BOKU Magazin 4/2021
3 Editorial 4 Interview Rektor Hubert Hasenauer 8 Lignin, ein wertvolle Rohstoff 11 Neue Holzbauwerkstoff 14 Materialien aus Zuckerrüben und Stroh 16 Funktionelle Cellulose-Nanofibrillen 18 Holz im Fahrzeugbau 20 Materialien aus biogenen Reststoffen 23 „Super-Antikörper“ für Nasensprays 24 Sind wir bereit für Laborfleisch? 25 „SolarCircle“: Neue PV-Materialien 26 Porträt Fabian Pfrengle 30 Interview Julia Zotter 32 Katastrophen sind wie eine Lupe 34 Mikroplastik-Emissionen durch Reifenabrieb 36 ICA Rectors and Deans Forum 2021 37 Bundespräsident besuchte BOKU 38 Kolumne Gender & Diversity 40 Splitter 42 Forschung-FAQ 43 Eröffnungsfeier BOKU:BASE 44 Strategische Kooperation Umweltbundesamt 50 Affiliation Policy
3 Editorial
4 Interview Rektor Hubert Hasenauer
8 Lignin, ein wertvolle Rohstoff
11 Neue Holzbauwerkstoff
14 Materialien aus Zuckerrüben und Stroh
16 Funktionelle Cellulose-Nanofibrillen
18 Holz im Fahrzeugbau
20 Materialien aus biogenen Reststoffen
23 „Super-Antikörper“ für Nasensprays
24 Sind wir bereit für Laborfleisch?
25 „SolarCircle“: Neue PV-Materialien
26 Porträt Fabian Pfrengle
30 Interview Julia Zotter
32 Katastrophen sind wie eine Lupe
34 Mikroplastik-Emissionen durch Reifenabrieb
36 ICA Rectors and Deans Forum 2021
37 Bundespräsident besuchte BOKU
38 Kolumne Gender & Diversity
40 Splitter
42 Forschung-FAQ
43 Eröffnungsfeier BOKU:BASE
44 Strategische Kooperation Umweltbundesamt
50 Affiliation Policy
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<strong>BOKU</strong><br />
DAS MAGAZIN DER UNIVERSITÄT DES LEBENS<br />
Nr. 4 | Dezember <strong>2021</strong><br />
ISSN: 2224-7416<br />
GUTER STOFF<br />
Materialien, aus denen<br />
die Zukunft besteht<br />
HOLZ: ALTER<br />
WERKSTOFF, NEUE<br />
ANWENDUNGEN<br />
INTERVIEW<br />
REKTOR<br />
HASENAUER<br />
LIGNIN:<br />
VOM ABFALLPRODUKT<br />
ZUM MULTITALENT
INHALT<br />
3 Editorial<br />
4 Interview Rektor Hubert Hasenauer<br />
8 Lignin, ein wertvolle Rohstoff<br />
11 Neue Holzbauwerkstoff<br />
14 Materialien aus Zuckerrüben und<br />
Stroh<br />
16 Funktionelle Cellulose-Nanofibrillen<br />
8<br />
18 Holz im Fahrzeugbau<br />
20 Materialien aus biogenen Reststoffen<br />
23 „Super-Antikörper“ für Nasensprays<br />
24 Sind wir bereit für Laborfleisch?<br />
25 „SolarCircle“: Neue PV-Materialien<br />
26 Porträt Fabian Pfrengle<br />
30 Interview Julia Zotter<br />
32 Katastrophen sind wie eine Lupe<br />
Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong><br />
11<br />
14<br />
Zotter Schokolade Shutterstock<br />
34 Mikroplastik-Emissionen durch<br />
Reifenabrieb<br />
36 ICA Rectors and Deans Forum <strong>2021</strong><br />
37 Bundespräsident besuchte <strong>BOKU</strong><br />
38 Kolumne Gender & Diversity<br />
23 30<br />
40 Splitter<br />
42 Forschung-FAQ<br />
Bernhard Gröger<br />
43 Eröffnungsfeier <strong>BOKU</strong>:BASE<br />
44 Strategische Kooperation<br />
<strong>BOKU</strong>-Umweltbundesamt<br />
50 Affiliation Policy<br />
44
EDITORIAL<br />
Georg Wilke<br />
O WERKSTOFFENTWICKLUNG IM DIENST<br />
VON NACHHALTIGKEIT UND KLIMASCHUTZ<br />
HUBERT HASENAUER<br />
Rektor<br />
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!<br />
Liebe Studierende!<br />
Der Bausektor ist einer der wesentlichsten Verursacher<br />
von Treibhausgasen. Allein die Herstellung von Zement<br />
verursacht 7-8 % der weltweiten CO 2<br />
-Emissionen. Zusammen<br />
mit anderen energieintensiven Werkstoffen wie Stahl,<br />
Ziegel sowie dem Transportanteil verursacht die Bauwirtschaft<br />
bis zu 45 % des weltweiten CO 2<br />
-Ausstoßes.<br />
Eine Möglichkeit, diesen enormen CO 2<br />
-Ausstoß zu verringern<br />
ist die innovative Verwendung nachwachsender Rohstoffe wie<br />
etwa Holz, das in großen Mengen zur Verfügung steht. Ein<br />
Kubikmeter Holz aus nachhaltiger Waldwirtschaft entzieht<br />
der Atmosphäre etwa eine Tonne CO 2<br />
und – was besonders<br />
wichtig – Holz wächst in unseren Wäldern nach. Man könnte<br />
also ein Holzhaus wie ein Kohlenstofflager verstehen, dass die<br />
CO 2<br />
-Emissionen des Bausektors substituiert.<br />
Auch im Autobau kommt Holz als Holzhybrid-Komponente<br />
mit Kunststoffen und Metallen vermehrt zum Einsatz. Dafür<br />
ist es notwendig, die Holzeigenschaften besser zu verstehen<br />
was durch Computersimulationen ermöglicht wird. Eine besonders<br />
interessante Entwicklung ist die Verwendung von<br />
Lignin, einem Abfallprodukt der Zelluloseproduktion, dass zu<br />
umweltfreundlichen Klebstoffen, Bindemitteln und biologisch<br />
abbaubare Beschichtungen verwendet werden kann.<br />
Neue Materialien aus nicht-forstlicher Pflanzenbiomasse<br />
schaffen zusätzliche Wertschöpfungen für die Landwirtschaft<br />
und die Lebensmittelindustrie. Beispiele dafür sind Dämmstoff<br />
aus Zuckerrüben oder die Verdichtung von Weizenstroh, dass<br />
etwa die doppelte Festigkeit von Fichtenholz hat. Entwicklungen<br />
basierend auf Cellulose-Nanofibrillen zeigen, welch<br />
großen Rohstoffpotential die Natur zur Herstellung von Hochleistungsmaterialien<br />
bietet.<br />
In dieser Ausgabe dürfen wir Ihnen zum Thema „Materialien<br />
der Zukunft“ neue Werkstoffentwicklungen unsere <strong>BOKU</strong><br />
Wissenschaftler*innen im Dienst der Nachhaltigkeit und des<br />
Klimaschutzes vorstellen. Die Werkstoffforschung an der<br />
<strong>BOKU</strong> hat das Ziel, nachhaltige Wertschöpfungsketten für<br />
eine Kreislaufwirtschaft als Ersatz von fossilen Materialien<br />
und Produkten zu entwickeln. Wir sind davon überzeugt, dass<br />
eine nachhaltige Transformation der Gesellschaft vor allem<br />
durch technische und wirtschaftliche Innovationen erfolgen<br />
wird. Ich danke allen Autor*innen für Ihre Beiträge und hoffe,<br />
dass wir in Zukunft noch von vielen neuen Innovationen<br />
hören werden.<br />
Mit freundlichen Grüßen, Ihr<br />
Univ.Prof. DI Dr. DDr.h.c. Hubert Hasenauer<br />
IMPRESSUM: Medieninhaberin und Herausgeberin: Universität für Bodenkultur Wien (<strong>BOKU</strong>), Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien Chefredaktion: Bettina Fernsebner-<br />
Kokert Redaktion: Hermine Roth Autor*innen: Marco Beaumont, Florian Borgwardt, Sabrina Bischof, Martina Fröhlich, Helmut Gaugitsch, Wolfgang Gindl-Altmutter, Hubert<br />
Hasenauer, Anna-Laetitia Hikl, Johannes Konnerth, Helga Lindinger, Horst Mayr, Ulrich Müller, Maximilian Pramreiter, Georg Sachs, Lisa-Ariadne Schmidt, Ingeborg Sperl,<br />
Rosemarie Stangl, Team <strong>BOKU</strong>:BASE, Stefan Veigel, Rupert Wimmer Grafik: Patricio Handl Cover: Adobe Stock Druck: Druckerei Berger Auflage: 7.500 Erscheinungsweise:<br />
4-mal jährlich Blattlinie: Das <strong>BOKU</strong>-<strong>Magazin</strong> versteht sich als Informationsmedium für Angehörige, Absolvent*innen, Freund*innen der Universität für Bodenkultur Wien<br />
und soll die interne und externe Kommunikation fördern. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autorin<br />
oder des Autors wieder und müssen mit der Auffassung der Redaktion nicht übereinstimmen. Redaktionelle Bearbeitung und<br />
Kürzung von Beiträgen aus Platzgründen vorbehalten. Beiträge senden Sie bitte an: public.relations@boku.ac.at<br />
Bei Adressänderung wenden Sie sich bitte an: alumni@boku.ac.at<br />
UZ24<br />
„Schadstoffarme<br />
Druckerzeugnisse“<br />
UW 734<br />
PEFC/06-39-12<br />
Dieses Produkt<br />
stammt aus nachhaltig<br />
bewirtschafteten<br />
Wäldern und<br />
kontrollierten Quellen<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
3
Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong> IT<br />
„Wir müssen die besten jungen<br />
Köpfe an die <strong>BOKU</strong> holen“<br />
Interview: Bettina Fernsebner-Kokert<br />
Ein Blick zurück nach vorne: Der scheidende Rektor Hubert Hasenauer über seinen<br />
Wechsel von der Wissenschaft ins Management der <strong>BOKU</strong>, deren Innovationskraft<br />
und was er der Uni zu ihrem 150. Geburtstag wünscht.<br />
4 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Was war beim Wechsel von der Wissenschaft ins Management<br />
der <strong>BOKU</strong> für Sie persönlich die größte<br />
Umstellung?<br />
Hasenauer: In einer Verwaltungsposition hat man mit<br />
Themen zu tun, die nicht ins eigene Fachgebiet fallen,<br />
deren Zusammenhänge man aber verstehen muss,<br />
um gute Entscheidungen treffen zu können. Man<br />
muss sich daher gut beraten lassen, um zu erkennen,<br />
wie man diese Themen strukturell gut unterstützen<br />
kann – oder manchmal auch nicht unterstützt, wenn<br />
es in die falsche Richtung gehen würde.<br />
Die Wissenschaft ist eine andere Welt mit einer anderen<br />
Denkweise. Auch der Sprung von einem Institut,<br />
mit 40 bis 50 Mitarbeiter*innen in eine große Einheit<br />
wie die <strong>BOKU</strong> mit fast 2900 Leuten, ist natürlich<br />
nicht zu unterschätzen. Aber die Prinzipien sind hier<br />
wie dort dieselben: Analyse der Sachlage, herauszufinden<br />
und zuhören und dann strukturell das zu<br />
ermöglichen, was wir alle wollen – erfolgreiche Lehre<br />
und Forschung. Geholfen hat mir dabei meine Erfahrung<br />
aus der siebenjährigen Tätigkeit als Senatsvorsitzender,<br />
ich kannte ja bereits vieles an der <strong>BOKU</strong>.<br />
Es ist jedenfalls sehr interessant, das operative Tagesgeschäft<br />
zu erleben und sich dann zu freuen, wenn<br />
man ein schwieriges Problem gelöst hat.<br />
Das heißt, Rektor*innen sind die führenden Projektmanager*innen<br />
einer Universität?<br />
Nein, das wäre zu kurz gedacht, man muss Visionen<br />
haben sowie die Universität nach innen und außen<br />
vertreten. Man muss zuhören und auf die Menschen<br />
und die Details achten, die ja oft den Unterschied<br />
ausmachen. Das erfordert Diskussionen im Ringen<br />
um gute Lösungen, denn täglich sind viele Entscheidungen<br />
zu treffen, die dann das Große und Ganze ergeben.<br />
Hier fair und möglichst richtig zu entscheiden,<br />
ist das, was mir immer wichtig war, und wenn alles gut<br />
ging, auch Freude bereitet hat. Ich hatte ja bereits bei<br />
der Bewerbung meine Vorstellungen zur Entwicklung<br />
der <strong>BOKU</strong> zu formulieren und die habe ich dann mit<br />
meinem Team Schritt für Schritt umgesetzt.<br />
Auf welche Entwicklungen und Weichenstellungen in<br />
Ihrer Amtszeit sind Sie stolz?<br />
Wenn ich jetzt zurückschaue, dann haben wir fast<br />
alles geschafft, was wir uns vorgenommen haben.<br />
Auch wenn es natürlich unvorhergesehene Ereignisse<br />
gab, die Verzögerungen gebracht haben, dafür sind<br />
andere Dinge wieder einfacher gewesen.<br />
Es war uns klar, dass die <strong>BOKU</strong> nach dem starken<br />
Wachstum eine Konsolidierungsphase braucht, vor<br />
allem in den Kerngebieten Forschung und Lehre.<br />
Wir sind ja keine kleine Uni mehr und befinden uns<br />
dadurch in einem ganz anderen Konkurrenzumfeld.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
5
Das bringt mit sich, dass auch die Beobachtung<br />
von außen viel stärker geworden<br />
ist und darauf muss man sich auch als<br />
Institution strukturell vorbereiten – und<br />
auf diesem Weg die Leute mitnehmen.<br />
Die Auswahl von jungen Wissenschaftler*innen<br />
für die sogenannten Laufbahnstellen<br />
war aus meiner Sicht ein<br />
Meilenstein. Wir konnten mit der Neugestaltung<br />
des Auswahlverfahrens neue<br />
Perspektiven schaffen und haben damit<br />
in den letzten drei Jahren 28 höchst qualifizierte<br />
junge Wissenschaftler*innen<br />
angestellt. Für die Zukunft der <strong>BOKU</strong><br />
ist das sehr wichtig, denn wir müssen<br />
es schaffen, die besten jungen Köpfe an<br />
die <strong>BOKU</strong> zu holen. Interessant ist auch<br />
das Geschlechterverhältnis: Mehr als 50<br />
Prozent dieser Stellen konnten mit Frauen<br />
besetzt werden. Das bedeutet auch,<br />
dass es nur eine Frage der Zeit sein wird,<br />
bis wir dann auch bei den Professuren<br />
ein ähnliches Verhältnis haben werden.<br />
Gemessen an den Forschungsleistungen<br />
im Verhältnis zu den Professor*innen ist<br />
die <strong>BOKU</strong> derzeit die forschungsstärkste<br />
heimische Uni, worauf wir mit Recht sehr<br />
stolz sind. Im Sinne des Wissenstransfers<br />
haben wir mit der <strong>BOKU</strong>:BASE einen<br />
guten Grundstein für eine Wissenskette<br />
von der Grundlagenforschung bis hin<br />
zur Ausgründung von Firmen geschaffen.<br />
Das holt die Patente und Entrepreneur*innen<br />
vor den Vorhang, zeigt<br />
die Innovationskraft unserer Uni und löst<br />
auch ein Compliance-Problem.<br />
Weitere Dinge, die gelungen sind, sind der<br />
Aufbau des Zentrums für Bioökonomie,<br />
die Etablierung des Institutes für Entwicklungsforschung<br />
mit der dazugehörigen<br />
Professur, die Core Facilities, die <strong>BOKU</strong>-<br />
Doktorratsschulen sowie ganz wichtig<br />
die personelle Stärkung der Verwaltung<br />
und der Forschung mit einer massiven<br />
Aufstockung des Personals. Wir hatten<br />
mit der Errichtung des <strong>BOKU</strong>-Wasserbaulabors,<br />
das im kommenden Jahr fertig<br />
gestellt wird, mit zirka 30 Millionen Euro<br />
eines des größten Infrastrukturvorhaben.<br />
Die Öffentlichkeitsarbeit wurde neu aufgestellt,<br />
die Satzung überarbeitet sowie<br />
der Gleichstellungsplan fertiggestellt, die<br />
<strong>BOKU</strong> ist wieder zertifiziert worden und<br />
<strong>BOKU</strong> / Jakob Vegh<br />
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler besichtigte<br />
bei ihrem Besuch gemeinsam mit dem<br />
Rektor die Photovoltaikanlage der <strong>BOKU</strong> und<br />
auch Fridays for Future-Mitbegründerin Katharina<br />
Rogenhofer konnte Hubert Hasenauer bei<br />
sich begrüßen. Immer mit dabei und ein Star auf<br />
Social Media: Rektorshündin Molly.<br />
die Vorbereitung auf die 150-Jahr-Feier<br />
laufen auf Hochtouren.<br />
Was würden Sie aus heutiger Sicht anders<br />
machen?<br />
Ich würde die Dinge wieder so machen.<br />
Mit dem Amtsantritt am 1. Feb. 2018 war<br />
innerhalb von weniger als zwei Monaten<br />
die Leistungsvereinbarung 2019-<strong>2021</strong> zu<br />
erstellen sowie das Auswahlverfahren für<br />
die Laufbahnstellen aufzusetzen. Auch<br />
die Frage, wie wir mit der budgetären<br />
Situation aufgrund der Umstellung der<br />
Finanzierung und dem neuen Kennzahlensystem<br />
umgehen, war für uns neu. Ergebnis<br />
war, dass die <strong>BOKU</strong> finanziell neu<br />
aufgestellt werden musste. Wir haben<br />
gemeinsam mit den Gremien und Kolleg*innen<br />
einen neuen Entwicklungsplan<br />
erarbeitet. Im heurigen Oktober haben<br />
wir die Leistungsvereinbarungen für die<br />
Jahre 2022 bis 2024 erfolgreich verhandelt<br />
und das alles unter den erschwerten<br />
Bedingungen einer Corona Pandemie.<br />
Was wären die nächsten Schritte?<br />
Einer der nächsten Schritte wäre jetzt,<br />
den Adaptierungsbedarf der Lehre zu<br />
definieren. Die <strong>BOKU</strong> hat neue Fachgebiete<br />
aufgebaut, die noch zu wenig in der<br />
Lehre verankert sind. Weiters ist auch eine<br />
bessere Verteilung der Lehre zwischen<br />
Bachelor und Master anzustreben, um<br />
sowohl didaktisch als auch vom Aufwand<br />
eine gleichmäßigere Verteilung zu erreichen.<br />
Letztlich geht es aber auch um<br />
eine Straffung der bestehenden Studienprogramme,<br />
um so neue Lehrinhalte oder<br />
neue Studienprogramme zu ermöglichen,<br />
denn die anderen Unis bieten zunehmend<br />
auch Lehre und Programme in den <strong>BOKU</strong>-<br />
Kernthemen an. Das wird Auswirkungen<br />
auf die Anzahl der Studierenden und damit<br />
auf die budgetäre Situation der <strong>BOKU</strong><br />
haben. Das Rektorat hat dazu Leitlinien<br />
vorgegeben, die inhaltliche Ausgestaltung<br />
ist aber von den Fachleuten beziehungsweise<br />
vom Senat zu machen.<br />
Die Hälfte Ihrer Zeit als Rektor war von der<br />
Pandemie und der ständigen Anpassung<br />
des Uni-Alltags an die jeweilige Coronalage<br />
geprägt. Was waren dabei die größten<br />
Herausforderungen?<br />
Corona hat uns in der Woche vom 9. März<br />
2020 voll erwischt. Mit dem Krisenstab<br />
haben wir rasch ein gutes Beratungsgremium<br />
für das Rektorat geschaffen<br />
und konnten damit eine breite Akzeptanz<br />
für unsere Beschlüsse erreichen. Unsere<br />
obersten Ziele im Umgang mit der<br />
Pandemie waren immer die Gesundheit<br />
unserer Mitarbeiter*innen und Studierenden<br />
sowie die Planungssicherheit,<br />
um den Lehr- und Forschungsbetrieb<br />
aufrechtzuerhalten. Da braucht man den<br />
Rückhalt der Kolleg*innen und das hat<br />
sich bis jetzt bestens bewährt. In regelmäßigen<br />
Abständen tagt der Krisenstab<br />
und danach werden die Mitarbeiter*innen<br />
und die Studierenden informiert.<br />
Wir wurden zwar für die Planung des<br />
aktuellen Wintersemesters im Oktober<br />
kritisiert, aber es hat sich gezeigt, dass<br />
wir auch hier richtig geplant haben, denn<br />
trotz des neuerlichen Lockdowns müssen<br />
wir in der Organisation der Lehre kaum<br />
Änderungen vornehmen.<br />
Eine negative Überraschung war für<br />
mich, wie sich die Art zu kommuni zieren<br />
6 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
verändert hat. Da war ich, ehrlich gesagt,<br />
schon manchmal sehr getroffen. Ich bin<br />
seit mehr als zehn Jahren in Leitungsgremien<br />
der <strong>BOKU</strong> tätig, zuerst als Senatsvorsitzender,<br />
jetzt als Rektor und kannte<br />
das bisher nicht. Wir hatten immer ein offenes,<br />
sachliches und lösungsorientiertes<br />
Gesprächsklima, das von großer gegenseitiger<br />
Wertschätzung getragen war.<br />
Das hat sich leider verändert, denn wenn<br />
man inhaltlich um eine Sache ringt, ist es<br />
das eine, aber wenn Kommunikation zur<br />
Machtfrage wird, dann wird es schwierig.<br />
Die <strong>BOKU</strong> hat sich international gut positionieren<br />
können.<br />
Eine Uni wie die <strong>BOKU</strong> lebt vom „Export“.<br />
Wir sind hierzulande die einzige<br />
Life Science-Universität und für unseren<br />
Output und die Leistungen unserer Wissenschaftler*innen<br />
ist Österreich fast<br />
zu klein. Daher sind auch viele von uns<br />
international tätig und als Uni muss man<br />
in den internationalen Netzwerken vertreten<br />
sein, um das Branding der <strong>BOKU</strong><br />
forcieren zu können. Da sind uns mit dem<br />
Africa-UniNet, der EBU und mit EPICUR<br />
wirkliche Meilensteine gelungen. Mit<br />
ICA-CASEE, dem Netzwerk von über<br />
50 Life Science-Universitäten, arbeiten<br />
wir gerade an einer Neuausrichtung, um<br />
die Position der Agrar- und Lebensmittelwissenschaften<br />
in Europa zu stärken.<br />
Wenn die <strong>BOKU</strong> eine führende Life Science-Universität<br />
in Europa sein will, muss<br />
sie sich mit den stärksten Partner*innen<br />
zusammentun. Ich denke, das ist uns mit<br />
den neu geschaffenen Netzwerken sehr<br />
gut gelungen.<br />
Wir konnten uns aber auch in Österreich<br />
sehr gut positionieren: Mit dem Nachhaltigkeitsmanifest<br />
der Uniko, an dem<br />
die <strong>BOKU</strong> wesentlich mitgearbeitet hat<br />
sowie mit den Führungsrollen in der Allianz<br />
nachhaltiger Universitäten, in BIOS,<br />
dem DCNA, und im Ökosozialen Forum<br />
sind wir gut aufgestellt.<br />
VIZEREKTOR*INNEN EINSTIMMIG GEWÄHLT<br />
Wenn Maturant*innen Sie fragen, warum<br />
sie an der <strong>BOKU</strong> studieren sollen – was<br />
antworten Sie?<br />
Weil die <strong>BOKU</strong> mit ihren Themen die<br />
aktuellste Uni ist. Wenn die gesellschaftliche<br />
Transformation gelingen soll, dann<br />
wird der notwendige Wandel neben Wissen<br />
auch sehr stark von der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung geprägt werden. Die<br />
Innovationskraft wird dabei im weitesten<br />
Sinn in den Umweltthemen und Umwelttechnologien<br />
liegen, und es wird eine<br />
Frage immer wichtiger werden: wie man<br />
mit Umweltthemen Geld verdienen kann<br />
zum Wohle der Gesellschaft. Für kreative<br />
junge Leute bietet die <strong>BOKU</strong> dafür die<br />
beste Ausbildung.<br />
Würden Sie nochmals hier studieren und<br />
auch wieder Forstwirtschaft?<br />
Ja, auf jeden Fall.<br />
Was wünschen Sie der <strong>BOKU</strong> zum 150.<br />
Geburtstag im kommenden Jahr?<br />
Ich wünsche der <strong>BOKU</strong> zu ihrem runden<br />
Geburtstag, dass sie sich auf ihre Stärken<br />
besinnt. Die Gründer der <strong>BOKU</strong> waren<br />
Univ.Prof. in MMag. a Dr. in<br />
Eva Schulev-Steindl tritt<br />
mit 1. Februar 2022 das<br />
Amt als Rektorin der<br />
Universität für Bodenkultur<br />
Wien an. Am<br />
4. November wählte der<br />
Universitätsrat für die<br />
Funktionsperiode 1. Februar<br />
2022 bis 31. Jänner<br />
2026 einstimmig die Vizerektor*innen.<br />
Der Vorsitzende des Universitätsrats, Dr. Kurt Weinberger, freut sich auf eine<br />
konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem neu gewählten Rektorat:<br />
„Der Universitätsrat wird sich konsequent als Ratgeber, aber auch als Aufsichtsorgan<br />
gegenüber dem gesamten Rektorat einbringen. Ziel des Rektorats und des<br />
Universitätsrats wird es sein, die Universität für Bodenkultur Wien als eine der<br />
führenden Nachhaltigkeitsuniversitäten Europas zu positionieren und die Wettbewerbssituation<br />
der <strong>BOKU</strong> in einem zunehmend globalisierten Umfeld weiter<br />
zu stärken. Das gesamte Rektorat bringt dazu mit exzellenten Persönlichkeiten<br />
beste Voraussetzungen ein.“<br />
Die Vizerektor*innen und ihre Aufgabenbereiche:<br />
Mag. a Nora Sikora-Wentenschuh<br />
Vizerektorin für Finanzen und Infrastruktur<br />
Univ.Prof. Mag.rer.nat. Dr. Christian Obinger<br />
Vizerektor für Forschung und Innovation<br />
Univ.Prof. Dipl.-Geoökol. Dr. Karsten Schulz<br />
Vizerektor für Lehre, Weiterbildung und Studierende<br />
DI Gerhard Mannsberger<br />
Vizerektor für Personal, Organisation und Digitalisierung<br />
1872 sehr weitblickend und haben mit<br />
der Verknüpfung von Ökologie, Technik<br />
sowie den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />
ein theoretisches Konzept zur<br />
Lösung konkreter Fragen geschaffen.<br />
Didaktisch bedeutet das, dass unsere<br />
Studierenden auf die Vernetzung verschiedener<br />
Wissensgebiete geschult,<br />
also interdisziplinär ausgebildet werden.<br />
Genau das brauchen wir auch für die<br />
Zukunft, denn Innovationen entstehen<br />
immer an den Schnittstellen von Wissensgebieten<br />
– und diese Schnittstellen<br />
sind der <strong>BOKU</strong> inhärent und damit Teil<br />
unserer Innovationskraft. Nichtsdestotrotz<br />
darf man die Tiefe der Fachgebiete<br />
nicht verlieren, denn Interdisziplinarität<br />
ist ja kein Selbstzweck. Wenn sich die<br />
<strong>BOKU</strong> das erhält, dann ist ihr Weg noch<br />
lange nicht zu Ende.<br />
•<br />
OKU Öffentlichkeitsarbeit/Sarah Trepte<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
7
<strong>BOKU</strong>/Institut für Umweltbiotechnologie<br />
Abbildung 1: Mittels enzymatischer<br />
Polymerisation soll eine Wertsteigerung<br />
von Lignin erfolgen.<br />
MATERIALIEN<br />
DER ZUKUNFT<br />
Lignin als wertvoller Rohstoff:<br />
Die Weiterverarbeitung von Abfällen der<br />
Industrie zu innovativen Anwendungen<br />
Am Institut für Umweltbiotechnologie werden umweltfreundliche Klebstoffe, Bindemittel und<br />
biologisch abbaubare Beschichtungen für nachhaltige Düngemittel auf Ligninbasis entwickelt.<br />
Von Sabrina Bischof und Renate Weiß<br />
Hart- und Weichholzsorten werden<br />
in aller Welt, so auch in Österreich,<br />
zur Herstellung von Papier und<br />
Zellstoff herangezogen. Dabei wird das<br />
Holz zerkleinert und das Lignin, welches<br />
sich zwischen den begehrten Cellulosefasern<br />
befindet, in einem speziellen<br />
Kocher chemisch herausgelöst. Lignin<br />
ist, nach Cellulose, die zweithäufigste<br />
nachwachsende organische Verbindung<br />
weltweit. Die jährliche Produktion wird<br />
auf mehr als 100 Millionen Tonnen pro<br />
Jahr geschätzt, wobei nur ein geringer<br />
Anteil von weniger als zwei Prozent<br />
wiederverwertet wird, wohingegen der<br />
Großteil zwecks Stromerzeugung lediglich<br />
verbrannt wird.<br />
ENZYMATISCHE POLYMERISATION<br />
Am Institut für Umweltbiotechnologie<br />
des <strong>BOKU</strong> Departments für Agrarbiotechnologie,<br />
IFA Tulln, beschäftigt<br />
sich die Arbeitsgruppe Biomaterial- &<br />
Enzymtechnologie in mehreren Projekten<br />
mit dem Thema Lignin. An der<br />
enzymatischen Polymerisation von Lignin,<br />
um diverse Applikationen zu entwickeln,<br />
wird hier in unterschiedlichsten<br />
Varianten geforscht. Unter der Leitung<br />
von Georg Gübitz und Gibson Stephen<br />
Nyanhongo arbeiten Dissertant*innen<br />
sowie wissenschaftli che Mitarbeiter*innen<br />
in engem Kontakt mit industriellen<br />
Partner*innen an neuen Anwendungsgebieten<br />
im Sektor Lignin-Applikationen<br />
zusammen.<br />
WERTSCHÖPFUNG<br />
So besteht das Ziel des LiZy-Projektes<br />
unter anderem darin, durch den Einsatz<br />
eines enzymatischen Polymerisationsprozesses<br />
(Abbildung 1) eine Wertstei-<br />
8 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
gerung des Lignins zu erreichen und so<br />
wertschöpfende Anwendungen zu entwickeln.<br />
Basierend auf den bisher generierten<br />
Ergebnissen wurden genauere<br />
Untersuchungen der enzymatischen<br />
Koppelungsreaktion zur hydrophoben<br />
Funktionalisierung von Lignin durchgeführt.<br />
Für eine Anwendung von Lignosulfonaten<br />
in Papierbeschichtungen ist<br />
beispielsweise eine Erhöhung der Hydrophobizität<br />
notwendig. Eine Möglichkeit,<br />
das zu erreichen, ist die enzymatische<br />
Modifikation von Lignosulfonaten mit<br />
hydrophoben Molekülen. Der Einsatz von<br />
Fluorophenolen (FP) als Model Substrat<br />
erlaubt eine einfache Detektion des Reaktionserfolges.<br />
„Nachdem die effizientesten Reaktionsbedingungen<br />
gefunden wurden, stellte<br />
sich heraus, dass die modifizierten<br />
Proben eine erhöhte Hydrophobizität<br />
aufweisen und kovalent an Lignosulfonat<br />
gebunden sind, was durch Infrarotspektroskopie<br />
bewiesen wurde. Weiters<br />
ist es uns gelungen, den enzymatischen<br />
Polymerisationsprozess auch auf Kraft<br />
Lignin zu übertragen. Dafür wurde eine<br />
bakterielle Laccase (Abbildung 2) verwendet,<br />
welche von uns selbst isoliert<br />
wurde“, so Sebastian-Alois Mayr, Dissertant<br />
am Institut. 1<br />
ALTERNATIVEN ZU FORMALDEHYD<br />
Mehr als sechs Millionen Tonnen unterschiedlicher<br />
Klebstoffe und Bindemittel<br />
werden jährlich in Europa verbraucht.<br />
Die Papier- und Verpackungsbranche,<br />
die holzverarbeitende Industrie, das<br />
Bauwesen – sie alle gehören zu den Abnehmern.<br />
In den verschiedenen Arten<br />
von Klebstoffen kommt dabei stets eines<br />
von zwei Grundprinzipien zum Tragen:<br />
Entweder die Polymere, die die bindende<br />
Wirkung vermitteln, verfestigen sich<br />
physikalisch (durch Erstarren oder Verdampfen<br />
eines Lösungsmittels) oder aber<br />
das Polymergerüst bildet sich im Zuge<br />
der Verfestigung erst aus – die Klebstoffe<br />
härten also chemisch. 90 Prozent<br />
der heute im Einsatz befindlichen<br />
Klebstoffe werden aus fossilen Rohstoffen<br />
hergestellt. Viele der eingesetzten<br />
Komponenten sind leicht entflammbar<br />
oder setzen giftige Verbindungen frei.<br />
Besonders in Diskussion ist der Einsatz<br />
Abbildung 2: Bakterielle Laccase.<br />
Lignin<br />
Abbildung 3: Projekt BioSet.<br />
Stärke<br />
Enzymatische Oxidation<br />
Quervernetzung<br />
Bio-Klebstoffe<br />
von Formaldehyd, das als „wahrscheinlich<br />
karzinogen beim Menschen“ eingestuft<br />
ist und in zahlreichen Klebern im<br />
Bauwesen und in der Holzindustrie Verwendung<br />
findet. Viele auf diesem Gebiet<br />
tätige Unternehmen suchen daher nach<br />
Alternativen. So auch die Forschungsund<br />
Unternehmenspartner*innen, die<br />
sich im Frühjahr 2018 zum Projekt BioSet<br />
zusammengefunden haben.<br />
NACHHALTIGE KLEBSTOFFE<br />
Um Lösungen für dieses Problem zu<br />
suchen, hat man Kontakt zum Institut<br />
für Umweltbiotechnologie geknüpft.<br />
Georg Gübitz sowie Gibson Stephen<br />
Nyanhongo brachten die Möglichkeit<br />
einer Quervernetzung von Stärke durch<br />
Ligninsulfonate ins Spiel. Auch die vernetzende<br />
Komponente würde dann aus<br />
dem nachwachsenden Rohstoff Holz<br />
stammen. Im Projekt BioSet, das im<br />
Rahmen der FTI-Strategie des Landes<br />
Niederösterreich gefördert wird, werden<br />
neuartige Routen zu Klebstoffen<br />
auf der Basis nachwachsender Rohstoffe<br />
erforscht. Interdisziplinär vernetzte Dissertanten<br />
wie Miguel Jimenez Bartolome<br />
und Sidhant Satya Prakash Padhi loten<br />
aus, ob enzymatisch oxidierte Stärke-<br />
Ligninsulfonat-Kombinationen als Basis<br />
für Klebstoffe dienen können. Wie in<br />
Abbildung 3 dargestellt, werden die Ergebnisse<br />
auf Bindemittel für die Erzeugung<br />
von Holzplatten und für den Baubereich<br />
angewandt.<br />
KLEBER FÜR WAND-<br />
UND BODENFLIESEN<br />
Alle derzeit erhältlichen Klebstoffe,<br />
die für die Verlegung von Bodenfliesen<br />
verwendet werden, bestehen aus nicht<br />
erneuerbaren fossilen Verbindungen,<br />
was ein nicht zu unterschätzendes Umweltproblem<br />
darstellt. Ziel von BioGlue<br />
ist es, ähnlich wie im Projekt BioSet,<br />
„Bioklebstoffe“ aus nachwachsenden<br />
Rohstoffen, nämlich Lignin, und unter<br />
Einsatz umweltfreundlicher enzymbasierter<br />
Technologien zu entwickeln. Der<br />
wesentliche Unterschied zwischen den<br />
beiden vorgestellten Projekten besteht<br />
jedoch darin, dass es sich im BioGlue um<br />
enzymatisch funktionalisierte Lignosulfonate<br />
ohne Zusatz von Stärkekomponenten<br />
handelt, bei denen der Fokus der<br />
Einsatzgebiete bei Boden- sowie Wandbelägen<br />
liegt.<br />
Obwohl Lignin für die Synthese von Klebstoffen<br />
zur Herstellung von Holzfaserplatten,<br />
Spanplatten, Holzspanplatten<br />
oder anderen ähnlichen Produkten auf<br />
Holzbasis ausgiebig untersucht wurde, ist<br />
Lignin als Klebstoff für die Verlegung von<br />
Bodenfliesen noch nicht beschrieben<br />
worden. Im Zuge dieses Projektes ist die<br />
Arbeitsgruppe Biomaterial- & Enzymtechnologie<br />
unter anderem für die enzymatische<br />
Synthese der Bioklebstoffe<br />
verantwortlich.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
9
<strong>BOKU</strong>/Institut für Umweltbiotchnologie<br />
Die SUSFERT-Innovation kombiniert<br />
bio-basierte und biologisch abbaubare<br />
Beschichtungen, Probiotika und die<br />
erneuerbare Phosphatquelle Struvit in<br />
mindestens vier neuartigen nachhaltigen<br />
Düngemitteln und Bodenverbesserern,<br />
die nicht nachhaltige oder ressourcenintensive<br />
konventionelle Produkte teilweise<br />
oder vollständig ersetzen können.<br />
In der Biomaterials- und Enzyme Technology-Arbeitsgruppe<br />
arbeitet Renate<br />
Weiß an der Entwicklung von nachhaltigen<br />
Düngerüberzügen auf Ligninbasis.<br />
Abbildung 4: Ziel ist ein industriell stabiler und abbaubarer Biokleber.<br />
Nach etlichen Vorstudien werden Prozesse<br />
bezüglich Fraktionierung von Lignosulfonaten<br />
entwickelt. Das Setup der<br />
Reaktionsbedingungen für die enzymatische<br />
Polymerisation sowie die Gestaltung<br />
des Bioreaktors werden hingehend<br />
einer effizienten Reaktion abgeglichen,<br />
um so hoch reaktive Lignin-Fraktionen zu<br />
großen Polymeren zu formen. Um einen<br />
industriell stabilen und anwendbaren Biokleber<br />
(Abbildung 4) zu erhalten, wird die<br />
Einbindung von funktionellen Molekülen<br />
ausgetestet und die Klebereigenschaften<br />
so an das Substrat sowie Trägermedium<br />
angepasst. Die Eigenschaften der<br />
erhaltenen Lignin-Klebstoffe werden in<br />
vitro beurteilt und die daraus erhaltenen<br />
Informationen zur Optimierung der Fraktionierungs-,<br />
Polymerisations-, Graftingund<br />
Formulierungsprozesse verwendet.<br />
Die so erhaltenen Lignin-Klebstoffe<br />
werden im Labormaßstab im Vergleich<br />
zu kommerziell erhältlichem Material<br />
getestet und vollständig charakterisiert.<br />
„Glücklicherweise haben wir industrielle<br />
Partner an unserer Seite, die uns vor allem<br />
bei der Beurteilung verschiedenster<br />
Klebermischungen unterstützen“, betont<br />
Sabrina Bischof, wissenschaftliche Projektmitarbeiterin.<br />
marine<br />
CaCO 3<br />
healthy lawn<br />
polymerized<br />
lignosulfonates<br />
Bacillus<br />
species<br />
micro<br />
plastics<br />
Abbildung 5: Kalziumdünger wird mit<br />
ligninbasiertem Material überzogen.<br />
ABBAUBARES COATING<br />
FÜR DÜNGER<br />
Das europäische SUSFERT-Projekt, das<br />
die Entwicklung nachhaltiger Düngesysteme<br />
in der europäischen Landwirtschaft<br />
im Fokus hat, ist eine Kollaboration von<br />
fünf Industrieunternehmen, drei KMU<br />
und drei akademischen Partner*innen. Die<br />
Landwirtschaft im europäischen Raum ist<br />
stark abhängig von nicht erneuerbaren<br />
und ressourcenintensiven Düngemitteln.<br />
Gleichzeitig gibt es in der Landwirtschaft<br />
einen großen Verlust an Nährstoffen aus<br />
Düngemitteln, da diese oft nicht zum benötigten<br />
Zeitpunkt und in den richtigen<br />
Mengen verfügbar sind, um für optimales<br />
Pflanzenwachstum zu sorgen.<br />
Ein wichtiger Punkt hierbei ist es, ein<br />
Material zu entwickeln, das im Gegensatz<br />
zu den konventionell verwendeten<br />
Bestandteilen – häufig fossile Überzüge<br />
– biologisch abbaubar ist und kein Mikroplastik<br />
in die Umwelt eingebracht wird.<br />
Ziel ist es, Systeme zu entwickeln, die<br />
einerseits in der Lage sind, die Staubbildung<br />
bei der Lagerung zu verringern,<br />
aber auch die Freisetzung der Düngemittel<br />
zu optimieren. Kürzlich konnten<br />
die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe zu<br />
einem von ihr entwickelten Bodenverbesserer<br />
im RSC Green Chemistry Journal<br />
publiziert werden. 2 Wie man Abbildung<br />
5 entnehmen kann, wird hierbei ein<br />
Kalziumdünger mit dem ligninbasierten<br />
Material überzogen. Zusätzlich werden<br />
Mikroorganismen in den Überzug eingebracht,<br />
welche die Nährstoffaufnahme<br />
der Pflanzen verbessern. Ein großer Vorteil<br />
dieses Coatings ist, dass es biologisch<br />
abbaubar ist und kein Mikroplastik in den<br />
Boden gelangt. <br />
•<br />
Referenzen:<br />
1 Aktuelle Publikation: Enzyme Catalyzed Copolymerization<br />
of Lignosulfonates for Hydrophobic<br />
Coatings<br />
www-1frontiersin-1org-100137bhd0124.pisces.<br />
boku.ac.at/articles/10.3389/fbioe.<strong>2021</strong>.697310/<br />
full<br />
2 A biobased, bioactive, low CO 2<br />
impact coating<br />
for soil improvers<br />
https://pubs-1rsc-1org-100137bhd0133.pisces.<br />
boku.ac.at/en/content/articlelanding/<strong>2021</strong>/GC/<br />
D1GC02221K<br />
Ing. in Sabrina Bischof, MSc. und DI in Dr. in Renate<br />
Weiß, BSc. sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen<br />
am Institut für Umweltbiotechnologie (IFA<br />
Tulln). Der Beitrag entstand unter Mitarbeit der<br />
Dissertanten Dipl.-Ing. Sebastian-Alois Mayer,<br />
Miguel Jimenez Bartolome, MSc. und Sidhant Satya<br />
Prakash Padhi, MSc.<br />
10 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
MATERIALIEN<br />
DER ZUKUNFT<br />
Klimawandel erfordert neue<br />
Holzbauwerkstoffe und<br />
Produktionskonzepte<br />
Brettschichtholz und Brettsperrholz haben dem mehrgeschoßigen Holzbau zum Druchbruch verholfen. Um den<br />
Holzbauanteil signifikant zu steigern, braucht es zusätzlich völlig neue Werkstoff- und Verarbeitungskonzepte,<br />
die die bestehenden Ressourcen voll ausnutzen.<br />
Von Johannes Konnerth und Maximilian Pramreiter<br />
Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong><br />
Das prämierte Labor- und Bürogebäude am <strong>BOKU</strong> Standort Tulln ist eines der beiden <strong>BOKU</strong>-Gebäude in Holzbauweise.<br />
Die <strong>BOKU</strong> verfügt mittlerweile über<br />
zwei Gebäude in Holzbauweise<br />
und folgt damit einem weltweiten<br />
Trend. Das Labor- und Bürogebäude am<br />
<strong>BOKU</strong> Standort Tulln wurde 2018 bereits<br />
mit dem Niederösterreichischen Holzbaupreis<br />
ausgezeichnet. Als jüngstes universitäres<br />
Holzbaugebäude wurde erst<br />
kürzlich auch das Ilse-Wallentin-Haus<br />
am <strong>BOKU</strong> Standort Türkenschanze in der<br />
Kategorie Öffentliche und Kommunalbauten<br />
mit dem Holzbaupreis wienwood<br />
21 prämiert.<br />
HOLZBAU WIEDER<br />
IN DER STADT ZURÜCK<br />
International erfolgreiche Leuchtturmprojekte<br />
wie das 24-stöckige hoho Wien<br />
(www.hoho-wien.at) zeigen, was mit modernen<br />
Holzbauten und den dabei verwendeten<br />
Werkstoffen möglich ist. Der<br />
Holzbau hat den Wiedereinzug in die<br />
Stadt geschafft. Das ist auch notwendig,<br />
denn der Klimawandel erfordert ein<br />
Umdenken auf allen Ebenen. Der Bausektor<br />
ist einer der wesentlichsten Verursacher<br />
von Treibhausgasen. Alleine die<br />
Herstellung von Zement verursacht 7–8<br />
Prozent der weltweiten CO 2<br />
-Emissionen.<br />
Zusammen mit anderen energieintensiven<br />
Werkstoffe wie Stahl, Ziegel sowie<br />
dem enormen Transportanteil werden<br />
der Bauwirtschaft direkt und indirekt je<br />
nach Berechnungsweise bis zu 45 Prozent<br />
des weltweiten CO 2<br />
-Ausstoßes angelastet.<br />
Dazu kommt noch ein enormer<br />
Ressourcenverbrauch an Grundmaterialien<br />
wie Sand und Kies oder Metalle, der<br />
auch in Zukunft enorm zunehmen wird.<br />
Holz ist der einzige<br />
nachwachsende Rohstoff,<br />
der in großen<br />
Mengen zur Verfügung<br />
steht. Zudem wird er rein durch Sonnenenergie<br />
unter gleichzeitiger Aufnahme<br />
von CO 2<br />
und Abgabe von Sauerstoff von<br />
der Natur selbst synthetisiert.<br />
Doch auch Holz ist unter Druck. Der<br />
Klimawandel und die damit verbundenen<br />
Trockenperioden bringen einheimische<br />
Holzarten wie die Fichte in etlichen<br />
Gebieten an ihre Belastungsgrenze.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
11
Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong><br />
In der Kategorie Öffentliche und Kommunalbauten mit dem Holzbaupreis wienwood 21 ausgezeichnet:<br />
das Ilse-Wallentin-Haus am <strong>BOKU</strong> Standort Türkenschanze.<br />
Europaweit werden daher von der Forstwirtschaft<br />
schon seit geraumer Zeit auch<br />
andere Holzarten forciert, die mit den<br />
neuen Bedingungen besser zurechtkommen.<br />
Zudem soll Holz als CO 2<br />
-neutraler<br />
Energieträger auch einen Beitrag zur<br />
Dekarbonisierung des Energiesektors<br />
beitragen.<br />
LEISTUNGSFÄHIGE WERKSTOFFE<br />
Die erfreuliche weltweite Entwicklung<br />
des Holzbaues erfordert zwangsläufig<br />
mehr Menge an Holzbaumaterialien.<br />
Der Durchbruch des mehrgeschoßigen<br />
Holzbaues beruht dabei wesentlich<br />
auf zwei leistungsfähigen Werkstoffen:<br />
Brettschichtholz und Brettsperrholz.<br />
Beim ersten werden Bretter aus Baumstämmen<br />
gesägt und parallel zueinander<br />
zu Trägern oder Säulen größerer Querschnitte<br />
und Spannweiten verarbeitet.<br />
Beim zweiten werden die Bretter kreuzweise<br />
zu Plattenelementen verarbeitet,<br />
die dann als tragfähige Wand- und Deckenelemente<br />
dienen. Brettsperrholz<br />
ist ein Erfolgsprodukt mit enormem Zuwachs.<br />
So werden die weltweiten Produktionskapazitäten<br />
derartig ausgebaut,<br />
dass sich die produzierten und damit verfügbaren<br />
Mengen in den nächsten ein bis<br />
zwei Jahren verdoppeln werden.<br />
Beide Werkstoffe beruhen auf der Verarbeitung<br />
von sägefähigem (=relativ<br />
hochwertigem) Stammmaterial zu Brettern,<br />
die dann weitere Prozessschritte<br />
bis zum fertigen Brettschichtholz oder<br />
Brettsperrholz durchlaufen. Prozessbedingt<br />
kommt es bei der Verarbeitung<br />
zu signifikanten Verlusten von 60–70<br />
Prozent des Stammvolumens. Diese<br />
Reststoffe können zwar zur Herstellung<br />
anderer Werkstoffe, Papier oder auch<br />
als Energieträger verwendet werden,<br />
weisen jedoch eine deutlich geringere<br />
Wertschöpfung als das eigentliche<br />
Zielprodukt auf. Grund dafür ist unter<br />
anderem die Wuchsform des Baumes.<br />
Stämme sind kegelstumpfförmig und<br />
meist auch gekrümmt – die Bretter hingegen<br />
sollen gerade und quaderförmig<br />
sein. Steigerungen im Materialeinsatz<br />
führen damit zu überproportional höherem<br />
Rohstoffeinsatz.<br />
Die nachhaltig verfügbaren Holzressourcen<br />
sind mengenmäßig begrenzt. Zusätzlich<br />
führt der Waldumbau zu mehr Laubholz,<br />
das wiederum langsamer zuwächst<br />
und zum Teil ungeeignete Eigenschaften<br />
für den Einsatz als Baustoff aufweist.<br />
Gleichzeitig verfügt Laubholz in der Regel<br />
über einen deutlich geringeren sägefähigen<br />
Stammholzanteil und dafür mehr<br />
Kronenvolumen als das geradwüchsige<br />
Nadelholz.<br />
12 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
WoodCAST –<br />
Es geht um Holz<br />
RESSOURCEN VOLL NUTZEN<br />
Durch innovative Ansätze und sukzessive<br />
Optimierungen sind noch verhältnismäßig<br />
geringfügige Ausbeuteverbesserungen<br />
bei den bestehenden Technologien<br />
möglich. Um den Holzbauanteil weltweit<br />
aber signifikant zu steigern, braucht es<br />
zusätzlich völlig neue Werkstoff- und<br />
Verarbeitungskonzepte, die die bestehenden<br />
Ressourcen voll ausnutzen.<br />
Dabei müssen sowohl Laub- als auch<br />
Nadelholz in gleicher Weise verarbeitet<br />
werden können. Zusätzlich zu den<br />
gängigen Konzepten müssen insbesondere<br />
nicht-sägefähige Holzsortimente<br />
wie Durchforstungsholz oder Schadholz<br />
einer hohen Wertschöpfung zugeführt<br />
werden können, anstatt Holz bereits in<br />
der ersten Nutzungsphase zu verbrennen.<br />
Letzteres kann und soll nach einer<br />
langen Nutzungs-, Wiederverwertungsund<br />
Recyclingphase immer noch mit<br />
demselben Energieinhalt erfolgen. Holz<br />
war Jahrzehnte lang zu billig, um derartige<br />
Technologen und Nutzungsabfolgen<br />
ernsthaft zu forcieren.<br />
Am Institut für Holztechnologie und<br />
Nachwachsende Rohstoffe wird zusammen<br />
mit dem Kompetenzzentrum Holz<br />
(Wood K plus) seit mehr als zehn Jahren<br />
an neuartigen Nutzungskonzepten und<br />
Werkstoffen geforscht. Ein erfolgversprechender<br />
Weg für weitere Hochleistungswerkstoffe<br />
führt dabei über eine alternative<br />
Zerteilung von Holz, bei der auf<br />
quaderförmige Bretter verzichtet wird. So<br />
können auf Basis von Furnieren, Furnierstücken<br />
(sog. Strands) oder auch makroskopischen<br />
Fasern Werkstoffe mit hoher<br />
Ressourcenausbeute hergestellt werden.<br />
In einem eben genehmigten Forschungsprojekt<br />
wird sogar die Eignung von Laubastholz<br />
für solche Einsätze untersucht.<br />
GANZHEITLICHE LÖSUNGEN<br />
Die Werkstoffe selbst werden in Zukunft<br />
nicht mehr so homogen, gleichförmig<br />
und in der Regel rechteckig aufgebaut<br />
sein wie derzeit. Wir werden Material nur<br />
noch dort einsetzen, wo dies aufgrund<br />
der Beanspruchung technisch auch nötig<br />
ist. Dazu kann die äußere Geometrie<br />
optimiert werden, wie in einer laufenden<br />
Diplomarbeit gezeigt wurde, oder auch<br />
die innere Struktur. Zwangsläufig führt<br />
dies zu einem höheren Planungsaufwand,<br />
deutlich komplexeren Herstellungstechnologien<br />
und erfordert die digitale Vernetzung<br />
von der Architektur und Gebäudeplanung<br />
bis hin zur industriellen<br />
Holzwerkstoff- und Bauteilproduktion.<br />
Derzeit befinden sich solche Konzepte<br />
für den industriellen Masseneinsatz<br />
noch in der Entwicklungsphase. Bei der<br />
Gestaltung unserer Zukunft wird aber<br />
kein Weg an ganzheitlich gedachten und<br />
ressourceneffizienten Lösungen vorbeiführen.<br />
•<br />
LINK<br />
Doctoral School Build like Nature: Resilient<br />
Buildings, Materials and Society<br />
(Build.Nature)<br />
https://boku.ac.at/docservice/doktoratsstudien/doktoratsschulen/buildlike-nature-resilient-buildingsmaterials-and-society-buildnature<br />
Johannes Konnerth ist Professor für Holztechnologie<br />
und Dr. Maximilian Pramreiter Assistent mit<br />
Schwerpunkt Holzbauwerkstoffe am Institut für<br />
Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
13
MATERIALIEN<br />
DER ZUKUNFT<br />
Dämmstoff aus Zuckerrüben,<br />
hochwertige Möbel aus Stroh<br />
Neue Materialien aus nicht-forstlicher Pflanzenbiomasse schaffen zusätzliche Wertschöpfung<br />
für Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Von Wolfgang Gindl-Altmutter und Stefan Veigel<br />
Ihar Leichonak<br />
Die Ressource Holz wird auf vielfältige<br />
Art und Weise genutzt, wobei<br />
neben der industriellen Nutzung<br />
im Bereich der klassischen Holzindustrie<br />
sowie der Papier- und Zellstoffindustrie<br />
auch die energetische Nutzung stark an<br />
Bedeutung gewinnt. Der Wettbewerb<br />
zwischen der stofflichen und der energetischen<br />
Nutzung von Holz ist politisch<br />
aufgeladen, obwohl diese Zweige prinzipiell<br />
nicht im Widerspruch stehen, wenn<br />
regelmäßig eine stoffliche Nutzung oder<br />
auch mehrere Zyklen der energetischen<br />
Verwertung vorgeschaltet sind.<br />
Parallel zum steigenden Holzbedarf<br />
könnte zukünftig aber die verfügbare<br />
forstliche Erntemenge durch Klimaeffekte<br />
und die Außer-Nutzung-Stellung<br />
gewisser Flächen beeinträchtigt<br />
werden. Neben forstwirtschaftlichen<br />
Maßnahmen wie der Mobilisierung ungenutzter<br />
Zuwächse im Kleinwaldbereich<br />
ist es deshalb sinnvoll, auch alternative<br />
pflanzliche Rohstoffquellen auf ihre Eignung<br />
zur Herstellung von Werkstoffen<br />
hin zu untersuchen, um langfristig den<br />
zunehmenden Bedarf an biobasierten<br />
und bio-abbaubaren Produkten decken<br />
zu können. Anhand zweier Beispiele von<br />
Reststoffen aus der Landwirtschaft beziehungsweise<br />
Lebensmittelproduktion<br />
soll gezeigt werden, wie solche Materialien<br />
aussehen könnten.<br />
ZUCKERRÜBENPRESSSCHNITZEL<br />
HABEN POTENZIAL<br />
Wie in vielen Verarbeitungsprozessen<br />
der Lebensmittelindustrie,<br />
etwa der Fruchtsaftherstellung,<br />
Stärkegewinnung,<br />
Brauerei und<br />
anderen, fällt auch bei der Herstellung<br />
von Zucker aus Zuckerrüben ein Restmaterial<br />
an, das unter anderem als Futtermittelzusatz<br />
zum Einsatz kommt. Alle<br />
diese pflanzlichen Reststoffe enthalten in<br />
unterschiedlichen Anteilen Zellulose. Im<br />
Gegensatz zu Papier- oder Naturfasern<br />
wie Hanf und Flachs sind Reststoffe aus<br />
der Lebensmittelindustrie makroskopisch<br />
nicht faserig, sondern eher „gatschig“.<br />
Bei genauerer Betrachtung ist die wässrige<br />
Pflanzenrestmasse allerdings auf<br />
mikro- und insbesondere nanoskaliger<br />
Ebene sehr wohl faserig, weil sie zu großen<br />
Teilen aus Cellulosefibrillen besteht.<br />
Die Herausforderung bei der Nutzbarmachung<br />
dieser Cellulosefibrillen für<br />
Werkstoffe besteht allerdings in der<br />
schonenden Entfernung des enthaltenen<br />
Prozesswassers. In einem von der FFG<br />
geförderten Projekt konnte gemeinsam<br />
mit den Firmen Agrana und Synthesa<br />
sowie Wood K plus als Forschungspartnern<br />
ein Prozess zur Aufschäumung<br />
und Trocknung von mechanisch aufgeschlossenen<br />
und fibrillierten Zuckerrübenpressschnitzeln<br />
entwickelt werden.<br />
Die Laborplatten sind 100 Prozent biobasiert,<br />
mit 60 kg/m³ sehr leicht und weisen<br />
14 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
<strong>BOKU</strong>/Institut für Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe<br />
Vollständig biobasierte Wärmedämmplatte aus mikrofibrillierten Zuckerrübenpressschnitzeln.<br />
Durch die feine faserige Struktur der Platte<br />
werden kleine Poren erzielt, die für gute Dämmeigenschaften sorgen.<br />
Das Insert zeigt eine Elektronenmikroskopaufnahme von mikrofibrillierter<br />
Zellulose.<br />
Plattenwerkstoff aus verdichtetem Stroh. Durch die Verdichtung werden<br />
hohe Festigkeiten erzielt. Das Insert zeigt eine Mikroskopaufnahme<br />
von verdichteten Strohhalmen.<br />
Dushlik<br />
ausgezeichnete Wärmedämmwerte auf,<br />
die mit expandiertem Polystyrol (EPS)<br />
vergleichbar sind.<br />
HOCHFESTE MATERIALIEN<br />
AUS STROH<br />
Weizenstroh und andere<br />
Strohsorten stellen einen<br />
außerhalb der Landwirtschaft<br />
wenig genutzten und<br />
gleichzeitig gut verfügbaren<br />
nachwachsenden Rohstoff dar. Strohhalme<br />
sind sehr leichte, dünnwandige<br />
Strukturen von großer Schlankheit, die<br />
biologisch dafür optimiert sind, Windlasten<br />
zu widerstehen und die Last der<br />
Ähre zu tragen. In einem laufenden von<br />
der Gesellschaft für Forschungsförderung<br />
Niederösterreich unterstützten<br />
Projekt werden die natürlichen Vorteile<br />
der biologisch optimierten Strohstruktur<br />
mittels teilweiser Delignifizierung und<br />
nachfolgender Verdichtung technisch<br />
nutzbar gemacht.<br />
Durch die teilweise Delignifizierung wird<br />
das Stroh plastisch formbar und kann<br />
vollständig verdichtet werden. Die Verdichtung<br />
hat eine enorme Steigerung<br />
der Festigkeit auf Werte zirka doppelt<br />
so hoch wie Fichtenholz zur Folge, wodurch<br />
neuartige nachhaltige Verbundwerkstoffe<br />
mit hoher Leistungsfähigkeit<br />
für Strukturelemente hergestellt werden<br />
können. Potenzielle Anwendungsgebiete<br />
sind zum Beispiel im hochwertigen Möbelbau<br />
oder in der Automobil- und Transportfahrzeugindustrie.<br />
In einer interdisziplinären<br />
Kooperation mit der New<br />
Design University in St. Pölten werden<br />
mögliche Anwendungsgebiete evaluiert<br />
und für praktische Strukturelemente Designstudien<br />
erstellt.<br />
NEUE PROZESSE ERFORDERLICH<br />
Wie die Beispiele zeigen, können pflanzliche<br />
Reststoffe auf vielfältige Art und<br />
Weise stofflich genutzt werden. Es soll<br />
allerdings auch nicht verschwiegen<br />
werden, dass die Verarbeitung dieser<br />
Reststoffe technisch herausfordernd<br />
ist und Adaptierungen oder Neuentwicklungen<br />
von Prozessen erfordert.<br />
Zudem sind landwirtschaftliche Reststoffe<br />
nur saisonal verfügbar, wodurch<br />
beträchtliche Lagerkapazitäten erforderlich<br />
sind. Dennoch ist klar, dass die<br />
Basis an verfügbaren nachwachsenden<br />
Rohstoffen für die Herstellung biobasierter<br />
Werkstoffe durch die Reststoffnutzung<br />
wesentlich erweitert werden<br />
könnte. Dadurch wird einerseits die Ressource<br />
Wald entlastet und andererseits<br />
erwächst der Landwirtschaft und der<br />
Lebensmittelindustrie die Möglichkeit<br />
zusätzlicher Wertschöpfung. •<br />
Wolfgang Gindl-Altmutter ist Prof. für Naturfaserwerkstoffe<br />
und Dr. Stefan Veigel Assistent<br />
mit Schwerpunkt Cellulosefasermaterialien am<br />
Institut für Holztechnologie und Nachwachsende<br />
Rohstoffe am UFT in Tulln.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
15
MATERIALIEN<br />
DER ZUKUNFT<br />
Funktionelle Cellulose-<br />
Nanofibrillen aus Holz<br />
Von Marco Beaumont<br />
Cellulose-Nanofibrillen sind die kleinsten Struktureinheiten in Holz und dort maßgeblich für die Stärke<br />
und mechanische Stabilität verantwortlich. Am Institut für Chemie nachwachsender Rohstoffe werden<br />
derzeit nachhaltige Methoden entwickelt, um aus Nanocellulose funktionelle Materialien herzustellen.<br />
Cellulose ist das am häufigsten vorkommende<br />
Biopolymer auf Erden,<br />
das in der Natur als Gerüstsubstanz<br />
der Pflanzen eine zentrale Rolle spielt.<br />
Wir kommen jeden Tag in unserem Leben<br />
damit in Kontakt, sei es in Form eines Ballaststoffs<br />
in unserer Nahrung, als Hauptbestandteil<br />
von Naturfasern in unserer<br />
Kleidung oder durch Holz. In Pflanzen bilden<br />
Cellulose-Nanofibrillen – mit einem<br />
Durchmesser von etwa drei Nanometern<br />
– zusammen mit anderen pflanzlichen<br />
Polymeren komplexe Faserstrukturen.<br />
Holz ist also quasi ein von der Natur optimiertes<br />
exzellentes Kompositmaterial.<br />
<strong>BOKU</strong>/Marco Beaumont<br />
Die Cellulose-Nanofibrille an sich hat beeindruckende<br />
mechanische Eigenschaften,<br />
bei gleichem Durchmesser ist sie<br />
stärker als Stahl, Kevlar oder Glasfasern<br />
und gehört damit zu den stabilsten verfügbaren<br />
Polymeren. Das zeigt sich in<br />
der hohen mechanischen Stabilität von<br />
Holz und seiner Eignung als tragendem<br />
Baustoff. In der Pflanze werden diese<br />
Cellulose-Nanofibrillen je nach Umgebungsbedingungen<br />
individuell angeordnet,<br />
um die bestmöglichen mechanischen<br />
Eigenschaften zu gewährleisten.<br />
VERÄNDERUNGEN<br />
BISHER IRREVERSIBEL<br />
Um das Potenzial von Cellulose-Nanofibrillen<br />
auch außerhalb von Holz in<br />
anderen Materialien und Formkörpern<br />
nutzen zu können, müssen sie aus der<br />
komplexen pflanzlichen Faserstruktur<br />
extrahiert werden, und hierzu war bislang<br />
immer eine irreversible (permanente,<br />
unumkehrbare) chemische Oberflächenmodifikation<br />
notwendig. Im Gegensatz<br />
zu nativen Nanofibrillen passen diese<br />
veränderten Fibrillen nun nicht mehr<br />
perfekt zueinander. Damit ist eine perfekte<br />
Anbindung in einem Film oder<br />
Cellulose-Nanofibrillen in einem Hydrogel, die Vergrößerung zeigt die fibrilläre Nanostruktur (der<br />
runde Bildausschnitt entspricht 1 µm).<br />
einer Faser nicht mehr so gut möglich,<br />
was sich unter anderem auch limitierend<br />
auf ihre mechanischen Eigenschaften<br />
auswirkt.<br />
Zusätzlich werden die Celluloseketten<br />
bei der chemischen Modifizierung durch<br />
Nebenreaktionen auch kürzer und die<br />
resultierenden Fibrillen dadurch schwächer.<br />
Schlussendlich kann durch die<br />
bisherigen – zwar notwendigen, aber<br />
weniger vorteilhaften – chemischen<br />
Modifikationen das volle Potenzial der<br />
Cellulose-Nanofibrillen zur Herstellung<br />
von Hochleistungsmaterialien nicht ausgeschöpft<br />
werden. Am Institut für Chemie<br />
nachwachsende Rohstoffe wird seit<br />
Längerem zu diesem Thema geforscht,<br />
neben anderen Themen wird hier auch an<br />
der Entwicklung neuer „grüner“ Cellulose-Modifikationen<br />
zur Herstellung funktioneller<br />
Nanomaterialien gearbeitet.<br />
SELEKTIVE UND NACHHALTIGE<br />
MODIFIKATION VON CELLULOSE<br />
Zellstoff wird durch ein Aufschlussverfahren<br />
(„pulping“) aus Holz gewonnen<br />
und ist meistens das Ausgangsmaterial<br />
für chemische Cellulose-Modifikationen.<br />
Er besteht aus einzelnen Fasern mit einer<br />
hierarchischen Struktur, basierend auf<br />
einzelnen Cellulose-Nanofibrillen. Diese<br />
Fibrillen setzen sich wiederum aus einzelnen<br />
Cellulose-Polymerketten zusammen,<br />
die in ihren Anordnungen eine hohe Kristallinität<br />
und dadurch auch eine hohe mechanische<br />
Stabilität aufweisen. Schlussendlich<br />
spielt nicht nur die Kristallinität,<br />
sondern auch die Länge der einzelnen<br />
Polymerketten (der Polymerisationsgrad)<br />
eine maßgebende Rolle für die Eigenschaften<br />
der Cellulose-Fibrillen. Chemische<br />
Modifikationen sollten demnach<br />
mild sein, damit sich diese physikalischen<br />
Eigenschaften nicht negativ beeinflussen.<br />
16 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Chemische Oberflächenstruktur einer<br />
Cellulose-Nanofibrille (A), die einzelne<br />
Fibrille besteht aus einzelnen Cellulose-<br />
Polymerketten (B).<br />
Aktuelle Forschungen an der <strong>BOKU</strong> haben<br />
nun wichtige Fortschritte in diesem<br />
Gebiet erzielt, durch die Verwendung<br />
von bestimmten Reagenzien (N-Acylimidazolen)<br />
unter sehr milden Bedingungen<br />
ist es nun möglich, Cellulose<br />
zu modifizieren, ohne deren physikalische<br />
Eigenschaften zu beeinflussen.<br />
Die Verwendung von Imidazol ermöglicht<br />
die milden Reaktionsbedingungen<br />
und ahmt dabei die Aminosäure Histidin<br />
nach, die biochemische Reaktionen im<br />
Körper katalysiert. Unsere Forschungsergebnisse<br />
haben auch gezeigt, dass es<br />
mit dieser simplen und nachhaltigen<br />
Methode möglich ist, die Selektivität<br />
von chemischen Reaktionen – in diesem<br />
Fall von Veresterungen – zu steuern und<br />
auch deren Effizienz zu steigern. In diesem<br />
Fall spielt gebundenes Wasser auf<br />
der Oberfläche der Fibrillen eine Kernrolle<br />
und ermöglicht eine regioselektive<br />
Reaktion, das heißt eine Modifikation<br />
nur an ganz bestimmten Positionen der<br />
Nanofibrillen. Durch die entwickelte<br />
Methode lassen sich nun unterschiedliche<br />
Funktionalitäten auf die Oberfläche<br />
der Zellulose-Nanofibrillen binden, um<br />
gezielt die Eigenschaften zu verändern.<br />
VIELSEITIG UND REVERSIBEL<br />
Eine Funktionalisierung mit hydrophoben<br />
Gruppen ist mit diesem Verfahren<br />
erstmalig selektiv möglich. Damit lassen<br />
sich funktionelle Nanocellulosen gewinnen,<br />
die aufgrund ihrer Eigenschaften<br />
Emulsionen und Schäume stabilisieren<br />
können. Alternativ lassen sich aber auch<br />
sehr hydrophile Gruppen einbringen,<br />
wobei speziell eine Modifikation mit negativ<br />
geladenen Carboxylat-Gruppen<br />
von Interesse ist. Eine Einbringung dieser<br />
Ladungen auf der Oberfläche von<br />
gebündelten Cellulose-Nanofibrillen<br />
ermöglicht deren bessere Individualisierung<br />
in einzelne, freie Nanofibrillen<br />
durch die elektrostatische Abstoßung<br />
der Oberflächenladungen. Diese bilden<br />
in Wasser eine Dispersion, die gelartig<br />
ist und eine ähnliche Konsistenz hat wie<br />
Pudding oder Haargel.<br />
Wie in der Abbildung dargestellt, lassen<br />
sich daraus Hydrogel-Formkörper<br />
herstellen. Diese dispergierten Cellulose-Nanofibrillen<br />
eignen sich aufgrund<br />
ihres Fließverhaltens auch vor allem auch<br />
für den 3D-Gel-Druck. Aktuell werden<br />
hier im FWF-Projekt „5D-Click-Druck“<br />
in Kooperation mit Forscher*innen der<br />
Julius-Maximilians-Universität Würzburg<br />
Drucktinten entwickelt, um Biostrukturen<br />
für Zellversuche herzustellen.<br />
VOLLES POTENZIAL AUSSCHÖPFEN<br />
Ganz besonders interessant ist eine<br />
weitere Eigenschaft dieser funktionalisierten<br />
Nanofibrillen, nämlich dass sich<br />
deren Funktionalisierung sehr leicht<br />
rückgängig machen lässt. Das war mit<br />
allen bisher gängigen Modifizierungsmethoden<br />
unmöglich. Warum man zuerst<br />
eine chemische Reaktion durchführen<br />
und diese dann ungeschehen<br />
machen will, wirkt zunächst vielleicht<br />
unverständlich, aber nur so lässt sich<br />
erstmals das volle Potenzial dieser Nanofibrillen<br />
ausschöpfen. Wie oben erklärt,<br />
können die (z. B. negativ geladenen)<br />
Cellulose-Nanofibrillen in jegliche<br />
Form gebracht werden, mit Gussformen<br />
oder mittels 3D-Druck. Durch die Reversibilität<br />
der Funktionalisierung kann<br />
nun die native Oberflächenstruktur der<br />
geformten Cellulose-Nanofibrillen zurückgewonnen<br />
werden. Somit lassen<br />
sich erstmalig die natürlichen Wechselwirkungen<br />
zwischen einzelnen Nanofibrillen<br />
– und damit die natürliche<br />
Stabilität in menschlich hergestellten<br />
Formmaterialien – erreichen, da es sich<br />
um wirkliche Cellulose und eben nicht<br />
um modifizierte und damit „geschwächte“<br />
Cellulose handelt.<br />
Die Forschungsergebnisse zu Cellulose-<br />
Nanofibrillen wurden im Journal of the<br />
American Chemical Society (JACS) publiziert<br />
und erhielten sogar die Titelseite.<br />
INTERNATIONALE KOOPERATIONEN<br />
Wir sind zuversichtlich, dass wir dadurch<br />
die bisherigen Limitierungen der mechanischen<br />
Eigenschaften von Cellulose-Nanomaterialien<br />
überwinden können<br />
und durch die Vielseitigkeit der Methode<br />
neue Anwendungen für Nanocellulosen<br />
ermöglichen. Dies ist ein gutes Beispiel<br />
für den Vorteil der Grundlagenforschung:<br />
Mit einer solchen allgemeinen Methode<br />
wird eben nicht nur ein einzelnes neues<br />
Material vorgestellt, sondern vielmehr<br />
eine allgemeine Methode zur Verfügung<br />
gestellt, die nun quasi weltweit von allen<br />
Cellulose-Chemiker*innen und Materialwissenschaftler*innen<br />
genutzt, adaptiert<br />
und weiterentwickelt werden kann. Die<br />
aktuelle Forschung in diesem Gebiet<br />
wird durch Zusammenarbeit innerhalb<br />
der <strong>BOKU</strong> sowie nationalen und internationalen<br />
Kooperationen, mit Forschungsinstitutionen,<br />
besonders mit Finnland und<br />
Kanada, vorangetrieben.<br />
•<br />
PUBLIKATIONEN:<br />
Nature<br />
Green Chemistry<br />
Journal of the American<br />
Chemical Society<br />
Dr. Marco Beaumont forscht als Habilitand im<br />
Bereich Biokolloidchemie am Institut für Chemie<br />
nachwachsender Rohstoffe.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
17
MATERIALIEN<br />
DER ZUKUNFT<br />
Holz im Fahrzeugbau –<br />
Schaffung digitaler Zwillinge für<br />
Bauteile und Produktionsprozesse<br />
Holzhybrid-Komponenten, also Bauteile aus Holzwerkstoffen in Kombination mit (faserverstärkten) Kunststoffen<br />
und Metallen, können in Fahrzeugen der Zukunft nicht nur für dekorative Zwecke, sondern auch für tragende<br />
Elemente eingesetzt werden. Dafür war es notwendig, Holz berechenbar zu machen. Durch Computersimulationen<br />
ist es gelungen, quasi virtuelle Zwillinge von Fahrzeugkomponenten zu schaffen.<br />
Von Ulrich Müller<br />
Die aktuellen Debatten zur Verbesserung<br />
der CO 2<br />
-Bilanz von<br />
Fahrzeugkonzepten der Zukunft<br />
verlangen nach Gewichtsreduktion und<br />
Verwendung nachhaltiger Materialien.<br />
Die veränderten wirtschaftlichen, technischen<br />
und ökologischen Rahmenbedingungen<br />
begünstigen radikale Innovationen<br />
im Umfeld der nachwachsenden<br />
Rohstoffe. Moderne Holzverbundwerkstoffe<br />
besitzen hervorragende mechanische<br />
Eigenschaften bei vergleichbar<br />
geringer Dichte. Richtig eingesetzt, können<br />
Holzwerkstoffe mit faserverstärkten<br />
Kunststoffen und Metallen mithalten.<br />
Voraussetzung für die Verwendung<br />
neuer Materialien im Automobilsektor<br />
ist die Möglichkeit, diese am Computer<br />
simulieren zu können. Diese Simulierbarkeit<br />
für den natürlichen Werkstoff Holz<br />
herzustellen, war somit grundlegende<br />
Voraussetzung, um neue Anwendungsfelder<br />
für Holz zu erschließen.<br />
Die Digitalisierung im Bereich der Materialsimulation<br />
ermöglicht uns heute,<br />
Bauteile, Baugruppen, aber auch ganze<br />
Fahrzeuge virtuell abzubilden und damit<br />
Spannungen und Verformungen unter<br />
Belastung, aber auch im Crashfall abzuschätzen<br />
und zu berechnen. Man schafft<br />
folglich einen virtuellen Zwilling dieser<br />
Strukturen. Dieser dient als Platzhalter<br />
für teure Versuche an Realobjekten.<br />
Anpassungen von Materialstärken und<br />
Veränderungen an den verwendeten<br />
Materialien können so einfach und rasch<br />
vorgenommen und kostengünstig verbessert<br />
und optimiert werden. Wir verlagern<br />
letztlich Forschungs- und Entwicklungsprozesse<br />
in Computermodelle und<br />
sparen damit Zeit und Geld. Die erreichte<br />
Prognosegüte der erarbeiteten Modelle<br />
Von TU Graz und <strong>BOKU</strong> entwickelte und patentierte Seitenaufprallträger eines konventionellen<br />
Pkws aus Holzwerkstoffen und Naturfaserverstärkung. Das Crashelement ist zu<br />
mehr als 90 Prozent aus bio-basierten Materialien hergestellt. Nur Klebstoffe und Beschichtung<br />
sind nicht biologischen Ursprungs. Eine Umweltbewertung des Bauteils zeigt eine ca.<br />
30-prozentige Verbesserung der CO 2<br />
-Bilanz.<br />
genügt den hohen Anforderungen der<br />
Autoindustrie.<br />
PRAXISTAUGLICHE TECHNOLOGIE<br />
Die Autoindustrie ist eine der Branchen,<br />
die solche Methoden bereits anwendet.<br />
Der Nutzen dieser Methoden ist<br />
evident und war neben den genannten<br />
Umweltzielen eines der Motive, warum<br />
sich das Forschungskonsortium „Holz im<br />
Fahrzeugbau“ rund um den steirischen<br />
Konsortialleiter W.E.I.Z. unter starker<br />
Mitwirkung der <strong>BOKU</strong> vor rund sechs<br />
Jahren zusammengefunden hat. Mit dem<br />
kürzlich erfolgreich abgeschlossenen<br />
Forschungsprojekt WoodC.A.R. und den<br />
entwickelten Materialmodellen ist es<br />
gelungen, diese Methoden in die Holztechnologie<br />
zu transferieren und anhand<br />
einiger Anwendungsfälle die Praxistauglichkeit<br />
nachzuweisen.<br />
Aber kann Holz tatsächlich in Autos und<br />
anderen Verkehrsmitteln verbaut werden?<br />
Frühere technische Holzanwendungen,<br />
aber auch modernes Sportgerät<br />
zeigt, dass Holz extremen mechanischen<br />
Beanspruchungen standhalten kann. Der<br />
historische Flugzeugbau ist ein guter Beleg<br />
dafür, dass Holz hohe technische Anforderungen<br />
erfüllt. Neben seinem ökologischen<br />
Ursprung kann Holz als effizientes<br />
Leichtbaumaterial betrachtet werden.<br />
Und wie eigene Lebenszyklusstudien gezeigt<br />
haben, spielt Leichtbau bei der Ökologisierung<br />
der Mobilität eine besondere<br />
Rolle. Warum? Weil rund ein Viertel des<br />
Energiebedarfs für ein Fahrzeug auf das<br />
Fahrzeuggewicht geht. Die Reichweite<br />
beziehungsweise der Verbrauch werden<br />
durch die Fahrzeugmasse mitbestimmt.<br />
SEITENAUFPRALLTRÄGER AUS HOLZ<br />
Laubhölzer in Form von Furnierschichtund<br />
Sperrholz scheinen für die angepeilten<br />
Anwendungen besonders geeignet<br />
zu sein. In Kombination mit Naturfaserwerkstoffen<br />
lassen sich daraus sogar<br />
crashrelevante Bauteile herstellen, wie<br />
einer von der <strong>BOKU</strong> gemeinsam mit der<br />
TU Graz patentierter Seitenaufprallträger<br />
zeigt. Das Bauteil besteht gewöhnlich<br />
aus Stahl und wiegt um 30 Prozent mehr<br />
als die Biovariante. Eine entsprechende<br />
Umweltbewertung für das Bauteil wurde<br />
durch die Karl-Franzens-Universität in<br />
Graz erstellt und zeigt eine um etwa ein<br />
Drittel bessere CO 2<br />
-Bilanz.<br />
Mehrere Varianten des Seitenaufprallträgers<br />
wurden an der TU Graz auf einem<br />
geeigneten Prüfstand einem Crashtest<br />
unterworfen. Die Vergleiche der Hochgeschwindigkeitskameraaufnahmen<br />
mit<br />
18 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Gesamtbudget von 4 Mio. Euro wird wie<br />
WoodC.A.R. vom Weizer Energie und<br />
Innovationszentrum W.EI.Z. unter Mitwirkung<br />
des Autors dieses Beitrags geleitet.<br />
INHOMOGENITÄT BEHERRSCHBAR<br />
Das Kunstwort CARpenTiER setzt sich<br />
aus Computer Aided Research und TiER<br />
– Autozulieferer zusammen und wenn<br />
man das i weglässt, bedeutet es auf<br />
Deutsch „Tischler“. Mit dem Forschungsprojekt<br />
soll gezeigt werden, dass durch<br />
Digitalisierung von Prozessen der inhomogene<br />
Werkstoff Holz auch bei hohen<br />
Produktanforderungen und strengen<br />
Toleranzvorgaben beherrschbar wird.<br />
Der entwickelte bio-basierte Seitenaufprallträger (unten) wurde auf dem Crash-Prüfstand<br />
der TU Graz des Instituts für Fahrzeugsicherheit (VSI) getestet und lieferte eine zu dem konventionellen<br />
Bauteil aus Stahl (oben) vergleichbare Energieaufnahme. Der Vergleich der mit<br />
Hochgeschwindigkeitskameras und Beschleunigungssensoren aufgezeichneten Daten lieferte<br />
für die bio-basierte Variante des Crash-Sicherheitsbauteils ähnlich hohe Werte für die Energieabsorption<br />
wie für den Stahlträger.<br />
den Berechnungen zeigten eine erstaunlich<br />
gute Übereinstimmung. Die hohe<br />
Prognosefähigkeit der Materialsimulationen<br />
lieferte sowohl den richtigen Zeitpunkt<br />
des Materialversagens als auch die<br />
richtige Energieaufnahme.<br />
HOLZ IN BATTERIEN<br />
VON E-FAHRZEUGEN<br />
Neben dem Seitenaufprallträger wurden<br />
im Rahmen des Projekts mit Firmenpartnern<br />
wie VW, MAGNA und MAN<br />
ein Chassis für ein raupenbetriebenes<br />
E-Fahrzeug, eine Einstiegstreppe für einen<br />
Reisebus und ein Chassis für einen<br />
Pkw entwickelt. Zukünftige Projekte<br />
und Entwicklungen gehen aber über die<br />
Automobilindustrie hinaus. So werden<br />
erste Bauteile zum Beispiel im Bereich<br />
Seilbahn und des Schienenverkehrs getestet.<br />
Weitere Projektanstrengungen<br />
verfolgen das Ziel, Holz in Zukunft in<br />
Batterien für E-Fahrzeuge zu verbauen.<br />
Im Rahmen eines FFG geförderten Projekts<br />
wird in Zusammenarbeit mit der TU<br />
Graz intensiv in den nächsten zwei Jahren<br />
in diese Richtung geforscht.<br />
Die technische Umsetzung und Produktion<br />
soll zukünftig durch ein Start-up der<br />
Firma Weitzer Parkett, der Weitzer Wood<br />
Solutions, erfolgen. Die Firma Weitzer<br />
Parkett ist als Lead-Partner des Konsortiums<br />
einer der zentralen Treiber der<br />
genannten Projekte. Der Produktionstechnologie<br />
kommt daher in Zukunft eine<br />
besondere Bedeutung zu. Das Nachfolgeprojekt<br />
CARpenTiER wird sich daher<br />
vorrangig mit verfahrenstechnischen<br />
Inhalten sowie der Digitalisierung von<br />
Produktionsprozessen befassen. Das bedeutet,<br />
dass nicht nur Bauteile, sondern<br />
in Zukunft auch neue Produktionsprozesse<br />
digital abgebildet werden sollen.<br />
Das im Rahmen der FFG-Programmlinie<br />
COMET finanzierte Projekt mit einem<br />
CARpenTiER ist somit eine konsequente<br />
Fortsetzung des mit WoodC.A.R. begonnenen<br />
Weges. Anhand von idealisierten<br />
Holz-Hybrid-Bauteilen werden einerseits<br />
technologische Prozesse optimiert, andererseits<br />
eben digitale Zwillinge von<br />
Produkt sowie Prozess erstellt und damit<br />
offene Fragen für das Finit Element Modelling<br />
beantwortet und die Grundsteine<br />
für eine funktionsorientierte Prozesskontrolle<br />
gelegt. Damit sollte es gelingen,<br />
den natürlichen Werkstoff Holz vollständig<br />
zu beherrschen und damit für neue<br />
technische Anwendungen fit zu machen.<br />
NEUE MÄRKTE FÜR HOLZ<br />
Schichtholz- und Holz-Hybridwerkstoffe,<br />
also Verbindungen von Holz mit<br />
Kunststoff und Holz mit Metallen steht<br />
weiterhin im Fokus der zukünftigen Forschungsarbeiten.<br />
Das bedingt weiterhin<br />
Forschungsarbeit im Bereich Materialwissenschaften,<br />
Prozesstechnik, Steuerungstechnik<br />
und Simulation.<br />
Zusammenfassend kann man nach sechs<br />
Jahren Forschung „Holz im Fahrzeugbau“<br />
sagen: Holz kann seinen Platz auch<br />
im Mobilitätssektor finden. Wie neu entstehende<br />
Projekte und Entwicklungen<br />
bei beteiligten Industriepartnern zeigen,<br />
wird durch die dargestellte Forschung<br />
neue Kompetenz geschaffen, die mittelfristig<br />
auch neue Märkte für den Werkstoff<br />
Holz schafft. <br />
•<br />
PD Dr. Ulrich Müller forscht am Institut für Holztechnologie<br />
und Nachwachsende Rohstoffe zu<br />
Einsatz von Holz im Fahrzeugbau.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
19
MATERIALIEN<br />
DER ZUKUNFT<br />
Wie biogene Reststoffe in innovativen<br />
Materialien eine neue Nutzung finden<br />
Werkstoffe aus Hanfstroh, Alttextilien und Holz fördern Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.<br />
Von Rupert Wimmer<br />
Fotoschlick - stock.adobe.com<br />
aleksandarlittlewolf<br />
Für Werkstoffe der Zukunft können<br />
zunehmend auch biogene<br />
Reststoffe der Land- und Forstwirtschaft<br />
eingesetzt werden. Viele<br />
Bemühungen stecken hier noch in den<br />
Kinderschuhen, aber etliche Ergebnisse<br />
weisen bereits hohe Praxisrelevanz auf.<br />
Das soll anhand von vier Beispielen aus<br />
der Forschung der Professur Naturstofftechnologie<br />
gezeigt werden.<br />
VERBUNDWERKSTOFF AUF<br />
BASIS VON HANF-RESTSTOFFEN<br />
Der Einsatz von Reststoffen für Produkte<br />
des Alltags wird zunehmend zu einem<br />
Forschungsthema. Durch die weltweit<br />
starke Zunahme der energetischen Nutzung<br />
von Holz, in der Form von Holzpellet-Verbrennungsanlagen,<br />
konnten<br />
Steigerungen bei den Rohstoffpreisen<br />
von Holzreststoffen beobachtet werden.<br />
Diese Situation war Motivation, nach<br />
anderen Rohstoffquellen zu suchen, die<br />
ebenso nachwachsend und nachhaltig<br />
eingesetzt werden können. Die Kulturpflanze<br />
Hanf wird in Österreich praktisch<br />
nicht mehr für die Erzeugung von Fasern,<br />
sondern nur noch für die Produktion<br />
von Hanfsamen für Hanföl angebaut.<br />
Als Restprodukt bleibt hier das „Stroh“<br />
der Hanfpflanze übrig, allein in Österreich<br />
fallen dadurch jährlich rund 1.000<br />
Tonnen Hanfstroh an. Dieses Hanfstroh<br />
bleibt ungenutzt am Acker liegen oder<br />
wird eventuell verbrannt.<br />
In einem Forschungsprojekt wurde für<br />
Rest-Hanfstroh eine neue Nutzungsform<br />
entwickelt, indem Fasern und Schäben<br />
des Strohs in Verarbeitungsprozessen<br />
zu Werkstoffen verarbeitet wurden. Auf<br />
Basis eines statistischen Versuchsplans<br />
wurden verschiedene Mischungen aus<br />
Holzmehl, gehäckselt-zerkleinertes<br />
Hanfstroh und Kunststoff vorbereitet<br />
und mit Extrusions- und Spritzgussverfahren<br />
verarbeitet. Die hergestellten<br />
Hanf-Verbundwerkstoffe wurden danach<br />
mit verschiedenen Messmethoden genau<br />
charakterisiert.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass Hanfstroh<br />
in Polymerverbundwerkstoffen eingesetzt<br />
werden kann, der Hanfanteil kann<br />
dabei bis zu 65 Prozent betragen. Die<br />
mechanischen Eigenschaften des neuen<br />
Werkstoffes waren gut, durch Optimierung<br />
des Herstellungsverfahrens<br />
beziehungsweise des Rohstoffes konnten<br />
noch weitere Verbesserungen erzielt<br />
werden. Da Hanf einen vergleichsweise<br />
geringeren Anteil an Lignin aufweist,<br />
können die Hanf-Verbundwerkstoffe<br />
auch unempfindlicher gegenüber Licht<br />
(insbesondere UV) sein.<br />
HOLZSCHAUM – EIN NEUES<br />
LEICHTMATERIAL<br />
Holz, Knochen oder Schwämme sind<br />
Beispiele für zellulare Materialien in der<br />
Natur, die sich durch Kombination von<br />
gasförmiger und fester Phase auszeich-<br />
20 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Leichtplatte mit Holzschaumkern und Furnierdecklage.<br />
Verpackung aus Holzschaum.<br />
Die Holz-Hanf-Platte als anprallmindernde Wand in Turnhallen.<br />
nen. Die zellularen Materialien weisen<br />
ausreichend hohe Festigkeit bei geringem<br />
Materialeinsatz auf. Künstlich hergestellte<br />
Schaumstoffe mit zellartiger Struktur<br />
und niedriger Dichte sind weit verbreitet.<br />
Schaumstoffe wie geschäumtes Polystyrol<br />
sind wegen starker Umweltbelastung,<br />
fehlender Abbaubarkeit beziehungsweise<br />
Einsatz von Erdöl stark in Diskussion geraten.<br />
Gesucht sind also neue Schaumstoffe<br />
auf Naturstoffbasis. Eine Forschungsarbeit<br />
widmete sich einem naturbasierten<br />
Schaumstoff, der zu 100 Prozent aus<br />
Naturstoffen besteht, in der Herstellung<br />
einfach und auch industriell umsetzbar ist.<br />
Als Ausgangsstoff dient gemahlenes<br />
Holz einheimischer Baumarten. Diesem<br />
Holzmehl wird Lignin zugesetzt und es<br />
entsteht ein schaumiger Brei, der ein vielfaches<br />
Volumen der Ausgangsmenge aufweist.<br />
Die Masse wird für einige Zeit in einen<br />
Trockenschrank (ca. 100°C) gegeben<br />
und es entsteht ein fester, offenporiger<br />
Schaumstoff. Die Dichtewerte des neuartigen<br />
Holzschaums lagen zwischen 0,12<br />
und 0,17 g/cm 3 und sind somit wesentlich<br />
geringer als jene von Fichtenholz (0,47<br />
g/cm 3 ). Die Dichte des Holzschaums ist<br />
variierbar durch Art und Menge der hinzugegebenen<br />
Naturstoffe. Kennzeichen<br />
des entwickelten Holzschaums: Es ist ein<br />
Leichtbaumaterial aus nachwachsenden<br />
Rohstoffen, 100 Prozent biologisch abbaubar,<br />
er besteht aus Holzabfällen beziehungsweise<br />
verholzten Pflanzenteilen<br />
wie Stroh, weist eine hohe Umweltverträglichkeit<br />
und Ressourceneffizienz auf<br />
und zeigt sehr gute Wärmedämmung<br />
bei geringem Transportgewicht. Anwendungsbereiche<br />
sind unter anderem:<br />
Verpackungsmaterial, Leichtbaumöbel,<br />
Dämmplatten im Hausbau.<br />
NEUE CRADLE-TO-CRADLE<br />
VERBUNDPLATTE AUS HANF<br />
UND HOLZ<br />
Cradle-to-Cradle (C2C) bedeutet „von<br />
der Wiege bis zur Wiege“. Das steht für<br />
konsequente Kreislaufwirkung, ohne Abfall<br />
und umweltschädliche Stoffe. C2C<br />
umfasst drei Prinzipien: (1) „Nährstoff<br />
bleibt Nährstoff“, das heißt Materialien<br />
werden in einem biologischen und/oder<br />
technischen Kreislauf geführt, (2) Herstellung<br />
mit erneuerbarer Energie, sowie<br />
(3) Förderung biologischer Diversität.<br />
Der neue Plattenwerkstoff hat einen<br />
dreischichtigen Sandwichaufbau, das<br />
heißt, er besteht aus zwei Holz-Deckschichten<br />
sowie einer Hanffaservlies-<br />
Mittelschicht. Das Hanfvlies wurde im<br />
Non-Woven-Verfahren hergestellt und<br />
optimiert. Die einzelnen Schichten wurden<br />
mit einem eigenen 100-prozentigen<br />
Bio-Bindemittel verklebt. Tests zeigten<br />
ein hohes, flächenelastisches Verhalten<br />
(Eignung für Prallwände, Treppenstufen,<br />
Fahrzeugbau), sehr gute Wärmedämmund<br />
akustische Eigenschaften sowie hohe<br />
Brandbeständigkeit bei hoher Ressourceneffizienz<br />
und geringem Gewicht.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
21
Baum,<br />
Hanfpflanze<br />
Herstellung<br />
Sportstättenbau<br />
Rücknahme<br />
<strong>BOKU</strong>/Christoph Gruber<br />
Biologischer<br />
Nährstoff<br />
Biologischer<br />
Abbau<br />
Biologischer<br />
Kreislauf<br />
Sportstättenbau<br />
Der neue Plattenwerkstoff eignet sich<br />
aber besonders als anprallmindernde<br />
Wand in Turnhallen. Prallschutzwände<br />
haben wichtige sicherheitstechnische<br />
und Ball-reflektierende Funktionen. Gegenwärtig<br />
eingesetzte Prallwände sind<br />
mit einem Polyurethan-Hartschaumkern<br />
nicht nachhaltig. Die eingesetzten<br />
Kunststoffe sind fossilbasiert, verbreiten<br />
unangenehme Gerüche beziehungsweise<br />
emittieren gesundheitsschädigende<br />
Gase, bei leichter Entflammbarkeit.<br />
Mit dieser Forschung konnte die erste<br />
Cradle-to-Cradle Verbundplatte für<br />
Sportstätten entwickelt werden. Die<br />
Platten können sowohl im biologischen<br />
als auch im technischen Kreislauf geführt<br />
werden – es besteht Trennbarkeit<br />
von Holz und Hanf. Das Produkt ist zu<br />
100 Prozent biobasiert, zu 100 Prozent<br />
kreislauffähig, hat hervorragende Eigenschaften<br />
und schützt Menschen während<br />
der Sportausübung.<br />
Holz-Hanf-<br />
Platte<br />
Herstellung<br />
Technischer<br />
Kreislauf<br />
Auftrennung<br />
Technischer<br />
Nährstoff<br />
Neuer Plattenwerkstoff aus Holz-Hanf-Platte – mit hoher Eignung für den Sportstättenbau.<br />
WERKSTOFFE AUS ALTTEXTILIEN<br />
Bis 2050 werden rund sechs Milliarden<br />
Menschen in Städten wohnen. Städte<br />
werden zunehmend zu anthropogenen<br />
Lagerstätten für knappe Materialien und<br />
diese Forschungsarbeit beschäftigte sich<br />
mit neuen Verwertungsmöglichkeiten<br />
von Alttextilien als Bau- und Werkstoffe.<br />
Die Werkstoffe sollen im Möbelbau,<br />
in der Gebäudesanierung, dem Dachgeschoßausbau<br />
und zu Dämmzwecken<br />
eingesetzt werden. Ziel war es, Prozesse<br />
zu entwickeln, um aus Alttextilien<br />
neue Werkstoffe herzustellen. Es<br />
wurden dafür verschiedene Alttextilien<br />
mechanisch vorab zerkleinert und danach<br />
thermo-hygromechanisch aufgeschlossen<br />
(Labor-Refiner, Holländer).<br />
Danach erfolgte eine Heiß-Verpressung<br />
(Platten, Formteile). Verschiedene Prozessbedingungen<br />
konnten erfolgreich<br />
getestet werden. Im <strong>BOKU</strong> Technikum in<br />
Tulln wurden anschließend verschiedene<br />
Werkstoffe entwickelt: (1) Mitteldichte<br />
Faserplatten im Nassverfahren, aus<br />
100 Prozent Alttextilfasern und ohne<br />
Klebstoffe; (2) leichte Faserplatten im<br />
Trockenverfahren, mit Zusatz von Bindemitteln.<br />
Eine zentrale Fragestellung<br />
waren auch die Selbstbindekräfte. So<br />
können etwa durch Baumwolle Wasserstoffbrückenbindungen<br />
direkt für hohe<br />
Eigenbindung genutzt werden.<br />
Die Ergebnisse erbrachten gute mechanische<br />
Eigenschaften. Als Dämmstoffe<br />
tragen die neuen Werkstoffe zur Erhöhung<br />
der Energieeffizienz bei. Es wurde<br />
gezeigt, dass man aus Alttextilien innovative<br />
Werkstoffe erzeugen und nachhaltig<br />
einsetzen kann, bei gleichzeitiger<br />
<strong>BOKU</strong>-ERFINDERIN<br />
DES JAHRES<br />
Wir gratulieren Raphaela Hellmayr,<br />
Doktorandin am Institut für Holztechnologie<br />
und Nachwachsende Rohstoffe<br />
zur Auszeichnung als diesjährige<br />
„<strong>BOKU</strong>-Erfinderin des Jahres“! Für<br />
den Preis werden Erfinderinnen vor<br />
den Vorhang geholt, um nicht zuletzt<br />
auch anderen Wissenschaftlerinnen<br />
Inspiration und Vorbild zu sein. Vizerektor<br />
Christian Obinger und Rektor<br />
Hubert Hasenauer präsentierten am<br />
8. November stolz die <strong>BOKU</strong>-Erfinderin<br />
des Jahres <strong>2021</strong>, die bereits<br />
mehrfach für ihre Forschung über biobasierte<br />
Materialien nach dem Cradle<br />
to Cradle-Prinzip ausgezeichnet wurde.<br />
Die Begründung der Jury: „Frau<br />
Hellmayrs Engagement im Bereich<br />
Umwelt und Ressourcen trifft den<br />
Zeitgeist und entspricht den <strong>BOKU</strong>-<br />
Werten, sodass sich Frau Hellmayr<br />
perfekt als Role Model für angehende<br />
Studierende eignet.“<br />
Video DI in Hellmayr<br />
Verbesserung der Ressourceneffizienz.<br />
Die Ergebnisse stellen eine sinnvolle<br />
Verwertung von Reststoffen dar, Textilfirmen<br />
erzielen bessere Wertschöpfung<br />
und Kleidersammlungen können besser<br />
verwertet werden. Auch hier wird sowohl<br />
die Nachhaltigkeit als auch die Kreislaufwirtschaft<br />
konkret weiterentwickelt. •<br />
Univ.Prof. DI Dr. Rupert Wimmer forscht und lehrt<br />
am Institut für Holztechnologie und Nachwachsende<br />
Rohstoffe.<br />
22 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
<strong>BOKU</strong>-Forscher*innen entwickelten<br />
„Super-Antikörper“ für Nasensprays<br />
Team um Herta Steinkellner gelang Herstellung von IgA-Antikörper, der Covid-Erreger effektiv<br />
dort bekämpft, wo er meist in den Körper eindringt – in der Nasenschleimhaut. Von Bettina Fernsebner-Kokert<br />
Erst vor Kurzem präsentierte die<br />
Universität für Bodenkultur Wien<br />
vielversprechende Fortschritte von<br />
der Covid-19-Front. Das Team um Herta<br />
Steinkellner am Institut für Pflanzenbiotechnologie<br />
und Zellbiologie (IPBT)<br />
hatte IgG3-Antikörper mit besonders<br />
hoher antiviraler Aktivität entwickelt.<br />
Nun berichtet das Team einen weiteren<br />
Durchbruch: Es gelang die Herstellung<br />
sogenannter IgA-Antikörper, die direkt<br />
dort wirken, wo das Virus vorwiegend<br />
in den Körper eindringt – in der Nasenschleimhaut.<br />
Steinkellner und ihr Team nutzen zur<br />
Herstellung von Antikörpern eine Tabakpflanze<br />
(Nicotiana benthamiana):<br />
Sie bringen Gene der vom Menschen<br />
kommenden Teile der körpereigenen<br />
Abwehr in die Pflanze ein, ein Bakterium<br />
hilft bei der Lieferung des Erbguts in<br />
die Pflanze, die dann vorübergehend<br />
die gewünschten speziellen Proteine<br />
zusammensetzt.<br />
Antikörper sind die Hoffnungsträger im<br />
Kampf gegen SARS-CoV-2-Infektionen.<br />
Labore weltweit forschen deshalb unter<br />
Hochdruck daran und designen sogenannte<br />
monoklonale Antikörper (mAk),<br />
die besonders hohe Aktivitäten gegen<br />
das Virus aufweisen. Gerade erst meldete<br />
die <strong>BOKU</strong> einen Erfolg: Das Team<br />
um Herta Steinkellner (Department für<br />
Angewandte Genetik und Zellbiologie)<br />
produzierte gemeinsam mit der Medizinischen<br />
Universität Wien (Karin Stiasny,<br />
Zentrum für Virologie) neue mAk-Varianten<br />
vom Subtypus IgG3 mit einer<br />
fünfzigfach höheren SARS-CoV-2-Neutralisation<br />
als ihre Vorgänger.<br />
Aktuell konnten sie die antivirale Aktivität<br />
sogar noch weiter steigern, indem<br />
sie neue sogenannte IgA-Varianten<br />
herstellten. Der Clou daran: IgA-Moleküle,<br />
die häufig als Monomere – also<br />
einzelne Moleküle – vorliegen, wurden<br />
als Dimere erzeugt. Dabei verknüpfte<br />
das Forschungsteam zwei IgA-Moleküle<br />
miteinander. So konnte ihre Wirkung<br />
potenziert werden. In den Versuchsreihen<br />
neutralisierten die Dimere das<br />
Virus bis zu 240-fach effizienter als<br />
ihre monomeren Gegenstücke. „Diese<br />
Dem <strong>BOKU</strong>-Forschungsteam<br />
gelang es jetzt, einen<br />
monoklonalen Antikörper<br />
vom Typ IgG3 im Labor<br />
herzustellen, der einen neuen,<br />
besonders aussichtsreichen<br />
Therapieansatz auch als<br />
Nasenspray in Aussicht stellt.<br />
unerwartet hohe Wirksamkeit macht<br />
IgA-Antikörper besonders interessant<br />
für neue Therapieansätze, nicht nur für<br />
SARS-CoV-2, sondern auch für andere<br />
Erreger, die über die Atemwege in<br />
den Körper gelangen“, so Steinkellner.<br />
Denn IgA-Antikörper sind Kämpfer an<br />
vorderster Front. Sie befinden sich auf<br />
Schleimhäuten des Körpers wie dem<br />
Nasenepithel und bekämpfen dort Eindringlinge<br />
praktisch an der Eingangstür.<br />
Für die Behandlung von SARS-<br />
CoV-2-Infektionen stellt vor<br />
allem die Entwicklung von IgA-<br />
Dimer-haltigen Nasensprays<br />
einen neuen, besonders aussichtsreichen<br />
Therapieansatz dar. Bis<br />
dato wurde die hohe Wirksamkeit der<br />
IgA-Moleküle in Zellsystemen getestet,<br />
weitere Studien an Tiermodellen befinden<br />
sich in Planung. Die Erwartungen<br />
sind groß.<br />
•<br />
Die Studie ist im<br />
Fachmagazin PNAS<br />
erschienen.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
23
Sind wir bereit für Fleisch aus dem Labor?<br />
Eine repräsentative Befragung zeigt, dass sich 67 Prozent der Fleischesser*innen vorstellen könnten,<br />
In-Vitro-Fleisch zu probieren.<br />
Von Bettina Fernsebner-Kokert<br />
Eine Verringerung des Fleischkonsums<br />
wird von vielen Seiten als ein<br />
Hebel für den Klima- und Umweltschutz<br />
gesehen, zeitgleich hat sich der<br />
weltweite Fleischkonsum in den vergangenen<br />
20 Jahren verdoppelt (Fleischatlas<br />
<strong>2021</strong>). Als eine mögliche Antwort<br />
darauf wird neben pflanzlichen Fleischersatzprodukten<br />
seit einigen Jahren an<br />
der Entwicklung von In-Vitro-Fleisch<br />
gearbeitet, um den weltweiten Fleischbedarf<br />
in Zukunft zu decken.<br />
Unter In-Vitro-Fleisch versteht man<br />
Fleisch, das aus tierischen Stammzellen<br />
im Labor hergestellt wird, ohne dabei<br />
Tiere zu schlachten. Der Herstellungsprozess<br />
gilt als ressourcenschonender<br />
und nachhaltiger als die konventionelle<br />
Fleischproduktion. Aktuell ist In-Vitro-<br />
Fleisch in den ersten Ländern – Singapur<br />
und Israel – erhältlich, in Europa ist es<br />
bislang noch nicht zugelassen.<br />
Doch wären die Österreicher*innen<br />
überhaupt dazu bereit, Fleisch aus dem<br />
Labor zu essen? Das Institut für Marketing<br />
und Innovation der Universität für<br />
Bodenkultur Wien hat in einer Studie<br />
diese Frage einer Stichprobe von 521<br />
Personen (im Alter von 18 bis 65 Jahren,<br />
repräsentativ in Hinblick auf Geschlecht,<br />
Bildungsstand, Einkommen und Bundeslandwohnort)<br />
gestellt.<br />
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass<br />
In-Vitro-Fleisch noch weitgehend unbekannt<br />
ist. Nur drei von zehn Befragten<br />
hatten den Begriff davor bereits gekannt.<br />
Dennoch kann sich die Mehrheit der Befragten<br />
(61 Prozent) – nach Erläuterung<br />
des Herstellungsverfahrens – prinzipiell<br />
Könnten Sie sich vorstellen,<br />
In-Vitro-Fleisch zu essen?<br />
13 %<br />
61 %<br />
26 %<br />
Wäre es Ihrer Meinung nach<br />
wünschenswert, dass sich In-Vitro-<br />
Fleisch am österreichischen<br />
Markt etabliert?<br />
42 %<br />
wünschenswert<br />
nicht<br />
wünschenswert<br />
weder noch<br />
33 %<br />
25 %<br />
vorstellen, In-Vitro-Fleisch zu probieren.<br />
Dabei zeigen sich wesentliche Unterschiede<br />
zwischen Vegetarier*innen und<br />
Personen, die regelmäßig Fleisch essen.<br />
So zeigen sich 67 Prozent der Personen,<br />
die regelmäßig Fleisch essen, zum Probieren<br />
von In-Vitro-Fleisch bereit, und<br />
lediglich 19 Prozent der Vegetarier*innen.<br />
Die wesentlichen Vorteile dieser Food-<br />
Tech-Innovation sehen die Befragten<br />
in Tierwohl, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit.<br />
Die Unnatürlichkeit von<br />
In-Vitro-Fleisch sowie gesundheitliche<br />
und geschmackliche Bedenken zählen<br />
hingegen zu den vorgebrachten Nachteilen<br />
aus Sicht der Konsument*innen.<br />
Das Risiko von Krankheitsübertragung<br />
und Verunreinigungen wird mehrheitlich<br />
als geringer oder ähnlich zur herkömmlichen<br />
Fleischproduktion erwartet.<br />
Geht es um eine mögliche künftige Markteinführung<br />
von In-Vitro-Fleisch in Österreich,<br />
sprechen sich vier von zehn Befragten<br />
dafür aus. Ein Viertel sieht es als nicht<br />
wünschenswert. Als Zielgruppen werden<br />
mehrheitlich sowohl Personen, die Fleisch<br />
essen, als auch Personen mit vegetarischen<br />
Ernährungsstilen gesehen. Bezahlen<br />
würden die Österreicher*innen in<br />
etwa gleich viel (52 Prozent) oder weniger<br />
(42 Prozent) als für marktübliche Fleischprodukte,<br />
mehr zu bezahlen können sich<br />
nur rund sechs Prozent vorstellen.<br />
Zusammenfassend zeigt die Studie unter<br />
Fleischesser*innen einen mehrheitlich<br />
offenen und probierfreudigen Blick auf<br />
Fleisch aus tierischen Stammzellen. Wobei<br />
die Konsument*innen nicht bereit wären,<br />
mehr für In-Vitro-Fleisch zu bezahlen. •<br />
24 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
„SolarCircle“: Wie klimafreundlich sind<br />
neue Materialien in der Photovoltaik?<br />
Emerging Photovoltaics (EPVs) ermöglichen flexible, ultradünne und vor allem leichte PV-Module. Projekt der<br />
<strong>BOKU</strong> in Kooperation mit der JKU und dem Energieinstitut Linz untersucht Aspekte der Nachhaltigkeit und<br />
Kreislaufwirtschaft.<br />
Für die Energiewende sind innovative<br />
Werkstoffe unverzichtbar. Sogenannte<br />
Advanced Materials werden<br />
insbesondere in der Photovoltaik (PV)<br />
immer bedeutender, um den Wirkungsgrad<br />
von Solarzellen zu erhöhen. Die PV-<br />
Märkte wachsen derzeit sehr schnell, um<br />
die Pariser Klimaziele für 2050 erreichen<br />
zu können – 100 Prozent Stromerzeugung<br />
aus erneuerbaren Energien werden angestrebt.<br />
Da dieses Ziel mit klassischen siliziumbasierten<br />
und relativ schwergewichtigen<br />
Solarzellen höchstwahrscheinlich<br />
nicht erreicht werden kann, sind innovative<br />
PV-Technologien notwendig. „Emerging<br />
Photovoltaics“ (EPVs) ermöglichen<br />
flexible, ultradünne und vor allem leichte<br />
PV-Module. Sie können auch transparent<br />
gestaltet werden, um sie so etwa in Glasfassaden<br />
zu integrieren.<br />
WIE NACHHALTIG SIND EPVS?<br />
Sonnenstrom ist umwelt- und klimafreundlich,<br />
aber sind es auch die neuartigen<br />
Materialien in den EPVs? Um diese<br />
Frage zu beantworten, wurde das Projekt<br />
„SolarCircle“ ins Leben gerufen, bei dem<br />
das Institut für Synthetische Bioarchitekturen<br />
sowie das Institut für Abfallwirtschaft<br />
der <strong>BOKU</strong> Wien gemeinsam<br />
mit der JKU Linz und dem Energieinstitut<br />
Linz interdisziplinär die Nachhaltigkeitsaspekte<br />
der jüngeren EPV-Generation<br />
erforscht.<br />
Diese neuartigen PV-Systeme basieren<br />
etwa auf Perowskit-Halbleitern, nanokristallinen<br />
Quantenpunkten, leitfähigen<br />
Polymeren oder Farbstoffen. Sie haben<br />
ein großes Potenzial, da sie neben der<br />
klassischen Energieerzeugung neue Anwendungsbereiche,<br />
etwa für tragbare<br />
Kleingeräte wie das „Internet der Dinge“<br />
oder „Point-of-Care“-Sensoren, in der<br />
Landwirtschaft, für Dächer und Fensterflächen<br />
sowie Parkplatz- oder Autobahnüberdachungen<br />
erschließen.<br />
Fassade des SwissTech Convention Centers in Lausanne mit semitransparenter Fassade aus<br />
Farbstoffsolarzellen.<br />
„SAFE BY DESIGN“ NOTWENDIG<br />
Viele EPVs befinden sich derzeit noch in<br />
der Entwicklung oder stehen teilweise<br />
kurz vor ihrer Kommerzialisierung. So<br />
sollten im Sinne der Nachhaltigkeit und<br />
Circular Economy frühzeitig Konzepte<br />
wie „Design for Recycling“, „Sustainability<br />
for Design“ oder „Safe by Design“<br />
herangezogen werden, um sie umweltfreundlicher<br />
zu gestalten, noch bevor sie<br />
auf den Markt gelangen. Hierbei fehlt es<br />
jedoch an innovativen Ansätzen, um den<br />
Materialeinsatz kritischer Rohstoffe, wie<br />
Indium oder Ruthenium, welches in den<br />
einzelnen, Nanometer bis Mikrometer<br />
dünnen Schichten der Solarzelle enthalten<br />
sind, zu verringern oder alternative<br />
und umweltfreundliche Materialien einzusetzen.<br />
In Bezug auf die Kreislaufwirtschaft fehlen<br />
derzeit konkrete, technische Lösungen,<br />
um wertvolle Stoffe, insbesondere<br />
der Halbleiterschichten, rückzugewinnen.<br />
„Man sieht sogar am Beispiel von<br />
klassischen siliziumbasierten PV-Modulen,<br />
dass die dort enthaltenen Halbleitermaterialien<br />
derzeit nicht oder kaum<br />
rückgewonnen werden, obwohl diese<br />
auch kritische Rohstoffe wie Silizium enthalten“,<br />
sagt Florian Part vom Institut für<br />
Abfallwirtschaft der <strong>BOKU</strong>.<br />
MARKTNISCHE VORHANDEN,<br />
FORSCHUNGSBEDARF HOCH<br />
Zudem wurden in „SolarCircle“ Marktpotenziale,<br />
Nachhaltigkeitsaspekte,<br />
Stakeholder-Befragungen sowie eine<br />
qualitative Risikoabschätzung der eingesetzten<br />
Materialien näher ausgearbeitet.<br />
Die Analysen haben ergeben, dass EPVs<br />
zukünftig eine wichtige Marktnische am<br />
weltweiten PV-Markt einnehmen können,<br />
da sie neue PV-Märkte aufgrund<br />
ihres geringen Gewichts oder ihrer Transparenz<br />
ermöglichen. Eine umfassende<br />
ökologische Nachhaltigkeits- und Risikobewertung<br />
ist nach derzeitigem Stand<br />
des Wissens jedoch nicht möglich und<br />
daher herrscht noch hoher Forschungsbedarf,<br />
um solche innovativen PV-Systeme<br />
nachhaltig gestalten zu können,<br />
bevor ihre großindustrielle Produktion<br />
ausgerollt wird. <br />
•<br />
Fernando Guerra<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
25
Adobe Stock<br />
Zwei Wochen war Fabian Pfrengle<br />
in Österreich, als der erste<br />
Lockdown kam. Der Chemiker<br />
hatte im März 2020 gerade<br />
mit seiner Familie von Berlin<br />
nach Wien gewechselt, um hier einen<br />
Lehrstuhl am Institut für Organische<br />
Chemie an der <strong>BOKU</strong> zu übernehmen, als<br />
die Maßnahmen gegen Covid-19 einsetzten<br />
und sich jedermann in die eigenen<br />
vier Wände zurückziehen musste. Für<br />
Pfrengle bedeutete das: Sich an einer<br />
neuen Uni, in einer neuen Stadt, noch<br />
ohne soziales Netzwerk, auf ungewöhnliche<br />
Rahmenbedingungen einzustellen.<br />
„Nicht einmal Spielplätze waren geöffnet,<br />
das war für meine fünfjährige<br />
Tochter schon hart“, erinnert sich der<br />
Forscher, der dennoch gelassen blieb:<br />
„Für mich selbst war das alles nicht so<br />
schlimm.“<br />
Denn die an der <strong>BOKU</strong> übernommene<br />
Professur war ein echter Glücksfall für<br />
den Chemiker. In langjähriger Aufbauarbeit<br />
hatte sein Vorgänger Paul Kosma<br />
am Institut für Organische Chemie ein<br />
international renommiertes Zentrum<br />
der Kohlenhydratforschung geschaffen,<br />
das organische Synthese mit biologisch<br />
motivierten Fragestellungen verbindet.<br />
Genau an dieser Stelle hat sich auch<br />
Pfrengle in seiner wissenschaftlichen<br />
Arbeit positioniert.<br />
Sein Interesse gilt dabei speziell der Vielfalt<br />
an Zuckerstrukturen, die in Pflanzen<br />
vorkommen. Einige davon, wie die<br />
Polysaccharide Stärke und Cellulose, sind<br />
heute jede*m*r Schüler*in bekannt – für<br />
einen Organischen Chemiker aber allzu<br />
einfache Strukturen, in denen sich der<br />
Baustein Glucose in langen Kettenmolekülen<br />
immer und immer wiederholt. Die<br />
strukturelle und funktionelle Vielfalt der<br />
„Glykane“ (wie die Chemiker jene Verbindungen<br />
nennen, die aus mehreren Zuckerbausteinen<br />
zusammengesetzt sind)<br />
ist aber weitaus größer. Unterschiedliche<br />
Bausteine können in unterschiedlichen<br />
Verknüpfungen zu Molekülen unterschiedlicher<br />
Länge mit unterschiedlich<br />
vielen Seitenketten verbunden werden.<br />
Zudem sind die Zuckereinheiten zuweilen<br />
auch an andere Strukturen (an Lipide oder<br />
Proteine etwa) gebunden. „Da gibt es<br />
viel zu untersuchen“, freut sich Pfrengle.<br />
26 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Viel „Glyk“ in der Pflanzenbiologie<br />
Fabian Pfrengle hat 2020 die Professur für Organische Chemie an der <strong>BOKU</strong><br />
übernommen. Sein Forschungsansatz der „Chemischen Biologie“ passt gut zur<br />
Tradition der Kohlenhydratchemie am Institut.<br />
Von Georg Sachs<br />
KÜNSTLICHES WERKZEUG,<br />
NATÜRLICHES INTERESSE<br />
Das besondere Interesse seiner Gruppe<br />
gilt dabei dem Zusammenhang zwischen<br />
chemischer Struktur und biologischer<br />
Funktion der Glykane, von denen die<br />
meisten mit der Zellwand der Pflanzen<br />
assoziiert sind. Für diese Aufgabe leisten<br />
die Methoden des Synthesechemikers<br />
gute Dienste. „Wir bauen Verbindungen<br />
nach, um sie in biologischen Experimenten<br />
einzusetzen“, erklärt Pfrengle.<br />
Denn um die physiologische Rolle von<br />
molekularen Strukturen zu verstehen,<br />
ist es nützlich, Substanzen definierter Zusammensetzung<br />
zur Verfügung zu haben.<br />
In der Pflanze selbst liegen heterogene<br />
Gemische vor, Reinsubstanzen sind nur<br />
sehr schwierig zu gewinnen. Daher ist es<br />
oft nicht einfach, herauszufinden, welche<br />
Strukturelemente für welche Eigenschaften<br />
verantwortlich sind.<br />
Der Ansatz, genau definierte Strukturen<br />
künstlich herzustellen, um herauszufinden,<br />
welche biologische Bedeutung<br />
sie haben, kommt aus dem Bereich der<br />
„Chemischen Biologie“ oder auch „Bioorganischen<br />
Chemie“. Sie ist dabei von<br />
der „Biochemie“ zu unterscheiden, die<br />
untersucht, welche chemischen Reaktionen<br />
in lebenden Organismen ablaufen. In<br />
der „Chemischen Biologie“ wird die Chemie<br />
dagegen als Werkzeug verwendet,<br />
um etwas über die Biologie zu lernen.<br />
Die Wissenschaftler*innen haben unzählige<br />
Oligo- und Polysaccharide synthetisiert,<br />
die unterschiedlich mit bestimmten<br />
Proteinen (mit Antikörpern<br />
oder Enzymen etwa) in Wechselwirkung<br />
treten. Alle Kombinationen einzeln zu<br />
untersuchen, wäre ungeheuer aufwendig.<br />
Daher werden in Pfrengles Team<br />
Hochdurchsatzmethoden eingesetzt, sogenannte<br />
Glykan-Arrays: Viele verschiedene<br />
Verbindungen werden roboterunterstützt<br />
auf einen Glasträger gedruckt<br />
und das zu untersuchende Protein mit<br />
allen gleichzeitig in Kontakt gebracht.<br />
Ein Beispiel für die Funktionen, die Zuckerstrukturen<br />
in Pflanzen haben können,<br />
ist die Immunabwehr. „Wenn wir die<br />
besser verstehen, könnte man Pflanzen<br />
so modifizieren oder behandeln, dass<br />
sie resistenter gegen Angreifer sind“,<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
27
Adobe Stock<br />
formuliert Pfrengle ein Fernziel dieses<br />
Forschungszweigs. Das Beispiel zeige<br />
überdies, dass seine Forschung gut zur<br />
Ausrichtung der <strong>BOKU</strong> auf Themen der<br />
Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit<br />
passe. „Wir sind mit unserem Forschungsgegenstand<br />
aber ganz am Beginn der<br />
Nahrungskette und arbeiten sehr grundlagenorientiert<br />
“, so Pfrengle: „Dennoch<br />
sind auch bei unserer Forschung immer<br />
mögliche Anwendungsfelder formulierbar.<br />
Aber es ist ein recht weiter Weg dorthin,<br />
der nicht nur uns, sondern immer<br />
auch andere Partner involviert.“<br />
BERLIN – LA JOLLA –<br />
POTSDAM – WIEN<br />
Mit der Synthesechemie ist Pfrengle<br />
schon im Rahmen seiner Dissertation an<br />
der Freien Universität Berlin in Berührung<br />
gekommen. „Das war klassische organische<br />
Synthese von kleinen Wirkstoffmolekülen.<br />
Ich habe dabei aber Methoden<br />
entwickelt, die auch für die Herstellung<br />
von Kohlenhydraten gut geeignet waren“,<br />
blickt Pfrengle zurück. Der Chemiker begann<br />
sich gegen Ende seiner Doktorarbeit<br />
zu fragen, was denn eigentlich der<br />
Zweck der ausgetüftelten Synthesen ist:<br />
„Die Arbeitsgruppe, in der ich dissertiert<br />
habe, war rein chemisch orientiert.“ Die<br />
Expertise in Biologie holte er sich erst<br />
im Zuge eins Post-doc-Aufenthalts am<br />
renommierten Scripps Research Institute<br />
im kalifornischen La Jolla. Pfrengle<br />
erinnert sich noch heute gerne an die<br />
traumhafte Lage direkt am Pazifik zurück.<br />
Für einen promovierten Chemiker, der in<br />
der Molekularbiologie und Immunologie<br />
wieder ganz von vorne anfangen musste,<br />
war die Arbeit dort eine harte Schule: „Da<br />
war ich Neuling und musste noch einmal<br />
in die Rolle eines Praktikanten schlüpfen.“<br />
Die interdisziplinär orientierte Gruppe, zu<br />
der er gestoßen war, beschäftigte sich<br />
mit Glykoimmunologie, also der Rolle<br />
von Kohlenhydraten in der Immunabwehr.<br />
„Ich war dort, um zu lernen, wie<br />
man in der Biologie arbeitet, und habe<br />
im Gegenzug immer wieder Substanzen<br />
hergestellt, die gebraucht wurden.“<br />
Zurück in Deutschland, konnte er beide<br />
Stränge, die Biologie und die Chemie,<br />
miteinander verbinden. Pfrengle erhielt<br />
eine Gruppenleiterstelle am Max-Planck-<br />
Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung<br />
in Potsdam, direkt vor den Toren<br />
Berlins gelegen – in einem Department,<br />
das vom renommierten Kohlenhydratforscher<br />
Peter Seeberger geleitet wurde.<br />
Hier entdeckte er auch die Chemie der<br />
Pflanzen für sich: „Viele versuchen, Impfstoffe<br />
und ähnliches mithilfe von synthetischen<br />
Zuckern herzustellen. Aber<br />
die organische Synthesechemie im Bereich<br />
der Pflanzen einzusetzen, hatten<br />
wenige auf dem Schirm.“ Das hatte den<br />
Vorteil, noch wenig ausgetretene Pfade<br />
beschreiten und der Pflanzenforschung<br />
neue Impulse geben zu können. Mithilfe<br />
von Fördermitteln aus dem Emmy-<br />
Noether-Programm (das in Österreich<br />
mit einem Start-Preis vergleichbar ist)<br />
erhielt er 2015 die Gelegenheit, über fünf<br />
Jahre hinweg eine eigene Forschungsgruppe<br />
zu formieren. „Das schafft viele<br />
Möglichkeiten, aber auch Druck: Die<br />
28 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Privat<br />
Oben: Glykan-<br />
Array zur Untersuchung<br />
von biosynthetischen<br />
Enzymen.<br />
Links: Scan eines<br />
Glykan-Arrays.<br />
Visualisierung von<br />
pflanzlichen Zellwänden<br />
mit kohlenhydratbindenden<br />
Antikörpern. Schematische Darstellung einer pflanzlichen Primärzellwand.<br />
»Wenn wir die Immun -<br />
abwehr in Pflanzen besser<br />
verstehen, könnte man diese<br />
so modifizieren, dass sie<br />
resistenter gegen Angreifer<br />
sind. Wir sind mit unserem<br />
Forschungsgegenstand aber<br />
ganz am Beginn der<br />
Nahrungskette und arbeiten<br />
sehr grundlagenorientiert.<br />
Fabian Pfrengle<br />
Finanzierung von drei Mitarbeitern über<br />
diesen Zeitraum ist gesichert, aber eine<br />
weitere Erstreckung ist nicht möglich.<br />
Man muss sich am Ende der Laufzeit also<br />
nach Alternativen umsehen.“<br />
In dieser Situation kam die Ausschreibung<br />
der Professur an der <strong>BOKU</strong> gerade recht.<br />
„Mit Paul Kosma ist ein sehr bekannter<br />
Kohlenhydratchemiker in Pension gegangen<br />
und die <strong>BOKU</strong> hat genau jemanden<br />
auf diesem Gebiet gesucht“, sagt<br />
Pfrengle: „Ein solches Zusammentreffen<br />
ist in Europa ziemlich einzigartig.“ Entsprechend<br />
gut fügt sich die Arbeit seiner<br />
Gruppe (der frisch berufene Professor<br />
brachte drei Mitarbeiter aus Potsdam<br />
mit) in den bestehenden Schwerpunkt<br />
am Institut ein. Zudem ergaben sich bald<br />
auch Möglichkeiten der Zusammenarbeit<br />
mit Forschern anderer Departments:<br />
„Wir haben ein Enzym gefunden, das eine<br />
wichtige Rolle im Glykan-Stoffwechsel<br />
spielt. Nun untersuchen wir gemeinsam<br />
mit Georg Seifert vom Department für<br />
Angewandte Genetik und Zellbiologie,<br />
welche Eigenschaften Pflanzen haben,<br />
die dieses Enzym nicht produzieren<br />
können“, so Pfrengle. Ansatzpunkte für<br />
Kollaborationen gibt es auch mit anderen<br />
Instituten und Departments. Gemeinsam<br />
mit zehn anderen Arbeitsgruppen wurde<br />
ein großes Projekt beim FWF beantragt,<br />
das sich mit Pflanzenglykobiologie beschäftigen<br />
soll. „Für all das benötigt man<br />
Geld. Ich bin sehr viel damit beschäftigt,<br />
Anträge zu schreiben“, meint Pfrengle<br />
schmunzelnd.<br />
NEUE FORMEN DER LEHRE<br />
Stark eingebunden ist sein Institut auch<br />
in die Lehre: „Ich halte die Grundlagenvorlesung<br />
zur Organischen Chemie im<br />
Bachelor-Studium Lebensmittel- und<br />
Biotechnologie.“ Die Corona-Pandemie<br />
hat auch hier ihre Spuren hinterlassen:<br />
„Ich musste schon in meinem ersten<br />
Wintersemester an der <strong>BOKU</strong> auf Video-Vorlesungen<br />
umstellen“. Darin sieht<br />
Pfrengle aber auch eine große Chance<br />
für die Zukunft der Lehre: „Vom ‚Flipped<br />
Classroom‘ sind wir noch weit entfernt.<br />
Aber es könnte ein sinnvolles Konzept<br />
sein, dass Studierende sich zuerst daheim<br />
ein Video ansehen und dann an die Uni<br />
kommen, um gemeinsam mit Lehrenden<br />
Fragestellungen zu diskutieren und<br />
Übungen zu machen.“<br />
An die sprichwörtliche österreichische<br />
Mentalität hat sich Pfrengle schnell gewöhnt.<br />
„Manches ist gar nicht so unterschiedlich<br />
zu Deutschland. Im Vergleich<br />
zu den USA stehen uns oft die eigenen<br />
Traditionen im Weg“. Während man in<br />
Nordamerika häufig versuche, den effizientesten<br />
Weg zum Ziel zu finden, scheitere<br />
man in Mitteleuropa manchmal an<br />
Regeln, die einem keiner erklären könne.<br />
Einen Vorteil hat Österreich in diesem<br />
Zusammenhang vielleicht, wie Pfrengle<br />
festgestellt hat: „Es gibt wahrscheinlich<br />
noch mehr Regeln als in Deutschland,<br />
aber sie werden nicht ganz so strikt ausgelegt.“<br />
•<br />
Georg Sachs ist Chefredakteur der Zeitschrift<br />
Chemiereport/Austrian Life Sciences.<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
29
Zotter Schokolade<br />
„Man muss sich Zeit lassen und jedes<br />
kleine Stück bewusst genießen“<br />
Interview Ingeborg Sperl<br />
Peru: Julia Zotter mit Kakaofrüchten<br />
Weihnachtszeit ist Schokozeit. Wenn es draußen kalt und dunkel wird, braucht man einen Seelentröster.<br />
Aber wenn schon, dann einen besonders guten. Den liefert eine von Österreichs Top-Marken: Zotter<br />
Schokolade. Julia Zotter ist das Gesicht der jüngeren Generation der 1999 gegründeten steirischen Firma.<br />
30 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Sie haben an der <strong>BOKU</strong> studiert?<br />
Zotter: Ja, Lebensmittel -und Biotechnologie.<br />
Aber nicht abgeschlossen.<br />
Warum nicht?<br />
Es ist viel dazwischengekommen. Ich<br />
habe mir ein Jahr Auszeit in Paris gegönnt<br />
und die Cordon-Bleu-Akademie<br />
in den Fächern Patisserie und Cuisine<br />
absolviert.<br />
An welche <strong>BOKU</strong>-Vorlesungen erinnern<br />
Sie sich besonders gut?<br />
Ich mochte alles, was mit Fermentation<br />
zusammenhing und die kreativen Praxisbeispiele.<br />
Was war besonders schwer?<br />
Mathematik. Meine Zeit in Wien war jedenfalls<br />
prägend. Das Netzwerk von damals<br />
funktioniert toll. Der lockere Zugang<br />
der Studis zu den Professor*innen war<br />
nicht so hierarchisch, das hat mir gefallen.<br />
Zotter Schokolade<br />
Peru: Kind mit Kakaofrüchten<br />
Kakaofrüchte<br />
geben, weil bei den Bergbauern wegen<br />
der Dürre alle Beeren vertrocknet sind.<br />
Wie kommen die Kakaobohnen nach<br />
Europa?<br />
Der Kakao wird mit Containerschiffen<br />
nach Rotterdam gebracht. Im nächsten<br />
Jahr soll ein Schiff, das gerade in Sizilien<br />
zu einem Segelschiff umgebaut wird, 100<br />
Tonnen Fracht transportieren können.<br />
Da werden auch die Kakaobohnen für uns<br />
dabei sein. Es gibt sogar ein Segelschiff,<br />
das in Belize Kakao an Bord nimmt und<br />
dann entlang der Küsten nach Hamburg<br />
segelt. Das dauert zwei Monate.<br />
Wie sieht es mit dem internationalen<br />
Geschäft aus?<br />
Das Schoko-Theater in Shanghai, das<br />
von 2014 bis 2017 aufgebaut wurde, ist<br />
mein Gründer-Erlebnis gewesen. Schokolade<br />
ist beratungsbedürftig. Man muss<br />
den Menschen zeigen, wie Schokolade<br />
entsteht. In Shanghai kann man die<br />
gesamte Produktion mitverfolgen und<br />
natürlich auch verkosten. Im Moment<br />
leitet eine chinesische Mitarbeiterin das<br />
Schoko-Theater. Den Corona-Lockdown<br />
haben wir gut überstanden.<br />
Schon vor Ihrem Studium waren Sie international<br />
unterwegs. Mit 16 lebten Sie bei<br />
einer Gastfamilie in China. Warum China?<br />
Das ist eigentlich ein Zufall. Mein Name<br />
steht am Ende des Alphabets. Ich fang<br />
mit Z an, alle anderen Schüler*innen<br />
wollten in ein englischsprachiges Land<br />
wie zum Beispiel Australien. Da blieb für<br />
mich eben China übrig. Ich habe in der<br />
Zeit Chinesisch gelernt.<br />
Woher bezieht die Firma die Rohstoffe?<br />
Unsere Rohstoffe kommen aus Südamerika,<br />
Indien, Madagaskar und Afrika.<br />
Unterscheiden sich die Sorten?<br />
Ja, durchaus. Die Unterschiede ergeben<br />
sich aus den Lagen. In Westafrika ist zum<br />
Beispiel der Kakao gefälliger, der hat<br />
viele Schokonoten. In der Dominikanischen<br />
Republik ist der Röst- und Nussgeschmack<br />
kräftiger.<br />
Madagaskar: handselektierter Kakao<br />
Sortenreine Arten sind selten. Man kann<br />
verschiedene Arten mischen, die müssen<br />
aber gut ausbalanciert sein. Den Geschmackssinn<br />
kann man ähnlich wie beim<br />
Wein trainieren. Übrigens schmeckt für<br />
mich das Fruchtfleisch, das die Bohnen<br />
umhüllt, wie der Apfel Kronprinz Rudolf.<br />
Zotter Schokolade ist Mitglied der<br />
WFTO (World Fair Trade Organisation).<br />
Was heißt das?<br />
Dass das Unternehmen als Ganzes nach<br />
fairen Richtlinien geprüft wird. Kakao<br />
abseits der großen Plantagen zu kaufen<br />
bedeutet, dass sich wenige Bauern<br />
zusammentun, das heißt, die Kontrolle<br />
ist leichter. Manchmal muss man auch<br />
auf bestimmte Komponenten verzichten,<br />
weil das Klima nicht mitmacht. So<br />
wird es heuer keine Himbeerschokolade<br />
Was sind die ausgefallensten Produkte<br />
unter den 500 Schokoladensorten?<br />
Derzeit wohl die mit karamelisierten<br />
Grammeln. Die kommt an. In China ist<br />
Schoko mit Chili oder sogar mit Fischgeschmack<br />
normal. Eine Kombination mit<br />
Algenkaramel und Ananas oder Bergkäse-Schoko<br />
klingt doch auch gut. Manchmal<br />
graben wir eine Idee wieder aus, die<br />
wir verworfen hatten und sehen, dass die<br />
doch funktioniert.<br />
Werden Sie in nächster Zeit wieder reisen?<br />
Ich habe die Reisen in die Schoko-Länder<br />
eingestellt, solange es dort keine ausreichenden<br />
Impfungen gibt.<br />
Sie haben erzählt, dass Sie jeden Tag eine<br />
Tafel Schokolade essen. Wie schafft man<br />
es, dabei so toll auszusehen?<br />
Irgendetwas Minderwertiges in sich hineinzuschlingen,<br />
bringt gar nichts. Man<br />
muss sich Zeit lassen und jedes kleine<br />
Stück bewusst genießen. Qualität vor<br />
Quantität. Dabei kann man zu sich selbst<br />
kommen und Stress abbauen. •<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
31
Adobe Stock<br />
Katastrophen sind wie eine Lupe<br />
Die erwartbaren meteorologischen Extreme übertrafen diesen Sommer jede Vorstellung. Es gab zuhauf<br />
Diskussionen über Klimawandel, gescheiterte Notfallpläne, Schuldzuweisungen, Reportagen beherrschten<br />
die Medien. Ein Blick auf die Rolle der Frauen.<br />
Von Ingeborg Sperl<br />
Bilder, die sich ganz automatisch<br />
einstellen, weil sie so vertraut sind:<br />
Ein Bürgermeister, ein Feuerwehrmann,<br />
ein Soldat geben mehr oder weniger<br />
gehaltvolle Statements ab. Tage später<br />
sieht man dann Frauen, die Schlamm<br />
schaufeln, Helfer*innen bekochen und<br />
saubermachen.<br />
Das entspricht zwar längst nicht mehr<br />
der Realität, aber Klischees sind langlebig.<br />
Diese auch auf wissenschaftlicher<br />
Ebene aufzubrechen, hat sich das europäische<br />
Netzwerk „women exchange für<br />
Disaster Risk Reduction“ (we4DRR) zur<br />
Aufgabe gemacht. Gegründet wurde das<br />
Netzwerk von der Ex-Bundesministerin<br />
für Nachhaltigkeit und Tourismus, Maria<br />
Patek, und der ehemaligen Vizerektorin<br />
für Lehre, Barbara Hinterstoisser.<br />
<strong>BOKU</strong>-Absolventin Maria Patek, eine<br />
Pionierin der Wildbachverbauung, ist ein<br />
Paradebeispiel für durchsetzungsfähige<br />
Frauen in Männerjobs.<br />
Doris Damyanovic, eine der Netzwerkerinnen<br />
vom Institut für Landschaftsplanung,<br />
steht im engen Kontakt mit<br />
Wissenschaftlerinnen aus Italien, der<br />
Schweiz, Serbien, Griechenland, Großbritannien<br />
und Deutschland – hier vor<br />
allem mit Bayern, wegen dessen alpiner<br />
Lage. „Es lohnt sich, die Forscher*innen<br />
in dem besonders männlich dominierten<br />
Gebiet des Naturgefahrenmanagements<br />
zu vernetzen“, sagt Damyanovic.<br />
Die Pandemie hat zwar den direkten<br />
persönlichen Austausch innerhalb des<br />
internationalen Netzwerks verhindert<br />
– die Forscherinnen hatten sich jedes<br />
Jahr gemeinsam konkrete Projekte zum<br />
Schutz vor Naturgefahren vor Ort angeschaut<br />
–, aber, so Damyanovic „die<br />
Onlinekontakte haben gut funktioniert“.<br />
Ein Leitfaden zur Verknüpfung von Gender<br />
und Naturgefahren ist kurz vor der<br />
Fertigstellung. Die Materie ist außerordentlich<br />
komplex. An der <strong>BOKU</strong> arbeiten<br />
verschiedene Institute zusammen,<br />
vom technischen Ingenieurwissen, der<br />
Raumordnung bis zu sozioökonomischen<br />
Aspekten ist hier alles relevant.<br />
Damyanovic: „Jeder kennt zumindest<br />
die Kernbotschaften aus dem IPCC-Bericht,<br />
wonach die Klimaveränderungen<br />
unausweichlich sein werden. Bei uns in<br />
Österreich wird es wohl hauptsächlich<br />
um Hitze, Dürre und Wasserversorgung<br />
gehen. Extreme Ereignisse werden potenziell<br />
häufiger, die materiellen Schäden<br />
größer, unter anderem, weil wir in<br />
32 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Adobe Stock<br />
REFERENZPROJEKTE:<br />
O GIACLIM (2013–2014) Gender<br />
Impact Assessment im Kontext<br />
der Klimawandelanpassung und<br />
Naturgefahren; gefördert durch:<br />
StartClim – Österreich<br />
O CCCapMig (2016–2019) Climate<br />
Change Adaptation and Protection<br />
from Natural Hazards:<br />
Capacity Building for People with<br />
Migration Background in Austria;<br />
gefördert durch: Klima- und Energiefonds<br />
Österreich<br />
O EXTEND (2017–2018) Dokumentation<br />
von physischen und<br />
sozialen Aspekten der Folgen von<br />
Extremwetterereignissen; gefördert<br />
durch: StartClim, Österreich<br />
O we4DRR (laufend): we4DRR.net<br />
Österreich mehr besitzen. Wir haben<br />
außerdem als Gebirgsland nicht endlos<br />
besiedlungsfähigen Raum zur Verfügung,<br />
daher müssen wir technische Lösungen<br />
entwickeln, um die Schäden möglichst<br />
gering zu halten.“ Auch hier ist die Lage<br />
komplex. Zum Beispiel die Frage nach<br />
Grenzen der Beherrschbarkeit der Natur,<br />
der Umgang mit Risiken, oder der<br />
Anpassung an mögliche Ereignisse, was<br />
durch zahlreiche psychologische Faktoren<br />
beeinflusst wird und kaum objektiv<br />
zu bewerten ist.<br />
Die Theorie ist das eine, die Praxis das<br />
andere. Welche Auswirkungen haben<br />
Naturgefahren auf einzelne Personengruppen?<br />
Welche Rolle spielen Herkunft,<br />
Geschlecht und sozioökonomischer Status?<br />
Was fördert ein genderspezifischer<br />
Blick auf das Risikomanagement zutage?<br />
Wie erreicht man Migrant*innen? Woher<br />
kommen diese, beziehungsweise welche<br />
Erfahrungen bringen sie mit? Was kann<br />
man machen, um die Eigenvorsorge zu<br />
steigern?<br />
Fragen über Fragen, denen sich Karin<br />
Weber und ihre Kolleg*innen gestellt haben.<br />
Weber, die Landschaftsplanung studiert<br />
hat, war 2002 nach dem Hochwasser<br />
im Kamptal mit den Erfahrungen ihrer<br />
betroffenen Bekannten konfrontiert und<br />
ist so quasi in ihre Themen „hineingerutscht“.<br />
Dass in den Gefahrenzonen<br />
wieder etwas Neues hingebaut wurde,<br />
habe sie beschäftigt. Untersuchungen<br />
in Steyr-Kirchdorf und im Triestingtal<br />
haben teils überraschende Ergebnisse<br />
zutagegefördert. Es wurden viele Interviews<br />
geführt, manche, sagt Weber, seien<br />
emotional fordernd gewesen. Zum Beispiel<br />
eine Frau, die ihr erzählt habe, wie<br />
sie in der Nacht über einen Berg flüchten<br />
musste und große Angst hatte, auszurutschen,<br />
und bei Regen oft an dieses<br />
traumatische Ereignis erinnert wird.<br />
Dass die Risikokommunikation grundlegend<br />
verbessert werden muss, steht<br />
außer Frage. Wichtig ist dabei die Freiwillige<br />
Feuerwehr, in der sich längst auch<br />
Frauen engagieren. Eine Möglichkeit:<br />
Von Tür zu Tür zu gehen und das persönliche<br />
Gespräch zu suchen, wobei<br />
bei Migrant*innen oft unzureichende<br />
Sprachkenntnisse im Wege stehen. Mehr<br />
Migrant*innen in der Freiwilligen Feuerwehr<br />
wären schon aus diesem Grund<br />
wünschenswert. Die viel erwähnten diversen<br />
Warn-Apps könnten natürlich<br />
auch nützlich sein. Aber, gibt Weber zu<br />
bedenken, „es reicht nicht aus, die App<br />
am Handy zu installieren. Tagesaktuelle<br />
Warnungen müssten lokal angepasst und<br />
ernst genommen werden.“ Und wann<br />
soll wirklich Alarm geschlagen werden?<br />
„Wenn dann doch nichts passiert, werden<br />
die Leute lethargisch. Schwindendes<br />
Vertrauen in die Politik tut ein Übriges.“<br />
Apropos Vertrauen. Ein höchst überraschendes<br />
Resultat der Befragungen<br />
lautet, dass 63 Prozent der Frauen trotz<br />
Schutzbauten weitere Risiken fürchteten,<br />
während 66 Prozent der Männer auf<br />
die Technik vertrauten und sich sicher<br />
fühlten. Frauen bereiten demgemäß<br />
häufiger „Packages“ mit den wichtigsten<br />
Dokumenten und anderem vor, um diese<br />
Dinge im Notfall schnell in Sicherheit<br />
bringen zu können.<br />
Anpassung an prekäre Situationen kann<br />
also sehr divers ausfallen. Ein pragmatisches<br />
Beispiel: „Ein Ergebnis fand ich<br />
nicht unlogisch“, berichtet Weber. „Da<br />
Migrant*innen statistisch gesehen seltener<br />
Besitzer*innen von Häusern sind,<br />
sondern meist zur Miete wohnen, treffen<br />
sie Vorkehrungen auf ihre eigene Weise.<br />
Die unteren Räume, die in Gefahr sind<br />
vollzulaufen und dann auch länger feucht<br />
bleiben, werden als Lagerfläche genutzt,<br />
die oberen Stockwerke werden bewohnt.“<br />
Die Rolle von Wissenschaftler*innen und<br />
Frauen bei Naturkatastrophen bietet<br />
jedenfalls bedenkenswerte Aspekte. Webers<br />
Resümee: „Katastrophen sind wie<br />
eine Lupe, die zeigt, was in einer Gesellschaft<br />
gut läuft und wo die Mängel sind.“<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
33
Wasant foodtography<br />
Reifenabrieb erzeugt mehr als die<br />
Hälfte der Mikroplastik-Emissionen<br />
Als größte Staubemittenten entpuppten sich Lkws mit 57 Prozent, gefolgt von Pkws mit 41 Prozent.<br />
Man kennt sie: Übeltäter wie Plastiksackerl<br />
und PET-Flaschen, die<br />
sich durch Umwelteinflüsse in<br />
immer kleiner werdende Fragmente zerlegen.<br />
Florian Part und sein Forscher*innenteam<br />
vom Institut für Abfallwirtschaft<br />
an der Universität für Bodenkultur Wien<br />
untersuchen ein weiteres schweres Kaliber:<br />
den Reifenabrieb auf Österreichs<br />
Straßen.<br />
Ganze 2,4 Kilogramm Reifenabriebpartikel<br />
jährlich, etwa das Gewicht einer<br />
kleinen Wassermelone, emittiert jede<br />
Person auf unseren Straßen. Das entspricht<br />
neun Prozent aller Staubemissionen<br />
hierzulande, die nicht durch Abgase,<br />
sondern durch Reifenabrieb im Verkehr<br />
entstehen. „So gelangen pro Jahr rund<br />
21.200 Tonnen Mikroplastikpartikel in die<br />
Umwelt“, betont Florian Part. Das macht<br />
rund 60 Prozent der gesamten Mikroplastikemissionen<br />
aus – und den Verkehr<br />
somit zur größten Mikroplastikquelle.<br />
VOM REIFENABRIEB IN<br />
DEN MENSCHLICHEN KÖRPER<br />
Gemeinsam mit seinem Team führte Part<br />
eine Materialflussanalyse für Fahrzeugreifen<br />
durch. Aus gefahrenen Kilometern<br />
und Abriebmessungen – aus dem Labor<br />
sowie von der Straße – erstellten die<br />
Forschenden eine Massenbilanz. „Neu<br />
an unserer Studie: Erstmals bezogen wir<br />
alle Kfz-Klassen inklusive Transitverkehr<br />
mit ein“, erläutert Part. Als größte Staubemittenten<br />
entpuppten sich Lkws mit 57<br />
Prozent, jedoch dicht gefolgt von Pkws<br />
mit 41 Prozent. Die Ergebnisse zeigen:<br />
In Österreich bleiben 80 Prozent des<br />
Reifengummis in Gebrauch, 14 Prozent<br />
werden wiederverwendet, recycelt, verbrannt<br />
oder exportiert und sechs Prozent<br />
landen durch Abrieb als Mikroplastik auf<br />
der Straße. Anders ausgedrückt: Ein acht<br />
Kilogramm schwerer Reifen verliert in<br />
drei Jahren und auf 60.000 Kilometern<br />
rund ein Fünftel seiner Masse. Von der<br />
Straße gelangt das Mikro- und Nanoplastik<br />
in die Luft, in Gewässer und den<br />
Boden. Von mit Reifenabrieb kontaminierten<br />
Böden via Nutzpflanzen sowie in<br />
Straßennähe schlicht über die Atemwege<br />
erreichen diese Kleinstpartikel schließlich<br />
auch den menschlichen Körper.<br />
BESONDERS GESUNDHEITS-<br />
GEFÄHRDEND: ULTRAFEINSTAUB<br />
Zum sogenannten Mikroplastik zählen<br />
Plastikpartikel mit einer Größe von unter<br />
fünf Millimetern. „Je kleiner die Partikel<br />
sind, desto leichter gelangen sie in die<br />
Lunge und im schlimmsten Fall von dort<br />
in den Blutkreislauf“, so Part. Das erhöht<br />
die Toxizität von sogenannten Nanopartikeln,<br />
also Plastikteilchen unter 100<br />
34 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Nanometer, was weniger als dem Zehntausendstel<br />
eines Millimeters entspricht.<br />
Von den 21.200 Tonnen an Mikroplastik<br />
pro Jahr sind 600 Tonnen kleiner als fünf<br />
Mikrometer (
KK<br />
Das ICA Board traf sich an der ältesten Universität Flanderns, der KU Leuven.<br />
ICA Rectors and Deans Forum <strong>2021</strong><br />
Neue Strategie im Rahmen der Generalversammlung von den Mitgliedern genehmigt.<br />
Von Hubert Hasenauer<br />
Von 21. bis 22. Oktober <strong>2021</strong> fand<br />
die Generalversammlung des<br />
Rectors and Deans Forum <strong>2021</strong><br />
von ICA, der Association of European<br />
Life Sciences an der Faculty of Bioscience<br />
Engineering, KU Leuven (Belgien),<br />
statt. ICA wurde 1988 gegründet<br />
und besteht aus mehr als 50 Universitäten,<br />
die im Bereich der Agrar- und Forstwissenschaften,<br />
Lebensmittelproduktion<br />
und Bio-Ökonomie tätig sind. Die<br />
Vereinigung besteht aus insgesamt drei<br />
Arbeitsgruppen und acht unabhängigen<br />
ICA Komitees und wird derzeit von der<br />
Universität Wageningen und der <strong>BOKU</strong>,<br />
vertreten durch Arthur Mol und Hubert<br />
Hasenauer, geleitet.<br />
Im vergangenen Jahr hat ICA eine neue<br />
Strategie erarbeitet, die im Rahmen der<br />
Generalversammlung von den Mitgliedern<br />
genehmigt wurde. Die Ziele der<br />
neuen Strategie sind die Unterstützung<br />
und Verbesserung der Ausbildung, der<br />
Forschung und Innovation, Schaffung<br />
einer Plattform zur Zusammenarbeit<br />
und Vertretung der Mitglieder sowie<br />
Ansprechpartner für die Europäischen<br />
Institutionen. Um diese neue Strategie<br />
auch operativ umsetzen zu können, wird<br />
derzeit zur Verstärkung des Sekretariates<br />
eine Person gesucht, die insbesondere die<br />
Kontakte zwischen den Mitgliedern und<br />
der EU-Kommission in Brüssel verbessern<br />
soll. Nähere Infos: www.ica-europe.info<br />
Beim ICA-Forum im Vorfeld der Weltklimakonferenz<br />
COP26 unterzeichneten<br />
die rund 70 Rektor*innen, Dekan*innen<br />
und das Senior Management Europas<br />
führender Life Science-Universitäten<br />
ein Kommuniqué, das Klimawandel und<br />
Klimaneutralität in den Mittelpunkt<br />
ihrer Lehre und Forschung stellt – und<br />
der Politik Rückhalt bei ihren gesellschaftspolitischen<br />
Entscheidungen geben<br />
will.<br />
•<br />
Zum Kommuniqué<br />
36 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Bundespräsident zu Besuch<br />
beim <strong>BOKU</strong>-Nachhaltigkeitstag<br />
Alexander Van der Bellen diskutierte mit Studierenden und betonte, dass „die Kernkompetenzen der <strong>BOKU</strong><br />
in den vergangenen 50 Jahren zu brisanten Anliegen für eine nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft<br />
geworden sind“.<br />
Rektor Hubert Hasenauer begrüßt Bundespräsident<br />
Alexander Van der Bellen an der <strong>BOKU</strong>.<br />
In reger Diskussion mit Studierenden: (v. l.) Iris Oberklammer (Institut für Waldbau),<br />
Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Laura Hundscheid (Institut für<br />
Entwicklungsforschung, Doctoral School), Koime-Simon Kouacou (Zentrum für<br />
Globalen Wandel & Nachhaltigkeit, Beetle ForTech-Mitgründer).<br />
<strong>BOKU</strong> Medienstelle/Christoph Gruber<br />
Alexander Van der Bellen ist ein<br />
Bundespräsident, den Themen<br />
wie Umwelt- und Klimaschutz<br />
schon seine ganze politische Karriere<br />
lang begleiten. Dass der ehemalige Universitätsprofessor<br />
für Volkswirtschaftslehre<br />
die Universität für Bodenkultur<br />
Wien ausgerechnet zum Nachhaltigkeitstag<br />
besuchte, war daher kein terminlicher<br />
Zufall, sondern eine Herzensangelegenheit.<br />
„Die <strong>BOKU</strong> nimmt in der österreichischen<br />
Universitätenlandschaft eine ganz<br />
besondere Rolle ein. Ihre Kernkompetenzen<br />
sind in den vergangenen 50 Jahren<br />
zu brisanten Anliegen für eine nachhaltige<br />
Entwicklung in der Gesellschaft<br />
geworden“, so Van der Bellen. „Die wissenschaftliche<br />
Evidenz zur Dringlichkeit<br />
der Klimakrise wurde von Politik und<br />
Wirtschaft jedoch lange Zeit verschlafen.<br />
Jetzt kann man es aber nicht mehr übersehen.“<br />
Vier Tage vor der UN-Klimakonferenz<br />
im schottischen Glasgow gab sich<br />
der Bundespräsident nachdenklich: „Die<br />
COP26 wird zeigen, wer die Botschaft<br />
begriffen hat und wer nicht. Insgesamt<br />
bin ich aber zuversichtlich, dass wir die<br />
Klimakrise meistern werden“.<br />
Besonderes Interesse zeigte Van der Bellen<br />
an der modernen, internationalen<br />
Ausrichtung der Universität und am neu<br />
gegründeten <strong>BOKU</strong> Activities Supporting<br />
Entrepreneurship (<strong>BOKU</strong>:BASE).<br />
„Das Thema Nachhaltigkeit stellt sich uns<br />
an der <strong>BOKU</strong> nicht als Problem, sondern<br />
als Lösung“, so Rektor Hubert Hasenauer<br />
bei der Begrüßung. „Unter dem Dach der<br />
<strong>BOKU</strong>:BASE fördern wir das unternehmerische<br />
Denken und Handeln unserer<br />
Wissenschaftler*innen – von der Grundlagenforschung<br />
über Innovation Labs bis<br />
hin zur Firmengründung.“<br />
„DAS RÜSTZEUG<br />
BEKOMMEN SIE HIER MIT“<br />
Im großen Hörsaal des TÜWI nahm der<br />
Bundespräsident anschließend beherzt<br />
an einer Diskussion mit Studierenden<br />
teil. Wofür lohnt es sich heute zu kämpfen?<br />
Wie können wir Bürger*innen dafür<br />
gewinnen, dass sie von der Klimakrise<br />
nicht gelähmt sind, sondern aktiv werden?<br />
Diese und andere Fragen bewegten<br />
Bachelor- und Masterstudierende der<br />
<strong>BOKU</strong> ebenso wie Doktorand*innen und<br />
Postdocs. „Es wird Innovation und Verhaltensänderung<br />
brauchen. Ein nicht unkompliziertes<br />
Geflecht aus Checks and<br />
Balances“, so Van der Bellen. Auf die Frage,<br />
was er als ehemaliger Universitätsprofessor<br />
den Studierenden mitgeben<br />
wolle, antwortete der Bundespräsident:<br />
„1. Studieren ist ein Privileg. 2. Die <strong>BOKU</strong><br />
ist modern und international vernetzt –<br />
nützen Sie das! Und 3. Es wird auch auf<br />
Sie, die Studierenden der <strong>BOKU</strong>, ankommen,<br />
ob der Umbau in Richtung einer<br />
nachhaltigen Gesellschaft gelingt. Das<br />
Rüstzeug dazu bekommen Sie hier mit.“<br />
Der Nachhaltigkeitstag wird vom Zentrum<br />
für globalen Wandel und Nachhaltigkeit<br />
der <strong>BOKU</strong> seit 2015 ausgerichtet<br />
und bietet jährlich eine Bühne für Menschen<br />
und Initiativen, die sich für mehr<br />
Nachhaltigkeit engagieren. •<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
37
GENDER &<br />
DIVERSITY<br />
Mein Leben – Mein Studium –<br />
Meine Erkrankung<br />
Jakob Mitterhauser spricht über seine seltene Erbkrankheit und möchte anderen nach dem<br />
Motto: „Akzeptiere, was du nicht ändern kannst, und ändere, was du nicht akzeptieren kannst!“<br />
Mut machen.<br />
Von Ruth Scheiber-Herzog<br />
Jakob Mitterhauser ist 28 Jahre alt,<br />
gebürtiger Weinviertler und lebt seit<br />
einigen Jahren in Wien, wo er das individuelle<br />
Masterstudium Stadtklimatologie<br />
und Stadtraumentwicklung an der<br />
<strong>BOKU</strong> absolviert. Seine Biografie liest<br />
sich wie eine von vielen anderen Studierenden<br />
– bis auf den Unterschied, dass<br />
Jakob Mitterhauser vor zehn Jahren die<br />
Diagnose Friedreich Ataxie (FA) – eine<br />
seltene neurologische, fortschreitende<br />
Erbkrankheit – erhielt, was sein Leben<br />
entschieden geändert hat.<br />
Im Teenageralter machten sich die ersten<br />
körperlichen Anzeichen mit Skoliose und<br />
Gleichgewichtsproblemen bemerkbar,<br />
was für sein Alter und für ihn als eifrigen<br />
und guten Sportler eher ungewöhnlich<br />
war. Aber die körperlichen Auffälligkeiten<br />
wurden mehr und es folgten zahlreiche<br />
Untersuchungen bei verschiedensten<br />
Ärzt*innen ohne zufriedenstellende<br />
Ergebnisse. Tatsächlich dauerte es noch<br />
zwei weitere Jahre bis zur Diagnose<br />
Friedreich Ataxie. „Anfangs habe ich<br />
die Krankheit verdrängt. Mit 18 Jahren<br />
wollte ich, so wie viele Jugendliche, Bäume<br />
ausreißen. Ich habe studiert und drei<br />
Jahre in Folge ein Leistungsstipendium<br />
erhalten“, meint Jakob Mitterhauser auf<br />
die Frage, wie er mit der Diagnose umgegangen<br />
sei.<br />
NEUE LEBENSPHILOSOPHIE<br />
In den vergangenen Jahren hat sich<br />
Jakob Mitterhauser intensiv mit seiner<br />
schweren Krankheit auseinandergesetzt,<br />
seine Lebensphilosophie verändert und<br />
einen Wandel seines Lebens erfahren. In<br />
der Psychotherapie hat Jakob gelernt,<br />
dass man sich Hilfe holen kann. Er hat<br />
gelernt: „Die Diagnose kann ich nicht<br />
ändern, ich muss sie akzeptieren. Aber<br />
die Prognose kann ich verändern, und<br />
die kann ich mir nur selbst geben, nicht<br />
der Arzt!“<br />
Zu Fixpunkten in seinem Leben werden<br />
die Meditation, das Reisen und das Zusammensein<br />
mit seiner Familie und Freund*innen.<br />
„Kraft geben mir meine großartige<br />
Familie und meine Freunde. Mut geben<br />
mir Vorbilder, Kollegen in den USA und<br />
Europa, an welchen ich sehe, was alles<br />
möglich ist. Wir nennen uns „FAmily“,<br />
wir unterstützen uns gegenseitig. So wie<br />
ich Vorbilder habe, darf auch ich Vorbild<br />
für andere sein. Ende November 2018<br />
hatten wir das erste Europatreffen der FA,<br />
das ich selbst organisiert habe.“ Im Rahmen<br />
von Veranstaltungen hat Jakob auch<br />
bereits <strong>BOKU</strong>-Workshops zum Thema<br />
„Meditation und Achtsamkeit“ gehalten.<br />
Jakob Mitterhauser ist zuversichtlich,<br />
dass es bald doch noch große Fortschritte<br />
in der Erforschung der Friedreich<br />
Ataxie geben wird und dass man<br />
die Krankheit medizinisch bekämpfen<br />
kann. Aktuell befindet sich ein Medikament<br />
im Zulassungsverfahren der FDA,<br />
das voraussichtlich im Sommer 2022 in<br />
den USA und sechs bis zwölf Monate<br />
später in Europa verfügbar sein wird. Es<br />
soll Symptome lindern und den Verlauf<br />
stoppen beziehungsweise verbessern.•<br />
Die Friedreich Ataxie ist eine fortschreitende<br />
neurologische Krankheit,<br />
die im Allgemeinen im Kindesalter<br />
oder im frühen Erwachsenenalter einsetzt.<br />
Es gibt weltweit rund 15.000<br />
Betroffene. In Mitteleuropa ist zirka<br />
eine von 50.000–100.000 Personen<br />
betroffen. Der Friedreich-Ataxie<br />
liegt eine Degeneration der spinocerebellären<br />
Bahnen und des Kleinhirns<br />
zugrunde und die Krankheit führt zu<br />
Gleichgewichtsstörungen, Störungen<br />
der Tiefensensibilität sowie verschiedenen<br />
anderen Symptomen. Die<br />
Krankheit beeinträchtigt jedoch in der<br />
Regel nicht die intellektuellen Fähigkeiten.<br />
Wie bei allen degenerativen<br />
Krankheiten kann der Verlauf je nach<br />
Person langsamer oder rascher sein.<br />
Rund 80 Prozent der seltenen Erkrankungen<br />
sind genetisch bedingt,<br />
also angeboren. Viele dieser Erkrankungen<br />
sind lebensbedrohlich oder<br />
führen zu Invalidität. Die meisten<br />
verlaufen chronisch: Sie lassen sich<br />
nicht heilen, Betroffene sind somit<br />
dauerhaft auf ärztliche Behandlung<br />
angewiesen. Der Weg zu einer Diagnose<br />
ist oftmals weit und wirksame<br />
Therapien sind rar. Die Behandlung<br />
und Betreuung erfordert von den<br />
Patient*innen und ihren Familien viel<br />
Kraft und oft auch viel Geld.<br />
Quelle: Pro Rare Austria<br />
Das Leben von Jakob Mitterhauser<br />
wurde <strong>2021</strong> auch<br />
filmisch porträtiert.<br />
Zum Internationalen Tag der<br />
Menschen mit Behinderung<br />
am 3. 12.<br />
DI in Ruth Scheiber-Herzog leitet die Koordinationsstelle<br />
für Gleichstellung, Diversität und Behinderung.<br />
38 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
GENDER &<br />
DIVERSITY<br />
Who cares und wo steht denn das geschrieben?<br />
Der Gleichstellungsplan der <strong>BOKU</strong><br />
und seine CAREseiten<br />
Von Martina Fröhlich<br />
Am 20. Juni 2020 wurde zusätzlich<br />
zum Frauenförderungsplan<br />
erstmalig der Gleichstellungsplan<br />
als Teil der Satzung der Universität für<br />
Bodenkultur Wien (<strong>BOKU</strong>) veröffentlicht.<br />
Die <strong>BOKU</strong> kommt damit einem<br />
gesetzlichen Erfordernis zur Umsetzung<br />
der verfassungsrechtlichen Vorgaben<br />
zur tatsächlichen Gleichstellung nach<br />
und schreibt darin fest, „soziale Diskriminierungen<br />
von Personen zu verhindern<br />
und die Chancengleichheit sowie Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Studium mit<br />
familiären Pflichten an der Universität<br />
zu verbessern.“<br />
Neben der Schaffung von Rahmenbedingungen<br />
zur Erleichterung der Sorgepflichten<br />
von pflegenden Angehörigen in<br />
Form einer erweiterten Pflegefreistellung<br />
sind auch Maßnahmen zur Entwicklung<br />
und Durchführung von Angeboten zur<br />
Unterstützung von Studierenden mit familiären<br />
Pflichten, beispielsweise in der<br />
Endphase des Studiums (Masterarbeit/<br />
Doktorarbeit) geplant. Ziel ist, die Studierenden<br />
zu motivieren – etwa durch Motivations-<br />
und Schreibcoachings – und die<br />
gleichzeitige Entlastung durch entsprechende<br />
Kinderbetreuung. Nach bereits<br />
erfolgreichen Projekten zur Wissensvermittlung<br />
an Kinder und Jugendliche ist die<br />
Implementierung von neuen Projekten für<br />
Kinder mit erschwertem Bildungszugang<br />
zur Wissenschaftsvermittlung und zur<br />
Sensibilisierung im Bereich Gender und<br />
Diversität ebenso Teil der Maßnahmen.<br />
Der aus sechs Abschnitten bestehende<br />
Gleichstellungsplan hält in Abschnitt F<br />
die Ziele der <strong>BOKU</strong> hinsichtlich Vereinbarkeit<br />
fest und zeichnet hier für die<br />
Entwicklung und Umsetzung vereinbarkeitsfördernder<br />
Maßnahmen verantwortlich.<br />
Dazu gehören auch Aufgaben<br />
zur thematischen Sensibilisierung und<br />
Bewusstseinsbildung.<br />
Weitere Details zur Vereinbarkeit von<br />
Beruf und Studium mit familiären Pflichten<br />
können dem <strong>BOKU</strong> Gleichstellungsplan<br />
(Abschnitt F) entnommen werden.<br />
Mit dem Beitritt der <strong>BOKU</strong> zu dem im<br />
deutschen Sprachraum angesiedelten<br />
Verein Familie in der Hochschule und der<br />
Unterzeichnung der Charta „Familie in<br />
der Hochschule“ im Juni <strong>2021</strong> sowie der<br />
Zusammenarbeit im interuniversitären<br />
Netzwerk UniKid-UniCare Austria (UUA)<br />
setzt die <strong>BOKU</strong> bereits erste Maßnahmen<br />
um.<br />
Die neue Online-Veranstaltungsreihe<br />
„CAREseiten zeigen“ ist ein Projekt<br />
des Netzwerks UniKid-UniCare Austria<br />
(UUA), das auf die Herausforderungen<br />
der Sorgearbeit aufmerksam machen<br />
möchte.<br />
Die Vorträge und der Diskurs richten sich<br />
an Angehörige von Universitäten und<br />
werden einmal pro Semester online angeboten.<br />
Gemeinsam können die Netzwerkuniversitäten<br />
zu CAREseiten ein<br />
breites Spektrum an Know-how bieten,<br />
welches den Mitarbeitenden und Studierenden<br />
aller österreichischen Universitäten<br />
im Rahmen der Veranstaltungsreihe<br />
zugutekommen möge.<br />
Die Auftaktveranstaltung fand am<br />
23.11.<strong>2021</strong> statt, weitere Informationen<br />
zur Veranstaltungsreihe unter LINKS. •<br />
LINKS<br />
<strong>BOKU</strong> Gleichstellungsplan<br />
(Abschnitt F)<br />
https://boku.ac.at/fileadmin/data/<br />
H01000/H10220/homepage/Satzung/<br />
Gleichstellungsplan_01.01.<strong>2021</strong>.pdf<br />
Familie in der Hochschule<br />
https://www.familie-in-der-hochschule.de<br />
https://www.unikid-unicare.at<br />
Online-Veranstaltungsreihe<br />
„CAREseiten zeigen“<br />
https://boku.ac.at/lehrentwicklung/<br />
newsitem/66017<br />
https://www.unikid-unicare.at/veranstaltungen-ankuendigungen-rueckblicke/careseiten-zeigen-eine-veranstaltungsreihe-des-netzwerks-unikid-unicare-austria_89<br />
KONTAKT<br />
DI in DPäd. in Martina Fröhlich<br />
martina.froehlich@boku.ac.at<br />
Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen<br />
akglboku@boku.ac.at<br />
Koordinationsstelle für Gleichstellung,<br />
Diversität und Behinderung<br />
kostelle@boku.ac.at<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
39
<strong>BOKU</strong><br />
SPLITTER<br />
Die einflussreichsten<br />
Forscher*innen der Welt<br />
Jedes Jahr ermittelt Clarivate Analytics die einflussreichsten<br />
Forscher*innen der Welt, die in den letzten zehn Jahren von<br />
ihren Kolleg*innen am häufigsten zitiert wurden. Im Jahr<br />
<strong>2021</strong> haben weniger als 6.700 – das ist rund ein Prozent der<br />
weltweiten Forscher*innen – diese exklusive Auszeichnung<br />
erhalten. Darunter fünf, die an der Universität für Bodenkultur<br />
Wien tätig sind und fortan zu jener Gruppe von Wissenschaftler*innen<br />
gehören, die für ihren außergewöhnlichen<br />
Einfluss auf die weltweite Forschung anerkannt wird.<br />
WE PROUDLY PRESENT<br />
Sophie Zechmeister-<br />
Boltenstern vom<br />
Institut für Bodenforschung<br />
Fridolin Krausmann<br />
vom Institut für<br />
Soziale Ökologie<br />
Karl-Heinz Erb vom<br />
Institut für Soziale<br />
Ökologie<br />
Erwin Schmid vom<br />
Institut für Nachhaltige<br />
Wirtschaftsentwicklung<br />
Helmut Haberl vom<br />
Institut für Soziale<br />
Ökologie<br />
Highly Cited<br />
Researchers<br />
<strong>2021</strong><br />
<strong>BOKU</strong><br />
Diethard Mattanovich<br />
neuer Chair der International<br />
Commission on Yeasts<br />
Diethard Mattanovich, Leiter des Institutes für Mikrobiologie<br />
und Mikrobielle Biotechnologie am Department für<br />
Biotechnologie wurde im August dieses Jahres zum Chair<br />
der International Commisson on Yeasts gewählt.<br />
Die Internationale Hefekommission<br />
(International Commission on<br />
Yeasts, ICY) wurde 1966 in Bratislava<br />
als Council for Yeast Research gegründet<br />
und setzt sich aus führenden<br />
Spezialist*innen auf dem Gebiet<br />
der Hefeforschung zusammen. Im<br />
Jahr 1971 wurde der Rat in die International<br />
Union of Microbiological<br />
Societies (IUMS) integriert. Die ICY ist jetzt eine Kommission<br />
unter der Abteilung für Mykologie und eukaryotische Mikrobiologie<br />
der IUMS.<br />
Die ICY ist sehr aktiv bei der<br />
Organisation von jährlichen<br />
Konferenzen zu verschiedenen<br />
Disziplinen der Hefeforschung,<br />
um eine internationale Vernetzung<br />
und einen Austausch auf<br />
höchstem wissenschaftlichen<br />
Niveau zu ermöglichen. Der<br />
letzte International Congress<br />
on Yeasts (ICY15) fand im August<br />
<strong>2021</strong> unter der Schirmherrschaft<br />
der <strong>BOKU</strong> und von<br />
Diethard Mattanovich statt. Aufgrund der globalen Situation<br />
musste auch dieser Kongress in einen virtuellen Modus umgewandelt<br />
werden, was aber dem regen Austausch der rund<br />
700 Wissenschaftler*innen aus aller Welt keinen Einhalt<br />
gebot. Ganz im Gegenteil – die Gastgeber*innen machten<br />
aus der Not eine Tugend und konnten erfolgreich einen<br />
zweiten großen Kongress „The International Conference on<br />
Yeast Genetics and Molecular Biology (ICYGMB30)“ in das<br />
diesjährige Meeting einbinden.<br />
Universität Wien wird Mitglied der Nachhaltigkeitsallianz<br />
Am 9. November unterzeichneten Rektor Heinz W.<br />
Engl und Vizerektorin Regina Hitzenberger das Memorandum<br />
of Understanding im Beisein von <strong>BOKU</strong>-<br />
Rektor Hubert Hasenauer. In der Allianz Nachhaltige<br />
Universitäten Österreich bündeln die Mitgliedsuniversitäten<br />
ihre Kräfte, um gemeinsam Nachhaltigkeit<br />
in den Bereichen Lehre, Forschung, Betrieb, Universitätsmanagement<br />
und Wissensaustausch zu stärken.<br />
Mit dem Beitritt der Universität Wien freut sich die<br />
Allianz über ihr 19. Mitglied.<br />
Allianz Nachhaltige<br />
Universitäten in<br />
Österreich<br />
40 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Clemens Fabry<br />
<strong>BOKU</strong><br />
<strong>BOKU</strong> Forschungsservice:<br />
New support for your Horizon<br />
Europe projects!<br />
Since October <strong>2021</strong>, new project<br />
manager for Horizon Europe – Lada<br />
Fialova – has been appointed.<br />
Lada has a long-term expertise in<br />
preparation and submission of Horizon<br />
2020 projects as well as with<br />
consultancy in the field of project<br />
drafting. She is ready to help you with<br />
any aspect related to Horizon Europe<br />
projects, e. g.:<br />
O Proposal revision (check of overall proposal structure,<br />
project idea, help with non-scientific parts such as Impact,<br />
Implementation, Dissemination, Communication etc.)<br />
O Budget calculation<br />
O Help with Funding and Tender Portal (PIC number, registration<br />
etc.)<br />
O Development of project idea to be in line with the call<br />
topic and expected impact and results<br />
O Partner search<br />
• Beneficiary description<br />
O Providing information on new calls and topics<br />
In case you need any help with your Horizon Europe proposal,<br />
do not hesitate to contact: lada.fialova@boku.ac.at,<br />
+43 1 47654-33014.<br />
<strong>BOKU</strong>-Erfindung des Jahres<br />
Mit dem Preis „<strong>BOKU</strong>-Erfindung des Jahres“ würdigte<br />
die Universität für Bodenkultur Wien die herausragendste<br />
Forschungsleistung im Bereich schutzfähiger Innovationen<br />
aus dem vergangenen Jahr. Die Preisträger <strong>2021</strong> sind (1. R.<br />
v. l.) Sabrina Bischof, MSc., Univ.Prof. DI Dr. Georg Gübitz,<br />
DI Dr. Andreas Ortner und PD Dr. Gibson Stephen Nyanhongo<br />
für ihr neuartiges und vollständig auf natürlichen<br />
Rohstoffen basierendes Biohydrogel als ökologische Lösung<br />
für Dürreperioden.<br />
Rafaela Pröll<br />
Wissenschaf[f]t<br />
Zukunft-Preis für<br />
Dr. in Claudia Gusenbauer<br />
Claudia Gusenbauer hat ihre Dissertation<br />
zum Thema „Chemical-Force<br />
Mikroskopie zur Charakterisierung<br />
funktionalisierter nachwachsender<br />
Rohstoffe“ im Jänner <strong>2021</strong> verteidigt<br />
und arbeitet seither als Universitätsassistentin<br />
am <strong>BOKU</strong>-Institut für Holztechnologie<br />
und Nachwachsende Rohstoffe<br />
in Tulln. Nun wurde sie für ihre<br />
Dissertation mit dem Wissenschaf[f]t Zukunft Preises der<br />
Gesellschaft für Forschungsförderung (GFF) des Landes<br />
Niederösterreich ausgezeichnet. In ihrer prämierten Arbeit<br />
testete sie die Möglichkeiten der hochauflösenden Mikroskopietechnik<br />
an unbehandelten und chemisch modifizierten<br />
Holzoberflächen aus, um das grundlegende Verständnis<br />
von funktionalisierten Holzmaterialien zu verbessern.<br />
<strong>BOKU</strong>-Erfolg bei den ELLS<br />
Konferenzen <strong>2021</strong><br />
Bei der diesjährigen Scientific<br />
Student Conference<br />
der Euroleague for Life Sciences haben drei <strong>BOKU</strong> Studierende<br />
Präsentations-Preise erhalten: Anne-Laure Girard,<br />
Nazli Golestani und Thomas Zankl. Wir gratulieren herzlich!<br />
Die ELLS Konferenzen wurde von der Warsaw University of<br />
Life Sciences von 18.-20. November teilweise hybrid und<br />
teilweise online organisiert. Insgesamt hatten sich 98 <strong>BOKU</strong><br />
Studierende und Mitarbeiter*innen dafür angemeldet.<br />
Im Rahmen der ELLS General Assembly & Forum zum<br />
Thema “Actions towards a more sustainable future,<br />
lesson learned from the crisis” tauschten Rektor*innen,<br />
Lehrende, „Support Teams“ und Studierendenvertreter*innen<br />
der sieben Mitgliedsuniversitäten und der<br />
internationalen Partner*innen ihre Erfahrungen aus.<br />
Dabei wurde auch Organisations-Team der ersten online<br />
ELLS Konferenzen 2020 an der <strong>BOKU</strong> (insbesondere Kyrill<br />
Sattlberger, Ulrike Piringer und die <strong>BOKU</strong>-Vertreter*innen<br />
der ELLS Student Association ELSA Nora Korp, Sarah Moser<br />
und Sarah Sperrer) mit dem ELLS Award ausgezeichnet.<br />
Die Scientific Student Conference “Green (r)evolution:<br />
from molecules to ecosystems” bot den Studierenden die<br />
Möglichkeit, ihre Bachelor- und Masterarbeiten vorzustellen<br />
und erste Konferenzluft zu schnuppern.<br />
Schon jetzt möchten wir alle <strong>BOKU</strong>-Studierenden und<br />
-Lehrenden herzlich zur ELLS General Assembly & Forum<br />
und zur Scientific Student Conference 2022 einladen:<br />
22.-24. September 2022, Czech University of Life Sciences<br />
(vor Ort). boku.ac.at/ells<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
41
FORSCHUNG: FAQ<br />
peachfreepix<br />
Technologietransfer<br />
WAS IST EIN AUFGRIFF?<br />
Machen Sie im Rahmen Ihres Dienstverhältnisses<br />
eine Erfindung, liegt eine<br />
sogenannte Diensterfindung vor. Diese<br />
kann Ihre Dienstgeberin gemäß §7 des<br />
Patentgesetzes in Anspruch nehmen.<br />
Für eine Universität gilt zudem auch<br />
§106 des Universitätsgesetzes – sie<br />
hat für den Aufgriff der Rechte an der<br />
Erfindung drei Monate Zeit. Diese Frist<br />
beginnt ab dem Tag, an dem die Erfindung<br />
dem Technologietransfer vollständig<br />
gemeldet wurde und beinhaltet<br />
neben dem vollständig ausgefüllten<br />
Erfindungsformular auch die Klärung<br />
des rechtlichen Hintergrundes. Welche<br />
Verträge liegen der Erfindung zugrunde?<br />
Liegt eine Kooperation mit Firmenpartner*innen<br />
vor? Die Universität<br />
muss durch den Aufgriff sicherstellen,<br />
selbst im Besitz der Rechte zu sein,<br />
um diese an etwaige Interessent*innen<br />
übertragen zu können. Nur so ist die<br />
Rechtssicherheit für eine potenzielle<br />
Patentanmeldung gewährleistet und<br />
ein Transfer von der Wissenschaft in die<br />
Wirtschaft überhaupt möglich.<br />
WAS IST EIN PATENT?<br />
Ein Patent ist ein gewerbliches Schutzrecht<br />
für technische Erfindungen (Produkte<br />
und Verfahren). Ein*e Patentinhaber*in<br />
darf gemäß §22 des Patentgesetzes<br />
Dritten verbieten, die Erfindung<br />
herzustellen, anzubieten, zu verkaufen<br />
oder gewerblich zu nutzen. Er/Sie ist<br />
zudem berechtigt, diese Rechte selbst<br />
zu verkaufen oder Lizenzen daran zu<br />
vergeben. Der Schutz eines Patentes ist<br />
territorial und zeitlich begrenzt, d. h. er<br />
erstreckt sich nur auf das jeweilige Land,<br />
in dem es erteilt wurde und beträgt ab<br />
dem Tag der Erstanmeldung maximal 20<br />
Jahre. Zunächst wird das Patent angemeldet<br />
und in weiterer Folge wird vom<br />
jeweiligen Patentamt geprüft, ob dieses<br />
tatsächlich erteilt werden kann. Die<br />
Erteilung eines Patentes ist ein langer<br />
Prozess, der mehrere Jahre dauern kann<br />
und mit hohen Kosten verbunden ist.<br />
PATENTIEREN ODER PUBLIZIEREN?<br />
Publizieren und patentieren schließen<br />
sich gegenseitig nicht aus. Allerdings<br />
ist eine Erfindung im Falle einer vorhergehenden<br />
Publikation nicht mehr neu<br />
und damit auch nicht mehr patentfähig.<br />
Die Erfindung sollte zuerst zum Patent<br />
angemeldet werden, danach kann diese<br />
umgehend publiziert werden. Auch auf<br />
Vorträge, Poster oder sonstige Veröffentlichungen<br />
muss daher zunächst<br />
verzichtet werden, um die Patentierung<br />
nicht zu gefährden.<br />
Darja Österle<br />
Von Lisa-Ariadne Schmidt<br />
MTA UND CDA – WOZU?<br />
Auch ohne einen Patentschutz haben<br />
die Ergebnisse jahrelanger Forschungsarbeit<br />
einen hohen Wert, ihr<br />
Austausch findet jedoch oft ungeregelt<br />
statt. Um hierbei Konflikte zu<br />
vermeiden, bedarf es einer vertraglichen<br />
Regelung durch Material Transfer<br />
Agreements (MTAs) und Confidential<br />
Disclosure Agreements (CDAs).<br />
MTAs regeln den Austausch/die Überlassung<br />
von biologischem Material zu<br />
Forschungszwecken. Dazu zählt vor<br />
allem die Regelung des Eigentums am<br />
ursprünglichen, aber auch am veränderten<br />
bzw. neu geschaffenen Material.<br />
Durch CDAs verpflichten sich die<br />
Partner*innen zur vertraulichen Behandlung<br />
aller im Zuge des Projektes<br />
ausgetauschten Informationen, Daten,<br />
etc. Das ist in Hinblick auf eine eventuelle<br />
spätere Patentierung zwingend<br />
notwendig.<br />
•<br />
KONTAKT<br />
Lisa-Ariadne<br />
Schmidt, MSc.<br />
lisa.schmidt@<br />
boku.ac.at<br />
42 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
<strong>BOKU</strong>:BASE Eröffnungsfeier<br />
Von Team <strong>BOKU</strong>:BASE<br />
Ein unerwartetes Forschungsergebnis, eine ganz neu gedachte Technologie oder ein<br />
nachhaltiges Produkt, all das kann am Ende genau jener „Zünder“ für die Veränderung<br />
sein, die wir brauchen. Und damit auch der Kompass für die Zukunft, in die wir steuern.“<br />
Bundespräsident Alexander Van der Bellen<br />
<strong>BOKU</strong><br />
<strong>BOKU</strong><br />
C. Obinger, W. Harreither, D. Schmidt<br />
<strong>BOKU</strong> START-UP <strong>2021</strong>:<br />
Nourivit Technologies GmbH<br />
Die Diskutant*innen von links: Michaela Amstötter-Visotschnig, Raphaela Hellmayr, Julia Zotter,<br />
Elisabeth Denk (Moderation, Leiterin des Forschungsservice), Alfons Konrad Felice, Daniel Paul<br />
Komuczki.<br />
Mit diesen motivierenden Worten<br />
an die <strong>BOKU</strong> und an das<br />
Team der <strong>BOKU</strong>:BASE und<br />
einer Begrüßung durch das Rektorat<br />
fiel der Startschuss für den feierlichen<br />
Eröffnungsabend. Am 30. September<br />
durften rund 70 Personen im Ilse-Wallentin-Haus<br />
der Eröffnungsfeier der BO-<br />
KU:BASE (<strong>BOKU</strong> Activities Supporting<br />
Entrepreneurship) beiwohnen, weitere<br />
70 waren online im Livestream mit dabei.<br />
Nach den Begrüßungsworten des Rektorats<br />
hat uns Julia Zotter mit einer inspirierenden<br />
Keynote den Abend versüßt.<br />
Sie fand sich auch am Podium wieder, das<br />
im Anschluss zum Thema „Impact durch<br />
Innovation – Unternehmerisches Denken<br />
und Handeln an der <strong>BOKU</strong>“ diskutierte.<br />
Weitere Fragen, die debattiert wurden,<br />
waren unter anderem nachhaltiges<br />
Unternehmertum, Scheitern und Risiko<br />
und natürlich die Rolle der <strong>BOKU</strong> für<br />
zukünftige Entwicklungen in diesen Themenfeldern.<br />
Die Diskutant*innen plauderten aus dem<br />
Nähkästchen und berichteten von überwundenen<br />
Hürden und Rückschlägen,<br />
die wohl zum Gründen dazugehörten und<br />
auch ein essentieller Teil auf dem Weg<br />
hin zu einem stabilen Unternehmen sind.<br />
Auf genau diesem Weg möchte die<br />
<strong>BOKU</strong>:BASE und ihr Team mit Rat und<br />
Tat zur Seite stehen, um Ideen und Forschungsergebnisse<br />
aus der Universität<br />
erfolgreich in die Gesellschaft zu transferieren.<br />
Zum Abschluss der Veranstaltung wurde<br />
feierlich der <strong>BOKU</strong> Startup-Preis an die<br />
Nourivit Technologies GmbH verliehen.<br />
Wir danken allen Mitwirkenden und Gästen<br />
für ihre Beiträge zu diesem gelungenen<br />
Abend! <br />
•<br />
Die Nourivit Technologies GmbH<br />
bietet eine einfach zu handhabende,<br />
nachhaltige und erschwingliche Alternative<br />
zu Agrochemikalien. Das<br />
<strong>BOKU</strong> Spin-off hat ein Produktportfolio<br />
entwickelt, das auf leistungsstarken<br />
Mikroben (Bakterien und Hefen)<br />
und nährstoffreichem Kalzium basiert.<br />
Diese natürlichen, mikrobiellen Biostimulanzien<br />
ermöglichen es Landwirt*innen<br />
und den mit ihnen verbundenen<br />
Händler*innen, konstante<br />
Erträge zu erzielen und gleichzeitig<br />
die Verwendung von synthetischen<br />
Düngemitteln, Fungiziden und auch<br />
Antibiotika zu reduzieren. Darüber<br />
hinaus helfen die Produkte dabei,<br />
CO 2<br />
-Emissionen in der Landwirtschaft<br />
zu verringern.<br />
https://nourivit.com/<br />
LINK<br />
base.boku.ac.at<br />
KONTAKT<br />
base@boku.ac.at<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
43
Strategische Kooperation<br />
<strong>BOKU</strong>–UMWELTBUNDESAMT<br />
Aktuelle und zukünftige Schwerpunkte<br />
der Zusammenarbeit<br />
Von Helmut Gaugitsch und Rosemarie Stangl<br />
Ein wesentliches Ziel der Strategischen<br />
Kooperation <strong>BOKU</strong>-Umweltbundesamt<br />
besteht in der gemeinsamen<br />
Bearbeitung von Themen, die zu<br />
einer nachhaltigen Entwicklung und der<br />
dringend notwendigen Transformation<br />
von Wirtschaft und Gesellschaft beitragen.<br />
In den Jahren 2020 und <strong>2021</strong> haben wir<br />
im Beirat aktuelle, gesellschaftlich und<br />
für die Forschung relevante Schwerpunktthemen<br />
diskutiert, um Synergien<br />
zu nutzen und die Expertise der beiden<br />
Häuser gezielt in gemeinsame Projekte<br />
einzubringen.<br />
Die Schwerpunktthemen knüpfen an<br />
wichtige Elemente des aktuellen österreichischen<br />
Regierungsprogramms an<br />
und orientieren sich an internationalen<br />
Entwicklungen wie dem EU Green Deal<br />
und den Zielen für nachhaltige Entwicklung<br />
der Vereinten Nationen (Sustainable<br />
Development Goals).<br />
LANDNUTZUNG, BODENVER-<br />
BRAUCH UND RAUMORDNUNG<br />
Im Jahr 2020 wurde zwar weniger Boden<br />
neu beansprucht als 2019, Bodenverbrauch<br />
und Bodenversiegelung liegen<br />
aber nach wie vor auf zu hohem Niveau.<br />
Diese Entwicklung ist nicht nur auf die<br />
Zunahme von Bautätigkeiten und somit<br />
auf die Verbauung von Flächen zurückzuführen,<br />
sondern auch auf eine<br />
widersprüchliche Baulandwidmung.<br />
Die Grundsätze von Klimaschutz und<br />
Energiewende sind inhaltlich nicht abgestimmt<br />
und stehen nicht im Einklang<br />
mit den Raumordnungsgesetzen. Die<br />
Raumordnungspläne beinhalten innovative<br />
Aspekte zu Bodenschutz und<br />
Energieraumplanung, hinterlassen aber<br />
Lücken und Zielkonflikte bis zur örtlichen<br />
Ebene. Die Priorisierung von Geschäftsbauten<br />
zieht zwar Verpflichtungen zu<br />
Parkflächen und -plätzen nach sich, vernachlässigt<br />
jedoch Grünland- und Naturraumkonzepte.<br />
GRÜNE INFRASTRUKTUREN,<br />
NACHHALTIGE STADT- UND<br />
GEMEINDEENTWICKLUNG<br />
Nachhaltige Stadt- und Siedlungsentwicklung<br />
ist eng mit Klimawandelanpassung<br />
verknüpft. Viele Städte, Gemeinden<br />
und Länder stehen noch vor<br />
der Aufgabe, Anpassungsstrategien zu<br />
entwickeln und operative Projekte umzusetzen.<br />
Urbane Frei- und Grünräume<br />
stehen hier besonders im Fokus. Eine<br />
Herausforderung für Gemeinden und<br />
Städte ist der Nutzungsdruck, dem meist<br />
nachgegeben wird. Landnutzung, Landschaft<br />
und Biodiversitätsschutz sind miteinander<br />
in Einklang zu bringen.<br />
Gegenüber grünen Infrastrukturen herrschen<br />
auch Ressentiments, insbesondere<br />
wird damit ein schwer bewältigbarer Aufwand<br />
für ihre Pflege verbunden. Aufklärung,<br />
Überzeugungs- und Sensibilisierungsarbeit<br />
sowie Beteiligungsprozesse<br />
sind notwendig, um die Akzeptanz zu<br />
fördern. Fachliches Know-how zur korrekten<br />
Planung, Ausführung, Umsetzung,<br />
Erhaltung und Nachsorge von grüner<br />
Infrastruktur fehlen vielerorts und sind<br />
zur Verfügung zu stellen.<br />
PHOTOVOLTAIK<br />
Die Notwendigkeit zum PV-Ausbau ergibt<br />
sich aus den Klimazielen und dem<br />
Erneuerbaren Ausbau Gesetz. Damit<br />
steigt der Druck auf Freiflächen durch<br />
Großinfrastrukturen und Großinvestoren.<br />
Auch raumplanerisch ist das Thema<br />
Freiflächen-PV hochaktuell und wurde<br />
in den Bundesländern (etwa Steiermark,<br />
Kärnten) aufgegriffen. Auch die möglichen<br />
Auswirkungen auf die Umwelt und<br />
die biologische Vielfalt sowie mögliche<br />
Bewertungsinstrumente wurden bisher<br />
nicht ausreichend betrachtet. Im Rahmen<br />
der Strategischen Kooperation wird<br />
versucht, diese Fragen in Zusammenarbeit<br />
mit den Bundesländern zu klären.<br />
BIOÖKONOMIE<br />
Das <strong>BOKU</strong> Zentrum für Bioökonomie<br />
und das Umweltbundesamt arbeiten in<br />
diesem Schwerpunkt gemeinsam an der<br />
inhaltlichen Umsetzung der österreichischen<br />
Bioökonomiestrategie und ihrer<br />
Leuchtturmprojekte. In naher Zukunft<br />
soll es zum Aufbau eines Bioökonomie-<br />
Netzwerkes als Vorbereitung eines Bioökonomie-Clusters<br />
in Österreich kommen.<br />
Darüber hinaus wurde am 30. November<br />
gemeinsam eine internationale<br />
Bioökonomie-Konferenz organisiert. Ihr<br />
Titel: Die Bioökonomie als Beitrag zu<br />
einer nachhaltigen Entwicklung – wie die<br />
Transformation gelingen kann.<br />
WASSER<br />
Wasser ist seit vielen Jahren ein zentrales<br />
Thema der Strategischen Kooperation<br />
<strong>BOKU</strong>–Umweltbundesamt. Vor<br />
Kurzem wurden die Ergebnisse des gemeinsamen,<br />
sehr erfolgreichen Projektes<br />
„Wasserschatz Österreich“ im Auftrag<br />
des BMLRT veröffentlicht. Dieses wird<br />
auf den folgenden Seiten genauer vorgestellt.<br />
44 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Bernhard Gröger<br />
Adobe Stock<br />
LESSONS LEARNED UND AUSBLICK<br />
Die Nutzung des Naturraums und der<br />
Landschaft spielt eine essentielle Rolle für<br />
eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung.<br />
Bisher konnte das nationale Ziel,<br />
den Bodenverbrauch auf täglich 2,5 ha<br />
zu reduzieren, bei Weitem nicht erreicht<br />
werden. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern,<br />
fühlt sich die Strategische<br />
Kooperation verpflichtet, Verwaltung<br />
und Öffentlichkeit zu sensibilisieren und<br />
Projekte zu entwickeln. Herausforderungen<br />
bestehen auch in damit zusammenhängenden<br />
Bereichen wie dem Klimaschutz,<br />
dem Schutz und der nachhaltigen<br />
Nutzung der biologischen Vielfalt sowie<br />
der Kreislaufwirtschaft, wobei der Umgang<br />
mit Ziel- und Nutzungskonflikten<br />
immer bedeutsamer wird. Die Stärke<br />
der Strategischen Kooperation liegt darin,<br />
aktuelle Ziel- und Nutzungskonflikte<br />
rasch aufzugreifen und die fachlichen<br />
Grundlagen für mögliche Lösungen im<br />
Zuge von Projekten zu entwickeln. Auch<br />
das beharrliche Verfolgen von Themen<br />
ist sehr wichtig, selbst wenn zunächst<br />
eine Projektumsetzung schwierig ist, wie<br />
es das Beispiel der Bioökonomie zeigt.<br />
Hier ist die Strategische Kooperation ein<br />
wichtiges Instrument, um durch frühe<br />
Schwerpunktsetzung und Themeninitiativen<br />
die Transformation von Wirtschaft<br />
und Gesellschaft und ihre nachhaltige<br />
Entwicklung voranzutreiben. •<br />
Ingeborg Sperl Bernhard Gröger<br />
LINK<br />
Falls Sie Ideen<br />
oder Interesse für<br />
eine Zusammenarbeit<br />
haben,<br />
treten Sie<br />
bitte mit uns<br />
in Kontakt.<br />
Beiratsvorsitz:<br />
Helmut Gaugitsch &<br />
Rosemarie Stangl<br />
http://short.boku.ac.at/fos_<br />
stratkoopbokuu<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
45
Strategische Kooperation<br />
<strong>BOKU</strong>–UMWELTBUNDESAMT<br />
Wasserschatz Österreichs<br />
Wie viel Wasser haben wir, wie viel brauchen wir? Eine neue Studie von Umweltbundesamt, <strong>BOKU</strong> Wien und<br />
Ingenieurbüro Holler im Auftrag des BMLRT zeigt erstmals österreichweit regionale Herausforderungen in<br />
der Wasserverfügbarkeit bis 2050. Von Helga Lindinger, Grundwasser-Expertin im Umweltbundesamt, für das Projektteam<br />
Österreich zählt zu den wasserreichsten<br />
Regionen der Welt. Quellen,<br />
Flüsse und Seen prägen häufig das<br />
Landschaftsbild. Diese Wasservorkommen<br />
und das nicht sichtbare Grundwasser<br />
sind wesentliche Grundlagen für die<br />
Trinkwasserversorgung, die Sicherung<br />
der landwirtschaftlichen Produktion, für<br />
Industrie, Gewerbe und den Tourismus.<br />
Die Studie Wasserschatz Österreichs liefert<br />
die nötige Grundlage, um die Grundwasserressourcen<br />
nachhaltig zu schützen<br />
und zu nutzen.<br />
Damit hat das Bundesministerium für<br />
Landwirtschaft, Regionen und Tourismus<br />
(BMLRT) die Erarbeitung detaillierter<br />
Fachgrundlagen für die wasserwirtschaftliche<br />
Planung und für Vorsorgemaßnahmen<br />
beauftragt. Sie zeigen<br />
den derzeitigen Wasserbedarf in ganz<br />
Österreich und die Entwicklungen in<br />
den nächsten 30 Jahren im Lichte des<br />
Klimawandels. Über zwei Jahre haben<br />
Expert*innen des Umweltbundesamts,<br />
der Universität für Bodenkultur Wien<br />
(<strong>BOKU</strong>) und des Ingenieurbüros Holler<br />
dafür in Zusammenarbeit mit den neun<br />
Bundesländern und relevanten Stakeholdern<br />
an der Studie gearbeitet.<br />
GRUNDWASSER IM FOKUS<br />
Aufbauend auf den aktuellen Nutzungen<br />
und verfügbaren Ressourcen wurden<br />
in der Studie Szenarien der Grundwassernutzung<br />
bis 2050 entwickelt. Denn<br />
„Österreichs Grundwasser ist ein Schatz,<br />
den wir behüten müssen. Nur durch einen<br />
achtsamen Umgang mit unseren Wasserressourcen<br />
und nachhaltige Nutzungen<br />
Umweltbundesamt/Elisabeth Stadler<br />
Almbrunnen<br />
stellen wir sicher, dass dieser Schatz auch<br />
kommenden Generationen als hervorragende<br />
Lebensgrundlage zur Verfügung<br />
steht“, erklärt Bundesministerin Elisabeth<br />
Köstinger. Für die realistische Abschätzung<br />
der möglichen Auswirkungen des<br />
Klimawandels auf Wasserressourcen und<br />
-bedarf wurden wissenschaftlich anerkannte<br />
Klimaszenarien (ÖKS15 Klimaszenarien)<br />
mit den Auswirkungen möglicher<br />
sozioökonomischer Veränderungen (z. B.<br />
Bevölkerungsentwicklung, Veränderungen<br />
in der Landwirtschaft und Industrie)<br />
verschnitten und regional differenziert<br />
für ganz Österreich dargestellt.<br />
Der gesamte jährliche Wasserbedarf<br />
in Österreich liegt derzeit bei etwa 3,1<br />
Milliarden m³. Rund 60 Prozent (ca. 1,9<br />
Milliarden m³) werden aus Oberflächengewässern<br />
entnommen. Der überwiegende<br />
Anteil davon wird als Kühlwasser<br />
für Industrie und Gewerbe genutzt, das<br />
in der Regel ortsnah wieder in die Gewässer<br />
rückgeführt wird. Rund 40 Prozent<br />
des gesamten Wasserbedarfes (1,2<br />
Mrd. m³) werden aus dem Grundwasser<br />
gedeckt.<br />
FAKTOR KLIMAWANDEL<br />
Der Klimawandel hat schon heute Einfluss<br />
auf die verfügbare Wassermenge<br />
und den Wasserbedarf. Trockenperioden<br />
und Extremwetterereignisse nehmen<br />
zu. Der Anstieg der Lufttemperatur und<br />
die damit verbundenen Änderungen bei<br />
den Niederschlägen, der Verdunstung<br />
und der Vegetationsperiode wirken sich<br />
direkt auf die Wasserressourcen aus. Generell<br />
rechnet man für Österreich mit<br />
einer saisonalen Verlagerung der Niederschläge,<br />
mehr Niederschlag im Winter<br />
und Frühjahr und weniger im Sommer<br />
und Herbst.<br />
WASSERBEDARF NIMMT<br />
BIS 2050 DEUTLICH ZU<br />
Die Wasserschatz-Studie zeigt, dass der<br />
Wasserbedarf für die Wasserversorgung,<br />
inklusive Trinkwasser, aktuell zur Gänze<br />
aus dem Grundwasser über Brunnenentnahmen<br />
und Quellnutzungen gedeckt<br />
wird. Der aktuelle Bedarf für die Wasserversorgung<br />
von 753 Millionen m³ pro<br />
Jahr kann sich bis 2050 um 11–15 Prozent<br />
erhöhen. Das führt österreichweit<br />
zu einem künftigen Wasserbedarf von<br />
830–850 Millionen m³ pro Jahr. In einzelnen<br />
Gemeinden kann er aufgrund von<br />
Bevölkerungszunahme und Klimawandel<br />
um bis zu 50 Prozent steigen.<br />
Österreichweit ist der Anteil der landwirtschaftlichen<br />
Bewässerung am gesamten<br />
Wasserbedarf mit rund 69 Mio. m³<br />
46 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Bernhard Gröger<br />
Trockenheit ist ein Thema in Österreichs Landschaften.<br />
pro Jahr gering und auf wenige Regionen<br />
in Ostösterreich und zeitlich auf die Vegetationsperiode<br />
konzentriert. Bis 2050<br />
kann sich der Bedarf beinahe verdoppeln.<br />
Industrie und Gewerbe ist mit etwa<br />
2.210 Millionen m³ pro Jahr der Sektor<br />
mit dem größten Wasserbedarf.<br />
GRUNDWASSERRESSOURCEN<br />
ZUNEHMEND UNTER DRUCK<br />
Aktuell kann der Bedarf aus dem Grundwasser<br />
nachhaltig gedeckt werden.<br />
Durch die Auswirkungen des Klimawandels<br />
könnten die verfügbaren Grundwasserressourcen<br />
in Österreich bis 2050<br />
im bundesweiten Durchschnitt um bis zu<br />
23 Prozent abnehmen. Die zu erwartenden<br />
Veränderungen sind jedoch regional<br />
sehr unterschiedlich ausgeprägt, in Teilbereichen<br />
können die Ressourcen um<br />
über 30 Prozent abnehmen. Bis 2050<br />
ergibt ein angenommenes Szenario mit<br />
abnehmenden Niederschlägen, kombiniert<br />
mit den Folgen des Klimawandels,<br />
dass in einigen Regionen Österreichs<br />
die Ausnutzungsgrade der Grundwasserressourcen<br />
weiter steigen und die Anzahl<br />
der Gebiete mit sehr hoher Ausnutzung<br />
zunehmen werden. Ohne entsprechende<br />
Gegenmaßnahmen könnte der künftige<br />
Bedarf in einigen Regionen die verfügbaren<br />
Ressourcen sogar übersteigen.<br />
NEUE ZUKUNFTSPLATTFORM<br />
WASSER<br />
Um die Wasserressourcen Österreichs<br />
effizient unter Berücksichtigung des<br />
Klimawandels zu nutzen, setzt das<br />
BMLRT auf Dialog. Gemeinsam mit<br />
den Bundesländern, Stakeholdern und<br />
Sozialpartner*innen werden die Ergebnisse<br />
der Studie in der neuen Zukunftsplattform<br />
Wasser diskutiert und konkrete<br />
Maßnahmen erarbeitet. Denn Wissen<br />
ist der Schlüssel zum Handeln, um<br />
die Wasserversorgung auch künftig in<br />
allen Regionen Österreichs sicherzustellen.<br />
•<br />
LINK<br />
Studie<br />
https://info.bmlrt.gv.at/themen/wasser/<br />
nutzung-wasser/wasserschatzoesterreichs-studie.html<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
47
Strategische Kooperation<br />
<strong>BOKU</strong>–UMWELTBUNDESAMT<br />
Aktuelle Themen in den<br />
Kooperationsprojekten<br />
Gemeinsame Projekte zwischen Kolleg*innen<br />
von <strong>BOKU</strong> und Umweltbundesamt stellen die<br />
breite Palette an Themenfeldern dar.<br />
Von Florian Borgwardt, mit Beiträgen von Christiane Brandenburg 1 , Eugenio Diaz-Pines 1 , Veronika Gaube 1 , Felix Heckl 2 ,<br />
Gudrun Obersteiner 1 , Thomas Dirnböck 2 , Christoph Plutzar 2 , Michael Weiß 2<br />
Oftmals spielen Umweltprozesse,<br />
wie z. B. der Klimawandel, eine<br />
wichtige Rolle in den Projekten. So<br />
adressiert das Projekt EXtreme weather<br />
events and soil greenhouse gas fluxes<br />
in Austrian FORests (EXAFOR) Klimaschutz<br />
und Klimawandelanpassung. EXA-<br />
FOR fokussiert auf den Wald und seine<br />
Böden. Diese sind für das Klimasystem<br />
von entscheidender Bedeutung, da sie<br />
große Mengen an Treibhausgasen (THG)<br />
mit der Atmosphäre austauschen. Aktuell<br />
gelten die österreichischen Wälder als<br />
Netto-Senke von THG, d. h. sie mindern<br />
aktiv die THG-Konzentrationen in der<br />
Atmosphäre. Dies kann sich jedoch durch<br />
den Klimawandel ändern. Durch extreme<br />
Wetterereignisse (wie zum Beispiel Dürre<br />
oder Starkregenfälle) verändern sich<br />
die Bodenprozesse, was sich wiederum<br />
auf die Klimabilanz des Waldbodens auswirken<br />
kann. Diese Prozesse werden an<br />
drei hoch instrumentierten Waldstandorten<br />
untersucht, indem ex treme Wetterereignisse<br />
simuliert werden. Diese<br />
Daten werden verwendet, um ein prozessbasiertes<br />
Modell zu erstellen und zu<br />
verbessern, um darauf aufbauend eine<br />
THG-Bilanz ausgewählter österreichischer<br />
Waldstandorte unter zukünftigen<br />
Klimawandel-Szenarien zu erstellen.<br />
Die genannten Waldstandorte spielen<br />
auch in einer weiteren Kooperation<br />
eine wesentliche Rolle. Sie sind Teil<br />
des sogenannten LTER-Netzwerkes,<br />
das als Teil der ökologischen Langzeitforschung<br />
in Österreich einen Beitrag<br />
zum europäischen LTER leistet. Dieses<br />
Messstation am Umweltbundesamt-LTER-Standort Zöbelboden.<br />
erarbeitet aktuell, unterstützt durch<br />
das EU-Forschungsrahmenprogramm<br />
Horizon2020, die Grundlagen für eine<br />
EU-weite Forschungsinfrastruktur. Dazu<br />
arbeiten <strong>BOKU</strong> und Umweltbundesamt<br />
im Advanced Community Project for the<br />
eLTER Research Infrastructure (eLTER<br />
PLUS) zusammen und gestalten dabei<br />
den Prozess zur Weiterentwicklung der<br />
Forschungsinfrastruktur in Österreich<br />
und Europa führend mit.<br />
LTER beforscht allerdings nicht nur die<br />
Ökologie, sondern adressiert auch sozio-ökonomische<br />
Aspekte. Das Zusammenspiel<br />
von Umwelt und Gesellschaft<br />
erforscht das Projekt Managing Climate<br />
cHange impacts on land use and EcoSystem<br />
Services (CHESS). Für den Zeitraum<br />
2015 bis 2050 wird der Einfluss von sozioökonomischen<br />
Rahmenbedingungen<br />
(wie z. B. Subventionen, Preise, intrinsische<br />
Präferenzen) in Kombination mit<br />
durch Klimawandel verursachte Landnutzungsänderungen<br />
in zwei Forschungsregionen<br />
in Österreich untersucht.<br />
Radfahren und Mountainbiken erlebte<br />
in den letzten Jahren und durch Corona<br />
verstärkt einen deutlichen Aufschwung.<br />
Die intensivere Nutzung des Naturraums<br />
führt jedoch auch zu Nutzungskonflikten.<br />
Das Projekt Empfehlungen für regionale<br />
und nachhaltige Mountainbike-Konzepte<br />
F. Rokop/Umweltbundesamt<br />
48 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
T. Kager/<strong>BOKU</strong><br />
Messungen (Eddy-Kovarianz-Anlage) auf dem Heuberg am <strong>BOKU</strong> LTER-Standort Rosalia.<br />
(ErniMTB) widmet sich der Freizeit- und<br />
Erholungsnutzungsart Mountainbiken<br />
unter Einbeziehung der unterschiedlichen<br />
Nutzungsinteressen, welche sich<br />
rund um die Thematik „Mountainbiken in<br />
der Natur“ entwickeln. Ziel ist es, nachhaltige,<br />
integrative und attraktive Mountainbike-Konzepte<br />
für Österreichs Regionen<br />
und Bundesländer zu entwickeln.<br />
Zur Betrachtung der unterschiedlichen<br />
Aspekte von Mountainbiken in Österreich<br />
werden Fallstudien auf regionaler<br />
Ebene (Regionen Pinzgau und Wienerwald)<br />
und auf Ebene der Bundesländer<br />
(Oberösterreich und Tirol) durchgeführt.<br />
Ein intensiver Austausch mit den verschiedenen<br />
Interessensgruppen ermöglicht<br />
die Analyse von Gemeinsamkeiten<br />
und Unterschieden der jeweiligen Fallstudien<br />
sowie dem Sammeln von Erfahrungen<br />
zu Partizipationsprozessabläufen.<br />
Die nachhaltige Nutzung von Umweltressourcen<br />
spielt auch im Projekt Angelfischerei<br />
und Nachhaltigkeit (AFiN) eine<br />
entscheidende Rolle. In AFiN, dessen<br />
Finanzierung über die Ländliche Entwicklung<br />
erfolgt, wird vom Umweltbundesamt<br />
geleitet und vom Institut für Hydrobiologie<br />
und Gewässermanagement der<br />
<strong>BOKU</strong> wissenschaftlich begleitet. Gemeinsam<br />
mit Interessensvertreter*innen<br />
der Angelfischerei in Österreich wurde<br />
in AFiN ein breiter Diskussionsprozess<br />
gestartet, in dem unter anderem herausgearbeitet<br />
wird, was Nachhaltigkeit<br />
in der österreichischen Angelfischerei<br />
bedeuten kann und welche Beiträge die<br />
Angelfischerei zur Erreichung der UN-<br />
Nachhaltigkeitsziele bereits leistet bzw.<br />
noch leisten könnte<br />
Auch die letzte Projekt-Kurzvorstellung<br />
hat mit Nachhaltigkeit zu tun. Trotz des<br />
europaweit fortgeschrittenen Abfallmanagements<br />
zeigt sich nach wie vor<br />
ein hohes Aufkommen von Plastikverschmutzung<br />
in der Umwelt, insbesondere<br />
von Mikro- als auch Makroplastik in Flüssen,<br />
wie der Donau. Aus diesem Grund<br />
Jürgen Pletterbauer<br />
konzentriert sich das Projekt F(ol)low<br />
the Plastic from source to the sea: Tisza-<br />
Danube integrated action plan to eliminate<br />
plastic pollution of river (Tid(y)Up)<br />
auf die Verbesserung der Wasserqualität<br />
und die Verringerung der Verschmutzung<br />
durch Plastik in der Donau und ihrer<br />
Zubringer (Fokus Theiß) von der Quelle<br />
bis zum Schwarzen Meer. Da es derzeit<br />
keine Standardmethode sowie konsistente<br />
Daten über die Verschmutzung<br />
von Flüssen durch Plastik gibt, zielt Tid(y)<br />
Up darauf ab, Methoden zur Schätzung<br />
des Ausmaßes der Verschmutzung zu<br />
standardisieren. <br />
•<br />
1 Universität für Bodenkultur Wien<br />
2 Umweltbundesamt<br />
KONTAKT<br />
DI Dr. Florian<br />
Borgwardt<br />
florian.borgwardt@<br />
boku.ac.at<br />
http://short.boku.<br />
ac.at/fos_<br />
stratkoopbokuu<br />
<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />
49
Affiliation Policy<br />
Diese Richtlinie wurde am 30. September <strong>2021</strong> im <strong>BOKU</strong>-<br />
Mitteilungsblatt veröffentlicht und ist damit in Kraft<br />
getreten. Die Richtlinie behandelt die Zugehörigkeit<br />
der wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter*innen<br />
der <strong>BOKU</strong> und wie diese bei Publikationen<br />
und anderen Forschungsleistungen wie Anträgen, Projekten,<br />
Patenten oder in Social-Media-Beiträgen der <strong>BOKU</strong> korrekt<br />
anzugeben ist.<br />
Ziel ist es, die <strong>BOKU</strong> als Universität und auch die ihr angehörenden<br />
Departments, Institute etc. einheitlich nach<br />
außen darzustellen und zu benennen. Undurchsichtige Abkürzungen<br />
und veraltete Namensvariationen dürfen nicht<br />
mehr verwendet werden, der offizielle Name „Universität<br />
für Bodenkultur Wien“ oder „University of Natural Resources<br />
and Life Sciences, Vienna“ mit der Kurzbezeichnung „<strong>BOKU</strong>“<br />
wird damit gestärkt. Der vereinheitlichte Name der <strong>BOKU</strong><br />
und auch die Verwendung von Organisationsidentifikatoren<br />
(z. B. ROR, Ringgold ID, Wikidata etc.) macht die Universität<br />
somit unverwechselbar und die erbrachten Leistungen aller<br />
Mitarbeiter*innen lassen sich eindeutig ausweisen.<br />
Eine konsequente Handhabung der Richtlinie durch die<br />
<strong>BOKU</strong>- Forscher*innen ermöglicht einfachere administrative<br />
Prozesse in allen Bereichen, die die <strong>BOKU</strong> mit ihren Leistungen<br />
in Forschung oder 3 rd Mission in Verbindung bringen<br />
(z. B. Reporting, Evaluationen, Rankings). So können zukünftig<br />
eindeutige Abfragen in Publikationsdatenbanken (z. B.<br />
Web of Science, Scopus) durchgeführt, Publikationen genau<br />
bzw. Forschungsprojekte bei Fördergeber*innen identifiziert<br />
werden. Forschungsergebnisse aller Art können den <strong>BOKU</strong>-<br />
Forscher*innen wiederum wesentlich leichter zugeordnet<br />
werden, das Profil der Universität wird nach außen geschärft,<br />
die <strong>BOKU</strong> in der Wahrnehmung durch die wissenschaftliche,<br />
mediale sowie interessierte Öffentlichkeit noch präsenter.<br />
Richtlinie https://short.boku.ac.at/affiliation<br />
Kontakt affiliation@boku.ac.at<br />
•<br />
This guideline was published on September 30, <strong>2021</strong><br />
(date of publication in the Official Journal No. 27,<br />
academic year 2020/<strong>2021</strong>) and thus came into force.<br />
The guideline deals with the affiliation of scientific and<br />
non-scientific employees of <strong>BOKU</strong> and how this is to be<br />
correctly indicated in publications and other research<br />
achievements such as applications, projects, patents or<br />
in social media contributions of <strong>BOKU</strong>.<br />
The aim is to present <strong>BOKU</strong> as a university and its<br />
departments, institutes, etc. uniformly to the outside<br />
world. Obscure abbreviations and outdated name variations<br />
may no longer be used; the official name „Universität<br />
für Bodenkultur Wien“ or „University of Natural<br />
Resources and Life Sciences, Vienna“ with the abbreviation<br />
„<strong>BOKU</strong>“ are thus strengthened. The unified name<br />
of <strong>BOKU</strong> and the use of organizational identifiers (e. g.<br />
ROR, Ringgold ID, Wikidata etc.) makes the university<br />
unmistakable and the achievements of all employees<br />
can be clearly identified.<br />
A consistent handling of the guideline by <strong>BOKU</strong> researchers<br />
enables simpler administrative processes in all areas<br />
that <strong>BOKU</strong> is associated with its achievements in research<br />
or 3 rd mission (e. g. reporting, evaluations, rankings). In the<br />
future, clear queries in publication databases (e. g. Web<br />
of Science, Scopus) can be carried out, publications can<br />
be identified exactly or research projects can be identified<br />
with funding bodies. Research results of all kinds can in<br />
turn be assigned to <strong>BOKU</strong> researchers much more easily,<br />
the profile of the university will be sharpened externally,<br />
and <strong>BOKU</strong> will be even more present in the perception of<br />
the scientific, media and interested public.<br />
Guideline https://short.boku.ac.at/affiliation<br />
Contact affiliation@boku.ac.at<br />
•<br />
50 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>
Material<br />
der Zukunft
Materialien,<br />
aus denen die<br />
Zukunft besteht