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Bajour Magazin #2

Unsere journalistischen Perlen des letzten Jahres zusammengefasst in einem Magazin.

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Gärngschee macht glücklich<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021<br />

«Das ist voll der<br />

Hammer!»<br />

Der <strong>Bajour</strong>-Community ist es gelungen, Kinderaugen<br />

zum Leuchten zu bringen. In nur wenigen Tagen<br />

wurden 12’000 Franken gespendet – genug, um 150<br />

armutsbetroffenen Familien den Mäss-Besuch zu versüssen.<br />

Valerie Zaslawski<br />

«Die Herbstmesse ist eine freudige Sache. Nur<br />

nicht für Familien mit knappem Budget. Für sie<br />

sind leuchtende Bahnen, duftende Mandeln und<br />

der Ballonverkäufer wie eine Ohrfeige. Das alles<br />

können sich andere leisten, du nicht.»<br />

Das schrieben wir einen Tag vor Mäss-Beginn<br />

im Basel Briefing – und riefen die Leser*innen<br />

zur Spende auf. Und die Rückmeldung war fantastisch!<br />

Innerhalb weniger Tage sind 12’000<br />

Franken zusammengekommen. Damit konnten<br />

die freiwilligen Helfer*innen der «Gärngschee»-<br />

Community Mäss-Päggli à 80 Franken für 150<br />

armutsbetroffene Familien packen.<br />

In den Papiertüten findet sich so allerlei, auch<br />

Gutscheine für eine grosse Zuckerwatte sowie<br />

zwei Würste nach Wahl, verschiedene Jetons<br />

für Bahnen und Bargeld, also «en Mäss-Batze<br />

zem Verbutze». Oder in Zahlen insgesamt: 30<br />

Kilogramm gebrannte Mandeln, 15 Kilogramm<br />

Raamdääfeli, 37,5 Kilogramm Maagebroot und<br />

300 Mässmogge.<br />

Gärngschee-Heldinnen Sandie und Tijana waren<br />

von Mässstand zu Mässstand gezogen,<br />

um den Inhalt für die Päggli zu sammeln. Die<br />

Idee ist bei den Schausteller*innen so gut angekommen,<br />

dass sie von sich aus Rabatte anboten<br />

und teilweise nur den halben Preis für<br />

die Bahnen-Jetons und für Mässsüssigkeiten<br />

verlangten. Und das, obwohl gerade die Standbetreiber*innen<br />

auch keine einfache Zeit hinter<br />

sich haben. Vielen Dank dafür!<br />

Das Ziel ist erreicht: Als am ersten Mäss-Mittwoch<br />

um 16 Uhr die Türen des <strong>Bajour</strong>-Büros<br />

öffnen, um die Ware unter die Leute zu bringen,<br />

leuchten die Kinderaugen um die Wette. Der<br />

Ansturm ist enorm, vor dem Büro hat sich eine<br />

lange Schlange gebildet. «Von aussen sah das<br />

Päckli nach nichts aus, deswegen haben viele<br />

am Anfang nicht reagiert», erzählt Gärngschee-<br />

Tätschmeisterin Sandie. Die Freude war dann<br />

später umso grösser: «Die meisten haben hinterher<br />

angerufen oder geschrieben. Eine hat<br />

angerufen und geweint.» Viele können nicht<br />

fassen, so ein grosszügiges Geschenk für sich<br />

und ihre Familie zu bekommen.<br />

Damit nur die beschenkt werden, die es sehr<br />

schwer haben und sich einen Mäss-Besuch<br />

ansonsten nicht leisten könnten, mussten die<br />

Familien eine Caritas- oder Familienpass-plus-<br />

Karte vorzeigen.<br />

«Wie sagt man?», fragt eine Mutter ihre Kids,<br />

die vor Neugierde fast in den Papiertüten zu<br />

verschwinden drohen. «Danke!», ertönt es<br />

freudig, bevor sie wieder hinaus in die Herbstsonne<br />

hüpfen.<br />

Sabrina (25), die mit ihrer Tochter Kenza (7)<br />

in der Schlange steht, erzählt, wie schwierig<br />

es für sie sei, ihren Kindern mit einem kleinen<br />

Einkommen einen Messebesuch zu ermöglichen:<br />

«Für die Kinder ist die Herbstmesse ein<br />

grosser Event!» Die Kleine dreht ihre braunen<br />

Locken zurecht. Auf was sie sich am meisten<br />

freut? «Die Zuckerwatte», sagt sie wie aus der<br />

Pistole geschossen.<br />

Auch Sandra bricht es fast das Herz, wenn ihr<br />

zehnjähriger Sohn Samuel von der Schule nach<br />

Hause kommt und klagt, alle anderen Kinder<br />

dürften zur Messe, nur er nicht. Sie zieht sich ihre<br />

Maske weit über die Nase, ihre Augen werden<br />

glasig. Sie habe mit ihm dann am Abend, da die<br />

Lichter so schön funkelten, eine kleine Runde<br />

gemacht, die Getränke aber von zu Hause mitgenommen.<br />

Nun steht den beiden ein richtiger<br />

Messebesuch bevor, mit allem Drum und Dran.<br />

Ähnlich geht es Fabienne. Die 42-Jährige erzählt,<br />

sie habe kürzlich aus dem Küchenfenster<br />

geschaut, als die Nachbarskinder mit Messe-<br />

Ballons nach Hause gekommen seien. Sie, die<br />

derzeit von der Sozialhilfe unterstützt wird,<br />

wünschte sich, dass auch ihr siebenjähriger<br />

Sohn Joshua wieder einmal etwas Schönes<br />

erleben dürfe.<br />

Und das darf er an diesem Oktobertag: Nach<br />

der Übergabe des Mäss-Päggli begleiten wir die<br />

beiden auf das Kasernenareal. In der Luft liegt<br />

der Duft von Zuckerwatte und geschmolzenem<br />

Käse. Joshua zupft seine Mama aufgeregt an<br />

der Daunenjacke. Jede Zelle seines Körpers ist<br />

vorfreudig, so scheint es.<br />

Joshua möchte Büchsen werfen, denn darin<br />

sei er besonders gut. Am Ende gibt es einen<br />

Trostpreis, immerhin. Auf dem Crazy Clown<br />

kreischt der Kleine, was das Zeug hält – «wie<br />

ein Mädchen», sagt die Mama. Und er verteidigt<br />

sich: «Ich habe halt auch Angst.» Die Freude<br />

überwiegt, nur leider viel zu kurz. Drei Runden<br />

später kommt das Tatzelwurm-ähnliche Gefährt<br />

auch schon wieder zum Halten.<br />

↑ Sabrina und Tochter Kenza mit ihrem Mäss-Päggli. (Foto: Valerie Zaslawski)<br />

60 61<br />

Nach dem anschliessenden Hindernislauf im<br />

Crazy Hotel ist Joshua ausser sich: «Das ist<br />

voll der Hammer!»<br />

Die Zeit rennt, die Jetons schwinden. Dem<br />

Siebenjährigen ist die Freude immer noch ins<br />

Gesicht geschrieben. Diesen Mäss-Besuch wird<br />

er wohl nicht so schnell vergessen. Und seine<br />

Mutter auch nicht.<br />

Zurück im <strong>Bajour</strong>-Büro. Die Schlange hat sich<br />

aufgelöst, die Päggli sind verteilt. Die Helfer*innen<br />

rauchen verdient ihre Feierabendzigarette,<br />

als eine Mutter nochmals zurückkommt. Auf<br />

dem Arm hält sie ihre aufgelöste Tochter. Ob<br />

ein Schnuller gefunden worden sei, möchte sie<br />

wissen. Leider nein.<br />

Ein neuer muss her, unbedingt, sofort! So gibt<br />

es statt Magenbrot halt einen neuen Nuggi, dem<br />

«Mäss-Batze zum Verbutze» sei Dank.<br />

↑ Daumen hoch: Der Crazy Clown hat Spass gemacht. (Foto: Valerie Zaslawski)<br />

<strong>Bajour</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>#2</strong> | 2021

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