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Bajour Magazin #2

Unsere journalistischen Perlen des letzten Jahres zusammengefasst in einem Magazin.

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Bettelverbot<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Die Politik hat bei<br />

den Roma versagt<br />

– auch die Linke<br />

Der Grosse Rat hat ein restriktives Bettelgesetz<br />

durchgepeitscht. Die Linke ist enttäuscht. Aber ehrlich: Sie<br />

trägt Mitverantwortung an der Misere. Ein Kommentar.<br />

Andrea Fopp<br />

Jetzt haben wir faktisch wieder ein Bettelverbot.<br />

In selten gesehenem Tempo hat die Regierung<br />

das neue Verbot ausgearbeitet, der Grosse<br />

Rat hat es ohne Kommissionsberatung verabschiedet.<br />

Auch wenn die Bürgerlichen jetzt<br />

von Humanismus und Hilfe vor Ort reden, hat<br />

das Gesetz vor allem ein Ziel: die Bettler*innen<br />

loszuwerden.<br />

Sorgfältig und menschenfreundlich ist anders.<br />

Die Empörung der Linken hat was: Es ist kleingeistig,<br />

wie Basel reagiert, wenn es mit Globalisierungsverlierer*innen<br />

aus Rumänien oder<br />

Bulgarien konfrontiert ist (ausser sie putzen<br />

unsere Wohnungen, duschen unsere Eltern<br />

oder geben uns einen Blowjob).<br />

Aber die Linke müsste ehrlicherweise selbst in<br />

den Spiegel sehen: SP, Grüne und BastA! tragen<br />

Mitverantwortung dafür, dass die Bettelsituation<br />

auf Basels Strassen eskaliert ist und<br />

wir als Konsequenz jetzt ein Gesetz haben, das<br />

restriktiver kaum sein könnte.<br />

Die Linke hat das Thema schlicht zu lange verschlafen<br />

und naiv schöngeredet. Damit hat sie<br />

in die Hände der Bürgerlichen gespielt, zuvorderst<br />

SVP-Grossrat Joël Thüring, von dem die<br />

Motion für ein neues Verbot stammt.<br />

Offenbar hat die Linke das auch gemerkt: «Es<br />

gibt Handlungsbedarf. Das bestreitet die SP<br />

nicht», begann Grossrat Pascal Pfister, bis vor<br />

kurzem Parteipräsident, sein Votum im Parlament.<br />

Es gebe «Grenzen des Zumutbaren», sagte<br />

er in Bezug auf aufdringliche Bettler*innen und<br />

genervte Basler*innen: «Die Toleranzgrenze<br />

wurde für viele Menschen in der Bevölkerung<br />

erreicht und für gewisse auch überschritten.»<br />

Und Heidi Mück von BastA! sagte: «Es war richtig,<br />

das Bettelverbot aufzuheben. Dann kam<br />

der Sommer 2020 und wir Linken müssen zugeben,<br />

dass wir nicht damit gerechnet haben,<br />

dass so viele arme Menschen kommen, und wir<br />

haben nicht erwartet, dass die Reaktionen so<br />

rassistisch ausfallen würden.»<br />

Dieses Eingeständnis kommt zu spät.<br />

Den ersten Fehler machte die Linke, als sie das<br />

Bettelverbot aus dem revidierten Übertretungsstrafgesetz<br />

kippte, ohne Begleitmassnahmen zu<br />

erlassen. Betteln ist ein Geschäftsmodell, ebenso<br />

wie Prostitution oder Altenbetreuung. Das<br />

anzuerkennen, ist legitim. Doch die Linke sah<br />

in ihrem humanistischen Denken nicht voraus,<br />

dass Tage nach der Aufhebung gruppenweise<br />

Roma auftauchen und die Basler Bevölkerung<br />

überfordern würden.<br />

Ein solcher Fehler kann passieren. Doch die<br />

Linke gab ihn erst jetzt zu. Als die Betteldiskussion<br />

letzten Sommer begann, reagierten<br />

SP, Grüne und BastA! zuerst mit moralischen<br />

Appellen im Sinne von: Armut muss man akzeptieren,<br />

nicht ignorieren. Dann mit der Forderung<br />

nach Mitgefühl und Unterstützung für<br />

die Bettler*innen. Erst im Frühling – also zehn<br />

Monate nach Beginn des Konflikts – kam sie<br />

auf die Idee, dass wohlmeinende Worte nicht<br />

reichen. Es braucht auch Regeln.<br />

Solche wie in Graz, zum Beispiel. Dort ist Betteln<br />

erlaubt, aber nur stilles. Leuten nachzugehen,<br />

aufdringlich zu werden, ist nicht akzeptiert. Und<br />

es gibt Ordnungswächter*innen, die im Gespräch<br />

mit den Bettler*innen sind und schauen, dass<br />

sie sich an die Regeln halten.<br />

Als die SP dann im Frühling endlich auch mit<br />

solchen Vorschlägen kam, war es für Basel allerdings<br />

längst zu spät. Die Bevölkerung war<br />

so genervt, dass sie kein Gehör mehr hatte für<br />

konstruktive Ansätze. Die Monate der Eskalation<br />

hatten längst denen in die Hände gespielt, die<br />

nie Interesse hatten an humanistischen Ansätzen:<br />

SVP, FDP, Mitte, und ja, jetzt zuletzt auch<br />

die Grünliberalen, auch wenn Letztere ständig<br />

von konstruktiven Massnahmen redeten.<br />

Damit ich hier nicht falsch verstanden werde:<br />

Hauptverantwortung für das restriktive Gesetz,<br />

das Betteln quasi überall verbietet und damit<br />

14 15<br />

«Wir Linken müssen<br />

zugeben, dass<br />

wir nicht damit<br />

gerechnet haben,<br />

dass so viele arme<br />

Menschen kommen,<br />

und wir haben<br />

nicht erwartet, dass<br />

die Reaktionen<br />

so rassistisch<br />

ausfallen würden.»<br />

Heidi Mück<br />

die Roma loswerden will, hatten die Bürgerlichen,<br />

mit freundlicher Unterstützung einer<br />

– über Monate hinweg – passiven Regierung.<br />

Aber in die Hände gespielt hat den Bürgerlichen<br />

das Zaudern der Linken, wie wir es auch bei<br />

Themen zur Kriminalität von Ausländer*innen<br />

kennen: Aus einer falsch verstandenen Menschlichkeit<br />

Probleme ignorieren und schönreden,<br />

bis alle hässig sind.<br />

Politischen Profit schlagen aus der linken Zögerlichkeit<br />

die Rechten. Das Nachsehen haben die<br />

Menschen, die es sowieso schon schwer haben.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021

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