenn wir die<br />

vorher rausreissen, müssen wir Wert vernichten.<br />

Es kostet schliesslich auch Energie, um eine Heizung<br />

zu produzieren. Das ist bedingt sinnvoll.<br />

̤ Ist Fernwärme wirklich so ökologisch? Die<br />

Basler Kehrichtverbrennungsanlage stösst<br />

jährlich 244’000 Tonnen CO 2<br />

aus, heisst es<br />

im Umweltbericht 2020.<br />

▹ Das ist viel. Deshalb müsste eins der nächsten<br />

Projekte sein, dass wir das CO 2<br />

abzweigen,<br />

damit es nicht in die Luft geht. Aber die Technologie<br />

gibt es noch nicht ab Stange, sie ist in<br />

Entwicklung, da kann man jetzt nicht einfach<br />

eine Anlage hinstellen.<br />

̤ Die Kehrichtverbrennungsanlage in Glarus<br />

speichert das CO 2<br />

bereits heute in der Ostsee<br />

und hat den kantonalen CO 2<br />

-Ausstoss so um<br />

mindestens ein Drittel reduziert. Wie weit ist<br />

Basel, die Kandidatin als globale Ökostadt<br />

mit dem Green Capital Award?<br />

▹ Das könnte eine der Massnahmen sein, die<br />

das Ziel netto null bis 2040 mit sich bringt. Aber<br />

auch das Ziel 2040 ist unglaublich ambitioniert.<br />

Die Leute, die heute ein Auto kaufen, haben<br />

fast alle einen fossilen Motor, und die werden<br />

das Auto auch in 15 Jahren noch fahren wollen.<br />

32 33<br />

̤ Sicher? Schliesslich hat die Mehrheit der<br />

Stimmbevölkerung entschieden, dass Verbrennungsmotoren<br />

in Basel-Stadt verboten<br />

werden.<br />

▹ Ja, aber erst 2050.<br />

̤ Glauben Sie, die Basler Bevölkerung ist<br />

nicht für ein ambitionierteres Ziel zu haben?<br />

Basel-Stadt wählte grün, stimmte für das<br />

CO 2<br />

-Gesetz …<br />

▹ Vielleicht doch, aber wir müssen gleichzeitig<br />

ein Angebot schaffen, damit die Menschen<br />

überhaupt auf Alternativen wie Elektro-Mobilität<br />

umsteigen können. Heute können sie noch<br />

fast nirgends Strom tanken.<br />

̤ Gut, der Grosse Rat hat ja kürzlich die Regierung<br />

damit beauftragt, 4000 Elektroladestationen<br />

zu bauen.<br />

▹ Genau, die Regierung muss das jetzt umsetzen.<br />

̤ Sie planen gemäss dem neuen Legislaturplan<br />

Kreislaufwirtschaft auf Entwicklungsarealen.<br />

Können Sie mir erklären, wie das<br />

zum Beispiel im Klybeck oder auf dem Wolf<br />

aussehen könnte?<br />

▹ Beim Wiederverwerten der Bauabfälle gibt<br />

es den grössten Hebel. Gerade heute Morgen<br />

habe ich einen interessanten Vortrag gehört,<br />

wie sie das in Wien machen. Basel braucht als<br />

Erstes eine Analyse unserer Bestände: Was<br />

haben wir überhaupt für Baumaterialien, was<br />

fällt wann wegen Abbruch an und wie können<br />

wir die Bauabfälle wiederverwenden? In Wien<br />

wurde herausgefunden, dass die Gebäude aus<br />

der Gründerzeit hervorragend rezyklierbar sind.<br />

̤ Das heisst, Sie schauen auf dem Klybeck:<br />

Was stehen da für Gebäude, wie kann man<br />

deren Materialien wiederverwenden, wenn sie<br />

abgerissen werden? Sind die Investor*innen<br />

bereit, das mitzufinanzieren? Das ist sicher<br />

teurer als das herkömmliche Bauen.<br />

▹ Die Rhystadt AG und die Swiss Life, die das<br />

Klybeck gekauft haben und bebauen, haben<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


grosses Interesse daran gezeigt. Ausserdem<br />

braucht es Start-ups, eine Art Labormöglichkeiten,<br />

um die Kreislaufwirtschaft auszuprobieren.<br />

̤ Das klingt etwas vage. Wie viele Kreislaufwirtschaftsprojekte<br />

wollen Sie umsetzen, wie<br />

viel CO 2<br />

wollen Sie damit einsparen?<br />

▹ Wir sind noch nicht weit genug für messbare<br />

Ziele in Basel-Stadt. Wir müssen, wie ich<br />

bereits gesagt habe, zuerst eine Bestandsaufnahme<br />

machen. Sie dürfen nicht vergessen, der<br />

Kanton Basel-Stadt hat bis jetzt 0,4 Stellenprozente<br />

fürs Thema Klima.<br />

̤ Aber Sie wollen ja noch zwei neue Stellen<br />

schaffen.<br />

▹ Der Regierungsrat will zwei Stellen schaffen.<br />

Wir haben das Klima als Schwerpunkt dieser<br />

Legislatur im Legislaturplan festgehalten. Es<br />

ist absolut notwendig, dass man entsprechend<br />

Mittel zur Verfügung stellt, um ambitionierte<br />

Ziele zu erreichen.<br />

̤ Lassen Sie mich aufzählen: Neben den zwei<br />

Personen fürs Klima haben Sie zwei neue Generalsekretär*innen<br />

(160 Prozent) eingestellt<br />

und schaffen eine halbe Stelle in der Gleichstellung.<br />

Wie viele Stellen wollen Sie denn als<br />

Präsident insgesamt schaffen?<br />

▹ Neue Stellen zu schaffen, ist eine Chance, weil<br />

man damit neue Kompetenzen reinbekommt.<br />

̤ Muss man dafür Stellen schaffen oder könnte<br />

man vielleicht auch Leute auswechseln, wenn<br />

ihnen die Kompetenzen fehlen?<br />

▹ Es gibt Bereiche, da arbeiten wir mit Umschichtungen.<br />

So leisten wir die Bewerbung für<br />

den European Green Capital Award, indem wir<br />

bestehendem Personal andere Aufgaben geben.<br />

Im Klimabereich ist das Defizit aber so eklatant,<br />

das kann man nicht anders lösen als mit zusätzlichem<br />

Personal. Und in der Gleichstellung finde<br />

ich die Diskussion bemühend.<br />

̤ Bemühend?<br />

▹ Wir haben im Kanton 11’000 Mitarbeitende,<br />

doch man schraubt ständig bei den 4 Vollzeitstellen<br />

bei der Abteilung für Gleichstellung<br />

herum. Das finde ich nicht verhältnismässig.<br />

Natürlich, jede Stelle muss hinterfragt werden,<br />

aber Gleichstellung ist eines der Megathemen<br />

unserer Zeit. Ich habe gerade heute Morgen<br />

meiner 15-jährigen Tochter zugehört, die einen<br />

Vortrag für die Schule vorbereitet hat. Es geht<br />

darum, warum sie sich als junges Mädchen benachteiligt<br />

fühlt. Es hat mich zutiefst berührt.<br />

Das Thema ist gerade bei der jungen Bevölkerung<br />

omnipräsent. Der Kanton muss darauf eine<br />

Antwort haben.<br />

̤ Die Abteilung Gleichstellung hat Männer,<br />

Transmenschen, Homosexuelle jahrelang verschlafen,<br />

zack, Sie schaffen eine neue Stelle.<br />

Die Trinkgeldinitiative fordert 5 Prozent der<br />

Kulturausgaben für Jugendkultur, zack, Sie<br />

erhöhen das Budget. Beim Historischen Museum<br />

machen Sie eine Strategie, ohne auszurechnen,<br />

wie viel die kostet. Geld sprechen<br />

statt priorisieren tönt ein bisschen nach dem<br />

Weg des geringsten Widerstands, oder nicht?<br />

▹ Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist eine<br />

absolut gerechtfertigte Frage. Es ist einfach<br />

schwierig, darauf so pauschal zu antworten. Im<br />

Umwelt- und Klimabereich nehmen die Herausforderungen<br />

zu, da sind neue Stellen zwingend.<br />

Und die Basler Gleichstellungsarbeit war nur auf<br />

Frauen und Männer ausgerichtet, jetzt möchte<br />

man das Thema LGBTIQ+ mehr gewichten. Dafür<br />

eine halbe Stelle einzusparen, ist ein Witz. Zumal<br />

diese neue Aufgabe auch ein Auftrag des<br />

Parlaments ist. Andere Städte haben in diesem<br />

Bereich deutlich mehr Kapazitäten geschaffen.<br />

Aber dass es im Gleichstellungsbereich Verbesserungsmöglichkeiten<br />

gibt, ist mir bewusst.<br />

̤ Zum Beispiel?<br />

▹ In der Männerberatung gibt es ein Defizit,<br />

die Männerberatungsstelle wird durch die CMS<br />

finanziert. Diese Finanzierung läuft voraussichtlich<br />

aus.<br />

̤ Ihre Vorgängerin, Elisabeth Ackermann,<br />

und die Leiterin der Abteilung Gleichstellung<br />

hatten bislang kein offenes Ohr für die Männerberatung.<br />

▹ Am Schluss wird der Regierungsrat entscheiden,<br />

ob er Männerberatung will.<br />

̤ Zurück zum Klima: Sie haben mir jetzt nur<br />

zwei konkrete Massnahmen präsentiert: Elektroladestationen<br />

und Fernwärme, Projekte, die<br />

vor Ihrer Wahl aus dem Parlament kamen. Der<br />

Rest sind nur vage Ideen. Haben Sie Angst,<br />

konkrete Ziele aufzustellen, weil Sie dann daran<br />

gemessen werden?<br />

▹ Ich glaube, es geht vor allem darum, verschiedene<br />

Prozesse zu beschleunigen. Der Regierungsrat<br />

hat viele Vorstösse aus dem Parlament<br />

auf dem Tisch. Mir geht es darum, dass<br />

das Klima Priorität hat. Dass dafür Finanzen<br />

gesprochen und Personen in der Verwaltung<br />

beauftragt werden – dazu kann ich beitragen.<br />

̤ Wie viel Steuergeld gibt es fürs Klima?<br />

▹ Das kommt darauf an, welche Massnahmen wir<br />

beschliessen. Welche, ist noch zu früh zu sagen.<br />

Ausserdem braucht es ja nicht nur die Verwaltung,<br />

sondern auch die Firmen und Verbände,<br />

die mitmachen. Ich stehe im Zusammenhang mit<br />

dem European Green Capital Award unter anderem<br />

mit dem Gewerbeverband, Novartis oder<br />

Roche in Kontakt. Die wollen mithelfen. Nochmals:<br />

Das Klima hat Priorität im Legislaturplan<br />

der Regierung. Jetzt geht es an die Umsetzung.<br />

̤ Dafür kommt die soziale Ungleichheit kaum<br />

vor.<br />

▹ Doch. Wir haben acht Massnahmen gegen<br />

die soziale Ungleichheit. Etwa die Unterstützung<br />

von einkommensschwachen Haushalten,<br />

die Alterspolitik, die Frühförderung – das ist<br />

Armutsprävention!<br />

̤ Sind Sie langsam ungeduldig mit mir?<br />

▹ Nein, Entschuldigung, wenn ich so wirke. Im<br />

Legislaturplan fehlen einfach Triggerbegriffe<br />

wie «Armut» oder «Wohnungsnot», wir sprechen<br />

von sozialem Zusammenhalt.<br />

̤ Apropos Wohnungsnot. Am 28. November<br />

2021 stimmen wir über die neuste Wohnschutzinitiative<br />

der Linken ab. Wann machen<br />

Sie die Pressekonferenz dazu?<br />

▹ Der Regierungsrat macht vor Abstimmungen<br />

äusserst selten eine Pressekonferenz zur<br />

Abstimmungsempfehlung.<br />

̤ Wirklich? Kaspar Sutter machte beim Mindestlohn<br />

auch eine. Haben Sie vielleicht Angst,<br />

weil Sie die Regierungsposition gegen den<br />

Wohnschutz vertreten müssen? Bevor Sie<br />

Regierungsrat wurden, haben Sie kritisiert,<br />

der Wohnschutz sei «ungenügend» umgesetzt<br />

worden.<br />

▹ Darum geben wir als Regierung jetzt auch<br />

noch einen oben drauf.<br />

̤ Wie, noch oben drauf?<br />

▹ Mit der neuen Verordnung, die im Jahr 2022<br />

in Kraft tritt. Gemäss Verordnung wird die Hälfte<br />

der Basler Wohnungen vor überrissenen Mietpreiserhöhungen<br />

nach Sanierungen geschützt.<br />

Dazu haben wir eine Pressekonferenz einberufen<br />

und dabei auch unsere Haltung zur Volksinitiative<br />

bekannt gegeben.<br />

̤ Mit allen Ausnahmen sind es eher ein Drittel,<br />

kritisiert der Mieterinnen- und Mieterverband.<br />

Die Initiative will alle Wohnungen schützen.<br />

▹ Der Schuh drückt bei den tiefsten Einkommen,<br />

also den billigsten Wohnungen, am meisten.<br />

Mit der aktuellen Verordnung können wir<br />

schauen, welche Auswirkungen das Gesetz auf<br />

Investitionstätigkeit und Mietpreisentwicklung<br />

hat und ob es weitere Schritte braucht.<br />

̤ Haben wir Zeit, abzuwarten? Seit 2005 sind<br />

die Mieten um 20 Prozent gestiegen.<br />

▹ Ja, das ist enorm.<br />

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̤ Reicht es dann, einfach mal zu sagen, wir<br />

schützen die billigsten und schauen, was mit<br />

den anderen Wohnungen passiert? Wenn das<br />

so weitergeht, haben Sie am Schluss vielleicht<br />

gar nichts mehr zu schützen.<br />

▹ Die Regierung hat verschiedene Massnahmen<br />

gegen die Wohnungsnot aufgegleist: Wir<br />

haben beispielsweise auch das Ziel, den Genossenschaftsanteil<br />

auf 25 Prozent zu erhöhen.<br />

̤ 70 Prozent der Wohnungen sind heute<br />

Marktmieten, die Zahlen habe ich von Ihrem<br />

Genossen, Pascal Pfister. Deshalb nochmals<br />

die Frage: Macht die Regierung genug für bezahlbare<br />

Mieten?<br />

▹ Wir tun viel, aber einfache Lösungen gibt es<br />

keine. Die Explosion der Mietpreise findet in<br />

allen Zentrumsstädten statt. Die Mietpreise in<br />

London und New York sind jenseits.<br />

̤ Ja?<br />

▹ Selbstverständlich ist es total wichtig, dass<br />

wir jetzt handeln, aber ich habe gesagt, die Regierung<br />

hat etwa sieben Massnahmen pendent.<br />

Das Problem: Auch dort, wo man bei Sanierungen<br />

streng reguliert, steigen die Mieten stark,<br />

etwa in Genf.<br />

̤ Ihre Zürcher Genossin, Jacqueline Badran,<br />

sagt, das einzige Mittel sei, als Staat den Boden<br />

zu kaufen und so der Spekulation zu entziehen.<br />

▹ Stimmt, das ist ein wichtiger Auftrag. Deshalb<br />

hat der Kanton das Rosentalareal gekauft<br />

und baut mit dem Programm 1000+ günstige<br />

Wohnungen.<br />

̤ Aber damit hat es sich auch. Finanzdirektorin<br />

Tanja Soland hat <strong>Bajour</strong> gesagt, viel<br />

mehr Engagement auf dem Wohnungsmarkt<br />

sei nicht geplant. Der grösste Teil der Wohnungen<br />

ist dann immer noch der Spekulation<br />

ausgesetzt. Ist das die Wohnpolitik, die man<br />

von SP-Regierungsrät*innen erwarten darf?<br />

▹ Mir ist einfach nicht ganz klar, was wir noch<br />

tun können. Wir können die globalen Trends<br />

hier in Basel nicht im Alleingang aufhalten. Wir<br />

können ja Bodenbesitzer nicht enteignen.<br />

̤ Zuletzt reden wir noch über die Causa Fehlmann:<br />

Sind Sie froh, dass Sie das Dossier zum<br />

geschassten Direktor des Historischen Museums<br />

an Regierungsrat Lukas Engelberger<br />

abgeben konnten?<br />

▹ Es war der Wunsch von Herrn Fehlmann, dass<br />

ich das Dossier nicht mehr führe. Der Grund war,<br />

dass ich während des Wahlkampfs auf die Frage,<br />

ob Herr Fehlmann zurückkommen soll, sagte,<br />

dem Historischen Museum würde ein Neuanfang<br />

gut tun. Ich bin zum Schluss gekommen,<br />

dass es für den Kanton besser ist, wenn ich das<br />

Dossier abgebe. Aber das war ein absolut freiwilliger<br />

Entscheid, das betone ich.<br />

̤ In der «BaZ» stand, das Dossier sei Ihnen<br />

vom Regierungsrat entzogen worden.<br />

▹ Das war falsch.<br />

̤ Waren Sie erstaunt, als Sie merkten, dass<br />

die Freistellung von Marc Fehlmann nicht rechtens<br />

war, da sie nur mündlich ausgesprochen<br />

wurde? Die Juristen, die Ihre Vorgängerin,<br />

Elisabeth Ackermann, für 110’000 Franken<br />

beigezogen hat, hätten doch wissen müssen,<br />

dass man das schriftlich macht.<br />

▹ Wir werden sicher unsere Schlüsse ziehen,<br />

das ist klar.<br />

̤ Sogar ich als Nichtjuristin weiss, dass man<br />

eine Freistellung und das ganze Drumherum<br />

schriftlich handhaben muss.<br />

▹ Ich würde Ihre Fragen gerne beantworten.<br />

Doch ich kann nicht, da ich als Arbeitgeber dem<br />

Amtsgeheimnis unterliege und es im Interesse<br />

des Kantons ist, dass ich mich daran halte.<br />

Sonst riskiere ich ein neues Verfahren, und das<br />

möchte ich nicht.<br />

Wasser frei aus<br />

allen Rohren!<br />

Einmal im Jahr verwandelt sich die Dreirosenbrücke<br />

in eine wilde Wasserbahn. Wie das alles<br />

angefangen hat und wann, das wissen nur<br />

wenige. Und die wollen das Geheimnis lieber<br />

bewahren. Richtig so.<br />

Stell dir vor, es ist Anarchie und in der Zeitung<br />

steht, warum. Nicht ernst zu nehmen.<br />

Also zeigen wir lieber die besten Fotos aus der<br />

nassen Kampfzone – quer verteilt im ganzen<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong>.<br />

Fotos: Dominik Asche<br />

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Vergewaltigung an der Elsässerstrasse<br />

Das Dilemma bleibt<br />

Am Vergewaltigungsfall an der Elsässerstrasse entzünden sich<br />

Konflikte: Das Opfer trägt niemals eine Schuld. Aber welche<br />

Umstände gelten als strafmildernd für den Täter? Auch das<br />

neue Sexualstrafrecht braucht Interpretationsspielraum.<br />

↓ Das revidierte Sexualstrafrecht fordert das, was die Demonstrant*innen hier skandieren: Nur Ja heisst Ja.<br />

Sexuelle Handlungen ohne Zustimmung würden dann unter Strafe fallen. (Foto: Keystone-SDA)<br />

Adelina Gashi<br />

Romina Loliva<br />

Triggerwarnung: Dieser Artikel enthält explizite<br />

Schilderungen sexualisierter Gewalt.<br />

Am frühen 1. Februar 2020, ein Samstag, steigt<br />

eine Frau angetrunken in das 11er-Drämmli. Sie<br />

war lange feiern, ist müde und will nach Hause.<br />

Im Tram trifft die 33-Jährige zufällig auf einen<br />

alten Bekannten – sie kennt ihn seit 13 Jahren<br />

– und seinen Kumpel. Die beiden Männer bieten<br />

der Frau an, sie nach Hause zu begleiten.<br />

Sie willigt ein.<br />

Als sie vor ihrer Haustüre stehen, bedrängen<br />

sie die beiden Männer (32 und 17), im Windfang<br />

vor ihrem Haus in der Elsässerstrasse. Sie versucht<br />

sich zu wehren: Die Männer ringen die<br />

Frau gewaltsam zu Boden und vergewaltigen<br />

sie. Die Frau brüllt, aber ihre Schreie bleiben<br />

unbemerkt. Die beiden Männer lassen nach ein<br />

paar Minuten von ihr ab und fliehen. Die Frau<br />

greift aufgelöst zum Telefon und benachrichtigt<br />

die Polizei.<br />

Seitdem lässt die Geschichte Basel nicht los.<br />

Noch am gleichen Abend versammeln sich<br />

rund 100 Personen auf dem Claraplatz für eine<br />

spontane Kundgebung. «Alle zwei Wochen wird<br />

in der Schweiz eine Frau durch ihren Partner<br />

oder Expartner ermordet. Jede Woche überlebt<br />

eine Frau einen solchen Mordversuch.<br />

Vergewaltigung in der Ehe war in der Schweiz<br />

bis 1992 erlaubt», skandiert eine junge Frau in<br />

ein Megaphon.<br />

Die Anteilnahme ist gross. <strong>Bajour</strong> spricht ein<br />

paar Tage später mit Menschen im Quartier.<br />

In der Metzgerei Pippo paniert eine junge Frau<br />

gerade Schnitzel, als ihr die Tränen in die Augen<br />

schiessen: «Die Frau, diese Frau tut mir so unendlich<br />

leid. Ich muss immerzu an sie denken.<br />

Am meisten macht mich traurig, dass niemand<br />

etwas dagegen tun konnte. Das macht mich<br />

wirklich sehr betroffen. Wir waren so nah, und<br />

haben nichts bemerkt, wir haben nichts tun<br />

können», sagt sie. Hätte sie nur etwas davon<br />

mitgekriegt: «Ich wäre hingelaufen, ich hätte<br />

geschrien, ich hätte auf die Männer eingeschlagen,<br />

ganz egal, was.»<br />

Die Polizei kann die beiden Tatverdächtigen<br />

rasch ermitteln. Sie haben sich nach Portugal<br />

abgesetzt. Nach einer internationalen Fahndung<br />

stellt sich der Haupttäter den Behörden. Die<br />

Anklage lautet: sexuelle Nötigung, Vergewaltigung.<br />

Im medial minutiös begleiteten Prozess<br />

folgt das Strafgericht der Anklage und spricht<br />

eine Freiheitsstrafe von 51 Monaten und einen<br />

Landesverweis aus. Das Opfer bekommt 12’000<br />

Franken Genugtuung.<br />

Jede Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung<br />

zu viel. Da sind sich alle einig. Aber wie können<br />

solche Taten verhindert werden? Ist das Gesetz<br />

noch zeitgemäss? Braucht es härtere Strafen?<br />

Gleichzeitig mit dem Basler Prozess gewinnt<br />

die Debatte über das Schweizer Sexualstrafrecht<br />

an Fahrt.<br />

Bewegungen wie #Metoo, #SchweizerAufschrei<br />

und der Frauenstreik 2019 haben feministische<br />

Fragen nach sexualisierter Gewalt, struktureller<br />

Diskriminierung und Frauenfeindlichkeit wieder<br />

mitten in die Öffentlichkeit katapultiert.<br />

Die Tat an der Elsässerstrasse ruft das alles in<br />

Erinnerung.<br />

↗ Juristin Nora Scheidegger kämpft für ein neues Sexualstrafrecht.<br />

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Was ist, wenn das Opfer lügt?<br />

Als ein knappes Jahr später, am 30. Juli 2021,<br />

das Appellationsgericht sein Urteil mündlich<br />

eröffnet, wird Basel erneut von einer Welle der<br />

Empörung erfasst. Der Täter, der die Berufung<br />

eingelegt hatte, bleibt zwar wegen Vergewaltigung<br />

verurteilt, wird aber nun deutlich milder<br />

bestraft. Das Strafmass für eine Vergewaltigung<br />

beträgt ein bis zehn Jahre. Das Dreiergremium<br />

unter dem Vorsitz von Gerichtspräsidentin Liselotte<br />

Henz (FDP) reduziert das Strafmass auf<br />

drei Jahre. Davon sind 18 Monate bedingt. Der<br />

Täter wird statt acht nur sechs Jahre aus der<br />

Schweiz verwiesen und muss weniger Genugtuung<br />

bezahlen.<br />

Mündlich begründet wird dies unter anderem<br />

mit einem Satz, der sich im kollektiven Bewusstsein<br />

einbrennen wird: «Die Frau hat mit dem<br />

Feuer gespielt.» Das Vergehen werde relativiert<br />

durch «die Signale, die das Opfer auf Männer<br />

aussendet», so die Richterin.<br />

Viele Basler*innen interpretieren aus diesem<br />

Satz: Das Opfer trägt eine Mitschuld an der<br />

Tat. Aus Protest gehen 500 – die Veranstalter*innen<br />

sprechen von 1000 – Personen<br />

auf die Strasse: «Nicht mit uns!», heisst<br />

es, «Nur Ja heisst Ja!» Das Frauenstreik-Kollektiv<br />

Basel spricht in einer<br />

Stellungnahme von Victim Blaming.<br />

Gerichtspräsidentin Liselotte Henz<br />

soll zurücktreten, fordern manche<br />

der Protestierenden.<br />

Jurist*innen kontern, dass<br />

solche Forderungen nichts<br />

bringen und Richter*innen<br />

unnötig durch die Öffentlichkeit<br />

unter Druck gesetzt<br />

würden und die Gewaltentrennung auf<br />

dem Spiel stehe.<br />

Auch die Politik meldet sich zu Wort. Linke<br />

und bürgerliche Politiker*innen äussern über<br />

Social Media ihr Unverständnis über das Urteil<br />

und ziehen ihre eigenen Schlüsse. Jérômie<br />

Repond, Vorstandsmitglied der Jungen SVP<br />

Basel-Stadt, fordert auf Twitter härtere Strafen<br />

für Vergewaltiger.<br />

So unglücklich der Satz der Richterin auch<br />

ist, aus juristischer Sicht ist es schwierig, daraus<br />

sofortiges politisches Handeln zu fordern.<br />

Denn der Kontext fehlt: Erst die schriftliche<br />

Urteilsbegründung wird die Überlegungen des<br />

Dreiergerichtes transparent machen. Die ehemalige<br />

Luzerner Kantonsrichterin<br />

Marianne Heer formuliert<br />

es in einem bemerkenswerten<br />

Interview mit der «Republik» pointiert: Schliesslich<br />

«sind wir nicht einfach im Mittel alter, wo<br />

nach Intuition oder Emotion entschieden wird».<br />

Doch wie bestraft man eine Vergewaltigung?<br />

Was gilt als strafverschärfend? Was als strafmildernd?<br />

Die Dauer der Handlung, die Vertrautheit<br />

zwischen Opfer und Täter? Wie viel<br />

Spielraum haben die Richter*innen?<br />

Diese Fragen sind nicht nur Fragen der Rechtsprechung.<br />

Es sind Fragen unserer Moralvorstellungen<br />

und wie sich unsere Gesellschaft als<br />

Ganzes verändert. Und das Unbequeme daran:<br />

Es gibt keine einfachen Antworten.<br />

Der «hilflose Mann» im Zentrum<br />

Sind alle Vergewaltigungen gleich schlimm? Ist<br />

es egal, wie lange sie dauern, wie gewalttätig sie<br />

sind? Welche Rolle spielt es, was der Täter gedacht,<br />

angenommen, interpretiert hat? Kommt<br />

es darauf an, wie sich das Opfer verhalten hat?<br />

Das Opfer trägt absolut keinerlei Mitschuld. In<br />

keinem Fall. Aber eine Richterin, die etwa das<br />

Strafmass des Täters bemessen soll, kann diesen<br />

relativierenden Fragen nicht ausweichen.<br />

Was zu einem gerechten Strafmass, oder – bei<br />

einer völlig verunglückten Kommunikation<br />

wie im vorliegenden Fall<br />

– zu einer Vermischung<br />

von Opfer- und Täterrolle und zu grosser Empörung<br />

führen kann.<br />

Franziska Schutzbach, Genderforscherin und<br />

Lehrbeauftragte an der Universität Basel, forscht<br />

über gesellschaftliche Klischees auf Kosten der<br />

Opfer, sogenannte Vergewaltigungsmythen.<br />

Diese halten sich laut Schutzbach hartnäckig:<br />

«Die Vorstellung, dass Übergriffe an Frauen<br />

durch ihr Verhalten provoziert werden, weil<br />

sie sich zum Beispiel zu sexy kleiden, ist nach<br />

wie vor weit verbreitet.» Das habe mit dem<br />

Glauben zu tun, dass Männer den Reizen der<br />

Frauen hilflos ausgeliefert und deshalb schutzbedürftig<br />

seien, erklärt Schutzbach. «Es findet<br />

eine Täter-Opfer-Umkehr statt.»<br />

Bis heute sei ausserdem die Idee verbreitet,<br />

Männer hätten einen Anspruch auf die Liebe<br />

und den Körper einer Frau, «egal ob diese das<br />

will oder nicht», sagt Schutzbach.<br />

Soziologische Studien aus den USA zeigen,<br />

dass Vergewaltigungsmythen dermassen verinnerlicht<br />

sind, dass sogar Frauen, die bereits<br />

sexuelle Gewalt erfahren haben, diese reproduzieren<br />

und sich selbst eine Mitschuld an der<br />

Tat geben.<br />

Diese frauenfeindliche Ideologie drückt sich<br />

laut Schutzbach auch darin aus, dass Männern,<br />

die der sexuellen Gewalt beschuldigt werden,<br />

oft mehr Mitgefühl entgegengebracht wird als<br />

dem Opfer.<br />

In der Wissenschaft spricht man von «Himpathy».<br />

Gesellschaftlich herrsche eine Grundsympathie<br />

für Männer, die dazu führe, dass ihr Verhalten<br />

milder beurteilt werde. Die Dynamiken sind<br />

komplex, es ist ein Wechselspiel: «Verhält sich<br />

ein Opfer untypisch, ist es also nicht passiv und<br />

psychologisch zerstört, nimmt man ihm das Leid<br />

nicht ab», erklärt die Geschlechterforscherin.<br />

Die Schwere der Tat des Vergewaltigers wird<br />

moralisch in Frage gestellt.<br />

Feminist*innen, darunter auch Schutzbach, sehen<br />

diese Vergewaltigungsmythen in den Aussagen<br />

der Richterin bestätigt. Auf die Frage,<br />

welche strafmildernden Umstände Schutzbach<br />

für den Täter im konkreten Fall gelten lassen<br />

würde, winkt die Soziologin allerdings ab und<br />

verweist darauf, keine Juristin zu sein.<br />

Was also meinen die Jurist*innen?<br />

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«In praktisch allen<br />

Vergewaltigungsfällen handelt<br />

es sich um eine Situation<br />

Aussage gegen Aussage»<br />

Andreas Noll<br />

Die meisten, die sich in den Medien geäussert<br />

haben, stimmen mit der aktuellen Auslegung<br />

des Rechts überein. Strafverteidiger*innen zum<br />

Beispiel. Sie befassen sich mit den Täter*innen<br />

– und strafmildernden Umständen. Mit<br />

ihren Innenleben, mit ihren Motiven, mit ihren<br />

Lebensumständen, mit ihrer Affekthaftigkeit.<br />

Mutmassliche Vergewaltiger zu verteidigen, ist<br />

nicht einfach. Einer, der das tut, ist der Basler<br />

Anwalt Andreas Noll.<br />

Das Grundproblem bei den Sexualstraftatbeständen<br />

sei nicht das Rechtliche, sondern der<br />

Sachverhalt. «In praktisch allen Vergewaltigungsfällen<br />

handelt es sich um eine Situation<br />

Aussage gegen Aussage», folglich lasse sich<br />

eine Täterschaft praktisch nie beweisen. Es<br />

gehe schlussendlich um die Wahrheitsfindung,<br />

erklärt Noll, denn «ohne Wahrheit kein Recht».<br />

Wie steht es um die Mitschuld des Opfers aus<br />

dem Blickwinkel der Verteidigung?<br />

Eine Strafe habe schuldangemessen zu sein,<br />

erklärt Noll. Es gehe nicht nur um das dem<br />

Opfer zugeführte Leid, sondern auch um das<br />

Verschulden des Täters. Es gehe gar nicht um<br />

eine Opfermitschuld, sondern um die Perspektive<br />

des Täters.<br />

Er macht ein Beispiel: «Wenn ich meine Brieftasche<br />

im Restaurant liegen lasse und sie jemand<br />

mitnimmt, ist es für mich zwar das Gleiche, wie<br />

wenn jemand in meine Wohnung eindringt und<br />

mir meine Brieftasche vom Nachttisch klaut.<br />

Das Verschulden des Täters ist jedoch ein anderes.<br />

Ebenfalls ist das Verschulden des Täters<br />

ein anderes, wenn er mir mein Velo stiehlt, das<br />

ich nicht abgeschlossen habe stehen lassen,<br />

als wenn ich es an eine Strassenlaterne angekettet<br />

habe.»<br />

Das Gericht sei bei der Strafzumessung verpflichtet,<br />

eine dem Verschulden des Täters angemessene<br />

Strafe zu fällen, und «es hat dabei<br />

sämtliche Umstände zu berücksichtigen». Das<br />

gelte auch für Sexualstraftaten.<br />

Kann das Dilemma zwischen der Anerkennung<br />

des Unrechts am Opfer und einer für den Täter<br />

gerechten Strafe also nicht gelöst werden?<br />

«Nur Ja heisst Ja»<br />

Die Frage geht an die Strafrechtlerin Nora<br />

Scheidegger. Sie kennt das Sexualstrafrecht<br />

bis ins letzte Detail. Und will es gründlich reformieren<br />

(siehe Box rechts).<br />

Faktoren, die das Strafmass beeinflussen, seien<br />

nötig, um individuell und transparent auf Taten<br />

und Täter eingehen zu können, sagt auch<br />

Scheidegger: «Ein Fremder, der eine Frau vergewaltigt,<br />

ist genauso schuldig wie der Ehemann<br />

oder Freund, der sich an seiner Frau oder<br />

Freundin vergeht. Aber Abstufungen gehören<br />

zum Rechtssystem dazu. Es gibt Faktoren wie<br />

die Vorgeschichte und Umstände, die das Strafmass<br />

beeinflussen können.»<br />

Ein weiteres Beispiel: Die Tat eines unbekannten<br />

Mannes, der eine Frau nachts überfällt<br />

und sich an ihr vergeht, ist meist gewaltvoller<br />

und brutaler als bei einem bekannten Täter,<br />

und diese zusätzliche Gewalt wird dann auch<br />

schwerer gewichtet. «Ob das richtig ist, ist eine<br />

andere Frage», sagt Scheidegger. «Denn bei<br />

der Vergewaltigung durch einen Bekannten ist<br />

der immense Vertrauensbruch, den der Täter<br />

damit begeht, für das Opfer oft mindestens so<br />

schlimm wie körperliche Gewalt.»<br />

Ein weiteres Beispiel: Ist ein Täter stark alkoholisiert,<br />

gilt er in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit<br />

eingeschränkt, was sich mildernd<br />

auf das Strafmass auswirken kann.<br />

Jeder Fall wird gesondert betrachtet und durchleuchtet.<br />

Das sei auch richtig so, sagt Scheidegger.<br />

Das Problem sei, wenn bei Sexualdelikten<br />

das vorherige oder allgemeine, vermeintlich<br />

«freizügige» Verhalten des Opfers einer moralischen<br />

Bewertung unterzogen und als Anknüpfungspunkt<br />

herangezogen werde, um das<br />

Verschulden des Täters zu relativieren.<br />

Die Basler Juristin Kathrin Bichsel hat sich als<br />

Anwältin auf die Vertretung von Opfern im<br />

Strafverfahren spezialisiert. Für sie ist, ebenso<br />

wie für Scheidegger, klar: «Das Sexualstrafrecht<br />

ist veraltet.» So hat Bichsel schon viele Fälle<br />

erlebt, in welchen die erlebte sexualisierte Gewalt<br />

den Straftatbestand der Vergewaltigung<br />

nicht erfüllte. Dies, weil bei der Durchsetzung<br />

der sexuellen Handlungen die für das Gesetz<br />

zwingende Nötigung fehlte. «Das ist sehr demütigend»,<br />

erzählt Bichsel: «Das Gesetz basiert<br />

auf veralteten Vorstellungen», etwa, dass sich<br />

Opfer von sexuellem Missbrauch mit aller Kraft<br />

gegen die Tat wehren müssten oder gar selbst<br />

schuld daran seien, was ihnen widerfahren ist.<br />

«Die Idee, dass Frauen Männer zu Unrecht<br />

beschuldigen würden, um ihnen zu schaden,<br />

ist immer noch vorhanden.» Dies, obwohl Expert*innen<br />

davon ausgehen, dass die Quote von<br />

Falschbeschuldigungen, die sich nur schätzen<br />

lässt, zwischen 3 und 20 Prozent liegen dürfte.<br />

So kann es vorkommen, dass das Gericht aus<br />

Mangel an Beweisen einen Freispruch fällt,<br />

wenn Opfer als Reaktion die Tat wie gelähmt<br />

über sich ergehen lassen – «da sich der Einsatz<br />

eines nötigenden Mittels nicht nachweisen<br />

lässt», wie es im Jurist*innen-Deutsch heisst.<br />

Und auch wenn die Tat gefilmt oder aufgezeichnet<br />

wird, ist die Lage nicht eindeutig. Kathrin<br />

Bichsel gibt als Beispiel summarisch einen Fall<br />

wieder: Eine junge Frau, noch minderjährig,<br />

wurde bei einer Party von mehreren Personen<br />

bedrängt, zuerst machte man sich über<br />

sie lustig, dann wurde sie sexuell missbraucht.<br />

Die Tat wurde mit einem Handy gefilmt. Weil<br />

aber keine vaginale Penetration stattfand und<br />

Die Revision des Sexualstrafrechts<br />

Die Strafrechtlerin Nora Scheidegger ist der Meinung,<br />

dass es eine grundsätzliche Debatte darüber braucht,<br />

wie mit Sexualdelikten umgegangen wird. Juristisch<br />

wie moralisch.<br />

Bislang ist der Vergewaltigungstatbestand, Art. 190<br />

StGB, eng definiert: Nur wenn das Opfer bedroht wird,<br />

unter psychischen Druck gesetzt wird, zum Widerstand<br />

unfähig gemacht wird oder wenn Gewalt angewendet<br />

wird, gilt eine ungewollte Penetration in die Vagina als<br />

Vergewaltigung. Dass ein Opfer Nein sagt und mit dem<br />

Akt nicht einverstanden ist, reicht nicht aus.<br />

Und: Nur Personen weiblichen Geschlechts können betroffen<br />

sein. Wenn non-binäre Menschen und Personen<br />

männlichen Geschlechts vergewaltigt werden, wenn<br />

die Gewalt anal oder durch Gegenstände oder mit den<br />

Händen geschieht, dann fällt das rechtlich unter andere<br />

Tatbestände.<br />

Nun soll das Gesetz ausgeweitet werden. In Scheideggers<br />

Dissertation, die landesweit Schlagzeilen machte, schlägt<br />

sie vor, einen Grundtatbestand einzuführen, der sexuelle<br />

Handlungen ohne Zustimmung unter Strafe stellt. Der<br />

Vorschlag wurde vom Parlament aufgenommen. Die<br />

Rechtskommission des Ständerats hat im Februar die<br />

Vernehmlassung eröffnet.<br />

Vorgeschlagen werden diverse Anpassungen der geltenden<br />

Strafrahmen sowie Änderungen bei den Tatbeständen,<br />

wie die Umschreibung des strafbaren Verhaltens.<br />

Neu soll auch das Anbahnen von sexuellen Kontakten<br />

mit Kindern explizit mit Strafe bedroht werden. Weiter<br />

wird die Schaffung eines Tatbestands des «sexuellen<br />

Übergriffs» vorgeschlagen.<br />

Die Revision wird von den linken Parteien, der GLP, der<br />

Mitte-Partei und der FDP, Menschenrechts-, Kinderschutz-<br />

und Opferorganisationen, von Gleichstellungsbeauftragten<br />

und der Eidgenössischen Kommission für<br />

Frauenfragen (EKF) befürwortet. Die SVP zeigt sich mit<br />

dem Kernanliegen grundsätzlich einverstanden, bemängelt<br />

jedoch Details der Umsetzung.<br />

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die junge Frau sich nicht aktiv gewehrt hat,<br />

sondern «es über sich ergehen liess», kam es<br />

gar nicht zu einer Anklage.<br />

Derzeit wird von den Eidgenössischen Räten<br />

eine Revision des Sexualstrafgesetzes beraten.<br />

Wäre das die Lösung?<br />

An dem Urteil über den Fall aus der Elsässerstrasse<br />

hätte es nichts geändert, sagt Nora<br />

Scheidegger: «Der Täter wurde der Vergewaltigung<br />

schuldig erklärt. Punkt.» Deshalb hält sie<br />

auch nichts von der Forderung, die Richterin<br />

im Fall Elsässerstrasse zu entlassen.<br />

Für Scheidegger deutet aber die Art und Weise,<br />

wie mit dem Opfer kommuniziert wurde,<br />

auf das mangelnde psychosoziale Wissen zu<br />

Sexualdelikten hin, das an manchen Gerichten<br />

immer noch herrsche. «Es braucht dahingehend<br />

mehr Sensibilisierungsarbeit.»<br />

Ähnlich argumentiert die Expertin für sexualisierte<br />

Gewalt Agota Lavoyer. In der «NZZ<br />

am Sonntag» schreibt sie: «Wir brauchen eine<br />

Rechtsprechung, die mit der Zeit geht und die<br />

den durch Wissen, Aufklärung und Sensibilisierung<br />

gewandelten sozialen Anschauungen<br />

über Sexualdelikte endlich Rechnung trägt.»<br />

Es gehe letztlich um die Frage, welche Anforderungen<br />

wir an das soziale Verhalten eines<br />

Mannes stellen: Und das sei nun einmal der<br />

absolute Respekt vor einem Nein.<br />

↓ Hunderte Frauen solidarisierten sich mit dem Opfer im Vergewaltigungsfall Elsässerstrasse. Am 8. August 2021 demonstrierten<br />

sie vor dem Basler Appellationsgericht gegen das Urteil der Richterin Liselotte Henz. (Foto: Keystone-SDA)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Es bleibt Auslegungssache<br />

Das Nein als Grundsatz im Gesetz zu verankern,<br />

sei schon mal ein Fortschritt, meint Kathrin<br />

Bichsel. Obwohl dann das Opfer nach wie vor<br />

nachweisen muss, dass es «Nein» gesagt hat:<br />

«Noch besser wäre es, wenn wir uns am schwedischen<br />

Modell, ‹Nur Ja heisst Ja›, orientieren<br />

würden und die sexuelle Selbstbestimmung<br />

als das schützenswerte Rechtsgut anerkennen.»<br />

Damit schaffe man für alle Klarheit und<br />

beseitige diskriminierende Mechanismen. «Die<br />

entscheidende Frage soll sein, ob das Opfer<br />

zugestimmt hat oder nicht», betont Lavoyer.<br />

Was ist aber mit dem Strafmass? Sollte es darum<br />

gehen, möglichst hohe Strafen für Sexualdelikte<br />

zu erwirken? Bichsel meint, die Strafen<br />

hätten sich in den letzten Jahren zwar erhöht,<br />

aber «sie sind immer noch eher tief». Es gehe<br />

aber vor allem darum, das Unrecht am Opfer<br />

anzuerkennen.<br />

Anderer Meinung ist Andreas Noll: Die Revision<br />

des Sexualstrafrechts ziele darauf ab, das Beweismass<br />

beträchtlich zu senken, was zu einer<br />

massiven Umverteilung der Beweislast führe,<br />

weil der vom Staat zu erbringende Beweis auf<br />

die fehlende Ja-Aussage beschränkt werde. In<br />

der Folge müssten Unschuldige ihre Unschuld<br />

beweisen können: «Dadurch wird man sicherlich<br />

zahlreichen vergewaltigten Frauen gerecht, indem<br />

die Täter nicht mehr so einfach mit einem<br />

Freispruch in dubio pro reo davonkommen»,<br />

räumt er ein, «auf der anderen Seite werden<br />

vermehrt auch wegen dieser Beweiserleichterung<br />

Fehlurteile gefällt und Unschuldige verurteilt<br />

werden.»<br />

Faktisch kehre man mit einer Einführung einer<br />

«Nur Ja heisst Ja»-Regel zur früheren Praxis in<br />

Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen zurück,<br />

wo noch keine Glaubhaftigkeitsbeurteilung den<br />

Beweis erbringen konnte, sagt Andreas Noll,<br />

nur mit umgekehrten Vorzeichen: «In solchen<br />

Fällen wird das Urteil dann stets auf schuldig<br />

lauten. Dadurch führt man zwar alle Vergewaltiger<br />

ihrer gerechten Strafe zu, bestraft jedoch<br />

gleichzeitig in zahlreichen Fällen auch vermehrt<br />

Unschuldige.» Das dürfe die Gesellschaft nicht<br />

ausblenden und auch nicht akzeptieren.<br />

Der Täter im Fall der Elsässerstrasse sitzt aktuell<br />

noch in Haft. Am 11. August 2021 hätte er<br />

eigentlich aus dem Gefängnis entlassen werden<br />

sollen. Weil er aber für unbezahlte Bussen aufkommen<br />

muss, verlängert sich seine Haftstrafe<br />

nun um sechzehn Tage. Unterdessen hat die<br />

Basler Staatsanwaltschaft ausserdem beantragt,<br />

den Mann so lange in Haft zu bewahren,<br />

bis das schriftliche Urteil publiziert wurde und<br />

entschieden ist, ob der Prozess weiter an das<br />

Bundesgericht gezogen wird. Das Gericht hat<br />

diesen Antrag abgelehnt.<br />

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<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


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#BaselNazifrei<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Wie in Basel<br />

Demonstrieren<br />

gefährlich wurde<br />

Im November 2018 organisierte die Pnos auf dem Messeplatz<br />

eine Kundgebung. Seither hagelt es Urteile. Vor Gericht: linke<br />

Demonstrant*innen. <strong>Bajour</strong> hat die Ereignisse eng begleitet. Zeit für<br />

eine Vogelschau in Zusammenarbeit mit der «Republik». Teil 1.<br />

Daniel Faulhaber<br />

Anja Conzett, «Republik»<br />

Die Gerichtsschreiberin verliest das Urteil hastig.<br />

Acht Monate, so viel ist klar, aber das entscheidende<br />

Wort geht im Tempo unter.<br />

Es ist etwas nach vier Uhr an einem Montagnachmittag<br />

im September 2020, und einen Moment<br />

lang ist es still im Saal des Strafgerichts<br />

Basel-Stadt. Neben der Angeklagten und dem<br />

Nebenangeklagten, den beiden Anwälten und<br />

drei Angehörigen sitzen noch drei Jus-Student*innen<br />

und zwei Journalist*innen im Raum.<br />

Am Ende ist es die Angeklagte selbst, die nachfragt:<br />

«Unbedingt?»<br />

«Unbedingt», sagt der Richter.<br />

Die Angeklagte lacht trocken.<br />

Für acht Monate soll die 28-jährige Frau ins Gefängnis.<br />

Ihr wird vorgeworfen, am 24. November<br />

2018 an einer Demonstration gegen eine<br />

Stand-Kundgebung der rechtsextremen Partei<br />

National Orientierter Schweizer (Pnos) teilgenommen<br />

zu haben. Es ist eine Gegendemonstration,<br />

die eskaliert. Im Zuge dessen werfen<br />

einige Teilnehmer*innen mit Bierflaschen und<br />

Steinen in Richtung der Polizei. Nicht die Angeklagte.<br />

Das hält das Urteil klar fest.<br />

Ihr wird keine aktive Gewalt an Personen oder<br />

Sachen vorgeworfen. Vermummt hat sie sich<br />

auch nicht. Vorbestraft ist sie ebenfalls nicht,<br />

und geständig ist sie auch, was die Teilnahme<br />

an der Demonstration betrifft.<br />

Aber was wird ihr denn überhaupt vorgeworfen,<br />

dass sie acht Monate ins Gefängnis muss?<br />

Dass sie anwesend war und sich nicht aus der<br />

Menge entfernt hat, als die Polizei sie dazu<br />

aufforderte.<br />

Acht Monate unbedingt.<br />

Was ist los in Basel?<br />

I<br />

DIE DEMONSTRATION<br />

Ende November 2018. Der Tag, der Basel auch<br />

noch Jahre später beschäftigen wird, ist ein<br />

kalter Tag, diesiges Licht. Und es ist einiges los.<br />

Auf dem Claraplatz, 200 Meter vom Messeplatz<br />

entfernt, demonstrieren LGBTIQ-Aktivist*innen<br />

gegen die SVP-Selbstbestimmungsinitiative.<br />

Auf dem Theaterplatz protestieren Gewerkschaften<br />

gegen Massenentlassungen der Novartis.<br />

In der Innenstadt findet der alljährliche<br />

Stadtlauf statt, der Weihnachtsmarkt feiert<br />

Eröffnung – und dazu kommen eine Standaktion<br />

der Pnos gegen den UNO-Migrationspakt<br />

auf dem Messeplatz sowie eine bewilligte<br />

Gegendemo gegen die Pnos, die einen halben<br />

Kilometer Luftlinie entfernt auf eine Wiese verschoben<br />

wurde.<br />

Und dann sind da noch jene Menschen, die dort<br />

gegen die Pnos demonstrieren wollen, wo sie<br />

auch wirklich ist.<br />

Ein Tag wie ein Pulverfass.<br />

Er fände es mutig, dass die Pnos-Aktion angesichts<br />

dieser Stressbelastung überhaupt bewilligt<br />

worden sei, sagte SP-Präsident Pascal<br />

Pfister. Seine Partei hatte, wie alle politischen<br />

Parteien mit Ausnahme der SVP, zur bewilligten<br />

Gegendemonstration auf der Dreirosenanlage<br />

aufgerufen.<br />

«Man darf nicht nur in den sozialen Medien<br />

‹schlimm, schlimm, schlimm› schreiben, aber<br />

öffentlich nichts gegen solches Gedankengut<br />

tun», begründet der FDP-Landrat Marc Schinzel<br />

seine Protest-Teilnahme gegenüber der «Basler<br />

Zeitung». «So einen Widerstand darf man<br />

nicht nur den Linken überlassen. Da müssen<br />

auch die Bürgerlichen auftreten.»<br />

In derselben Partei wie Schinzel sitzt auch<br />

Baschi Dürr, FDP-Regierungsrat des Kantons<br />

Basel-Stadt und Vorsteher des Justiz- und<br />

Sicherheitsdepartements. Dieses beurteilt,<br />

ob Demonstrationsgesuche bewilligt werden<br />

oder nicht.<br />

Die Juso fordert Dürr dazu auf, der den Neonazis<br />

nahestehenden Partei die erteilte Bewilligung<br />

wieder zu entziehen. Die rechtliche Grundlage<br />

dafür ist gegeben, wenn sich abzeichnet, dass<br />

die Situation aus dem Ruder laufen könnte.<br />

Es wäre auch nicht das erste Mal, dass Basel<br />

bereits gesprochene Bewilligungen wieder<br />

zurückzieht, wie ein Blick in die Statistik zeigt.<br />

48 49<br />

Doch offenbar fehlt der politische Wille. Polizeidirektor<br />

Dürr sagt rückblickend gegenüber<br />

dem SRF, er habe die Pnos-Kundgebung nicht<br />

einfach verbieten können: «Wir müssen immer<br />

abwägen zwischen dem Recht auf freie<br />

Meinungsäusserung und dem Versammlungsrecht<br />

einerseits und der öffentlichen Ordnung<br />

andererseits.»<br />

So kommt es an jenem 24. November am Basler<br />

Messeplatz zu skurrilen Szenen. <strong>Bajour</strong>-<br />

Reporter Daniel Faulhaber ist damals als Augenzeuge<br />

vor Ort.<br />

Eine Stunde, bevor die Pnos-Kundgebung offiziell<br />

angesagt ist, stehen eine Handvoll Rechtsextremer<br />

unter dem Messeturm und rauchen<br />

nervös Zigarette um Zigarette. Die Fahnen mit<br />

dem Parteisymbol, eine mit Spitzen bewehrte<br />

Lanze auf rot-weissem Grund, haben die Männer<br />

noch eingerollt. Und so ist der ihnen gegenüberstehenden,<br />

rasch wachsenden Gruppe von<br />

Gegendemonstrant*innen nicht ganz klar, wer<br />

hier zu wem gehört.<br />

↘ Wie Katz und Maus, nur dass es kein Spiel ist: Szenen während der Nazifrei-Demo auf der Rosentalanlage. (Foto: Roland Schmid)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Man beäugt sich, scannt Frisuren, Kleider, sucht<br />

Symbole verräterischer Zugehörigkeit. Aber in<br />

der Signallandschaft zwischen links und rechts<br />

sind die ehemals einschlägigen Token – Springerstiefel,<br />

Millimeterschnitt, Bomberjacke – schon<br />

lange keine verlässlichen Anhaltspunkte mehr.<br />

In diesen Minuten der Lager-Sortierung ist die<br />

Stimmung gespannt, Stress liegt in der Luft,<br />

während sich die Lücke zwischen der Pnos<br />

und der schnell wachsenden Gruppe auf der<br />

anderen Seite langsam verkleinert.<br />

Die Polizei hat offenbar gutschweizerisch mit<br />

einem pünktlichen Demonstrationsbeginn gerechnet.<br />

Weit und breit sind keine Beamt*innen<br />

zu sehen.<br />

Dann geht es schnell.<br />

Ein paar einzelne Gegendemonstrant*innen<br />

brechen aus der Masse aus und stürmen auf<br />

die Pnos zu. Beschimpfungen fliegen hin und<br />

her. Einige der Rechtsextremen weichen zurück,<br />

andere positionieren sich, als wollten sie<br />

sich tatsächlich auf einen Faustkampf mit der<br />

zahlenmässig weit überlegenen Masse einlassen.<br />

In diesem Augenblick hätte alles passieren<br />

können. Aber es bleibt bei diesem kurzen<br />

Tumult, als würden beide Seiten auf eine Art<br />

offizielles Startsignal warten.<br />

Kurz vor 14 Uhr, der Messeplatz ist längst rappelvoll,<br />

stürmt aus einer Seitengasse ein Polizeitrupp<br />

in Vollmontur heran und bildet eine<br />

Kette zwischen der Pnos und den Gegendemonstrant*innen.<br />

Die seltsam aufgekratzte Stimmung der Ratlosigkeit<br />

kanalisiert sich augenblicklich in routinierte<br />

Bahnen, als wäre endlich irgendein<br />

Fehler im Gesamtbild kaschiert. Als wären die<br />

späten Gäste einer Verabredung eingetroffen.<br />

Die Pnos-Anhänger*innen rollen die Fahnen<br />

aus. Die Gegner bringen ihre Transparente in<br />

der ersten Reihe in Stellung, der ganze Platz<br />

skandiert: «Basel nazifrei!» Und dazwischen<br />

die Polizei.<br />

Die Gegendemonstration ist noch grösser als<br />

erwartet. In den Anklage schriften der Staatsanwaltschaft<br />

wird später von 500 Menschen<br />

die Rede sein, aber das ist selbst konservativ<br />

geschätzt vollkommen unrealistisch. Die Medien<br />

einigen sich auf 2000 Teilnehmer*innen.<br />

Alle sind da, ein Mega-Bündnis zivilen Protests.<br />

Politische Verbände und Parteien, Leute mit<br />

Antifa-Fahnen, Kurd*innen, der Revolutionäre<br />

Aufbau, Familien mit Kindern, Student*innen<br />

und Schüler*innen. Auf den Polizeibildern wird<br />

man später sehen, dass viele ältere Menschen<br />

mitunter in der ersten Reihe vor den Polizist*innen<br />

standen.<br />

Hinter der Polizeikette ist kurz Baschi Dürr zu<br />

sehen. Er trägt einen Hut und einen grauen Mantel<br />

und will sich offenbar mit eigenen Augen ein<br />

Bild von der Situation machen. Dürr pflegt in<br />

Interviews zu sagen, er stehe für eine liberale<br />

Polizeitaktik, gebe nur die grosse Fluchtlinie<br />

vor. «Augenmass» ist einer seiner Lieblingsbegriffe.<br />

Im Einsatz aber, da entscheide im<br />

konkreten Fall jeweils der Einsatzleiter, was zu<br />

tun sei, sagt Dürr.<br />

Der Einsatzleiter entscheidet: Die Pnos wird<br />

durch einen engen Korridor auf die Rückseite<br />

des Messeturms auf einen Parkplatz geschleust<br />

und ausser Sichtweite der Gegendemonstration<br />

gebracht. Die Basler Polizei hat Unterstützung<br />

aus den Korps benachbarter Kantone sowie<br />

aus Zürich und Bern erhalten. Die uniformierten<br />

Beamt*innen riegeln die Pnos-Kundgebung<br />

ab, so gut es geht. Die Gegendemonstration<br />

versucht mehrmals, zur Pnos durchzudringen –<br />

vergeblich. Ein Helikopter kreist über der Stadt.<br />

Ein ziemliches Durcheinander.<br />

Zwei Stunden später kommt es auf der Kreuzung<br />

Mattenstrasse, Ecke Rosentalstrasse zur<br />

Eskalation.<br />

II<br />

DIE ESKALATION<br />

Die Polizei hat den Einsatz minutiös und aus<br />

verschiedenen Perspektiven gefilmt. Die Videoaufnahmen,<br />

die <strong>Bajour</strong> und der «Republik»<br />

vorliegen, sind das Hauptbeweismittel für die<br />

später einsetzende Strafverfolgung.<br />

Demonstrant*innen skandieren Parolen. Aus<br />

den Boxen des Demo-Soundwagens tönt Bob<br />

Marleys «Everything’s gonna be alright», der<br />

blecherne Reggae ist auf den Polizeiaufnahmen<br />

gut zu hören. Ein Absperrband markiert<br />

den Mindestabstand zur Polizeikette. Als es<br />

zu Boden fällt, bleiben die Demonstrant*innen<br />

hinter der gebotenen Linie. Alle bis auf einen.<br />

Ein einzelner Demonstrant torkelt vor der Linie<br />

hin und her, in der Hand hält er ein Bier, die<br />

Jacke sitzt ihm schief auf der Schulter. Er wirft<br />

den Demonstrant*innen hinter ihm Kusshände<br />

zu. Nach einer Weile lösen sich zwei Demonstrantinnen<br />

aus der Reihe, gehen zu ihm hin.<br />

Jetzt hört man die Stimme eines Polizeibeamten<br />

am Megafon. Was er sagt, ist auf der Aufzeichnung<br />

der Polizeikamera nicht ganz zu verstehen.<br />

Irgendetwas mit «zurück» oder «Schluss»?<br />

Dann ist plötzlich Chaos. Die Polizei feuert mehrere<br />

Salven Gummischrot in die Menschenkette.<br />

Über eine Minute lang knallt es ununterbrochen.<br />

Mit jedem Schuss fliegen 35 Gummiteile durch<br />

die Luft, «Schilder hoch!», ruft immer wieder ein<br />

Beamter, während weiter geschossen wird. Ein<br />

Demonstrant wird von einem Gummigeschoss<br />

im Gesicht getroffen und bleibt blutüberströmt<br />

auf der Strasse liegen – er trägt bleibende<br />

Schäden am Auge davon. Ein anderer blutet<br />

heftig aus der Stirn. Einige Demonstrant*innen<br />

suchen Schutz, wo sie können, ein kleiner Teil<br />

bleibt einfach stehen. Das Gummi prasselt auf<br />

Körper und Transparente, wie auf den Videos<br />

zu sehen ist.<br />

«Mittel sparen», ruft der Einsatzleiter immer<br />

wieder, und irgendwann «Stopp! Stooopp!»<br />

«Schilder hoch!», ruft der Einsatzleiter.<br />

«Achtung, Stein von rechts.»<br />

Tatsächlich: Nun fliegen Steine, Bierbüchsen und<br />

aufgehobenes Gummi schrot auf die Beamt*innen.<br />

Die Kamera der Polizei filmt hektisch hin<br />

und her, zoomt an Gesichter ran und wieder<br />

weg. Die Demonstrant*innen und die Polizei<br />

stehen sich noch eine ganze Weile gegenüber<br />

im zornigen Patt. Auf Umwegen können die<br />

Pnos-Anhänger*innen von der Polizei aus dem<br />

Hinterhof geschleust werden. Vereinzelt kommt<br />

es zu Scharmützeln zwischen Antifaschist*innen<br />

und Leuten von der Pnos. Um halb sechs<br />

am Abend beruhigt sich die Lage.<br />

III<br />

DIE STRAFVERFOLGUNG<br />

Danach setzt eine Strafverfolgung ein, wie sie<br />

Basel noch nicht gesehen hat. Mindestens 335<br />

Gigabyte Videomaterial werden ausgewertet,<br />

vor Ort wird an Flaschen, Bier büchsen und Steinen<br />

DNA sichergestellt. Daten banken werden<br />

angezapft, der Nachrichten dienst zurate gezogen,<br />

sogar Interpol wird ersucht, Auskunft<br />

über die Identität einzelner Teilnehmer*innen<br />

der Gegen demonstration zu geben.<br />

Es kommt zu Haus durchsuchungen in Basel,<br />

Baselland, Zürich, Luzern. Ende November 2019<br />

veröffentlicht die Staatsanwaltschaft gar die<br />

unverpixelten Fotos von 20 Demoteilnehmer*innen<br />

auf ihrer Website. Und ermittelt schliesslich<br />

gegen mehr als 60 Personen.<br />

Seit Juli 2020 laufen die Prozesse. Insgesamt<br />

hat die Staats anwaltschaft 38 Anklage schriften<br />

eingereicht. Allesamt fordern sie hohe Freiheitsstrafen<br />

– auch bei Menschen, die an jenem Tag<br />

einfach demonstriert und keine Gewalt angewendet<br />

haben.<br />

IV<br />

DER TATBESTAND<br />

Der Hauptanklagepunkt ist bei allen Fällen der<br />

Gleiche: Landfriedensbruch sowie Gewalt und<br />

Drohung gegen Beamte.<br />

Landfriedensbruch – Artikel 260 des Strafgesetzbuches<br />

– ist eine kleine Anomalie im<br />

Schweizer Strafgesetz. Grundsätzlich gilt im<br />

Rechtsstaat, dass man nur für Straftaten verurteilt<br />

werden kann, die man selbst begangen<br />

hat. Nicht so beim Landfriedensbruch: Wer an<br />

einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt,<br />

bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen<br />

oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden,<br />

wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei<br />

Jahren oder Geldstrafe bestraft.<br />

Landfriedensbruch trifft in der Regel Hooligans<br />

und Demonstrant*innen. Wichtig zu wissen, ist<br />

aber: Die blosse Teilnahme an einer Demonstration<br />

– auch an einer nicht bewilligten – lässt<br />

sich im Sinne der von der Verfassung garantierten<br />

Rechte auf freie Meinungsäusserung<br />

und Versammlungsfreiheit per se nicht juristisch<br />

verfolgen. Wenn aber einzelne Demonstrant*innen<br />

Gewalt anwenden, kann das unter<br />

dem Tatbestand des Landfriedensbruchs auch<br />

jenen angelastet werden, die danebenstehen,<br />

ohne selbst gewalttätig zu werden. «Letztlich<br />

kommt der Landfriedensbruch dann zum Zug,<br />

wenn der Strafverfolgung die Beweise für Gewaltakte<br />

fehlen», sagt Peter Albrecht, emeritierter<br />

Rechtsprofessor der Universität Basel und<br />

ehemaliger Gerichtspräsident des Strafgerichts<br />

Basel-Stadt. «Dabei sein genügt.»<br />

In anderen Worten: Statt im Zweifel für die*den<br />

Angeklagte*n, gelte beim Landfriedensbruch<br />

in dubio pro magistratu – im Zweifel für die<br />

Behörde. «Dagegen kann man sich nur schwer<br />

wehren», sagt Albrecht, der die jüngsten Entwicklungen<br />

in Sachen Landfriedensbruch mit<br />

einer gewissen Beunruhigung verfolgt.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

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<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

V<br />

DIE AUSLEGUNG<br />

Der Straftatbestand des Landfriedensbruchs<br />

stammt aus dem Mittelalter. Damals wurde er<br />

eingesetzt, um Verstösse gegen die Gesetze<br />

der herrschenden Monarch*innen zu ahnden.<br />

Die Monarchie ist längst verschwunden, der<br />

Landfriedensbruch präsent wie nie. Von 1990<br />

bis 1999 wurden gemäss Bundesamt für Statistik<br />

pro Jahr im Schnitt 43,8 Erwachsene verurteilt.<br />

Von 2000 bis 2009 waren es 136,2. Von 2010<br />

bis 2019 195,6 im Schnitt pro Jahr.<br />

Harte Strafen für Landfriedensbruch sind aber<br />

nach wie vor ungewöhnlich. So wurden 2015<br />

bei 186 Verurteilungen 152 Personen mit einer<br />

bedingten Geldstrafe bedacht. Das geht aus<br />

einer Motion hervor, die CVP-Ständerat Beat<br />

Rieder 2017 einreichte. Er forderte damals, dass<br />

der Landfriedensbruch zwingend mit Freiheitsstrafen<br />

einhergeht. Die Verschärfung des Gesetzes<br />

scheiterte am Nationalrat.<br />

In Basel scheint man das Ergebnis dieser Diskussion<br />

verpasst zu haben. Oder man will<br />

einfach neue Tatsachen schaffen: In den dreizehn<br />

Prozessen, die im Rahmen der Anti-Pnos-<br />

Demonstration geführt wurden, wurden fast<br />

ausschliesslich Freiheitsstrafen verhängt. Bislang<br />

nur eine unbedingt.<br />

Woher die Härte?<br />

In Basel werde immer repressiver gegen Demonstrant*innen<br />

vorgegangen, sagt Andreas Noll.<br />

Der Strafverteidiger vertritt Klient*innen in<br />

den laufenden Verfahren. Die Härte der Staatsanwaltschaft<br />

sei die eine Seite. «Das kann ich<br />

fast noch verstehen, das ist ihre Rolle», sagt<br />

Noll. «Aber manchmal habe ich wirklich das<br />

Gefühl, dass sich das Gericht als Teil der Strafverfolgungs<br />

behörde sieht.»<br />

Bei einem älteren Fall, den Noll behandelte –<br />

und bei dem es ebenfalls um Landfriedensbruch<br />

ging –, veranlasste die zuständige Richterin,<br />

dass zusätzliche DNA-Analysen gemacht würden,<br />

die zur Beweislast gegen den Angeklagten<br />

beitragen sollten. «Wenn Richter plötzlich Aufgaben<br />

der Staatsanwaltschaft übernehmen, ist<br />

das befremdlich.»<br />

Auch SP-Grossrat und Strafverteidiger Christian<br />

von Wartburg kritisiert den Umgang mit<br />

Artikel 260. Ihn stört vor allem, dass die Hürde,<br />

wegen Landfriedensbruchs verurteilt zu werden,<br />

sehr tief angesetzt wird.<br />

«In Deutschland wird der Tatbestand Landfriedensbruch<br />

auf die eigentlichen Gewalttäter<br />

eingeschränkt. In der Schweiz verlangte das<br />

Bundesgericht früher zumindest noch die Billigung<br />

der Gewalttätigkeiten», sagt von Wartburg.<br />

Gegenwärtig verlange das Bundesgericht<br />

jedoch keine manifeste Billigung mehr, sondern<br />

nur noch, dass die Person für den unbeteiligten<br />

Beobachter als Teil der Menge erscheint.<br />

Von Wartburg sieht in dieser Handhabung eine<br />

Bedrohung der Versammlungsfreiheit und der<br />

freien Meinungsäusserung: «Wer heute in Basel<br />

mit der Absicht aus dem Haus geht, friedlich<br />

zu demonstrieren, geht ein erhöhtes Risiko ein,<br />

am Ende des Tages eines schweren Vergehens<br />

bezichtigt zu werden.» Er fürchtet einen «Chilling-Effekt».<br />

VI<br />

DER RICHTER<br />

Nicht nur die Strafverteidiger äussern scharfe<br />

Kritik. Auch Peter Albrecht, der selbst über<br />

25 Jahre am Strafgericht Basel-Stadt Urteile<br />

sprach, hinterfragt die Verurteilung der jungen<br />

Frau zu acht Monaten Gefängnis. «Ein aus<br />

meiner Warte – ohne Akteneinsicht zu haben<br />

– hartes Urteil.»<br />

Zum Beispiel: Dass die Angeklagte in ihrem<br />

Schlussplädoyer die Teilnahme an der Anti-<br />

Pnos-Demo mit den Worten rechtfertigt, es<br />

sei notwendig, «gegen Nazis aufzustehen»,<br />

und ankündigt, das auch weiter zu tun, wird ihr<br />

vom Gericht als schlechte Prognose ausgelegt.<br />

Allein aus der Äusserung einer politischen Meinung<br />

eine Rückfallgefahr abzuleiten, hält Albrecht<br />

für falsch. Auch, dass der Richter bei der<br />

mündlichen Urteilsbegründung ein laufendes<br />

Verfahren gegen die Frau anführte, kritisiert<br />

der alt Richter scharf: «Freiheitsrechte und die<br />

Unschuldsvermutung sind elementare Grundsätze<br />

unseres liberalen Rechtsstaates. Solange<br />

jemand nicht verurteilt ist, gilt er als unschuldig.<br />

Punkt.»<br />

Albrecht war während seiner Zeit als Richter<br />

über die Kantonsgrenzen hinaus dafür bekannt,<br />

dass er die Anklage der Staatsanwaltschaft immer<br />

sehr kritisch untersuchte. Seine liberalen<br />

Urteile haben ihn bei den Straf verfolgungs behörden<br />

nicht beliebt gemacht, heisst es. Albrecht sagt: «Vielleicht<br />

habe ich es punkto Beweiswürdigung genauer<br />

genommen als andere – ich habe sicher nie blind der<br />

Polizei geglaubt. Im Zweifel immer für den Angeklagten.»<br />

Besonders bei Anklagepunkten wie Landfriedensbruch<br />

und Gewalt und Drohung gegen Beamte werde er hellhörig.<br />

«Da habe ich schon oft Zweifel gehabt, ob die<br />

Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Staatsanwaltschaft<br />

und der Polizei wirklich genügend ausgeprägt<br />

ist», sagt er. Seine Kritik am Urteil gegen die<br />

28-Jährige hatte Albrecht auch unmittelbar nach dem<br />

Prozess in einem Artikel in der «bz Basel» geäussert.<br />

Der verantwortliche Richter, René Ernst, SP, rechtfertigte<br />

daraufhin sein Urteil in der «Basler Zeitung»<br />

in einem ausführlichen Interview. Unter anderem mit<br />

den Worten: «Sie (die Angeklagte) ist in dieser Szene<br />

bekannt und hat etwas zu sagen.»<br />

Weiter sagte Ernst: «Ich kann akzeptieren, dass das<br />

Urteil oder die Strafhöhe oder die Frage, ob ein Prozess<br />

unbedingt nötig war, diskutiert werden. Aber<br />

wenn der Schuldspruch grundsätzlich infrage gestellt<br />

wird – da sollte man sich schon mit den Fakten besser<br />

vertraut machen.»<br />

Besonders der letzte Satz hinterlässt bei einigen Strafverteidiger*innen<br />

in der Prozessreihe, darunter auch<br />

Noll und von Wartburg, mehr als einen bitteren Beigeschmack.<br />

Als Replik haben sie einen offenen Brief<br />

in der «Basler Zeitung» und bei <strong>Bajour</strong> veröffentlicht.<br />

Richter Ernst, so das Schreiben, nehme mit seinen Äusserungen<br />

eine Bewertung der Gegendemonstration als<br />

Ganzes vor, was einer Vor verurteilung der übrigen Angeklagten<br />

gleichkäme. Und da Ernst auch amtierender<br />

Gerichtspräsident ist, müsse davon ausgegangen werden,<br />

dass es sich dabei um die Haltung des Gesamtgerichts<br />

handelt. «Ein solches Vorpreschen während<br />

laufender Strafverfahren ist beispiellos.»<br />

Die Verteidiger*innen verlangen mit Berufung auf den<br />

Verdacht der Befangenheit, dass ein anderes Gericht<br />

die Prozesse weiterführt. Im Basler Stadtkanton bedeutet<br />

das, dass ein anderer Kanton die Verfahren<br />

übernehmen müsste.<br />

Das Gericht lehnt die Forderung ab. Das war zu erwarten.<br />

Es erklärt aber nicht, warum das Strafgericht<br />

Basel-Stadt so harte Strafen verhängt.<br />

Ein möglicher Grund ist der sogenannte Anchoring-Bias.<br />

Mehrere Studien haben festgestellt, dass die Höhe<br />

der Strafforderung der Staatsanwaltschaft einen Einfluss<br />

auf das Urteil hat – je härter die Forderung, desto<br />

härter das Urteil.<br />

«Wer heute in Basel<br />

mit der Absicht<br />

aus dem Haus<br />

geht, friedlich zu<br />

demonstrieren,<br />

geht ein erhöhtes<br />

Risiko ein, am Ende<br />

des Tages eines<br />

schweren Vergehens<br />

bezichtigt zu<br />

werden.»<br />

Christian von Wartburg, Anwalt<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

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VII<br />

DIE ESKALATIONSSPIRALE<br />

«Als Richter will man immer auch verhindern,<br />

dass gegen ein Urteil Berufung eingelegt wird<br />

– egal ob von Seiten der Angeklagten oder des<br />

Staatsanwaltes», sagt Andreas Noll.<br />

Sollte das tatsächlich eine Strategie des Strafgerichts<br />

Basel-Stadt sein, ist sie in der Prozessreihe<br />

bemerkenswert erfolglos. Selbst wenn die<br />

Richter*innen harte Strafen verhängen, legt die<br />

Staatsanwaltschaft Berufung ein – sogar beim<br />

Urteil acht Monate unbedingt. Die Forderung der<br />

Staatsanwaltschaft: zwölf Monate unbedingt.<br />

Noll erklärt sich die Härte des Gerichts auch<br />

noch anderweitig: «Die Richter sind es doch<br />

leid und müde, immer wieder über Landfriedensbrüche<br />

zu urteilen. Vielleicht versprechen<br />

sie sich von den harten Urteilen, dass endlich<br />

mal Ruhe ist in Basel.»<br />

Wer mit Szene- und Justizkenner*innen aus<br />

Basel spricht, hört immer wieder: Es ist eine<br />

Eskalationsspirale in Gang, die sich immer tiefer<br />

in die Stadt schraubt. Wann das anfing, darüber<br />

gehen die Meinungen auseinander. Manche<br />

sagen, der Auslöser war der sogenannte<br />

Favela-Protest.<br />

Im Mai 2013 baut der Künstler Tadashi Kawamata<br />

im Rahmen der Art Basel ein «Favela Café»<br />

in Elendsviertel-Optik. Ungefähr 100 Personen<br />

protestieren gegen die als geschmacklos empfundene<br />

Kunstinstallation und feiern eine Party,<br />

direkt daneben. Die Polizei stürmt die feiernde<br />

Gruppe und stellt die Musikanlage sicher, setzt<br />

dabei Gummischrot und Pfefferspray ein. Verhaftungen<br />

gibt es keine.<br />

Eine Chronologie der Eskalation<br />

Das Folgende ist eine Auswahl von Versammlungen,<br />

die seit dem Favela-Protest in Basel zu<br />

Polizeieinsätzen, Verhaftungen oder Strafverfahren<br />

geführt haben.<br />

Mai 2014, die Pappteller-Affäre: Als Erinnerung<br />

an den Favela-Protest wollen Kunststudent*innen<br />

während der Art Basel eine Menschenkette<br />

bilden und mit Papptellern vor dem Gesicht an<br />

den «willkürlichen Polizeieinsatz» erinnern. Die<br />

Polizei verbietet die Aktion, und als dann trotzdem<br />

mehrere Menschen mit Papptellern in der<br />

Nähe des Messeplatzes auftauchen, werden sie<br />

von der Polizei kontrolliert und in Untersuchungshaft<br />

gebracht. Sie müssen sich ausziehen und<br />

ihnen wird DNA entnommen. Im Februar 2017<br />

kommt das Appellationsgericht zum Schluss,<br />

die Polizei habe unverhältnismässig gehandelt.<br />

März 2016, der Matthäuskirchen-Eklat: Im<br />

Rahmen des Kirchenasyls, das Flüchtlingen<br />

von der Matthäuskirche vorübergehend gewährt<br />

wird, kommt es zu einer unbewilligten<br />

Demonstration, die schliesslich blockiert wird.<br />

Die Polizei setzt Gummischrot und Tränengas<br />

ein. Eine über 60-jährige Demonstrantin wird<br />

von einem Polizeigeschoss am Kopf getroffen<br />

und leicht verletzt.<br />

April 2016, der Plattformkrawall: Nach einem<br />

Spiel des FC Basel gegen den FC Zürich kommt<br />

es vor dem Stadion zu Ausschreitungen, die<br />

Polizei schiesst Gummischrot, ein unbeteiligter<br />

Mann verliert das Augenlicht. Es kommt<br />

zu einem Verfahren gegen den Schützen, bei<br />

dem der Polizist mit Hinweis auf Notwehr freigesprochen<br />

wird.<br />

Juni 2016, «Basel 18»: Bei einer unbewilligten<br />

Demonstration gegen «Rassismus, Repression,<br />

Vertreibung und Gentrifizierung» kommt es<br />

zu diversen Sach beschädigungen. In einem<br />

aufsehenerregenden Sammelprozess gegen<br />

18 mutmassliche Teilnehmer*innen der Demo<br />

wird gegen alle dieselbe Anklage erhoben. Das<br />

Gericht verurteilt 15 von ihnen zu Freiheitsstrafen<br />

wegen qualifizierter Sachbeschädigung,<br />

Landfriedensbruch, Gewalt gegen Beamte und<br />

weiterer Delikte.<br />

Januar 2018, die Homeparty-Räumung: Die<br />

Polizei stürmt eine private Party mit dem Einsatz<br />

von zwei VW-Bussen, fünf Fahrzeugen und<br />

zwanzig Beamten. Der Vorwurf: Ruhestörung.<br />

Die Anwesenden seien vorwiegend «der Partyszene<br />

und teilweise der linksextremen Szene<br />

zuzuordnen», sagt der Polizeisprecher später.<br />

Fünf Personen verbringen bis zu 36 Stunden<br />

in einer Polizeizelle. Ihnen wird DNA entnommen.<br />

Sie müssen wegen Gewalt und Drohung<br />

gegen Behörden und Beamte und Hinderung<br />

von Amtshandlungen vor Gericht<br />

Mai 2020, Tag der Arbeit: Trotz der Corona-<br />

Verordnung des Bundes, wonach Menschenansammlungen<br />

mit mehr als 5 Personen verboten<br />

sind, zieht eine unbewilligte Demo mit rund 300<br />

Menschen durch die Stadt. Die meisten wahren<br />

Abstand, viele tragen Maske. Die Polizei greift<br />

zunächst nicht ein, kontrolliert danach aber<br />

diverse Personen in den Strassen und Seitengassen<br />

Kleinbasels und verurteilt 45 per Strafbefehl<br />

zu Geldstrafen von über 1600 Franken.<br />

Juni 2020, 1 Jahr feministischer Streik: Ein Jahr<br />

nach dem grossen, schweizweiten feministischen<br />

Streik findet in Basel eine kleine, Covid-bedingt<br />

unbewilligte Demo statt. Die Polizei kesselt die<br />

vornehmlich weiblichen Demonstrant*innen auf<br />

einer Brücke ein, fotografiert und büsst jede*n<br />

einzelne*n Teilnehmer*in mit 100 Franken. Die<br />

Basler Nationalrätin Sibel Arslan versucht zu<br />

vermitteln. Als das nicht effizient genug gelingt,<br />

wird sie von der Polizei am Arm gepackt<br />

und davongeführt.<br />

Juli 2020, Staatsanwaltschafts-Protest: Nachdem<br />

die Anklageschriften in den Basel-nazifrei-<br />

Prozessen verschickt sind, kommt es vor den<br />

Büros der Staatsanwaltschaft zu einer Demonstration,<br />

an der rund 100 Personen teilnehmen.<br />

Die Polizei greift ein, führt Personenkontrollen<br />

durch, die Demonstrant*innen bleiben friedlich.<br />

Im Herbst erhalten sie trotzdem Vorladungen.<br />

Ihnen wird vorgeworfen, sich nicht auf Geheiss<br />

der Polizei entfernt zu haben. Beobachter*innen<br />

schildern aber, dass die Demonstrant*innen<br />

so eingekesselt wurden, dass sie sich gar<br />

nicht entfernen konnten.<br />

Strafverteidiger Andreas Noll attestiert der<br />

Staatsanwaltschaft einen «gewissen Übereifer»,<br />

wenn es um linke Demonstrationen geht: «Das<br />

ist auch in Bezug auf Personalaufwand und<br />

Ermittlungskosten eine Frage der Verhältnismässigkeit.»<br />

Die regelmässigen Zusammenstösse von Strafverfolgung<br />

und Demonstrant*innen in Basel<br />

werden polizeiintern als Katz-und-Maus-Spiel<br />

bezeichnet, wie ein Beamter Noll gegenüber<br />

explizit erklärt haben soll. «Die Polizei und die<br />

Staatsanwaltschaft fühlen sich provoziert. Es<br />

ist, als ob sie glaubten, die Demonstranten gingen<br />

jeweils nur auf die Strasse, um ihnen Ärger<br />

zu machen», so Noll.<br />

Leistet sich die Basler Straf verfolgung also auf<br />

Kosten der Steuerzahler*innen eine Privatfehde<br />

mit einem Teil der Zivilbevölkerung? Und wenn<br />

ja – was bedeutet das für Basel, wenn jene Behörde,<br />

bei der das Gewaltmonopol liegt, sich<br />

so gebärdet?<br />

VIII<br />

DIE KONTROLLEURE<br />

Das Departement für Justiz und Sicherheit<br />

Basel-Stadt nimmt schriftlich dazu Stellung:<br />

«Die Kantonspolizei hält die Meinungsfreiheit<br />

hoch und ermöglicht, wann immer es geht, die<br />

Durchführung von Demonstrationen. (...) Nur<br />

ganz wenige Kundgebungen werden nicht bewilligt<br />

oder führen zu polizeilichen Interventionen.<br />

Gleichbleibend ist weiter auch der Auftrag,<br />

Delikte im Rahmen von Kundgebungen (zum<br />

Beispiel Sachbeschädigungen) zu verhindern<br />

oder zu verzeigen. Welchem politischen oder<br />

anderweitigen Milieu mutmassliche Täter zugehören,<br />

spielt dabei keinerlei Rolle.»<br />

Ob die Polizei sich jeweils korrekt verhalte, könne<br />

er nicht beurteilen, sagt alt Richter Albrecht.<br />

«Das müsste untersucht werden.»<br />

Es ist eine alte Frage: Wer kontrolliert die Kontrolleur*innen?<br />

Im Fall der Nazifrei-Demonstration wurde Anzeige<br />

gegen die Polizei und den Mitteleinsatz<br />

erstattet. Die Anzeige ist bei der Staatsanwaltschaft<br />

hängig, der Ausgang unklar. Die Erfahrung<br />

zeigt aber: Sich in Basel bei der Staatsanwaltschaft<br />

über die Polizei zu beschweren,<br />

kann für Demonstrant*innen gefährlich werden.<br />

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<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

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<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Unterwegs mit dem Stadtreiniger<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

«Am schlimmsten<br />

sind die Zigistummel»<br />

Abfall liegen zu lassen, ist einfach. Ihn wegzuwischen,<br />

braucht eine lockere Hand und den richtigen Dreh.<br />

Stadtreiniger Patrick hat uns gezeigt, wie es geht.<br />

Pauline Lutz<br />

So peinlich! Diese Reportage beginnt wie eine<br />

schlechte amerikanische Serie: Akademisiertes<br />

Stadtgirl will sich endlich mal die Hände<br />

schmutzig machen und was Richtiges schaffen,<br />

nämlich die Strassen putzen. Und dann:<br />

Verschlafen!<br />

Es ist Sonntagmorgen, 9 Uhr: Ich wache panisch<br />

auf. Shit. Um 6.45 Uhr hätte meine Tour<br />

mit der Stadtreinigung begonnen. Am Sonntag<br />

hat die Putzequipe immer besonders viel<br />

zu tun – die Basler*innen haben frei und verbringen<br />

ihn mit Bier und Take-away am Rhein<br />

und in den Pärken.<br />

Die Stadtreiniger*innen haben nachher das Geschenk:<br />

Abfall überall, überfüllte Solarkübel –<br />

und obendrauf noch Politiker*innen und Journis,<br />

die Abfallbilder posten und sich enervieren.<br />

Wir wollen wissen: Wer sind die Leute, die<br />

unsere Stadt immer wieder aufräumen? Und<br />

haben uns zum Dienst gemeldet. Der Teamleiter<br />

nimmt mein Verschlafen unbeeindruckt<br />

zur Kenntnis. Ich bekomme am Montagmorgen<br />

eine zweite Chance.<br />

Viertel vor sieben, Wettsteinbrücke. Mein Job<br />

für diesen Morgen: die Strasse wischen. Zusammen<br />

mit Patrick.<br />

Patrick Esen ist gross, muskulös, braungebrannt<br />

(sorry, das tönt wie ein Klischee, ist aber so).<br />

Er arbeitet seit zwölf Jahren bei der Stadtreinigung,<br />

seit zehn Jahren ist er fest angestellt.<br />

Er erklärt mir, wie ich den Abfall auf die Strasse<br />

wischen muss. Die kleinen strombetriebenen Wägelchen<br />

der Stadtreinigung können nicht überall<br />

putzen. Wir müssen ihnen helfen. Zwischen den<br />

Autos hindurch. Bierdosen von Fensterbänken<br />

nehmen. Alles muss auf die Strasse gewischt<br />

werden, wo das Abfallwägelchen durch kann.<br />

Am schlimmsten sind die Zigarettenstummel.<br />

Sie sind überall. Sie stecken in den Ritzen der<br />

Kopfsteinpflaster. Kleben an nassen Stellen am<br />

Boden. Keine einzige Strasse ohne Zigistummel.<br />

Mein Besen-Game ist nicht besonders gut.<br />

Patricks Besen-Game ist on point, er macht<br />

Drehbewegungen, die Sinn ergeben. Ich bin<br />

verschwitzt, meine Hände tun mir weh. Ich<br />

halte den Besen zu stark. «Du musst ihn ganz<br />

locker in deiner Hand liegen haben.» Doch mein<br />

Wischwerkzeug macht, was es will.<br />

Patrick würde gerne mal eine Strasse entlanggehen<br />

und Zigarettenstummel zählen. Und das<br />

dann gross veröffentlichen. Die Abfallsensibilisierungskampagnen,<br />

welche die Behörden<br />

durchführen, findet er zwar schon auch gut,<br />

doch das genüge nicht. Es müsse mehr gebüsst<br />

werden, «von Polizei in Zivil». Tatsächlich ist die<br />

Busse für einen weggeworfenen Zigistummel<br />

80 Franken hoch. Und auch Polizist*innen sowie<br />

vier Abfallkontrolleur*innen sind unterwegs.<br />

Allerdings gibt es wenig Bussen: Im Jahr 2020<br />

sprachen die Behörden insgesamt 230 Bussen<br />

wegen Littering aus.<br />

Doch sie werden dem Abfall nicht Herr genug,<br />

findet die SVP. Grossrat Joël Thüring hat im<br />

Frühling 2021 eine Motion für ein «Massnahmenpaket<br />

Sauberkeit» eingereicht, denn: «Die<br />

Stadtreinigung stösst an ihre Grenzen», argumentierte<br />

Thüring. Doch die knappe Mehrheit<br />

des Grossen Rats lehnte den Vorstoss ab. Sie<br />

fürchtete mehr Repression und fand, ein paar<br />

blaue Container mehr aufzustellen, sei genug<br />

des Guten.<br />

«Die Leute unterschätzen, was die Stadtreinigung<br />

für eine Arbeit leistet.»<br />

Zigistummel-Bussen, Abfallpolizei: Patrick<br />

überlegt sich lauter Strategien, um die Bevölkerung<br />

zu Sauberkeit zu erziehen. Auch für<br />

diesen Artikel hat er Ideen und sagt zu mir:<br />

«Weisst du, du musst ganz viele Bilder zeigen,<br />

die wirklich schlimm sind.» Er lacht. «Schade,<br />

dass du gestern nicht dabei warst! Gestern<br />

56 57<br />

↓ Seit zwölf Jahren sorgt Patrick für eine saubere Stadt. (Foto: Pauline Lutz)<br />

war es schrecklich. Der Sonntagmorgen nach<br />

einem warmen Samstagabend, das ist unvorstellbar.»<br />

Er zeigt mir Bilder von Abfallbergen<br />

in der Steinenvorstadt.<br />

Patrick ist stolz auf seinen Beruf. Für ihn ist<br />

aber auch klar: Die Bewohner*innen müssen<br />

mithelfen, damit die Stadt sauberer wird. Sonst<br />

klappt es nicht. Viele würden sich das Recht<br />

rausnehmen, Dreck zu machen: «Diese Leute<br />

denken: Ach ja, unsere Stadt, die wird ja sowieso<br />

geputzt.» Von Seiten der Stadtreinigung könne<br />

man nicht mehr machen, als schon getan wird.<br />

«Es sind Abfalleimer überall!»<br />

Patrick unterbricht sich, um jemandem zuzuwinken.<br />

«Salut.» Er scheint die halbe Stadt zu<br />

kennen.<br />

Ich wische gerade um ein Auto herum und linse<br />

mal wieder auf die Uhr. Es ist halb zwölf, die<br />

Sonne brennt. Patrick hat mich durchschaut:<br />

«Um zwölf ist Mittag.» Wir laufen langsam zum<br />

<strong>Magazin</strong> unter der Wettsteinbrücke zurück. Einige<br />

Stadtgärtner laufen uns entgegen. Patrick<br />

nervt sich: «Die dürfen jetzt bei der Hitze wieder<br />

kurze Hosen anziehen.» Die Stadtreinigung<br />

darf das nicht. Hygienevorschriften und so.<br />

Im <strong>Magazin</strong> unter der Wettsteinbrücke kommen<br />

zum Essen wieder alle Teams zusammen. Es<br />

ist eine grosse Männergruppe, jeder isst viel.<br />

Grosse Znüniboxen mit Bergen von Essen, in<br />

der Mikrowelle aufgewärmt. Sie reden über den<br />

Fussballmatch am Abend, tippen auf Frankreich.<br />

«Aber man weiss nie.» Nein, man weiss<br />

noch nicht, dass die Schweiz Fussballgeschichte<br />

schreiben wird.<br />

Neben mir sitzt ein Mann, der schon lange bei<br />

der Stadtreinigung ist, wie Patrick. Er erzählt<br />

von seinem vierzehnjährigen Sohn: «Er ist im<br />

P-Zug [für hohe Anforderungen] und hat gute<br />

Noten. Vielleicht geht er aufs Gymnasium.»<br />

Sein Vater hofft darauf: «Mein Sohn könnte<br />

mal einen guten Job haben.»<br />

Ist der Job bei der Stadtreinigung nicht so gut?<br />

«Doch, schon. Und ich mag ihn auch gerne, das<br />

Team ist gut. Aber es ist dreckig. Du musst jeden<br />

Tag den Abfall anderer Leute einsammeln. Ich<br />

hoffe einfach für ihn, dass er mal das machen<br />

kann, was er will.»<br />

Dann fragt er mich: «Kannst du töggelen? Egal,<br />

ich kanns auch nicht gut, wir machen zusammen<br />

ein Team.» Wir gehen zum Töggelikasten<br />

in einer Ecke des <strong>Magazin</strong>s. Natürlich spielt er<br />

extrem gut. Wir verlieren knapp, meine Schuld.<br />

Bevor wir uns verabschieden, gibt mir Patrick<br />

noch einen letzten Gedanken mit auf den Weg:<br />

«Die Leute unterschätzen, was die Stadtreinigung<br />

für eine Arbeit leistet.» In Neapel habe<br />

die Stadtreinigung einmal gestreikt. Der Müll<br />

stapelte sich, Ratten suchten die Stadt heim.<br />

Patrick würde nie streiken. Er mag seine Arbeit.<br />

Und er weiss: Die Stadt braucht ihn.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Gärngschee macht satt<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

«Hier habe ich nicht<br />

das Gefühl, eine<br />

Bettlerin zu sein»<br />

Menschen, die nicht so viel haben im Leben, finden Hilfe bei der<br />

Lebensmittelabgabe von Gärngschee. Dort bekommen sie das Nötigste für<br />

den Alltag. Wie geht es diesen Menschen? Wir haben mit ihnen gesprochen.<br />

Ina Bullwinkel<br />

Ein Samstag im Oktober, es ist zwanzig vor<br />

zwölf und beim Hinterhof im Clarahofweg 15<br />

hat sich schon eine kleine Schlange gebildet.<br />

Menschen mit Einkaufstrolley stehen hier und<br />

warten, dass es losgeht.<br />

So sieht das jeden Samstag aus, seit der gemeinnützige<br />

Verein Gärngschee seine Lebensmittelabgabe<br />

organisiert. Menschen, die nicht<br />

so viel haben im Leben, dürfen hier Gemüse,<br />

Teigwaren, Milch, Pflegeprodukte und einfach<br />

das Nötigste für den Alltag abholen.<br />

Und das Angebot ist beliebt. Meist kommen 50<br />

bis 60 Familien, sagt Tijana, die Gärngschee-<br />

Tätschmeisterin. Ihr ist es wichtig, wie mit den<br />

Menschen umgegangen wird, deswegen spreche<br />

sie ganz bewusst vom Einkaufen und nicht von<br />

Lebensmittelabgabe. «Die Leute kaufen hier ein,<br />

so wie auch ich am Samstag einkaufen gehe.»<br />

Die Leute, das sind Menschen, bunt gemischt<br />

durch fast alle Altersklassen, aber die meisten,<br />

die herkommen, sind schon älter oder müssen<br />

eine Familie versorgen. Wir haben mit einigen<br />

von ihnen gesprochen, um zu hören, was ihnen<br />

die Lebensmittelabgabe bedeutet und wie es<br />

ist, mit wenig Geld auskommen zu müssen.<br />

Susanne, 62, und Michele, 52<br />

Susanne und ihr bester Freund Michele kommen<br />

regelmässig zur Lebensmittelabgabe. Es<br />

ist aber das erste Mal, dass sie sie bei der neuen<br />

Ausgabestelle am Clarahofweg einkaufen. Sie<br />

freuen sich am meisten über das Gemüse, Brot,<br />

Teigwaren, Joghurt und Milch – also so gut wie<br />

alles, was sie bekommen. Susanne muss einen<br />

5-Personen-Haushalt versorgen, Michele lebt<br />

zu dritt in der Wohnung.<br />

Susanne erhält IV und eine Witwenrente, die<br />

zurzeit allerdings teilweise gepfändet werde,<br />

sagt sie. Michele arbeitet als Gärtner, musste<br />

aber nach einer Trennung Schulden übernehmen<br />

und lebt deshalb am Existenzminimum.<br />

Sein Lohn reicht nicht, um alle monatlichen<br />

Ausgaben zu decken.<br />

«Hier gibt es von allem etwas», sagt Susanne.<br />

Zum Beispiel auch Hygienemasken, von denen<br />

man im Moment täglich welche braucht. Susanne<br />

mag, dass es bei der Lebensmittelabgabe<br />

so familiär zugeht. «Bei Gärngschee sind nette<br />

Leute wie Sandie und Tijana. Man schreibt sich<br />

auch sonst mal.»<br />

«Wir sind sehr dankbar, dass es die Lebensmittelabgabe<br />

gibt», sagt Michele.<br />

René, 61<br />

ist ein freundlicher Mann, der gern ein wenig<br />

plaudert. Während er erzählt, raucht er einen<br />

Zigarillo, den er zwischendurch immer wieder<br />

neu anstecken muss. Wie die meisten hier ist<br />

er ein alter Hase bei der Lebensmittelabgabe.<br />

«Ich nehme am liebsten Früchte mit oder Sachen,<br />

die andere nicht so gerne mögen, Peperoni<br />

zum Beispiel.» Heute habe er auch eine<br />

Flasche roten Essig ergattert. Süsses nimmt er<br />

nicht mit, wegen eines Magenbypasses dürfe<br />

er kaum Zucker essen.<br />

René wird von der Sozialhilfe unterstützt. Er<br />

lebt in einer WG, um Geld zu sparen. Weil er<br />

nicht alleine wohnt, wird ihm der Grundbedarf<br />

gekürzt, so wie es auch bei Verheirateten der<br />

Fall ist. Das empfindet er als grosse Ungerechtigkeit.<br />

«Dadurch habe ich 250 Franken weniger<br />

im Monat. Die Lebensmittelabgabe ist da<br />

eine grosse Hilfe.» Wegen seines Bypasses sei<br />

es wichtig, dass er sich gesund ernährt. «Hier<br />

bekomme ich genug Gemüse und Früchte.»<br />

René erzählt, er kenne Sandie von früher. Zu<br />

Weihnachten habe sie ihn dann auf die Geschenk-<br />

Aktion von Gärngschee aufmerksam gemacht.<br />

René strahlt: «Das Hemd, das ich trage, habe<br />

ich damals bekommen.» Auf seinen Wunschzettel<br />

hatte er damals Kleidung und einen<br />

Reisegutschein geschrieben, um seine Eltern<br />

endlich mal wieder in Interlaken besuchen zu<br />

können. Beide Wünsche hat die Gärngschee-<br />

Community ihm erfüllt. Die Dankbarkeit sieht<br />

man ihm heute noch an. Inzwischen hilft René<br />

selbst bei Gärngschee mit – als Moderator bei<br />

der Facebook-Gruppe.<br />

Besonders stolz ist René auf seine Hundedame<br />

Amy, auf seiner Mütze steht «Dog Dad». Sie<br />

lässt sich gern von den anderen Menschen in<br />

der Schlange streicheln und spielt zwischendurch<br />

mit den braunen Blättern am Boden.<br />

René kommt nicht nur wegen der Lebensmittel<br />

her. «Hier sind Freundschaften entstanden, die<br />

setzen sich für mich ein.» Gemeint sind Sandie<br />

und Tijana. «Seit ich Gärngschee kenne, hat<br />

sich viel zum Guten gewendet.» Mit manchen<br />

verabrede er sich zwischendurch auf einen<br />

Kaffee, «um zu besprechen, was meine Seele<br />

bedrückt». Andersherum gehe er mit anderen<br />

mit seiner Hündin spazieren, «damit sie mal<br />

abgelenkt sind von ihren täglichen Sorgen».<br />

Auch für René ist das Einkaufen in Deutschland<br />

ein wichtiger Bestandteil, um seinen Alltag zu<br />

bestreiten. «Ich wohne direkt an der Grenze und<br />

brauche nur 20 Minuten zum nächsten Laden.»<br />

Im Shutdown sei es besonders schwierig für ihn<br />

gewesen, da er auf eine gesunde Ernährung<br />

achten muss – und das ist mit einem knappen<br />

Budget gar nicht so einfach. «Mit Magenbypass<br />

muss man mehr Proteine zu sich nehmen. Dieser<br />

Mehrbedarf wird nicht von der Sozialkasse<br />

übernommen.» René sagt, wenn er für 60 Franken<br />

in Deutschland einkaufe, komme er damit<br />

für eine Woche aus – Hundefutter nicht mitgerechnet.<br />

Er kaufe zum Beispiel oft Härdöpfel<br />

im Angebot in Deutschland. Fünf Kilogramm<br />

würden dann einen Monat lang für ihn reichen.<br />

Renés Rucksack ist vollgepackt. Den kleinen<br />

58 59<br />

Rest von seinem Zigarillo drückt er aus und<br />

stopft ihn zurück in die Packung. Er schnallt<br />

seinen Wanderrucksack an der Hüfte zusammen,<br />

schnappt noch eine kleine Tüte mit Lebensmitteln<br />

und die Hundeleine und macht sich<br />

mit Amy auf den Weg.<br />

Liz, 61<br />

Mit ihrem Mann lebt sie von IV und AHV ohne<br />

Ergänzungsleistungen. Vom Sozialamt wollen<br />

sie nicht abhängig sein. «Selber zu helfen, ist<br />

mir wichtiger als die Abgabe. Ich bin sehr froh<br />

über die Lebensmittel, aber in erster Linie geht<br />

es mir darum, einen Beitrag für ein gesellschaftliches<br />

Problem zu leisten.»<br />

Liz ist 61 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Sie und<br />

ihr Mann haben ein Auto, dadurch können sie in<br />

die Stadt fahren und helfen dabei, die übrig gebliebenen<br />

Lebensmittel am Ende zum Tierpark<br />

Lange Erlen oder zum Soup&Chill zu bringen.<br />

Im ersten Shutdown hat Liz Hilfe über die Gärngschee-Gruppe<br />

auf Facebook bekommen. Sie<br />

brauchte damals jemanden, der oder die ihr<br />

einmal die Woche eine Spritze setzt, weil sie<br />

dafür nicht mehr ins Spital gehen konnte und<br />

die Spitex nicht vorbeikam. Zwei ausgebildete<br />

Pflegefachfrauen haben ihr dann regelmässig<br />

geholfen. «Ich war gottedankbar. Das waren<br />

unsere Corona-Engel von Gärngschee.»<br />

Am meisten freut sie sich über die frischen Sachen<br />

bei der Lebensmittelabgabe, sagt sie, Gemüse<br />

und Früchte, Milch und Käse. «Ah, super,<br />

merci», Tijana hat ihr zwei Packungen Hygienemasken<br />

eingepackt. Eine andere Frau hat<br />

keine Packung mehr abbekommen, also gibt<br />

Liz ihr eine von sich ab. «Oh, ihr seid toll!», ruft<br />

Tijana, als sie das mitbekommt. Liz schmunzelt<br />

und zuckt mit den Schultern: «Auch das ist<br />

Gärngschee.»<br />

Susanne, 62, und Michele, 52 René 61 Liz 61<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Gärngschee macht glücklich<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

«Das ist voll der<br />

Hammer!»<br />

Der <strong>Bajour</strong>-Community ist es gelungen, Kinderaugen<br />

zum Leuchten zu bringen. In nur wenigen Tagen<br />

wurden 12’000 Franken gespendet – genug, um 150<br />

armutsbetroffenen Familien den Mäss-Besuch zu versüssen.<br />

Valerie Zaslawski<br />

«Die Herbstmesse ist eine freudige Sache. Nur<br />

nicht für Familien mit knappem Budget. Für sie<br />

sind leuchtende Bahnen, duftende Mandeln und<br />

der Ballonverkäufer wie eine Ohrfeige. Das alles<br />

können sich andere leisten, du nicht.»<br />

Das schrieben wir einen Tag vor Mäss-Beginn<br />

im Basel Briefing – und riefen die Leser*innen<br />

zur Spende auf. Und die Rückmeldung war fantastisch!<br />

Innerhalb weniger Tage sind 12’000<br />

Franken zusammengekommen. Damit konnten<br />

die freiwilligen Helfer*innen der «Gärngschee»-<br />

Community Mäss-Päggli à 80 Franken für 150<br />

armutsbetroffene Familien packen.<br />

In den Papiertüten findet sich so allerlei, auch<br />

Gutscheine für eine grosse Zuckerwatte sowie<br />

zwei Würste nach Wahl, verschiedene Jetons<br />

für Bahnen und Bargeld, also «en Mäss-Batze<br />

zem Verbutze». Oder in Zahlen insgesamt: 30<br />

Kilogramm gebrannte Mandeln, 15 Kilogramm<br />

Raamdääfeli, 37,5 Kilogramm Maagebroot und<br />

300 Mässmogge.<br />

Gärngschee-Heldinnen Sandie und Tijana waren<br />

von Mässstand zu Mässstand gezogen,<br />

um den Inhalt für die Päggli zu sammeln. Die<br />

Idee ist bei den Schausteller*innen so gut angekommen,<br />

dass sie von sich aus Rabatte anboten<br />

und teilweise nur den halben Preis für<br />

die Bahnen-Jetons und für Mässsüssigkeiten<br />

verlangten. Und das, obwohl gerade die Standbetreiber*innen<br />

auch keine einfache Zeit hinter<br />

sich haben. Vielen Dank dafür!<br />

Das Ziel ist erreicht: Als am ersten Mäss-Mittwoch<br />

um 16 Uhr die Türen des <strong>Bajour</strong>-Büros<br />

öffnen, um die Ware unter die Leute zu bringen,<br />

leuchten die Kinderaugen um die Wette. Der<br />

Ansturm ist enorm, vor dem Büro hat sich eine<br />

lange Schlange gebildet. «Von aussen sah das<br />

Päckli nach nichts aus, deswegen haben viele<br />

am Anfang nicht reagiert», erzählt Gärngschee-<br />

Tätschmeisterin Sandie. Die Freude war dann<br />

später umso grösser: «Die meisten haben hinterher<br />

angerufen oder geschrieben. Eine hat<br />

angerufen und geweint.» Viele können nicht<br />

fassen, so ein grosszügiges Geschenk für sich<br />

und ihre Familie zu bekommen.<br />

Damit nur die beschenkt werden, die es sehr<br />

schwer haben und sich einen Mäss-Besuch<br />

ansonsten nicht leisten könnten, mussten die<br />

Familien eine Caritas- oder Familienpass-plus-<br />

Karte vorzeigen.<br />

«Wie sagt man?», fragt eine Mutter ihre Kids,<br />

die vor Neugierde fast in den Papiertüten zu<br />

verschwinden drohen. «Danke!», ertönt es<br />

freudig, bevor sie wieder hinaus in die Herbstsonne<br />

hüpfen.<br />

Sabrina (25), die mit ihrer Tochter Kenza (7)<br />

in der Schlange steht, erzählt, wie schwierig<br />

es für sie sei, ihren Kindern mit einem kleinen<br />

Einkommen einen Messebesuch zu ermöglichen:<br />

«Für die Kinder ist die Herbstmesse ein<br />

grosser Event!» Die Kleine dreht ihre braunen<br />

Locken zurecht. Auf was sie sich am meisten<br />

freut? «Die Zuckerwatte», sagt sie wie aus der<br />

Pistole geschossen.<br />

Auch Sandra bricht es fast das Herz, wenn ihr<br />

zehnjähriger Sohn Samuel von der Schule nach<br />

Hause kommt und klagt, alle anderen Kinder<br />

dürften zur Messe, nur er nicht. Sie zieht sich ihre<br />

Maske weit über die Nase, ihre Augen werden<br />

glasig. Sie habe mit ihm dann am Abend, da die<br />

Lichter so schön funkelten, eine kleine Runde<br />

gemacht, die Getränke aber von zu Hause mitgenommen.<br />

Nun steht den beiden ein richtiger<br />

Messebesuch bevor, mit allem Drum und Dran.<br />

Ähnlich geht es Fabienne. Die 42-Jährige erzählt,<br />

sie habe kürzlich aus dem Küchenfenster<br />

geschaut, als die Nachbarskinder mit Messe-<br />

Ballons nach Hause gekommen seien. Sie, die<br />

derzeit von der Sozialhilfe unterstützt wird,<br />

wünschte sich, dass auch ihr siebenjähriger<br />

Sohn Joshua wieder einmal etwas Schönes<br />

erleben dürfe.<br />

Und das darf er an diesem Oktobertag: Nach<br />

der Übergabe des Mäss-Päggli begleiten wir die<br />

beiden auf das Kasernenareal. In der Luft liegt<br />

der Duft von Zuckerwatte und geschmolzenem<br />

Käse. Joshua zupft seine Mama aufgeregt an<br />

der Daunenjacke. Jede Zelle seines Körpers ist<br />

vorfreudig, so scheint es.<br />

Joshua möchte Büchsen werfen, denn darin<br />

sei er besonders gut. Am Ende gibt es einen<br />

Trostpreis, immerhin. Auf dem Crazy Clown<br />

kreischt der Kleine, was das Zeug hält – «wie<br />

ein Mädchen», sagt die Mama. Und er verteidigt<br />

sich: «Ich habe halt auch Angst.» Die Freude<br />

überwiegt, nur leider viel zu kurz. Drei Runden<br />

später kommt das Tatzelwurm-ähnliche Gefährt<br />

auch schon wieder zum Halten.<br />

↑ Sabrina und Tochter Kenza mit ihrem Mäss-Päggli. (Foto: Valerie Zaslawski)<br />

60 61<br />

Nach dem anschliessenden Hindernislauf im<br />

Crazy Hotel ist Joshua ausser sich: «Das ist<br />

voll der Hammer!»<br />

Die Zeit rennt, die Jetons schwinden. Dem<br />

Siebenjährigen ist die Freude immer noch ins<br />

Gesicht geschrieben. Diesen Mäss-Besuch wird<br />

er wohl nicht so schnell vergessen. Und seine<br />

Mutter auch nicht.<br />

Zurück im <strong>Bajour</strong>-Büro. Die Schlange hat sich<br />

aufgelöst, die Päggli sind verteilt. Die Helfer*innen<br />

rauchen verdient ihre Feierabendzigarette,<br />

als eine Mutter nochmals zurückkommt. Auf<br />

dem Arm hält sie ihre aufgelöste Tochter. Ob<br />

ein Schnuller gefunden worden sei, möchte sie<br />

wissen. Leider nein.<br />

Ein neuer muss her, unbedingt, sofort! So gibt<br />

es statt Magenbrot halt einen neuen Nuggi, dem<br />

«Mäss-Batze zum Verbutze» sei Dank.<br />

↑ Daumen hoch: Der Crazy Clown hat Spass gemacht. (Foto: Valerie Zaslawski)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Brunch<br />

Wo gibt’s den besten<br />

Brunch in Basel?<br />

Brunch! Die Seele baumeln lassen, Leckereien schmausen.<br />

Frühstück als Mahlzeit wird komplett unterschätzt. Dafür gibt<br />

es den Brunch, der schenkt dem Frühstück die Anerkennung,<br />

nach der es heimlich lechzt. Und die Gärngschee-Community<br />

weiss, wo’s den besten Brunch in Basel gibt.<br />

Pauline Lutz<br />

Mal ganz ehrlich: Unter der Woche hast du<br />

schon mal nur einen Kaffee runtergestürzt,<br />

bevor du deine Kinder an ihre Betreuungsorte<br />

bringst, dich ins Arbeitsleben stresst, aufs Tram<br />

rennst. Du hast schon heimlich in der ersten<br />

Homeoffice-Sitzung morgens Cornflakes mit<br />

Milch gegessen. (Unauffällig kauen ist mein<br />

heimliches Videokonferenz-Talent.) Als Wiedergutmachung<br />

für deinen gestressten Körper gibt<br />

es da diese allgemein bekannte Wochenend-<br />

Zmorge-Alternative: Essen von morgens früh<br />

bis in den Nachmittag und dann heimkugeln.<br />

Auch bekannt als:<br />

«BRUNCH»<br />

Die Frage, wo es in Basel den besten Brunch<br />

gibt, wurde letztens in der Gärngschee-Gruppe<br />

aufgeworfen. Zwar war der Anlass der Muttertag,<br />

aber Brunch geht immer. Und warum<br />

Mama oder Papa nicht mal an einem Pfingstwochenende<br />

feiern und zusammen brunchen<br />

gehen? Oder mit Freund*innen auf der Terrasse<br />

Leckereien schmausen und hoffen, dass sich<br />

die 30 Prozent Regenwahrscheinlichkeit nicht<br />

in wahren nassen Regen verwandeln?<br />

Wir haben eine kleine Abstimmung aus Community-Vorschlägen<br />

in der Gärngschee-Gruppe<br />

gemacht: und zwar darüber, wo der beste<br />

Brunch-Ort in Basel zu finden ist.<br />

Hier kommt die leckere Liste:<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

PLATZ 6:<br />

BÄCKEREI JETZER<br />

Die Bäckerei hat zwei Ableger in Basel: Im Gundeli an der<br />

Dornacherstrasse 67 und in der Breite, an der Zürcherstrasse 73.<br />

Ihre selbstgemachten Säfte sind toll und der Service sympathisch, hab<br />

ich mir sagen lassen. Und nicht zuletzt natürlich die leckeren Backwaren,<br />

mit denen du dir so richtig den Bauch vollschlagen kannst.<br />

PLATZ 5:<br />

HIRSCHENECK<br />

Das Restaurant am Lindenberg 23 wartet schon auf dich, der<br />

sonntägliche Hirschi-Brunch ist stadtbekannt. Das Team versucht,<br />

vor allem Bio und Faitrade und saisonales Geschmäus<br />

aufzutischen. Das muss getestet werden!<br />

PLATZ 4:<br />

ZUM ONKEL<br />

Der Onkel hat es knapp nicht aufs Podest geschafft. Dafür schaffst du<br />

es vielleicht an einen seiner Tische vor dem Restaurant im Kleinbasel:<br />

Du findest es an der Mörsbergerstrasse 2. Mit Guacamole, einem Muffin,<br />

Brot aus der Kultbäckerei und anderen Leckereien wirst du hier bedient<br />

– und das in veganer, vegetarischer oder in einer fleischigen Variante.<br />

PLATZ 3: LES GAREÇONS<br />

Auf dem souveränen dritten Platz ist das Restaurant Les Gareçons am<br />

Badischen Bahnhof. Dort gibt’s übrigens Wärmeflaschen und Decken<br />

auf der Terrasse. Und Geheimtipp für alle, die am Wochenende nicht<br />

ganz so früh aus den Federn kommen: Brunch gibt’s da bis 16 Uhr.<br />

PLATZ 2:<br />

MARKTHALLE-ZMORGELAND<br />

Im Zmorgeland in der Markthalle findet sich alles, was einen guten<br />

Brunch ausmacht, und zwar «stets saisonal abgerundet».<br />

So rund wie du, wenn du wieder nach Hause rollst. Momentan<br />

gibt’s Eierspezialitäten, Früchte, Müesli – alles, was das Zmorgeherz<br />

begehrt, auch gut für Menschen mit Allergien.<br />

PLATZ 1:<br />

DAS ZICZAC<br />

Am Sonntag kannst du im ZicZac brunchen gehen, und zwar von 10 bis<br />

14 Uhr. Das Restaurant, das an der Baslerstrasse 355 in Allschwil zu finden<br />

ist, hat eine grosse Fangemeinde und eine noch grössere Terrasse,<br />

auf der du das noch viel grössere Buffet einmal quertesten kannst.<br />

Jetzt hast du nur noch die Qual der Wahl, dann kannst<br />

du dich aufmachen. Geniess es und e Guete!<br />

PS: Brunch, das ist ja Breakfast und Lunch … Da musste ich erst<br />

einen Artikel darüber schreiben, bis es mir wie Schuppen von<br />

den Augen fiel. Sag’s nicht weiter, bitte, bisschen peinlich.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

62 63<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Best of Baseldytsch<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Bim Zmöörgele duur s<br />

Muul schnuufe<br />

Es darf in keinem von Inas Basel Briefings fehlen: ihre<br />

abenteuerlichen Ausflüge ins Baseldytsch. Welche<br />

Begriffe der Neubaslerin begegnen und was ihre<br />

bisherigen Highlights waren – hier ein Best-of.<br />

Ina Bullwinkel<br />

Welche Basics habe ich gelernt?<br />

Sinne<br />

An ein Verb, das mir in den ersten Tagen in<br />

Basel Probleme bereitet hat, kann ich mich<br />

gut erinnern: «loose». Es kommt recht häufig<br />

vor und ich konnte es mir anfangs durch nichts<br />

herleiten. Es gehört zu den Wörtern, die man<br />

einfach kennen muss. Als ich über das Zueloose<br />

nachgedacht habe, ist mir aufgefallen, dass<br />

mehrere Wörter, die die Sinne betreffen, lustig<br />

oder ungewohnt für mich tönen (auch tönen<br />

ist lustig für mich, btw). Da wäre zum Beispiel<br />

«luege» oder auch «schmegge», das riechen<br />

und schmecken bedeuten kann. Ist das nicht<br />

verwirrend? Oder schmeckt ihr Basler*innen<br />

ganz einfach die Luft? Sehr poetisch.<br />

Die Kinnlade ist mir jedoch abegheit, als eine<br />

Kollegin zu mir meinte: «Du muesch duur s<br />

Muul schnuufe.» Ich kam mir vor wie ein Pferd!<br />

An ihrem Gesichtsausdruck konnte ich aber<br />

ablesen, dass sie es absolut nicht böse meint.<br />

Schlucken musste ich trotzdem kurz.<br />

Zeit<br />

Zeit ist gar nicht so einfach auszudrücken im<br />

Dialekt, zumindest für mich. Bedeutet: Selbst<br />

die Wochentage heissen anders, und das ist<br />

nur der Anfang. Meine Favoriten sind Zyyschtig<br />

und Samschtig. Zyyschtig, weil ich mich<br />

frage, wie man vom Wort «Dienstag» so weit<br />

abschweifen konnte (das geht laut einer kurzen<br />

Google-Recherche wohl auf den germanischen<br />

Gott Ziu zurück). Und Samschtig klingt so, wie<br />

der Tag ist: eine samtig-kuschelige Decke, die<br />

sich an mich schmiegt, ein samschtiges Wochenende<br />

eben.<br />

Zmöörgele<br />

Ein Baseldytsch-Problem, das mich so gut wie<br />

jeden Samstag ereilt: der Gang zum Begg. Um<br />

dir ein Gefühl für mein Problem zu geben: Ich<br />

habe in meinem Smartphone eine Notiz unter<br />

dem Namen «Brötchen». Darin steht:<br />

- Schwööbli = Milchbrötchen<br />

- Schlumbi<br />

Es ist nämlich so, dass es zum einen nicht Brötchen,<br />

sondern Weggli heisst. Und zum anderen<br />

gibt es hier auch ganz andere Brötchen, als ich<br />

das von meinen bisherigen Wohnorten kenne.<br />

Bevor ich nach Basel gekommen war, hatte ich<br />

mich zudem gerade erst daran gewöhnt, in Berlin<br />

Schrippen statt Brötchen zu sagen. Wer soll<br />

denn da noch hinterherkommen? Einer meiner<br />

peinlichsten Begg-Besuche verlief deshalb so:<br />

«Griezi, ich wött gärn drey Brötchen, äh, Schrippen,<br />

ääh, Krosse, äääh, ich mein Schlumbi!»<br />

Ich wäre am liebsten im Boden versunken.<br />

Krosse hiessen übrigens die «Schlumbi»<br />

in der Bäckerei meiner Kindheit<br />

in Bremen. Das war wohl noch ganz<br />

tief in meinem Unterbewusstsein<br />

abgespeichert.<br />

Eine sehr hilfreiche Liste hat mir Leserin<br />

Christiane als Reaktion auf das<br />

Briefing geschickt:<br />

• Büürli (aus hellem Brotteig, aussen dunkel<br />

und knusprig, oft auch als Doppelbüürli angeboten,<br />

erzeugt sehr viele «Breesmeli»)<br />

• Silserli = Laugenbrötchen, oft mit Salami<br />

(DER, nicht die!), Schinken oder Käse.<br />

Von Elsässer Verkäuferinnen als «Loigeli»<br />

bezeichnet<br />

• Mutschli oder Knöpfli (kleine runde weiche<br />

Brötchen, gerne als gefüllte Kleinigkeit<br />

zum Aperitif)<br />

• Milchweggli (häufig am 1. August als «Erscht-<br />

Auguscht-Weggli» angeboten, mit kleinen<br />

Spitzen und eingesteckten Fähnchen)<br />

• Brioches (französisch, aber in Basel geläufig,<br />

Süssgebäck mit einem kleinen «Gupf»<br />

Das komische B<br />

«Ach ja, und wir machen nicht dieses komische<br />

B» – das war einer der ersten Sätze, die ich nach<br />

Jobbeginn von meiner Chefin Andrea gehört<br />

habe. Ich musste kurz überlegen, dann wusste<br />

ich: Sie meint das Eszett oder auch scharfe S.<br />

Hier ist dieser ominöse Buchstabe: ß.<br />

Ich hatte anfangs gedacht, ich könnte mir das<br />

nie abgewöhnen. Dann die Überraschung:<br />

Nach etwa einem Monat fing es an, dass ich<br />

in den deutschen Medien regelmässig (regelmäßig)<br />

über das ß stolperte. Huch! Ich hatte<br />

recht schnell beschlossen: Diesen Buchstaben<br />

braucht es eigentlich nicht. Weg damit. Ich hätte<br />

die Taste auf meinem Laptop ja rausgerissen,<br />

aber das Fragezeichen, das unter dem Eszett<br />

liegt, brauche ich noch.<br />

Ab und zu kommt es aber dennoch zu Verwirrungen<br />

auf meiner Seite. So fragte mich<br />

ein Kollege, ob das so stimme – die Masse von<br />

dem Foto. Die Masse? MB oder was? Nein, es<br />

ging um die Maße (langes a)! Und dann, letztens,<br />

sah ich eine Schlagzeile beim SRF: Busse<br />

für Catcalling? Was soll denn das, fragte ich<br />

mich: Ein ganzer Bus voller Leute, die anderen<br />

sexistische Sprüche nachrufen? Natürlich war<br />

die Buße (langes u) gemeint.<br />

E Gingg bekoo<br />

Kaum ein Beitrag von «Baseldytsch mit Ina»<br />

hat so viele Reaktionen ausgelöst wie dieser:<br />

Ich habe vor ein paar Wochen im Sprachkurs<br />

gelernt, die Wörter vomene/amene/bimene<br />

zu benutzen. Und ich weiss jetzt gar nicht, ob<br />

das so Basel-spezifisch ist, aber egal. Ich finde<br />

imfall, diese Dativ-Konstruktionen hören sich<br />

super witzig an! Ich versuche mal, so viele wie<br />

möglich davon in einen Satz zu packen. Einfach,<br />

weil ich’s kann (oder auch nicht):<br />

Ich ha vomene Ma ghört, wo amene Mäntig<br />

ufeme Konzäärt gsi isch und vomene Kind zwischene<br />

Bai drätte worde.<br />

Kei Aanig, ob das jetzt Sinn ergibt. Übrigens<br />

führt der Versuch, Wörter wie Mäntig, gärn<br />

oder Bärn richtig auszusprechen, regelmässig<br />

dazu, dass ich mir fast den Kiefer verrääänk.<br />

Danke dafür.<br />

Es gab sehr viele Verbesserungsvorschläge für<br />

diesen zugegebenermassen speziellen Satz.<br />

Viele teilten mir mit, wie sehr sie meine Bemühungen<br />

schätzen, dass es aber amene Konzäärt<br />

heissen muss und nie ufeme Konzäärt.<br />

Wieder was gelernt. Und ich habe auch von<br />

zwei möglichen Formulierungen für meinen<br />

Satz erfahren:<br />

Ich ha vomene Ma ghört, wo amene Mäntig<br />

amene Konzäärt gsi isch und<br />

64 65<br />

1. vomene Kind zwüsche d Bai ginggt worde<br />

isch.<br />

2. vomene Kind zwische d Bai e Gingg bekoo<br />

hett.<br />

Die coolsten Wörter<br />

Pfanneschmegger (ungebetener Gast)<br />

Fuurzglogge (Nachthemd)<br />

Fuurzdeiler (Frack)<br />

Rossbollemississippi (Rhein)<br />

Viel Freude habe ich auch an den Ausdrücken<br />

«Bünzli» und «düpflischisserisch». Leider habe<br />

ich sie noch nicht in Kombination gehört, so<br />

etwa: «Sie düpflischisserischer Bünzli!» Das<br />

klingt niedlich, ist aber sehr böse. Das liebe<br />

ich am Schweizerdeutschen. Letztens hab ich<br />

gehört, dass der Zahnarzt oder die Zahnärztin<br />

mit Zahni abgekürzt wird. Ich finde, das klingt<br />

viel zu harmlos für das, was einen dort häufig<br />

erwartet.<br />

Ein Highlight noch zu düpflischisserischem Verhalten:<br />

Jemand schrieb mir, dass ich es fälschlicherweise<br />

mit t statt d geschrieben hätte.<br />

Danke für den Hinweis.<br />

Mein lyrisches Ich<br />

Ich bin keine Dichterin und das Metrum ist mitunter<br />

schief (sowie mein Baseldytsch), trotzdem<br />

habe ich es mir nicht nehmen lassen, ein paar<br />

Gedichte auf Baseldytsch zu verfassen. Es soll<br />

eben eines: Spass machen. Enjoy!<br />

Dieses Gedicht erschien im Basel Briefing:<br />

S isch richtig gsi, uf Basel z goo,<br />

i glaub, i blyyb no e bitzli doo.<br />

I will d Stadt ohni<br />

Corona gspyyre,<br />

und mit allene Bebbi<br />

e Fescht fyyre.<br />

S wird e super Sach,<br />

s Maggsimum mit viel Grach.<br />

Wie alles begann<br />

Am 5. Februar 2021 beschloss <strong>Bajour</strong>-Redaktorin<br />

Ina Bullwinkel, ihre eigene Kategorie<br />

im Briefing einzuführen: Baseldytsch mit<br />

Ina. Ein einziges Mal hat sie pausiert – es<br />

meldeten sich Fans, ob es etwa schon zu<br />

Ende sei mit der Rubrik. Das war eine schöne<br />

Überraschung, dass dieses launige Extra am<br />

Briefing-Ende sofort vermisst wurde. Seither<br />

gab es keine Pause mehr.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Rechnen mit Sämi<br />

Herzlich willkommen in der Rätselecke von <strong>Bajour</strong>!<br />

Weil ich neidisch auf «Baseldytsch mit Ina» bin, kommt hier<br />

Ausgabe 1 von «Rechnen mit Sämi»! Mit diesem Satz wurde die<br />

von Anfang an sehr beliebte Rubrik geboren. Einen Auszug der<br />

Rätsel zum Nachlösen haben wir dir hier zusammengestellt.<br />

Rätsel<br />

Nr. 1<br />

Rätsel<br />

Nr. 2<br />

Rätsel<br />

Nr. 3<br />

Rätsel<br />

Nr. 4<br />

Der Grosse Rat entscheidet über 460 Millionen Franken, damit die IWB ihr Fernwärmenetz ausbauen<br />

können – von aktuell 30 Prozent der Gebäude sollen bis 2035 70 Prozent über diesen<br />

potenziell CO 2<br />

-neutralen Weg beheizt werden können. Auf Stadtgebiet gibt es total 19’000 Gebäude,<br />

und nehmen wir an, jede*r vierte der neu angeschlossenen Hauseigentümer*innen steigt<br />

um und bezieht künftig Fernwärme: Wie viele Ster Holz könnte der Kanton mit den 460 Millionen<br />

bei der Bürgergemeinde beziehen (Kosten pro Ster: 120 Franken in 1-Meter-Stücken offen<br />

ab Werkhof, je kürzer, desto teurer wirds) respektive, weil es bei «Rechnen mit Sämi» immer<br />

kurz vor dem Ziel noch einen Schlenker gibt: Wie viele Jahre könnte die Basler Regierung die<br />

neu angeschlossenen Gebäude mit kostenlosem Bürgergemeinde-Brennholz versorgen, wenn<br />

ein Gebäude mit 50 Ster Holz durch den Winter kommt?<br />

Es wird politisch, denn es geht um Rüebli und Parkplätze. Im September haben wir über die Initiative<br />

«für erschwingliche Parkgebühren» abgestimmt. Die wollte, dass die Anwohner*innenparkkarten<br />

wieder so günstig wie vor der Preiserhöhung von 140 auf 284 Franken pro Jahr werden<br />

(und die zu viel eingezogenen Gebühren rückwirkend zurückbezahlt werden). Um einzuschätzen,<br />

ob 140 Franken viel oder wenig sind für das Anrecht, mit seinem Auto ein Jahr lang rund<br />

10 Quadratmeter Allmendboden zu belegen, folgende Rechnung eines Gemüsebauern (oder<br />

vielleicht eher Urban Farmer). Wie viel würde ein Kilo Rüebli kosten, wenn es auf einem Basler<br />

Parkplatz angebaut würde? Annahme: 140 Franken für eine Anbaufläche von 2 x 5 Metern, was<br />

einem durchschnittlichen Parkplatz in der blauen Zone entspricht. Die Rüebli werden in Reihen<br />

gesät mit jeweils fünf Zentimetern Abstand, von Reihe zu Reihe beträgt der Abstand 20 Zentimeter.<br />

Die Urban-Farming-Welt ist idealistisch, für Arbeit und Material fallen keine Kosten an<br />

und sämtliche Rüebli gedeihen prächtig und bringen je 80 Gramm auf die Waage. Was kostet<br />

also das Kilo, um die Parkplatz-Jahresgebühren einzuspielen?<br />

Bei dieser Aufgabe geht es um Lärmkontingente. Die Konzertreihe «Summersprosse» musste<br />

ihre vier Konzerte umfassende Reihe gemäss Auflagen des Amts für Umwelt um eine halbe<br />

Stunde reduzieren, sie dauern nun nur noch von 19.30 Uhr bis 21.30 Uhr statt bis 22.00 Uhr. Die<br />

Bands werden entsprechend weniger Songs spielen können – oder aber, und hier beginnt die<br />

Aufgabe: Sie spielen sie schneller, mit mehr «Beats per Minute» (bpm). Ich habe keinen Aufwand<br />

gescheut und mit dem «Beats per Minute Calculator» beim Song «If I was a Man» von<br />

Little Chevy mitgeschnippt und bin auf 144 bpm gekommen; mit wie viel bpm müsste die Band<br />

diesen Song heute performen, um das ganze Set den Auflagen des Amts entsprechend in 120<br />

statt 150 Minuten durchzubringen?<br />

Bei dieser Aufgabe geht es ums Hochwasser im Rhein. In der «bz» habe ich nämlich gelesen, dass<br />

das Kraftwerk Birsfelden maximal 1500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde «verstromen» kann,<br />

wie es offiziell heisst. In den vergangenen 30 Tagen betrug der Abfluss jedoch immer (und teilweise<br />

deutlich) über 2000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Nehmen wir vereinfacht an, dass<br />

während 30 Tagen durchschnittlich 1000 Kubikmeter Wasser ungenutzt abgeflossen sind, das<br />

Kraftwerk bei Vollbetrieb 100 Megawatt Leistung bringt und ein durchschnittlicher 4-Personen-<br />

Haushalt in der Schweiz pro Jahr 4000 Kilowattstunden Strom verbraucht. Für wie viele zusätzliche<br />

Haushalte hätte das Kraftwerk Birsfelden im vergangenen Monat Strom produzieren<br />

können, wenn das ganze Rheinwasser verstromt geworden wäre?<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

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<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Lösungen<br />

Rätsel Nr. 1<br />

Die 460 Millionen Franken für den Fernwärme-Ausbau,<br />

die der Grosse Rat übrigens nach<br />

Fraktionsstimmen einstimmig angenommen<br />

hat, würden ausreichen, um die grob geschätzt<br />

1900 tatsächlichen Bezüger*innen-Wohnungen<br />

40,3 Jahre lang mit kostenlosem Holz aus dem<br />

Bürgergemeinde-Wald zu versorgen. Wobei<br />

hierzu gleich mehrere sauber mathematisch<br />

begründete Einwände kamen, beispielsweise<br />

von Heinz, der schrieb: «Die Bürgergemeinde<br />

müsste ihren Wald gewaltig abholzen, wenn sie<br />

für 460 Mio. Holz liefern möchte. Sie hat 700<br />

ha Wald. Es wachsen etwa 22 Ster pro Hektare<br />

und Jahr nach. 700 ha * 22 Ster / ha.Jahr / 50<br />

Ster / Gebäude.Jahr = 308 Gebäude könnte<br />

man nachhaltig mit Holz der Bürgergemeinde<br />

heizen, wenn man das ganze nachwachsende<br />

Holz verheizen würde.»<br />

Rätsel Nr. 2<br />

Die Rechnung wäre eigentlich einfach: 100 Rüebli<br />

pro Reihe x 10 Reihen x 80 Gramm pro Rüebli<br />

ergibt CHF 1.75 fürs Kilo. Doch nun kommen<br />

die berechtigten Abers, allesamt eingebracht<br />

von Teilnehmer*innen. Mehrfach angemerkt<br />

wurde, dass es auch Abstände zu den Rändern<br />

braucht, entsprechend nur 99 x 9 Rüebli<br />

Platz haben. Bauertochter Lilith sagt, praktisch<br />

gesehen können zwei von vier Seiten benutzt<br />

werden (als ob die Plätze nebenan auch angebaut<br />

würden). Und Hobbygärtner Thomas<br />

bringt zudem ein, dass zweimal im Jahr geerntet<br />

werden kann, wenn Früh- und Lagermöhren<br />

angebaut werden. Was dann einen Kilopreis<br />

von 88,5 Rappen ergibt.<br />

Rätsel Nr. 3<br />

Die nötige Geschwindigkeit, mit der Little Chevy<br />

im Kannenfeldpark den Song «If I was a Man»<br />

performen müssten, um den Lärmkontingent-<br />

Auflagen des Kantons zu entsprechen, wäre<br />

180 Beats per Minute.<br />

Rätsel Nr. 4<br />

Die richtige Antwort ist erstaunlich, finde ich.<br />

12’000 zusätzliche 4-Kopf-Haushalte, also mehr<br />

als alle Häuser und Wohnungen in Riehen und<br />

Bettingen, hätten im Juli zusätzlich mit Strom<br />

versorgt werden können, wenn das Zuviel an<br />

Wasser nicht ungenutzt hätte abgelassen werden<br />

müssen.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

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Wir suchen<br />

das neue<br />

Cover fürs<br />

diesjährige<br />

<strong>Bajour</strong><br />

<strong>Magazin</strong>!<br />

Und haben es gefunden! Für die zweite Ausgabe des jährlichen<br />

Highlight-<strong>Magazin</strong>s haben wir uns mit der Hochschule<br />

für Gestaltung und Kunst FHNW zusammengetan. Sieben<br />

Studierende des Studiengangs Visuelle Kommunikation und<br />

digitale Räume der Hochschule für Gestaltung und Kunst<br />

FHNW nahmen im Rahmen eines Herbstprojektes am Wettbewerb<br />

fürs neue Cover teil. Entstanden sind 17 spannende<br />

Entwürfe, die sich vertieft mit dem Thema der konstruktiven<br />

Debatte – wie <strong>Bajour</strong> sie zu leben pflegt – auseinandersetzen.<br />

Dies sind alle eingegangenen Designvorschläge:


Das ist die<br />

Gewinnerin unseres<br />

Cover-Wettbewerbs<br />

Basler*in<br />

des Jahres<br />

Sechs Wochen hatten die sieben Studierenden der Hochschule für<br />

Gestaltung und Kunst (HGK) Zeit, um ein Cover für unser neues <strong>Bajour</strong><br />

<strong>Magazin</strong> zu entwerfen. Am Ende überzeugte Natalie Gregor die Jury und<br />

die Leser*innen mit ihrem Entwurf zum Thema konstruktive Debatte.<br />

Aufgezeichnet von Alexander Vögeli<br />

Natalie Gregor: «Wenn ich ehrlich bin, hatte<br />

ich mit <strong>Bajour</strong> wenige Berührungspunkte, da<br />

ich nicht von hier komme und mir das lokale<br />

Geschehen nicht sehr präsent ist. Am auffälligsten<br />

war jedoch, dass <strong>Bajour</strong> die Debattenkultur<br />

prägen möchte. Das hat mich für mein<br />

Cover sehr inspiriert.<br />

So habe ich angefangen, mich mit dem Thema<br />

‹Debatte› auseinanderzusetzen und mit der Frage,<br />

wie man konstruktive Streitgespräche führt.<br />

Ich habe Folgendes mitgenommen: Man sollte<br />

aufmerksam sein, einander zuhören und sich<br />

mit Anstand begegnen. Diese Anhaltspunkte<br />

habe ich versucht zu visualisieren und bin zu<br />

dem Schluss gekommen, dass dafür Augen,<br />

Ohren, Mund am geeignetsten sind.<br />

Ich wollte verschiedene Emotionen darstellen,<br />

die in einer Diskussion vorhanden sind. So ist<br />

mal ein Auge etwas hässig oder gelangweilt,<br />

fröhlich oder erstaunt. Auch die Formen der<br />

Münder oder die Piercings an den Ohren sollen<br />

für die Lebendigkeit der Debatte, aber auch für<br />

die Vielfältigkeit Basels stehen. Basel ist klein,<br />

aber in meinen Augen erfüllt von verschiedenen<br />

Kulturen – und das macht die Stadt aus.<br />

Für den Auftrag hatten wir insgesamt sechs<br />

Wochen Zeit, das gab mir genügend Raum, um<br />

an den selbst gezeichneten Figuren zu feilen. Da<br />

ich eine klare Vorstellung der Ausdrücke hatte,<br />

erwies sich der zeichnerische Prozess tatsächlich<br />

als langwierig, weil ich mich nicht zufrieden<br />

gab, wenn eine Mimik nicht das ausstrahlte,<br />

was sie aussagen sollte. So baute ich auch eine<br />

emotionale Bindung zu den einzelnen Motiven<br />

auf, da jede einzelne Zeichnung für mich eine<br />

eigene persönliche Geschichte erzählt.<br />

Ob das Editorial Design nun zu meiner Berufung<br />

wird, weiss ich noch nicht. Vorrangig sah ich<br />

diese Übung als Chance, mich im schulischen<br />

Rahmen zu verwirklichen. Die HGK bietet viele<br />

solcher Projekte. Deshalb lasse ich es noch offen,<br />

in welche Richtung mein zukünftiger Weg<br />

führt. Nach 1,5 Jahren ohne Präsenzunterricht<br />

bin ich erst mal froh, wieder hier sein zu dürfen,<br />

und möchte die letzten Etappen meines<br />

Studiums noch besonders geniessen, bevor es<br />

ernst wird in der realen Arbeitswelt.»<br />

Seit August 2021 haben wir im Basel Briefing<br />

eine neue Rubrik – der*die Basler*in des Tages.<br />

Über 70 Mal haben wir seither diesen Titel verliehen;<br />

genug, um eine*n Basler*in des Jahres<br />

daraus zu küren. Diese Ehre wurde unseren<br />

Briefing-Leser*innen zuteil. Nominiert waren:<br />

̺<br />

̺<br />

̺<br />

̺<br />

̺<br />

̺<br />

Lukas Engelberger (Regierungsrat, hat uns<br />

durch die Pandemie geschaukelt)<br />

Thomas Steffen (Kantonsarzt, was wäre<br />

Engelberger ohne ihn)<br />

Sabine Horvarth (Leiterin Standortmarketing,<br />

hat die Herbstmesse gerettet)<br />

Pia Inderbitzin (Comité-Obfrau, versucht<br />

dasselbe mit der Fasnacht)<br />

Arthur Cabral (FCB-Tormaschine, hat Tore<br />

geschossen und ist geblieben)<br />

Schlammteufel (Tier im Zolli, hat ein neues<br />

Schaubecken, kriegt aber sonst wenig Beachtung,<br />

hier ausser Konkurrenz)<br />

And the winner is: Kantonsarzt Thomas Steffen.<br />

Er hat den Preis Mitte November im <strong>Bajour</strong>-Büro<br />

entgegengenommen. Wir gratulieren<br />

ihm zu dieser ehrwürdigen Auszeichnung und<br />

dazu, unser erster Basler des Jahres zu sein!<br />

EIN KURZES VIDEO<br />

DER ÜBERGABE<br />

FINDEST DU HIER<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

↑ Natalies Entwurf ist das Cover des Anfang Dezember erscheinenden<br />

<strong>Bajour</strong>-Highlight-<strong>Magazin</strong>s <strong>#2</strong>. (Foto: Hans-Peter Huser)<br />

72 73<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Gewalt unter Geburt<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

«Wer vögeln kann,<br />

kann auch gebären»<br />

Viele Frauen erleben ihre Geburt als traumatisch. Was steckt dahinter?<br />

Naomi Gregoris<br />

Ayse wird den Schmerz nicht los. Jedes Mal,<br />

wenn sie das Haus verlässt, setzt er sich auf sie,<br />

wie ein grosser, schwerer Stein. Dann hat sie<br />

anderthalb Stunden, bevor die Symptome einsetzen:<br />

Ihre Brust zieht sich zusammen, das Atmen<br />

fällt ihr schwer. Erst wenn die Wohnungstür<br />

hinter ihr zufällt, kann sie wieder richtig atmen.<br />

Im August schreibe ich in der Facebook-Gruppe<br />

«Gärn gschee – Basel hilft» einen Aufruf: Ich<br />

suche für eine Recherche: Frauen, die während<br />

der Geburt (Spital oder Geburtshaus BS/BL)<br />

unangemessen behandelt wurden. Ayse sieht<br />

den Aufruf und schreibt einen der 175 Kommentare<br />

darunter. Bis dahin hat sie nie jemandem<br />

von ihrem Erlebnis erzählt. Nicht einmal<br />

ihr Mann weiss von dem Schmerz, der seit der<br />

Geburt vor zwei Jahren auf ihr sitzt. Als ich sie<br />

kontaktiere, schreibt sie mir: «Ich bin so froh,<br />

dass ich darüber reden kann.»<br />

Wer gebärt, gebärt selten allein<br />

Ich habe lange damit gehadert, einen Artikel<br />

über negative Geburtserfahrungen zu schreiben.<br />

Zu skeptisch waren die Reaktionen: «Jede<br />

Frau gebärt anders», bekam ich immer wieder<br />

zu hören. Und: Seine Geburt kann man sich<br />

nicht auswählen.<br />

Was natürlich stimmt. Wer gebärt, gebärt aber<br />

selten allein. Geburtshelfer*innen sind massgeblich<br />

am Geburtserlebnis beteiligt. Hinter<br />

jeder Geburt, so individuell sie auch ist, steckt<br />

ein System. Wie sieht es aus?<br />

Nach Dutzenden E-Mails, Telefonaten und ein<br />

paar Treffen zeigt sich, wie unterschiedlich Geburten<br />

erlebt werden – und wie komplex die<br />

Struktur dahinter ist.<br />

Fangen wir mit Ayses Geschichte an.<br />

Es ist Hochsommer 2018, draussen scheint die<br />

Sonne. Ayse hatte eine einfache Schwangerschaft<br />

und freut sich auf ihr zweites Baby. Die<br />

erste Geburt war wunderschön, sie ist entsprechend<br />

zuversichtlich. Eigentlich will sie alleine<br />

gebären, aber ein mulmiges Gefühl sagt ihr:<br />

Nimm deinen Mann mit. Als sie mit Wehen im<br />

Spital ankommt, wird ihr eine Hebamme zugewiesen.<br />

Sie ist ihr nicht sympathisch, das<br />

mulmige Gefühl verstärkt sich.<br />

«Los, ins Gebärzimmer», sagt die Hebamme<br />

barsch und schreitet voran. Ayse ist halb nackt<br />

und stützt sich auf ihren Mann. Er musste ihr<br />

die Hose ausziehen, einen Spitalkittel hat sie<br />

nicht bekommen. Sie ist jetzt seit zwei Stunden<br />

in den Wehen, gerade kommen sie alle fünf<br />

Minuten. Im Zimmer angekommen, untersucht<br />

die Hebamme ihren Muttermund. Ayse sagt,<br />

sie tue ihr weh. «Das muss so sein», entgegnet<br />

die Hebamme, steht wieder auf und läuft<br />

zum Computer.<br />

Während der nächsten paar Stunden kommt<br />

sie nur sporadisch ins Zimmer, Ayse arbeitet<br />

sich mit Hilfe ihres Mannes alleine durch die<br />

Wehen. Sie sagt der Hebamme, dass sie nicht<br />

mehr untersucht werden will, aus Angst vor<br />

den Schmerzen. Die Hebamme ignoriert es. Als<br />

Ayse nach einem Schluck Wasser fragt, auch.<br />

Sie müsse protokollieren, erklärt sie.<br />

Ayse versteht die Welt nicht mehr. Sind Hebammen<br />

nicht dazu da, Frauen bei der Geburt<br />

zu unterstützen?<br />

Von vorne bis hinten gerissen<br />

Als die Presswehen kommen, liegt Ayse mit gespreizten<br />

Beinen auf dem Rücken und schreit.<br />

Das Köpfchen ihres Babys ist jetzt zu sehen,<br />

es hat dunkle Haare. Ihr Mann hockt vor ihrer<br />

offenen Vulva und fängt das Köpfchen reflexartig<br />

auf. Er herrscht die Hebamme an: «Nun<br />

kommen Sie doch endlich und helfen Sie uns!»<br />

Die Hebamme erhebt sich und packt mit an.<br />

Ayses Sohn kommt gesund auf die Welt. Als<br />

kurz darauf der zuständige Arzt zum Nähen<br />

kommt, macht er ein beunruhigtes Gesicht.<br />

«Sie sind von vorne bis hinten gerissen.» Kein<br />

Wunder, denkt Ayse. Sagen tut sie nichts. Der<br />

Arzt näht und verlässt das Zimmer wieder.<br />

Ayse, ihr Mann und das kleine Baby liegen alleine<br />

im Zimmer. Irgendwann muss Ayse auf die<br />

Toilette. Auf dem WC spürt sie, wie etwas aus<br />

ihr herausflutscht. Sie schaut in die Schüssel.<br />

Dort liegt ein handballgrosser Klumpen. Ayse<br />

ruft nach Hilfe. Eine Hebamme kommt herein<br />

und sagt: «Oh, da ist wohl ein Teil der Plazenta<br />

nicht herausgekommen.» Sie untersucht Ayse<br />

noch einmal und nimmt dann den Blutklumpen<br />

mit. Ayse bleibt noch eine Nacht, dann unterschreibt<br />

sie eine frühzeitige Entlassung. Als<br />

der Fotograf kommt und ein Bild vom Baby<br />

machen will, schickt sie ihn weg.<br />

Sie will keine Erinnerung an diesen Ort.<br />

74 75<br />

In der Schweiz kommen pro Tag rund 240<br />

Kinder auf die Welt. Für die meisten jungen<br />

Familien ist ihr Ankommen ein Glück. Man bewundert<br />

die kleinen Hände und Füsse, schreibt<br />

Freund*innen und Verwandten Nachrichten.<br />

«Mutter und Baby sind gesund, wir sind überglücklich.»<br />

Wie die Geburt verlaufen ist, steht<br />

in diesen Nachrichten nicht.<br />

Wieso auch, das Baby ist da, alles ist gut. Oder?<br />

Die einfache Antwort lautet: Man weiss es nicht.<br />

Es gibt keine gesicherten Fallzahlen über negative<br />

Geburtserfahrungen und ihre Auswirkungen<br />

in der Schweiz. In einer italienischen Umfrage<br />

von 2017 erklärte aber jede fünfte Mutter, sie<br />

habe während der Geburt ihres ersten Kindes<br />

Gewalt erlebt. «Gewalt» ist ein harter Begriff,<br />

entsprechend viele Menschen, die sich mit dem<br />

Thema auseinandersetzen, meiden ihn. Viele<br />

betroffene Frauen wissen nicht, ob er für das<br />

passt, was sie erlebt haben. Was nicht bedeu-<br />

↓ Nicole Schuler und Jacek Piotrowski alias Madame Phila haben für uns eine der Geburtsgeschichten dieses Textes illustriert.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


tet, dass die Erfahrung nicht gewaltvoll war.<br />

Damit ist man auch schon bei der schwierigen<br />

Antwort: Es ist nicht immer alles gut.<br />

Die Doula (Geburtsbegleiterin) Monika Di Benedetto<br />

ist eine, die das Wort «Gewalt» bewusst<br />

braucht. In einem Artikel für die Angst- und<br />

Panikhilfe Schweiz schreibt sie im April 2020,<br />

dass Gewalt unter der Geburt sowohl psychischer<br />

wie auch physischer Natur sein kann.<br />

Dazu gehören folgende Handlungen – unter<br />

zahlreichen anderen:<br />

̺ Das Hinwegsetzen über die Rechte und<br />

Wünsche der Gebärenden<br />

̺ Druck ausüben<br />

̺ Der Gebärenden Angst machen oder<br />

sie zu einer Handlung manipulieren<br />

̺ Beleidigen, Anschreien, Auslachen oder<br />

Beschimpfen<br />

Di Benedetto ist Präsidentin von Roses Revolution,<br />

einer Aktion, die sich gegen Respektlosigkeit<br />

und Gewalt in der Geburtshilfe einsetzt. In<br />

ihrer Aufzählung ist die Bezeichnung «Gewalt<br />

unter der Geburt» mannigfaltig – und komplex:<br />

Wenn eine Frau sich unangemessen behandelt<br />

fühlt – gilt das dann schon als Gewalt? «Das<br />

Problem», sagt Monika Di Benedetto am Telefon,<br />

«ist der Zusammenhang zwischen Gewalt<br />

und Geburt. Der wird nur zögerlich gemacht,<br />

weil bei vielen Frauen das Wissen darüber fehlt,<br />

was unter der Geburt ok ist und was nicht.»<br />

Gewalt? Ich weiss nicht<br />

Das deckt sich mit meinen Erfahrungen in dieser<br />

Recherche. Als ich mich auf die Suche nach<br />

Betroffenen machte, meldeten sich über 40<br />

Baslerinnen, die negative Erfahrungen unter<br />

der Geburt gemacht hatten. Kaum eine sprach<br />

aktiv von Gewalt.<br />

Viele sagten: «Was ich erlebt habe, war zwar<br />

schlimm, aber Gewalt? Ich weiss nicht.» Die<br />

Mehrheit erzählte nicht von physischer Gewalt<br />

wie Dammschnitten oder Herausreissen<br />

der Plazenta, sondern von der gefühlten Respektlosigkeit,<br />

die ihnen während der Geburt<br />

entgegengebracht worden sei.<br />

Von Sätzen wie:<br />

«Sie sind zu<br />

intelligent zum<br />

Gebären»<br />

«Wer vögeln<br />

kann, kann<br />

auch ein Kind<br />

bekommen»<br />

«So geht das<br />

nicht, machen Sie<br />

die Beine breit»<br />

«Sie pressen<br />

einfach nicht<br />

genug»<br />

Jede Erzählung war anders, aber alle hatten<br />

eines gemeinsam: Die Gebärenden fühlten sich<br />

nicht ernst genommen. Eine Frau sagte: «Ich<br />

wurde behandelt, als wäre ich eine Hülle, aus<br />

der ein Baby genommen werden muss.»<br />

Um zu verstehen, wie es zu solchen Erlebnissen<br />

kommt, reicht es nicht, mit Betroffenen zu<br />

reden. Diese Geschichte lässt sich nicht über<br />

Opfer und Täter*innen erzählen, dafür sind die<br />

Vorgänge, die während einer Geburt ablaufen,<br />

viel zu komplex. Was die Frauen in dieser Geschichte<br />

erfahren haben, ist das Ergebnis einer<br />

Struktur, die solche Situationen begünstigt. Die<br />

wirkliche Frage also lautet: Wie sieht das Gefüge<br />

aus, in dem sich die heutige Geburtshilfe<br />

bewegt? Und was lässt sich machen, damit<br />

Frauen selbstbestimmter gebären können?<br />

Totgeburten und<br />

Säuglingssterblichkeit<br />

Jährliche Rate pro 1000<br />

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ARTIKELS AUF<br />

WWW.BAJOUR.CH<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

«Sie sind nicht<br />

fürs Gebären<br />

gemacht»<br />

76 77<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


From Basel with Love<br />

<strong>Bajour</strong> macht Schule<br />

Es heisst Internet(z) und nicht Intersilo. <strong>Bajour</strong> ist Teil eines<br />

wachsenden Netzwerks an unabhängigen Medien.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Hansi Voigt<br />

Am Anfang war <strong>Bajour</strong>. Und es musste alles<br />

sehr schnell gehen. Aber wie baut man ein lokales<br />

Online-Medium auf und was ist das heute<br />

überhaupt? Entgegen anderen Webportalen<br />

haben wir nicht zunächst alles auf den Aufbau<br />

der Webseite gesetzt. Wir haben einen Newsletter<br />

konzipiert, der inzwischen täglich Tausende<br />

Basler*innen erreicht. Dann über eine<br />

Facebook-Gruppe die hilfsbereiteste Community<br />

der Welt aufgebaut und uns vor und nach<br />

Corona mit journalistisch begleiteten Events<br />

ins analoge Bewusstsein Basels gerückt. Denn<br />

das alles gehört zu einem lokalen Medium. Das<br />

alles ist <strong>Bajour</strong>.<br />

Wir haben einiges falsch gemacht und viel gelernt.<br />

Und wir wollen auch weiterhin den Mund<br />

nicht zu voll nehmen. Wir sind ja auch noch nirgends.<br />

Aber inzwischen wird <strong>Bajour</strong> vielerorts<br />

als Vorzeigeprojekt genannt. So könnte es gehen<br />

mit den lokalen Online-Medien. Und in der Tat.<br />

In Basel wurde da etwas losgetreten. Kultz.ch in<br />

Luzern sieht <strong>Bajour</strong> zum Verwechseln ähnlich,<br />

Tsri.ch liefert neuerdings einen Newsletter für<br />

Zürich, der die Verwandtschaft mit dem Basel<br />

Briefing nicht verleugnen kann, und in Bern<br />

studieren sie an der Hauptstadt rum und wollen<br />

alles von den Basler Erfahrungen wissen.<br />

Und das stört uns keineswegs. Im Gegenteil.<br />

Wir fühlen uns nicht nur geschmeichelt und<br />

bestätigt. Wir tauschen uns mit den anderen<br />

regelmässig aus und lernen voneinander.<br />

Alle diese neuen Portale verfolgen einen radikal<br />

neuen Ansatz. Das sieht man nicht auf<br />

den ersten Blick. Aber bei <strong>Bajour</strong> oder Tsüri<br />

kaufen die Member und Gönner keine Inhalte,<br />

sondern sie geben den Redaktionen Geld, damit<br />

es diese Inhalte gibt. Das tönt banal, birgt<br />

aber enormes Potenzial. Wir können die Inhalte<br />

einander zur Verfügung stellen, statt sie wegzuschliessen.<br />

Es heisst schliesslich Internet(z)<br />

und nicht Intersilo.<br />

Und genau das tun wir. Uns vernetzen. Noch<br />

ist das alles so visionär wie rudimentär. Aber<br />

vielleicht haben Sie schon gesehen, dass es<br />

auf <strong>Bajour</strong> Artikel der Wochenzeitung «WoZ»<br />

oder vom Wissenschaftsmagazin «Higgs» zu<br />

lesen gab. Von «Babanews», vom <strong>Magazin</strong> «das<br />

Lamm» und von diversen anderen unabhängigen<br />

Medien.<br />

Mit der Zeit sollen so eine Wertschöpfung und<br />

ein digitales Medien-Ökosystem entstehen. Die<br />

einzelnen teilnehmenden Medien bleiben vollkommen<br />

unabhängig. Aus Nutzer*innensicht soll<br />

so ein wesentlich interessanteres Leseangebot<br />

an kuratierten, glaubwürdigen Inhalten herausspringen.<br />

Das ist Teil der Vision von <strong>Bajour</strong> 2.0.<br />

Zugegeben: Noch ist das Lokalmedien-Zukunftsmusik.<br />

Aber wichtig ist, dass Sie wissen:<br />

Diese Zukunft hat in Basel mit Ihnen, den <strong>Bajour</strong>-Membern<br />

und -Gönner*innen, begonnen.<br />

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<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Kunstmarkt am Limit<br />

Banksy in Basel:<br />

Komplett Mainstream<br />

Nichts ist echt, alles ist fake. Und irgendwer profitiert<br />

am Schluss immer. Die Ausstellungsbesprechung.<br />

Daniel Faulhaber<br />

Hurra, die Museen sind wieder da. Am 1. März<br />

eröffnet in Basel eine Banksy-Ausstellung. Sie<br />

heisst «Building castles in the sky» und ist so<br />

klebrig, ironisch und irrsinnig überflüssig, wie<br />

man sich das hat vorstellen dürfen.<br />

Als Kuratoren werden Stefano Antonelli, Gianluca<br />

Marziani und Acoris Andipa aufgeführt. Letzterer<br />

ist Galerist in London und handelt mit Werken<br />

von Banksy, die bei Auktionen auch schon<br />

Preise von bis zu 10 Millionen Pfund erzielten.<br />

Produziert wird das alles von der italienischen<br />

Associazione MetaMorfosi und gezeigt werden<br />

Originale von privaten Sammler*innen. Der Eintritt<br />

kostet – ziemlich ordentlich – 24 Franken.<br />

Banksy selber hat mit der Ausstellung nichts<br />

zu tun. Der Künstler selber warnt immer wieder<br />

vor Trittbrettfahrer*innen seiner Kunst und es<br />

dürfte nicht mehr lange dauern, bis die Basler<br />

Ausstellung auf der Liste für Fake-Banksy-<br />

Shows auftaucht.<br />

Für alle, die diesen Banksy nicht kennen sollten:<br />

eine kurze Einordnung aus küchenphilosophischer<br />

Perspektive. Klammer auf: Eine andere<br />

Perspektive auf Banksy gibt es nicht. Was du<br />

und deine WG über Banksy zu sagen haben,<br />

das habe auch ich über ihn zu sagen und auch<br />

jeder x-beliebige Kunsthistoriker, der an der<br />

Wiener Akademie der Künste zur subversiven<br />

Sprengkraft Banksys in der spätkapitalistischen<br />

Moderne promoviert. Auch der hat nicht mehr<br />

zu Banksy zu sagen als wir, weil alle klug und<br />

systemkritisch genug sind, um zu verstehen,<br />

was abgeht.<br />

Wie Banksy zu finden ist, das liegt schliesslich<br />

auf der Hand. Gut nämlich.<br />

genannt. Berühmt wurden sie, weil sie einfach<br />

sind. Die anfänglich subversive Kunst wurde<br />

schnell kommerzialisiert und von einer weltumspannenden<br />

Marketingmaschine namens<br />

Internet vereinnahmt. Das wiederum gibt einer<br />

kapitalismuskritischen Boheme die Gelegenheit,<br />

ihre Kapitalismuskritik zur Schau zu stellen<br />

und auf Realness zu pochen, wo doch eh alles<br />

Authentische vor die Hunde geht.<br />

Aber man sei, so jeder Schlusssatz zur Causa<br />

Banksy in jeder WG-Küche dieser Welt, dabei<br />

ja keine Ausnahme, schliesslich ist man mit seinem<br />

iPhone 10 und den Doc Martens aus veganem<br />

Leder irgendwie selber Teil des Problems.<br />

Ende der Einordnung.<br />

Die Kapitalisierung der<br />

Kapitalismuskritik<br />

Das ist also Banksy im Zeitalter der technischen<br />

Reproduzierbarkeit. Über 100 Werke sind nun<br />

in Basel zu sehen. Und die Ausstellung, das ist<br />

jetzt das Tolle, bedient wirklich jedes dumme<br />

Klischee der Banksy-Erzählung.<br />

Da sind zunächst einmal ganz schwarze Wände<br />

und fokussierte Lichtspots auf die Bilder. So<br />

dunkel und schattig, wie alles ist, kriegt man<br />

direkt Bock, kritisch herumzuraunen. Der Ort<br />

des Geschehens trägt ebenfalls zum Storytelling<br />

bei. Halle 5 ist wahrscheinlich die hässlichste<br />

Halle der ganzen Messe, sie liegt direkt<br />

unter dem Parkhaus, und über den schwarzen<br />

Wänden der Ausstellung sieht man Backsteine<br />

herauslugen. Das ist gut für die Authentizität.<br />

Die Bilder, vor allem Siebdrucke, aber auch herausgebrochene<br />

Mauerstücke und eine Skulptur<br />

sind zu sehen, hängen eingerahmt an der<br />

Wand und daneben hat es kleine Begleittexte<br />

zum Entstehungskontext.<br />

Ausserdem, irre poetisch, hängen da noch Zitate<br />

von und über Banksy an der Wand.<br />

Dann kommt der Ekel. Ausgerechnet vor dem<br />

Bild mit dem Mädchen, das einen Ballon in<br />

Herzform fliegen lässt. Die Haare wehen ihm ins<br />

Gesicht, ausgerechnet da ekelt man sich ganz<br />

gewaltig vor der kitschigen Widerlichkeit dieser<br />

Bilder, vor der komplett plakativen Systemkritik<br />

der Affen und Bullen und Granaten und vor<br />

den Blumen werfenden Demonstranten. Was<br />

für ein banaler Mumpitz, will man denken, und<br />

obwohl man die Schleusen zur Stilkritik nur<br />

ein wenig hatte öffnen wollte, bricht<br />

gleich der ganze Damm.<br />

Was erlauben sich diese Veranstalter*innen,<br />

eine vom<br />

Künstler nicht autorisierte<br />

Ausstellung<br />

mit<br />

einer Kunstform – Wandmalerei – zu machen,<br />

die ausserhalb dieser schwarz verkleideten<br />

Mauern immer sofort weggeputzt und bereinigt<br />

wird, als wäre sie Schmutz?<br />

In den sozialen Netzwerken machen Basler<br />

Künstler*innen gegen den Ausverkauf ihrer<br />

Kultur mobil, aber hier baut der Kunstmarkt<br />

dem Publikum eine neue Götze, auf die es onanieren<br />

kann und Selfies machen und T-Shirts<br />

kaufen und kritisch nicken vor den Bildern, auf<br />

denen Panther aus Gitterstäben aus Strichcodes<br />

ausbrechen und Flüchtlingskinder stehen mit<br />

brennenden Fackeln traurig im Wasser.<br />

Und es geht noch weiter. Banksy hat 2020 ein<br />

Schiff gespendet zur Seenotrettung von Geflüchteten<br />

auf dem Mittelmeer, auch davon ist<br />

ein Foto zu sehen. Der Begleittext zum Foto<br />

bringt die moralische und ästhetische Verrottung<br />

dieser Veranstaltung in der Basler<br />

Messe auf den Punkt.<br />

Das Schiff heisst «Louise Michel»<br />

und ist, so steht es auf der<br />

Tafel, der «emblematischen<br />

anarchischen<br />

Schriftstellerin,<br />

die<br />

Hier ist also die Einordnung.<br />

Banksy, Strassenkünstler, oder besser Street<br />

Artist, bemalt seit den 1990er-Jahren Wände<br />

mit ikonischen Schablonenkunstwerken, Stencils<br />

81<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


Die <strong>Bajour</strong>-<br />

Redaktion<br />

stellt sich vor<br />

in der Pariser Kommune aktiv war», gewidmet.<br />

Weiter steht da: «Es handelt sich um ein ehemaliges<br />

Schiff der französischen Marine, das für<br />

Such- und Rettungsaktionen umgebaut wurde.<br />

Das Schiff ist ebenso wendig wie rosa. (…)<br />

Ein Team von Rettungsprofis aus ganz Europa<br />

leitet und steuert das Schiff. Die Hierarchie ist<br />

flach, die Ernährung ist vegan.»<br />

Und mit dieser elenden Pointe, in der sich<br />

Lifestyle und Seenotrettung im Kontext einer<br />

kommerziellen Ausstellung über kapitalismuskritische<br />

Kunst die Hand reichen, findet die*der<br />

kritische Beobachter*in plötzlich ganz fest zu<br />

sich selbst.<br />

Wie einfach das alles ist und wie hübsch man<br />

die Widersprüche aufgedeckt hat. Ganz toll<br />

gemacht, Musterschüler*in. Vielleicht noch ein<br />

Post auf Instagram? Noch ein Artikel dazu? Fein.<br />

Hoffentlich merkt keine*r, dass man auch in der<br />

Kritik immer schön mitprofitiert am<br />

Ausverkauf aller Dinge.<br />

Die Ausstel-<br />

↑ Die Aussteller*innen unternehmen einiges, eine selbstironische<br />

Note in die Ausstellung zu bringen. (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

ler*innen selber haben natürlich das falsche<br />

Spiel längst antizipiert und machen mit grossen<br />

Zitaten auf ihr mieses Spiel aufmerksam.<br />

Lies mal, was hinter dem Stand für das Merchandise<br />

auf der Schrifttafel steht.<br />

Unklar, ob das von den Macher*innen so gewollt<br />

war, aber am Schluss sagt dieses dumme Spektakel<br />

mehr über uns selber als über die Kunst<br />

oder den Markt oder gar Banksy.<br />

Und darum tritt man am Ende wie befreit aus<br />

dieser Ausstellung auf den Messeplatz hinaus.<br />

Toll, wie hier alles zusammenkommt, das Falsche<br />

und das Echte, die Symbole und das Konkrete,<br />

der Hass und die Bewunderung. Ein Trainingsparcours<br />

für Ambiguitätstoleranz, denn natürlich<br />

kann man hier nicht einfach missmutig<br />

durchlatschen, ohne den Blick auf sich selbst<br />

zu richten. Darum lautet die befreiende Losung:<br />

Nichts ist echt, alles ist fake. Und irgendwer<br />

profitiert am Schluss immer. Nur sind es auch in<br />

diesem Fall nicht der Künstler und wahrscheinlich<br />

schon gar nicht die Kunst. Bis das nächste<br />

Tag, Graffiti oder Stencil von einer Kleinbasler<br />

Mauer geputzt werden, wird es nicht mehr<br />

lange dauern.<br />

→ NAME: Ina Bullwinkel<br />

→ PENSUM: 100 Prozent<br />

→ ALTER: 31<br />

→ LIEBLINGSORT IN BASEL:<br />

Mittlere Brücke (wegen der Aussicht,<br />

vor allem am Morgen)<br />

→ WENN DU AN BAJOUR<br />

DENKST, DENKST DU AN …<br />

Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke,<br />

denke ich vor allem an<br />

mein Ankommen in Basel.<br />

Ich lebe jetzt etwas mehr<br />

als ein Jahr hier und ungefähr<br />

genauso lange bin<br />

ich bei <strong>Bajour</strong>. Und es ist<br />

immer noch faszinierend<br />

und erleichternd für mich,<br />

wie gut ich in der Stadt<br />

aufgenommen wurde. Das<br />

hat viel mit <strong>Bajour</strong> zu tun.<br />

Zum einen habe ich die besten Kolleg*innen,<br />

die es trotz Homeoffice geschafft haben, dass<br />

ich mich sofort als Teil des Teams gefühlt und<br />

super schnell eingelebt habe. Ich hatte Angst,<br />

als «die Deutsche» einen Sonderposten zu haben.<br />

Das war nie so, mir wurde alles zugetraut.<br />

Auch das Briefing. Wo wir beim zweiten Grund<br />

wären, warum ich mich willkommen und verbunden<br />

mit Basel fühle: die Leser*innen. Das<br />

Feedback, die persönlichen Erfahrungen, die<br />

Tipps, die ermunternden Worte zum Baseldytsch,<br />

die mir regelmässig geschickt werden.<br />

All das macht <strong>Bajour</strong> für mich aus.<br />

83<br />

→ NAME: Valerie Zeiser<br />

→ PENSUM: 20 Prozent<br />

→ ALTER: 20<br />

→ LIEBLINGSORT IN BASEL:<br />

Bermuda-Dreieck<br />

→ WENN DU AN BAJOUR<br />

DENKST, DENKST DU AN …<br />

Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke,<br />

denke ich an meinen ersten<br />

Job, an das tolle Team<br />

und die beste Community,<br />

an Gärngschee und<br />

an den Redaktionshund<br />

Mara. Ich denke an’s Basel<br />

Briefing, das mit mir jeden<br />

Morgen in den Tag startet,<br />

an Computertastaturen,<br />

an tolle Geschichten und<br />

Persönlichkeiten. Ich denke<br />

an quirlige Redaktionssitzungen, in denen<br />

wir uns in Details verlieren und sie so bis ins<br />

Unendliche in die Länge ziehen. Und ich denke<br />

an Mittagspausen mit Zmittag vom Klara 13.<br />

Ich denke an Cappuccinos vom Café nebenan,<br />

weil unsere Maschine nur «normalen» Kaffee<br />

rauslässt. Ich denke an verwirrte Interview-<br />

Notizen, die man später kaum mehr entziffern<br />

kann, und an die zahlreichen Nachrichten auf<br />

Slack, unserer Message-App, die vielen Memes<br />

und geteilten Tweets. Und ich denke an unsere<br />

Redaktionspflanzen und -bilder. Kurz: Ich denke<br />

an vieles, wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke, aber vor<br />

allem an das, was uns alle verbindet: an Basel.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

→ NAME: Franziska Zambach<br />

→ PENSUM: 100 Prozent<br />

→ ALTER: 35<br />

→ LIEBLINGSORT IN BASEL:<br />

Am Rhein unterhalb der Pfalz<br />

→ WENN DU AN BAJOUR<br />

DENKST, DENKST DU AN …<br />

Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke,<br />

denke ich an wunderbare<br />

Menschen, die so viel<br />

Herzblut in ihre Arbeit stecken,<br />

die sich gegenseitig<br />

aufbauen und anspornen.<br />

Ich denke an gemeinsame<br />

Mittagessen und lustige<br />

Feierabendbierli und ich<br />

denke an die täglichen<br />

Basel Briefings und das<br />

euphorisierende Gefühl,<br />

wenn man endlich auf den Senden-Button<br />

drückt. Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke, bin ich unendlich<br />

froh, in dieser Redaktion gelandet zu<br />

sein, bei Chef*innen, die die Stärken der Menschen<br />

erkennen und sie daran messen und bei<br />

einem Team, dessen Motto «alles für die Firma»<br />

ist und das damit eigentlich «alles für meine<br />

Team-Gspänli» meint.<br />

→ NAME: Andrea Fopp<br />

→ PENSUM: 100 Prozent<br />

→ ALTER: 38<br />

→ LIEBLINGSORT IN BASEL: Rheinbord<br />

zwischen Wettstein- und Schwarzwaldbrücke,<br />

Grossbasler Seite<br />

→ WENN DU AN BAJOUR<br />

DENKST, DENKST DU AN …<br />

Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke,<br />

denke ich an den Morgen,<br />

als ich um 9 Uhr den<br />

Stream des Grossen Rates<br />

anschaltete, eine Weile<br />

mithörte und dann kurzerhand<br />

beschloss: Wenn ich<br />

schon mithöre, kann ich<br />

auch mitschreiben. Und<br />

zack, hatten wir einen<br />

Grossratsticker. Geboren<br />

innert Minuten – beim Entscheiden<br />

sind wir Punk. Statt stundenlang über<br />

Ideen zu studieren, machen wir einfach. Und<br />

schauen dann nach einer Weile: Hat’s unsere<br />

Community gefreut? Wenn nicht, streichen wir<br />

es wieder. Da sind wir dann ganz professionell,<br />

mit Zielen definieren, messen und priorisieren.<br />

Der Blog, beispielsweise, kam gut an. Aber ich<br />

merkte schnell, dass ich nicht ganze Tage dem<br />

Grossen Rat lauschen kann, mein Team (mein<br />

liebes Team!) braucht mich. Erst also Ressourcen<br />

beschaffen, Team verstärken, dann tickern.<br />

Klingt mega unpunk. Okay, ich gesteh’s: Im<br />

stillen Kämmerli denk ich ehrlich gesagt auch<br />

nicht an den Ticker, wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke.<br />

Sondern von morgens bis abends: Was braucht<br />

<strong>Bajour</strong>, um gross und stark zu werden?<br />

→ NAME: Samuel Hufschmid<br />

→ PENSUM: 70 Prozent<br />

→ ALTER: 40<br />

→ LIEBLINGSORT IN BASEL:<br />

→ WENN DU AN BAJOUR<br />

DENKST, DENKST DU AN …<br />

Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke,<br />

denke ich an Ausprobieren<br />

und kurze Entscheidungswege.<br />

Wir sind gestartet<br />

mit Events in der Markthalle,<br />

dann kam Covid, die<br />

Leute durften sich nicht<br />

mehr treffen. Also haben<br />

wir die Gärngschee-Gruppe<br />

gegründet und dafür<br />

gesorgt, dass Freiwillige<br />

für besonders gefährdete<br />

Personen einkaufen gehen. Und wir haben<br />

Konzerte gestreamt, damit es dir weniger langweilig<br />

war zuhause im Lockdown und Künstler*innen<br />

eine minimale Gage erhielten. Wir<br />

haben mit Tausenden Helfer*innen bei «Wem<br />

gehört Basel?» die Immobilien-Blackbox geknackt<br />

und eine Nacht draussen mit den Bettler*innen<br />

verbracht. Natürlich haben wir auch<br />

Dinge ausprobiert, die nicht so gut geklappt<br />

haben – aber wichtig ist, dass wir sie ausprobieren<br />

konnten. Das ist möglich, weil wir schnell,<br />

mutig und oft mit dem Bauch entscheiden.<br />

→ NAME: Daniel Faulhaber<br />

→ PENSUM: 80 Prozent<br />

→ ALTER: 31<br />

→ LIEBLINGSORT IN BASEL: Unter der<br />

Trauerweide auf dem Lysbüchel<br />

→ WENN DU AN BAJOUR<br />

DENKST, DENKST DU AN …<br />

Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke,<br />

kommen mir zuallererst<br />

diese seltsamen Umkleidekabinen<br />

in den Sinn.<br />

Früher war unser Büro ein<br />

Bekleidungsgeschäft, heute<br />

herrscht an der Clarastrasse<br />

10 dieser typische<br />

Start-up-Vibe mit frechen<br />

Bildern an der Wand und<br />

Cola im Kühlschrank. Von<br />

früher sind an dieser Adresse<br />

nur die Umkleidekabinen übrig geblieben<br />

und immer wenn ich in einer Recherche<br />

feststecke oder wieder wer das Telefon nicht<br />

abnimmt, dann starre ich unbewusst in diese<br />

Umkleidekabinen hinein. Manchmal würde<br />

ich mich gern umziehen und mal was anderes<br />

machen, als den Leuten mit dringenden Mails<br />

und kritischen Fragen auf den Wecker zu gehen.<br />

Andererseits trage ich hier bereits ganz<br />

schön viele Hüte. Ich bin Reporter, aber auch<br />

Social-Media-Zampano, ich schreibe Newsletter<br />

und moderiere Veranstaltungen. Kürzlich war<br />

ich Model für unsere <strong>Bajour</strong>-Socken. Das war<br />

aufregend neu und ein bisschen peinlich und<br />

das fasst aus meiner Sicht den <strong>Bajour</strong>-Groove<br />

wieder ganz gut zusammen. Wenn ich an <strong>Bajour</strong><br />

denke, dann denke ich vor allem auch an<br />

mein Team. Ich bin sehr gern Teil dieses Teams.<br />

→ NAME: Romina Loliva<br />

→ PENSUM: 80 Prozent<br />

→ ALTER: 35<br />

→ LIEBLINGSORT IN BASEL: Bei<br />

den Rehen im Schwarzpark<br />

→ WENN DU AN BAJOUR<br />

DENKST, DENKST DU AN …<br />

Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke,<br />

dann denke ich an das<br />

Basel Briefing und daran,<br />

wie genial diese Idee<br />

eigentlich ist. Weil sie sich<br />

völlig dem Service für die<br />

Leser*innen verschreibt<br />

und das ist, was alle Medien<br />

machen müssten: Information<br />

als Dienstleistung<br />

für die Gesellschaft<br />

verstehen. Und weil sie so<br />

simpel und sympathisch ist. <strong>Bajour</strong> ist für mich<br />

84 85<br />

aber auch Community: eine, die kein PR-Stunt<br />

ist. Die gelebte Solidarität der Gärngschee-<br />

Gruppe ist unglaublich und erstaunt mich immer<br />

wieder von Neuem. Und dann ist da noch das<br />

Team. Alle ziehen an einem Strang, sind hilfsbereit<br />

und schauen zueinander. Solche Gspänli<br />

schliesst man schnell ins Herz.<br />

→ NAME: Adelina Gashi<br />

→ PENSUM: 100 Prozent<br />

→ ALTER: 29<br />

→ LIEBLINGSORT IN BASEL:<br />

Dreirosenbrücke<br />

→ WENN DU AN BAJOUR<br />

DENKST, DENKST DU AN …<br />

Wenn ich an <strong>Bajour</strong> denke,<br />

dann denke ich mega<br />

fest an mein unschlagbares<br />

Team. Wir sind Kompliz*innen.<br />

Allzeit bereit,<br />

uns gegenseitig Rückendeckung<br />

zu geben. Ich<br />

denke an das Leben als<br />

rasende Reporterin, bei<br />

dem es schon einmal vorkommen<br />

kann, dass man<br />

bei Schneeregen auf der<br />

Strasse übernachtet, von einem Tag auf den<br />

nächsten beschliesst, für eine Reportage nach<br />

Graz zu fahren, oder Abstimmungssonntage<br />

on the road bestreitet. Hauptsache, nahe an<br />

den Menschen. Ich denke dabei auch an all die<br />

unterschiedlichen und spannenden Persönlichkeiten,<br />

die ich für <strong>Bajour</strong> treffen durfte, die mir<br />

ihr Vertrauen schenkten und Einblick in ihre<br />

Sicht auf die Welt gaben. Das geht, weil wir<br />

nicht über, sondern mit den Menschen sprechen.<br />

Eine Haltung, die <strong>Bajour</strong> für mich auszeichnet.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

<strong>Bajour</strong><br />

in Zahlen<br />

Zahlende Unterstützer*innen: 2800<br />

Gesamtzahl bisher versendeter Briefing-<br />

Mails an alle Abonnent*innen: 1’777’488<br />

Fun Fact Briefing: Würde man die rund 500<br />

erschienenen Briefings ausgedruckt der<br />

Länge nach aneinanderreihen, ergäbe dies<br />

eine Papierschlange von 8 Mal der Höhe<br />

des Wasserturms auf dem Bruderholz!<br />

<strong>Bajour</strong>-Impfquote: 100%<br />

Verschlafene Briefings im<br />

letzten Jahr: 3<br />

Frauenanteil im<br />

Team: 61,5%<br />

Guddelis für den<br />

Bürohund Mara:<br />

jedes Mal, wenn sie<br />

uns herzerwärmend<br />

anschaut<br />

Geklaute Pakete<br />

vor der Türe: 1<br />

Gesamtalter der Belegschaft:<br />

2020: 377 Jahre, 2021: 483 Jahre<br />

Lebensmittelabgabe: Pro Samstag verteilen<br />

wir ca. 30 Kisten Frischwaren und 20 Kisten<br />

Trockenwaren. Pro Abgabetag sind dies rund<br />

300 kg Lebensmittel, die an 92 Haushalte<br />

bzw. 243 Personen verteilt werden und so<br />

deren finanzielle Situation etwas erleichtern.<br />

Mäss-Päggli: Spenden für 150 Mässpäggli<br />

im Gesamtwert von 12’000 Franken<br />

sind nach 1 Aufruf eingegangen. Damit<br />

konnten wir über 70 Familien einen<br />

Herbschtmäss-Bummel ermöglichen.<br />

86<br />

Neue <strong>Bajour</strong>-Babys: 2<br />

Freie Mitarbeiter: 7921 (bezogen auf unser<br />

Crowdsourcing-Projekt «Wem gehört<br />

Basel?» haben uns so viele Menschen<br />

beim Sammeln der Daten geholfen). Davon<br />

haben 400 Menschen mindestens einmal<br />

das volle Potenzial von 20 Abfragen<br />

pro Tag ausgeschöpft und sich in die<br />

Liste der Co-Autor*innen eingetragen.<br />

<strong>Bajour</strong>-Socken im Umlauf:<br />

noch nicht genug!<br />

Von Ibrahim gerettete<br />

Büropflanzen: ca. 100<br />

Dialekte im Team: 5<br />

(Baseldytsch, Züritütsch,<br />

Bärndütsch, Bündnerisch,<br />

Aargauerdütsch)<br />

Muttersprachen<br />

im Team: 3<br />

Veganer*innen im Team: 1<br />

Autobesitzer*innen im Team: 5<br />

Siestas auf dem Dach: etwa 1000<br />

Vertrocknete und mühselig entfernte<br />

Kaffeepads: viel zu viele<br />

Ehemalige Chefredaktor*innen im Team: 3<br />

So oft hat sich die Redaktion schon<br />

aus dem Büro ausgeschlossen: 1<br />

Verteilte Herzli auf Slack: unzählige<br />

Alexander Dagmar Barbara Carola Ariane Isabelle Petra Sabine Thomas Jörg Katja Pascal Artur Marianne Hannah Dany Diego Joël Anna Verena Rudolf Simone Peter Nathalie<br />

Michael Martin Katja Nicole Marc Sabrina Sabine Daniel Marina Kevin Anna Sandra Christopher Martin Daniela Erna Eva Hans Caroline Brigitte Nicole Peter Christina F F Franz<br />

Stephan Laura Reto Vre Dan Monica Matthis Max Andreas Hans-Peter Irma Jean-Luc Jürg Margrit Markus Pierrine Rachel Stephan Erik Peter Caroline Elisabeth Elisabeth Martin<br />

Beni E. Martin Martin Rahel Reto Stefan Jan Dominik Matthias Nunzio André Werner Christof Aleksandar Anita Anna Barbara Philomena Gabriela Gabriele Johanna Markus<br />

Martin Paul Remo Ruth Thomas Mauro Thomas Thomas Werner Wolfgang Carmen Urs Catherine Michel Peter Urs Reena Marcus Frithjof Sophia Christian Regina Sabine Annina<br />

David Lukas Anja Martin John Anita Livio Felix Toni Claudia Hans Annette Catherine Claude Heinz Rudolf Ueli Michael Chantal Lena Patrick Carmen Madeleine Dani Pello<br />

Robert Florian Angelika NIcole Andreas Isabelle Barbara Corinne Patricia Rainer Manfred Stephanie Urs Markus Eusebio Vanessa Isabel Zoë Antonietta Adrian Hansruedi Heini<br />

Jakob Margrit Marianne Markus Martina Ueli Ursula Verena Beat Doris Tanja Nadine Lina Andreas Beat Irene Joris David Joel Armin Brigitte Claudia Esther Franziska Henny<br />

Irmgard Jörg Karin Kristin Liselotte Marlene Melanie Peter R. Rick Rino Roland Susanne Beatrice Annette Andreas Beatrice Claudio Daniel Elisabeth Heidi Nicole Rudolf Werner<br />

Renata Elizabeth Patrick Adrian Anette Elisabeth Harald Livia Michel Oliver Ruth Sara Stephan Wendy Rima Urs Franziska Viviane Alen Fiona Martin Lynn Helena Nadine Oliver<br />

Silvia Andrea Mara Pia Barbara Renée-Katharina Judith Paolo Bianca Florinda Marlene Carina Martin Ulla Tom Jürg Gioia Myrta Marc Ursula Breandan Barbara Damian Björn<br />

Vero Marc Martin Urs Christof Florian Elisabeth Gundi René Carlo Aline Joseph Martin Ruedi Aino Marianne Rolf Kathleen Brigitta Christine Daniele Lisa Maria M. Martin Pablo<br />

Peter Simone Anna Lars Andreas Moni Daniel Sibylle Till Priska Roman Angelika Samira Ana Luca Ute Lilly Karin Brigitte Anne Philipp Rita Nadja Rudolf Andreas Seraina Katrin<br />

Samuel Aline Matthias Xenia Raphael Michela Erika Simon Tobi Doris Fabian Roberto Raphaela Boris Georg Mich Anouk Vinzenz Antoinette Nelli Peter Conchita Carole Sandra<br />

Lea Alexandra Joël Suzanne Esther Céline Aeneas Claudio Sabine Charlotte Robin Martina Jeton Anna Alexander Urs Susanne Christina Cornelia David Eva Freddy Isabelle<br />

Jörg Magdalena Marcel Markus Nadia Martin Max Jürg Max Delphine Eva Liliane Markus Bruno Reto Philipp Beat Barbara Jan Andreas Caspar Andrea Barbara Gaby Suzanne<br />

Willi Dagmar Sarah Moni Claudia Daniel Ulrike Anouschka Sabine Denise Jana Claudia Gilda Lory Madeleine Michelle Jacqueline Verena Jürg Camille Gerhard Gregor Michael<br />

Gabriel Markus Anna E. Joe Martin Hans Peter Dominique Lukas Julia Martin Barbara Lena David René Michi Alenka Ambros Andreas Cecilia Judith Markus Martin Matthias<br />

Andreas Ladina Urs Alain Sou Bouy Andreas Sabine Michel Stefan Yasmin Martin Claire Mel Veronika Moritz Anna Raphaela Urs Manuel Christine Mariann Daniel Jeremias Andrea<br />

Prisca G. und B. Jürg und Maya Annabel Céline Karin Jonas Franziska Karl Tina Ulrike Désirée Didier Lucius Magali Alina Visnja Jeremy Katrin Silvia Valerie Ketty Rahel Lea<br />

Miran Nathalie Noemi Iris Sarina Thomas Käthe Käthe Mandali Michel Susan Stevie Stevie Claudia Sibylle Pauline Stefan Stefan Ava Minka Alfred Katja Rahel Susanne Salome<br />

Elisabeth Louanne Cathlyn Paula Monika Lotti Barbara Silvia Anita Anja Rene Matthias Erik Erik Rebecca Marlise Franziska Regula Aline Michaela Emel Andreas Rolf Anna Peter<br />

Simone Florian Nica Catherine Birgit Caroline Manuel Myriam Armella Astrid Alex Beatrice Daniel Evelyn Evelyn Othmar Florentin P. Peter Raymond Roland Verena Yvonne<br />

Elisabeth Vera Cynthia Christoph Lucius Marianne Jacqueline Werner Marguerite Caroline Christine Martin Lya Benedikt Martin R. Anna Regina Claudia Rahel Hagen Joel Bertrand<br />

Eva Ivo Patricia Thomas Ursula Verena Ralf Miriam Regula Meret Franziska Tamina Orlando Lukas Florian Friedrich Linda Dominik Luciano Ariane Christa Melanie Susanne<br />

Sara Johannes Priska Claudia Sonja Pius Vera Emanuel Christoph Annina Nadine Elfie Sandra Robert Evelyne Lena Franziska Caroline Christine Hans Julia Nicolas Niklas Ruedi<br />

Tatjana Thomas Kathrin Helena Roli René Alain Elisabeth Frank Henriette Peter Sibylle Eric Ruth Stefan David Urs Barbara Romeo Christian Carla Birgit Franz Esther Katrin<br />

Maria Christian Christine Andrea Debora Flynn Hanspeter Murielle Uma Jürg Vanessa Brigitte Claudia Emanuel Simon Barbara Katrin Martin Oliver Judith Susanne Susann<br />

Therese Dominik Christoph Eva-Maria Beat Martin Sarah Stefan Tho-<br />

mas Jürg Xavier Loredana Simon Regula Lars Felix Hans-Peter Arthur<br />

Oliver Richard Beat Claude Samuel Ingrid Peter Brigitte Regine Ute Irina Herzlichen Dank Thomas Isi Margrit do Balazs Werner Martin Thomas Sabine Jacqueline<br />

Suzanna Monika Maria Alois Thomas Till Charlotte<br />

Nelly Rüdiger Heidi Bettina Renata Kurt Georg André<br />

Guido Anita Sabine Roberto Rebecca Katharina Dieter<br />

Barbara Sophie Peter Oliver Monika Margrit Barbara<br />

Salome Tommy Ursina Katharina Markus Gerhard Regiallen<br />

unseren Unterstützer*innen<br />

na Marianne Blazenovic Lena Christina Verena Ursula<br />

André Martina Claudia Thomas Amanda Christine Peter Benedikt Thomas Isaac Erika Roger Thomas Dorian Markus Sabine Frank Simon Christine Angela Andreas Markus Veronika<br />

Sharon Aeneas Thaddaeus Bastian Christine Claude Gertrud Theodor Christian Fabian Danièle Katrin Andrea Martin Rebekka Zoe Charly Endrit Claudio Dagmar Patrick<br />

Willi und Catherine Maaike Claudio Anna Claudia Beat Marie Roger Miriam Yvonne Claudia Denise Markus Michael Roland Hansi Michael Regina Anna Beatrice Silvia Christoph<br />

Stefan Corinne Christoph Andrea Wilhelm Loretta Maurus Donata Martin Evelyn Marcel Sandra Luzia Rick Lorenzo Esther Hans-Peter Remigius Madeleine Rolf Stephan Anja<br />

Flavia Manuela Anna Susi Marianne Urs Miriam Lukas Josua Beat Oscar Peter Stunitz Silvia Manfred Lavinia Hans-Peter Beatrice Josua Cordula Rudolf Daniel Peter Felix Dominik<br />

Martina Johannes Annette Catherine Niklaus Anouk Esther Janine Birgit Annette Otto Hanspeter André Bruno Dieter Gioi Tanja Louis Horst Annette Catherine Rosemarie<br />

Daniel Dieter Stefanie Charlotte Werner Dorothea Barbara Daniel Karin Ursula Monica Rein- hard Sandra Susanna Michael Susi Rahel Sven Pascal Andreas Linda<br />

Philipp Alexander Elisabeth Peter Katharina Felix Beat Urs Nel- ly Simone Irène Iris Gabrielle Rouven lydia Thomas Hanspeter Jörg Johanna<br />

Peter Valentin Andreas Sabrina Nabil Rudolf Claudia Helga Kilian Chiara Christine Sebastian Lena Katrin Paul Barbara Manuel<br />

Franziska Monica Christine Lukas Jürg Nicole Adil Renata<br />

Nicolas Peter Christine Luca Ada Manuela Valentin Barbara<br />

Rudolf Hugues Ines Barbara Patrick Liliana René Volkmar<br />

Gaby Nathalie Lou Irena Monika Nino Sonja Wolfgang Gini<br />

Cristine Sandie Andrea Judith Mechthild Katja Jeannette<br />

Urs Tilman Gabi Felix Helge E. Christian Jens Theres Stephan<br />

Renate Thomas Sabine Rahel Hans Käthe Markus<br />

Sandro Yvonne Uta Claudia Heini Laila Isabelle Katharina<br />

Linda Wendy Olivier Rosmarie Urs Peter Sabina Christoph<br />

Luzia Elisabeth Doris Mira Gerrit Emel Hans Mirjam Urs<br />

Samanta Paul Ute Mariann Franziska Walter Silas And-<br />

reas Peter Dagmar Jikkelien Sonja Bettina Thomas Julian<br />

Michael Hans Ga-briela Maja Leonhard Susann Angelika<br />

Christa Verena Rolf Yvonne Katharina Karin Anja Pilvi<br />

Rebekka Daniel Lisa Philippe Roger Rita Maja Marianne<br />

Gabriele Jonas Benjamin Guido sarah Stefan Rosmarie<br />

Heidrun Susanne Susanne Mirjam Cécile Enrica Alba<br />

Johannes Markus Sabine André Kathrin Pan Karin Bruno<br />

Dominique Heidi Ivana Martina Susanna Susanne Werner<br />

Urs Katharina Natasha Sascha Thomas Matthias Simon<br />

Beatrix Kessy Peter Heidi Urs Paolo Ruedi Tilmann Anne-<br />

marie Katja Anna-Birgit Stefan Barbara Ursula Kurt Sus<br />

Verena Tom Andreas Susann Christoph Amelie David Ka-<br />

tharina Elena Isabel Monika Franziska Ursula Lena Pierrette<br />

Sven Leonhard Tatiana Michael Peter Julia Joanna And-<br />

reas Elodie Viviane René Simone Thomas Rolf Jörg Paul<br />

Robert Joelle Beatrice Peter Brigitte Erich Johannes Susann<br />

Olivia Michael Christian Manuela Peter Christian Sibylle Gabi<br />

Lukas Marianne Nina Gabriela Michaela Tanja Raphael Hans<br />

Jakob Florian Bergita Bettina Gabi Marta Gabriela Claudia<br />

Benedikt Maya Urs Andres Christoph Simone Andreas Regu-<br />

la Roslind Uwe Verena Nils Balz Uwe Patrik Cyrill Febin Urs<br />

Denise Walter Frank Astrid Franziska Myriam Christof Monika<br />

Anita Robert Eva Michelle Hans-Peter Elisabeth Peter Val Boris<br />

Carmen Silvia Susann leni Dominik Nora Walter Eliane Elisabeth<br />

Helena Maria Gabriela Sarah Ziad Gert Matthias Claudia Dario<br />

Tanja Isabel Erich Claudia Marianne Verena Adele Hugo Benedikt<br />

Christian David Peter Christa Andreas Nicole Regula Dorothee<br />

Christina Christian Susanne Inna Simone Eveline Yvonne Ursula Noë-<br />

mi Anna Andreas Brigitte Cornelia Willy Daniel Marc Till isabelle Oliver<br />

Charlotta Bea-trice Bernhard Christian Barbara Esther Catherine<br />

Jeannine Annelies Esther Marianne Catherine Stephanie Gavin Friede<br />

Olimpia Silvia Thomas Charlotta Erich und Alice Gérard Astrid Thomas<br />

Laura Nathalie Andrea Thomas Walter Irene Piero Tim Angelika Alessandra<br />

Philipp Theres Doris Florian Tobias Rebecca Terry Priska Urs Nina Stefan Ruth<br />

Rosemarie Franziska Gabriela Stefanie Nadja Daniela Sharon Jani Claudia<br />

Ursula Christine Seline Franky Michela Barbara Andres Marc Benjamin Seraina<br />

Jonas Bianca Cornelia Katharina Cédric Luana Peter Miriam Vera Katrin Silvia<br />

Suha Lena Yasmine Simon Fabian Saskia Christopher Claudia Claudia Melanie Bri- gitta Rene Andrea Birgit Charley Elwira Béatrice Barbara Katrin Thierry Simone<br />

Kathrin Meret Noemi Angela Ginette Chris Silvia Denise Christine Regula Martina Ursula Janine Martina Martin Marita Christian Fabio Victoria Ketty Sascha Victoria Beat Caroline<br />

Karin Andrea Antoinette Catherine Nina Daniela Walter Marion Katrin Catherine Michèle Urs Michaela Nathalie Antonius Claudia Peter Lucie Charlotte Thomas Christian<br />

Carole Sibylle Hannes Tobias Claudia Nora Verena Salome Stefanie Beat Angela Vanessa Saskia Michael Michal Christiane Nadja Pascal Mélanie Bernie Heinz Dani Florence<br />

Paolo Peter Jolanda Micha Christian Hannes Susanne Samuel Barbara Konrad Céleste Stevie Lucien Lars Sandra Ivo Sylvia Evelyn Mario Antoinette Désirée Daniel Mike Jörg<br />

Jörg Lutz Peter Agnes Susanne Kandid Lukas Barbara Martin Jennifer Cedric Verena Stephan Andreas Claudia Kurt Béatrice Bruno Katharina Kerstin Madeleine Marcel Monica<br />

Rosemarie Sandra Walter Seraina Bruno Elfie Filomena Werner Hannes Peter Jürg Arthur Barbara Annina Pierrine Beatrice Catherine Monica Fritz Christine Marina Anja Dagmar<br />

Lucienne Liliane Beatrice Benjamin Florian Kathrin Nathalie Pauline Roland Christoph Jeremy Christina René Verena Trudi Olivier Fabian Dennis Philipp Roland Katrin Claudia<br />

Michaela Ulrike Urs Ursula Christoph Yvonne Sonia Sonia Elisabeth Samuel Hans-Georg Laurent Josef Lea Lisa Pius Thomas René Rainer Ursula Daniel Johannes Johannes<br />

Andreas Philomena Eliane Max Nelly Samuel Esther Gunhild Sabine Nadine Bruno Johannes Sophia Helias Christiane Nathalie Vera Michèle Janick Ayla Louisa Marc Jonas Karl<br />

Brigitte Esther Erwin Bernhard Rudolf Christian Karin Andreas Sophie Mariam Sabine Leslie Urs Elaine René Gabriela Ana Sébastien Heinrich Katharina Patricia Stefan Anja<br />

Monika Margrit Markus Hänni Ruedi Lukas Michael Lukas Catherine Ainca Sandra Christoph Mireille Paolo Hans Tom Andreas Sylvia Michel Olivier Adelheid Andrea Beat Esther<br />

Georg Gerlind Monika Pascal Susanne Roger Michael Mike Alexandra Remy Ruedi Gaby Tamara Marion Alessandra Gabi Aline Franziska Renate Sarah Maren Imelda Renata<br />

Sarah Vania Franciska Laura Robert Alain Arno Lisanne Priska Sonia Elsbeth Christine Renate Matthias Andrea Ariane Jean Jacques Mireille Jael Samira Manfred Manuela Gyl<br />

Theres Tamara Thomas Kathrin Samuel Emme Lukas Susanne Andi Thomas Noemi Eva Viviane Simone Claude Natalie Lucie Peter Katja Anouk René Ursina Sandra Giulia Frédéric<br />

Christine Mirjam Sonja Claudio Bigna Barbara Isabella Andreas Renato Stefan Luis Julian Jonas Nicole Erika Andrea Annette Heinz Kim Peter David Florian S. Patricia<br />

Anne Patric Esther Anja Renato Barbara Carmen Lena Pina Gisela Catherine Regula Rudi Sylvia Juerg Jeanine Hans Walter Markus Carla Hélène Thomas B. Monika Michelle<br />

Stefan Basil Wolfgang Ruth Ursula Linda Philip Lilian Thomas Desiree Johann Hans Aaron Edith Hanspeter Thomas Maya Sarah Sara Markus Philip Carolin Gregor Marina Linette<br />

Scott Tibor Stephan René Mark Karin Achamma Marlyse Jessica Jaap André Arthur Claudio Mike Massimo Therese Marcel Magdalena Nadine Baschi Helga Judith Reto Mireille<br />

Karin Eduard Peter Urs Veronika Marianne Dalit Martin Ursula Marco Sylvia Sabrina Laura Katrin René Christoph Stephanie Lea Felix Werner Ralph Sindy Doris Helene<br />

Claudio Flavio Manni Barbara Kerstin Urs Daniela Jorge Klara Lony Monika Jenny Katja Anna Anne Mirjam Anna Anja Rolf Claudia Babette Daniel Matthias Elsbeth Claudius<br />

Kristina Gülden Birgit Remo Gunhild Sarah Miriam Martin Hans-Adam Beatrice Konrad Franz Alfred Sabine Paige Rick Alexandra Alma Susanne Ava Birgit Meret Susanne Susanne<br />

Wanja Christine Brigitta Cathérine Celestine Christian Bernhard Denise Julia Cinzia Urs Ulla Cita Maurus Kevin Sebastian Clara Andreas Rolf Christine Simone Deborah<br />

Dunja Sharon Hans-Dieter Irina Annabel Kuno Irina Doris An Lac Heidi Susanne Steffi Lukas Elsbeth Cathérine Hans Sabine Ueli Ueli Eva-Maria Elias Stefanie Christine Erich<br />

Evelyn Fabian Franziska Thomas Nadia Gaby Gly-Jeanne Theresa Grit Roma Katherina Hannes Jürg Sandra Angela Urs Judith Christoph Christian Isabelle Elio Christine Jan<br />

Peter Annette Jasmin Maya E Elisabeth Beat Walter Beatrice Marc Julia Lena Julius Jan Susanne Veronika Tadeo Raphael Karin Hanspeter Roger Karin Anmari Hansruedi Radim<br />

Kathrin Michele Iris Chloé Luca Andrea Timea Hans Adrian Toni Laura Lena Lena Leslie Laurie Jolanda Marlies Isabelle Lucius Stephan Gina Hanna Mattia Kaspar Thomas Hans-<br />

Peter Hans-Peter Gabriel Malin Moritz Mylène Naemi Susanne Angelika Pietro Yvonne Nathalie Frederick Pauline Johannes Netty Daniela Lotte Daniel Sebastian Antonia Rainer<br />

Rahel Sabine Salome Catherine Nina Jan Brigitte Anouk Sabine Bernadette Luzian Karin Agathe Patric Ivana Elisabeth Jan Nadine Nick Erich Fausto Felix Remo Christoph<br />

Noemi Mark Stephan Samuel Daniel Sven Christa Claudia Yuri Lukas Eva Lisa Miriam Laura A. Felicitas Michaela Nora Remo Sonja Thorsten Friederike C. Gertrud Anita Laura<br />

Ayesha Marco Patrick Susann Alexandra Theres Wiwi Daniela Esther Dorothee Jürg Alexander Dieter Hans Peter Attila Petr Sascha Marina Andreas Annakarin Christian Christine<br />

Eva Peggy Ramon Silvia Thomas Urs Carla Ruth Simone Brigitta Nora Astrid Philipp Marie-Thérèse Béatrice Christoph Gabriel Gaby Iris Isabelle Beatrice Christophe Margrit<br />

Stephan Enz Christoph Lisa Bruno Franziska Juan Luisa Marianne Michael Pascal Stephan Nicole Christian Dani Hannes Annegret Beda Stephan Sue Corinne Katharina<br />

Christine Tobias Christian Hanspeter Patrick Annette Jürg Max Johannes Ulrike Stefan Christina Christine Dominick Isabelle Daniel Jose Anja Alexandra Benno Hansjörg Markus<br />

Markuss Ursula Julia Annette Evelyn Kathrin Denise Patricia Andreas Fabian Lynn Patricia Urs Andrea Stefan Jill Christian Fredy Fritz Mats Christa Elisabeth Felix Gabriela Simon<br />

Stine Christoph Till Lorenz Daniel Hedwig Ladina Marie-Theres Wolfgang Steffi Josef Rudolf Armando Lumir Melanie Peter Pierre Samuel Georg Elisa Reto Anna Didier<br />

Martina Andrew Leonhard Michael Nicole Adrian Michele Heiner René Serge Franky Marianne Stefan Dorothee Silvia Dieter Carin Annette Jopo Marie-Eve Simone Christine<br />

Jean-Michel Lukas Maria Elisabeth Ann-Kathrin Christian Melanie Tobias Kaspar Lukas Ursula Armin Oliver Melanie Marc Jean-Luc Bernhard Philippe Franz-Xaver Timo Martin<br />

Éloy Mathys Ursina Judith Martin Tosca Irene Martin Marcel Zoe Ruth Lilian Peter Benedikt Inez Joseph Marcel Riekje Cordula Diana Ursula Roman Elisabeth Benedikt Urs Basil<br />

Ueli Vreni Christine Max Daniel Barbara Annemarie Arno Jasmine Sabrine Felicitas Ruedi Robert Susanne Agnes Claude-Maurice Sanja Ursina Silvana Ruth Kathrin Andreas<br />

Markus Volker Regula Sigurd Daniel Michael Ursula Eva Peter Katharina Monika Maneva Whitney Willy Adrian Manuela Dominik Katherina Andrea Britta Joachim Dilan Natalia<br />

Katharina Stephan Nicolas Felix Gabriel Fritz Agnes Dagmar Dieter Alena Gertrud Françoise Martina Marianne Stefan Debora Anne Catherine Gertrud Severine Gabriela Andrea<br />

Christian Felix Karen Klaus Ruth Dagobert Cathlyn Daniel Yvonne Stefan Simone Pascal Therese Katharina Sven Solveig Ruedi Tatjana Luciano Sandro Andreas Beat Helga<br />

Martin Béatrice Olav Rudolf Christine Katharina Christine Stefanie Jelena Sabine Vera Simon Theres Michael Herbert Sylvia Christina David Kathrin Tatjana Astrid Beat Dietmar<br />

Ariane Laurent Agathe Mara Susan Isabelle Simone Lotti Michel Matthias Simon Franz Helena Katja Elisabeth Monika Milena Franziska Martin Fabian Johanna Lisanne Moritz<br />

Premton Marc Adrian Claire Lysander Claudia Marc Verena Lutz Claude Giselle Dominic Olav Christian Marianne Martina Ursula René Daniel Roland Guido Hartmut Dorothee<br />

Anika Christa Daniel Désirée Georgina Stefan Simon Karen Martin Markus Roland Ute Angela Livia Andreas Simon Aleksandr Sylvia Markus Maya Christoph Kaspar Yanik Rahel<br />

Johannes Tonja Lukas Monica Ermanno Gabi Roger Jakob Nicola Helena Anja Luisa Isabel Rose Thomas Peter Markus Manuel Luciano Hannah Hannah Hannah Urs Philippe<br />

Susanne Martin Jan Louise Oliver Madeleine Stefan Susann Ramiro Sabrina Claudine Esther Yvonne Monica Ian Annik Oli Jurriaan Evelyn Katrin Anja Dominik Dorothea Anja<br />

Lela Kathrin Debora Sabine Katharina Urcun Edith Manuel Annamira Jana Johannes Sandra Ursula Flavio Jeannine Carolina Rita Sofia Silvan David Gian Marco Simone (Mona)<br />

Fred Urs Andreas Anet Marc Piet Elsbeth Alexandra Fabian Beatrice Jasmin Annina Stephan Gaby Tobias Hans Peter Eva Peter ina Sheila Thomas Adrian Marcel Ursula Birgit<br />

Corinne Andrea Franziska Pascale Ina Charley Rudolf Claude Sebastian Kerstin Claudia Pascal Lukas Sabine Catherine Ermanno Philipp Anke Beatrice Maya E Sabine Peter Linus<br />

Sabina Madlaina Martin Kai Jörg Henryk Dieter Magdalena Enz Christoph Agnes Sandra Sabine Agnes Lucas Alexandra Johanna Lotty Elisabeth Regula David Hans Roman<br />

Hans Mirko Claudine Franziska Rita Andreas Andreas Bernadette Cornelia Marcel Kathrin Emmanuelle Susana Cristina Valentin Anette Marilena Marilena Rudolf Amelie Ljubiša Madeleine<br />

Anne Brigitte Jürg Nora Anne Silke Adrian Gisela Claudia Claudia Esther Niklaus Daniel Katerina Kathrin Dorin Matthias Bernadette Andreas Brigitta Christoph Marbeth Kerstin<br />

Brigitte Marcel Evelyn Rino Beat Brigitta Luca Sylvia Jelena Eve Dominic Marianne Graziella Myriam Martin Nicolas Cécile Antoinette Brigitta Barbara


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

88<br />

36 grosse Reportagen.<br />

6 Bücher.<br />

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