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Bajour Magazin #2

Unsere journalistischen Perlen des letzten Jahres zusammengefasst in einem Magazin.

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<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

Die Haltingerstrasse schlägt sich wie eine Schneise<br />

durch das Matthäusquartier. Die kleine Wohnoase<br />

kann im rauschenden Verkehr auf dem<br />

Riehenring leicht übersehen werden. Für die<br />

Bewohner*innen ist das eigentlich ein Glück.<br />

Die Häuser haben hier kleine Vorgärten; Velos,<br />

Trottinetts und Dreiräder sind ordentlich aufgereiht,<br />

bunte Fahnen flattern im Wind. Schön<br />

friedlich. So war es jedoch nicht immer.<br />

Im Jahr 2000 hingen aus den Fenstern der<br />

Hausnummer 100 beschriftete Leintücher. Darauf<br />

stand: «Wir wollen hier wohnen bleiben!»<br />

Die Mieter*innen machten öffentlich ihrem<br />

Unmut Luft und protestierten lautstark. Denn<br />

das mit dem Bleiben sah die ehemalige Eigentümerin<br />

anders.<br />

Dann kam Jan Delpy. Mit seinem Pensionskassengeld<br />

hat der ehemalige Lehrer vor 20<br />

Jahren das abbruchreife Mehrfamilienhaus im<br />

Matthäusquartier gekauft, «kreativ saniert» und<br />

vermietet es seither kostendeckend an langjährige<br />

Mieter*innen.<br />

An einer grossen Rendite ist er nicht interessiert,<br />

dafür am Wohl seiner Mieter*innen: «Wir<br />

sind keine Wohngemeinschaft, aber eine Hausgemeinschaft»,<br />

sagt er bei unserem Besuch im<br />

März 2021, als <strong>Bajour</strong> ihn mit dem Prädikat «sozialster<br />

Vermieter Basels» porträtiert hat. Eine<br />

begehrte Einzimmerwohnung bei ihm kostet<br />

700 Franken inklusive.<br />

Ein paar Häuser weiter, an der Haltingerstrasse<br />

78, gab es auch eine Totalsanierung. 2012 wurde<br />

das Gebäude für 1,5 Millionen Franken von<br />

Grund auf auf den neuesten Stand gebracht:<br />

weisse Fassade, optimierte Grundrisse, Parkettböden,<br />

neue Bäder, neue Küchen. Anfang Juli<br />

war eine Zweizimmerwohnung (55 Quadratmeter)<br />

für 1445 Franken ausgeschrieben. Das Haus<br />

gehört der Credit Suisse. Die Zürcher Grossbank<br />

ist die grösste Immobilienbesitzerin der<br />

Stadt. Sie hat das dortige Haus 2007 gekauft,<br />

wie aus dem Geschäftsbericht der CS hervorgeht.<br />

Seither liefern die elf Wohnungen jährlich<br />

einen satten Soll-Mietertrag. 2019 betrug<br />

er 173’000 Franken, keine Wohnung stand leer.<br />

Hier der Privateigentümer Delpy, dort die Grossbank.<br />

Gut – böse?<br />

Ganz so einfach ist es aus Sicht der Basler*innen<br />

nicht. Denn dahinter verbirgt sich ein System,<br />

an dem viele teilnehmen. Auch etwa die Pensionskassenbezüger*innen<br />

bzw. fast alle. Dass<br />

immer mehr Immobilien als Renditeobjekte betrieben<br />

werden, hat allerdings Auswirkungen.<br />

Weit über die Mietpreise in den einzelnen Häusern<br />

hinaus. Welche Interessen und Strategien<br />

sich durchsetzen, entscheidet, wie die Stadt in<br />

20 Jahren aussehen und wer hier leben wird.<br />

Das zeigt ein Blick zurück in die Vergangenheit.<br />

Seit der Finanzkrise 2008 gilt Wohnen als renditesichere<br />

Anlage für das viele günstige Geld<br />

und die Entwicklung kennt im Immobilienmarkt,<br />

nicht nur in Basel, preislich nur noch<br />

eine Richtung: nach oben. Entsprechend sind<br />

Grossinvestor*innen noch stärker in den Immobilienmarkt<br />

eingestiegen und kaufen – wie in<br />

Basel – grosse Teile der Stadt auf. Die <strong>Bajour</strong>-<br />

Recherche zeigt: Firmen wie Credit Suisse, UBS<br />

oder die Pensionskasse Basel-Stadt besitzen<br />

inzwischen 29,7 Prozent aller Wohnungen in<br />

Basel. Das ist viel. Mehr noch als in Zürich, wo<br />

28 Prozent aller Wohnungen renditeorientierten<br />

Anleger*innen gehören. Und der Anteil nimmt<br />

zu: Seit dem Jahr 2000 gehören den institutionellen<br />

Anleger*innen in Basel weitere 6000<br />

andere Institutionelle Anleger<br />

Vorsorgestiftungen<br />

30’000 Wohnungen sind 2021 in Basel im Besitz von Vorsorgestiftungen<br />

und anderen institutionellen Anlegerinnen. Diese Wohnungen dominieren<br />

das Angebot im freien Markt und haben einen massgeblichen Einfluss auf<br />

die Ausgestaltung der Mietpreise.<br />

Quelle: Statistisches Amt Basel-Stadt, Volkszählung 2000 (Eigendeklaration<br />

Immobilienbesitzer, Kategorien «andere institutionelle Anleger» = Bau- und<br />

Immobiliengesellschaft, Versicherung, Immobilienfonds. Daten für 2021:<br />

«Wem gehört Basel?», ergänzt durch Eigendeklaraiton PKBS.<br />

Anzahl Wohnungen<br />

* Eigendeklaration durch PKBS. Im Datensatz sind einige der Grundstücke<br />

im Finanzvermögen der Einwohnergemeinde.<br />

Quelle: <strong>Bajour</strong>/«Wem gehört Basel?»,Statistisches Amt Basel-Stadt.<br />

24 25<br />

Wohnungen. Das sind 6 Prozentpunkte mehr,<br />

während die Anzahl Genossenschaftswohnungen<br />

annähernd stagniert.<br />

Der Grund: Immobilien gelten als begehrte<br />

Anlageobjekte, die in Zeiten von Negativzinsen<br />

eine sichere Rendite generieren. Denn der<br />

Boden ist knapp und die Nachfrage da: Die<br />

Einwohner*innenzahl von Basel nimmt seit 30<br />

Jahren zu, ein Abflachen dieses Trends ist derzeit<br />

nicht absehbar.<br />

Bislang fehlten in Basel die Zahlen zu den<br />

Besitzverhältnissen. Das Statistische Amt<br />

Basel-Stadt hat, anders als etwa in Zürich, keine<br />

Anbindung ans Grundbuch. Die aktuellste<br />

verfügbare Erhebung stammt deshalb von der<br />

letzten Volkszählung im Jahr 2000. Die Daten<br />

sind also mehr als 20 Jahre alt. Lukas Mohler,<br />

stellvertretender Abteilungsleiter Statistik<br />

Basel-Stadt, sagt: «Es ist uns bewusst, dass<br />

dies ein grösseres Bedürfnis ist.»<br />

<strong>Bajour</strong> bzw. unsere Leser*innen haben die Zahlen<br />

inzwischen selbst erhoben. Anfang März<br />

2021 lancierten wir mit «Wem gehört Basel?»<br />

die erste systematische Sammlung von Eigentumsinformationen<br />

der Stadt. Gemeinsam mit<br />

Tausenden Freiwilligen konnten wir sämtliche<br />

25’204 Grundbuchauszüge herunterladen und<br />

in eine riesige Datenbank einspeisen. Jetzt haben<br />

wir ein klares Bild, wem die Stadt gehört.<br />

Die Recherche zeigt: Der Basler Wohnungsmarkt<br />

wird von zwei Banken (CS und UBS),<br />

vier Versicherungen (Baloise, Zurich, Swiss Life<br />

und Helvetia) und der Pensionskasse der Basler<br />

Kantonsangestellten dominiert. Zusammen<br />

besitzen die sieben grössten renditeorientierten<br />

Anleger zehn Prozent aller Wohnungen auf<br />

dem Stadtgebiet.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021

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