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Bajour Magazin #1

Unsere journalistischen Perlen des ersten Jahres zusammengefasst in einem Magazin.

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Blingbling #not<br />

Was passiert mit dem Bettel-Geld?<br />

«Mir haben sie sogar mein Geld aus Rumänien<br />

abgenommen, 1852 rumänische Lei», ruft Cousin<br />

Traian dazwischen, der zur Gruppe dazustösst. Er<br />

zeigt uns einen grünen Zettel, der mit «Kaution»<br />

betitelt ist und belegt, dass die Polizei Traians<br />

Geld eingezogen hat – rund 400 Franken.<br />

Was geschieht mit diesem Geld? Laut der Polizei<br />

ist «Kaution» Geld, das zusätzlich zum womöglich<br />

illegal – also bandenmässig – erbettelten Geld eingezogen<br />

werden kann, «damit die zu erwartende<br />

Busse gedeckt ist», wenn die betroffene Person<br />

keinen Wohnsitz in der Schweiz hat.<br />

Auch das erbettelte Geld werde sichergestellt und<br />

bis zum rechtskräftigen Entscheid verwahrt, so<br />

Yerguz. Wenn dann ein Entscheid vorliegt, werde<br />

das Geld «je nach Entscheid eingezogen oder<br />

wieder ausgehändigt».<br />

Wie das legal erbettelte und eingezogene Geld<br />

bei Freispruch wieder an die Betroffenen zurückkommt,<br />

dazu macht die Polizei keine Angaben.<br />

Die Zuständigkeit liege bei der Staatsanwaltschaft,<br />

heisst es. ●<br />

<strong>Bajour</strong> sucht den<br />

Bettelboss<br />

Seit Wochen sorgen Bettler*innen aus Rumänien für rote Köpfe<br />

in Basel. Es handle sich dabei um verbotene Banden, heisst es<br />

von allen Seiten. Wir haben uns auf die Suche nach mafiösen<br />

Strukturen gemacht. Stattdessen fanden wir eine Grossfamilie.<br />

▼ Nicht nur erbetteltes Geld, sondern auch eine «Kaution» wird eingezogen. Bei<br />

manchen polizeilichen Quittungen fehlt das Datum. (Foto: Roland Schmid)<br />

▲ Sieh an, eine Familie. Der ganz rechts heisst Ludovic. (Foto: Roland Schmid)<br />

Adelina Gashi<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020<br />

Marian* steht in der Freien Strasse, einen Pappbecher<br />

in der Hand, und spricht Passant*innen<br />

an. Zaghaft, als wäre er sich nicht sicher, ob er<br />

sich wirklich traut. «Bitte, haben Sie ein bisschen<br />

Geld? Ich habe kein Essen.» Mit dem anderen Arm<br />

stützt er sich auf eine Krücke. Ein junger Mann<br />

wirft ihm im Vorbeilaufen ein paar Rappen in den<br />

Becher. Vier Franken hat Marian bisher zusammen.<br />

Es ist 14 Uhr.<br />

Langsam läuft Marian die Strasse hoch und runter,<br />

das rechte Bein zieht er hinter sich her. Er ist 31<br />

Jahre alt, aber das Leben hat bereits Spuren in<br />

seinem Gesicht hinterlassen. Der Bart ist dicht,<br />

aus dem weissen Haar lugen ein paar schwarze<br />

Strähnen hervor. In einer Seitengasse setzt er<br />

sich auf einen Schaufenstervorsprung. «Mein Bein<br />

schmerzt, wenn ich zu lange stehe», sagt Marian.<br />

Aber Betteln im Stehen bringt mehr.<br />

Osteuropäische Banden in Basel?<br />

Marian ist alleine hier in Basel, bettelt auch alleine,<br />

wie er sagt: «Ich mache es für meine Kinder.»<br />

Nach einigem Zögern erzählt er uns seine<br />

Geschichte von Schicksalsschlägen und Armut,<br />

-10- -11-<br />

von seiner Frau, die gestorben ist, seinen Söhnen,<br />

die es einmal besser haben sollen als er:<br />

«Die Buben sind daheim in Rumänien, bei den<br />

Schwiegereltern.» Auch Marian wohnt dort, eine<br />

eigene Wohnung kann er sich nicht leisten. In<br />

diesen Tagen verbringt er die Nächte in einem<br />

Zelt im Wald in der Nähe der Schweizer Grenze:<br />

«Das macht mir nichts aus.»<br />

Marian hat keine Ahnung, dass Rumän*innen wie<br />

er seit Wochen in Basel für Schlagzeilen sorgen.<br />

«Markante Zunahme von Bettlern in der Stadt»,<br />

titelte zunächst «Prime News». Ähnlich klingt es<br />

bei der «Basler Zeitung» und der bz. Tatsächlich<br />

sind Bettler*innen plötzlich überall in der Stadt<br />

anzutreffen. Der mutmassliche Grund: Die Lockerung<br />

des Bettelverbots, die am 1. Juli in Kraft<br />

getreten ist. Seither ist es erlaubt, zu betteln.<br />

Allerdings nicht für organisierte Banden, ihnen<br />

ist das Betteln weiterhin untersagt. Und das ist<br />

der Knackpunkt: Bürgerliche Politiker von CVP,<br />

LDP, FDP bis SVP sind sich einig, dass hinter den<br />

vielen Bettler*innen in der Stadt organisierte<br />

Banden stecken müssen.<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#1</strong> | 2020

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