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Bajour Magazin #1

Unsere journalistischen Perlen des ersten Jahres zusammengefasst in einem Magazin.

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Ein Jahr <strong>Bajour</strong><br />

<strong>Bajour</strong> wird von über 1700 Members und Gönner*innen sowie diversen<br />

Stiftungen, Partner*innen und Sponsor*innen unterstützt. Wir danken<br />

von Herzen für diesen Support!<br />

▶ Stiftungen<br />

▶ Eventpartner<br />

▶ Kulturpartner<br />

▶ Hardwarepartner<br />

▶ Druckpartner<br />

Mit dem Projekt Gärngschee bietet <strong>Bajour</strong> auch anderen Hand. Im Bereich<br />

Kultur unterstützt <strong>Bajour</strong> mit Konzert-Livestreams die Kulturszene<br />

und hat Spenden von Total über 22'000 Franken an folgende Institutionen<br />

übertragen:<br />

Am 21. September schrieb<br />

Daniel «Fauli» Faulhaber<br />

per WhatsApp: «Sammle<br />

Stimmen an der Demo.<br />

Könnte insgesamt spät<br />

werden, wer hat heute<br />

den letzten Blick?» Es<br />

war Montagabend. Das<br />

Strafgericht hatte an diesem<br />

Tag eine Demonstrantin<br />

zu acht Monaten<br />

Haft unbedingt verurteilt,<br />

es formierte sich eine<br />

spontane Solidaritätskundgebung.<br />

Daniel Faulhaber<br />

bot spontan an,<br />

hinzugehen und darüber<br />

zu berichten. Naomi Gregoris<br />

antwortete: «Fauli, falls es vor Mitternacht<br />

ist, kannst du mich anhauen – ich mach Korrektorat!»<br />

Und das tat sie, und zwar nach Mitternacht.<br />

Das ist <strong>Bajour</strong>. Journalist*innen, die spontan ihre<br />

Nächte hergeben, um einander zu unterstützen.<br />

Die stundenlang an den Texten der Kolleg*innen<br />

feilen, damit sie besser werden. Ein Team, das den<br />

ursprünglich zynisch gemeinten Spruch «Alles für<br />

die Firma» mittlerweile lebt, als würden sie allesamt<br />

auf den Jungunternehmer*innenpreis des<br />

Jahres aspirieren.<br />

Bei <strong>Bajour</strong> machen wir Fehler. Aber wir versuchen,<br />

daraus zu lernen, eine Kultur der Verzeihlichkeit<br />

zu leben und die Einzeldisziplin Journalismus als<br />

Teamsport zu betreiben. Das gelingt nicht immer,<br />

aber immer besser.<br />

Das hat auch mit Corona zu tun. Als die Pandemie<br />

zum ersten Mal ausbrach und wir alle zu<br />

Hause im Shutdown hockten, fragten wir uns: Wie<br />

kann <strong>Bajour</strong> helfen? Und gründeten die Gruppe<br />

Gärngschee, die Hilfesuchende und Helfende zusammenbrachte.<br />

Die Solidarität, die dabei zu spüren<br />

war, ergriff halb Basel und <strong>Bajour</strong> stellte sich<br />

seither noch konsequenter in den Dienst seiner<br />

wachsenden Basler Leser*innenschaft.<br />

Eigentlich ist es unglaublich, wie schnell das erste<br />

Jahr verging und was seither alles passiert ist. Wir<br />

haben mit journalistischen Veranstaltungen in der<br />

Markthalle und Stadtspaziergängen begonnen,<br />

weil unsere Website noch gar nicht aufgeschaltet<br />

war. Wir verschicken unser morgendliches<br />

Basel Briefing inzwischen an fast 5000 Empfänger*innen.<br />

Wir haben während der ersten Corona-<br />

Welle die Gruppe Gärngschee ins Leben gerufen<br />

und – ganz Medium – 15'000 Hilfesuchende und<br />

Helfende zusammengebracht. Wir haben uns in<br />

die Bettler*innen- und andere politische Debatten<br />

journalistisch eingemischt, sämtliche amtierenden<br />

und kandidierenden Regierungsrät*innen zum<br />

Interview unseres Nichtwähler*innen-Parlaments<br />

antanzen lassen. Wir haben Journalist*innenpreise<br />

gewonnen und so viele gute Artikel geschrieben,<br />

dass gar nicht alle in dieses Printmagazin passen.<br />

Wir haben eine Freude. Auch an Ihnen. Wir haben<br />

das Glück, bereits auf 1700 zahlende Unterstützer*innen<br />

zurückgreifen zu können. Aber es<br />

braucht, wie von allem, noch mehr. Unser Ziel ist<br />

es, mit der Zeit eine rund 20-köpfige journalistische<br />

Truppe finanzieren zu können, die zu einer<br />

laut vernehmbaren, unabhängigen Basler Medien-<br />

Stimme wird. Dafür brauchen wir ... Sie! Bleiben<br />

oder werden Sie Gönner*in und ermöglichen Sie<br />

unabhängige Recherchen aus Basel. Aber jetzt<br />

geniessen Sie erst mal dieses Heft, und schauen<br />

Sie, was <strong>Bajour</strong> in diesem Jahr alles angestellt hat.<br />

Viel Vergnügen und herzlichen Dank<br />

Andrea Fopp, Chefredaktorin<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

-2- -3-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


We got Rhythm –<br />

Impressum<br />

Inhalt<br />

auf drei Etagen.<br />

Alles für Literatur- und Musikliebende.<br />

Bücher | Musik | Tickets<br />

Am Bankenplatz | Aeschenvorstadt 2 | 4010 Basel<br />

www.biderundtanner.ch<br />

Wir<br />

Basel.<br />

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Ihr monatlicher<br />

Kulturüberblick<br />

für Basel und<br />

Region.<br />

Jahresabo<br />

11 Ausgaben, CHF 88.–<br />

Schnupperabo<br />

4 Ausgaben, CHF 20.–<br />

Erschienen:<br />

7. November 2020<br />

Auflage: 5000 Ex.<br />

Einzelpreis:<br />

CHF 10.–<br />

Herausgeber<br />

<strong>Bajour</strong><br />

Clarastrasse 10<br />

4058 Basel<br />

www.bajour.ch<br />

info@bajour.ch<br />

Tel. 061 271 02 02<br />

Redaktion<br />

Andrea Fopp, Chefredaktorin<br />

Ina Bullwinkel<br />

Daniel Faulhaber<br />

Adelina Gashi<br />

Naomi Gregoris<br />

Samuel Hufschmid<br />

Marguerite Meyer<br />

Hansi Voigt<br />

Franziska Zambach<br />

Valerie Zeiser<br />

Fotos<br />

Sara Barth<br />

Eleni Kougionis<br />

Roland Schmid<br />

Layout<br />

Yannick Frich, Squadra Violi<br />

Druck<br />

Expressdruckerei, Rheinfelden<br />

Koordination/Organisation<br />

Sabrina Stäubli<br />

Valentin Ismail<br />

06<br />

08<br />

25<br />

28<br />

36<br />

42<br />

46<br />

52<br />

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58<br />

62<br />

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70<br />

74<br />

76<br />

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Massenkündigungs-Ticker<br />

Bettler*innen-Dossier<br />

Nazi-frei-Demo<br />

Der grosse Schaugasmus<br />

Bonjour <strong>Bajour</strong><br />

Gärngschee – Basel hilft<br />

Baschi Dürr<br />

Tonja demonstriert sich frei<br />

Das <strong>Bajour</strong>-Nichtwähler*innen-Parlament<br />

Basel Briefing<br />

Kultur ist nirgends und überall<br />

Gärngschee Kultur<br />

Hopperseelenallein<br />

Roher, kalter, geiler Beton<br />

Nach dem Piepston<br />

<strong>Bajour</strong> in Zahlen<br />

Vielschichtig.<br />

Wissen, was läuft.<br />

www.programmzeitung.ch/Abos<br />

-5-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Massenkündigungs-Ticker<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

<strong>Bajour</strong>-Leser*innen<br />

melden sieben weitere<br />

Massenkündigungen<br />

Der <strong>Bajour</strong>-Massenkündigungs-Ticker wächst: Mittlerweile<br />

erfasst die Liste 25 dokumentierte Renovationen in<br />

den letzten zwei Jahren, bei denen Mieter*innen raus<br />

mussten. Danke fürs Mithelfen, liebe Community.<br />

Samuel Hufschmid<br />

Franziska Zambach<br />

Am 27. August 2020 baten wir euch, liebe <strong>Bajour</strong>-<br />

Leser*innen, um Hilfe. Wir fragten:<br />

«Hast du Kenntnis einer Massenkündigung seit<br />

2018, die auf unserem Übersichts-Ticker noch<br />

fehlt? (...) Dann hilf uns mit, unser Bild zu vervollständigen.»<br />

Und ihr habt uns in zahlreichen Mails geantwortet♥!<br />

Fast 20 Hinweise habt ihr uns innerhalb einer<br />

Woche geschickt. Wir haben eure Informationen<br />

überprüft und konnten für sieben Massenkündigungen<br />

Belege finden, etwa Wohnungsinserate<br />

zum «Erstbezug nach Renovation».<br />

Einige von euch lieferten uns die Quellen gleich<br />

mit, etwa <strong>Bajour</strong>-Leser Luca. Er hatte eine Radio-Basilisk-Sendung<br />

aufgenommen, in der über<br />

die Massenkündigung an der Gerbergasse 16 berichtet<br />

wurde. Wir bedanken uns ganz herzlich!<br />

Schorenweg, Erikastrasse, Haltingerstrasse – es<br />

gibt Adressen, die sind in Basel vor allem für ihre<br />

Massenkündigungen bekannt. Hier eine ältere Frau,<br />

die nach 35 Jahren umziehen muss, da eine WG,<br />

die lautstark über den Wegfall ihrer 200-Franken-<br />

Zimmer in Gehdistanz zur Uni klagt. Die Medien<br />

erzählen die einzelnen Schicksale in der Regel so:<br />

pro Mieter*innen, contra Vermieter*innen. Doch<br />

das Bild ist komplexer und die Faktenlage dünn.<br />

<strong>Bajour</strong> hat in einer aufwendigen Recherche 25<br />

belegte Fälle von Massenkündigungen seit 2018<br />

analysiert. Diese Recherche bildet den Grundstock<br />

zum Massenkündigungs-Ticker, den wir ab<br />

sofort führen. Unser Ziel: Wir möchten nicht nur<br />

über einzelne aufsehenerregende Kündigungen<br />

berichten, sondern beobachten, wie es danach<br />

weitergeht:<br />

Wie teuer wird die sanierte 900-Franken-Wohnung<br />

der älteren Frau tatsächlich vermietet?<br />

Was entsteht aus der Studenten-WG?<br />

Oder genereller: Wie stark steigen die Kosten<br />

nach Sanierungen an?<br />

Die 25 dokumentierten Massenkündigungen zeigen,<br />

dass die Preise teilweise heftig ansteigen. In<br />

einem Fall ist eine renovierte 2,5-Zimmer-Wohnung<br />

für 1420 Franken ausgeschrieben, die vor<br />

der Sanierung gemäss Medienberichten 400<br />

Franken gekostet haben soll. Anderswo wurde<br />

den Mieter*innen die eigene Wohnung zum<br />

doppelten Preis angeboten. Es sind Einzelfälle,<br />

in denen der Mietpreis jeweils vor und nach einer<br />

Massenkündigung publik ist – deshalb ist die Aussagekraft<br />

gering.<br />

Um das zu ändern, brauchen wir das Wissen der<br />

Masse, brauchen wir dich: Wurde dir selbst gekündigt<br />

oder kennst du jemand, die*der in einer<br />

von einer Massenkündigung betroffenen Woh-<br />

-6- -7-<br />

nung gelebt hat? Oder hast du sogar Belege für<br />

eine Massenkündigung seit 2018, die wir noch gar<br />

nicht auf dem Radar hatten? Dann schreibe uns<br />

deine Informationen per E-Mail auf info@bajour.ch.<br />

Ein Basel ohne WCs auf dem Gang<br />

Ein bisschen Licht können wir aber bereits jetzt<br />

ins Dunkle bringen. Für <strong>Bajour</strong> hat das Statistische<br />

Amt in den Rohdaten seiner Mietpreiserhebung<br />

gewühlt. Damit werden die Mietpreise von 4000<br />

Wohnungen auf Kantonsgebiet überwacht und<br />

auch Sanierungen werden berücksichtigt. (Korrigendum<br />

der Redaktion: Wir hatten zuerst fälschlicherweise<br />

geschrieben, es handle sich um das<br />

Mietpreisraster mit 15'000 Wohnungen. Dieses<br />

stützt sich auf Daten der Strukturerhebung des<br />

Bundes. Im Gegensatz zur Mietpreiserhebung<br />

sind hier die Preiserhöhungen aufgrund von Sanierungen<br />

nicht zu vergleichen.)<br />

Schaut man sich die jeweils letzte Mietpreis-Meldung<br />

vor und unmittelbar nach einer Sanierung<br />

an, ergibt sich eine durchschnittlich 26 Prozent<br />

höhere Nettomiete, wie der zuständigen Produktteamleiter<br />

Tobias Erhardt sagt. Dafür berücksichtigt<br />

worden sind 121 Beobachtungen seit<br />

Februar 2019.<br />

26 Prozent, das ist weit weg von einer Verdoppelung.<br />

Aber es verändert die Stadt. 1500 statt<br />

1200 Franken Monatsmiete zieht andere Bewohner*innen<br />

an – oder sorgt dafür, dass die gleichen<br />

Bewohner*innen weniger Geld für ein Essen im<br />

Restaurant oder einen Konzertbesuch haben. Und<br />

mit der letzten 5-Zimmer-Wohnung mit WC auf<br />

dem Gang schwindet auch der Platz für Lebenskünstler*innen<br />

im 4057. Das kann man gut finden<br />

oder bedauern, fördern oder verbieten wollen.<br />

<strong>Bajour</strong> macht den Anfang, indem wir die Transformation<br />

aufzeigen. Mit dem Massenkündigungs-<br />

Ticker. ●<br />

Der Massenkündigungs-Ticker ist ein prima<br />

Beispiel, * wie sich <strong>Bajour</strong> glaubwürdigen und dialogischen<br />

Journalismus vorstellt. Als Erstes haben wir Beispiele von<br />

bekannten Massenkündigungen gesammelt und eine Mediensuche<br />

gemacht. Anschliessend haben wir jede einzelne<br />

Kündigung mit den Einträgen im Grundbuch und mit<br />

den entsprechenden Wohnungsdossiers/-inseraten abgeglichen.<br />

Nach der ersten Veröffentlichung kamen weitere<br />

Nennungen durch die Leser*innen hinzu. Den Massenkündigungs-Ticker<br />

schreiben wir laufend fort.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Bettlerei<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Basler Polizei knöpft<br />

Roma-Bettler*innen<br />

ihr Geld ab<br />

Mit der Begründung «bandenmässiges Betteln» beschlagnahmt<br />

die Basler Polizei Roma-Almosen – und stellt dafür unvollständige<br />

und nicht nachvollziehbare Quittungen aus.<br />

Adelina Gashi<br />

Seit dem 1. Juli 2020 ist es in Basel erlaubt, um<br />

Geld zu betteln, sofern die Bettelei nicht «bandenmässig»<br />

erfolgt. Was einfach klingt, erhitzt<br />

in Basel seit kurzer Zeit vor allem die bürgerlichen<br />

Gemüter.<br />

Nachzuweisen, ob ein Mensch, der bettelt, organisiert<br />

handelt und Teil einer Bande ist, ist nicht<br />

so einfach. Das bestätigt Polizeisprecher Toprak<br />

Yerguz: «Da nur noch das bandenmässige Betteln<br />

verboten ist, sind die Anforderungen an die<br />

gerichtsverwertbaren Nachweise hoch: Nach<br />

einem Anfangsverdacht ist jeder Einzelfall genau<br />

zu prüfen, was in der Praxis – etwa mit Blick auf<br />

die Aussagebereitschaft der Betroffenen – sehr<br />

komplex und aufwendig ist.»<br />

Der Basler SVP ist das alles viel zu kompliziert.<br />

Die Partei kritisierte in einer Medienmitteilung<br />

vom 21. Juli 2020 insbesondere, dass es für die<br />

Polizei praktisch unmöglich sei festzustellen, ob<br />

es sich bei den bettelnden Menschen um eine organisierte<br />

Bande handle oder nicht. SVP-Grossrat<br />

Joël Thüring hat nun sogar einen Vorstoss eingereicht,<br />

um das Bettelverbot wieder einzuführen.<br />

Für Basler Polizei ist der Fall klar:<br />

«Bandenmässiges Betteln»<br />

Diese Differenzierungs-Probleme scheint die<br />

Basler Polizei in der Praxis nicht zu haben – wie<br />

vorliegende Belege und Gespräche, die <strong>Bajour</strong><br />

mit einer derzeit in Basel lebenden rumänischen<br />

Roma-Familie geführt hat, ergaben.<br />

«Hier, sie haben uns unser Geld weggenommen»,<br />

sagt Bettler Ludovic und hält uns einen gelben<br />

Zettel entgegen. 40 Schweizer Franken sind auf<br />

dem Beleg angegeben. Die Begründung: Bandenmässiges<br />

Betteln. «Wisst ihr warum? Wir verstehen<br />

es nämlich nicht», sagt er.<br />

«WIR SIND KEINE BANDE.<br />

WIR SIND EINE FAMILIE, DAS<br />

IST ALLES.» Ludovic, Bettler<br />

Ludovic lebt mit seiner Familie in Basel auf der<br />

Strasse. «Wir sind keine Bande», sagt er. «Wir sind<br />

eine Familie, das ist alles. Warum sollten wir für<br />

jemand anderen auf der Strasse leben und nach<br />

Geld betteln, warum sollten wir uns das antun?<br />

Das macht doch keinen Sinn», sagt Ludovic. Seine<br />

Familie, das sind sein 20-jähriger Sohn Pavel<br />

und seine Cousins und Cousinen mit ihren Ehepartner*innen.<br />

Vor ein paar Wochen haben sich Ludovic und<br />

seine Familie im Wettsteinpark einquartiert. «Wir<br />

dachten, hier stören wir niemanden», sagt er.<br />

Täglich stellen sie sich auf die Strasse und bitten<br />

Passant*innen um Geld: «Wenn wir nicht betteln<br />

würden, würden wir und unsere Kinder in Rumänien<br />

verhungern.»<br />

Schwammige Definition von<br />

«Bandenmässigkeit»<br />

Wie beweist die Polizei die Bandenmässigkeit<br />

bei Ludovic und seinen Familienmitgliedern? Wie<br />

definiert sie Bandenmässigkeit? «Eine Bande besteht<br />

aus mindestens zwei Personen, egal welchen<br />

Alters, die den Bettelvorgang unter Arbeitstei-<br />

lung gemeinsam durchgeführt haben», so Polizeisprecher<br />

Yerguz. Zum konkreten Vorgehen<br />

will die Polizei aus «polizeitaktischen Gründen»<br />

keine Auskunft geben.<br />

Ob diese Faustregel der Basler Polizei einer juristischen<br />

Überprüfung standhält, ist fraglich. Die<br />

rechtliche Grundlage ihrerseits liest sich durchaus<br />

schwammig: «Gemäss dem Bundesgericht<br />

ist Bandenmässigkeit gegeben, wenn zwei oder<br />

mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder<br />

konkludent geäusserten Willen zusammenfinden,<br />

inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger,<br />

im Einzelnen möglicherweise noch unbestimmter<br />

Straftaten zusammenzuwirken», schreibt die<br />

Juristin Sabrina Kronenberg von der Universität<br />

Zürich, die sich in einem wissenschaftlichen Aufsatz<br />

näher mit dem Bandenbegriff im schweizerischen<br />

Strafrecht auseinandergesetzt hat. Zur<br />

Erinnerung: Betteln ist keine Straftat. Sondern<br />

seit 1. Juli in Basel ausdrücklich erlaubt.<br />

Undatierte Belege und<br />

Verständnisprobleme<br />

«Ich habe sie nicht verstanden. Niemand von ihnen<br />

sprach Rumänisch», sagt Gavril, Ludovics Cousin.<br />

Ihm hat die Polizei 35.50 Franken abgenommen.<br />

-8- -9-<br />

*<br />

<strong>Bajour</strong> hat bei der Basler Polizei nachgefragt,<br />

wie sie mit Verständnisproblemen umgeht: «Das<br />

Vorgehen wird erklärt, soweit es die sprachlichen<br />

Fähigkeiten beider Seiten erlauben.»<br />

«DAS FEHLEN EINES DATUMS<br />

WÄRE EIN FEHLER.»<br />

Polizeisprecher Toprak Yerguz<br />

Auf dem Zettel, den Gavril von der Polizei erhalten<br />

hat, steht: «Sichergestellt zu handen von:<br />

Kasse.» Datiert ist das Dokument nicht. «Das<br />

war vor etwa einer Woche», sagt Gavril. Die Belege<br />

der anderen beiden Cousins sind ebenfalls<br />

nicht datiert. Etwas ist aber durchaus anders auf<br />

diesen Belegen: Und zwar ist dort die Staatsanwaltschaft<br />

als Empfängerin angegeben.<br />

Wie kann es sein, dass bei einer Sicherstellung<br />

Quittungen ohne Datum ausgehändigt werden?<br />

Ein Fehler. «Grundsätzlich gehört das Abnahmedatum<br />

auf eine Quittung», so der Polizeisprecher.<br />

«Das Fehlen eines Datums wäre ein Fehler, den wir<br />

ohne genauere Angaben nicht erklären können.»<br />

Es fragt sich also, wie undatierte Sicherstellungen<br />

polizeiintern überhaupt protokolliert werden und<br />

nachverfolgbar sind.<br />

Wenn immer es geht, versuchen wir bei <strong>Bajour</strong> den Ansatz zu verfolgen, dass wir<br />

mit den Leuten reden und nicht nur über sie. Das gelingt nicht immer so gut, wie hier<br />

bei der Bettler-Familie aus Rumänien, die seit dem Sommer ganz Basel und vor allem<br />

die Basler Medien in Aufruhr versetzte. Unsere Reporterin Adelina Gashi gab, unterstützt<br />

von einer Rumänisch-Übersetzerin, den Roma eine Stimme. Heraus kam ihre<br />

Geschichte. Die handelte nicht von einem Bettlerboss oder sonst einem hergeholten<br />

Hirngespinst, das sich in Zeiten des Wahlkampfs so lange wiederholen lässt, bis es die<br />

meisten glauben. Sie handelt von bitterer Arbeit in ihrem Herkunftsland und einem<br />

nackten Kampf ums Überleben. Die Bettler*innen stellten mit ihrer Anwesenheit die<br />

lange humanistische Tradition Basels auf den Prüfstand. Armut möchte eigentlich<br />

niemand gern erleben. Auch nicht die der anderen. Betteln kann man verbieten. Die<br />

Armut hat man damit nicht unterbunden. Dass es auch einen kon-struktiven Umgang<br />

mit bettelarmen Roma gibt, könnten die Basler Politiker*innen am Beispiel der österreichischen<br />

Stadt Graz lernen. Die Reportage von Adelina Gashi aus Graz zeigt auf,<br />

wie man nach jahrelangem Gezeter (während jedem Wahlkampf) gelernt hat, mit den<br />

bettelnden Roma umzugehen, ohne dabei die humanistische Fassung zu verlieren.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Blingbling #not<br />

Was passiert mit dem Bettel-Geld?<br />

«Mir haben sie sogar mein Geld aus Rumänien<br />

abgenommen, 1852 rumänische Lei», ruft Cousin<br />

Traian dazwischen, der zur Gruppe dazustösst. Er<br />

zeigt uns einen grünen Zettel, der mit «Kaution»<br />

betitelt ist und belegt, dass die Polizei Traians<br />

Geld eingezogen hat – rund 400 Franken.<br />

Was geschieht mit diesem Geld? Laut der Polizei<br />

ist «Kaution» Geld, das zusätzlich zum womöglich<br />

illegal – also bandenmässig – erbettelten Geld eingezogen<br />

werden kann, «damit die zu erwartende<br />

Busse gedeckt ist», wenn die betroffene Person<br />

keinen Wohnsitz in der Schweiz hat.<br />

Auch das erbettelte Geld werde sichergestellt und<br />

bis zum rechtskräftigen Entscheid verwahrt, so<br />

Yerguz. Wenn dann ein Entscheid vorliegt, werde<br />

das Geld «je nach Entscheid eingezogen oder<br />

wieder ausgehändigt».<br />

Wie das legal erbettelte und eingezogene Geld<br />

bei Freispruch wieder an die Betroffenen zurückkommt,<br />

dazu macht die Polizei keine Angaben.<br />

Die Zuständigkeit liege bei der Staatsanwaltschaft,<br />

heisst es. ●<br />

<strong>Bajour</strong> sucht den<br />

Bettelboss<br />

Seit Wochen sorgen Bettler*innen aus Rumänien für rote Köpfe<br />

in Basel. Es handle sich dabei um verbotene Banden, heisst es<br />

von allen Seiten. Wir haben uns auf die Suche nach mafiösen<br />

Strukturen gemacht. Stattdessen fanden wir eine Grossfamilie.<br />

▼ Nicht nur erbetteltes Geld, sondern auch eine «Kaution» wird eingezogen. Bei<br />

manchen polizeilichen Quittungen fehlt das Datum. (Foto: Roland Schmid)<br />

▲ Sieh an, eine Familie. Der ganz rechts heisst Ludovic. (Foto: Roland Schmid)<br />

Adelina Gashi<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Marian* steht in der Freien Strasse, einen Pappbecher<br />

in der Hand, und spricht Passant*innen<br />

an. Zaghaft, als wäre er sich nicht sicher, ob er<br />

sich wirklich traut. «Bitte, haben Sie ein bisschen<br />

Geld? Ich habe kein Essen.» Mit dem anderen Arm<br />

stützt er sich auf eine Krücke. Ein junger Mann<br />

wirft ihm im Vorbeilaufen ein paar Rappen in den<br />

Becher. Vier Franken hat Marian bisher zusammen.<br />

Es ist 14 Uhr.<br />

Langsam läuft Marian die Strasse hoch und runter,<br />

das rechte Bein zieht er hinter sich her. Er ist 31<br />

Jahre alt, aber das Leben hat bereits Spuren in<br />

seinem Gesicht hinterlassen. Der Bart ist dicht,<br />

aus dem weissen Haar lugen ein paar schwarze<br />

Strähnen hervor. In einer Seitengasse setzt er<br />

sich auf einen Schaufenstervorsprung. «Mein Bein<br />

schmerzt, wenn ich zu lange stehe», sagt Marian.<br />

Aber Betteln im Stehen bringt mehr.<br />

Osteuropäische Banden in Basel?<br />

Marian ist alleine hier in Basel, bettelt auch alleine,<br />

wie er sagt: «Ich mache es für meine Kinder.»<br />

Nach einigem Zögern erzählt er uns seine<br />

Geschichte von Schicksalsschlägen und Armut,<br />

-10- -11-<br />

von seiner Frau, die gestorben ist, seinen Söhnen,<br />

die es einmal besser haben sollen als er:<br />

«Die Buben sind daheim in Rumänien, bei den<br />

Schwiegereltern.» Auch Marian wohnt dort, eine<br />

eigene Wohnung kann er sich nicht leisten. In<br />

diesen Tagen verbringt er die Nächte in einem<br />

Zelt im Wald in der Nähe der Schweizer Grenze:<br />

«Das macht mir nichts aus.»<br />

Marian hat keine Ahnung, dass Rumän*innen wie<br />

er seit Wochen in Basel für Schlagzeilen sorgen.<br />

«Markante Zunahme von Bettlern in der Stadt»,<br />

titelte zunächst «Prime News». Ähnlich klingt es<br />

bei der «Basler Zeitung» und der bz. Tatsächlich<br />

sind Bettler*innen plötzlich überall in der Stadt<br />

anzutreffen. Der mutmassliche Grund: Die Lockerung<br />

des Bettelverbots, die am 1. Juli in Kraft<br />

getreten ist. Seither ist es erlaubt, zu betteln.<br />

Allerdings nicht für organisierte Banden, ihnen<br />

ist das Betteln weiterhin untersagt. Und das ist<br />

der Knackpunkt: Bürgerliche Politiker von CVP,<br />

LDP, FDP bis SVP sind sich einig, dass hinter den<br />

vielen Bettler*innen in der Stadt organisierte<br />

Banden stecken müssen.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

«IN BASEL SIND VERMUTLICH<br />

BLOSS DIE MITTELSMÄNNER.<br />

DER BANDENBOSS SITZT<br />

WOMÖGLICH WOANDERS.»<br />

Balz Herter, Präsident CVP Basel-Stadt<br />

Aber stimmt das wirklich? Sind diese Menschen,<br />

die in der Stadt stehen und um Geld bitten, tatsächlich<br />

mafiös organisiert und geben ihr Geld<br />

am Ende des Tages einem Bettlerboss ab?<br />

Er will wieder arbeiten<br />

Marian bekommt von den politischen Diskussionen<br />

nichts mit. Er sieht den Menschen in der<br />

Freien Strasse mit müdem Blick zu, wie sie an ihm<br />

und den Schaufenstern vorbeiziehen. Nach anfänglichem<br />

Zögern spricht er mit uns. Wie viele<br />

Rumän*innen in der Region Siebenbürgen kann<br />

er ein bisschen Deutsch. Wir fragen ihn, wie das<br />

jetzt ist mit diesen Banden:<br />

Sag, Marian, hast du bewusst ausgenützt, dass<br />

seit 1. Juli das Betteln in Basel nicht mehr verboten<br />

ist? Wurdest du hierhergefahren, Marian?<br />

Bist du Teil einer Bande? Musst du den Grossteil<br />

deiner Tageseinnahmen von durchschnittlich 20<br />

Franken an ein Bandenoberhaupt abgeben? Gibt<br />

es so ein Bandenoberhaupt und wenn ja, fährt es<br />

einen schwarzen Mercedes AMG, wie die Leute<br />

offenbar denken?<br />

Sechsmal «nein», sagt Marian.<br />

«Ich bin alleine gekommen.» Mit dem Reisebus<br />

aus Mediasch, einer Stadt in Rumänien mit rund<br />

50000 Einwohner*innen. Er sei kein Roma: «Ich<br />

bin Rumäne.»<br />

Wer will schon einen mit<br />

kaputten Beinen?<br />

Marians Betteln ist eine Investition in die Zukunft,<br />

die der Tod seiner Frau zerstört hat. Im Jahr 2015<br />

sah es noch gut aus. Damals lebte die Familie in<br />

Bayern, wo Marian beim Paketversand der DPD<br />

arbeitete und Zeitungen austrug, erzählt er. Doch<br />

nach zwei Jahren erkrankte seine Frau an Bauchspeicheldrüsenkrebs<br />

und die Familie kehrte nach<br />

Rumänien zurück. Die deutschen Ärzt*innen sahen<br />

wenig Heilungschancen, «meine Frau wollte<br />

die letzten Lebenswochen zu Hause verbringen»,<br />

sagt Marian. Am 17. Februar 2018 starb sie.<br />

Das ist nicht alles. Obendrauf hatte Marian auch<br />

noch einen Autounfall und brach sich das Bein,<br />

eine komplizierte Fraktur. Seither kann er nur<br />

noch an Krücken gehen. Die Physiotherapie ist<br />

zu teuer, aber mit kranken Beinen einen Job zu<br />

finden: unmöglich. «Ich brauche einen gesunden<br />

Körper, um wieder arbeiten zu können», sagt Marian.<br />

Also beschloss er, betteln zu gehen. «Am<br />

Anfang habe ich mich ziemlich geschämt», sagt<br />

Marian. «Aber ich habe keine Wahl.»<br />

«GENAUSO, WIE ICH<br />

NICHTS ÜBER IHR LEBEN<br />

WEISS, WISSEN SIE AUCH<br />

NICHTS ÜBER MEINES.»<br />

Marian, Bettler<br />

Im Laufe der Woche, in der sich die Basler Berichterstattung<br />

über die Bettler*innen fast überschlägt,<br />

treffen wir Marian drei Mal. Als er von<br />

seiner Frau erzählt, wirft er ein: «Ich habe alle<br />

Spitalunterlagen aufbewahrt, ich kann sie euch<br />

gerne zeigen. Ich lüge euch nichts vor.» Marian<br />

rechnet mit Vorurteilen, ist sich Misstrauen gewohnt:<br />

«Manche Menschen begegnen mir mit<br />

Ablehnung und fragen, warum ich mir keinen<br />

Job suche. Genauso, wie ich nichts über ihr Leben<br />

weiss, wissen sie auch nichts über meines.»<br />

Auf der Suche nach Marian<br />

Pro Tag macht Marian etwa zehn bis 20 Franken.<br />

Er spart fast alles. Abends, wenn die Dämmerung<br />

einbricht, kehrt er zum Schlafen in sein Zelt zurück.<br />

Am 20. August will er zurückfahren, sagt<br />

er. Zuhause warten zwei Söhne, neun und zwölf<br />

Jahre alt. Sein Traum wäre, ihnen später mal ihr<br />

Studium zu finanzieren.<br />

Am vierten Tag sind wir wieder mit Marian verabredet.<br />

Er hat eingewilligt, sich fotografieren zu<br />

lassen. Wir machen uns auf den Weg zu seinem<br />

Zelt; Marian hat uns beschrieben, wo es steht.<br />

Kurz nach der deutschen Grenze in einem kleinen<br />

Wald schlagen wir uns durch das Dickicht.<br />

Zurückgelassene Kleidungsstücke, leere Pet-Flaschen<br />

und anderer Abfall zeugen davon, dass hier<br />

schon andere Menschen gelebt haben. Die Strasse<br />

ist nur noch in Hörweite. Nach ein paar Minuten<br />

bleiben wir vor einer dunkelgrauen Plastikplane<br />

stehen, die an einer dicken Schnur zwischen zwei<br />

Bäumen hängt. Frisch geöffnete, leere Dosen<br />

mit Lebensmitteln, Besteck und Kleidung liegen<br />

verstreut herum. Ist das Marians Schlafplatz? Im<br />

selbstgebastelten Zelt raschelt es.<br />

Es ist ein ebenso banger wie peinlicher Moment.<br />

Wir trampeln hier im Unterholz irgendjemandem<br />

mitten in die Intimsphäre, wissen aber nicht mal<br />

wem. Bis ein Mann in schwarzen Plüschpantoffeln<br />

und fleckigem Unterhemd plötzlich vor uns<br />

steht und sich vorstellt: «07».<br />

Die Verständigung mit «07» ist schwierig, er spricht<br />

nur Spanisch und Polnisch und wiederholt immer<br />

wieder, dass er keine Identität habe. Er sei deshalb<br />

«07», sonst nichts. «Marian? Ich kenne keinen<br />

Marian», sagt er auf Spanisch zu uns. Wir stehen<br />

im Gebüsch und schauen uns ratlos an.<br />

«IN RUMÄNIEN LEBE ICH<br />

MIT MEINEN FÜNF KINDERN<br />

UND MEINER FRAU IN EINER<br />

KLEINEN WOHNUNG – ZWEI<br />

ZIMMER, EINE KÜCHE.»<br />

Ludovic, Bettler<br />

Unsere restlichen Fragen konnten wir Marian nicht<br />

mehr stellen. Ein Foto haben wir auch keines von<br />

ihm. Aber wir sind uns einig: Mit einer mafiös organisierten<br />

Bettelbande, die bestens über die geänderte<br />

Basler Bettler-Verordnung Bescheid weiss<br />

und ihre Kräfte entsprechend gezielt einsetzt,<br />

hat Marian nichts zu tun. Wir suchen also weiter.<br />

▲ Gute Nacht. (Foto: Roland Schmid)<br />

-12- -13-<br />

Im Wettsteinpark<br />

An einem schwülen Samstagnachmittag setzen<br />

wir uns zu den laut Politiker*innen, laut Polizei,<br />

laut Medien und laut Facebook-Kommentator*innen<br />

mutmasslich bandenmässig organisierten<br />

Kriminellen in den Wettsteinpark. Die konkretesten<br />

in den Medien kolportierten Vorwürfe bis zu<br />

diesem Zeitpunkt:<br />

1. Sich waschen sich im Brunnen auf dem<br />

Theodorskirchplatz.<br />

2. Nicht ordentliches Anstehen bei der<br />

Essensausgabe.<br />

3. Entwendung eines Holzstocks bei der<br />

Essensausgabe.<br />

Wir wollen mit den Leuten reden, über die in Basel<br />

alle sprechen. Innerhalb kurzer Zeit hat sich<br />

eine Gruppe von etwa zehn Menschen um uns<br />

versammelt. Alle sprechen durcheinander. Alle<br />

wollen uns ihre Geschichte erzählen. Wir notieren<br />

hektisch. «Seid ruhig, sie kommen nicht mehr<br />

nach», ruft ein Mann, der sich als Ludovic vorgestellt<br />

hat. Ludovic ist der Älteste in der Runde. Er<br />

hat tiefe Falten um seine dunklen Augen. Er trägt<br />

ein Hemd, wie die meisten der Männer. Ludovic<br />

übernimmt den Lead.<br />

Hier im Wettsteinpark lebt er mit seinen zwanzig<br />

Familienmitgliedern. Cousins und Cousinen, Nichten<br />

und Neffen, Brüder und Schwestern seien sie.<br />

Ihr Hab und Gut liegt in Koffern und Rucksäcken.<br />

Ein paar zerschlissene Schaumstoffmatratzen<br />

stehen zusammengerollt im Gras. Seit ein paar<br />

Wochen seien sie hier, sagt Ludovic.<br />

Seine Nichte Maria kommt angelaufen, stellt sich<br />

zu uns. Während sie erzählt, kämmt sie ihr langes<br />

nasses Haar, das sie bei einer der öffentlichen<br />

Duschen am Rhein gewaschen hat. Wenn es regnet,<br />

packen sie ihre Sachen und stellen sich bei<br />

der Theodorskirche unter. Wie kamen sie hierher?<br />

Warum ausgerechnet nach Basel? «Manche<br />

von uns sind geflogen. Mit Easyjet ist es ziemlich<br />

günstig. Andere haben den Bus genommen»,<br />

antwortet Ludovic. Seine eigenen Kinder seien<br />

zu Hause geblieben. Nur sein 20-jähriger Sohn<br />

Pavel ist mit dabei.<br />

Ist eine bettelnde Familie eine organisierte Bande?<br />

Ludovic und vier andere seiner Verwandten legen<br />

uns ihre rumänischen EU-Identitätskarten hin,<br />

wo Nachnamen und Wohnort vermerkt sind. Sie<br />

seien Roma, sagt Ludovic, ungarisch-stämmige<br />

Rumän*innen aus dem Kreis Harghita, die in der<br />

Region Siebenbürgen liegt. Als wir später die<br />

Ortsnamen überprüfen, bestätigt sich diese Information.<br />

«Niemand von uns tut etwas Verbotenes»,<br />

sagt Ludovic. «Wir stehlen nicht.» Und eine<br />

Frage habe er auch an uns: «Gehört die Schweiz<br />

eigentlich zur EU oder nicht?»<br />

Nein, nein und nochmals nein<br />

Der kriminelle Bandenboss fehlt in Ludovics Geschichte<br />

komplett. Mit der Frage konfrontiert,<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

▲ Ludovic hat Fragen: «Gehört die Schweiz eigentlich<br />

zur EU oder nicht?» (Foto: Roland Schmid)<br />

schütteln alle den Kopf und sagen: «Nein, nein,<br />

nein.» Er und seine Grossfamilie betteln für sich<br />

und ihre Kinder, sagt Ludovic. Die je rund dreissig<br />

Franken, auf die die einzelnen Bettler*innen an<br />

guten Tagen täglich kommen, geben sie gemeinsam<br />

fürs Essen und für die Reise aus. Möglichst<br />

viel sparen sie. Damit sie möglichst rasch genug<br />

haben, um nach Rumänien zurückzukehren und<br />

eine Zeitlang davon zu leben. «In Rumänien lebe<br />

ich mit meinen fünf Kindern und meiner Frau in<br />

einer kleinen Wohnung – zwei Zimmer, eine Küche.<br />

Wir bekommen Kindergeld, aber das reicht<br />

kaum zum Leben», sagt er. Ähnlich geht es seinen<br />

Verwandten. Arbeiten in Rumänien lohne<br />

sich nicht, wenn das Geld nachher noch immer<br />

nicht reiche, um den Hunger zu stillen und die<br />

Wohnung zu bezahlen.<br />

Ludovic leert vor uns einen Sack mit Medikamenten<br />

aus. «Ich habe Diabetes», sagt er. «Ich<br />

brauche das Geld auch, um meine Tabletten zu<br />

bezahlen. Wir sind keine Bande», sagt er. «Wir<br />

sind eine Familie, das ist alles. Warum sollten wir<br />

für jemand anderen auf der Strasse leben und<br />

nach Geld betteln, warum sollten wir uns das für<br />

jemand anderes antun? Das macht doch wirtschaftlich<br />

gar keinen Sinn.»<br />

Im Gegensatz zur Basler Öffentlichkeit glaubt<br />

Anna Tillack jedes Wort, das Ludovic sagt. Es<br />

deckt sich mit ihren Recherchen.<br />

Die preisgekrönte deutsche Journalistin hat ein<br />

Jahr lang eine Roma-Frau begleitet. Für ihren im<br />

Dezember 2019 im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlten<br />

Dokumentarfilm «Die Bettler aus der<br />

Walachei: Bedürftige oder organisierte Bande?»<br />

reiste sie mit der Bettlerin und ihrer Familie von<br />

München zurück in ihr rumänisches Dorf.<br />

Tillack sagt: «Den bösen Bettelzuhälter im schwarzen<br />

SUV, der die Menschen ausbeutet und ihr Geld<br />

einsteckt, gibt es nicht.» Alle Bettler*innen, mit<br />

denen sie im Zuge ihrer Recherchen gesprochen<br />

hat, versicherten ihr glaubhaft, das erbettelte<br />

Geld behalten zu dürfen.<br />

Das sieht auch Jean-Pierre Tabin, Professor an der<br />

Fachhochschule für soziale Arbeit und Gesundheit<br />

in Lausanne, so. Er hat das Thema Betteln<br />

wissenschaftlich untersucht. Resultat: Die Ver-<br />

dienstmöglichkeit einer*eines Bettler*in liegt in<br />

der Schweiz zwischen zehn und 20 Franken pro<br />

Tag. Das spricht gegen mafiöses Betteln, oder<br />

wie Wissenschaftler Tabin gegenüber swissinfo.<br />

ch sagt: «Es existiert nicht, es ist eine Fantasie».<br />

Was es gebe, sei Familiensolidarität.<br />

«DEN BÖSEN BETTELZUHÄLTER<br />

IM SCHWARZEN SUV, DER DIE<br />

MENSCHEN AUSBEUTET UND<br />

IHR GELD EINSTECKT, GIBT ES<br />

NICHT.» Anna Tillack, Journalistin<br />

Die Einzige, die den rumänischen Bettler*innen<br />

vom Wettsteinpark erwiesenermassen das Geld<br />

abnimmt, ist die Basler Polizei. Wie <strong>Bajour</strong> bereits<br />

berichtete, zog sie das erbettelte Geld von Ludovic<br />

und seiner Familie wegen Verdachts auf «Bandenmässigkeit»<br />

jeweils wieder ein. Eine davon ist<br />

Katarina*. Sie ist im siebten Monat schwanger und<br />

sitzt neben ihrem Mann im Gras auf einem Kissen.<br />

Ihr hat die Polizei kürzlich vierzig Franken abgenommen.<br />

«Weisst du, ob wir unser Geld von der<br />

Polizei zurückbekommen können?», fragt sie uns.<br />

«Es ist eine Glaubensfrage»<br />

Wie kommen Politiker*innen und Medien dann<br />

auf die Idee, die Basler Bettler*innen seien Teil<br />

einer Mafia?<br />

Balz Herter, Präsident der CVP Basel-Stadt, etwa,<br />

ist überzeugt davon: «Es sind so viele Bettler –<br />

alleine zwischen dem Claraplatz und dem Marktplatz<br />

sah ich heute mehr als zehn Personen. Mir<br />

wurde von Anwohnern erzählt, dass ein Teil der<br />

-14- -15-<br />

Bettler täglich mit dem Bus in Basel ankommt.<br />

Sie treten in grossen Gruppen auf – das spricht<br />

für mich für eine Organisation. Aber in Basel sind<br />

vermutlich bloss die Mittelsmänner. Der Bandenboss<br />

sitzt womöglich woanders.»<br />

Journalistin Anna Tillack kennt Gedankengänge<br />

wie diese. «Der Vorwurf des bandenmässig<br />

organisierten Bettelns fällt meiner Ansicht nach<br />

deshalb so schnell, weil die Bettler morgens gemeinsam<br />

kommen und abends ihren Platz gemeinsam<br />

wieder verlassen», sagt sie. Häufig falle<br />

Passant*innen auf, dass sie sich kennen. Sie haben<br />

die gleichen Utensilien dabei, wie Pappteller oder<br />

Decken. Das mache misstrauisch.<br />

Wissenschaftler Tabin sagt es noch pointierter:<br />

«Es ist ein klar stereotypisierter Diskurs, der auf<br />

nichts basiert.» Aber dem könne man nicht mit<br />

Argumenten entgegenhalten, «denn ein Stereotyp<br />

ist nicht rational begründet, sondern es ist<br />

eine Glaubensfrage».<br />

Kaputter Wirtschaftszweig<br />

Die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma sind<br />

uralt. «Die ethnische Gruppe der Roma leidet in<br />

ganz Europa unter Diskriminierung», sagt Journalistin<br />

Anna Tillack. Kinder haben deutlich weniger<br />

Zugang zu Schulbildung, leiden häufiger<br />

Hunger als andere Kinder und sind von weiten<br />

Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen.<br />

Ein Teufelskreis. Der sich in einer nach wie vor<br />

hohen Analphabetismus-Rate, mangelnder Bildung<br />

und enormen Geburtenraten, gerade bei<br />

sehr jungen Frauen, niederschlägt.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Bettlerei<br />

Wie Graz mit den<br />

Bettler*innen<br />

leben lernte<br />

Wer nach Graz reist, kann die Basler Bettel-Debatte im Zeitraffer erleben.<br />

Und lernen, wie eine bürgerlich regierte Stadt mit armutsbetroffenen<br />

Roma umgeht, ein Verbot einführte, wieder aufhob – und dank der<br />

Initiative eines Einzelnen ihre humanistische Fassung nicht verlor.<br />

Adelina Gashi<br />

▲ «Wie bekommen wir das Geld zurück, das die Polizei uns abgenommen hat?» (Foto: Roland Schmid)<br />

Früher verdiente das fahrende Volk sein Geld mit<br />

Besenbinden oder dem Handel mit Eisenwaren.<br />

Nachdem dieses Handwerk nicht mehr gebraucht<br />

werde, seien viele zum Betteln gezwungen. «Das<br />

Betteln gilt dort aber im Gegensatz zu unserer<br />

Kultur als respektabler Broterwerb.» Dass Roma<br />

dafür bis nach Basel reisen müssen, findet Tillack<br />

unhaltbar: «Rumänien ist Teil der EU. Dass Menschen<br />

durch Bettelfahrten in westliche Städte<br />

mehr verdienen und offenbar besser leben können<br />

als durch einen regulären Job im eigenen<br />

Land kann und darf so nicht sein.»<br />

In Basel lebt der Mythos Bandenboss weiter. Joël<br />

Thüring, SVP-Grossrat, reichte am 4. August die<br />

Motion «Wiedereinführung des Bettelverbots»<br />

ein. Sein Claim dabei: «Ja zu Schutz von Bevölkerung<br />

und Gewerbe vor der ausbeuterischen<br />

Bettlermafia!» Er möchte das Betteln generell<br />

wieder verbieten. Als Begründung dient auch<br />

ihm die Theorie der Bettlerbande: Für die Polizei<br />

sei es schwierig nachzuweisen, dass es sich<br />

bei einer kontrollierten Person um ein «Mitglied<br />

einer Bande» oder eine «zum Betteln geschickte<br />

Person» handle, schreibt er im Vorstoss. Die Polizei<br />

bestätigt das. Mittlerweile hat der Grosse Rat<br />

Thürings Motion an die Regierung überwiesen.<br />

Dafür waren die Bürgerlichen und die Grünliberalen,<br />

dagegen die Linken.<br />

Im Wettsteinpark fängt es an zu tröpfeln. Ludovic,<br />

Katarina und ihre Cousinen und Cousins packen<br />

rasch ihre Sachen zusammen und rennen zur<br />

Theodorskirche. Auf dem Weg dorthin fangen<br />

die Männer an, im Chor zu singen. Ein Tauflied.<br />

Sie lachen. Beim Eingang der Kirche bleiben sie<br />

stehen. Eine Dose Energy-Drink wird herumgereicht.<br />

Einer der Cousins kommt angelaufen und<br />

hat eine Tüte Pouletflügel dabei. Die Gruppe teilt<br />

sich die Portion. Fünf Stück für sechs Personen.<br />

Für mehr hat das Geld heute nicht gereicht. ●<br />

*Namen von der Redaktion geändert<br />

Am Südtiroler Platz lassen sich die Besucher*innen<br />

des Grazer Kunsthaus-Cafés die Sonne ins Gesicht<br />

scheinen, geniessen ihren Sonntag bei Grossem<br />

Braunen (Anm. der Red.: doppelter Espresso mit<br />

Rahm) und Cheesecake. Ein älterer Mann mit faltigem<br />

Gesicht und kurzem, grauen Bart humpelt<br />

mühsam von Tisch zu Tisch und stützt sich dabei<br />

auf einer Krücke ab. Das verwaschene graue T-<br />

Shirt spannt über dem grossen Bauch.<br />

Vor den Tischen bleibt er stehen, hält Gästen<br />

stumm die offene Hand hin. Ein junger Kellner<br />

kommt auf ihn zu, sagt freundlich, aber bestimmt:<br />

«Tut mir leid, hier gehts nicht.» Der Bettler nickt<br />

wortlos und entfernt sich langsam.<br />

Seit diesem Sommer betteln Menschen aus Rumänien<br />

die Basler*innen in der Freien Strasse an,<br />

sprechen die Gäste des Bachmanns an, übernachten<br />

in Pärken. Medien und Politik arbeiten<br />

sich seither am Thema ab.<br />

In Graz wird seit Jahrzehnten intensiv gebettelt<br />

– und kaum jemand regt sich noch auf.<br />

Die Grazer Gelassenheit<br />

kam nicht von alleine.<br />

Graz tickt anders. Und das hat, wenn es um die<br />

Bettler*innen geht, viel mit Pfarrer Pucher zu tun.<br />

«Reden, reden, reden», ist seine Devise. Doch zu<br />

Pfarrer Pucher später mehr.<br />

Die Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes<br />

Steiermark mit dem offiziellen Prädikat<br />

Menschenrechtsstadt, liegt nur etwa 60 Kilometer<br />

von der slowenischen Stadt Maribor entfernt.<br />

Seit den 90er-Jahren kommen Roma zum Betteln<br />

über die Grenze. Am Anfang löste das auch in<br />

Österreich regelmässig heftige Reaktionen aus,<br />

die von ratloser Betroffenheit bis hin zu wütender<br />

Abweisung reichten.<br />

Jahrzehntelang rieben sich Politiker*innen und<br />

Bevölkerung an dem Thema auf und wälzten<br />

dieselben Fragen, die sich aktuell auch die Basler*innen<br />

stellen: Hat man es mit osteuropäischen<br />

Bettelbanden zu tun? Gibt es mafiöse Strukturen?<br />

Ist Betteln ein Menschenrecht? Darf und muss es<br />

verboten werden? Und wenn nicht, wie geht man<br />

dann als liberale Stadt, die sich eine humanitäre<br />

Tradition auf die Fahne schreibt, damit um?<br />

In Graz scheinen die Menschen Antworten auf<br />

diese Fragen gefunden zu haben.<br />

«DIE ROMA SIND NICHT<br />

VERSCHWUNDEN, SIE GEHÖREN<br />

HEUTE ZUM STADTBILD DAZU.»<br />

Martin Behr, Journalist aus Graz<br />

«Mittlerweile hat sich das eingeschleift», sagt der<br />

Grazer Journalist Martin Behr. Wir fragen ihn, wo-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

-16- -17-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


▼ Gehören zum Ortsbild wie jede*r andere auch: Bettler*innen in der Grazer Innenstadt. (Foto: Adelina Gashi)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

her diese offensichtliche Gelassenheit mit dem<br />

Thema kommt, das in Basel für Aufregung sorgt.<br />

Die Roma seien nicht etwa verschwunden, sagt<br />

er, sondern: «Die Bettler*innen gehören heute<br />

zum Stadtbild dazu.»<br />

Der Journalist, der bei den «Salzburger Nachrichten»<br />

arbeitet, hat in den letzten Jahren immer<br />

wieder über die Bettel-Diskussion, die auch<br />

in Graz hohe Wellen warf, berichtet. Behr hat<br />

mehrere der bettelnden Roma-Familien in ihrer<br />

slowakischen Heimat Hostice besucht und hielt<br />

den pauschalen Vorwürfen Reportagen über die<br />

individuellen Schicksale entgegen. Heute braucht<br />

es das nicht mehr. Seit einigen Jahren beobachte<br />

er ein einigermassen friedliches Miteinander von<br />

Bevölkerung und Bettler*innen, so Behr.<br />

«ICH HABE NICHTS DAGEGEN,<br />

DASS MENSCHEN BETTELN. ICH<br />

MAG ES NUR NICHT, WENN ICH<br />

DIREKT ANGEGANGEN WERDE.»<br />

Conni, Gast im Kunsthaus-Café<br />

Im Café Kunsthaus sitzt Conni an einem der kleinen<br />

Holztische und hat eben ein Clubsandwich<br />

bestellt. Auf den Bettler von eben angesprochen<br />

sagt sie: «Ich habe nichts dagegen, dass Menschen<br />

betteln. Ich mag es nur nicht, wenn ich<br />

direkt angegangen werde und aktiv nein sagen<br />

muss. Das ist mir unangenehm.» Aber eigentlich<br />

habe sie sich schon lange keine Gedanken mehr<br />

über die Bettler*innen gemacht, sagt sie. In ihrem<br />

Bekanntenkreis sei das mittlerweile kaum noch<br />

Gesprächsthema.<br />

Die Gelassenheit von Conni und dem Journalisten<br />

Martin Behr bestätigen auch andere Grazer*innen,<br />

mit denen wir im Verlaufe der Recherche geredet<br />

haben. Das Betteln ist kein Thema mehr. Die<br />

Bettler*innen gehören irgendwie dazu.<br />

Das war lange Zeit nicht so.<br />

Rückblende: 2011 in Graz. Die warmen Junitage<br />

kommen und damit die slowenischen Bettler*innen.<br />

Wie jedes Jahr. Und wie jedes Jahr überschlagen<br />

sich auch die Schlagzeilen. Die boulevardeske<br />

«Kronen Zeitung» zählt, neun Jahre vor «20 Minuten»<br />

in Basel, die Bettler*innen pro Kilometer<br />

in der Innenstadt.<br />

Dann geht in Graz die politische Diskussion los.<br />

Beizer*innen fürchten um ihre Kundschaft, rechtsnationale<br />

Politiker*innen aus FPÖ und die Bürgerlichen<br />

der ÖVP meinen, mafiöse Bettelstrukturen<br />

zu erkennen – ohne je Belege dafür zu haben. Wie<br />

in Basel. Und sie fordern: ein Bettelverbot. Wie<br />

rechtsbürgerliche Politiker*innen in Basel.<br />

2011 gibt sich Graz das Bettelverbot. Zuerst<br />

sieht es so aus, als ob die Bettler*innen tatsächlich<br />

deswegen verschwänden. «Bettelverbot in<br />

Graz zeigt Wirkung» schreibt die Regionalseite<br />

Steiermark des ORF 2012, ein Jahr nach dessen<br />

Erlass. Die Mehrheit der Roma habe Graz den<br />

Rücken gekehrt.<br />

Nur: Eine kleine Gruppe Bettler*innen ist in Graz<br />

geblieben. Sie haben sich etwas anderes einfallen<br />

lassen. Statt öffentlich in der Innenstadt zu<br />

betteln, gehen sie nun in den Quartieren von Tür<br />

zu Tür. So sagt der Grazer Polizeisprecher Joachim<br />

Huber gegenüber ORF: «Wir haben jetzt die<br />

Wahrnehmung, dass bettelnde Familien unterwegs<br />

sind, die bei der Bevölkerung anläuten und<br />

vor Ort Geld verlangen.»<br />

Für die Polizei sei diese Situation schwierig: Die<br />

grosse Problematik dabei? «Dass es meist zu<br />

keiner Anzeige kommt und wenn doch, dass die<br />

Betroffenen nicht mehr vor Ort sind und wir uns<br />

schwer tun einzuschreiten», erklärt Polizeisprecher<br />

Huber.<br />

-18- -19-<br />

Das Problem ist: Armut kann man verbieten. Weg<br />

ist sie deshalb nicht.<br />

Das Bettelverbot führt nur zu einer Verlagerung.<br />

Und es formiert sich Widerstand. Dem Pfarrer der<br />

katholischen Vinzenzkirche, Wolfgang Pucher, passt<br />

das Bettelverbot ganz und gar nicht. Er findet:<br />

«Betteln ist ein Menschenrecht.» Es könne nicht<br />

sein, dass man Menschen in Not kriminalisiere.<br />

Es ist dasselbe Argument, das linke Politiker*innen<br />

in Basel brauchen, wenn sie sich dafür einsetzen,<br />

dass Betteln erlaubt bleiben soll. Aber ist<br />

es nicht ein wenig naiv?<br />

«Vinzipfarrer» Pucher ist alles andere als naiv. Er<br />

holt sich juristischen Beistand und bringt das<br />

neue Gesetz bis vor Verfassungsgericht. Und das<br />

Gericht hält fest: Betteln ist ein Menschenrecht.<br />

Das Betteln zu verbieten ist verfassungswidrig. Im<br />

Jahr 2013 wird Betteln wieder erlaubt. Und nicht<br />

nur in Graz, sondern in der ganzen Steiermark.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Sogar im anderen Bundesland Salzburg muss<br />

das Verbot wieder aufgehoben werden.<br />

Das Betteln ist nicht mehr verboten, aber es bekommt<br />

erstens Regeln und zweitens jemanden,<br />

der sich um Einhaltung der Regeln kümmert:<br />

▶<br />

▶<br />

Nur stilles Betteln ist erlaubt. Das bedeutet:<br />

Am Boden sitzen und einen Becher hinstellen,<br />

ist in Ordnung. Menschen ansprechen oder<br />

ihnen nachlaufen, sogenanntes «aggressives<br />

Betteln», ist verboten. Und auch Kinder dürfen<br />

nicht betteln.<br />

Graz setzt auf ihre Ordnungswächter*innen.<br />

Sie sind zwar keine Polizist*innen, aber bei<br />

der Stadt angestellt und kümmern sich um die<br />

Sicherheit der Bevölkerung. Dazu gehört auch,<br />

aggressive Bettler*innen zurechtzuweisen.<br />

Doch das reicht nicht. Die Stimmung bleibt aufgeladen.<br />

Die Grazer Gewerbler*innen und Bewohner*innen<br />

sind noch immer wütend und<br />

verunsichert. Und für ehrgeizige Politiker*innen<br />

und Auflage heischende Medien bleibt Betteln<br />

ein gefundenes Fressen.<br />

Alle Schaltjahre wärmte<br />

Graz das Betteln auf –<br />

pünktlich zu den Wahlen<br />

19 der 48 Sitze im rechtsbürgerlich dominierten<br />

Grazer Gemeinderat sind von der ÖVP besetzt,<br />

acht von der FPÖ. Journalist Martin Behr sagt:<br />

«Für die bürgerlichen Politiker*innen war das Bettel-Thema<br />

jahrzehntelang eine Möglichkeit, sich<br />

politisch zu profilieren.» Pünktlich zu den Wahlen<br />

sei die Debatte um das Betteln alle vier Jahre<br />

wieder aufgeheizt worden. Mit der ewig gleichen<br />

Story um mafiöse Strukturen und angeblichen<br />

Bettlerbossen konnten billige<br />

Punkte im Wahlkampf gemacht<br />

werden, erklärt Behr.<br />

«Die bürgerlichen Parteien, thematisch<br />

blutleer, arbeiten sich<br />

an einer Gruppe rumänischer<br />

BettlerInnen in der Stadt ab.<br />

Den Anstoss gaben PolitikerInnen<br />

von CVP und SVP, die<br />

jede Begegnung mit bettelnden<br />

Menschen auf Social Media<br />

skandalisierten», schreibt der<br />

Basler Journalist Renato Beck<br />

dieses Jahr am 20. August in<br />

der «Wochenzeitung».<br />

BürgerInnenbeteiligung. Sein Vorgesetzter ist<br />

der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl, Mitglied<br />

der Mitte-rechts-Partei ÖVP und vor zehn<br />

Jahren lautstarker Verfechter des Bettelverbots.<br />

Referent Putzer sagt zu der Bettelproblematik:<br />

«Heute funktionierts.» Das sei auch der Zusammenarbeit<br />

der Stadt mit Pfarrer Puchers Kirche<br />

geschuldet. «Die Menschen haben sich an die<br />

Bettler gewöhnt, und die Bettler haben gelernt,<br />

unsere Spielregeln – kein aggressives Betteln,<br />

kein Betteln mit Kindern – zu respektieren», sagt<br />

auch der zuständige Vertreter des bürgerlichen<br />

Politikers mit einer erstaunlichen Gelassenheit.<br />

Pfarrer Pucher on fire<br />

Wie das gelang? Nicht von alleine, aber durch<br />

einen Alleingang und durch unerschöpfliches<br />

Engagement. Pfarrer Pucher knöpfte sich alle<br />

diejenigen vor, die Mythen um die Bettler*innen<br />

aus Osteuropa verbreiteten, krempelte die Ärmel<br />

hoch und machte sich zunächst fast eigenhändig<br />

daran, das Bettler-Narrativ umzuschreiben.<br />

Als Vertreter der Kirche weiss der Pfarrer seinen<br />

Einfluss im katholischen Österreich zu nutzen.<br />

«Er war und ist für Graz eine Integrationsfigur»,<br />

sagt Journalist Behr. Pucher griff zum Telefon.<br />

Jedes Mal, wenn Zeitungen Artikel publizierten<br />

mit Titeln wie «Herzlich willkommen im Bettlerparadies<br />

Graz» («Kronen Zeitung», 15. April 2013)<br />

war anschliessend der Pfarrer am Draht. Er scholt<br />

Journalist*innen und Politiker*innen im Zwiegespräch<br />

und öffentlich jene, die von «Bettelbossen<br />

in Villen» oder «mafiösen Strukturen» schrieben.<br />

«Kommunikation war der Schlüssel, um das Bild<br />

bei der Grazer Bevölkerung zu verändern», sagt<br />

der Pfarrer heute. Über sich und sein Engagement<br />

für die Bettler*innen durfte Pucher schon unzählige<br />

Male berichten. Trotzdem ist<br />

er es deshalb noch lange nicht<br />

leid, seine Stimme wird regelrecht<br />

energisch, wenn er erzählt.<br />

«KOMMUNIKATION<br />

WAR DER<br />

SCHLÜSSEL, UM<br />

DAS BILD BEI<br />

DER GRAZER<br />

BEVÖLKERUNG ZU<br />

VERÄNDERN.»<br />

Wolfgang Pucher, Grazer<br />

Armenpfarrer<br />

In Graz wird nächstes Jahr wieder<br />

gewählt. Sind dann die Bettler*innen<br />

wieder Thema? Wohl<br />

Pfarrer Wolfgang Pucher, 81.<br />

(Foto: Helmut Lunghammer)<br />

Als Erstes räumte er mit falschen<br />

Bildern und dem Mythos des<br />

mafiösen Bettelbosses auf. Er<br />

kaum, sagt Johann Putzer. Er ist Mitarbeiter des<br />

Bürgermeisterbüros und zuständig für die Bereiche<br />

Menschenrechte, Religionsgemeinschaften,<br />

wusste aus nächster Betrachtung dasselbe, was<br />

der Lausanner Sozialwissenschaftler Jean-Pierre<br />

Tabin für die Schweiz aufgrund seiner Forschungs-<br />

ergebnisse über das Betteln sagt: «Bandenbosse,<br />

kriminelle Bettelbanden, das gibt es nicht.»<br />

Am Südtiroler Platz ist der Bettler, den der Kellner<br />

gebeten hatte, zu gehen, immer noch hier. Er steht<br />

vor einem freien Tisch, abseits von den Gästen,<br />

vor ihm auf dem Tisch ein Teller mit Essensresten.<br />

Er setzt sich hin und beginnt zu essen. Als eine<br />

der Kellner*innen hinläuft, um abzuräumen, bleibt<br />

sie kurz stehen, wartet, bis er aufgegessen hat<br />

und lädt das Geschirr auf ihr Tablett. Der Mann<br />

erhebt sich wieder und zieht davon.<br />

Die Kellnerin nimmt das locker. «Die Bettler*innen<br />

stören uns nicht. Sie haben ja keine andere Wahl.<br />

Ich finde, da muss man Verständnis haben», sagt<br />

die junge Frau, die nicht mit Namen genannt werden<br />

möchte. Meistens würden sie und ihre Mitarbeiter*innen<br />

beide Augen zudrücken. Ab und<br />

an käme es aber vor, dass sie Bettler*innen, die<br />

zu lange stehen bleiben, wegschickten.<br />

Am Tag darauf hat sich der Himmel innerhalb kürzester<br />

Zeit verdunkelt. Es regnet in Strömen. Der<br />

angrenzende Hauptplatz ist wie leer gefegt. In der<br />

Herrengasse, das ist die Einkaufsmeile von Graz,<br />

schreiten ein paar wenige Menschen schnellen<br />

Schrittes davon. Die meisten Läden sind schon zu.<br />

Maria* ist Mitte dreissig, hat ihre langen dunklen<br />

Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden<br />

und wischt gerade den Tresen eines beliebten<br />

Tourist*innen-Cafés in der Grazer Shoppingmeile.<br />

Die Frage nach ihren wöchentlichen Begegnungen<br />

mit den Bettler*innen beantwortet sie, kaum<br />

fällt das Wort «betteln», sichtlich genervt.<br />

«Ja, uns stört es», sagt sie. «Die Bettler hören<br />

nicht auf uns, wenn wir sie wegschicken wollen.<br />

Sie bleiben einfach weiter stehen», sagt sie. «Wir<br />

haben den Gästen auch schon gesagt, dass sie<br />

aufhören sollen, ihnen Geld zu geben. Ich glaube<br />

nämlich, dann kommen sie auch nicht mehr.» Sie<br />

könne nicht verstehen, dass nichts gegen solche<br />

aufdringliche Bettler*innen getan werde. «Die<br />

Politik tut nichts. Und die Ordnungswächter sind<br />

nicht immer da, wenn man sie braucht.»<br />

Fast beruhigend, dass der hartnäckige Pucher<br />

offenbar noch nicht ganz zu allen durchdringen<br />

-20- -21-<br />

«WIR ERKLÄREN DEN<br />

BETTLER*INNEN IMMER<br />

WIEDER, DASS SIE DIE<br />

GESETZE BEACHTEN MÜSSEN.<br />

DA BIN ICH STRENG.»<br />

Pfarrer Pucher<br />

konnte. Der Mann hat ansonsten eine erstaunliche<br />

Durchsetzungsfähigkeit.<br />

2015 setzte sich Pfarrer Pucher mit einem Team<br />

aus Expert*innen aus Politik, Bevölkerung und<br />

Behörden zusammen, um ein Strategiepapier mit<br />

Massnahmen zu erarbeiten, um die immer wieder<br />

auflodernde Bettel-Debatte endgültig abzukühlen.<br />

Daraus resultierte der Plan für ein Servicecenter.<br />

Ein «Informations-, Begegnungs- und Beratungscenter<br />

für bettelnde Menschen».<br />

Der zurückgelegte Prozess ist erstaunlich. Statt<br />

Bettler*innen-Vergrämung stand in Graz plötzlich<br />

ein humanitäres Angebot im Vordergrund.<br />

Sogar der Grazer ÖVP-Bürgermeister Siegfried<br />

Nagl war mit der Idee einverstanden und gab<br />

dem Pfarrer seinen politischen Segen. Die Umsetzung<br />

scheiterte dann daran, dass sich nicht<br />

alle einig waren über die Ausweispflicht für bettelnde<br />

Menschen und darüber, wie das Servicecenter<br />

finanziert würde.<br />

Eine Notschlafstelle für<br />

die Bettler*innen<br />

Zum Servicecenter für Bettler*innen hat es politisch<br />

nicht ganz gereicht. Aber Pucher wäre nicht<br />

Pucher, wenn die Roma in Graz sich ganz unwillkommen<br />

fühlen müssten.<br />

Im Park neben der Grazer Vinzenz-Kirche sitzen<br />

zwei Frauen. Sie tragen lange bunte Röcke und<br />

reden angeregt auf Rumänisch. Um sie herum<br />

rennen zwei dunkelhaarige Kinder, ein Junge und<br />

ein Mädchen, und spielen Fangen.<br />

Hinter einem grünen Garagentor, das gleich gegenüber<br />

der Kirche steht, hat eine slowakische Roma-Grossfamilie<br />

im sogenannten Vinzinest ihre<br />

Herberge gefunden. Die Grossfamilie reist jeden<br />

Sommer aus Hostice nach Graz an, um zu betteln.<br />

«Armutsmigrant*innen» wie die bettelnden Roma<br />

erhalten im Vinzinest einen Schlafplatz, täglich<br />

eine warme Mahlzeit, Kleider und Hygieneartikel.<br />

Die Stadt Graz und das Bundesland Steiermark<br />

unterstützen die Einrichtung finanziell.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Puchers Ratschläge<br />

Dass Betteln durchaus als lästig empfunden werden kann, stellt<br />

der Grazer Pfarrer Pucher nicht in Abrede. «Niemand muss einem<br />

Bettler etwas abgeben», sagt er. Aber für den täglichen Umgang<br />

mit Bettler*innen hat er drei Tipps bereit:<br />

1. Sprich mit einem*einer Bettler*in. «Ein ‹Wie gehts?› verstehen<br />

alle», sagt er.<br />

2. «Such dir einen aus und gib nur ihm.» Allen Bettler*innen<br />

helfen zu wollen sei illusorisch. Aber es bringe schon viel,<br />

wenn man einer Person regelmässig zu etwas Geld und<br />

Essen verhelfe.<br />

3. Wer den Bettler*innen, die aus osteuropäischen Ländern<br />

anreisen, nicht glauben will, dass sie keine andere Wahl haben,<br />

als so ihr Geld zu verdienen, soll sie in der Heimat besuchen<br />

gehen. «Man kehrt verändert zurück», sagt Pucher.<br />

Journalist Martin Behr erzählt, dass viele Grazer*innen sich Puchers<br />

Ratschläge zu Herzen genommen haben: «Ich sehe immer<br />

wieder Menschen, die den Bettlern und Bettlerinnen etwas in den<br />

Becher werfen, von denen ich das nicht erwartet hätte. Manche<br />

meiner Bekannten haben sozusagen ihren persönlichen Bettler,<br />

dem sie regelmässig etwas Geld geben.» ●<br />

▲ Das Rathaus thront hinter dem Hauptplatz. (Foto: Adelina Gashi)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Auf die augenfällige Gelassenheit zwischen Grazer<br />

Öffentlichkeit und bettelnden Roma angesprochen,<br />

will Pfarrer Pucher nichts von einem<br />

Wunder wissen. «Reden, reden, reden – mit allen.<br />

Immer.» Nur das helfe, sagt er. Und immer zwischen<br />

die Fronten gehen, das müsse man. «Ein<br />

Grazer Polizist hatte es vor ein paar Jahren auf<br />

die Roma abgesehen und nahm ihnen das Geld<br />

ab. Er glaubte, es seien Kriminelle. Ich sagte ihm,<br />

er solle sie in der Vinzi-Unterkunft besuchen<br />

kommen und mit ihnen sprechen.» Das habe er<br />

dann getan, erzählt Pucher. Die Roma erhielten<br />

die Gelegenheit, dem Polizisten ihre Situation zu<br />

erklären. «Die Schikanen hörten auf.»<br />

Vor einem Supermarkt in der Grazer Innenstadt<br />

steht ein Mann. Kurzes weisses Haar, runder Bauch<br />

und freundliche braune Augen. Er trägt einen<br />

moosgrünen Pullunder, braune Lederschuhe und<br />

bittet Passant*innen und Ladenbesucher*innen<br />

um Geld. Hier steht er fast jeden Tag, sagt er.<br />

Vor ein paar Wochen ist er mit seiner Familie aus<br />

Hostice angereist. Nachts schlafe er im Vinzinest.<br />

«Die Leute sind sehr freundlich zu mir», sagt er<br />

über die Grazer*innen. Ein Mann läuft an ihm<br />

vorbei und grüsst den Bettler, der ihm prompt<br />

die Hand entgegenstreckt. Lachend sagt er zu<br />

ihm: «Na, ich habe dir heute schon was gegeben.<br />

Nächstes Mal wieder», und läuft weiter.<br />

In Graz ist die Bettel-Debatte<br />

in den Hintergrund gerückt<br />

– bald auch in Basel?<br />

Der Pfarrer nimmt auch die Bettler*innen selbst<br />

ins Gebet. «Wir erklären den Bettler*innen immer<br />

wieder, dass sie die Gesetze beachten müssen. Da<br />

bin ich streng», sagt der 81-Jährige. «Ich sage ihnen,<br />

dass es nichts bringt, wenn sie aufdringlich<br />

sind. Die, die ihnen etwas geben wollen, tun das<br />

nämlich auch, wenn sie still betteln», sagt Pucher.<br />

«Bei den Wahlen 2017 ging es jedenfalls zum ersten<br />

Mal nicht um die Bettler und Bettlerinnen in<br />

Graz», sagt Journalist Martin Behr. Für die Bevölkerung<br />

und darum auch für die Politik war das<br />

Thema in den Hintergrund gerückt.<br />

Wer auch immer in Basel nach einem Wahlkampf,<br />

der sich stark um Bettler*innen drehte, gewählt<br />

wird: Damit das Thema in Zukunft nicht quasi<br />

zur festen Wahlkampf-Folklore wird, ist allen<br />

künftigen Ratsmitgliedern eine Reise nach Graz<br />

zu empfehlen.<br />

*Name von der Redaktion geändert<br />

▼ Hinter diesem Tor bietet Pfarrer Puchers Vinzinest jedes Jahr einer<br />

slowakischen Roma-Familie Unterschlupf. (Foto: Adelina Gashi)<br />

-22- -23-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


#BaselNazifrei<br />

Teilnehmer*in an Nazifrei-Demo<br />

zu 8 Monaten<br />

Freiheitsstrafe verurteilt<br />

In der Prozessreihe gegen Teilnehmende der Anti-Pnos-Demo<br />

vom November 2018 fällt das Strafgericht ein Urteil von bisher<br />

ungekanntem Ausmass. Wir waren am Gericht. Hier ist der Bericht.<br />

Daniel Faulhaber<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

*<br />

Zu Beginn des Lockdowns im März ging Roland Schmid, Fotograf, für <strong>Bajour</strong> auf die Strasse<br />

und hielt die gespentisch leere Stadt in einer Bilderserie fest. Wir zeigen eine Auswahl dieser Serie<br />

verteilt in diesem <strong>Magazin</strong>.<br />

Das Urteil klang trotz des sachlichen Tonfalls der Gerichtsschreiberin<br />

wie ein Donnerschlag in den Saal 1 am Strafgericht hinein.<br />

Die Angeklagte wird des Landfriedensbruchs und der mehrfachen<br />

qualifizierten Gewalt und Drohung gegen Behörden und<br />

Beamte schuldig gesprochen und zu acht Monaten Freiheitsstrafe<br />

verurteilt.<br />

Der Angeklagten selbst konnte zwar keine Gewaltanwendung<br />

nachgewiesen werden.<br />

Sie wurde aber als Teil einer gewaltbereiten Gruppe haftbar gemacht<br />

und dafür bestraft, dass sie sich nicht entfernte, sobald<br />

es zur Eskalation kam. Das Urteil erging für Landfriedensbruch<br />

und der passiven Teilnahme an mehrfacher Gewalt und Drohung<br />

gegen Behörden und Beamte.<br />

Ungewöhnlich harte Strafe<br />

Acht Monate Freiheitsentzug für die Teilnahme an einer unbewilligten<br />

Demonstration. Damit hat die Urteilshärte in der Prozessreihe<br />

gegen Teilnehmende der Anti-Pnos-Demonstration vom<br />

24. November 2018 auf dem Messeplatz eine neue Stufe erreicht.<br />

Das Urteil wurde nicht isoliert gefällt. Die Staatsanwaltschaft<br />

hatte die Anklage mit dem Hinweis auf zwei hängige Verfahren<br />

wegen einschlägiger Delikte beschwert. Das Gericht folgte dem<br />

Hinweis teilweise und verurteilte die Angeklagte damit zu einer<br />

heftigen Strafe.<br />

Das ist insofern aussergewöhnlich, als aus der Anklageschrift der<br />

Staatsanwaltschaft eben kein gewalttätiges Handeln der Angeklagten<br />

selbst hervorgeht. Weder hatte sie sich an Steinwürfen<br />

beteiligt, noch hatte sie, wie es anderen Demonstrierenden im<br />

Nachgang der Anti-Pnos-Demo vorgeworfen wird, Bretter und<br />

Baumaterial von einer Baustelle an der Mattenstrasse entwendet.<br />

Sie hatte auch keine halbvolle Bierbüchse in Richtung der Beamt*innen<br />

geworfen (wofür u.a. der Angeklagte im zweiten Prozess zu<br />

sieben Monate bedingt verurteilt wurde), noch war sie schwarz<br />

vermummt zur Demonstration erschienen. Sie hatte kein Banner<br />

getragen (sieben Monaten bedingt für den Angeklagten im ersten<br />

-24- -25-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


*<br />

Die Urteile gegen die zahlreichen Teilnehmer<br />

an einer unbewilligten Protestdemonstration<br />

gegen den bewilligten Aufmarsch einer<br />

handvoll rechtsextremer Pnos-Anhänger*innen<br />

sorgt landesweit für Aufsehen und auch unter<br />

Jurist*innen oft für Kopfschütteln. Eine über<br />

die Schulter geworfene, halbvolle Bierbüchse<br />

wurde nicht als vorsätzliche Körperverletzung<br />

gegen gepanzerte Polizeibeamte taxiert. Trotzdem<br />

kassieren die ersten verurteilten Protestierenden<br />

monatelange Gefängnisstrafen. Für<br />

was? Für die Teilnahme an einer unbewilligten<br />

Demonstration. Beim dritten Urteil war der <strong>Bajour</strong>-Journalist<br />

der einzige Gerichtsreporter. Es<br />

dürften noch Dutzende Verhandlungen folgen.<br />

Die halbe Schweiz wundert sich über die Basler<br />

Urteile. Wir bleiben dran.<br />

Prozess) und nicht fotografiert (90 Tagessätze<br />

à 30 Franken für einen anderen Angeklagten).<br />

Sie trug an diesem 24. November 2018 eine helle<br />

Jeans und hatte sich zeitweise ihren Schal unter<br />

die Nase gebunden. Der zentrale Satz in der Anklage<br />

der Staatsanwaltschaft lautet: «Der Beschuldigten<br />

können im Rahmen des vorgeschilderten<br />

Landfriedensbruchs keine eigenhändigen<br />

Gewaltdelikte zum Nachteil von Polizisten nachgewiesen<br />

werden.»<br />

Das bedeutet: Das Strafgericht Basel verurteilte<br />

an diesem Montagnachmittag eine Person zu acht<br />

Monaten Freiheitsentzug, weil sie sich an einer<br />

unbewilligten Demonstration aufgehalten hatte.<br />

So zumindest musste das Urteil gelesen werden,<br />

wenn man den hier verhandelten Sachverhalt,<br />

nämlich die Teilnahme an der Anti-Pnos-Demo,<br />

zur Grundlage nahm.<br />

Die Staatsanwaltschaft führte in ihrer Anklage<br />

aber weitere Hinweise an, um die Angeklagte<br />

als Wiederholungstäterin erscheinen zu lassen.<br />

Und wieder die Frage: Wo bleibt die Unschuldsvermutung?<br />

Erstaunlich war, dass es sich bei diesen Hinweisen<br />

auf die angeblich justiziable Vergangenheit der<br />

Angeklagten (es geht um Sachbeschädigungen<br />

im Rahmen einer früheren Demonstration in Basel<br />

sowie einen durch Einspruch sistierten Strafbefehl<br />

wegen Farbschmierereien) um hängige Verfahren<br />

handelte, deren Urteile noch ausstehen. Das<br />

heisst: Zur Zeit der Strafverfolgung sowie der an<br />

diesem Montag geführten Gerichtsverhandlung<br />

galt die Unschuldsvermutung.<br />

Und so steht das beinahe auch in der Anklageschrift.<br />

«DIE BESCHULDIGTE HAT KEINE<br />

RECHTSKRÄFTIG BEDINGTEN<br />

VORSTRAFEN, JEDOCH ZWEI<br />

HÄNGIGE VERFAHREN WEGEN<br />

EINSCHLÄGIGEN DELIKTEN.»<br />

Jedoch? Ob durch diesen Zusatz die Unschuldsvermutung<br />

von der Strafverfolgungsbehörde nicht<br />

mindestens angekratzt wird, ist fraglich.<br />

Das Gericht nahm den Ball auf. Gerichtspräsident<br />

René Ernst (SP) begründete das Strafmass<br />

mit Verweis auf die hängigen Verfahren mit der<br />

Bemerkung, das Urteil in Sachen Sachbeschädigungen<br />

sei zwar eingestellt, aber grundsätzlich<br />

nachgewiesen. Uns fehlt das juristische Knowhow,<br />

um diesen Satz lupenrein einzuordnen, aber<br />

mit gebührender Sachlichkeit müssen wir auch<br />

hier darauf hinweisen: Es bleiben Fragen offen.<br />

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Anklage 12<br />

Monate unbedingt gefordert.<br />

Das Urteil von acht Monaten unbedingt hätte<br />

formell auch auf bedingte Freiheitsstrafe lauten<br />

können, sagte der Gerichtspräsident zum Schluss<br />

der Urteilsbegründung. Allerdings habe die Angeklagte<br />

durch ihr Auftreten und ihr Statement<br />

vor Gericht klargemacht, dass sie aus Überzeugung<br />

an der antifaschistischen Demonstration<br />

teilgenommen habe und dass in Bezug auf ähnliche<br />

Delikte weiteres Ungemach drohe, sollte sich<br />

wieder «so eine Situation» ergeben.<br />

Das Urteil von acht Monaten unbedingt sei darum<br />

angemessen.<br />

▲ Die Demonstration auf dem Weg auf die Dreirosenbrücke. (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

Nach der Urteilsverkündung kam es am Montagabend<br />

zu einer spontanen Solidaritätsdemonstration<br />

von Sympathisant*innen. Zirka 200 Personen<br />

versammelten sich gegen 20.00 Uhr auf dem Claraplatz,<br />

liefen dann die Klybeckstrasse entlang und<br />

über die Dreirosenbrücke zum Voltaplatz. Nach<br />

einer Stunde löste sich die Demonstration auf.<br />

Die Polizei hielt sich während des Umzugs ausser<br />

Sichtweite. Vereinzelt wurden Bengalos gezündet,<br />

die Demonstration blieb friedlich. Es kam zu<br />

Verkehrsverzögerungen und einer zwischenzeitlichen<br />

Störung des Tramverkehrs. ●<br />

▲ Am Haus gegenüber dem Strafgericht hängt eine solidarische Fahne. Rund 100 Sympathisant*innen hatten<br />

sich schon am frühen Montagmorgen vor dem Gericht versammelt. (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

-26- -27-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Der grosse<br />

Schaugasmus<br />

<strong>Bajour</strong> war auf der Extasia und hat einige Stunden lang backstage mit<br />

Pornodarsteller*innen abgehangen. Auch an den Porny Days in Zürich<br />

ging es um Sex, aber anders. Zwei Events, ein Thema und zum Schluss<br />

kam es zum Super-GAU. Eine Reportage mit Blick in den Spiegel.<br />

Daniel Faulhaber<br />

Im Moment höchster Schaulust werden unsere<br />

Gesichter zu Fratzen.<br />

Zürich im November, es regnet und kalt ist es auch.<br />

Wir haben uns zu zwölft an einer Bushaltestelle<br />

an der Langstrasse getroffen, wie es uns die<br />

Veranstalter dieser «Sexpionage» gesagt haben.<br />

Wir haben Feldstecher dabei oder Fernrohre und<br />

wissen noch nicht wozu. Wir betreten ein Haus,<br />

dann einen Lift, fünfter Stock, dann gehen wir<br />

einen dunklen Gang entlang und stehen endlich<br />

in einem Zimmer. Zu zwölft stehen wir da an der<br />

Fensterfront. Reden ist nicht erlaubt. Wir fummeln<br />

die Abdeckkappen von den Linsen unserer<br />

Schaugeräte oder fahren die Guckrohre aus und<br />

richten dann im Kollektiv unsere Augen durch<br />

all das Gerät auf ein hell erleuchtetes Fenster im<br />

25hours Hotel schräg gegenüber.<br />

Ich sehe mindestens drei Frauen und vier Männer.<br />

Ich kann mich täuschen, das Fernrohr zittert in<br />

meiner Hand. Da ist ein Bett. Da packen sie einen<br />

▼ Jeder darf mal an das gute Fernrohr am Fenster ran. An der Wand hängt ein Post-it mit dem Erlebnisbericht einer Besucherin.<br />

in Frischhaltefolie. Und da, schwarze Spitze. Ein<br />

Penis unter einem Rock. Metall in Nippeln. Ich erinnere<br />

mich an Tattoos und eine Peitsche.<br />

Es ist mucksmäuschenstill in unserem Raum,<br />

aber man kann uns atmen hören. Man hört das<br />

fahle Reiben, wenn wir an den Geräten herumschrauben<br />

auf der Suche nach mehr Schärfe<br />

im Bild. Mein Fernrohr ist ein Scheissding, ich<br />

seh nur verschwommene Schemen. Feldstecher<br />

werden herumgereicht. Probiers mal damit. Man<br />

hilft sich unter Voyeur*innen. Und jede*r darf mal<br />

an das gute Fernrohr am Fenster, das mit dem<br />

Stativ und der optimalen Voreinstellung. Schön<br />

der Reihe nach. So hat immer einer von uns tolle<br />

Sicht, während die anderen eben schrauben und<br />

drehen und die Augen zusammenkneifen und die<br />

Mundwinkel verziehen, als müssten wir unsere Gesichtszüge<br />

auspressen, damit wir an die Essenz<br />

dieser Sexpionage gelangen, den klaren, geilen<br />

Blick auf den Gruppenfick dort drüben.<br />

Sie wissen, dass wir da sind und ihnen zuschauen.<br />

Wir wissen, dass sie das wissen. Das hier ist ein<br />

abgekartetes Spiel.<br />

Am letzten Novemberwochenende 2019 gingen in<br />

Basel und Zürich zwei aussergewöhnliche Events<br />

über die Bühne. Die Extasia in Basel, die Porny<br />

Days in Zürich. Nichts wäre falscher, als diese beiden<br />

Veranstaltungen über einen Kamm zu scheren.<br />

Ich bin hingefahren, an beide, und es war wie ein<br />

Ausflug in zwei verschiedene Galaxien.<br />

In Zürich hab ich mit ein paar Coolkids anderen<br />

Coolkids beim Sex zugeschaut und mich danach<br />

über weibliche Selbstermächtigung im Femporn<br />

unterhalten. In Basel habe ich fünf Stunden<br />

lang backstage mit deutschen Pornodarsteller*innen<br />

abgehangen. Darüber wird hier berichtet.<br />

Dieser Text enthält obszönes, sexistisches Vokabular,<br />

wie die Welt, die er beschreibt, teilweise<br />

obszön und sexistisch ist. Natürlich ist dieser<br />

Text in der Ich-Perspektive geschrieben, alles<br />

andere ist feige. Dieser Text ist trotzdem nicht<br />

mutig. Dieser Text ist ein dreckiges Stück Klassismus<br />

wie alle «Milieustudien», in denen gut situierte<br />

Reporter*innen in eine «faszinierende Welt<br />

eintauchen», was übersetzt in der Regel so viel<br />

heisst wie den Leser*innen eine Freakshow zum<br />

Frass vorzuwerfen. Ich bin einer von vielen. Vor<br />

mir sind schon Legionen von Feuilletonboys auf<br />

ihrem eigenen Sabber durch Sexmessen gesurft,<br />

um danach mit schönen Worten über «traurige<br />

Tiere» oder «erotische Einöden» zu schreiben und<br />

Fotos zu zeigen von alten Männern mit schwitzigen<br />

Glatzen und Plastiktüten in der Hand.<br />

Dieser Text versucht, den Blick auch auf sich selber<br />

zu richten. Also auf mich und auf die, die da<br />

mit mir auf nackte Leiber starren<br />

Von Zürich am Freitagabend nach Basel. Samstagnachmittag<br />

auf der Extasia. Es riecht nach<br />

Hallenstaub und süssem Deodorant. Auf der<br />

Hauptbühne gibts Techno und Strobo. Die Frauen<br />

werfen die Beine in die Luft und die Männer<br />

filmen. Die Moderatorin sucht «Ladies» aus dem<br />

Publikum für einen wet T-Shirt Contest und findet<br />

Voyeurismus, der. Ist eine Form<br />

der Sexualität, bei der ein Voyeur<br />

(umgangssprachlich auch Spanner<br />

genannt) durch das Betrachten von<br />

seiner Präferenz entsprechenden,<br />

sich entkleidenden oder nackten<br />

Menschen oder durch das<br />

Beobachten sexueller Handlungen<br />

sexuell erregt wird (Wikipedia).<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

-28- -29-<br />

erst mal keine. Der Burger schmeckt beschissen.<br />

Ich denke mir schon nach 15 Minuten, was jetzt.<br />

Ich würd ganz gern hinter die Bühne. Ich will wissen,<br />

wie diese Darstellerinnen sich auf die Shows<br />

vorbereiten. Ich will wissen, was sie als Erstes tun,<br />

nachdem sie abgetreten sind. Über was sie reden,<br />

hinter den Kulissen. Was geht dort ab? Ich ruf<br />

Arnold an, den Medienverantwortlichen.<br />

Arnold war mir bis zu dem Zeitpunkt keine grosse<br />

Hilfe. Auf alle ziemlich vorhersehbaren Medien-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

▲ Sie haben dieses Bild schon tausendmal gesehen und das<br />

macht es jetzt auch nicht besser. (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

fragen (wie lange gibts die Extasia bereits, woher<br />

kommen die Aussteller*innen etc.) wusste Arnold<br />

nur ungefähre Antworten, aber jetzt, jetzt kann<br />

Arnold helfen. Ich gehe hinter ihm eine schmale<br />

Treppe hinauf. Er klopft an einer Garderobe,<br />

steckt den Kopf rein und sagt, da sei einer von<br />

der Presse, der wolle hier reinkommen, ob das<br />

gehe. Eine Männerstimme antwortet von drinnen,<br />

das gehe auf gar keinen Fall und ob Arnold<br />

eigentlich bescheuert sei.<br />

«Das hier ist der einzige Ort, an dem meine Leute<br />

ihre Ruhe haben», sagt Björn, der Booker, dem die<br />

Stimme gehört. «Das Letzte, was ich hier brauche,<br />

ist einer, der fotografiert.»<br />

Ich sag: «Ich hab keine Kamera dabei» und wedle<br />

ein bisschen dämlich mit meinem Notizblock herum.<br />

Björn, der Booker: «Ah, wenn das so ist, na dann<br />

kein Problem, komm rein.»<br />

Hinter der Bühne: Die<br />

Darsteller*innen<br />

Die Extasia und die Porny Days haben natürlich<br />

auch etwas gemeinsam: Bei beiden Veranstaltungen<br />

geht es irgendwie um Sex und Fragen<br />

der Darstellung von Körpern und Sexualität. Die<br />

Extasia gibts seit «ungefähr 2003» (O-Ton Meyer),<br />

das Filmfestival Porny Days findet 2019 zum<br />

siebten Mal statt. Es zählt sich mit ähnlichen<br />

Festivals wie etwa den Luststreifen in Basel zur<br />

Avantgarde einer selbstbewussten Erotik-Kultur.<br />

Die ist vornehmlich akademisch geprägt, kritisch,<br />

verspielt und ein bisschen selbstverliebt.<br />

Die Extasia dagegen kann man als letzte Zuckung<br />

einer untergehenden Porno-Industrie beschreiben,<br />

der das Internet längst den Stecker<br />

gezogen hat. Man kann dies und das kaufen und<br />

auch DVDs. Damit ist über den Zeitgeist dieser<br />

Messe alles gesagt.<br />

Ich bin jetzt erst mal im Backstage-Bereich. Es<br />

ist ein enger Raum, überall quellen Klamotten<br />

aus aufgeklappten Koffern am Boden. Auf dem<br />

einzigen Tisch stehen Plastikbecher, Eistee, Cola,<br />

Sekt, Jägermeister und Wasser. Auf dem Fensterbrett<br />

liegen Center Shocks, diese extrem sauren<br />

Kaugummis, und Lollipops. Es wird geraucht. Es<br />

hat sechs Stühle, vier sind besetzt und auf einem<br />

sitze jetzt ich. Da sind:<br />

Vivian Schmitt. Die Erfahrene. Schmitt wird<br />

mir als «letzte Grande Dame» des Pornos vorgestellt,<br />

sie hat lange Wimpern und raucht. Dem<br />

Dialekt nach kommt sie aus Berlin. Sie redet obszön<br />

as fuck und macht viele Spässe. «Ich kenne<br />

niemanden in der Branche, der so lustig ist», sagt<br />

Björn. Der Booker. Björn hält hier hinten<br />

den Laden zusammen. Wenn er sagt, «Leute, jetzt<br />

mal im Ernst, hört auf unter dem Feueralarm zu<br />

rauchen», dann kuschen alle und machen das<br />

Fenster auf. Björn ist es gewohnt, dass man ihn<br />

beim Reden nicht unterbricht. Er war selber Producer<br />

und Performer und hat Filme gedreht mit<br />

Titeln wie «Dreckig angemacht und aufgespiesst».<br />

Björn redet mit Respekt über Profis wie<br />

Lullu Gun und Jason Steel. Das Live-Sex-<br />

Pärchen. Lullu und Jason, die anders heissen,<br />

aber wen interessiert das schon, sind verheiratet.<br />

Lullu ist besonders, weil sie hat nichts an sich<br />

machen lassen und das können hier nicht viele<br />

von sich behaupten, sagt sie. Sie hat schwarze<br />

glatte Haare und ein Zungenpircing. Jason ist ein<br />

hübscher, grosser Typ mit wasserblaue Augen.<br />

Er trägt zum Sex einen Hut und motzt, wenn er<br />

vor der Show seinen grossen komplettrasierten<br />

Pimmel in die viel zu enge durchsichtige Unterhose<br />

wursteln muss.<br />

Lena Nitro. Der Star der Truppe. Lena hat<br />

wie Lullu nichts an sich machen lassen und auf<br />

ihrer Homepage steht, sie sei die aktuell erfolgreichste<br />

deutsche Pornodarstellerin. Sie ist gerade<br />

mal 157 Zentimeter gross, aber kann eine<br />

zwei Meter lange Perlenkette in sich hineinstecken.<br />

Lena ist die gute Seele in der Garderobe,<br />

sie holt Sekt, wenn Vivienne Sekt will, und fragt<br />

Jason, ob er wirklich denke, ein Joint 20 Minuten<br />

vor der Show sei eine gute Idee. Lena wird Lullu<br />

und Jason später an diesem Tag noch den Arsch<br />

retten, wenn in deren Live-Show der Busch brennt.<br />

Aber das weiss jetzt noch niemand, also haben<br />

alle gute Laune.<br />

Moral und Katholizismus<br />

Nachdem Björn klargestellt hat, dass ich ab sofort<br />

in dieser Garderobe sein dürfe, denn ich sei<br />

▲ Lullu Gun und Jason Steel zwischen zwei Auftritten. (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

Journalist, und zwar «keiner von einem dieser<br />

Rotzmagazine, sondern einer, der will des hier<br />

mal aufschreiben, wie des wirklich ist» – nachdem<br />

Björn das also netterweise über mich gesagt hat,<br />

ohne dass ich je erwähnt hätte, für wen ich arbeite,<br />

bin ich voll akzeptiert und kann hier während der<br />

folgenden Stunden rein und raus, wie’s mir passt.<br />

Nur wenn Lena oder eine der anderen Frauen<br />

sich diese Perlenkette einführen, dann muss ich<br />

raus. «Ich schieb mir des Ding nicht in die Fotze,<br />

solange diese Journalisten-Schwuchtel hier rumhängt»,<br />

heisst es dann. Ich geh dann also jeweils<br />

kurz raus und Lena holt mich dann wieder rein.<br />

Ich will alles wissen. Wer wie viel verdient, wie viel<br />

hier gekokst wird, wie das so ist, auf der Bühne<br />

vor all den Kameras, ob die Frauen denken, sie<br />

seien nur Lustobjekte, und was die Männer von<br />

Gleichberechtigung halten.<br />

Ich mach mich mit diesen Fragen natürlich komplett<br />

zum Affen, aber weil Björn gesagt hat, ich<br />

sei keiner von einem dieser «Rotzmagazine», sind<br />

alle sehr geduldig mit mir und Lena gibt mir sogar<br />

ein Center Shock, weil sauer macht lustig, sagt<br />

sie. Offenbar bin ich Deutschlands erfolgreichster<br />

Pornodarstellerin nicht lustig genug.<br />

Dann erzählen alle ein bisschen durcheinander,<br />

und um es kurz zu machen: Nein, die Frauen halten<br />

sich nicht für Objekte und auch nicht für Opfer,<br />

-30- -31-<br />

die Opfer sind wenn schon die Männer, weil «die<br />

müssen den Schwanz hochhalten und verdienen<br />

dabei einen Scheiss» (O-Ton Lullu). Gekokst wird<br />

nicht, aber gesoffen und das nicht zu knapp. Lullu<br />

und Jason performen während der Extasia elfmal,<br />

dreimal Freitag und Sonntag, viermal am Samstag.<br />

Pro Show kriegt Jason 320 Euro, die Gage von<br />

Lullu weiss ich nicht. Jason sagt, von den insgesamt<br />

3520 Euro gingen eine ganze Menge sofort<br />

wieder für irgendwelche Auslagen flöten und dass<br />

vom Porno alleine in Deutschland eigentlich niemand<br />

mehr leben könne, punkt.<br />

Jason hat mal bei einer Bank gearbeitet und dort<br />

besser verdient. Aber er würde das heute nicht<br />

mehr tun und zwar, Achtung, aus moralischen<br />

Gründen<br />

Er sagt: «Es war schon immer so, dass man finanziell<br />

gut dasteht, wenn man Scheisse baut.»<br />

Da steckt einer bis zum Hals im Prekariat, aber<br />

moralisch lässt Jason nichts anbrennen. Ehrenmann.<br />

Für die Moral haben sie hier übrigens ein<br />

Synonym. Es lautet: Katholisch. Das mag ein bisschen<br />

altmodisch erscheinen, aber immer dann,<br />

wenn die Porn-Stars über den Feind reden, also<br />

über alle, die Pornografie verhindern wollen, dann<br />

sind das plötzlich Katholiken. Instagram zum<br />

Beispiel ist ein katholisches Netzwerke, weil es<br />

Werbung von Porno-Darsteller*innen unterbindet<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


▼ Spionage-Equipment in Zürich. Wenn eine Vagina<br />

aussieht wie eine Blume, sieht dann eine Kamera mit<br />

Teleobjektiv aus wie ein Penis? (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

und Nippel zensiert. Google ist nicht katholisch.<br />

Die Staatsanwaltschaft ist sehr katholisch. Undsoweiter.<br />

Björn sagt: «Die Pornoindustrie hat das<br />

Internet erst gross gemacht und heute will man<br />

uns zensieren. Diese katholische Moral geht mir<br />

auf den Sack.»<br />

Geld ist in der Garderobe ein grosses Thema. Wer<br />

wie viel verdient hat am DVD-Stand, das wird<br />

hier oben in Echtzeit abgeglichen. Vivian Schmitt<br />

casht ordentlich ein. Mit einer Handvoll Schweizer<br />

Banknoten wedelt sie dann vor dem Schritt<br />

herum und ruft: «Allemann Maul halten, ich muss<br />

Geld zählen brra brra brra.» Die Frau ist 41 Jahre<br />

alt. Manchmal verkauft sie getragene Billig-Stiefel<br />

von Deichmann an «so’n komischen Typen»,<br />

der gibt ihr dann 200 Euro dafür. «Wat willste<br />

sagen, Alter.» Wenn jemand die Türe aufmacht,<br />

ruft die Grande Dame: «MACH DIE TÜR ZU, ES<br />

ZIEHT.» Lena sagt: «Entspann dich, iss doch mal<br />

was Süsses», aber Vivian Schmitt, die lustigste<br />

Frau in der Branche, hat auf Center Shocks keine<br />

Lust. «Man siehts mir nicht an, weil ich fett bin,<br />

aber ich ess nix Süsses.»<br />

So geht das in einem fort. Die Darsteller*innen<br />

frotzeln und klagen und lästern über andere Pornostars<br />

oder erzählen sich krasse Anekdoten von<br />

ihren Drehs. Ich hätte gedacht, dass die in der<br />

Branche keinen Bock haben auf Sextalk, wenn<br />

das Scheinwerferlicht aus ist. Tatsächlich ist das<br />

Gegenteil der Fall. Es geht die ganze Zeit um Sex<br />

und um den wirklich gigantischen Schwanz eines<br />

Ungarn, dessen Namen ich mir nicht aufgeschrieben<br />

habe. Jetzt werden Fotos herumgezeigt, damit<br />

alle, die noch nie mit dem Ungarn gedreht haben,<br />

Bescheid wissen. Dann werden Jason und Lullu<br />

zur Live-Show geholt. Ich geh mit.<br />

Zürich: «Does a vagina<br />

look like a flower?»<br />

Das erste Kurzfilmprogramm im Zürcher Kino Riffraff,<br />

die Porny Shorts 1, Freitagabend, 18.30 Uhr,<br />

ist ausverkauft. Über den Screen flackern künstlich<br />

animierte Blumen, Lilien oder so, die wie Geschlechtsteile<br />

aussehen. Eine Frauenstimme sagt<br />

aus dem Off: «Does a vagina look like a flower?»<br />

Auch wenn wir Zuschauer*innen im Dunkeln sitzen,<br />

hat das gemeinsame Schauen auf diese Leinwand<br />

auch für uns etwas Exhibitionistisches. Wir<br />

sind hier, zusammen, um Pornos zu schauen. Wir<br />

tragen dabei keine Ironiemarker wie die besoffenen<br />

Homies, die mit Santigglausmützen durch<br />

die Extasia torkeln, um zu zeigen, dass sie «nur<br />

so zum Spass» da sind und «alles nicht so gemeint»<br />

sei. Nein, wir haben uns schön angezogen,<br />

wir haben gepflegte Bärte und tragen dezentes<br />

Make-up. Wir sind nicht ironisch hier.<br />

Wobei das nicht heisst, dass es nicht lustig zu<br />

und her ginge in diesem Kinosaal. Es wird viel<br />

gelacht, weil es zum einen manchmal natürlich<br />

sehr lustig ist. Aber das Lachen ist auch eine Entkrampfungsstrategie,<br />

eine Art Crinch-Ableiter. Man<br />

kann auch reden, aber bitte nicht zu leise, weil<br />

das Schlimmste ist, wenn alle mucksmäuschenstill<br />

sind und auf der Grossleindwand wird hart<br />

gevögelt. Erst dann kriegt das Ganze eine wirklich<br />

öbszöne Note. Aber mit dem Lachen gehts<br />

irgendwie, dann ist es cool und aufgeklärt und<br />

ziemlich progressiv, hier zu sein. Die wirklich Abgeklärten<br />

erkennt man wiederum daran, dass sie<br />

nicht lachen. Sie sagen manchmal «shhht» und<br />

dann ist es kurz still.<br />

Neben mir sitzt Luke, blond, 30 Jahre alt, Webentwickler.<br />

Wir rauchen nach dem Film Zigaretten<br />

und er sagt, er sei pornosüchtig und dass er<br />

sich angewöhnt habe, offen über solche Dinge zu<br />

reden. Man müsse dringend mehr reden, über all<br />

das, was man mag und nicht mag. Sex sei gesellschaftlich<br />

betrachtet immer noch «the elefant in<br />

the room». Die einen kichern beim Gedanken daran,<br />

die anderen machen sexistische Scheisswitze<br />

und nichts verändert sich, sagt Luke. Die Porny<br />

Days helfen ihm dabei, seine sexuelle Identität<br />

und das, was er mag, in Worte zu fassen.<br />

An den Porny Days ist nichts eindimensional, es<br />

geht immer um Aushandeln, Beziehungen, Konsens<br />

und Ich-aussen-Wechselspiele. Jeder voyeuristische<br />

Blick wirft mich auf mich selber zurück.<br />

In der Spionagekammer mit den Fernrohren zum<br />

Beispiel sind die Beobachter*innen längst Teil<br />

der Performance geworden. Es liegen Notizbücher<br />

herum und an der Wand hängen Post-its,<br />

auf denen die Besucher*innen beschreiben, was<br />

das hier mit ihnen macht. Jemand schreibt: «Ich<br />

fühle mich schuldig, aber kann die Augen nicht<br />

abwenden. Warum? Thanks for this experience ♥.»<br />

An der Extasia ist die Beziehung zwischen sehen<br />

und gesehen werden eine andere, das kann man<br />

am folgenden Live-Auftritt von Jason Steel und<br />

Lullu Gun sehr präzise beschreiben.<br />

Der Sex findet in einem abgetrennten Bereich<br />

statt, filmen ist hier verboten, der Eintritt kostet<br />

20 Franken extra zum 40-Franken-Tagespass<br />

dazu. Es ist ein kahler Raum, in der Mitte steht<br />

eine runde Bühne aus weisser Leder-Optik. Das<br />

Ganze ist szenografisch so arrangiert, dass alle<br />

Fluchtlinien auf diese Mitte zulaufen. Jason nennt<br />

diese Bühne die «Fickinsel».<br />

Beim Eingang werden 3D-Brillen verteilt. Wozu<br />

das, denke ich, ist doch live.<br />

Die Show beginnt, Jason und Lullu kommen rein,<br />

er hat wieder diesen dummen Hut auf dem Kopf<br />

und der Arsch passt einfach nicht ganz in diese<br />

-32- -33-<br />

viel zu enge Unterhose. Und ich begreife jetzt<br />

rasch, wozu die 3D-Brille da ist. Jason und Lullu<br />

werden beim Sex gefilmt, live, on Stage. Der<br />

Stream wird zeitgleich auf zwei Bildschirmen<br />

neben der Bühne direkt übertragen, und zwar<br />

eben in 3D. Das ist wahnsinnig seltsam. Der Effekt<br />

ist, dass hier 60, 70 Leute sitzen und Jason<br />

und Lullu beim Sex zuschauen, und zwar zu gleichen<br />

Teilen live 1, also in persona, wie live 2, also<br />

im künstlich reproduzierten Sinn. Die Realität<br />

und das Abbild verschmelzen synchron zu einer,<br />

wie soll man das nennen, einer technisch angereicherten<br />

Fantasie-Realität.<br />

Wir, die Zuschauer*innen, treten dagegen komplett<br />

in den Hintergrund. Durch die schwarzen<br />

fettigen Brillen auf unseren Nasen sehen wir alle<br />

irgendwie gleich aus, wodurch eine Illusion von<br />

Anonymität entsteht. Die Männer und Frauen um<br />

mich herum starren apathisch, manche haben die<br />

Münder offen, auch hier entgleist uns die Mimik<br />

im Augenblick erregter oder geschockter, auf<br />

jeden Fall voyeuristischer Betrachtung.<br />

Wieder: Im Moment höchster Schaulust werden<br />

unsere Gesichter zu Fratzen.<br />

Nur dass im Unterschied zu den Porny Days hier<br />

keine Selbstspiegelung stattfindet, im Gegenteil.<br />

Alles ist darauf angelegt, sich selbst zu vergessen,<br />

um hemmungslos gaffen zu können. Die Musik<br />

betäubt uns die Ohren, die Brille betrügt uns um<br />

Klarsicht und der Bildschirm suggeriert einen<br />

doppelten Boden, wo keiner ist. Aber ohne diesen<br />

doppelten Boden kommt die konventionelle<br />

Porno-Branche nicht aus, sie ist darauf gebaut.<br />

Diese schlaffe unkritische Geilheit im Publikum<br />

ist der Nährboden, auf dem diese Branche steht.<br />

Darum darf es nicht «einfach live» als «real» sein,<br />

darum hängen hier überall Bildschirme, darum<br />

wird jede Sequenz dieser Messe-Realität technisch<br />

überdreht, überspitzt und verfälscht, vielleicht<br />

sind auch darum alle möglichen Gliedmas-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


*<br />

Daniel Faulhaber, Fauli, war noch kaum abgesessen<br />

und <strong>Bajour</strong> noch im ersten angelegten Paar Windeln,<br />

da schreibt er eine Reportage und gewinnt damit<br />

als Newcomer den renommierten Zürcher Journalistenpreis.<br />

Faulhaber gehört nicht zu denen, die ihre Geschichten<br />

lauthals in der Sitzung ankünden. Er schleicht<br />

sich damit an, und plötzlich sind sie da. «Ich habe mir<br />

überlegt, ich könnte an die Pornomesse in Basel gehen<br />

und sie mit den intellektuellen Porny Days in Zürich<br />

vergleichen.» Wahrscheinlich sagte er aber nicht «vergleichen»,<br />

sondern irgendein gescheiteres Wort, eines,<br />

das er sich vorher überlegt hat. Denn denken kann er<br />

und schreiben sowieso. Zitat aus der Laudatio: «Er sah<br />

sich für ‹<strong>Bajour</strong>› mit wachem Blick auf zwei Erotikmessen<br />

um. Das tat er auch selbstkritisch. Der Autor wertet<br />

nicht, sondern er beschreibt. Und das auf brillante Weise.»<br />

Und seither heisst er intern nur noch Porno-Fauli.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

sen bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen, damit<br />

unser Restposten funktionierendes Gehirn etwas<br />

zum Festhalten hat und beruhigend auf uns einwirkt,<br />

als wolle es uns sagen: Das kann ja alles<br />

nicht wahr sein.<br />

Die Realität wird hier so inszeniert, als könne man<br />

sie wegklicken, wenns so weit ist.<br />

Ich bin ziemlich erschöpft vom vielen Starren<br />

und die Darsteller*innen sind offenbar ebenfalls<br />

schlapp vom andauernden Auf- und Abtreten.<br />

Ausserdem sind einige langsam besoffen. Manche<br />

reden laut und haben rote Gesichter. Lena<br />

Nitro hat Rückenweh und Muskelkater und muss<br />

sich alle Nase lang von irgendwem den Rücken<br />

knacken lassen. Auch Vivian Schmitt klagt über<br />

Rückenschmerzen, und als Jason fragt, warum<br />

denn, ob’s «wegen der Titten» sei, sagt Schmitt<br />

nein, das habe mit der ungesunden Haltung vor<br />

der Webcam zu tun.<br />

Andere haben Scheuerwunden an den Knien oder<br />

an der Hüfte und in einem sind sich alle einig: Sobald<br />

man in einem Raum das Wort «Videodreh»<br />

in den Mund nimmt, wachsen allen anwesenden<br />

Pornodarsteller*innen Pickel am Arsch. Immer.<br />

Überall. Das sei dann ganz schlecht fürs Closeup,<br />

aber das Schicksal sei «eben auch nur eine<br />

bitch», sagt Björn.<br />

Immerhin könne man mit so einem Pickel hinten<br />

und vorne gleichzeitig abspritzen, erwidert Jason.<br />

Und jetzt ruft sogar die hartgesottene Schmitt<br />

rüber, was für ein ekliger Typ er denn bitte sei, er<br />

solle jetzt besser das Maul halten.<br />

Ich bin am Ende. Jason und Lullu machen sich<br />

gerade fertig für ihre vierte Show. Sie wird zum<br />

grössten anzunehmenden Unfall.<br />

Lullu Gun und Jason Steel haben mir ausführlich<br />

erklärt, dass für sie diese Live-Sache nur funktioniert,<br />

weil da diese Kamera ist, in die sie schauen<br />

können, und vor allem, weil da Musik läuft. Das Publikum<br />

macht sie nicht nervös, solange die Musik<br />

spielt, das hat insbesondere Lullu Gun mehrfach<br />

betont. Und dann, in ihrer vierten Show samstagabends<br />

um 22.30 Uhr, gibt es eine technische<br />

Störung und mitten während des Lieds «Come<br />

Together» von den Beatles (aber in Rockabilly-<br />

Version) bricht der Sound ab und die Bildschirme<br />

werden schwarz und irgendwie gehen auch ein<br />

paar Lichter an, auf jeden Fall wird durch diese<br />

technische Panne der gnädige Vorhang der<br />

Illusion von einer auf die andere Sekunde aufs<br />

Brutalste heruntergerissen. Jason, der schon<br />

zuvor geschwächt wirkte und sich zum Schluss<br />

der Show wie ein Wahnsinniger darum bemühen<br />

musste, nochmal etwas LEBENSELEXIR aus sich<br />

▲ Rechts im Bild: Die «letzte Grande Dame des deutschen Pornos», Vivian Schmitt, bei<br />

einem Interview auf der Hauptbühne. Dahinter ihr digitaler Schatten. An der Extasia<br />

wird alles immer und sofort künstlich verdoppelt. (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

herauszuwedeln, sackt jetzt zusammen wie ein<br />

Windbeutel und auch bei Lullu ist der Ofen augenscheinlich<br />

aus.<br />

Da kommt mitten in der unvorhersehbaren Panik<br />

dieses Coitus interruptus plötzlich Lena Nitro<br />

hinter dem Vorhang hervor und schlägt die Hände<br />

über dem Kopf zusammen, um das Publikum<br />

zum Klatschen zu animieren, ohne Scheiss jetzt,<br />

und ein paar Zuschauer*innen machen mit, aber<br />

leider auch nicht so viele, egal, the Show must<br />

go on. Also wedelt Jason wieder und Lullu macht<br />

auch irgendwas und Lena klatscht und sie tun<br />

mir so wahnsinnig leid da oben, weil irgendwer<br />

fummelt jetzt auch noch an der Soundanlage<br />

rum und spielt Hiphop, dabei waren Jason und<br />

Lullu doch mehr so im Come-Together-Modus.<br />

Auf jeden Fall ist das jetzt der komplette Abfuck,<br />

-34- -35-<br />

aber nun heisst es stark bleiben und Jason gibt<br />

echt alles, der alte Vollprofi, und kommt irgendwie<br />

doch noch, aber das Publikum ist da schon<br />

nicht mehr ganz bei der Sache.<br />

Denn durch das angegangene Licht wurden auch<br />

wir, die Gaffer*innen, als Teil der Performance<br />

entblösst und als die Voyeur*innen entlarvt, die<br />

wir sind. Und alles Augenreiben und Brille-Abnehmen<br />

und Verlegenheitsgetue hilft nichts, denn für<br />

einen kurzen Moment haben auch an der Extasia<br />

ein paar Leute diese Gesichter, unsere Gesichter<br />

gesehen. Unsere Fratzen im Augenblick höchster<br />

Lustschau. ●<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Bonjour<br />

<strong>Bajour</strong><br />

DNA-WORKSHOPS<br />

ERSTE DEBATTEN<br />

SPEEDDATING<br />

BÜRO MARKTHALLE<br />

STADTSPAZIERGANG<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Am Anfang waren die DNA-Workshops. Was will,<br />

soll, darf lokaler Journalismus, was soll <strong>Bajour</strong><br />

werden, was braucht es nicht und was braucht<br />

es jeden Tag. Die Fragen, die uns heute noch jeden<br />

Tag aufs Neue fordern, waren Ende Sommer<br />

2019 den Frauen vom Kernteam schnell klar: Mit<br />

Gorilla-Journalismus soll es nichts zu tun haben.<br />

Auf Augenhöhe kommunizieren. Klicks sind wurst,<br />

die Community ist wichtig, nützen soll <strong>Bajour</strong>,<br />

journalistisch sauber, fair und dialogisch sein. Es<br />

konnte losgehen.<br />

Eine Website hatten wir noch nicht, aber ein loses<br />

Mundwerk. Und weil Journalismus irgendwo<br />

stattfinden darf und Events Teil des <strong>Bajour</strong>-Informationsverständnisses<br />

sind, setzten wir unsere<br />

Themen mitten in das Wohnzimmer der Markthalle.<br />

Weshalb hat Basel nicht die hellsten Schulkinder?<br />

Wie steht es um die Macht der Frauen<br />

in der Politik? Wie ist der Stand der Drogendinge?<br />

Wir konnten journalistisch begleitete Events<br />

veranstalten, hielten starken Frauen das Mic hin,<br />

liessen Politiker*innen ausreden und einen Drogendealer<br />

zu Wort kommen.<br />

Wie gesagt. Wir wollten raus. Als im chinesischen<br />

Wuhan die ersten Meldungen aus den überfüllten<br />

Intensivstationen noch als ferne Grippewelle<br />

eingeordnet wurden, machten wir journalistische<br />

Stadtspaziergänge oder als Acid Contact Tracer<br />

einen LSD Bikeride auf den Spuren Albert<br />

Hofmanns durch Spacy Basel.<br />

Als jede*r das Wort Quarantäne noch auf seine<br />

korrekte Schreibweise googlen musste, wollten<br />

wir <strong>Bajour</strong> so nah bei den Leuten haben, wie möglich.<br />

Mit dem Büro in der Markthalle fand unser<br />

Zwischennutzungs-Weltmeister Valentin Ismail<br />

die optimale Adresse. Näher geht wirklich nicht.<br />

Bei den Leuten, beim Markthalle-Wohnzimmer,<br />

aber auch bei Won Ton, Burger und Pho Bo. Am<br />

Feierabend rochen die Kleider und selbst die Gedanken<br />

biz streng. Aber das war es wert.<br />

Die Begeisterung über den Vorschlag hielt sich<br />

zunächst in engen Grenzen. Basel Briefing, täglicher<br />

Newsletter, die lokale Übersicht, serviert<br />

bis 7 Uhr. Wer braucht das und warum ich? Spätaufsteherin<br />

Andrea Fopp legte am 21. Januar los.<br />

Unter Vorbehalt und maximal dreimonatiger Test-<br />

phase. Zusammen mit Samuel Hufschmid, dem<br />

anderen Ur-Briefer. Der wollte nur beweisen, dass<br />

ein Briefing ein Fehlinvestment ist. Und tataa.<br />

Die beiden waren einfach zu gut und zu schnell<br />

erfolgreich. Die Abozahlen schnellten hoch. Innert<br />

Kürze hatten wir 1000 tägliche Leser*innen,<br />

bald 2000. So was wie «Massenmedium-Feeling»<br />

stellte sich ein. <strong>Bajour</strong> war in Basel angekommen.<br />

Einziger Vorwurf: «Hört endlich auf zu betonen,<br />

dass ihr dreimal hintereinander um 4 Uhr 30 aufgestanden<br />

seid. Da macht ein normaler Bäcker<br />

Frühstückspause.»<br />

Gärngschee<br />

Wir kamen gar nicht richtig dazu, uns zu entschuldigen.<br />

Das tägliche Update hatte gerade richtig<br />

Fahrt aufgenommen, dann kam der Stillstand.<br />

Dann kam Corona. Dann kam Homeoffice, der<br />

Lockdown und eine Idee: Dass die Risikogruppe<br />

aka alte Leute zuhause bleiben soll, ist schnell<br />

gesagt. Aber wie kriegen die was zu essen? Aus<br />

der banalen Frage wurde Gärngschee - Basel<br />

hilft. Innert vier Tagen fanden sich 15'000 hilfsbereite<br />

Basler*innen, die sich zu einer digitalen<br />

-36- -37-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Nachbarschaftshilfe vernetzten. <strong>Bajour</strong> war das<br />

Medium in der Mitte, wurde völlig überrannt, koordinierte<br />

und recherchierte.<br />

Mit den Aufgaben explodierte das Team. Von der<br />

Moderation der Facebook-Gruppe, der Betreuung<br />

des Sorgentelefons bis zur Koordination mit den<br />

Helfer*innen und den bestehenden Hilfswerken:<br />

Der Aufwand war riesig. Die Unterstützung aber<br />

auch. Ob grosse Stiftungen oder kleine Zuwendungen,<br />

Gärngschee flogen die Herzen und die<br />

finanziellen Mittel zu. Wir konnten in der Redaktion<br />

tüchtig aufstocken und temporär auch journalistisch<br />

zeigen, was wir dereinst bzw. in zwei,<br />

drei Jahren, immer zeigen möchten.<br />

Wir wurden während des Lockdowns per Ferngespräch<br />

zu einer explosionsartig wachsenden,<br />

eingeschworenen Redaktion mit angegliedertem<br />

Hilfswerk. Und als wäre uns diese Aufgabe nicht<br />

gross genug gewesen, liessen wir auch noch grad<br />

Gärngschee Kultur vom Stapel. Den Glücksfall<br />

möglich machte unser grenzenloser Enthusiasmus<br />

und die Streaming-High-End-Teufelskiste<br />

von Martin Schaffner und dem FHNW HGK<br />

Institut Hyperwerk. Wir veranstalteten Konzerte<br />

mit 11 Bands mit mehr oder minder engem Basler<br />

Bezug und sammelten per Live-Stream Geld<br />

für sie. Es sollte für viele Künstler*innen für lange<br />

Zeit der einzige bezahlte Auftritt gewesen sein.<br />

Und der Journalismus? Ja der. Der kam nicht zu<br />

kurz. Natürlich könnte es immer noch mehr sein.<br />

Und unsere Ansprüche an uns selbst sind nach<br />

einem knappen Jahr bestimmt nicht geringer<br />

geworden. Die kritischsten <strong>Bajour</strong>-Leser*innen<br />

sitzen definitiv in der Redaktion. Aber ein paar<br />

BASEL BRIEFING #GÄRNGSCHEE TEAM GÄRNGSCHEE KULTUR JOURNIPREIS<br />

BÜRO CLARASTRASSE<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Veröffentlichungen haben sogar uns überzeugt.<br />

Etwa die Berichterstattung über die Bettlerdebatte<br />

von Adelina Gashi, der Sammelkündigungs-<br />

Ticker von Samuel Hufschmid, die Piepstöne von<br />

Naomi Gregoris und die Nichtwähler*innen-Videos<br />

von Franziska Zambach. Naomi wurde vor<br />

Kurzem für ihr journalistisches Schaffen mit dem<br />

«prix netzhdk» ausgezeichnet. Genauso wie der<br />

selbstkritischste Journalist von uns allen: Daniel<br />

Faulhaber. Er gewann als Newcomer den renommierten<br />

«Zürcher Journalistenpreis» für seine<br />

Reportage «Der grosse Schaugasmus». Der einzige,<br />

der denkt, das hätte man noch besser machen<br />

können, ist er, unser Porno-Fauli.<br />

Während wir mehr oder weniger ein dreiviertel<br />

Jahr im Homeoffice aus der Ferne zueinander<br />

gefunden haben, sind wir auch gezügelt. An die<br />

-38- -39-<br />

nächste Zwischennutzung, in den ehemaligen<br />

Charles Vögele Verkaufsraum an der Clarastrasse.<br />

Und jetzt haben wir Platz. Für die Redaktion<br />

und für irre Ideen und Partnerschaften. Für Veranstaltungen,<br />

für Lesungen mit der BuchBasel, für<br />

das Freiraum Festival des Göthe Instituts, für die<br />

fortgesetzte Partnerschaft mit dem FHNW HGK<br />

Institut Hyperwerk und und und. Mit den IT-Wizzards<br />

Flavio und Livio Spaini teilen wir unseren<br />

Co-Working Space. Im Sousol haben wir dank<br />

Martin Schaffner ein hauseigenes Greenscreen-<br />

Studio und dank dem prominenten Schaufenster<br />

können wir dort sein, wo wir eh immer sein wollen:<br />

Bei den Leuten und mit den Leuten. Auch wenn<br />

sich das zurzeit niemand vorstellen kann: Der<br />

nächste Lock out kommt bestimmt! ●<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Roland Schmid,<br />

Bildstrecke Lockdown<br />

-40- -41-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


#gärngschee<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Als «Gärngschee – Basel hilft»<br />

abging wie eine Rakete<br />

Daniel Faulhaber<br />

Wir dachten: Das wars dann.<br />

Wir dachten, mit dem Beitritt von 1500 Mitgliedern<br />

in dieser Facebook-Gruppe in einer Nacht<br />

sei der Gipfel erreicht. Mehr geht nicht. Das war<br />

Mitte März. Wie falsch kann man liegen. Eine<br />

Woche später ist unsere Redaktion von sechs<br />

auf temporär ungefähr sechzehn Mitarbeiter*innen<br />

angewachsen. In der Zwischenzeit sind über<br />

13000 Mitglieder in die Gruppe «Gärngschee –<br />

Basel hilft» eingetreten. In der Zwischenzeit haben<br />

wir Anrufe von Facebook, Entwicklern von Online-Bezahlsystemen<br />

und ziemlich vielen grossen<br />

Festivals und Konzertveranstaltern in der ganzen<br />

Schweiz und in Deutschland erhalten, die mit <strong>Bajour</strong><br />

zusammenarbeiten wollen.<br />

In der Zwischenzeit ist die Überforderung zum<br />

Modus operandi geworden. Wir werfen hier in<br />

unregelmässigen Abständen einen Blick auf uns<br />

selbst. Also auf euch. Ein Innen und Aussen ist<br />

bei <strong>Bajour</strong> längst nicht mehr auseinanderzuhalten.<br />

Umso wichtiger scheint uns darum, wenigstens<br />

den aktuellen Stand der Entgleisung zu protokollieren.<br />

Ab gehts.<br />

Angefangen hat das Aufweichen aller Grenzen<br />

zwischen der Kernredaktion und freiwilligen<br />

Professionellen mit dieser Facebook-Gruppe. Es<br />

muss an Tag 3 nach der Gründung gewesen sein,<br />

als uns, der Redaktion plus Geschäftsleitung, der<br />

banalste Grundsatz aller Grundsätze in Sachen<br />

Gruppendynamik sehr schnell sehr klar wurde:<br />

Diese Gruppe mit mehreren tausend Mitgliedern<br />

wird nur so nett sein und bleiben, wie ihre hässigsten<br />

Kommentator*innen. Das heisst: Moderation<br />

musste her. Und zwar schnell.<br />

Auf unseren Aufruf meldeten sich Seraina Kobler,<br />

Christo Schneider und weitere, die seither<br />

mit unermüdlichem Engagement die Timeline<br />

entlangsurfen und auf die Nettiquette pochen.<br />

Sandie Collins telefoniert für uns mit Hilfesuchenden,<br />

die unsere Flyer in den Quartieren gesehen<br />

haben. Sie alle sind Gold wert. Gold wert<br />

ist auch die Professionalität der Aktivistin und<br />

Netzcourage-Gründerin Jolanda Spiess-Hegglin,<br />

deren Erfahrung respektiert wird da draussen,<br />

das spüren wir. Hinter den Kulissen hilft neu die<br />

Journalistin Marguerite Meyer dabei, den Output<br />

aller Schreibenden zu ordnen.<br />

Keine «Gärngschee-Gruppe» der Schweiz, nicht<br />

in Zürich, nicht in Genf oder Bern, hat so viele<br />

Mitglieder wie die in Basel. Das ist Stoff für Verantwortung,<br />

keine Kraftmeierei in Sachen Solidarität.<br />

Wie gehen wir damit um?<br />

Wir verteilen. Kanalisieren. Vermitteln. Das lokale<br />

Gewerbe schmiert ab, wie können wir helfen? Ein<br />

Zürcher Unternehmer hat sich kundig gemacht und<br />

informiert klug – wir dürfen die Tipps übernehmen.<br />

Wir bauen eine Karte, auf der sich Dienstleister<br />

eintragen können, damit die Zuhausesitzenden<br />

einen Notfall-Klempner oder den Risotto-Lieferdienst<br />

im Quartier finden. Überall entstehen<br />

Scharniere und neue Teilchen. Aus dem ganzen<br />

<strong>Bajour</strong>-Betrieb ist innert Wochenfrist eine Maschine<br />

geworden, deren Zahnräder allesamt für<br />

genau einen Zweck ineinandergreifen:<br />

So prompt wie möglich, so nützlich wie möglich<br />

zu sein.<br />

Der Rest war Medienrummel und paralysiertes<br />

Dabei-Zusehen, wie sich unsere Idee immer engmaschiger<br />

über die ganze Schweiz legte. tsüri.ch<br />

machte mit «Gärngscheh – Züri hilft» den Anfang,<br />

dann kam Biel, Bern, Suhr, Baden. Und weitere<br />

Städte. Unter hilf-jetzt.ch finden sich mittlerweile<br />

nicht weniger als 20 Netzwerke.<br />

Ob mit dem Export der Idee in die ganze Schweiz<br />

unser Ziel erreicht sei, fragte mich der Reporter<br />

Matthias Fuchser von Radio Bern1 während eines<br />

Interviews am Telefon. Welches Ziel, dachte ich,<br />

während ich irgendwas von geglückter Aktion<br />

redete. Wir wollten was Schönes für Basel schaffen.<br />

Dass wir damit die Schweiz anstecken, daran<br />

hätten wir nicht im Traum gedacht. ●<br />

▲ Susan Cans und Frau Loosli / ZVG<br />

-42- -43-<br />

▲ Fabienne Studair ist eine unserer #Gärngschee-Held*innen Denn sie ist<br />

der Grund, weshalb die Dame im Hintergrund so glücklich in die Kamera<br />

winkt. Frau Sofia lebt in Liestal und ist auf ihre Medikamente angewiesen.<br />

Dank Fabienne und #Gärngschee ist sie jetzt wieder mit allem versorgt.<br />

GÄRNGSCHEE IN ZAHLEN:<br />

→<br />

→<br />

→<br />

→<br />

Über 15'000 Mitglieder in der Facebook-Gruppe.<br />

340 durch Gärngschee erfolgreich vermittelte<br />

Hilfsaktionen.<br />

Unzählige weitere erfolgten direkt<br />

auf der Facebook-Plattform.<br />

Rund 800 aktive Helfer*innen.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> wird<br />

berühmt<br />

Medienecho auf Gärngschee.<br />

3. April 2020 | bz<br />

Das Helfer-Fieber und seine Schattenseiten:<br />

In Basel explodieren die Angebote<br />

25. März 2020 | Tages-Anzeiger<br />

Wie eine Rakete<br />

18. März 2020 |<br />

Basler Zeitung<br />

Hilfe in der<br />

düsteren<br />

Corona-Zeit<br />

4. Mai 2020 | SRF<br />

Schweiz aktuell<br />

«<strong>Bajour</strong>»: Ein<br />

Online-Projekt<br />

aus Basel<br />

13. März 2020 | Watson<br />

Facebook-Gruppe und<br />

Flyer – so organisieren<br />

sich Menschen für<br />

die Risikogruppe<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

-44- -45-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


#Kraftakt<br />

Baschi Dürr<br />

Wir haben mit dem härtesten Mann in der Regierung über<br />

Männlichkeit und Feminismus gesprochen. Und das haben wir jetzt<br />

davon: Ein Gespräch wie ein Pingpong-Spiel mit sehr viel Wind.<br />

Daniel Faulhaber<br />

Männer und der Feminismus, wo stehen wir ein<br />

Jahr nach dem Frauen*streik? Ich, Vertreter der<br />

Generation Gschpürschmi, schreibe Baschi Dürr<br />

eine Mail. Ich wolle mit ihm über seine Machtposition<br />

und Männlichkeit reden. Eine Minute später<br />

ruft er an. Klar, können wir machen.<br />

Ein Gespräch über Männlichkeit findet in der Öffentlichkeit<br />

nicht statt. Beweise? Meine Kollegin<br />

Naomi Gregoris hatte drüben bei Facebook eine<br />

simple Frage gestellt: Männer, wann werdet ihr<br />

aufgrund eures Geschlechts benachteiligt? Die<br />

Typen in den Kommentarspalten sind zu einem<br />

nicht unerheblichen Teil ausgeflippt: Was der<br />

Scheiss soll und ob wir nichts Besseres zu tun<br />

hätten? Das Thema Männlichkeit an sich überhaupt<br />

auf die Agenda zu setzen wird von ganz<br />

vielen Männern offenbar immer noch als Frontalangriff<br />

aufgefasst.<br />

Männliche Rollenbilder sind wohl auch darum so<br />

vollkommen eingepanzert und unbeweglich, weil<br />

wir kleinen Soldaten nicht daran mitarbeiten, die<br />

Festung zu schleifen. Wir Männer müssen lernen,<br />

über uns zu reden. Ohne Scham, ohne Angst davor,<br />

das Gesicht zu verlieren. Wenn wir erst mal eine<br />

Sprache gefunden haben, können wir vielleicht<br />

herausfinden, wovor wir eigentlich so verdammt<br />

fest Angst haben die ganze Zeit.<br />

Wir müssen also über Männlichkeit sprechen, und<br />

zwar öffentlich und mit allen. Dass sich hier zwei<br />

Männer unterhalten, ist Absicht. Dieses Gespräch<br />

darf nicht nur zwischen woken, sich progressiv<br />

gebenden Dudes am Lagerfeuer stattfinden, sondern<br />

da, wo man es nicht vermutet. Bei Baschi<br />

Dürr im Büro zum Beispiel.<br />

Ich bin natürlich ganz aufgeregt. Als ich ausgerechnet<br />

dem harten Mann in der Regierung diese<br />

Anfrage schickte, ging es mir nicht nur um Symbolpolitik.<br />

Ich bin da, um die Festung zu schleifen<br />

(Autor küsst ironisch seinen Bizeps). Aber ganz<br />

sachlich gesehen sind Männer in Dürrs Position<br />

auch wichtige Vorbilder, Rollenbilder. Sie haben<br />

symbolisch und realpolitisch gesehen einfach<br />

verdammt viel Gestaltungsmacht. Da ist es doch<br />

vollkommen logisch, mit genau diesem Mann über<br />

DAS gesellschaftspolitische Thema der Stunde<br />

zu reden. Ab gehts.<br />

▶ DF: Baschi Dürr, als ich Sie um dieses Interview<br />

bat, haben Sie sich ironisch beklagt, ich<br />

hätte in der Anschrift das Gendersternchen<br />

vergessen.<br />

▷ BD: Ich bin schon konditioniert.<br />

▶ Dann haben Sie gesagt, das sei aber schon<br />

richtig so, Sie seien nun mal ein heterosexueller,<br />

weisser cis-Mann.<br />

▷ Ich wusste, dass Sie das aufschreiben.<br />

▶ Ich weiss, dass Sie das wussten und dass Sie<br />

das natürlich gerade deswegen mit Absicht<br />

gemacht haben.<br />

▷ Alles ist weniger geplant, als Sie denken. Aber<br />

ich provoziere natürlich bewusst etwas.<br />

▶ Wie würden Sie sich beschreiben, als Mann?<br />

▷ Als Mann. Also erst mal bin ich einfach ein Mann.<br />

Ich bin auch durchaus glücklich damit. Ich habe<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

«Ich habe nicht<br />

das Gefühl, dass<br />

ich mich über<br />

mein Geschlecht<br />

definiere.»<br />

-46- -47-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

dazu nichts beigetragen, das war Zufall. Eine<br />

Fügung der Biologie. Aber ich habe nicht das<br />

Gefühl, dass ich mich über mein Geschlecht<br />

definiere. Ich habe aber auch nicht ansatzweise<br />

ein Problem damit. Ähm, ja. Wie beschreiben<br />

Sie sich denn als Mann?<br />

▶ Also ich erlebe zum Beispiel immer wieder<br />

Momente, in denen ich damit konfrontiert<br />

werde, dass ich ein Mann bin. Dass mir das<br />

auch problematisierend zum Vorwurf gemacht<br />

wird. Dann denke ich vielleicht darüber nach,<br />

ob ich in ganz normalen sozialen Situationen<br />

zu dominant auftrete gegenüber Frauen*…<br />

▷ …tatsächlich? Das muss eine Generationenfrage<br />

sein. Wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?<br />

▶ Ich bin 30 Jahre alt. Ich weiss nicht, ob das<br />

eine Generationenfrage ist, also in den Kreisen,<br />

in denen ich mich bewege –<br />

▷ Also dann verkehren wir in ganz anderen Kreisen.<br />

Damit haben wir die Fronten abgesteckt. Ab hier<br />

ist irgendwie klar, dass das ein Streitgespräch wird.<br />

Ich bin der Herausforderer, Dürr der Verteidiger.<br />

Wir haben jetzt einen Wettbewerb. Ich frage<br />

mich im Nachhinein, warum das so sein musste<br />

und ob das Gespräch eine andere Wendung genommen<br />

hätte, wenn ich nicht mit diesem Gendersternchen<br />

eingestiegen wäre. Im Moment war<br />

ich zu beschäftigt damit, meine Fragen beieinander<br />

zu halten und die Rückfragen zu parieren.<br />

Dürr ist ein Stratege. Wenns brenzlig wird, spielt<br />

er den Ball einfach zurück.<br />

Er trägt einen dunkelblauen Anzug mit Krawatte,<br />

ich bin im Pullover da, aber das fällt mir erst auf, als<br />

ich mich hinsetze. Bin ich irgendwie underdressed<br />

oder so? Neben ihm sehe ich aus wie ein fauler<br />

Demonstrant. Selber schuld. Weiter im Text. Wir<br />

waren beim Männergehabe im privaten Kontext.<br />

▶ Baschi Dürr, kommen solche Zweifel am<br />

Mannsein bei Ihnen nie aufs Parkett?<br />

▷ Nein. Das Mannsein an sich ist praktisch nie<br />

ein Thema. Ich meine das nicht in einem alten<br />

patriarchalen Country-Club-Verständnis von<br />

Mann. Sondern einfach in einem ungezwungen<br />

aufgeklärten Sinne, dass jeder so ist, wie<br />

er ist. Aber natürlich bin ich befangen in der<br />

Selbstbeurteilung.<br />

▶ Hat Ihnen nie zum Beispiel bei einer Gartenparty<br />

jemand gesagt: «Baschi, du redest zu<br />

viel. Jemand kommt nicht zu Wort»? Gibt es<br />

«Und dann sagt man<br />

Ihnen, Sie als Mann<br />

reden zu viel? Dann<br />

bewegen wir uns<br />

glücklicherweise an<br />

ganz unterschiedlichen<br />

Gartenpartys.»<br />

kleine Konfrontationen, in denen Sie spezifisch<br />

als Mann angesprochen und auf Ihr Verhalten<br />

aufmerksam gemacht werden?<br />

▷ Und dann sagt man Ihnen, Sie als Mann reden<br />

zu viel?<br />

▶ Das kann vorkommen.<br />

▷ Jesses Gott, dann bewegen wir uns glücklicherweise<br />

an ganz unterschiedlichen Gartenpartys.<br />

▶ Kann es sein, dass Sie das nicht merken, weil<br />

Sie es gewohnt sind, als Autoritätsperson<br />

wahrgenommen zu werden?<br />

▷ Es passiert manchmal, dass die Leute von sich<br />

aus aufhören zu plaudern, aber wegen meines<br />

Amts, nicht wegen meines Geschlechts. Aber<br />

im Privaten bin ich meistens von mir aus eher<br />

still. Ich stehe schon beruflich genug im Rampenlicht.<br />

▶ Warum mussten Sie das mit dem Gendersternchen<br />

gleich aufs Korn nehmen? Provoziert<br />

Sie das?<br />

▷ Ich mag den Diskurs. Aber ja, ich sehe das<br />

durchaus auch kritisch. Die ausufernde Gleichstellungsdiskussion<br />

kippt ja irgendwann, wie<br />

soll ich das sagen. Ich versuche es mal so:<br />

Nehmen wir als Analogie das Strafrecht und<br />

die Unschuldsvermutung: Solange Ihnen nicht<br />

die Schuld bewiesen ist, sind Sie unschuldig.<br />

Sie müssen Ihre Unschuld nicht beweisen.<br />

▶ Was hat das mit dem Gendersternchen zu tun?<br />

▷ Bei diesem Thema droht eine gewisse «Problemvermutung».<br />

Statt tatsächlich Probleme, die<br />

es unbestreitbar gibt, zu lösen, werden solche<br />

solange gesucht, bis man sie tatsächlich gefunden<br />

zu haben meint. Es gibt unterschiedliche<br />

Menschen, die zusammen auskommen müssen<br />

und es in aller Regel ja auch tun. Nicht jede<br />

Problematisierung ist eine Lösung.<br />

Als Dürr anfängt vom Strafrecht zu reden, verliere<br />

ich kurz die Fassung. Auf dieser Ebene bin ich nicht<br />

gewohnt über das Gendersternchen zu diskutieren,<br />

ich bin eher vorbereitet auf Ein-Sternchenrepräsentiert-keinen-Menschen-Einwände,<br />

aber<br />

er kommt mit der Unschuldsvermutung, auweia.<br />

-48- -49-<br />

Dürr weiss aber offenbar auch nicht genau, wie<br />

er das alles sagen soll. Er dreht sich jetzt leicht<br />

ab und prüft seine Worte sorgfältig und schaut<br />

an mir vorbei aus dem Fenster, wenn er redet. Im<br />

Übrigen hat er einen Blick fest wie ein Schraubstock.<br />

Ich ringe natürlich ebenfalls um Worte.<br />

Zum Schluss sehen Interviews immer so fertig<br />

aus, aber als wir hier über das Gendersternchen<br />

reden, wird das Gespräch ziemlich zauslig. Wie<br />

ein Pingpong-Spiel im Park mit sehr viel Wind.<br />

▶ Aber es stimmt doch nicht, dass wir kein<br />

Problem haben. Wir leben in einer Welt, die<br />

viele Menschen einfach unsichtbar macht.<br />

Das Gendersternchen versucht, diesen Ausschluss<br />

ein wenig aufzuweichen und zum<br />

Beispiel beim Thema Sprache anzusetzen.<br />

▷ Es gibt ja tatsächlich wenige Leute, die nichtbinär<br />

sind. Und dass es da sehr schwierige Situationen<br />

gibt, wenn Leute schubladisiert werden,<br />

obwohl es für sie keine Schubladen gibt, das<br />

kann ich nachvollziehen. Aber ob das Sternchen<br />

jemanden im Alltag nützt, bin ich nicht<br />

vollends überzeugt. Aber selbstverständlich<br />

soll es jeder verwenden können, der das will.<br />

▶ Aber?<br />

▷ Zentral ist für mich die rechtliche Gleichstellung.<br />

Die zwischen Frau und Mann ist erreicht,<br />

jene zwischen Hetero- und Homosexuellen ist<br />

glücklicherweise auch schon fast auf der Zielgeraden,<br />

die Ehe für alle ist heute mehrheitsfähig.<br />

Und dann sucht man nach dem nächsten.<br />

Man sieht das an der Abkürzung LGBTIQ. Da<br />

kommt alle halbe Jahre nochmals ein Buchstabe<br />

hintendran. Da frage ich mich manchmal<br />

schon, ob die Grösse der Debatte im Verhältnis<br />

zum Thema steht. Eine abschliessende Antwort<br />

habe ich aber nicht.<br />

▶ Kennen Sie eine nicht-binäre Person?<br />

▷ Jetzt müssen Sie nochmal ganz genau definieren,<br />

was eine nicht-binäre Person ist.<br />

▶ Jemand, der*die sich nicht als Mann oder Frau<br />

identifiziert. Das kann sowohl das soziale<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Geschlecht oder das biologische Geschlecht<br />

betreffen. Es gibt Uneindeutigkeiten.<br />

▷ Ich kenne persönlich Leute, die das Geschlecht<br />

gewechselt haben. Eine non-binäre Person<br />

kenne ich nicht bewusst. Ist denn dieses Thema<br />

überhaupt Teil der Feminismus-Debatte?<br />

▶ Die Gleichstellung aller Geschlechter ist ein<br />

Teil der Feminismus-Debatte.<br />

▷ Aber der Begriff Feminismus ist ja auch wieder<br />

binär.<br />

▶ Es gibt nicht den Feminismus, es gibt vielleicht<br />

Feminismen. So wie ich ihn verstehe,<br />

versucht der Feminismus, alle Gruppen von<br />

Menschen zu berücksichtigen.<br />

▷ Warum nennt man es dann Feminismus und<br />

nicht Maskulinismus?<br />

▶ Weil der Feminismus auch eine Kritik ist an<br />

einer männerdominierten Gesellschaftsordnung.<br />

Fühlen Sie sich von Symbolen wie dem<br />

Gendersternchen irgendwie in Frage gestellt?<br />

▷ Ich fühle mich überhaupt nicht bedroht, jeder<br />

darf das Sternchen benutzen, solange niemand<br />

muss. Ich frage mich nur, ob man am Schluss<br />

all dieser Debatten jemandem hilft oder ob die<br />

Debatten zum Selbstzweck werden und man<br />

dann mehr Probleme hat als vorher. Ein wirkliches<br />

Problem kriege ich da, wo die Politik<br />

effektive statt gesetzliche Gleichheit, nicht Gerechtigkeit,<br />

erreichen will. Das finde ich falsch.<br />

Totale Gleichheit politisch durchgesetzt, davon<br />

bin ich überzeugt, ist am Schluss ein moralisches<br />

Verbrechen. Die Welt lebt von der Vielfalt.<br />

▶ Das ist natürlich wahnsinnig einfach zu sagen<br />

für Sie. Sie sind in einer privilegierten<br />

Position und stehen damit auf der sonnigen<br />

Seite der Vielfalt.<br />

▷ Wenns einem gutgeht, man erfolgreich und<br />

gesund ist, dann lässt sich das einfacher sagen.<br />

Da haben Sie sicher recht. Lustig ist aber<br />

auch, dass Sie mir als Mann den Feminismus<br />

erklären. Stellt sich auch immer die Frage, wer<br />

hier den Advokat spielt für wen.<br />

▶ Naja, Sie haben mich danach gefragt. Ausserdem<br />

geht der Feminismus auch Sie und<br />

mich etwas an, wie ich bereits versucht habe<br />

zu sagen.<br />

▷ Wirkliche Ungerechtigkeit werden wir mit solchen<br />

Symbolen nicht lösen. Denken wir zum Beispiel<br />

an die USA. Die unterprivilegierten Trump-Wähler<br />

fühlen sich durch die Nutzung eines Gendersternchens<br />

nicht besser abgebildet, ganz im<br />

Gegenteil. Unsere Debatte mag interessant sein,<br />

ist aber auch etwas kopfig. Das hilft denen nicht.<br />

Verflucht. Ich hab einen ganz zentralen Einsatz<br />

in dieser Auseinandersetzung leider einfach verpasst.<br />

Das Privileg, die Welt lebe von der Vielfalt<br />

zu sagen und damit zu meinen, alles solle bleiben,<br />

wie es ist. Das muss man erst mal haben. Dürr<br />

sagt einfach, das mag sein.<br />

Und trifft mich dann mit einem linken Haken da,<br />

wo Typen wie ich am einfachsten zu treffen sind.<br />

Dass ich als Mann hier sitze und ihm den Feminismus<br />

erkläre, das ist natürlich scheisse. Darum<br />

will ich ja lieber über Männer reden, aber irgendwie<br />

sind wir damit durch. Ab in die Schlussrunde.<br />

▶ Was verstehen Sie denn unter Gleichheit?<br />

▷ Das Ameisenprinzip. Alle sind genau gleich.<br />

Es ist bemerkenswert, dass jene, die überall<br />

Ungerechtigkeiten entdecken, hier noch ein<br />

Förderprogramm aufstellen und da noch ein<br />

Verbot einrichten wollen – das sind dieselben,<br />

die sich eine vielfältige Gesellschaft wünschen.<br />

Vielfalt und Gleichheit, zu Ende gedacht, sind<br />

Antonyme. Und merkwürdigerweise gelten<br />

beide als linke Begriffe.<br />

▶ Sprechen wir von Chancengleichheit. Was<br />

tun Sie in Ihrem Departement dafür?<br />

▷ Wir schreiben seit einigen Jahren alle Stellen<br />

grundsätzlich 80 bis 100 Prozent aus, meines<br />

Wissens als erstes Departement. Wir haben<br />

angefangen mit einer Rekrutierungsquote. Das<br />

heisst, zumindest in der ersten Runde müssen<br />

zwingend mindestens ein Mann und eine Frau<br />

eingeladen werden. Dazu kommen neu sogenannte<br />

Bias-Trainings, damit Vorgesetzte ihre<br />

Verhaltensmuster bei der Anstellung reflektieren.<br />

Die Gefahr besteht, immer die gleichen<br />

anzustellen, übrigens auch in Bezug auf das<br />

Alter, nicht nur das Geschlecht. Zudem setzt<br />

die Kantonspolizei einen Rekrutierungsfokus<br />

hin zu mehr Frauen. Insgesamt hat sich der<br />

Kaderanteil der Frauen seit meiner Amtszeit<br />

um ein Drittel erhöht.<br />

▶ Das ist doch toll. Würden Sie sich denn als<br />

Feminist bezeichnen?<br />

▷ Wenn ich mir anhöre, was Sie hier als Definition<br />

vorschlagen – ist man dann ein Feminist,<br />

solange man ein guter Mensch ist, oder wie?<br />

▶ Möglicherweise. Aber das war nicht die Frage.<br />

▷ Ich versuche ein guter Mensch zu sein, deswegen<br />

würde ich mich aber nicht als feministisch<br />

bezeichnen. Wie auch immer: Meine Hauptbotschaft<br />

ist, dass die Politik nicht alles lösen soll<br />

und darf. Ich glaube auch nicht an den Satz<br />

«Das Private ist politisch». Das ist ein ganz gefährlicher<br />

Satz. Wenn die Politik anfängt, in das<br />

Private, in die Gemeinschaft hinein zu befehlen,<br />

kann das ganz gewaltig nach hinten losgehen.<br />

Ich habe mich dazu auch im Zusammenhang<br />

mit 1968 schon geäussert.<br />

«SIE WOLLEN VON MIR WISSEN,<br />

OB ICH IN MEINER ROLLE<br />

ABSICHTLICH MÄNNLICHE<br />

HÄRTE ZEIGEN MUSS? ICH<br />

HABE MIR DIESE FRAGE<br />

NOCH NIE GESCHLECHTLICH<br />

GESTELLT, BEVOR SIE MIT<br />

DEM GEKOMMEN SIND.»<br />

Baschi Dürr<br />

▶ Finden Sie gut, was die MeToo-Bewegung<br />

erreicht hat?<br />

▷ Wenn dies langfristig zu mehr Selbstbewusstsein<br />

und einer Entkrampfung der Geschlechterverhältnisse<br />

führt, dann ja.<br />

▶ Ihr politischer Auftrag ist ja eng an Macht<br />

und die Durchsetzung von Staatsgewalt geknüpft.<br />

Können Sie überhaupt ein Mann sein,<br />

der Schwächen zulässt, oder werden Sie dann<br />

öffentlich zerfleischt?<br />

▷ Ich habe mir diese Frage noch nie geschlechtlich<br />

gestellt, bevor Sie mit dem gekommen sind.<br />

Also Sie wollen von mir wissen, ob ich in meiner<br />

Rolle absichtlich männliche Härte zeigen<br />

muss? Nein, ich glaube nicht.<br />

▶ Wirklich nicht? Als Polizeidirektor waren Sie<br />

doch bestimmt schon in einer Lage, in der<br />

von Ihnen verlangt wurde, wie man so sagt,<br />

dass Sie «Ihren Mann» stehen?<br />

▷ Nein. Ich verfolge meine Polizeipolitik mit<br />

Augenmass konsequent, was immer mal wieder<br />

Kritik von links wegen zu viel und von rechts<br />

wegen zu wenig Härte gibt. Dass diese Kritik<br />

aber mit meinem Geschlecht verbunden worden<br />

wäre, etwa ich sei kein ganzer Mann oder<br />

gegenteilig voll toxischer Männlichkeit – nein,<br />

daran mag ich mich nicht erinnern.<br />

▶ Als Sie 2012 für den Regierungsrat kandidierten,<br />

haben Sie für sich einen halben Tag für<br />

Familienarbeit eingefordert, Sie haben das<br />

Waschtag genannt. Die ganze Stadt lachte<br />

darüber. Waschi-Baschi reimten die Schnitzelbänke,<br />

Sie wurden als Frau karikiert. Glauben<br />

Sie, dass Sie heute 2020 immer noch für<br />

eine Forderung nach einem Waschtag ausgelacht<br />

würden?<br />

▷ Ich komme ja aus der Kommunikation und<br />

gebe zu, dass ich diese Reaktionen auch bewusst<br />

hervorgerufen habe. Aber ich war dann<br />

doch erstaunt, dass es so viele Reaktionen<br />

gab. Der Waschtag war Thema in jedem einzelnen<br />

Schnitzelbank. Das hat gezeigt, dass<br />

das noch weniger eine Selbstverständlichkeit<br />

ist, als ich dies vermutet hatte. Jetzt wo ich so<br />

drüber nachdenke, könnte ich mir vorstellen,<br />

-50- -51-<br />

dass das heute, acht Jahre später, nicht mehr<br />

ganz so heftig wäre.<br />

▶ Zum Beispiel dafür setzt sich der Feminismus<br />

ein. Dass Männer Wäsche waschen können,<br />

ohne dafür ausgelacht zu werden.<br />

▷ Das ist auch gut so. Die Frage ist nur, ob es dafür<br />

die ganz grosse Bewegung braucht. Wenn ich<br />

am Donnerstagnachmittag für die drei Söhne<br />

zuhause bin, und das ist ja übrigens auch nicht<br />

so viel, muss ich mich deswegen nicht als Feminist<br />

fühlen.<br />

Dürr begleitet mich zur Tür. Am nächsten Tag bedankt<br />

er sich per Mail für das interessante Gespräch<br />

und schickt einen Artikel, den er im «Schweizer<br />

Monat» über 1968 und den Satz «Das Private ist<br />

Politisch» geschrieben hat. Titel: Der Sündenfall.<br />

Zwei Tage später telefoniere ich mit einer Freundin<br />

und sie erzählt mir, wie ihr an einer Geburtstagsparty<br />

wieder irgendwer an den Arsch gefasst<br />

habe. Zum x-ten Mal, sagt sie, sei das passiert,<br />

und dann erzählt sie, wie sie immer und immer<br />

wieder sexualisiert werde und die Tatsache, dass<br />

sie eine Frau ist, angesprochen werde («Für eine<br />

Frau spielst du aber gut Fussball»), oder dass sie<br />

mit Blicken und übergriffigem Verhalten ausgestellt<br />

werde.<br />

Mir passiert das wirklich nicht oder sehr selten,<br />

denke ich.<br />

Und weiter: Dass dieses Interview auch darum so<br />

kopfig und ich so wenig parat war, zupackender<br />

dagegenzuhalten. Weil ich als weisser cis-Mann,<br />

weil Baschi Dürr als weisser cis-Mann, weil wir<br />

so gütlich durch unseren Alltag surfen und das<br />

Geschlecht allermeistens keine Rolle spielt. Wir<br />

weissen Männer haben die Welt so eingerichtet,<br />

dass wir uns nicht daran stossen.<br />

Aber das ändert sich gerade. Am Frauenstreik<br />

2019 hab ich ein Banner gelesen, auf dem stand:<br />

«Dem Patriarchat die Kniescheibe rauswummern».<br />

Aua. ●<br />

Disclaimer: Dieses Gespräch<br />

wurde vor dem Frauen*streik<br />

am 14. Juni 2020 und der<br />

hitzigen Konfrontation zwischen<br />

den Teilnehmer*innen einer<br />

unbewilligten Demonstration<br />

und der Polizei geführt.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Porträt<br />

Tonja<br />

demonstriert<br />

sich frei<br />

BastA!-Grossrätin Tonja Zürcher geht den<br />

schmalen Grat zwischen zivilem Ungehorsam und<br />

parlamentarischer Politik. Wie geht das?<br />

Andrea Fopp<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Im Mai ist Tonja Zürcher traurig. Sie hat getan,<br />

was sie immer wieder tut: Sie war an einer unbewilligten<br />

Demonstration. Doch es ist das Jahr<br />

2020, es herrscht Corona und es gelten Hygienemassnahmen.<br />

Menschenansammlungen von über<br />

fünf Personen sind verboten. Und damit auch die<br />

Demo am 1. Mai.<br />

Tonja Zürcher ist Feministin, Aktivistin, Umweltschützerin.<br />

Und praktisch an jeder Demo anzutreffen:<br />

Ob Nazifrei, Critical Mass oder Klima, ob<br />

bewilligt oder nicht – die 37-Jährige läuft fast<br />

immer mit. Vielen bürgerlichen Politiker*innen ist<br />

das suspekt, denn: Zürcher ist auch Grossrätin.<br />

Ihre Partei ist zwar «Basels starke Alternative»,<br />

BastA!, die sozialen Bewegungen schon immer<br />

näher stand als dem Staat.<br />

Doch weil eine Pandemie herrscht, kommt die<br />

Kritik an diesem 1. Mai für einmal auch von links.<br />

Harald Friedl, Präsident der Grünen, sowie SP-<br />

Präsident Pascal Pfister finden es beide «unverantwortlich»,<br />

unter den jetzigen Umständen an<br />

einer Demonstration teilzunehmen, wie sie dem<br />

SRF kurz darauf sagen. Die bürgerlichen Jungparteien<br />

fordern Zürchers Rücktritt.<br />

«Ich muss mich schützen»<br />

Parteikollegin und Nationalrätin Sibel Arslan rät<br />

Zürcher, sich zu ducken: «Das geht wieder vorbei.»<br />

Zürcher macht, was ihr geraten wird und<br />

nimmt keine Medienanfragen mehr an. Auch die<br />

von <strong>Bajour</strong> nicht. Wir wollen ein Porträt von ihr<br />

schreiben, sie lehnt ab: «Ich muss mich schützen.»<br />

Samstag, 22. August.<br />

Die Sonne geht hinter der Dreirosenbrücke unter,<br />

auf der Anlage bedruckt Tonja Zürcher ein T-Shirt<br />

und lächelt: «Basel 2030». Die Initiative fordert,<br />

dass Basel die Treibhausgasemissionen bis 2030<br />

auf netto null senkt. Heute treffen sich die Aktivist*innen<br />

zu einem Picknick.<br />

Arslan hatte recht: Der Sturm ist vorbeigezogen.<br />

Und Zürcher ist doch noch auf die <strong>Bajour</strong>-Anfrage<br />

wegen eines Porträts eingegangen. Ihre Bedingung:<br />

«Du musst mich richtig kennenlernen.»<br />

Das Kennenlernen ist<br />

gar nicht so einfach<br />

Spätestens seit den Fridays for Future tobt die<br />

Debatte, was die Ausserparlamentarische Opposition<br />

darf und muss. Und wann Widerstand angesichts<br />

jahrzehntelangem vermeintlichem Stillstand<br />

der politischen Institutionen langsam zur<br />

Pflicht wird. Etablierte Politiker*innen verlieren<br />

die Fassung, die Jungen die Geduld, die Medien<br />

die Deutungshoheit.<br />

Mittendrin, zwischen allen Fronten, bewegt sich<br />

Tonja Zürcher. Niemand geht den schmalen Grat<br />

zwischen drängendem Ungehorsam und parlamentarischem<br />

Konsens so entschlossen wie sie.<br />

Aber ohne schmerzhafte Abstürze kriegt das auch<br />

die BastA!-Politikerin nicht hin.<br />

Tonja Zürcher kennenzulernen ist gar nicht so<br />

einfach. In den letzten vier Monaten habe ich mit<br />

der «linksten» (Smartvote) oder gar «extremsten»<br />

(Vimentis) Politikerin Basels Kaffee getrunken, sie<br />

an den feministischen Streik begleitet, mit Klimaaktivist*innen<br />

gepicknickt und ein Podium sowie<br />

eine Sitzung besucht. Und doch war’s zu wenig<br />

Zeit. So links Tonja Zürchers Positionen sein mögen,<br />

so zurückhaltend ist sie im Auftreten.<br />

So höflich können<br />

Feminist*innen sein<br />

Viele Politiker*innen zeigen sich in der Öffentlichkeit<br />

gerne von ihrer besten Seite (mit Ausnahmen).<br />

Aber wenn man sie längere Zeit beobachtet,<br />

blitzen auch mal Untiefen durch. Thomas<br />

Kessler (FDP) hört sich am liebsten selber reden,<br />

Eva Herzog (SP) staucht Leute zusammen und<br />

▲ Am 1. Mai 2019 war demonstrieren noch hygienisch. Das in der Mitte rechts ist Tonja Zürcher. (Foto: Frantisek Matous)<br />

Baschi Dürr (FDP), der Militärkarriere-Verweigerer,<br />

führt sich beim Smalltalk vor dem Interview<br />

auf wie ein Kommandant: «So, was ist der Plan?»,<br />

Tonja Zürcher dagegen verzieht nicht mal eine Miene,<br />

wenn man ihr mit einem sexistischen Spruch<br />

über Frauen und Technik kommt. Sie tut einfach<br />

so, als habe sie’s nicht gehört.<br />

2. Juni, 19 Uhr: Zoom-Sitzung des feministischen<br />

Kollektivs.<br />

Das Gesicht von Tonja Zürcher am Bildschirm<br />

verschwindet in einem Haufen von Aktivist*innen.<br />

Zwei Frauen moderieren durch die Sitzung.<br />

Sie bereiten den 14. Juni vor, den feministischen<br />

Streik-Tag. Sie wollen Liegestühle auf verschiedenen<br />

Basler Plätzen aufstellen, auf denen Feminist*innen<br />

«fraulenzen» und sich «queerstellen»<br />

und von der Care-Arbeit erholen können.<br />

Zürcher sagt kaum etwas, erst bei der Frage «Polizeibewilligung<br />

oder nicht?» hebt sie die Hand.<br />

Die Moderatorin gibt Zürcher das Wort, die sagt:<br />

«Ich fände es gut, wenn wir Bewilligungen einholen<br />

würden. Wir brauchen Plätze, wo wir bleiben<br />

dürfen.» Zürcher bietet an, eine Bewilligung für<br />

den Theaterplatz einzuholen und dort die Technik<br />

und so weiter zu organisieren.<br />

Zwei Dinge fallen auf an diesem Treffen am Bildschirm:<br />

Diese Besprechung ist durchgeplanter als<br />

jede Redaktionssitzung und höflicher als manche<br />

Parteiversammlung.<br />

-52- -53-<br />

Die Aktivist*innen zeigen per Handzeichen an,<br />

wenn sie etwas sagen wollen, und sprechen nur,<br />

wenn sie aufgerufen werden. Niemand unterbricht<br />

andere, alle werden respektvoll angehört, nein,<br />

noch mehr: Die Moderator*innen bedanken sich<br />

bei jeder Aktivist*in, die*der sich meldet: «Wir<br />

freuen uns sehr, dass du dabei bist.»<br />

Es ist eine Art des Miteinanders, wie geschaffen<br />

für eine Person wie Zürcher, die wenig redet, aber<br />

viel sagt. Wobei, sie verschafft sich auch an klassischen<br />

Politveranstaltungen Gehör.<br />

25. August, 19 Uhr: Quartiertreffpunkt Kleinhüningen.<br />

Tonja Zürcher sitzt auf der Bühne. Neben ihr<br />

Christoph Brutschin, Regierungsrat der SP, und<br />

Martin Forter, Altlastenforscher und Umweltaktivist.<br />

Es geht um Giftmüll. Brutschin und Forter<br />

reden viel und lang über irgendwelche Gesetze<br />

und Verordnungen des Bundes, die Giftmüllanalysen<br />

im Klybeck regeln (oder eben nicht). Sie sind<br />

erst still, wenn die Moderatorin sie unterbricht.<br />

Zürcher sitzt dazwischen, schweigt und lächelt.<br />

Wartet, bis die Moderatorin ihr das Wort gibt.<br />

Macht dann ihre Punkte: angriffig in der Sache,<br />

ruhig im Ton. Sie zitiert aus den Bauplänen im<br />

Quartier (sie ist in der Bau- und Raumplanungskommission),<br />

aber aus der Perspektive der Quartierbewohner*innen:<br />

«Es empört mich, dass der<br />

Kanton das Klybeck nicht flächendeckend auf<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Giftmüll untersucht. Hier spielen Kinder, hier<br />

bauen Leute im Garten Gemüse an.» Erklärt den<br />

Zuhörer*innen, welche Möglichkeiten die Politik<br />

aus ihrer Sicht hat: «Die Regierung könnte die<br />

Kosten einer Analyse mal auflisten und einen<br />

Ratschlag machen.»<br />

Miteinander gegeneinander<br />

Hier der Aktivismus, dort die Realpolitik. Es sind<br />

zwei Milieus, die total unterschiedlich funktionieren.<br />

Die Sprache der Realpolitik ist die der<br />

Konkurrenz: Innerhalb der Partei muss man sich<br />

für mächtige Pösteli gegen Parteifreund*innen<br />

durchsetzen und im Parlament eigene politische<br />

Forderungen gegen die Exponent*innen anderer<br />

Parteien. Macht man einen Fehler oder exponiert<br />

sich, fallen harte Worte. Aber hier werden Gesetze<br />

nicht nur gemacht, sondern auch eingehalten.<br />

Anders im Aktivismus von Zürcher. Dort wird darauf<br />

geachtet, dass jede Minderheit respektiert<br />

wird und zu Wort kommt; Menschen mit Migrationshintergrund<br />

ebenso wie Personen, die nicht<br />

den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht<br />

entsprechen. Niemand darf mehr Macht haben<br />

als die*der andere, Individuen sollen gesehen<br />

werden, aber im Kollektiv aufgehen. Dafür nimmt<br />

man’s mit den Gesetzen nicht so streng, ziviler<br />

Ungehorsam gilt als probates politisches Mittel.<br />

«Eine unbewilligte Demo ist nicht per se illegal»,<br />

sagt Zürcher. «Demonstrieren ist ein Grundrecht.»<br />

Sie war an der Nazifrei-Demo gegen die<br />

Pnos, wegen der aktuell mehrere Aktivist*innen<br />

zu hohen Strafen verurteilt worden sind. Sie war<br />

in Frankfurt an der Blockupy-Demo.<br />

Polizist*innen beschimpfen ist...<br />

Physische Gewalt gegen Polizist*innen verurteilt<br />

Zürcher, hat aber sogar Verständnis, wenn Demonstrant*innen<br />

manchmal Beamte beschimpfen, wie<br />

etwa an der feministischen Demo am 14. Juni (da<br />

war Zürcher allerdings nicht dabei).<br />

«Wenn du eingekesselt bist und vor dir stehen<br />

Polizist*innen mit heruntergelassenem Visier und<br />

du siehst ihr Gesicht nicht – das löst einen Fluchtreflex<br />

aus. Manche machts aggressiv», sagt Zürcher.<br />

Ihre Rolle als Parlamentarierin sieht sie im<br />

Vermitteln: «Manchmal kann meine Anwesenheit<br />

deeskalieren. Ich gehe aber primär als Aktivistin<br />

an Demos, nicht in meiner Rolle als Grossrätin.»<br />

Diese Haltung kommt bei FDP-Grossrat Luca<br />

Urgese nicht gut an: «Das ist ein Affront allen<br />

Polizistinnen und Polizisten gegenüber, die Tag<br />

und Nacht für unsere Sicherheit im Einsatz sind.»<br />

Dass die Polizei ihren Job mache, sei sicher keine<br />

Rechtfertigung für Beschimpfungen.<br />

Zurück ans Picknick der Klimaaktivist*innen in<br />

der Dreirosenanlage.<br />

Dort steht auch SP-Doyen Rudolf Rechsteiner im<br />

Gras. Auf Zürcher angesprochen, lächelt er fein,<br />

sagt dann: «Tonja macht Politik, nicht Kosmetik.»<br />

Was heisst das? Rechsteiner zögert: «Nun ja, sie<br />

gibt sich ja ein bisschen wie ein Mann mit ihren<br />

kurzen Haaren.»<br />

Rechsteiner, Jahrgang 58, meint das tatsächlich<br />

als Kompliment: Er findet Tonja Zürchers Auftreten<br />

«mutig». «Es passt zu ihrer linken Politik.»<br />

Zürcher wuchs im Aargau mit einer Vorliebe für<br />

«Schlammpfützen» und Kletterbäume auf. Musste<br />

die eine oder andere Mobbingerfahrung machen.<br />

▲ Dieses Mal gegen Faschismus. Demo am<br />

1. September 2019. (Foto: Frantisek Matous)<br />

Viel sagt sie nicht dazu, «das geht mir schnell zu<br />

tief». Ist jetzt ja auch vorbei: «Seit ich meinen<br />

Platz in der Welt gefunden habe, bin ich sehr im<br />

Reinen mit mir. Belastbar.»<br />

Dieser Platz in der Welt war früh ein politischer:<br />

Noch im Aargau gründete Zürcher mit Freundinnen<br />

einen Treffpunkt für junge homo- und bisexuelle<br />

Frauen, trat der SP und später den jungen<br />

Grünen bei und bekämpfte die Auslagerung des<br />

Elektrizitätswerks. «Mit Erfolg», wie sie mit Zufriedenheit<br />

in der Stimme sagt.<br />

Vom Aargau ins Klybeck<br />

Später studiert sie in Basel Gender Studies, Soziologie<br />

und nachhaltige Entwicklung, wohnt (bis<br />

heute mit ihrer Lebenspartnerin) im günstigen<br />

Klybeck, regt sich über die Gentrifizierungspläne<br />

«Rheinhattan» auf und tritt unter anderem<br />

deswegen der BastA! bei. Fünf Jahre lang war<br />

sie deren Co-Präsidentin, ihren Lebensunterhalt<br />

verdient sie beim WWF.<br />

Realpolitik ist für Zürcher Mittel zum Zweck: «Als<br />

Grossrätin kann ich Menschen eine Stimme geben,<br />

die sonst keine haben.» Etwa einem Afghanen,<br />

der ausgeschafft werden sollte. Basel behielt ihn<br />

gegen die Weisung des Bundes hier – wegen einer<br />

Petition. Die Präsidentin der Petitionskommission<br />

ist: Tonja Zürcher.<br />

Oder bei der Wohndebatte. Seit Jahren leiden<br />

viele Basler*innen unter steigenden Mietpreisen<br />

und Wohnungsmangel. Doch es passierte wenig<br />

unter der rot-grünen Regierung, die mit Immobilien<br />

Basel-Stadt lieber Rendite bolzte, statt<br />

Mieten zu senken. Dann brachte die Linke die vier<br />

Wohnschutzinitiativen – die Bevölkerung nahm<br />

alle vier an.<br />

Speziell daran: Bei der Abstimmung engagierten<br />

sich nicht nur Parteipolitiker*innen, sondern<br />

auch der Verein für Gassenarbeit Schwarzer Peter,<br />

die Kirchen und: Menschen aus der Hausbesetzer*innenszene,<br />

die häufig nicht gewillt sind, sich<br />

mit Realpolitiker*innen an einen Tisch zu setzen.<br />

Tonja Zürcher half mit, sie alle zusammenzubringen.<br />

Oder wie Sozialdemokrat Rechsteiner sagt:<br />

«Tonja schafft es, Aktivismus und Realpolitik zu<br />

vereinen.»<br />

Sie fremdelt im Rathaus<br />

Doch auf der Strasse fühlt sich Tonja Zürcher<br />

wohler als im Rathaus oder im Congress Center.<br />

«Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich<br />

den Aktivismus wählen.» Ja, es wirkt fast so, als<br />

würde sich die Aktivistin auf der Strasse die Kraft<br />

fürs Parlament holen. «Im Grossen Rat fühle ich<br />

mich ein wenig wie … im Theater», sagt sie. Trägt<br />

dort extra einen Kittel aus dem Brocki über T-Shirt<br />

-54- -55-<br />

und Jeans, um sich ein bisschen anzupassen. Aber<br />

der schwarze Holzohrstecker bleibt.<br />

Sowieso. Dieses leichte Fremdeln, das Zürcher<br />

im Grossen Rat spürt, das fühlt auch manches<br />

Gegenüber. Zwar erhält ihre Arbeit im Parlament<br />

Respekt, sagt Rudolf Rechsteiner anerkennend:<br />

«Tonja ist eine Klassenkämpferin und provoziert<br />

gerne, hat aber eine hohe Kompetenz in der<br />

Analyse, vor allem in der Umweltpolitik und in<br />

der Sozialpolitik.» Man hört Zürcher deshalb zu<br />

im Parlament.<br />

Sie geht manchen auf die Nerven<br />

Andererseits geht «ihre Interpretation der Wirklichkeit<br />

manchen auf die Nerven», wie Rechsteiner<br />

es ausdrückt. Eben zum Beispiel FDP-Grossrat<br />

Luca Urgese. «Zwischen Tonja und mir liegen<br />

Welten», sagt er, der sein Haar seitlich scheitelt,<br />

Anzug trägt und vom Gewerbeverband schon<br />

dreimal als «gewerbefreundlichster Grossrat»<br />

eingestuft wurde. Der persönliche Umgang mit<br />

Zürcher sei zwar gut, sagt Urgese. Man könne<br />

Differenzen auch gut ausdiskutieren, aber: «Konsens<br />

mit Tonja zu finden ist anspruchsvoll. Meist<br />

klappt der Spagat nicht.»<br />

Ein Beispiel: Bei der Steuervorlage 17 haben sich<br />

fast alle Parteien bei einem Hinterzimmerdeal gefunden.<br />

Nur eine Partei scherte aus: die BastA!.<br />

Urgese sagt dazu: «Wenn man immer alles aus<br />

Fundamentalkritik bekämpft, ist es einfach schwierig,<br />

Kompromisse zu finden. Und die braucht es<br />

im Parlament.»<br />

Tonja Zürcher dagegen sieht gerade diesen Deal<br />

als Mahnmal dafür, wie sie nie werden will: «Alle<br />

in diesem Zimmer redeten nur von der Novartis<br />

und der Roche, und dass man es den Pharmariesen<br />

ja recht machen soll.» Niemand habe an die<br />

Bevölkerung gedacht, die für die Steuererleichterungen<br />

nachher aufkommen müsse.<br />

So tönt sie, die linkste Parlamentarierin Basels.<br />

Was treibt sie an? «Vieles auf der Welt ist immer<br />

noch scheisse. Auf der Strasse können wir das<br />

ändern», sagt Zürcher immer wieder.<br />

Auf Basels Strassen hat sie Menschen gefunden,<br />

die sie verstehen und mitmachen. Denen traut<br />

sie offenbar mehr Veränderungskraft zu als dem<br />

geregelten Parlamentsbetrieb. Vielleicht steckt<br />

in der Aktivistin Zürcher auch immer noch das<br />

Kind Tonja aus dem Aargau, das beharrlich mit<br />

Klischees bricht, statt sich anzupassen. ●<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Die Quahl der Wahl<br />

Das <strong>Bajour</strong>-<br />

Nichtwähler*innen-<br />

Parlament<br />

Es war ein Knorz –<br />

aber wir haben alles gegeben. Und freuen uns jetzt auf<br />

die Reaktion der Regierungsratskandidat*innen.<br />

Naomi Gregoris<br />

Liebe Leser*innen, ihr habt es wahrscheinlich mitgekriegt:<br />

Die letzten drei Wochen waren wir auf<br />

der Suche nach Nichtwähler*innen. Am Anfang<br />

stand unser Quiz. 1390 Leute haben mitgemacht,<br />

bei 440 ist herausgekommen: sie sind tatsächlich<br />

Nichtwähler*innen.<br />

Diese haben wir gefragt: Magst du mit uns drüber<br />

reden?<br />

Immer und immer wieder.<br />

Am Ende unserer Suche bekundeten zehn Interesse,<br />

in der Kabar erschienen dann aber doch<br />

nur zwei. Das liessen wir nicht auf uns sitzen und<br />

fragten rund um die Kaserne noch Leute, ob sie<br />

mitmachen wollten. Resultat: Die meisten waren<br />

Wähler*innen, drei hatten ihren Wohnsitz woanders<br />

und einer wollte nicht dabei sein. Immerhin<br />

einer liess sich überreden. Der blieb dann auch<br />

bis um 21 Uhr.<br />

«Tabu total» nennt es mein Kollege Samuel und<br />

er hat recht: Ein Quiz ausfüllen, das machen noch<br />

die meisten. Mit uns in Kontakt treten schon viel<br />

weniger. Aber öffentlich hinstehen und sagen,<br />

man würde nicht wählen? Schwierig. Und dann<br />

noch auftauchen an einem ominösen Treffen?<br />

Stell dir vor.<br />

Wir sind denjenigen, die sich getraut haben, sehr<br />

dankbar: Dank euch lebt das Nichtwähler*innenparlament!<br />

Auch wenn es zugegeben noch<br />

ein sehr kleines Parlament ist. Mehr noch so ein<br />

Stammtisch.<br />

Dabei ist es eine super Sache, und das sage ich<br />

nicht nur, weil wir es ins Leben gerufen haben. Im<br />

Nichtwähler*innenparlament kriegen die Leute<br />

eine Stimme, die sonst aussen vor bleiben. Und<br />

finden Gleichgesinnte. Ein offenes Ohr. Und konstruktive<br />

Ansätze, denn:<br />

Die Fragen, die wir mit dem Parlament erarbeitet<br />

haben, werden wir kommende Woche den Regierungsratskandidat*innen<br />

stellen. Etwa:<br />

Erzähle von der Situation, als du letztmals mit<br />

einem einfachen Arbeiter an einem Tisch gesessen<br />

bist und ein Bier getrunken hast.<br />

Verdienst du das Geld, das du als Politiker*in<br />

verdienst?<br />

Zu welchem lokalen Thema kennst du keine Lösung?<br />

In dem Sinne: Stay tuned. Und wenn du Interesse<br />

hast, mitzumachen, melde dich unter info@bajour.<br />

ch. Dann nehmen wir dich in unsere unverbindliche<br />

(!!!!) Whatsapp-Gruppe auf. ●<br />

*<br />

Wir hatten sie alle: Lukas<br />

Engelberger, Baschi Dürr, Stephanie<br />

Eymann, Conradin Cramer,<br />

Christine Kaufmann, Tanja<br />

Soland, Kaspar Sutter, Beat<br />

Jans, Christian Mueller, Stefan<br />

Suter, Esther Keller, Elisabeth<br />

Ackermann<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

-56-


Guten<br />

Morgen,<br />

Basel<br />

Samuel<br />

Ich wollte eigentlich nur<br />

beweisen, dass 2020 niemand<br />

mehr einen E-Mail-Newsletter<br />

liest. Die Zahlen haben mich<br />

eines Besseren belehrt.<br />

Das Basel Briefing. Von null auf fast 5000 Abos in knapp zehn Monaten. Der<br />

Aufwand ist für so eine kleine Redaktion wie die von <strong>Bajour</strong> enorm. Aber mit<br />

dem morgendlichen Update zu allem, was Basel interessieren könnte, hat <strong>Bajour</strong><br />

ins Schwarze getroffen. Nicht nur die Zahl der Abos, auch die Öffnungsrate<br />

unseres Newsletters ist enorm. Bei täglich knapp 3000 Leser*innen und<br />

steigender Tendenz kommt so etwas Ähnliches wie Massenmedium-Feeling<br />

auf. <strong>Bajour</strong> ist auf dem besten Weg, zur gehörten Medienstimme zu werden.<br />

Franziska<br />

Ich liebe die Reaktionen der<br />

Briefing-Abonnent*innen. Sie<br />

zeigen mir jeden Tag aufs Neue,<br />

dass meine Arbeit geschätzt wird.<br />

Andrea<br />

Seit ich das Basel Briefing<br />

schreibe, weiss ich die Arbeit der<br />

Kolleg*innen der anderen Basler<br />

Medien noch mehr zu schätzen.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

-58- -59-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Marquerite<br />

Mit dem Basel Briefing bin ich als<br />

Journalistin genau dort, wo ich<br />

sein will: Nämlich mit relevanter<br />

Information direkt in der Inbox<br />

der Leser*innen – und sie mit ihren<br />

Rückmeldungen auch in meiner.<br />

Adelina<br />

Ich finds schön, dass wir den<br />

Basler*innen jeden Morgen einen<br />

Dienst erweisen und sie dank<br />

<strong>Bajour</strong> informiert und hoffentlich<br />

auch ein bisschen inspiriert in<br />

den Tag starten können.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Naomi<br />

Schreibst du Briefing gern,<br />

und wenn ja warum?<br />

Ganz ehrlich? Nein. Ich<br />

glaube, das geht uns allen<br />

so. Und trotzdem stecken wir<br />

unser Herzblut rein. Briefing<br />

schreiben ist wie Müll trennen:<br />

aufwendig, aber sinnvoll.<br />

-60- -61-<br />

Daniel<br />

Es hat nicht einfach EIN<br />

Morgennewsletter gefehlt, es<br />

hat DIESER Morgennewsletter<br />

gefehlt. Ich liebe es, dass wir<br />

alle andere Stile haben, andere<br />

Interessen, andere Stärken und<br />

Schwächen. Das merkt man<br />

dem Briefing an. Es lebt, es<br />

ist abwechslungsreich, es ist<br />

meistens verdammt gut, weil<br />

sich niemand vor den anderen<br />

blamieren will. Es hat Gifs, ist<br />

nützlich und auch wenn wir<br />

manchmal über die Konkurrenz<br />

herziehen, wenn irgendwer was<br />

verbockt, dann ist es wenigstens<br />

immer sehr fair verlinkt. Natürlich<br />

würde das niemals jemand<br />

zugeben, aber ich glaube, die<br />

Kolleg*innen auf den anderen<br />

Redaktionen freuen sich, wenn<br />

ihre Story im Briefing ist.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Kultur ist nirgends<br />

und überall<br />

*<br />

Bei <strong>Bajour</strong> wollen wir Kultur nicht nur besuchen, sondern auch stattfinden und<br />

leben lassen. Das heisst finito lieblos hingeschriebene Rezensionen, adios wenig sagender<br />

Kunstdarsteller*innen. Wir suchen nach einem Kulturjournalismus, der von<br />

Kultur geprägt ist, nicht nur von Kulturschaffenden und Hohepriester*innen. Also<br />

wählen wir einen anderen Ansatz: Boden statt Kanzel. Wir schreiben auf Augenhöhe,<br />

nicht von oben herab. Das bringt es mit sich, dass DJ Antoine oder Esat Akpinar alias<br />

S-Hot für uns so berichtenswert sind wie Edward Hopper, unsere Stimme gleich laut<br />

ist wie die einer ukrainischen Schriftstellerin, die in Basel ihren Freund besucht und<br />

für uns darüber schreibt. Wir wollen nicht nur schöne Worte, sondern auch Taten:<br />

Während des Lockdowns riefen wir Gärngschee Kultur ins Leben. 11 Bands durchbrachen<br />

per Live-Stream die Quarantäne und konnten wenigsten ein bisschen Auftrittsgeld<br />

verdienen. Im Podcast «Nach dem Piepston» konnten uns Menschen – auch<br />

Künstler*innen – aufs Band sprechen und ihre Sorgen teilen. Währenddessen strich<br />

die Tonmeisterin Susanne Affolter durch die Stadt und nahm die Atmosphäre verlassener<br />

Orte auf. Die Aufnahmen spielten wir bei uns, versehen mit ganz wenig Text.<br />

Auch das ist in unserem Verständnis Kultur: Mehr als nur Worte. Nach dem Lockdown<br />

schrieb Daniel Faulhaber einen rührenden Text über die Dreirosenbrücke. Eine Brücke!<br />

Na sicher: Auch das ist Kultur. Und wir geben ihr gerne den Rahmen.<br />

5<br />

1 | Selbsttest unseres Autors Timo Posselt. Kann<br />

er vielleicht doch noch DJ-Antoine-Fan werden?<br />

Ein Bericht zum Konzertbesuch des berühmtesten<br />

DJs der Schweiz.<br />

2 | Tonmeisterin Susanne Affolter hat sich mit<br />

ihrem Aufnahmegerät an verlassene Orte in der<br />

Stadt begeben – Lauscher auf für den auditiven<br />

Streifzug durch Basel in Corona-Zeiten!<br />

3 | <strong>Bajour</strong> radelte auf den Spuren Albert Hofmanns.<br />

Der LSD-Bikeride enthüllte einige intime<br />

Details um die bekannte Basler Persönlichkeit.<br />

4 | 5 | Auch das ist Kultur! Mit einem Aufruf in<br />

der <strong>Bajour</strong>-Community konnten wir herausfinden<br />

wer hinter dieser Guerilla-Aktion steckt: Léon<br />

Missile. Im Interview hat er uns alles über sein<br />

Schaffen erzählt.<br />

4<br />

1<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

2<br />

-62- -63-<br />

3<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


#GärngscheeKultur<br />

Gärngschee<br />

Kultur – ein neues<br />

Format erobert<br />

die Stadt<br />

#Staythefuckhome, sagten sie. Und wir weinten über all den abgesagten<br />

Konzerten leise in unsere Kissen. Damit ist jetzt Schluss. Wir haben die<br />

Show, ihr die Langeweile und den Cash. Bitte Rettungsgasse freimachen,<br />

es geht um nichts weniger als die kulturelle Existenz dieser Stadt!<br />

Daniel Faulhaber<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Weil sich in diesen Tagen so vieles, was eigentlich<br />

im echten Leben hätte stattfinden sollen, in<br />

andere Räume verlagert, ist es kein Zufall, dass<br />

auch diese Geschichte ihren Ursprung im Internet<br />

findet.<br />

Künstler*innen stehen aufgrund der Corona-Krise<br />

vor dem Aus. Performances, Konzerte, Lesungen<br />

fallen weg, das kulturelle Leben erlahmt. Auf der<br />

anderen Seite ist die Solidarität der Menschen<br />

enorm, wie wir aktuell auf der Facebook-Gruppe<br />

«Gärngschee – Basel hilft» erfahren. Mittlerweile<br />

sind es alleine in Basel über 15'000 Hilfesuchende,<br />

die sich dort mit Hilfebietenden vernetzen.<br />

«WÄHREND SCHWEIZWEIT<br />

DIE KONZERTLOKALE<br />

SCHLIESSEN, GEHEN HIER AUF<br />

EINER VIRTUELLEN BÜHNE<br />

DIE SCHEINWERFER AN.»<br />

Wir haben überlegt: Wie können wir die Hilfsbereitschaft<br />

der Menschen mit den Existenzängsten<br />

der Künstler*innen verbinden? Wie können wir der<br />

sozialen Isolation und Angst entgegenwirken, die<br />

sich da draussen auszubreiten beginnt?<br />

Unsere Antwort: Wir bauen ein Netzwerk und<br />

nennen es «Gärngschee Kultur».<br />

Während da draussen die Tore der Konzertlokale<br />

schliessen müssen, gehen auf dieser virtuellen<br />

Bühne die Scheinwerfer an. An verschiedenen<br />

Abenden finden Konzerte, Lesungen oder Performances<br />

statt. Wir streamen live. Und über eine<br />

Online-Bezahlfunktion kann sich das Publikum im<br />

-64-<br />

Cyberspace an der Gage der Künstler*innen<br />

beteiligen. Wir sind die Ausgleichskasse für<br />

Schicksalsgeschlagene, zusammen bieten wir<br />

dieser garstigen Seuche die Stirn.<br />

Danke an alle mitwirkenden Künstler*innen:<br />

Anna Aaron, Evelinn Trouble, Fatima Moumouni<br />

& Laurin Buser, Guy Mandon, Manuel<br />

Gagneux, Naim, Nicole Bernegger & Band.<br />

Kinderkonzerte:<br />

Anna Gosteli & Martina Stutz, Boni Koller &<br />

Elena Mpintsis, Laurent & Max, Linard Bardill.<br />

Gärn gschee Kultur ist eine Intitiative von <strong>Bajour</strong><br />

in Zusammenarbeit mit freischaffenden<br />

Improvisationskünstler*innen aus Basel. Mitarbeitende<br />

sind: Elias Buess, Thomas Keller,<br />

Martin Schaffner, Flavio und Livio Spaini und<br />

viele weitere. Hardwaresponsoring: FHNW<br />

HGK Institut Hyperwerk, Sommercasino Basel,<br />

Atlantis Basel und Konnex GmbH. Hardwaredriving:<br />

Dippert & Söhne Discothekenbedarf<br />

und Sonic Ferns.<br />

GÄRNGSCHEE KULTUR IN ZAHLEN<br />

→<br />

→<br />

→<br />

→<br />

11 Konzerte, davon 4 Kinderkonzerte<br />

1 Livetalk<br />

Total 78'000 Zuschauer<br />

Total sind 20'381 Franken<br />

Spenden eingegangen.<br />

Foto: PHOTO Sara Barth


<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Roland Schmid,<br />

Bildstrecke Lockdown<br />

-66- -67-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Ist da jemand?<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Hopperseelenallein<br />

Wie es ist, den grossen Edward Hopper in der<br />

Fondation Beyeler nun ganz für sich zu haben.<br />

Naomi Gregoris<br />

«Herrlich!» – Der Herr im dunkelgrünen Sakko lässt<br />

sich seufzend auf eine Holzbank in der Mitte des<br />

Raumes sinken. Vor ihm hängt eines der berühmtesten<br />

Bilder der Welt. Eine Frau in rotem Kleid<br />

schaut darin schweigend aus dem Fenster eines<br />

Hauses. Es ist still. Nicht nur im Bild, auch davor.<br />

Das Wort des Mannes im Sakko rattert durch die<br />

Räume, als wäre es ein Bulldozer.<br />

Die Fondation Beyeler gehört zu den am besten<br />

frequentierten Museen der Schweiz. 437000 Besucher*innen<br />

verzeichnete sie letztes Jahr, allein<br />

die Ausstellung über den jungen Picasso brachte<br />

über 335'000 Menschen nach Riehen. Die erste<br />

Ausstellung des Jahres sollte an den Erfolg anknüpfen:<br />

Edward Hopper, der «melancholische<br />

Realist» mit dem weltbekannten Gemälde des<br />

Diners, in dem einsame Gestalten sitzen. Geplant<br />

war keine Retrospektive, von denen hatte es in<br />

vergangenen Jahren genug gegeben, sondern eine<br />

Ausstellung mit Fokus auf die Landschaften: Das<br />

entvölkerte, aber gleichermassen vom Menschen<br />

beeinflusste Draussen, die «Natur».<br />

▼ Weit und breit niemand, der die Sicht verstellt. (Foto: Naomi Gregoris)<br />

Die ganze Welt ein Hopper-Bild<br />

Am 26. Januar eröffnete die Ausstellung mit grossem<br />

Trara, die Besucher*innenzahlen schnellten<br />

wie erwartet in die Höhe. Dann kam Corona, die<br />

Besucher*innen mussten zuhause bleiben und<br />

«Natur» bekam einen grausamen Beigeschmack.<br />

Fertig Frühling, Freude, Zolli-Cornet – und willkommen<br />

Lockdown, Isolation und verkehrte Welt: Die<br />

Sonne schien hell und freundlich, aber die Plätze<br />

und Parks blieben leer. Die Menschen blieben in<br />

ihren Wohnungen, der Blick zeigte nach draussen,<br />

aber richtete sich nach innen. Die ganze Welt<br />

ein Hopper-Bild.<br />

Und jetzt, nach sieben unangenehmen Wochen,<br />

gehen die Museen wieder auf. Die Fondation<br />

Beyeler als eines der ersten, weil sie, auch hier ein<br />

bisschen exklusiver als alle anderen, am Montag<br />

geöffnet hat. Die Ausstellung ist um sechs Wochen<br />

verlängert, neu kann man online Zeittickets<br />

für bestimmte Slots am Tag kaufen. Das Kontingent<br />

liegt bei 100 Besucher*innen pro Stunde.<br />

Klingt nach viel, wer aber einmal eine der «Blockbuster-Ausstellungen»<br />

erlebt hat, der weiss: 100<br />

Menschen pro Stunde ist ein Ponyhof.<br />

Am Tag der Lockerung, um 14 Uhr: Ein Ponyhof<br />

in der Nebensaison. Im Winter, mit nur den hartgesottensten<br />

Pferdemädchen am Start. Das Museum<br />

ist so leer, dass man seinen eigenen Atem<br />

hört. Der Mann im dunkelgrünen Sakko schreitet<br />

durch die Räume, als wären es seine. Die Augen<br />

der Wärter*innen starren über die grünen Masken<br />

hinaus ins Leere.<br />

Und die Bilder?<br />

Es bietet sich jetzt an, Hopper zum Künstler der<br />

Corona-Zeit auszurufen. All diese einsamen Menschen<br />

und Landschaften! Sind sie nicht wie wir,<br />

die wir in unseren Stadtwohnungen dahindarben,<br />

ein Tag wie der andere, nach aussen hin Langeweile,<br />

aber innen ein Brodeln wie bei der Bolognese,<br />

die seit Stunden auf dem Herd steht? Ist<br />

das Unsichtbare, das sich so elegant und unheimlich<br />

durch Hoppers Gemälde zieht, nicht wie der<br />

Corona-Virus: omnipräsent, lauernd, gefährlich?<br />

Die Kunst hat das Sagen<br />

Schön wäre es allemal. Aber der Gedanke greift<br />

nicht ganz weit genug. Die Isolation, in der sich<br />

Hoppers Figuren bewegen, ist keine auferlegte<br />

Situation. Die Frau am Fenster ist Akteurin, nicht<br />

Gefangene. Ihr Schweigen ist nicht die Unfähigkeit<br />

zu kommunizieren, sondern die Fähigkeit der<br />

Kontemplation. Sie ist nicht allein, sie ist mit sich.<br />

Das überträgt sich. Die wenigen Besucher*innen,<br />

die an diesem frühen Nachmittag im Beyeler sind,<br />

laufen andächtig von Raum zu Raum. Sie treten<br />

vorsichtig auf, als hätten sie Angst davor, zu viel<br />

Lärm zu machen. Ausser dem Sakkoträger spricht<br />

niemand. Die Stimmung ist genau so, wie man sie<br />

-68- -69-<br />

sich für Ausstellungen dieses Kalibers wünscht:<br />

Die Kunst hat das Sagen.<br />

Bei Hopper scheint das zu bedeuten: Schaut<br />

nach draussen in euch selbst hinein. Was seht<br />

ihr im hartgrellen Licht, das auf den Leuchtturm<br />

in «Lighthouse Hill» fällt? Im dunklen Wald hinter<br />

der Strasse bei «Road and Trees»? Im Gesicht<br />

des weisshaarigen Mannes in «Second Story Sunlight»?<br />

Spoiler: Es ist nicht Corona.<br />

Wobei, im übertragenen Sinne eben doch: In Bildern<br />

wie «Cape Ann Granite» zeigt Hopper eine<br />

vermeintlich wildromantische Natur. Irgendwas<br />

scheint aber nicht ganz aufzugehen. Das Gras<br />

ist zu grell, die Felsen haben was Eisbergmässiges,<br />

als läge unter der Wiese der wahre Grund<br />

ihres Daseins verborgen. Cape Ann, wo Hopper<br />

regelmässig die Sommermonate verbrachte, ist<br />

für seine Granit-Steinbrüche bekannt; die Natur,<br />

die wir hier sehen, ist also keineswegs natürlich.<br />

Nur wissen das die meisten Betrachter*innen<br />

nicht. Es bleibt beim unbestimmbaren Gefühl,<br />

dass irgendwas nicht ganz stimmt.<br />

Dieses Gefühl kennen wir mittlerweile gut. Es begegnete<br />

uns beim ersten Mal Hände desinfizieren<br />

im Supermarkt und ist seither immer da. Gerade<br />

eben auch, als der Herr im Sakko seine Freude<br />

so laut äusserte. Der Ausnahmezustand ist Alltag<br />

geworden und mit ihm das Vertraute unvertraut.<br />

Wie finden wir wieder zu einander?<br />

Der Besuch in der Fondation Beyeler ist ein guter<br />

Anfang. ●<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Roher,<br />

kalter,<br />

geiler<br />

Die Dreirosenbrücke<br />

ist, man sollte hier nicht<br />

differenzieren müssen,<br />

das beste, schönste,<br />

allerdemokratischste<br />

Bauwerk Basels.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Beton<br />

Eine Liebeserklärung an die Dreirosenbrücke.<br />

▼ Dieser Blick. Plastische, laserklare Gedanken sind die Folge. (Foto: Daniel Faulhaber)<br />

Daniel Faulhaber<br />

Das war nicht immer so: Vor Baubeginn 1999 wurde<br />

die Brücke mit zwei Volksabstimmungen erfolglos<br />

bekämpft. Aber heute ist das der Fall. Die Dreirosenbrücke<br />

ist so gut, sie überquert nicht den<br />

Rhein. Der Rhein fragt jeweils, ob er kurz unten<br />

durch kann. Die Dreirosenbrücke ist der urbanste<br />

Fleck in diesem gross gewordenen Dorf Basel.<br />

Die Dreirosenbrücke ist, wir sollten uns langsam<br />

entscheiden, das Wahrzeichen dieser Stadt.<br />

Zeit für eine Liebeserklärung.<br />

Fangen wir an mit der Behauptung, Basel sei<br />

nirgends so urban wie hier. Urbanität im kalten<br />

21. Jahrhundert, was kann das anderes heissen<br />

als Beton, roher Beton und ausserdem kein Heckmeck.<br />

Keine Geranien, keine Allee, keine Pflanzen<br />

oder irgendwelches Aufwertungsgebüsch. Roher,<br />

kalter, geiler Beton. Wer die Brücke hinauffährt<br />

aus Richtung Kleinbasel, den umhüllt dieses<br />

technoide Gefühl einer entwurzelten Moderne<br />

wie eine zweite Haut aus Alufolie. Ein Raumfahrer*innengefühl.<br />

Auf der Dreirosenbrücke wirst du aufs Grellste auf<br />

dich selber zurückgeworfen. Sie ist ein Kraftort.<br />

Vielleicht ist dir das nicht aufgefallen, aber die<br />

Dreirosenbrücke ist die einzige Rheinquerung in<br />

ganz Basel, die den Horizont aufreisst. Das heisst:<br />

Wenn du an einem Brückenkopf stehst, siehst du<br />

das andere Ende nicht, denn diese Brücke wölbt<br />

sich. Der fantastische Regisseur Wim Wenders,<br />

der in seinen Filmen viel mit dem Horizont als Stilmittel<br />

arbeitet, sagt, die Grenze zwischen Himmel<br />

und Erde helfe ihm, Geschichten zu erzählen, ohne<br />

etwas dafür tun zu müssen. Der Horizont ist immer<br />

eine Einladung, er triggert in uns Gedanken<br />

an das, was dahinter liegen mag. Auch darum ist<br />

dieses Brücke so wertvoll. Sie lässt uns träumen.<br />

Sag mir einen Ort in Basel, der ein ähnliches Gefühl<br />

von Freiheit verspricht. Überall sonst: Häuser,<br />

-70- -71-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Fassaden, Türme. Oder Hügel. Der Gempen, die<br />

Chrischona, der Jura. Wer auf dem Marktplatz<br />

sitzt, sitzt im Gedankenkäfig. Nirgendwo entgleist<br />

der Blick so eindringlich und visionär ins<br />

Nichts wie mit Blick von den Brückenköpfen auf<br />

die Dreirosenbrücke.<br />

Höchst plastische, laserklare Gedanken sind die<br />

unausweichliche Folge. Nicht alle können mit<br />

dieser Brücke umgehen.<br />

Auf Google Maps haben 334 User*innen die Dreirosenbrücke<br />

bewertet. Schnitt: 4.4 von 5 Sternen<br />

(drittbester Wert aller Basler Brücken). Christopher<br />

Bosch sagt:<br />

Mit Verlaub, aber Christopher Bosch hat keine<br />

Ahnung. Auf dieser Brücke kann man Rollschuh<br />

fahren und skaten, man kann auf den Betonbänken<br />

sitzen und lesen. Man kann Menschen beobachten<br />

und Menschen treffen. Die Brücke lässt einen<br />

dabei vollkommen in Frieden. Sie weist nicht wie<br />

andere Brücken aufdringlich darauf hin, dass es<br />

langsam Zeit wäre weiterzugehen, weil man den<br />

Pendler*innenstrom stört, wie das die Mittlere Brücke<br />

oder die Johanniterbrücke tun. Diese Brücke<br />

ist knapp 30 Meter breit, allein der Boulevard für<br />

Fussgänger*innen misst 10 Meter Breite.<br />

Wir haben unsere Leser*innen gefragt, was sie<br />

mit der Dreirosenbrücke verbinden. Hier sind einige<br />

Antworten:<br />

Auch über Instagram erreichen uns Berichte, wonach<br />

sich Menschen hier zum ersten Mal geküsst<br />

haben. Es ist verständlich.<br />

Auf der Dreirosebrücke verplempern Menschen<br />

ihre Zeit, und zwar alle. Die Hausbesetzer*innen<br />

aus der Elsi, die Yuppies aus dem St. Johann.<br />

Die Novartis-Angestellten. Die Wassermelonenesser*innen<br />

aus dem Kleinbasel und manchmal,<br />

wenns ganz inklusiv wird, dann kommen diese<br />

jungen, sehr gut aussehenden Erwachsenen in<br />

weissen Kleidern (wahrscheinlich aus dem Gellert-Quartier,<br />

alle haben Lastenfahrräder von<br />

«Obst und Gemüse» dabei) und stellen Tische auf<br />

und legen weisse Tischtücher drauf und machen<br />

dann einen auf Candlelight-Dinner. Auch das geht,<br />

denn das Tollste ist:<br />

ihrer Bewohner*innen und die Wahrnehmung<br />

von aussen. Vertikale Städte sind Stressstädte.<br />

Ellenbogenstädte. Kapitalistische Turbocitys. Das<br />

liegt in der Natur dieses Vektors. Er schafft ein<br />

Oben und Unten, Aufstieg versprochen, Glasdecke<br />

vorhanden. Liftgesellschaft. Nach oben buckeln,<br />

nach unten treten. Aufstiegsgesellschaft.<br />

Abstiegsgesellschaft. Goldener Fallschirm. Freier<br />

Fall. Kometenhafter Aufstieg. Ihr versteht. Beispiele:<br />

New York (alles). Paris (Eiffelturm, auch<br />

sonst klarer Fall einer vertikalen Stadt). London<br />

(Big Ben, ausserdem alles).<br />

Dann gibt es horizontale Citys. Die berühmteste<br />

ist San Franscisco. Wahrzeichen: Die Golden Gate<br />

Bridge. Und was halten wir von San Francisco?<br />

Na, Lümmeln und Kiffen eben. Regenbogenknutschen<br />

auf den Verandas viktorianischer Villen. Eine<br />

Supercity. Eine warme Stadt. Eine sympathische<br />

Stadt. Ausserdem auch toll und früher ein Symbol<br />

für ethnische Vielfalt: Mostar mit seiner Stari<br />

Most in Bosnien-Herzegowina.<br />

Zurück nach Basel.<br />

Diese Stadt steht heute an einer Weggabelung<br />

ihrer Geschichte. Denn die Türme schiessen auch<br />

in diesem Sommer wie Pilze aus dem vom globalen<br />

Wettbewerb ganz aufgekratzten Stadtboden.<br />

Die Menschen wundern sich zu spät, das wird<br />

so weitergehen. Aber wir, die Bewohner*innen<br />

dieser Stadt, sollten uns zusammenraufen und<br />

entscheiden: Was soll in Zukunft unser Wahrzeichen<br />

sein, womit identifizieren wir uns? Mit den<br />

Rochetürmen oder einem dieser Hotels, die sich<br />

keiner leisten kann? Mit diesen Blickmagneten<br />

und Orientierungsdiktatoren, die keine Fragen<br />

offen lassen, sondern alles sofort beantworten?<br />

Oder denken wir bei Basel an eine Brücke? An<br />

eine, die keinen Eintritt kostet? An eine, auf der<br />

einmal jährlich die wildeste Wasserschlacht der<br />

Schweiz zwischen Gross- und Kleinbasel ausgetragen<br />

wird und vorbeifahrende Cabriolets aufs<br />

Herrlichste in fahrende Aquarien verwandelt<br />

werden, blubb blubb? Eine Gute-Laune-Brücke?<br />

Diese Frage muss jede*r für sich beantworten.<br />

Ich wünsche allen einen hervorragenden Sommer<br />

auf der Dreirosenbrücke. ●<br />

Facts:<br />

→<br />

→<br />

→<br />

→<br />

Über die Brücke fahren durchschnittlich<br />

21'323 Motorfahrzeuge am Tag<br />

(Tagesschnitt Mo –So, 2018).<br />

Die Brücke wurde 2004 eröffnet,<br />

und sie ist die erste doppelstöckige<br />

Verkehrsbrücke der Schweiz.<br />

Sie wiegt viel und ist 226 Meter lang.<br />

Im Basler Brückenquartett sticht sie alle anderen<br />

Brücken aus. Wegen optimaler Mischrechnung<br />

aus Nutzen und Style.<br />

→ ps: Ob die Wasserschlacht dieses<br />

Jahr stattfindet, ist noch offen.<br />

→ pps: Zum Schluss laden wir dich ein zum<br />

Leser*innen(gegen)check. Die hier als<br />

unumstössliche Wahrheit verkaufte Behauptung,<br />

die Dreirosenbrücke sei die<br />

beste von allen: Stimmt das so für dich?<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Die Brücke wird dadurch<br />

nicht aufgewertet.<br />

Auch das ist eine absolut bestechende Eigenart<br />

dieser Brücke, sie entzieht sich jeder kommerziellen<br />

Verwertbarkeit (auf der A3 im UG herrscht<br />

natürlich Autobahnvignettenpflicht).<br />

Wir müssen jetzt über Wahrzeichen und den demokratischen<br />

Wert dieser Brücke sprechen. Ich<br />

behaupte, es gibt Städte mit horizontalen Wahrzeichen<br />

und Städte mit vertikalen Wahrzeichen.<br />

Und zu welcher Sorte Stadt eine Stadt gehört,<br />

ist absolut ausschlaggebend für die Identität<br />

-72- -73-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Podcast<br />

Nach dem Piepston:<br />

Erzählt uns, wie es<br />

euch geht<br />

Wir haben eine Facebook-Gruppe, wir haben eine<br />

Kulturplattform, und jetzt haben wir auch noch einen<br />

Podcast. Warum? Weil eure Geschichten wichtig sind.<br />

Naomi Gregoris<br />

Klare Sache: Was bis jetzt bei «Gärngschee»<br />

passiert ist, haut uns alle aus den Socken. «Eine<br />

Redaktion irgendwo zwischen totaler Euphorie<br />

und totaler Erschöpfung», schrieb Philipp Loser<br />

über uns im «Tages-Anzeiger» und er hat recht:<br />

Wir sind dankbar und glücklich, aber auch etwas<br />

abgekämpft.<br />

Unter anderem weil wir wissen, dass wir nie all den<br />

Geschichten gerecht werden können, die in der<br />

Gärngschee-Gruppe geteilt werden. Menschen<br />

schreiben dort über ihre Ängste und Sorgen und<br />

wir tun alles, um sie zu vernetzen. Aber die Gruppe<br />

hat so viele Mitglieder, dass viele Geschichten<br />

sofort in der Flut der anderen Posts verschwinden.<br />

Wir finden: Diese Geschichten sind wichtig. Wir<br />

wissen alle nicht, wie lange dieser Zustand andauern<br />

wird und was er mit sich bringt. Wir alle<br />

kennen Risikopersonen und machen uns Sorgen.<br />

Wir praktizieren Social Distancing und nehmen die<br />

Isolation in Kauf. Gerade deshalb ist es wichtig,<br />

von anderen Menschen zu lesen. Gerade deshalb<br />

hat so eine Gruppe wie Gärngschee über 14'000<br />

Mitglieder. Menschen wollen sich nicht alleine<br />

fühlen in dieser Zeit.<br />

Wir haben uns also gefragt: Wie können wir eure<br />

persönlichen Geschichten hörbar machen?<br />

Manchmal ist der einfachste Weg die beste Lösung:<br />

Wir haben eine Telefonnummer mit einem<br />

Anrufbeantworter eingerichtet. Dort könnt ihr<br />

anrufen und ungestört aufs Band reden. Maximal<br />

zehn Minuten lang. Erzählen dürft ihr, was<br />

auch immer euch auf dem Herzen liegt. Ihr seid<br />

Eltern und habt genug vom Kinder bespassen?<br />

Ihr seid Spitalpersonal und könnt die Zustände<br />

nicht mehr sehen? Ihr sorgt euch um eure Eltern?<br />

Um euer Unternehmen? Ihr freut euch über die<br />

Nachbarin, die frische Tulpen ins Fenster gestellt<br />

hat? Ihr seid zuversichtlich, verängstigt, traurig?<br />

Das hat alles Platz unter der<br />

Nummer 061 271 02 32.<br />

Wir werden einmal pro Woche alle Nachrichten<br />

abhören, eine Auswahl davon zusammenschneiden<br />

und auf bajour.ch unter dem Namen «Nach<br />

dem Piepston» publizieren. Ausserdem könnt ihr<br />

die Folgen auf iTunes, Spotify und anderen Anbietern<br />

als Podcast nachhören.<br />

Macht euch hörbar und teilt eure Geschichten<br />

mit uns – gerade jetzt sind die von unschätzbarem<br />

Wert!<br />

So macht ihr mit:<br />

→ Anrufen auf 061 271 02 32.<br />

→ Aufs Band reden.<br />

→ Auflegen.<br />

→ Macht mit, teilt euch mit, lasst von<br />

euch hören. Wir freuen uns!<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Roland Schmid,<br />

Bildstrecke Lockdown<br />

-74- -75-<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


<strong>Bajour</strong><br />

in Zahlen<br />

Zahlende Unterstützer*innen: 1717<br />

Veröffentlichte Morgenbriefings: 194<br />

Verschlafene Briefing-Frühschichten: 2<br />

Angekommene Briefings per E-Mail: 517'525<br />

Geöffnete Briefings, die per<br />

E-Mail ankamen: 351'452<br />

Briefing-Öffnungsrate in Prozent: 67,91<br />

Von Leser*innen geschenkte Büropflanzen: 9<br />

Männerquote <strong>Bajour</strong>-Angestellte: 0,35<br />

<strong>Bajour</strong>-Babys seit Gründung: 1<br />

(Eli. Von 4,0 auf heute 11,7 Kilogramm)<br />

Quadratmeter Fläche des neuen<br />

Zwischennutzungs-Büros an<br />

der Clarastrasse: 450<br />

Maximale Zahl gleichzeitig anwesender Hunde<br />

während Wochensitzung: 3<br />

(Maus, Mara und Saphira)<br />

Gewicht grösster Redaktionshund in<br />

Kilogramm: 55 (Saphira)<br />

Jahrgang ältesteitarbeiter 1963 (Hansi)<br />

Jahrgang jüngste Mitarbeiterin: 2001 (Valerie)<br />

Feste und freie <strong>Bajour</strong>-Mitarbeiter der<br />

Familie Ismail: 3 (Valentin, Ali, Ibrahim<br />

Erfolgreich eingebürgerte Mitarbeiter: 2<br />

(Faulhaber aus Reutlingen, Voigt aus Böblingen<br />

Geführte Grundsatzdebatten über Sinn und<br />

Unsinn des Journalismus: Gefühlt Tausende<br />

Fest geplante und wegen Corona abgesagte<br />

Marketing-Kampagnen mit Events und so: 2<br />

<strong>Bajour</strong>-Mitarbeiter*innen im falschen<br />

Corona-Alarm bzw. Quarantäne: 4<br />

(Valentin, Valerie, Hannah, Sabrina)<br />

Killer-Sätze, die mit «Das machen schon die<br />

anderen» angefangen haben: Gut ein Dutzend<br />

Gewonnene Journalistenpreise: 1<br />

Anzahl Nachrichten im <strong>Bajour</strong>-<br />

Slack-Kanal: 55'271<br />

Tage ohne eine einzige Slack-<br />

Nachricht: 5 (seit 9. März 2020)<br />

Sorgfältig gereifte Beschlüsse von<br />

CR Fopp, alle rauszuschmeissen (als<br />

Aussenstehender gefühlt): 12<br />

Reibungslos durchgeführte<br />

Zoom-Konferenzen: 260<br />

Verunglückte Zoom-Konferenzen: 2<br />

Mitarbeiter*innen in der Probezeit:<br />

1 (Ina, du schaffst es!)<br />

Quotenzürcher*innen: 2 (Hansi, Marguerite)<br />

Alte, weisse Männer, die sich als<br />

Feminist*innenflüsterer tarnen: 1 (Hansi)<br />

Leser*innenbriefe von<br />

Schwiegermüttern: 22 (Erika)<br />

Schlaflose Nächte: No comment<br />

Vergossene Tränen: Einen<br />

Swimmingpool voll.<br />

Gegenseitige Liebeserklärungen:<br />

Mehr als in «Love Actually»<br />

Gefundene Bettelbosse: 0<br />

1717 Member<br />

und Gönner*innen<br />

unterstützen <strong>Bajour</strong><br />

1800<br />

1600<br />

1400<br />

1200<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Januar<br />

Februar<br />

März<br />

Gönner*innen Member<br />

-76- -77-<br />

April<br />

Mai<br />

Juni<br />

Juli<br />

August<br />

September<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020


Françoise Anonym Elaine Laila Jaap Carole Kai Tobias Christop Dorothee Simon Simon Werner Patrik Thomas Claudine Oliver Matthias Thomas<br />

Fabio Alexandra Daniel Susanne Birgit Nicole Silke Silke und Noémi Miriam Monika rudolf Dario leni Tatiana Christa Zamira Tobias Marie-Theres<br />

Simone Michael Michael René Peter Veronika Peter Yvonne Richard Ruedi Anastasios Anastasios Nora Hannes Thomas Isabel Jennifer Stefanie<br />

Alexander Tatjana sabin Isabel Annina Linda Bettina Linda Stettler Theo Angelika Madlaina Françoise Nadja Cristina Suzanne Nathalie Werner<br />

Christoph roman Simone Julia Maja Corinna Stephan Claudia Babette Annina Barbara Dieter J. Felix Deborah Franziska Christine Ruedi Erika<br />

Amanda annette Isabelle Zoe Marianne Marianne Helga Regula Roger Thomas Susanna Ute Gini Ursula Andrea Manuel Philipp Agnes Salome<br />

Lavinia Andrea Jannik Wolfgang Walter Walter Melanie Hannah Verena Adele Christof Jonas Rahel Annina Barbara Mariann Peter Basil Nadine<br />

Katrin Phil Andreas Fabian Jikkelien ursula ursula Urcun ThomWWas Yves Karin Olivia Myriam Rouven Renate Andreas Sandra Jose Jessica Patrick<br />

Christine Julie Jeannette Theres Manuela Hannes Raphael Andrea Gabriel Heiner Anja Marianne Katja Hans Peter Guido & Nicoletta Martin Mario<br />

Hans Boris Martin Hildbrand Simone Gaby Beat Denise Lysander Stephan Alena Marie-Eve Urs Claudia Beatrice Beatrice Elisabeth Edith Myriam<br />

Thierry Leonhard Ariane Katharina Kathrin Gianna Susanne Andreas Michael Barbara Jennifer Leonie Laurent Brit Beatrice Manuela Barbara Meret<br />

Barbara Martin Helga Martina Meret Lukas Oliver Yvonne Cathlyn Manuela Beatrix Marta Sarah Christine Ivana Monique Natalia Ermanno Manuela<br />

Marita Lars Biagio Sandie Sandie Charley Paolo Paolo Jurriaan Paul Michele Debora Daniela Tania Sheila Catherine Sabine Hans-Jürg Erika Denise<br />

Micha Rahel Margaretha Peter Seraina Nathalie Peter Paolo Anna M. Livia Christa Dorothee Adrian und Anna-Viola Alexandra Susanne & Piero Anja<br />

Rosmarie Sylvia Stefan Till Elisabetta Susi Roger Elisabeth Eva heidi Regula Remigius Barbara Remigius Barbara Daniel Tim Susanne Susanne<br />

Arthur Christine Jonas Katrin stefanie Thomas Sven Cornelia Norbert Sylvia Roger Christoph Verena Joachim Nicolas Patrick Nadine Bruno Elisabeth<br />

judith nabil Ziad Uwe Sibylle Sibylle Michèle Claudia Daniel Cenk Michael Rita Rita Ursula Simon Michael Simone Inna Monika René Peter Armin<br />

Christian Andreas Miriam Peter Pia Hansjörg Rainer Lukas Tobias Beat Richard Josef Sandra Beatrice Stephan Aleksandr Anita Beatrice Stevie<br />

Gabriela Concetta Daniel Ina Peter Peter Marc Luzia Thomas Hugo Susanne Kessy Béatrice Astrid Jeannette David Niklaus Josua Andrea Sonja<br />

Kurt Erich Claudia Andreas Fabian Ursina Jürg Andreas Manuel Beatrice Brigitta Sue Bernhard Marianne Tancredi Simona Olivier Lukas Dina<br />

Jeannette miriam Barbara carmen Beatrice Edith Attila Heidi Rainer Bea Kurt Luisa Ginette Franziska Claudia Gioi Gioi Manuela brigitta Anna Jean<br />

Pierre Karen Andreas Karen Beermann Susanne Werner Anneke Meret Fritz ste Ste Ella Pierrine Mark Emanuel Barbara René Jutta Gaby Ramon<br />

Jörg Sylvia Nicola Philippe Katharina Felix KATHRIN Margrit Margrit Anna Uwe Urs Urs Felicitas Britta Monica Monica ursina Lena Lena Susy<br />

Madeleine Sylke Riekje Helge E. Pascal Ruth Bernhard Daniela Felix Christian Rahel Dominik Patrick Andreas Leonie Lukas Ursula Elisabeth Thomas<br />

Christoph Lucia Martin Anja Sandra anja Gert Dieter Dieter Gabi Andrea Christa Alexander Ada Whitney Dorothee Georg Lukas Peter Lukas Premton<br />

Hanspeter Sven Stefan Annie Dominik Thomas Stefan Stefan Susanna Johannes Fred Silvia Marcel Jean-Michel Johanna Lotti Ursa isabelle Marianne<br />

Johanna Brigitte Eva Ann-Kathrin Désirée Andreas Robert Christian Adrian Susann Robert Walter Claudia Lorenz Walter Hirschi Susan N Monica<br />

Claudine Agnes Karin Hans-Georg Daniel Anke-Peggy Marianne Sylvie Dorothee Dorothee Judith Jonas Patrick Peter Thomas eva Seraina Heidi<br />

Klaus Ba. Laura Sarah Benjamin Elisabeth Roland Elisabeth Daniel Charles Dieter Daniel Angela Rino Andreas möchte Jasmin Lukas Emel Melanie<br />

Johannes Urs Rolf Serge Michelle Beatrice Valentin Valentin Bettina Stefan Sabine Katharina Katharina Sandra Tobias Andreas Pilvi Janina Beat<br />

Yvonne Florian Hannah Howald Matthias Aline Jürg Roger Marcel Fritz Basil Wendy Nils Beatrice Olivier Anouk Nicolas Cédric Philipp Urs Philippe<br />

Jonas Febin Alexandra Stefan René Georgina Marianne Martin Franky Zoë Beda Katherina David Urs Mika Karin Michelle Jakob Cornelia Fabian<br />

Christine Marc Esther Christian Till Christine remo Christine Beat Silja Annina Stefan Jutta Beatrice Rebekka Mirko Johannes Valentin Corinne Ainca<br />

René Thomas Madeleine Steffi Michael David Alex Till Martina Christiane Valentin Linda Antonius Anet Seraina Ariane Claudia Maurus Adrian Elodie<br />

Linda Adil Gaby Sebastian Elisabeth Sonja Ismail Johannes Eleni Philippe Daniel Eva Bernie Marc Otto Christine Iris Iris Kerstin Kasimir Toya Jana<br />

Simone Uta Brigitt Uwe Johanna Samuel Thomas Markus Barbara Sabine Dagobert Meltem Anne Michelle sarah Jana Jana Michael Simon Katharina<br />

Marcel Bruno Esther Franziska Gabriele stephanie Leonie Sven Ueli Sophie Kia Urs Stine Maria Isabelle iris iris Iris Franz-Xaver Simone Robert Peter<br />

salome Franz Manuel Gertrud Tatjana Kerstin<br />

Mireille Claire Sarah Gabrielle Joelle Nemo Nemo<br />

Joanna Beat Emmanuelle Petra Stephan Mia Herzlichen Dank Oliver Rahel Cedric Ulrike Irene Myra Rory Gabi<br />

Rosemarie Gabi Ramiro Fränzi<br />

Paul Lilian Jelena Urs Ulrike<br />

Seraina Katharina Kathrin allen unseren Unterstützer*innen Mattia Dominik Joseph David<br />

Bernadette annemarie Tosca<br />

Tanja Eleonora Hannah Lisa<br />

Lisa Hugues Gabriele Michael H. Ina Georg Silvana Sibylle Amelie<br />

Dorothy Sasha Tamara Mechthild Terry Selina TOM Michel Cornelia<br />

Thomas Andreas Noemi Pia Yannette Esther Dominik Bettina<br />

Val Fritz Simon Beatrice Stefan Louise David Astrid Verena<br />

Schaffner Maja Rainer Silvia Regina Sandro Adrian Claudia<br />

Isabel Simone Luciano Luciano Monika Dominic Anja Heidrun<br />

Oliver Melanie Ursula Christian Maria elisabeth Katja Mala<br />

Melanie Y. Irena Christoph Peter Daniel Carole Carole Christian<br />

Remo boris Gerlind Daniel Ralf sibylla Leonhard Veronika<br />

Lutz Isabel Urs Lukas Christian Urs Isabelle Urs Rita Marco<br />

Julia Sandra Martin Joël Sarah Carin Cordula Salome Christophe<br />

Irene Melanie Simone Sabrina Sascha Chloé Melanie johanna<br />

Linus Luca Cordula kathrin Christian Andres Didier christine<br />

Peter Tilman Sanja Roland Brigitte Barbara Jérôme Jean-Luc<br />

Sebastian Yasmine Christian Christoph Solveig Alain Angelika<br />

Marcel Peter Michael Pascal Raphael Benedikt annemarie Anja<br />

Anja Viviane Rudolf Alessandra Pauline JOPO ina Helena Sonja<br />

Justine Hanspeter Kandid Karin Therese Timo Christian & Beatrice<br />

Sarah Eveline Andreas Monika Nicole Rolf Lisa Gertrud Béatrice<br />

Regina Christina Andrea Susanne Andreas Caroline Andreas<br />

Brigitte&Beat Stefan Gabriela Catherine Rudolf Silvan Roman Ursula Dieter georg marlis & georg Peter Theo Daniel Elisabeth Peter Seline<br />

Katharina Jeannine Lucienne Regula Viviane Stiftung Christian Naomi Lynn Fanny Alex Matthias ursula Luea Luea Ian liliane Gavin Hans Martin<br />

Nicole Nicole Nadine Christian Paul Olav Fabienne Lukas Annette Miriam Nicolas Katharina isabelle anja Anita Adrian Evelyn Jessica Martin Martin<br />

Ernst Kaspar Irene Philipp annette Carolina Pamela Anita Stefen Christa Manuel Corinne Isabell Nino Markus Lea Wanda Karin Christian Charlotta<br />

Nicolas Tom Severine Balthasar Claudia Séverine Sabine Catherine ines Nathalie Sylvia Marianne Herbert Florin christian Thomas Linda Karin Marina<br />

Jana Jörn Andrea Flavia Hans-Peter Sandra Eliane Eva Ursula Karin Gabriel Gabriel Simone nadia Lela Mark Alexander Katrin Tobias Adrian Janka<br />

Hans Peter+Susann Wencke Sabina Sophie Hans Benjamin Marco Anita Wencke Hans Basil Fabian Roland Inez martin Kathrin Urs Willy Urs Peter<br />

Vera Jenni Marco Sabine Philipp Gabi Noëmi Rahel Gabi Maria Elwira Ramona Lisa Lisa Eva Eva Annegret Christoph Christoph Christoph Julia<br />

Markus Tilmann Pascale Thorsten Ladina Jan Annelies Philipp Carla Neele rose Raphael Andreas stefan laura Kerstin Laura Mara Paul Julia Rosmarie<br />

Christoph Christoph Christoph Jasmine Franziska Marvin Christophe Liliana Maria Christopher Mariama Felicitas Ruedi Ueli Vreni Jürg Milena Ute<br />

Tobias Claudia Andrew Cécile Dani Johannes Adrian Susanne Bruno Rick Claudius Tanja Sven Dario Cécile Jolanda Yuri Ruedi Dominique Irène<br />

Sven Monika Lotty Birgit Nives Monica Thomas Theodor Andreas Christina Michaela Patrick Urs Lukas Andreas Béatrice Claudia Julian Philipp<br />

Sabrina Lou Peter Peter Maja Maya E Maya E Jasmin Katharina Yvonne Tanja Catherine Michael Emma-Louise ursula Samuel Walter Pia Hans mike<br />

Barbara Gertrud Marie-Thérèse Anja Catherine RUDOLF Ljubisa Pan Barbara Sandra Laurent Verena Verena Gregor Fabian Cristina Christian Irena<br />

Katharina Monika Stefan Cyril Eva Cristine Roland Guido Cyrill Guido Vera Peter Peter Daniel Susanne Katharina Jan Lucien Florian Kerstin Mireille<br />

florian Kaspar Noemi Maneva Lena Lena Susann Cornelia Oli andreas Olga Simon Cheryl Franziska Pascale Priska Fabian Hans-Peter Thomas Larissa<br />

Anika Meret Luisa Christine Kathrin Kathrin Kathrin André Arno E Arno E Stefan Doris Regula Frank Christina Heini Franziska Stefan Anne kathrin<br />

Esther Marc Niggi Flavio Céleste Céleste Magdalena Beatrice Zoe Julia Matthias Thomas Annette Annette Cathérine Tanja Hannes Dagmar Lea<br />

Marc Karin Veronika Ines Oliver Laurent Dieter Renate Jörg Markus Roman Roman Olivier Alexandra Matthias Hansi Dagmar Urs Gabriela Elisabeth<br />

Ursi Belinda Christian Hannes Stephanie Barbara Rita Sofia Christian Karin Dietmar Lisanne Sabine Christian Sabine Richard Mimi Didi Anja Christian<br />

Matylda Heidi Kathrin Rene Dagmar Susanne Lisa Astrid Miriam Esther Pierre Katerina Dennis Nora Ruth Markus Willy Juliana Christian Fleur<br />

Thomas Agnes Peter Felix martin Noureddine Kerstin Erika Jacqueline Theres Elias Andreas Felix Jörg Oliver Christoph Monika Charlotte Konrad<br />

Claude Gunhild silvia silvia Nina Jane Jane Jane agnes ivo Chantal Simone Andy Noëmi Evelyn Rosemarie Olivier Gabi Liana Christa Diana Lucie<br />

Pascal Christine Matthias Anja Natasha Christina Pierrette Franziska Jill Susanne Susann Mara Lutz Madeleine Daniel Daniel Rudolf Irene Gabriela<br />

Esther Christa Franziska Christian Tonja Sus Christoph Nadine Carmen Isabelle Peter Leonhard Bruno und Fiorina Mustafa Brigitte Sara Elsbeth<br />

Stephan André Evelyn Armando Markus Laurent Johanna Roland Rosmarie Agathe Jean-Marc Thomas Bernhard Thomas Jakob Armin Charlotte<br />

und Ruedi Christine Annette Albrecht Eva Claudia David Claude Ruth Nathalie Leonhard Steffi Margot Sandra Annamaria Mirjam Michael Lars Kevin<br />

Michaela Claude Andreas Joshy Bruno Piero und Susanne Willy Willi Elvira Stephan Thomas Max Dagmar Markuss Uwe Thomas und Barbara Willy<br />

Silvia Markus Stevie Beat Claude-Maurice Christine Johannes Walter Hanspeter Christoph und Barbara Claudia und Rainer Franziska Susanne Felix<br />

Benno Thomas Irmgard Thomas Denise Ruth Anette Adrian Lukas Matthias Rudolf Beate Sandro Karin Cornelia Roslind Marianne Désirée Sabrine<br />

Barbara Giorgio Brigitte Stunitz Brigitte Volkmar Felix Patrick und Claudia Claudio Lony Thomas Klaus Esther Rino Gabriela Anita Barbara Gerhard<br />

Alfred Hanspeter Peter Claude Beat Wendy Felicitas Sandra Ruth Sandra Claudia Bergita hrista Martin Barbara Dominique Martin Alois Theres Eva<br />

Hans-Peter Georg Walter Lumir Dagobert Jana Walter Urs Martin Elfie Agnès Roland Charlotte Marianne Ueli Patrick Christopf Denise Daniel<br />

Christoph Michael Elsbeth Monica Andreas Enrica Alba Livia Ruth Denise Heidi Daniel Andre + Irene Bruno Sigurd Heinz Antoinette Paul Michaela<br />

& Ivan Pascal Claudia Pierre Silvia Pauline Annemarie Kandid Georges Andrea Willi und Catherine Miriam Stephanie Dieter Heidi Lilo Martina Aeneas<br />

Thaddaeus Bastian Alfred Erik Oscar Samuel Silvia Peter Roland Patrizia Heidi Patricia Bettina Trudi Marcel Robert Hans Flavio Cecile Wolfgang<br />

Appenzeller Sascha Theodor Sandra Lydia Linda Peter Marianne Markus Claudia Andreas Balazs und Evelyne Simon Verena David Pascal Stefan<br />

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