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Bajour Magazin #2

Unsere journalistischen Perlen des letzten Jahres zusammengefasst in einem Magazin.

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1<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

haben, wie bereits erwähnt, Ableger in Form<br />

von gleichnamigen Accounts in den sozialen<br />

Medien, Stichwort «Szene isch Avia». Aber es<br />

gibt auch noch andere Accounts, die mehr dazu<br />

da sind, Flirts zu verkuppeln.<br />

«Habe dich (weiblich, LÖ-Kennzeichen) heute<br />

Abend an der Coop-Tankstelle gesehen. Du<br />

hast getankt und dann eine geraucht. Haben<br />

uns, während ich getankt habe, ein paar Mal<br />

angeschaut, meld dich doch mal, wenn du das<br />

siehst …»<br />

Diese Spotted-Accounts sammeln solche Aufrufe<br />

und teilen sie auf Instagram. An sich nichts<br />

Neues, im «Blick am Abend» gab es für sowas<br />

die Rubrik «Schatzkästchen». Aber hier spielen<br />

alle Flirts an der Tanke, die Blicke fliegen von<br />

den Rücksitzen der BWMs an die Tanksäulen<br />

und wieder zurück, Nummernschilder halten als<br />

Indiz her und Beifahrer*innen und Fahrer*innen<br />

werden gesucht, weil sie «verdammt heiss»<br />

ausgesehen haben in ihren Autos und ihren<br />

Jumpsuits oder wie das heisst.<br />

Zurück im Auto, kurz vor dem ersten Ziel am<br />

Luzerner Seeufer. Bevor wir die City erreichen<br />

und sich alle Beteiligten ganz dem Sehen und<br />

Gesehen-Werden hingeben, müssen wir noch<br />

mal die grundsätzlichste Frage stellen.<br />

3<br />

1 | Valbone und Saranda vor ihrem Mercedes AMG. Saranda und<br />

2<br />

Valbone sagen, das Vorurteil in den Medien, dass nur Männer in der<br />

Szene rumhängen, sei falsch. Sie kommen regelmässig zu den Treffen.<br />

2| Sie haben sich eine Ambientbeleuchtung einbauen lassen, die<br />

aussieht wie ein Sternenhimmel am Wagendach inklusive Herz.<br />

3 | Der BMW X6M ist das Flaggschiff der Gang. Bis<br />

später heisst in der Szene «bis auf Rückspiegel».<br />

(Fotos: Daniel Faulhaber)<br />

20 21<br />

Was um Himmels willen ist so toll an einem<br />

Auto, Mirsan und Sinan? Was ist wünschenswert<br />

daran, im Jahr 2021 mit einem viel zu starken<br />

Motor über Autobahnen mit Tempolimit 120<br />

zu rollen, an Tankstellen herumzustehen und<br />

Winston-Zigaretten zu rauchen?<br />

«Für mich zählt der Stil, die Eleganz. Ob du<br />

ein guter Fahrer bist. Mit einem lauten Motor<br />

kannst du heute niemanden mehr beeindrucken,<br />

jeder weiss, was dein Auto kann, und wer<br />

an der Auspuffanlage rumschraubt, macht sich<br />

nur lächerlich. Für mich ist das Fahren in diesem<br />

Auto nicht ein Gefühl von Eitelkeit. Aber<br />

es macht mich stolz.»<br />

Dann erreichen wir Luzern, und das Blickgewitter<br />

bricht über die glitzernde Karosserie herein.<br />

Man kann sich das nicht vorstellen, wenn man<br />

nie im Mittelpunkt dieses Spektakels sass,<br />

aber alle schauen dieses Auto an. An der Ampel,<br />

beim Vorbeifahren, beim Um-die-Kurve-<br />

Biegen. Blicke. Münder, die kommentieren.<br />

Finger, die zeigen. Die ganze Strasse wird zum<br />

Spalier, wenn dieses Auto hindurchfährt, und<br />

natürlich ist das im Innern dieses Autos ein erhebendes<br />

Gefühl, im Zentrum der gesamten<br />

Aufmerksamkeit zu sein. An der Ampel bleiben<br />

Autos auf der gleichen Höhe stehen, die Beifahrer*innen<br />

machen Fotos aus dem Fenster.<br />

Dann zeigen sie mit dem Daumen nach oben.<br />

Anerkennung überall.<br />

Vielleicht auch Spott, aber das ist aus den Blicken<br />

der Passant*innen schwer herauszulesen.<br />

Ohnehin gilt: Wer schaut, ist eingeknickt. Mirsan<br />

und Sinan schauen cool nach vorne, sie erahnen<br />

die Blicke von der Seite. Man kann diese<br />

Art erzwungener Aufmerksamkeit als Umkehr<br />

der Machtverhältnisse lesen: Wer ignoriert hier<br />

wen und wer wird gesehen? Über die Anerkennung<br />

lachen vielleicht auch nur jene, die nie um<br />

sie kämpfen mussten.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021

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