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BOKU Magazin 4/2021

3 Editorial 4 Interview Rektor Hubert Hasenauer 8 Lignin, ein wertvolle Rohstoff 11 Neue Holzbauwerkstoff 14 Materialien aus Zuckerrüben und Stroh 16 Funktionelle Cellulose-Nanofibrillen 18 Holz im Fahrzeugbau 20 Materialien aus biogenen Reststoffen 23 „Super-Antikörper“ für Nasensprays 24 Sind wir bereit für Laborfleisch? 25 „SolarCircle“: Neue PV-Materialien 26 Porträt Fabian Pfrengle 30 Interview Julia Zotter 32 Katastrophen sind wie eine Lupe 34 Mikroplastik-Emissionen durch Reifenabrieb 36 ICA Rectors and Deans Forum 2021 37 Bundespräsident besuchte BOKU 38 Kolumne Gender & Diversity 40 Splitter 42 Forschung-FAQ 43 Eröffnungsfeier BOKU:BASE 44 Strategische Kooperation Umweltbundesamt 50 Affiliation Policy

3 Editorial
4 Interview Rektor Hubert Hasenauer
8 Lignin, ein wertvolle Rohstoff
11 Neue Holzbauwerkstoff
14 Materialien aus Zuckerrüben und Stroh
16 Funktionelle Cellulose-Nanofibrillen
18 Holz im Fahrzeugbau
20 Materialien aus biogenen Reststoffen
23 „Super-Antikörper“ für Nasensprays
24 Sind wir bereit für Laborfleisch?
25 „SolarCircle“: Neue PV-Materialien
26 Porträt Fabian Pfrengle
30 Interview Julia Zotter
32 Katastrophen sind wie eine Lupe
34 Mikroplastik-Emissionen durch Reifenabrieb
36 ICA Rectors and Deans Forum 2021
37 Bundespräsident besuchte BOKU
38 Kolumne Gender & Diversity
40 Splitter
42 Forschung-FAQ
43 Eröffnungsfeier BOKU:BASE
44 Strategische Kooperation Umweltbundesamt
50 Affiliation Policy

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<strong>BOKU</strong><br />

DAS MAGAZIN DER UNIVERSITÄT DES LEBENS<br />

Nr. 4 | Dezember <strong>2021</strong><br />

ISSN: 2224-7416<br />

GUTER STOFF<br />

Materialien, aus denen<br />

die Zukunft besteht<br />

HOLZ: ALTER<br />

WERKSTOFF, NEUE<br />

ANWENDUNGEN<br />

INTERVIEW<br />

REKTOR<br />

HASENAUER<br />

LIGNIN:<br />

VOM ABFALLPRODUKT<br />

ZUM MULTITALENT


INHALT<br />

3 Editorial<br />

4 Interview Rektor Hubert Hasenauer<br />

8 Lignin, ein wertvolle Rohstoff<br />

11 Neue Holzbauwerkstoff<br />

14 Materialien aus Zuckerrüben und<br />

Stroh<br />

16 Funktionelle Cellulose-Nanofibrillen<br />

8<br />

18 Holz im Fahrzeugbau<br />

20 Materialien aus biogenen Reststoffen<br />

23 „Super-Antikörper“ für Nasensprays<br />

24 Sind wir bereit für Laborfleisch?<br />

25 „SolarCircle“: Neue PV-Materialien<br />

26 Porträt Fabian Pfrengle<br />

30 Interview Julia Zotter<br />

32 Katastrophen sind wie eine Lupe<br />

Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong><br />

11<br />

14<br />

Zotter Schokolade Shutterstock<br />

34 Mikroplastik-Emissionen durch<br />

Reifenabrieb<br />

36 ICA Rectors and Deans Forum <strong>2021</strong><br />

37 Bundespräsident besuchte <strong>BOKU</strong><br />

38 Kolumne Gender & Diversity<br />

23 30<br />

40 Splitter<br />

42 Forschung-FAQ<br />

Bernhard Gröger<br />

43 Eröffnungsfeier <strong>BOKU</strong>:BASE<br />

44 Strategische Kooperation<br />

<strong>BOKU</strong>-Umweltbundesamt<br />

50 Affiliation Policy<br />

44


EDITORIAL<br />

Georg Wilke<br />

O WERKSTOFFENTWICKLUNG IM DIENST<br />

VON NACHHALTIGKEIT UND KLIMASCHUTZ<br />

HUBERT HASENAUER<br />

Rektor<br />

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!<br />

Liebe Studierende!<br />

Der Bausektor ist einer der wesentlichsten Verursacher<br />

von Treibhausgasen. Allein die Herstellung von Zement<br />

verursacht 7-8 % der weltweiten CO 2<br />

-Emissionen. Zusammen<br />

mit anderen energieintensiven Werkstoffen wie Stahl,<br />

Ziegel sowie dem Transportanteil verursacht die Bauwirtschaft<br />

bis zu 45 % des weltweiten CO 2<br />

-Ausstoßes.<br />

Eine Möglichkeit, diesen enormen CO 2<br />

-Ausstoß zu verringern<br />

ist die innovative Verwendung nachwachsender Rohstoffe wie<br />

etwa Holz, das in großen Mengen zur Verfügung steht. Ein<br />

Kubikmeter Holz aus nachhaltiger Waldwirtschaft entzieht<br />

der Atmosphäre etwa eine Tonne CO 2<br />

und – was besonders<br />

wichtig – Holz wächst in unseren Wäldern nach. Man könnte<br />

also ein Holzhaus wie ein Kohlenstofflager verstehen, dass die<br />

CO 2<br />

-Emissionen des Bausektors substituiert.<br />

Auch im Autobau kommt Holz als Holzhybrid-Komponente<br />

mit Kunststoffen und Metallen vermehrt zum Einsatz. Dafür<br />

ist es notwendig, die Holzeigenschaften besser zu verstehen<br />

was durch Computersimulationen ermöglicht wird. Eine besonders<br />

interessante Entwicklung ist die Verwendung von<br />

Lignin, einem Abfallprodukt der Zelluloseproduktion, dass zu<br />

umweltfreundlichen Klebstoffen, Bindemitteln und biologisch<br />

abbaubare Beschichtungen verwendet werden kann.<br />

Neue Materialien aus nicht-forstlicher Pflanzenbiomasse<br />

schaffen zusätzliche Wertschöpfungen für die Landwirtschaft<br />

und die Lebensmittelindustrie. Beispiele dafür sind Dämmstoff<br />

aus Zuckerrüben oder die Verdichtung von Weizenstroh, dass<br />

etwa die doppelte Festigkeit von Fichtenholz hat. Entwicklungen<br />

basierend auf Cellulose-Nanofibrillen zeigen, welch<br />

großen Rohstoffpotential die Natur zur Herstellung von Hochleistungsmaterialien<br />

bietet.<br />

In dieser Ausgabe dürfen wir Ihnen zum Thema „Materialien<br />

der Zukunft“ neue Werkstoffentwicklungen unsere <strong>BOKU</strong><br />

Wissenschaftler*innen im Dienst der Nachhaltigkeit und des<br />

Klimaschutzes vorstellen. Die Werkstoffforschung an der<br />

<strong>BOKU</strong> hat das Ziel, nachhaltige Wertschöpfungsketten für<br />

eine Kreislaufwirtschaft als Ersatz von fossilen Materialien<br />

und Produkten zu entwickeln. Wir sind davon überzeugt, dass<br />

eine nachhaltige Transformation der Gesellschaft vor allem<br />

durch technische und wirtschaftliche Innovationen erfolgen<br />

wird. Ich danke allen Autor*innen für Ihre Beiträge und hoffe,<br />

dass wir in Zukunft noch von vielen neuen Innovationen<br />

hören werden.<br />

Mit freundlichen Grüßen, Ihr<br />

Univ.Prof. DI Dr. DDr.h.c. Hubert Hasenauer<br />

IMPRESSUM: Medieninhaberin und Herausgeberin: Universität für Bodenkultur Wien (<strong>BOKU</strong>), Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien Chefredaktion: Bettina Fernsebner-<br />

Kokert Redaktion: Hermine Roth Autor*innen: Marco Beaumont, Florian Borgwardt, Sabrina Bischof, Martina Fröhlich, Helmut Gaugitsch, Wolfgang Gindl-Altmutter, Hubert<br />

Hasenauer, Anna-Laetitia Hikl, Johannes Konnerth, Helga Lindinger, Horst Mayr, Ulrich Müller, Maximilian Pramreiter, Georg Sachs, Lisa-Ariadne Schmidt, Ingeborg Sperl,<br />

Rosemarie Stangl, Team <strong>BOKU</strong>:BASE, Stefan Veigel, Rupert Wimmer Grafik: Patricio Handl Cover: Adobe Stock Druck: Druckerei Berger Auflage: 7.500 Erscheinungsweise:<br />

4-mal jährlich Blattlinie: Das <strong>BOKU</strong>-<strong>Magazin</strong> versteht sich als Informationsmedium für Angehörige, Absolvent*innen, Freund*innen der Universität für Bodenkultur Wien<br />

und soll die interne und externe Kommunikation fördern. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autorin<br />

oder des Autors wieder und müssen mit der Auffassung der Redaktion nicht übereinstimmen. Redaktionelle Bearbeitung und<br />

Kürzung von Beiträgen aus Platzgründen vorbehalten. Beiträge senden Sie bitte an: public.relations@boku.ac.at<br />

Bei Adressänderung wenden Sie sich bitte an: alumni@boku.ac.at<br />

UZ24<br />

„Schadstoffarme<br />

Druckerzeugnisse“<br />

UW 734<br />

PEFC/06-39-12<br />

Dieses Produkt<br />

stammt aus nachhaltig<br />

bewirtschafteten<br />

Wäldern und<br />

kontrollierten Quellen<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

3


Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong> IT<br />

„Wir müssen die besten jungen<br />

Köpfe an die <strong>BOKU</strong> holen“<br />

Interview: Bettina Fernsebner-Kokert<br />

Ein Blick zurück nach vorne: Der scheidende Rektor Hubert Hasenauer über seinen<br />

Wechsel von der Wissenschaft ins Management der <strong>BOKU</strong>, deren Innovationskraft<br />

und was er der Uni zu ihrem 150. Geburtstag wünscht.<br />

4 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Was war beim Wechsel von der Wissenschaft ins Management<br />

der <strong>BOKU</strong> für Sie persönlich die größte<br />

Umstellung?<br />

Hasenauer: In einer Verwaltungsposition hat man mit<br />

Themen zu tun, die nicht ins eigene Fachgebiet fallen,<br />

deren Zusammenhänge man aber verstehen muss,<br />

um gute Entscheidungen treffen zu können. Man<br />

muss sich daher gut beraten lassen, um zu erkennen,<br />

wie man diese Themen strukturell gut unterstützen<br />

kann – oder manchmal auch nicht unterstützt, wenn<br />

es in die falsche Richtung gehen würde.<br />

Die Wissenschaft ist eine andere Welt mit einer anderen<br />

Denkweise. Auch der Sprung von einem Institut,<br />

mit 40 bis 50 Mitarbeiter*innen in eine große Einheit<br />

wie die <strong>BOKU</strong> mit fast 2900 Leuten, ist natürlich<br />

nicht zu unterschätzen. Aber die Prinzipien sind hier<br />

wie dort dieselben: Analyse der Sachlage, herauszufinden<br />

und zuhören und dann strukturell das zu<br />

ermöglichen, was wir alle wollen – erfolgreiche Lehre<br />

und Forschung. Geholfen hat mir dabei meine Erfahrung<br />

aus der siebenjährigen Tätigkeit als Senatsvorsitzender,<br />

ich kannte ja bereits vieles an der <strong>BOKU</strong>.<br />

Es ist jedenfalls sehr interessant, das operative Tagesgeschäft<br />

zu erleben und sich dann zu freuen, wenn<br />

man ein schwieriges Problem gelöst hat.<br />

Das heißt, Rektor*innen sind die führenden Projektmanager*innen<br />

einer Universität?<br />

Nein, das wäre zu kurz gedacht, man muss Visionen<br />

haben sowie die Universität nach innen und außen<br />

vertreten. Man muss zuhören und auf die Menschen<br />

und die Details achten, die ja oft den Unterschied<br />

ausmachen. Das erfordert Diskussionen im Ringen<br />

um gute Lösungen, denn täglich sind viele Entscheidungen<br />

zu treffen, die dann das Große und Ganze ergeben.<br />

Hier fair und möglichst richtig zu entscheiden,<br />

ist das, was mir immer wichtig war, und wenn alles gut<br />

ging, auch Freude bereitet hat. Ich hatte ja bereits bei<br />

der Bewerbung meine Vorstellungen zur Entwicklung<br />

der <strong>BOKU</strong> zu formulieren und die habe ich dann mit<br />

meinem Team Schritt für Schritt umgesetzt.<br />

Auf welche Entwicklungen und Weichenstellungen in<br />

Ihrer Amtszeit sind Sie stolz?<br />

Wenn ich jetzt zurückschaue, dann haben wir fast<br />

alles geschafft, was wir uns vorgenommen haben.<br />

Auch wenn es natürlich unvorhergesehene Ereignisse<br />

gab, die Verzögerungen gebracht haben, dafür sind<br />

andere Dinge wieder einfacher gewesen.<br />

Es war uns klar, dass die <strong>BOKU</strong> nach dem starken<br />

Wachstum eine Konsolidierungsphase braucht, vor<br />

allem in den Kerngebieten Forschung und Lehre.<br />

Wir sind ja keine kleine Uni mehr und befinden uns<br />

dadurch in einem ganz anderen Konkurrenzumfeld.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

5


Das bringt mit sich, dass auch die Beobachtung<br />

von außen viel stärker geworden<br />

ist und darauf muss man sich auch als<br />

Institution strukturell vorbereiten – und<br />

auf diesem Weg die Leute mitnehmen.<br />

Die Auswahl von jungen Wissenschaftler*innen<br />

für die sogenannten Laufbahnstellen<br />

war aus meiner Sicht ein<br />

Meilenstein. Wir konnten mit der Neugestaltung<br />

des Auswahlverfahrens neue<br />

Perspektiven schaffen und haben damit<br />

in den letzten drei Jahren 28 höchst qualifizierte<br />

junge Wissenschaftler*innen<br />

angestellt. Für die Zukunft der <strong>BOKU</strong><br />

ist das sehr wichtig, denn wir müssen<br />

es schaffen, die besten jungen Köpfe an<br />

die <strong>BOKU</strong> zu holen. Interessant ist auch<br />

das Geschlechterverhältnis: Mehr als 50<br />

Prozent dieser Stellen konnten mit Frauen<br />

besetzt werden. Das bedeutet auch,<br />

dass es nur eine Frage der Zeit sein wird,<br />

bis wir dann auch bei den Professuren<br />

ein ähnliches Verhältnis haben werden.<br />

Gemessen an den Forschungsleistungen<br />

im Verhältnis zu den Professor*innen ist<br />

die <strong>BOKU</strong> derzeit die forschungsstärkste<br />

heimische Uni, worauf wir mit Recht sehr<br />

stolz sind. Im Sinne des Wissenstransfers<br />

haben wir mit der <strong>BOKU</strong>:BASE einen<br />

guten Grundstein für eine Wissenskette<br />

von der Grundlagenforschung bis hin<br />

zur Ausgründung von Firmen geschaffen.<br />

Das holt die Patente und Entrepreneur*innen<br />

vor den Vorhang, zeigt<br />

die Innovationskraft unserer Uni und löst<br />

auch ein Compliance-Problem.<br />

Weitere Dinge, die gelungen sind, sind der<br />

Aufbau des Zentrums für Bioökonomie,<br />

die Etablierung des Institutes für Entwicklungsforschung<br />

mit der dazugehörigen<br />

Professur, die Core Facilities, die <strong>BOKU</strong>-<br />

Doktorratsschulen sowie ganz wichtig<br />

die personelle Stärkung der Verwaltung<br />

und der Forschung mit einer massiven<br />

Aufstockung des Personals. Wir hatten<br />

mit der Errichtung des <strong>BOKU</strong>-Wasserbaulabors,<br />

das im kommenden Jahr fertig<br />

gestellt wird, mit zirka 30 Millionen Euro<br />

eines des größten Infrastrukturvorhaben.<br />

Die Öffentlichkeitsarbeit wurde neu aufgestellt,<br />

die Satzung überarbeitet sowie<br />

der Gleichstellungsplan fertiggestellt, die<br />

<strong>BOKU</strong> ist wieder zertifiziert worden und<br />

<strong>BOKU</strong> / Jakob Vegh<br />

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler besichtigte<br />

bei ihrem Besuch gemeinsam mit dem<br />

Rektor die Photovoltaikanlage der <strong>BOKU</strong> und<br />

auch Fridays for Future-Mitbegründerin Katharina<br />

Rogenhofer konnte Hubert Hasenauer bei<br />

sich begrüßen. Immer mit dabei und ein Star auf<br />

Social Media: Rektorshündin Molly.<br />

die Vorbereitung auf die 150-Jahr-Feier<br />

laufen auf Hochtouren.<br />

Was würden Sie aus heutiger Sicht anders<br />

machen?<br />

Ich würde die Dinge wieder so machen.<br />

Mit dem Amtsantritt am 1. Feb. 2018 war<br />

innerhalb von weniger als zwei Monaten<br />

die Leistungsvereinbarung 2019-<strong>2021</strong> zu<br />

erstellen sowie das Auswahlverfahren für<br />

die Laufbahnstellen aufzusetzen. Auch<br />

die Frage, wie wir mit der budgetären<br />

Situation aufgrund der Umstellung der<br />

Finanzierung und dem neuen Kennzahlensystem<br />

umgehen, war für uns neu. Ergebnis<br />

war, dass die <strong>BOKU</strong> finanziell neu<br />

aufgestellt werden musste. Wir haben<br />

gemeinsam mit den Gremien und Kolleg*innen<br />

einen neuen Entwicklungsplan<br />

erarbeitet. Im heurigen Oktober haben<br />

wir die Leistungsvereinbarungen für die<br />

Jahre 2022 bis 2024 erfolgreich verhandelt<br />

und das alles unter den erschwerten<br />

Bedingungen einer Corona Pandemie.<br />

Was wären die nächsten Schritte?<br />

Einer der nächsten Schritte wäre jetzt,<br />

den Adaptierungsbedarf der Lehre zu<br />

definieren. Die <strong>BOKU</strong> hat neue Fachgebiete<br />

aufgebaut, die noch zu wenig in der<br />

Lehre verankert sind. Weiters ist auch eine<br />

bessere Verteilung der Lehre zwischen<br />

Bachelor und Master anzustreben, um<br />

sowohl didaktisch als auch vom Aufwand<br />

eine gleichmäßigere Verteilung zu erreichen.<br />

Letztlich geht es aber auch um<br />

eine Straffung der bestehenden Studienprogramme,<br />

um so neue Lehrinhalte oder<br />

neue Studienprogramme zu ermöglichen,<br />

denn die anderen Unis bieten zunehmend<br />

auch Lehre und Programme in den <strong>BOKU</strong>-<br />

Kernthemen an. Das wird Auswirkungen<br />

auf die Anzahl der Studierenden und damit<br />

auf die budgetäre Situation der <strong>BOKU</strong><br />

haben. Das Rektorat hat dazu Leitlinien<br />

vorgegeben, die inhaltliche Ausgestaltung<br />

ist aber von den Fachleuten beziehungsweise<br />

vom Senat zu machen.<br />

Die Hälfte Ihrer Zeit als Rektor war von der<br />

Pandemie und der ständigen Anpassung<br />

des Uni-Alltags an die jeweilige Coronalage<br />

geprägt. Was waren dabei die größten<br />

Herausforderungen?<br />

Corona hat uns in der Woche vom 9. März<br />

2020 voll erwischt. Mit dem Krisenstab<br />

haben wir rasch ein gutes Beratungsgremium<br />

für das Rektorat geschaffen<br />

und konnten damit eine breite Akzeptanz<br />

für unsere Beschlüsse erreichen. Unsere<br />

obersten Ziele im Umgang mit der<br />

Pandemie waren immer die Gesundheit<br />

unserer Mitarbeiter*innen und Studierenden<br />

sowie die Planungssicherheit,<br />

um den Lehr- und Forschungsbetrieb<br />

aufrechtzuerhalten. Da braucht man den<br />

Rückhalt der Kolleg*innen und das hat<br />

sich bis jetzt bestens bewährt. In regelmäßigen<br />

Abständen tagt der Krisenstab<br />

und danach werden die Mitarbeiter*innen<br />

und die Studierenden informiert.<br />

Wir wurden zwar für die Planung des<br />

aktuellen Wintersemesters im Oktober<br />

kritisiert, aber es hat sich gezeigt, dass<br />

wir auch hier richtig geplant haben, denn<br />

trotz des neuerlichen Lockdowns müssen<br />

wir in der Organisation der Lehre kaum<br />

Änderungen vornehmen.<br />

Eine negative Überraschung war für<br />

mich, wie sich die Art zu kommuni zieren<br />

6 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


verändert hat. Da war ich, ehrlich gesagt,<br />

schon manchmal sehr getroffen. Ich bin<br />

seit mehr als zehn Jahren in Leitungsgremien<br />

der <strong>BOKU</strong> tätig, zuerst als Senatsvorsitzender,<br />

jetzt als Rektor und kannte<br />

das bisher nicht. Wir hatten immer ein offenes,<br />

sachliches und lösungsorientiertes<br />

Gesprächsklima, das von großer gegenseitiger<br />

Wertschätzung getragen war.<br />

Das hat sich leider verändert, denn wenn<br />

man inhaltlich um eine Sache ringt, ist es<br />

das eine, aber wenn Kommunikation zur<br />

Machtfrage wird, dann wird es schwierig.<br />

Die <strong>BOKU</strong> hat sich international gut positionieren<br />

können.<br />

Eine Uni wie die <strong>BOKU</strong> lebt vom „Export“.<br />

Wir sind hierzulande die einzige<br />

Life Science-Universität und für unseren<br />

Output und die Leistungen unserer Wissenschaftler*innen<br />

ist Österreich fast<br />

zu klein. Daher sind auch viele von uns<br />

international tätig und als Uni muss man<br />

in den internationalen Netzwerken vertreten<br />

sein, um das Branding der <strong>BOKU</strong><br />

forcieren zu können. Da sind uns mit dem<br />

Africa-UniNet, der EBU und mit EPICUR<br />

wirkliche Meilensteine gelungen. Mit<br />

ICA-CASEE, dem Netzwerk von über<br />

50 Life Science-Universitäten, arbeiten<br />

wir gerade an einer Neuausrichtung, um<br />

die Position der Agrar- und Lebensmittelwissenschaften<br />

in Europa zu stärken.<br />

Wenn die <strong>BOKU</strong> eine führende Life Science-Universität<br />

in Europa sein will, muss<br />

sie sich mit den stärksten Partner*innen<br />

zusammentun. Ich denke, das ist uns mit<br />

den neu geschaffenen Netzwerken sehr<br />

gut gelungen.<br />

Wir konnten uns aber auch in Österreich<br />

sehr gut positionieren: Mit dem Nachhaltigkeitsmanifest<br />

der Uniko, an dem<br />

die <strong>BOKU</strong> wesentlich mitgearbeitet hat<br />

sowie mit den Führungsrollen in der Allianz<br />

nachhaltiger Universitäten, in BIOS,<br />

dem DCNA, und im Ökosozialen Forum<br />

sind wir gut aufgestellt.<br />

VIZEREKTOR*INNEN EINSTIMMIG GEWÄHLT<br />

Wenn Maturant*innen Sie fragen, warum<br />

sie an der <strong>BOKU</strong> studieren sollen – was<br />

antworten Sie?<br />

Weil die <strong>BOKU</strong> mit ihren Themen die<br />

aktuellste Uni ist. Wenn die gesellschaftliche<br />

Transformation gelingen soll, dann<br />

wird der notwendige Wandel neben Wissen<br />

auch sehr stark von der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung geprägt werden. Die<br />

Innovationskraft wird dabei im weitesten<br />

Sinn in den Umweltthemen und Umwelttechnologien<br />

liegen, und es wird eine<br />

Frage immer wichtiger werden: wie man<br />

mit Umweltthemen Geld verdienen kann<br />

zum Wohle der Gesellschaft. Für kreative<br />

junge Leute bietet die <strong>BOKU</strong> dafür die<br />

beste Ausbildung.<br />

Würden Sie nochmals hier studieren und<br />

auch wieder Forstwirtschaft?<br />

Ja, auf jeden Fall.<br />

Was wünschen Sie der <strong>BOKU</strong> zum 150.<br />

Geburtstag im kommenden Jahr?<br />

Ich wünsche der <strong>BOKU</strong> zu ihrem runden<br />

Geburtstag, dass sie sich auf ihre Stärken<br />

besinnt. Die Gründer der <strong>BOKU</strong> waren<br />

Univ.Prof. in MMag. a Dr. in<br />

Eva Schulev-Steindl tritt<br />

mit 1. Februar 2022 das<br />

Amt als Rektorin der<br />

Universität für Bodenkultur<br />

Wien an. Am<br />

4. November wählte der<br />

Universitätsrat für die<br />

Funktionsperiode 1. Februar<br />

2022 bis 31. Jänner<br />

2026 einstimmig die Vizerektor*innen.<br />

Der Vorsitzende des Universitätsrats, Dr. Kurt Weinberger, freut sich auf eine<br />

konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem neu gewählten Rektorat:<br />

„Der Universitätsrat wird sich konsequent als Ratgeber, aber auch als Aufsichtsorgan<br />

gegenüber dem gesamten Rektorat einbringen. Ziel des Rektorats und des<br />

Universitätsrats wird es sein, die Universität für Bodenkultur Wien als eine der<br />

führenden Nachhaltigkeitsuniversitäten Europas zu positionieren und die Wettbewerbssituation<br />

der <strong>BOKU</strong> in einem zunehmend globalisierten Umfeld weiter<br />

zu stärken. Das gesamte Rektorat bringt dazu mit exzellenten Persönlichkeiten<br />

beste Voraussetzungen ein.“<br />

Die Vizerektor*innen und ihre Aufgabenbereiche:<br />

Mag. a Nora Sikora-Wentenschuh<br />

Vizerektorin für Finanzen und Infrastruktur<br />

Univ.Prof. Mag.rer.nat. Dr. Christian Obinger<br />

Vizerektor für Forschung und Innovation<br />

Univ.Prof. Dipl.-Geoökol. Dr. Karsten Schulz<br />

Vizerektor für Lehre, Weiterbildung und Studierende<br />

DI Gerhard Mannsberger<br />

Vizerektor für Personal, Organisation und Digitalisierung<br />

1872 sehr weitblickend und haben mit<br />

der Verknüpfung von Ökologie, Technik<br />

sowie den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

ein theoretisches Konzept zur<br />

Lösung konkreter Fragen geschaffen.<br />

Didaktisch bedeutet das, dass unsere<br />

Studierenden auf die Vernetzung verschiedener<br />

Wissensgebiete geschult,<br />

also interdisziplinär ausgebildet werden.<br />

Genau das brauchen wir auch für die<br />

Zukunft, denn Innovationen entstehen<br />

immer an den Schnittstellen von Wissensgebieten<br />

– und diese Schnittstellen<br />

sind der <strong>BOKU</strong> inhärent und damit Teil<br />

unserer Innovationskraft. Nichtsdestotrotz<br />

darf man die Tiefe der Fachgebiete<br />

nicht verlieren, denn Interdisziplinarität<br />

ist ja kein Selbstzweck. Wenn sich die<br />

<strong>BOKU</strong> das erhält, dann ist ihr Weg noch<br />

lange nicht zu Ende.<br />

•<br />

OKU Öffentlichkeitsarbeit/Sarah Trepte<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

7


<strong>BOKU</strong>/Institut für Umweltbiotechnologie<br />

Abbildung 1: Mittels enzymatischer<br />

Polymerisation soll eine Wertsteigerung<br />

von Lignin erfolgen.<br />

MATERIALIEN<br />

DER ZUKUNFT<br />

Lignin als wertvoller Rohstoff:<br />

Die Weiterverarbeitung von Abfällen der<br />

Industrie zu innovativen Anwendungen<br />

Am Institut für Umweltbiotechnologie werden umweltfreundliche Klebstoffe, Bindemittel und<br />

biologisch abbaubare Beschichtungen für nachhaltige Düngemittel auf Ligninbasis entwickelt.<br />

Von Sabrina Bischof und Renate Weiß<br />

Hart- und Weichholzsorten werden<br />

in aller Welt, so auch in Österreich,<br />

zur Herstellung von Papier und<br />

Zellstoff herangezogen. Dabei wird das<br />

Holz zerkleinert und das Lignin, welches<br />

sich zwischen den begehrten Cellulosefasern<br />

befindet, in einem speziellen<br />

Kocher chemisch herausgelöst. Lignin<br />

ist, nach Cellulose, die zweithäufigste<br />

nachwachsende organische Verbindung<br />

weltweit. Die jährliche Produktion wird<br />

auf mehr als 100 Millionen Tonnen pro<br />

Jahr geschätzt, wobei nur ein geringer<br />

Anteil von weniger als zwei Prozent<br />

wiederverwertet wird, wohingegen der<br />

Großteil zwecks Stromerzeugung lediglich<br />

verbrannt wird.<br />

ENZYMATISCHE POLYMERISATION<br />

Am Institut für Umweltbiotechnologie<br />

des <strong>BOKU</strong> Departments für Agrarbiotechnologie,<br />

IFA Tulln, beschäftigt<br />

sich die Arbeitsgruppe Biomaterial- &<br />

Enzymtechnologie in mehreren Projekten<br />

mit dem Thema Lignin. An der<br />

enzymatischen Polymerisation von Lignin,<br />

um diverse Applikationen zu entwickeln,<br />

wird hier in unterschiedlichsten<br />

Varianten geforscht. Unter der Leitung<br />

von Georg Gübitz und Gibson Stephen<br />

Nyanhongo arbeiten Dissertant*innen<br />

sowie wissenschaftli che Mitarbeiter*innen<br />

in engem Kontakt mit industriellen<br />

Partner*innen an neuen Anwendungsgebieten<br />

im Sektor Lignin-Applikationen<br />

zusammen.<br />

WERTSCHÖPFUNG<br />

So besteht das Ziel des LiZy-Projektes<br />

unter anderem darin, durch den Einsatz<br />

eines enzymatischen Polymerisationsprozesses<br />

(Abbildung 1) eine Wertstei-<br />

8 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


gerung des Lignins zu erreichen und so<br />

wertschöpfende Anwendungen zu entwickeln.<br />

Basierend auf den bisher generierten<br />

Ergebnissen wurden genauere<br />

Untersuchungen der enzymatischen<br />

Koppelungsreaktion zur hydrophoben<br />

Funktionalisierung von Lignin durchgeführt.<br />

Für eine Anwendung von Lignosulfonaten<br />

in Papierbeschichtungen ist<br />

beispielsweise eine Erhöhung der Hydrophobizität<br />

notwendig. Eine Möglichkeit,<br />

das zu erreichen, ist die enzymatische<br />

Modifikation von Lignosulfonaten mit<br />

hydrophoben Molekülen. Der Einsatz von<br />

Fluorophenolen (FP) als Model Substrat<br />

erlaubt eine einfache Detektion des Reaktionserfolges.<br />

„Nachdem die effizientesten Reaktionsbedingungen<br />

gefunden wurden, stellte<br />

sich heraus, dass die modifizierten<br />

Proben eine erhöhte Hydrophobizität<br />

aufweisen und kovalent an Lignosulfonat<br />

gebunden sind, was durch Infrarotspektroskopie<br />

bewiesen wurde. Weiters<br />

ist es uns gelungen, den enzymatischen<br />

Polymerisationsprozess auch auf Kraft<br />

Lignin zu übertragen. Dafür wurde eine<br />

bakterielle Laccase (Abbildung 2) verwendet,<br />

welche von uns selbst isoliert<br />

wurde“, so Sebastian-Alois Mayr, Dissertant<br />

am Institut. 1<br />

ALTERNATIVEN ZU FORMALDEHYD<br />

Mehr als sechs Millionen Tonnen unterschiedlicher<br />

Klebstoffe und Bindemittel<br />

werden jährlich in Europa verbraucht.<br />

Die Papier- und Verpackungsbranche,<br />

die holzverarbeitende Industrie, das<br />

Bauwesen – sie alle gehören zu den Abnehmern.<br />

In den verschiedenen Arten<br />

von Klebstoffen kommt dabei stets eines<br />

von zwei Grundprinzipien zum Tragen:<br />

Entweder die Polymere, die die bindende<br />

Wirkung vermitteln, verfestigen sich<br />

physikalisch (durch Erstarren oder Verdampfen<br />

eines Lösungsmittels) oder aber<br />

das Polymergerüst bildet sich im Zuge<br />

der Verfestigung erst aus – die Klebstoffe<br />

härten also chemisch. 90 Prozent<br />

der heute im Einsatz befindlichen<br />

Klebstoffe werden aus fossilen Rohstoffen<br />

hergestellt. Viele der eingesetzten<br />

Komponenten sind leicht entflammbar<br />

oder setzen giftige Verbindungen frei.<br />

Besonders in Diskussion ist der Einsatz<br />

Abbildung 2: Bakterielle Laccase.<br />

Lignin<br />

Abbildung 3: Projekt BioSet.<br />

Stärke<br />

Enzymatische Oxidation<br />

Quervernetzung<br />

Bio-Klebstoffe<br />

von Formaldehyd, das als „wahrscheinlich<br />

karzinogen beim Menschen“ eingestuft<br />

ist und in zahlreichen Klebern im<br />

Bauwesen und in der Holzindustrie Verwendung<br />

findet. Viele auf diesem Gebiet<br />

tätige Unternehmen suchen daher nach<br />

Alternativen. So auch die Forschungsund<br />

Unternehmenspartner*innen, die<br />

sich im Frühjahr 2018 zum Projekt BioSet<br />

zusammengefunden haben.<br />

NACHHALTIGE KLEBSTOFFE<br />

Um Lösungen für dieses Problem zu<br />

suchen, hat man Kontakt zum Institut<br />

für Umweltbiotechnologie geknüpft.<br />

Georg Gübitz sowie Gibson Stephen<br />

Nyanhongo brachten die Möglichkeit<br />

einer Quervernetzung von Stärke durch<br />

Ligninsulfonate ins Spiel. Auch die vernetzende<br />

Komponente würde dann aus<br />

dem nachwachsenden Rohstoff Holz<br />

stammen. Im Projekt BioSet, das im<br />

Rahmen der FTI-Strategie des Landes<br />

Niederösterreich gefördert wird, werden<br />

neuartige Routen zu Klebstoffen<br />

auf der Basis nachwachsender Rohstoffe<br />

erforscht. Interdisziplinär vernetzte Dissertanten<br />

wie Miguel Jimenez Bartolome<br />

und Sidhant Satya Prakash Padhi loten<br />

aus, ob enzymatisch oxidierte Stärke-<br />

Ligninsulfonat-Kombinationen als Basis<br />

für Klebstoffe dienen können. Wie in<br />

Abbildung 3 dargestellt, werden die Ergebnisse<br />

auf Bindemittel für die Erzeugung<br />

von Holzplatten und für den Baubereich<br />

angewandt.<br />

KLEBER FÜR WAND-<br />

UND BODENFLIESEN<br />

Alle derzeit erhältlichen Klebstoffe,<br />

die für die Verlegung von Bodenfliesen<br />

verwendet werden, bestehen aus nicht<br />

erneuerbaren fossilen Verbindungen,<br />

was ein nicht zu unterschätzendes Umweltproblem<br />

darstellt. Ziel von BioGlue<br />

ist es, ähnlich wie im Projekt BioSet,<br />

„Bioklebstoffe“ aus nachwachsenden<br />

Rohstoffen, nämlich Lignin, und unter<br />

Einsatz umweltfreundlicher enzymbasierter<br />

Technologien zu entwickeln. Der<br />

wesentliche Unterschied zwischen den<br />

beiden vorgestellten Projekten besteht<br />

jedoch darin, dass es sich im BioGlue um<br />

enzymatisch funktionalisierte Lignosulfonate<br />

ohne Zusatz von Stärkekomponenten<br />

handelt, bei denen der Fokus der<br />

Einsatzgebiete bei Boden- sowie Wandbelägen<br />

liegt.<br />

Obwohl Lignin für die Synthese von Klebstoffen<br />

zur Herstellung von Holzfaserplatten,<br />

Spanplatten, Holzspanplatten<br />

oder anderen ähnlichen Produkten auf<br />

Holzbasis ausgiebig untersucht wurde, ist<br />

Lignin als Klebstoff für die Verlegung von<br />

Bodenfliesen noch nicht beschrieben<br />

worden. Im Zuge dieses Projektes ist die<br />

Arbeitsgruppe Biomaterial- & Enzymtechnologie<br />

unter anderem für die enzymatische<br />

Synthese der Bioklebstoffe<br />

verantwortlich.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

9


<strong>BOKU</strong>/Institut für Umweltbiotchnologie<br />

Die SUSFERT-Innovation kombiniert<br />

bio-basierte und biologisch abbaubare<br />

Beschichtungen, Probiotika und die<br />

erneuerbare Phosphatquelle Struvit in<br />

mindestens vier neuartigen nachhaltigen<br />

Düngemitteln und Bodenverbesserern,<br />

die nicht nachhaltige oder ressourcenintensive<br />

konventionelle Produkte teilweise<br />

oder vollständig ersetzen können.<br />

In der Biomaterials- und Enzyme Technology-Arbeitsgruppe<br />

arbeitet Renate<br />

Weiß an der Entwicklung von nachhaltigen<br />

Düngerüberzügen auf Ligninbasis.<br />

Abbildung 4: Ziel ist ein industriell stabiler und abbaubarer Biokleber.<br />

Nach etlichen Vorstudien werden Prozesse<br />

bezüglich Fraktionierung von Lignosulfonaten<br />

entwickelt. Das Setup der<br />

Reaktionsbedingungen für die enzymatische<br />

Polymerisation sowie die Gestaltung<br />

des Bioreaktors werden hingehend<br />

einer effizienten Reaktion abgeglichen,<br />

um so hoch reaktive Lignin-Fraktionen zu<br />

großen Polymeren zu formen. Um einen<br />

industriell stabilen und anwendbaren Biokleber<br />

(Abbildung 4) zu erhalten, wird die<br />

Einbindung von funktionellen Molekülen<br />

ausgetestet und die Klebereigenschaften<br />

so an das Substrat sowie Trägermedium<br />

angepasst. Die Eigenschaften der<br />

erhaltenen Lignin-Klebstoffe werden in<br />

vitro beurteilt und die daraus erhaltenen<br />

Informationen zur Optimierung der Fraktionierungs-,<br />

Polymerisations-, Graftingund<br />

Formulierungsprozesse verwendet.<br />

Die so erhaltenen Lignin-Klebstoffe<br />

werden im Labormaßstab im Vergleich<br />

zu kommerziell erhältlichem Material<br />

getestet und vollständig charakterisiert.<br />

„Glücklicherweise haben wir industrielle<br />

Partner an unserer Seite, die uns vor allem<br />

bei der Beurteilung verschiedenster<br />

Klebermischungen unterstützen“, betont<br />

Sabrina Bischof, wissenschaftliche Projektmitarbeiterin.<br />

marine<br />

CaCO 3<br />

healthy lawn<br />

polymerized<br />

lignosulfonates<br />

Bacillus<br />

species<br />

micro<br />

plastics<br />

Abbildung 5: Kalziumdünger wird mit<br />

ligninbasiertem Material überzogen.<br />

ABBAUBARES COATING<br />

FÜR DÜNGER<br />

Das europäische SUSFERT-Projekt, das<br />

die Entwicklung nachhaltiger Düngesysteme<br />

in der europäischen Landwirtschaft<br />

im Fokus hat, ist eine Kollaboration von<br />

fünf Industrieunternehmen, drei KMU<br />

und drei akademischen Partner*innen. Die<br />

Landwirtschaft im europäischen Raum ist<br />

stark abhängig von nicht erneuerbaren<br />

und ressourcenintensiven Düngemitteln.<br />

Gleichzeitig gibt es in der Landwirtschaft<br />

einen großen Verlust an Nährstoffen aus<br />

Düngemitteln, da diese oft nicht zum benötigten<br />

Zeitpunkt und in den richtigen<br />

Mengen verfügbar sind, um für optimales<br />

Pflanzenwachstum zu sorgen.<br />

Ein wichtiger Punkt hierbei ist es, ein<br />

Material zu entwickeln, das im Gegensatz<br />

zu den konventionell verwendeten<br />

Bestandteilen – häufig fossile Überzüge<br />

– biologisch abbaubar ist und kein Mikroplastik<br />

in die Umwelt eingebracht wird.<br />

Ziel ist es, Systeme zu entwickeln, die<br />

einerseits in der Lage sind, die Staubbildung<br />

bei der Lagerung zu verringern,<br />

aber auch die Freisetzung der Düngemittel<br />

zu optimieren. Kürzlich konnten<br />

die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe zu<br />

einem von ihr entwickelten Bodenverbesserer<br />

im RSC Green Chemistry Journal<br />

publiziert werden. 2 Wie man Abbildung<br />

5 entnehmen kann, wird hierbei ein<br />

Kalziumdünger mit dem ligninbasierten<br />

Material überzogen. Zusätzlich werden<br />

Mikroorganismen in den Überzug eingebracht,<br />

welche die Nährstoffaufnahme<br />

der Pflanzen verbessern. Ein großer Vorteil<br />

dieses Coatings ist, dass es biologisch<br />

abbaubar ist und kein Mikroplastik in den<br />

Boden gelangt. <br />

•<br />

Referenzen:<br />

1 Aktuelle Publikation: Enzyme Catalyzed Copolymerization<br />

of Lignosulfonates for Hydrophobic<br />

Coatings<br />

www-1frontiersin-1org-100137bhd0124.pisces.<br />

boku.ac.at/articles/10.3389/fbioe.<strong>2021</strong>.697310/<br />

full<br />

2 A biobased, bioactive, low CO 2<br />

impact coating<br />

for soil improvers<br />

https://pubs-1rsc-1org-100137bhd0133.pisces.<br />

boku.ac.at/en/content/articlelanding/<strong>2021</strong>/GC/<br />

D1GC02221K<br />

Ing. in Sabrina Bischof, MSc. und DI in Dr. in Renate<br />

Weiß, BSc. sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen<br />

am Institut für Umweltbiotechnologie (IFA<br />

Tulln). Der Beitrag entstand unter Mitarbeit der<br />

Dissertanten Dipl.-Ing. Sebastian-Alois Mayer,<br />

Miguel Jimenez Bartolome, MSc. und Sidhant Satya<br />

Prakash Padhi, MSc.<br />

10 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


MATERIALIEN<br />

DER ZUKUNFT<br />

Klimawandel erfordert neue<br />

Holzbauwerkstoffe und<br />

Produktionskonzepte<br />

Brettschichtholz und Brettsperrholz haben dem mehrgeschoßigen Holzbau zum Druchbruch verholfen. Um den<br />

Holzbauanteil signifikant zu steigern, braucht es zusätzlich völlig neue Werkstoff- und Verarbeitungskonzepte,<br />

die die bestehenden Ressourcen voll ausnutzen.<br />

Von Johannes Konnerth und Maximilian Pramreiter<br />

Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong><br />

Das prämierte Labor- und Bürogebäude am <strong>BOKU</strong> Standort Tulln ist eines der beiden <strong>BOKU</strong>-Gebäude in Holzbauweise.<br />

Die <strong>BOKU</strong> verfügt mittlerweile über<br />

zwei Gebäude in Holzbauweise<br />

und folgt damit einem weltweiten<br />

Trend. Das Labor- und Bürogebäude am<br />

<strong>BOKU</strong> Standort Tulln wurde 2018 bereits<br />

mit dem Niederösterreichischen Holzbaupreis<br />

ausgezeichnet. Als jüngstes universitäres<br />

Holzbaugebäude wurde erst<br />

kürzlich auch das Ilse-Wallentin-Haus<br />

am <strong>BOKU</strong> Standort Türkenschanze in der<br />

Kategorie Öffentliche und Kommunalbauten<br />

mit dem Holzbaupreis wienwood<br />

21 prämiert.<br />

HOLZBAU WIEDER<br />

IN DER STADT ZURÜCK<br />

International erfolgreiche Leuchtturmprojekte<br />

wie das 24-stöckige hoho Wien<br />

(www.hoho-wien.at) zeigen, was mit modernen<br />

Holzbauten und den dabei verwendeten<br />

Werkstoffen möglich ist. Der<br />

Holzbau hat den Wiedereinzug in die<br />

Stadt geschafft. Das ist auch notwendig,<br />

denn der Klimawandel erfordert ein<br />

Umdenken auf allen Ebenen. Der Bausektor<br />

ist einer der wesentlichsten Verursacher<br />

von Treibhausgasen. Alleine die<br />

Herstellung von Zement verursacht 7–8<br />

Prozent der weltweiten CO 2<br />

-Emissionen.<br />

Zusammen mit anderen energieintensiven<br />

Werkstoffe wie Stahl, Ziegel sowie<br />

dem enormen Transportanteil werden<br />

der Bauwirtschaft direkt und indirekt je<br />

nach Berechnungsweise bis zu 45 Prozent<br />

des weltweiten CO 2<br />

-Ausstoßes angelastet.<br />

Dazu kommt noch ein enormer<br />

Ressourcenverbrauch an Grundmaterialien<br />

wie Sand und Kies oder Metalle, der<br />

auch in Zukunft enorm zunehmen wird.<br />

Holz ist der einzige<br />

nachwachsende Rohstoff,<br />

der in großen<br />

Mengen zur Verfügung<br />

steht. Zudem wird er rein durch Sonnenenergie<br />

unter gleichzeitiger Aufnahme<br />

von CO 2<br />

und Abgabe von Sauerstoff von<br />

der Natur selbst synthetisiert.<br />

Doch auch Holz ist unter Druck. Der<br />

Klimawandel und die damit verbundenen<br />

Trockenperioden bringen einheimische<br />

Holzarten wie die Fichte in etlichen<br />

Gebieten an ihre Belastungsgrenze.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

11


Christoph Gruber | <strong>BOKU</strong><br />

In der Kategorie Öffentliche und Kommunalbauten mit dem Holzbaupreis wienwood 21 ausgezeichnet:<br />

das Ilse-Wallentin-Haus am <strong>BOKU</strong> Standort Türkenschanze.<br />

Europaweit werden daher von der Forstwirtschaft<br />

schon seit geraumer Zeit auch<br />

andere Holzarten forciert, die mit den<br />

neuen Bedingungen besser zurechtkommen.<br />

Zudem soll Holz als CO 2<br />

-neutraler<br />

Energieträger auch einen Beitrag zur<br />

Dekarbonisierung des Energiesektors<br />

beitragen.<br />

LEISTUNGSFÄHIGE WERKSTOFFE<br />

Die erfreuliche weltweite Entwicklung<br />

des Holzbaues erfordert zwangsläufig<br />

mehr Menge an Holzbaumaterialien.<br />

Der Durchbruch des mehrgeschoßigen<br />

Holzbaues beruht dabei wesentlich<br />

auf zwei leistungsfähigen Werkstoffen:<br />

Brettschichtholz und Brettsperrholz.<br />

Beim ersten werden Bretter aus Baumstämmen<br />

gesägt und parallel zueinander<br />

zu Trägern oder Säulen größerer Querschnitte<br />

und Spannweiten verarbeitet.<br />

Beim zweiten werden die Bretter kreuzweise<br />

zu Plattenelementen verarbeitet,<br />

die dann als tragfähige Wand- und Deckenelemente<br />

dienen. Brettsperrholz<br />

ist ein Erfolgsprodukt mit enormem Zuwachs.<br />

So werden die weltweiten Produktionskapazitäten<br />

derartig ausgebaut,<br />

dass sich die produzierten und damit verfügbaren<br />

Mengen in den nächsten ein bis<br />

zwei Jahren verdoppeln werden.<br />

Beide Werkstoffe beruhen auf der Verarbeitung<br />

von sägefähigem (=relativ<br />

hochwertigem) Stammmaterial zu Brettern,<br />

die dann weitere Prozessschritte<br />

bis zum fertigen Brettschichtholz oder<br />

Brettsperrholz durchlaufen. Prozessbedingt<br />

kommt es bei der Verarbeitung<br />

zu signifikanten Verlusten von 60–70<br />

Prozent des Stammvolumens. Diese<br />

Reststoffe können zwar zur Herstellung<br />

anderer Werkstoffe, Papier oder auch<br />

als Energieträger verwendet werden,<br />

weisen jedoch eine deutlich geringere<br />

Wertschöpfung als das eigentliche<br />

Zielprodukt auf. Grund dafür ist unter<br />

anderem die Wuchsform des Baumes.<br />

Stämme sind kegelstumpfförmig und<br />

meist auch gekrümmt – die Bretter hingegen<br />

sollen gerade und quaderförmig<br />

sein. Steigerungen im Materialeinsatz<br />

führen damit zu überproportional höherem<br />

Rohstoffeinsatz.<br />

Die nachhaltig verfügbaren Holzressourcen<br />

sind mengenmäßig begrenzt. Zusätzlich<br />

führt der Waldumbau zu mehr Laubholz,<br />

das wiederum langsamer zuwächst<br />

und zum Teil ungeeignete Eigenschaften<br />

für den Einsatz als Baustoff aufweist.<br />

Gleichzeitig verfügt Laubholz in der Regel<br />

über einen deutlich geringeren sägefähigen<br />

Stammholzanteil und dafür mehr<br />

Kronenvolumen als das geradwüchsige<br />

Nadelholz.<br />

12 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


WoodCAST –<br />

Es geht um Holz<br />

RESSOURCEN VOLL NUTZEN<br />

Durch innovative Ansätze und sukzessive<br />

Optimierungen sind noch verhältnismäßig<br />

geringfügige Ausbeuteverbesserungen<br />

bei den bestehenden Technologien<br />

möglich. Um den Holzbauanteil weltweit<br />

aber signifikant zu steigern, braucht es<br />

zusätzlich völlig neue Werkstoff- und<br />

Verarbeitungskonzepte, die die bestehenden<br />

Ressourcen voll ausnutzen.<br />

Dabei müssen sowohl Laub- als auch<br />

Nadelholz in gleicher Weise verarbeitet<br />

werden können. Zusätzlich zu den<br />

gängigen Konzepten müssen insbesondere<br />

nicht-sägefähige Holzsortimente<br />

wie Durchforstungsholz oder Schadholz<br />

einer hohen Wertschöpfung zugeführt<br />

werden können, anstatt Holz bereits in<br />

der ersten Nutzungsphase zu verbrennen.<br />

Letzteres kann und soll nach einer<br />

langen Nutzungs-, Wiederverwertungsund<br />

Recyclingphase immer noch mit<br />

demselben Energieinhalt erfolgen. Holz<br />

war Jahrzehnte lang zu billig, um derartige<br />

Technologen und Nutzungsabfolgen<br />

ernsthaft zu forcieren.<br />

Am Institut für Holztechnologie und<br />

Nachwachsende Rohstoffe wird zusammen<br />

mit dem Kompetenzzentrum Holz<br />

(Wood K plus) seit mehr als zehn Jahren<br />

an neuartigen Nutzungskonzepten und<br />

Werkstoffen geforscht. Ein erfolgversprechender<br />

Weg für weitere Hochleistungswerkstoffe<br />

führt dabei über eine alternative<br />

Zerteilung von Holz, bei der auf<br />

quaderförmige Bretter verzichtet wird. So<br />

können auf Basis von Furnieren, Furnierstücken<br />

(sog. Strands) oder auch makroskopischen<br />

Fasern Werkstoffe mit hoher<br />

Ressourcenausbeute hergestellt werden.<br />

In einem eben genehmigten Forschungsprojekt<br />

wird sogar die Eignung von Laubastholz<br />

für solche Einsätze untersucht.<br />

GANZHEITLICHE LÖSUNGEN<br />

Die Werkstoffe selbst werden in Zukunft<br />

nicht mehr so homogen, gleichförmig<br />

und in der Regel rechteckig aufgebaut<br />

sein wie derzeit. Wir werden Material nur<br />

noch dort einsetzen, wo dies aufgrund<br />

der Beanspruchung technisch auch nötig<br />

ist. Dazu kann die äußere Geometrie<br />

optimiert werden, wie in einer laufenden<br />

Diplomarbeit gezeigt wurde, oder auch<br />

die innere Struktur. Zwangsläufig führt<br />

dies zu einem höheren Planungsaufwand,<br />

deutlich komplexeren Herstellungstechnologien<br />

und erfordert die digitale Vernetzung<br />

von der Architektur und Gebäudeplanung<br />

bis hin zur industriellen<br />

Holzwerkstoff- und Bauteilproduktion.<br />

Derzeit befinden sich solche Konzepte<br />

für den industriellen Masseneinsatz<br />

noch in der Entwicklungsphase. Bei der<br />

Gestaltung unserer Zukunft wird aber<br />

kein Weg an ganzheitlich gedachten und<br />

ressourceneffizienten Lösungen vorbeiführen.<br />

•<br />

LINK<br />

Doctoral School Build like Nature: Resilient<br />

Buildings, Materials and Society<br />

(Build.Nature)<br />

https://boku.ac.at/docservice/doktoratsstudien/doktoratsschulen/buildlike-nature-resilient-buildingsmaterials-and-society-buildnature<br />

Johannes Konnerth ist Professor für Holztechnologie<br />

und Dr. Maximilian Pramreiter Assistent mit<br />

Schwerpunkt Holzbauwerkstoffe am Institut für<br />

Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

13


MATERIALIEN<br />

DER ZUKUNFT<br />

Dämmstoff aus Zuckerrüben,<br />

hochwertige Möbel aus Stroh<br />

Neue Materialien aus nicht-forstlicher Pflanzenbiomasse schaffen zusätzliche Wertschöpfung<br />

für Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Von Wolfgang Gindl-Altmutter und Stefan Veigel<br />

Ihar Leichonak<br />

Die Ressource Holz wird auf vielfältige<br />

Art und Weise genutzt, wobei<br />

neben der industriellen Nutzung<br />

im Bereich der klassischen Holzindustrie<br />

sowie der Papier- und Zellstoffindustrie<br />

auch die energetische Nutzung stark an<br />

Bedeutung gewinnt. Der Wettbewerb<br />

zwischen der stofflichen und der energetischen<br />

Nutzung von Holz ist politisch<br />

aufgeladen, obwohl diese Zweige prinzipiell<br />

nicht im Widerspruch stehen, wenn<br />

regelmäßig eine stoffliche Nutzung oder<br />

auch mehrere Zyklen der energetischen<br />

Verwertung vorgeschaltet sind.<br />

Parallel zum steigenden Holzbedarf<br />

könnte zukünftig aber die verfügbare<br />

forstliche Erntemenge durch Klimaeffekte<br />

und die Außer-Nutzung-Stellung<br />

gewisser Flächen beeinträchtigt<br />

werden. Neben forstwirtschaftlichen<br />

Maßnahmen wie der Mobilisierung ungenutzter<br />

Zuwächse im Kleinwaldbereich<br />

ist es deshalb sinnvoll, auch alternative<br />

pflanzliche Rohstoffquellen auf ihre Eignung<br />

zur Herstellung von Werkstoffen<br />

hin zu untersuchen, um langfristig den<br />

zunehmenden Bedarf an biobasierten<br />

und bio-abbaubaren Produkten decken<br />

zu können. Anhand zweier Beispiele von<br />

Reststoffen aus der Landwirtschaft beziehungsweise<br />

Lebensmittelproduktion<br />

soll gezeigt werden, wie solche Materialien<br />

aussehen könnten.<br />

ZUCKERRÜBENPRESSSCHNITZEL<br />

HABEN POTENZIAL<br />

Wie in vielen Verarbeitungsprozessen<br />

der Lebensmittelindustrie,<br />

etwa der Fruchtsaftherstellung,<br />

Stärkegewinnung,<br />

Brauerei und<br />

anderen, fällt auch bei der Herstellung<br />

von Zucker aus Zuckerrüben ein Restmaterial<br />

an, das unter anderem als Futtermittelzusatz<br />

zum Einsatz kommt. Alle<br />

diese pflanzlichen Reststoffe enthalten in<br />

unterschiedlichen Anteilen Zellulose. Im<br />

Gegensatz zu Papier- oder Naturfasern<br />

wie Hanf und Flachs sind Reststoffe aus<br />

der Lebensmittelindustrie makroskopisch<br />

nicht faserig, sondern eher „gatschig“.<br />

Bei genauerer Betrachtung ist die wässrige<br />

Pflanzenrestmasse allerdings auf<br />

mikro- und insbesondere nanoskaliger<br />

Ebene sehr wohl faserig, weil sie zu großen<br />

Teilen aus Cellulosefibrillen besteht.<br />

Die Herausforderung bei der Nutzbarmachung<br />

dieser Cellulosefibrillen für<br />

Werkstoffe besteht allerdings in der<br />

schonenden Entfernung des enthaltenen<br />

Prozesswassers. In einem von der FFG<br />

geförderten Projekt konnte gemeinsam<br />

mit den Firmen Agrana und Synthesa<br />

sowie Wood K plus als Forschungspartnern<br />

ein Prozess zur Aufschäumung<br />

und Trocknung von mechanisch aufgeschlossenen<br />

und fibrillierten Zuckerrübenpressschnitzeln<br />

entwickelt werden.<br />

Die Laborplatten sind 100 Prozent biobasiert,<br />

mit 60 kg/m³ sehr leicht und weisen<br />

14 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


<strong>BOKU</strong>/Institut für Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe<br />

Vollständig biobasierte Wärmedämmplatte aus mikrofibrillierten Zuckerrübenpressschnitzeln.<br />

Durch die feine faserige Struktur der Platte<br />

werden kleine Poren erzielt, die für gute Dämmeigenschaften sorgen.<br />

Das Insert zeigt eine Elektronenmikroskopaufnahme von mikrofibrillierter<br />

Zellulose.<br />

Plattenwerkstoff aus verdichtetem Stroh. Durch die Verdichtung werden<br />

hohe Festigkeiten erzielt. Das Insert zeigt eine Mikroskopaufnahme<br />

von verdichteten Strohhalmen.<br />

Dushlik<br />

ausgezeichnete Wärmedämmwerte auf,<br />

die mit expandiertem Polystyrol (EPS)<br />

vergleichbar sind.<br />

HOCHFESTE MATERIALIEN<br />

AUS STROH<br />

Weizenstroh und andere<br />

Strohsorten stellen einen<br />

außerhalb der Landwirtschaft<br />

wenig genutzten und<br />

gleichzeitig gut verfügbaren<br />

nachwachsenden Rohstoff dar. Strohhalme<br />

sind sehr leichte, dünnwandige<br />

Strukturen von großer Schlankheit, die<br />

biologisch dafür optimiert sind, Windlasten<br />

zu widerstehen und die Last der<br />

Ähre zu tragen. In einem laufenden von<br />

der Gesellschaft für Forschungsförderung<br />

Niederösterreich unterstützten<br />

Projekt werden die natürlichen Vorteile<br />

der biologisch optimierten Strohstruktur<br />

mittels teilweiser Delignifizierung und<br />

nachfolgender Verdichtung technisch<br />

nutzbar gemacht.<br />

Durch die teilweise Delignifizierung wird<br />

das Stroh plastisch formbar und kann<br />

vollständig verdichtet werden. Die Verdichtung<br />

hat eine enorme Steigerung<br />

der Festigkeit auf Werte zirka doppelt<br />

so hoch wie Fichtenholz zur Folge, wodurch<br />

neuartige nachhaltige Verbundwerkstoffe<br />

mit hoher Leistungsfähigkeit<br />

für Strukturelemente hergestellt werden<br />

können. Potenzielle Anwendungsgebiete<br />

sind zum Beispiel im hochwertigen Möbelbau<br />

oder in der Automobil- und Transportfahrzeugindustrie.<br />

In einer interdisziplinären<br />

Kooperation mit der New<br />

Design University in St. Pölten werden<br />

mögliche Anwendungsgebiete evaluiert<br />

und für praktische Strukturelemente Designstudien<br />

erstellt.<br />

NEUE PROZESSE ERFORDERLICH<br />

Wie die Beispiele zeigen, können pflanzliche<br />

Reststoffe auf vielfältige Art und<br />

Weise stofflich genutzt werden. Es soll<br />

allerdings auch nicht verschwiegen<br />

werden, dass die Verarbeitung dieser<br />

Reststoffe technisch herausfordernd<br />

ist und Adaptierungen oder Neuentwicklungen<br />

von Prozessen erfordert.<br />

Zudem sind landwirtschaftliche Reststoffe<br />

nur saisonal verfügbar, wodurch<br />

beträchtliche Lagerkapazitäten erforderlich<br />

sind. Dennoch ist klar, dass die<br />

Basis an verfügbaren nachwachsenden<br />

Rohstoffen für die Herstellung biobasierter<br />

Werkstoffe durch die Reststoffnutzung<br />

wesentlich erweitert werden<br />

könnte. Dadurch wird einerseits die Ressource<br />

Wald entlastet und andererseits<br />

erwächst der Landwirtschaft und der<br />

Lebensmittelindustrie die Möglichkeit<br />

zusätzlicher Wertschöpfung. •<br />

Wolfgang Gindl-Altmutter ist Prof. für Naturfaserwerkstoffe<br />

und Dr. Stefan Veigel Assistent<br />

mit Schwerpunkt Cellulosefasermaterialien am<br />

Institut für Holztechnologie und Nachwachsende<br />

Rohstoffe am UFT in Tulln.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

15


MATERIALIEN<br />

DER ZUKUNFT<br />

Funktionelle Cellulose-<br />

Nanofibrillen aus Holz<br />

Von Marco Beaumont<br />

Cellulose-Nanofibrillen sind die kleinsten Struktureinheiten in Holz und dort maßgeblich für die Stärke<br />

und mechanische Stabilität verantwortlich. Am Institut für Chemie nachwachsender Rohstoffe werden<br />

derzeit nachhaltige Methoden entwickelt, um aus Nanocellulose funktionelle Materialien herzustellen.<br />

Cellulose ist das am häufigsten vorkommende<br />

Biopolymer auf Erden,<br />

das in der Natur als Gerüstsubstanz<br />

der Pflanzen eine zentrale Rolle spielt.<br />

Wir kommen jeden Tag in unserem Leben<br />

damit in Kontakt, sei es in Form eines Ballaststoffs<br />

in unserer Nahrung, als Hauptbestandteil<br />

von Naturfasern in unserer<br />

Kleidung oder durch Holz. In Pflanzen bilden<br />

Cellulose-Nanofibrillen – mit einem<br />

Durchmesser von etwa drei Nanometern<br />

– zusammen mit anderen pflanzlichen<br />

Polymeren komplexe Faserstrukturen.<br />

Holz ist also quasi ein von der Natur optimiertes<br />

exzellentes Kompositmaterial.<br />

<strong>BOKU</strong>/Marco Beaumont<br />

Die Cellulose-Nanofibrille an sich hat beeindruckende<br />

mechanische Eigenschaften,<br />

bei gleichem Durchmesser ist sie<br />

stärker als Stahl, Kevlar oder Glasfasern<br />

und gehört damit zu den stabilsten verfügbaren<br />

Polymeren. Das zeigt sich in<br />

der hohen mechanischen Stabilität von<br />

Holz und seiner Eignung als tragendem<br />

Baustoff. In der Pflanze werden diese<br />

Cellulose-Nanofibrillen je nach Umgebungsbedingungen<br />

individuell angeordnet,<br />

um die bestmöglichen mechanischen<br />

Eigenschaften zu gewährleisten.<br />

VERÄNDERUNGEN<br />

BISHER IRREVERSIBEL<br />

Um das Potenzial von Cellulose-Nanofibrillen<br />

auch außerhalb von Holz in<br />

anderen Materialien und Formkörpern<br />

nutzen zu können, müssen sie aus der<br />

komplexen pflanzlichen Faserstruktur<br />

extrahiert werden, und hierzu war bislang<br />

immer eine irreversible (permanente,<br />

unumkehrbare) chemische Oberflächenmodifikation<br />

notwendig. Im Gegensatz<br />

zu nativen Nanofibrillen passen diese<br />

veränderten Fibrillen nun nicht mehr<br />

perfekt zueinander. Damit ist eine perfekte<br />

Anbindung in einem Film oder<br />

Cellulose-Nanofibrillen in einem Hydrogel, die Vergrößerung zeigt die fibrilläre Nanostruktur (der<br />

runde Bildausschnitt entspricht 1 µm).<br />

einer Faser nicht mehr so gut möglich,<br />

was sich unter anderem auch limitierend<br />

auf ihre mechanischen Eigenschaften<br />

auswirkt.<br />

Zusätzlich werden die Celluloseketten<br />

bei der chemischen Modifizierung durch<br />

Nebenreaktionen auch kürzer und die<br />

resultierenden Fibrillen dadurch schwächer.<br />

Schlussendlich kann durch die<br />

bisherigen – zwar notwendigen, aber<br />

weniger vorteilhaften – chemischen<br />

Modifikationen das volle Potenzial der<br />

Cellulose-Nanofibrillen zur Herstellung<br />

von Hochleistungsmaterialien nicht ausgeschöpft<br />

werden. Am Institut für Chemie<br />

nachwachsende Rohstoffe wird seit<br />

Längerem zu diesem Thema geforscht,<br />

neben anderen Themen wird hier auch an<br />

der Entwicklung neuer „grüner“ Cellulose-Modifikationen<br />

zur Herstellung funktioneller<br />

Nanomaterialien gearbeitet.<br />

SELEKTIVE UND NACHHALTIGE<br />

MODIFIKATION VON CELLULOSE<br />

Zellstoff wird durch ein Aufschlussverfahren<br />

(„pulping“) aus Holz gewonnen<br />

und ist meistens das Ausgangsmaterial<br />

für chemische Cellulose-Modifikationen.<br />

Er besteht aus einzelnen Fasern mit einer<br />

hierarchischen Struktur, basierend auf<br />

einzelnen Cellulose-Nanofibrillen. Diese<br />

Fibrillen setzen sich wiederum aus einzelnen<br />

Cellulose-Polymerketten zusammen,<br />

die in ihren Anordnungen eine hohe Kristallinität<br />

und dadurch auch eine hohe mechanische<br />

Stabilität aufweisen. Schlussendlich<br />

spielt nicht nur die Kristallinität,<br />

sondern auch die Länge der einzelnen<br />

Polymerketten (der Polymerisationsgrad)<br />

eine maßgebende Rolle für die Eigenschaften<br />

der Cellulose-Fibrillen. Chemische<br />

Modifikationen sollten demnach<br />

mild sein, damit sich diese physikalischen<br />

Eigenschaften nicht negativ beeinflussen.<br />

16 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Chemische Oberflächenstruktur einer<br />

Cellulose-Nanofibrille (A), die einzelne<br />

Fibrille besteht aus einzelnen Cellulose-<br />

Polymerketten (B).<br />

Aktuelle Forschungen an der <strong>BOKU</strong> haben<br />

nun wichtige Fortschritte in diesem<br />

Gebiet erzielt, durch die Verwendung<br />

von bestimmten Reagenzien (N-Acylimidazolen)<br />

unter sehr milden Bedingungen<br />

ist es nun möglich, Cellulose<br />

zu modifizieren, ohne deren physikalische<br />

Eigenschaften zu beeinflussen.<br />

Die Verwendung von Imidazol ermöglicht<br />

die milden Reaktionsbedingungen<br />

und ahmt dabei die Aminosäure Histidin<br />

nach, die biochemische Reaktionen im<br />

Körper katalysiert. Unsere Forschungsergebnisse<br />

haben auch gezeigt, dass es<br />

mit dieser simplen und nachhaltigen<br />

Methode möglich ist, die Selektivität<br />

von chemischen Reaktionen – in diesem<br />

Fall von Veresterungen – zu steuern und<br />

auch deren Effizienz zu steigern. In diesem<br />

Fall spielt gebundenes Wasser auf<br />

der Oberfläche der Fibrillen eine Kernrolle<br />

und ermöglicht eine regioselektive<br />

Reaktion, das heißt eine Modifikation<br />

nur an ganz bestimmten Positionen der<br />

Nanofibrillen. Durch die entwickelte<br />

Methode lassen sich nun unterschiedliche<br />

Funktionalitäten auf die Oberfläche<br />

der Zellulose-Nanofibrillen binden, um<br />

gezielt die Eigenschaften zu verändern.<br />

VIELSEITIG UND REVERSIBEL<br />

Eine Funktionalisierung mit hydrophoben<br />

Gruppen ist mit diesem Verfahren<br />

erstmalig selektiv möglich. Damit lassen<br />

sich funktionelle Nanocellulosen gewinnen,<br />

die aufgrund ihrer Eigenschaften<br />

Emulsionen und Schäume stabilisieren<br />

können. Alternativ lassen sich aber auch<br />

sehr hydrophile Gruppen einbringen,<br />

wobei speziell eine Modifikation mit negativ<br />

geladenen Carboxylat-Gruppen<br />

von Interesse ist. Eine Einbringung dieser<br />

Ladungen auf der Oberfläche von<br />

gebündelten Cellulose-Nanofibrillen<br />

ermöglicht deren bessere Individualisierung<br />

in einzelne, freie Nanofibrillen<br />

durch die elektrostatische Abstoßung<br />

der Oberflächenladungen. Diese bilden<br />

in Wasser eine Dispersion, die gelartig<br />

ist und eine ähnliche Konsistenz hat wie<br />

Pudding oder Haargel.<br />

Wie in der Abbildung dargestellt, lassen<br />

sich daraus Hydrogel-Formkörper<br />

herstellen. Diese dispergierten Cellulose-Nanofibrillen<br />

eignen sich aufgrund<br />

ihres Fließverhaltens auch vor allem auch<br />

für den 3D-Gel-Druck. Aktuell werden<br />

hier im FWF-Projekt „5D-Click-Druck“<br />

in Kooperation mit Forscher*innen der<br />

Julius-Maximilians-Universität Würzburg<br />

Drucktinten entwickelt, um Biostrukturen<br />

für Zellversuche herzustellen.<br />

VOLLES POTENZIAL AUSSCHÖPFEN<br />

Ganz besonders interessant ist eine<br />

weitere Eigenschaft dieser funktionalisierten<br />

Nanofibrillen, nämlich dass sich<br />

deren Funktionalisierung sehr leicht<br />

rückgängig machen lässt. Das war mit<br />

allen bisher gängigen Modifizierungsmethoden<br />

unmöglich. Warum man zuerst<br />

eine chemische Reaktion durchführen<br />

und diese dann ungeschehen<br />

machen will, wirkt zunächst vielleicht<br />

unverständlich, aber nur so lässt sich<br />

erstmals das volle Potenzial dieser Nanofibrillen<br />

ausschöpfen. Wie oben erklärt,<br />

können die (z. B. negativ geladenen)<br />

Cellulose-Nanofibrillen in jegliche<br />

Form gebracht werden, mit Gussformen<br />

oder mittels 3D-Druck. Durch die Reversibilität<br />

der Funktionalisierung kann<br />

nun die native Oberflächenstruktur der<br />

geformten Cellulose-Nanofibrillen zurückgewonnen<br />

werden. Somit lassen<br />

sich erstmalig die natürlichen Wechselwirkungen<br />

zwischen einzelnen Nanofibrillen<br />

– und damit die natürliche<br />

Stabilität in menschlich hergestellten<br />

Formmaterialien – erreichen, da es sich<br />

um wirkliche Cellulose und eben nicht<br />

um modifizierte und damit „geschwächte“<br />

Cellulose handelt.<br />

Die Forschungsergebnisse zu Cellulose-<br />

Nanofibrillen wurden im Journal of the<br />

American Chemical Society (JACS) publiziert<br />

und erhielten sogar die Titelseite.<br />

INTERNATIONALE KOOPERATIONEN<br />

Wir sind zuversichtlich, dass wir dadurch<br />

die bisherigen Limitierungen der mechanischen<br />

Eigenschaften von Cellulose-Nanomaterialien<br />

überwinden können<br />

und durch die Vielseitigkeit der Methode<br />

neue Anwendungen für Nanocellulosen<br />

ermöglichen. Dies ist ein gutes Beispiel<br />

für den Vorteil der Grundlagenforschung:<br />

Mit einer solchen allgemeinen Methode<br />

wird eben nicht nur ein einzelnes neues<br />

Material vorgestellt, sondern vielmehr<br />

eine allgemeine Methode zur Verfügung<br />

gestellt, die nun quasi weltweit von allen<br />

Cellulose-Chemiker*innen und Materialwissenschaftler*innen<br />

genutzt, adaptiert<br />

und weiterentwickelt werden kann. Die<br />

aktuelle Forschung in diesem Gebiet<br />

wird durch Zusammenarbeit innerhalb<br />

der <strong>BOKU</strong> sowie nationalen und internationalen<br />

Kooperationen, mit Forschungsinstitutionen,<br />

besonders mit Finnland und<br />

Kanada, vorangetrieben.<br />

•<br />

PUBLIKATIONEN:<br />

Nature<br />

Green Chemistry<br />

Journal of the American<br />

Chemical Society<br />

Dr. Marco Beaumont forscht als Habilitand im<br />

Bereich Biokolloidchemie am Institut für Chemie<br />

nachwachsender Rohstoffe.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

17


MATERIALIEN<br />

DER ZUKUNFT<br />

Holz im Fahrzeugbau –<br />

Schaffung digitaler Zwillinge für<br />

Bauteile und Produktionsprozesse<br />

Holzhybrid-Komponenten, also Bauteile aus Holzwerkstoffen in Kombination mit (faserverstärkten) Kunststoffen<br />

und Metallen, können in Fahrzeugen der Zukunft nicht nur für dekorative Zwecke, sondern auch für tragende<br />

Elemente eingesetzt werden. Dafür war es notwendig, Holz berechenbar zu machen. Durch Computersimulationen<br />

ist es gelungen, quasi virtuelle Zwillinge von Fahrzeugkomponenten zu schaffen.<br />

Von Ulrich Müller<br />

Die aktuellen Debatten zur Verbesserung<br />

der CO 2<br />

-Bilanz von<br />

Fahrzeugkonzepten der Zukunft<br />

verlangen nach Gewichtsreduktion und<br />

Verwendung nachhaltiger Materialien.<br />

Die veränderten wirtschaftlichen, technischen<br />

und ökologischen Rahmenbedingungen<br />

begünstigen radikale Innovationen<br />

im Umfeld der nachwachsenden<br />

Rohstoffe. Moderne Holzverbundwerkstoffe<br />

besitzen hervorragende mechanische<br />

Eigenschaften bei vergleichbar<br />

geringer Dichte. Richtig eingesetzt, können<br />

Holzwerkstoffe mit faserverstärkten<br />

Kunststoffen und Metallen mithalten.<br />

Voraussetzung für die Verwendung<br />

neuer Materialien im Automobilsektor<br />

ist die Möglichkeit, diese am Computer<br />

simulieren zu können. Diese Simulierbarkeit<br />

für den natürlichen Werkstoff Holz<br />

herzustellen, war somit grundlegende<br />

Voraussetzung, um neue Anwendungsfelder<br />

für Holz zu erschließen.<br />

Die Digitalisierung im Bereich der Materialsimulation<br />

ermöglicht uns heute,<br />

Bauteile, Baugruppen, aber auch ganze<br />

Fahrzeuge virtuell abzubilden und damit<br />

Spannungen und Verformungen unter<br />

Belastung, aber auch im Crashfall abzuschätzen<br />

und zu berechnen. Man schafft<br />

folglich einen virtuellen Zwilling dieser<br />

Strukturen. Dieser dient als Platzhalter<br />

für teure Versuche an Realobjekten.<br />

Anpassungen von Materialstärken und<br />

Veränderungen an den verwendeten<br />

Materialien können so einfach und rasch<br />

vorgenommen und kostengünstig verbessert<br />

und optimiert werden. Wir verlagern<br />

letztlich Forschungs- und Entwicklungsprozesse<br />

in Computermodelle und<br />

sparen damit Zeit und Geld. Die erreichte<br />

Prognosegüte der erarbeiteten Modelle<br />

Von TU Graz und <strong>BOKU</strong> entwickelte und patentierte Seitenaufprallträger eines konventionellen<br />

Pkws aus Holzwerkstoffen und Naturfaserverstärkung. Das Crashelement ist zu<br />

mehr als 90 Prozent aus bio-basierten Materialien hergestellt. Nur Klebstoffe und Beschichtung<br />

sind nicht biologischen Ursprungs. Eine Umweltbewertung des Bauteils zeigt eine ca.<br />

30-prozentige Verbesserung der CO 2<br />

-Bilanz.<br />

genügt den hohen Anforderungen der<br />

Autoindustrie.<br />

PRAXISTAUGLICHE TECHNOLOGIE<br />

Die Autoindustrie ist eine der Branchen,<br />

die solche Methoden bereits anwendet.<br />

Der Nutzen dieser Methoden ist<br />

evident und war neben den genannten<br />

Umweltzielen eines der Motive, warum<br />

sich das Forschungskonsortium „Holz im<br />

Fahrzeugbau“ rund um den steirischen<br />

Konsortialleiter W.E.I.Z. unter starker<br />

Mitwirkung der <strong>BOKU</strong> vor rund sechs<br />

Jahren zusammengefunden hat. Mit dem<br />

kürzlich erfolgreich abgeschlossenen<br />

Forschungsprojekt WoodC.A.R. und den<br />

entwickelten Materialmodellen ist es<br />

gelungen, diese Methoden in die Holztechnologie<br />

zu transferieren und anhand<br />

einiger Anwendungsfälle die Praxistauglichkeit<br />

nachzuweisen.<br />

Aber kann Holz tatsächlich in Autos und<br />

anderen Verkehrsmitteln verbaut werden?<br />

Frühere technische Holzanwendungen,<br />

aber auch modernes Sportgerät<br />

zeigt, dass Holz extremen mechanischen<br />

Beanspruchungen standhalten kann. Der<br />

historische Flugzeugbau ist ein guter Beleg<br />

dafür, dass Holz hohe technische Anforderungen<br />

erfüllt. Neben seinem ökologischen<br />

Ursprung kann Holz als effizientes<br />

Leichtbaumaterial betrachtet werden.<br />

Und wie eigene Lebenszyklusstudien gezeigt<br />

haben, spielt Leichtbau bei der Ökologisierung<br />

der Mobilität eine besondere<br />

Rolle. Warum? Weil rund ein Viertel des<br />

Energiebedarfs für ein Fahrzeug auf das<br />

Fahrzeuggewicht geht. Die Reichweite<br />

beziehungsweise der Verbrauch werden<br />

durch die Fahrzeugmasse mitbestimmt.<br />

SEITENAUFPRALLTRÄGER AUS HOLZ<br />

Laubhölzer in Form von Furnierschichtund<br />

Sperrholz scheinen für die angepeilten<br />

Anwendungen besonders geeignet<br />

zu sein. In Kombination mit Naturfaserwerkstoffen<br />

lassen sich daraus sogar<br />

crashrelevante Bauteile herstellen, wie<br />

einer von der <strong>BOKU</strong> gemeinsam mit der<br />

TU Graz patentierter Seitenaufprallträger<br />

zeigt. Das Bauteil besteht gewöhnlich<br />

aus Stahl und wiegt um 30 Prozent mehr<br />

als die Biovariante. Eine entsprechende<br />

Umweltbewertung für das Bauteil wurde<br />

durch die Karl-Franzens-Universität in<br />

Graz erstellt und zeigt eine um etwa ein<br />

Drittel bessere CO 2<br />

-Bilanz.<br />

Mehrere Varianten des Seitenaufprallträgers<br />

wurden an der TU Graz auf einem<br />

geeigneten Prüfstand einem Crashtest<br />

unterworfen. Die Vergleiche der Hochgeschwindigkeitskameraaufnahmen<br />

mit<br />

18 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Gesamtbudget von 4 Mio. Euro wird wie<br />

WoodC.A.R. vom Weizer Energie und<br />

Innovationszentrum W.EI.Z. unter Mitwirkung<br />

des Autors dieses Beitrags geleitet.<br />

INHOMOGENITÄT BEHERRSCHBAR<br />

Das Kunstwort CARpenTiER setzt sich<br />

aus Computer Aided Research und TiER<br />

– Autozulieferer zusammen und wenn<br />

man das i weglässt, bedeutet es auf<br />

Deutsch „Tischler“. Mit dem Forschungsprojekt<br />

soll gezeigt werden, dass durch<br />

Digitalisierung von Prozessen der inhomogene<br />

Werkstoff Holz auch bei hohen<br />

Produktanforderungen und strengen<br />

Toleranzvorgaben beherrschbar wird.<br />

Der entwickelte bio-basierte Seitenaufprallträger (unten) wurde auf dem Crash-Prüfstand<br />

der TU Graz des Instituts für Fahrzeugsicherheit (VSI) getestet und lieferte eine zu dem konventionellen<br />

Bauteil aus Stahl (oben) vergleichbare Energieaufnahme. Der Vergleich der mit<br />

Hochgeschwindigkeitskameras und Beschleunigungssensoren aufgezeichneten Daten lieferte<br />

für die bio-basierte Variante des Crash-Sicherheitsbauteils ähnlich hohe Werte für die Energieabsorption<br />

wie für den Stahlträger.<br />

den Berechnungen zeigten eine erstaunlich<br />

gute Übereinstimmung. Die hohe<br />

Prognosefähigkeit der Materialsimulationen<br />

lieferte sowohl den richtigen Zeitpunkt<br />

des Materialversagens als auch die<br />

richtige Energieaufnahme.<br />

HOLZ IN BATTERIEN<br />

VON E-FAHRZEUGEN<br />

Neben dem Seitenaufprallträger wurden<br />

im Rahmen des Projekts mit Firmenpartnern<br />

wie VW, MAGNA und MAN<br />

ein Chassis für ein raupenbetriebenes<br />

E-Fahrzeug, eine Einstiegstreppe für einen<br />

Reisebus und ein Chassis für einen<br />

Pkw entwickelt. Zukünftige Projekte<br />

und Entwicklungen gehen aber über die<br />

Automobilindustrie hinaus. So werden<br />

erste Bauteile zum Beispiel im Bereich<br />

Seilbahn und des Schienenverkehrs getestet.<br />

Weitere Projektanstrengungen<br />

verfolgen das Ziel, Holz in Zukunft in<br />

Batterien für E-Fahrzeuge zu verbauen.<br />

Im Rahmen eines FFG geförderten Projekts<br />

wird in Zusammenarbeit mit der TU<br />

Graz intensiv in den nächsten zwei Jahren<br />

in diese Richtung geforscht.<br />

Die technische Umsetzung und Produktion<br />

soll zukünftig durch ein Start-up der<br />

Firma Weitzer Parkett, der Weitzer Wood<br />

Solutions, erfolgen. Die Firma Weitzer<br />

Parkett ist als Lead-Partner des Konsortiums<br />

einer der zentralen Treiber der<br />

genannten Projekte. Der Produktionstechnologie<br />

kommt daher in Zukunft eine<br />

besondere Bedeutung zu. Das Nachfolgeprojekt<br />

CARpenTiER wird sich daher<br />

vorrangig mit verfahrenstechnischen<br />

Inhalten sowie der Digitalisierung von<br />

Produktionsprozessen befassen. Das bedeutet,<br />

dass nicht nur Bauteile, sondern<br />

in Zukunft auch neue Produktionsprozesse<br />

digital abgebildet werden sollen.<br />

Das im Rahmen der FFG-Programmlinie<br />

COMET finanzierte Projekt mit einem<br />

CARpenTiER ist somit eine konsequente<br />

Fortsetzung des mit WoodC.A.R. begonnenen<br />

Weges. Anhand von idealisierten<br />

Holz-Hybrid-Bauteilen werden einerseits<br />

technologische Prozesse optimiert, andererseits<br />

eben digitale Zwillinge von<br />

Produkt sowie Prozess erstellt und damit<br />

offene Fragen für das Finit Element Modelling<br />

beantwortet und die Grundsteine<br />

für eine funktionsorientierte Prozesskontrolle<br />

gelegt. Damit sollte es gelingen,<br />

den natürlichen Werkstoff Holz vollständig<br />

zu beherrschen und damit für neue<br />

technische Anwendungen fit zu machen.<br />

NEUE MÄRKTE FÜR HOLZ<br />

Schichtholz- und Holz-Hybridwerkstoffe,<br />

also Verbindungen von Holz mit<br />

Kunststoff und Holz mit Metallen steht<br />

weiterhin im Fokus der zukünftigen Forschungsarbeiten.<br />

Das bedingt weiterhin<br />

Forschungsarbeit im Bereich Materialwissenschaften,<br />

Prozesstechnik, Steuerungstechnik<br />

und Simulation.<br />

Zusammenfassend kann man nach sechs<br />

Jahren Forschung „Holz im Fahrzeugbau“<br />

sagen: Holz kann seinen Platz auch<br />

im Mobilitätssektor finden. Wie neu entstehende<br />

Projekte und Entwicklungen<br />

bei beteiligten Industriepartnern zeigen,<br />

wird durch die dargestellte Forschung<br />

neue Kompetenz geschaffen, die mittelfristig<br />

auch neue Märkte für den Werkstoff<br />

Holz schafft. <br />

•<br />

PD Dr. Ulrich Müller forscht am Institut für Holztechnologie<br />

und Nachwachsende Rohstoffe zu<br />

Einsatz von Holz im Fahrzeugbau.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

19


MATERIALIEN<br />

DER ZUKUNFT<br />

Wie biogene Reststoffe in innovativen<br />

Materialien eine neue Nutzung finden<br />

Werkstoffe aus Hanfstroh, Alttextilien und Holz fördern Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.<br />

Von Rupert Wimmer<br />

Fotoschlick - stock.adobe.com<br />

aleksandarlittlewolf<br />

Für Werkstoffe der Zukunft können<br />

zunehmend auch biogene<br />

Reststoffe der Land- und Forstwirtschaft<br />

eingesetzt werden. Viele<br />

Bemühungen stecken hier noch in den<br />

Kinderschuhen, aber etliche Ergebnisse<br />

weisen bereits hohe Praxisrelevanz auf.<br />

Das soll anhand von vier Beispielen aus<br />

der Forschung der Professur Naturstofftechnologie<br />

gezeigt werden.<br />

VERBUNDWERKSTOFF AUF<br />

BASIS VON HANF-RESTSTOFFEN<br />

Der Einsatz von Reststoffen für Produkte<br />

des Alltags wird zunehmend zu einem<br />

Forschungsthema. Durch die weltweit<br />

starke Zunahme der energetischen Nutzung<br />

von Holz, in der Form von Holzpellet-Verbrennungsanlagen,<br />

konnten<br />

Steigerungen bei den Rohstoffpreisen<br />

von Holzreststoffen beobachtet werden.<br />

Diese Situation war Motivation, nach<br />

anderen Rohstoffquellen zu suchen, die<br />

ebenso nachwachsend und nachhaltig<br />

eingesetzt werden können. Die Kulturpflanze<br />

Hanf wird in Österreich praktisch<br />

nicht mehr für die Erzeugung von Fasern,<br />

sondern nur noch für die Produktion<br />

von Hanfsamen für Hanföl angebaut.<br />

Als Restprodukt bleibt hier das „Stroh“<br />

der Hanfpflanze übrig, allein in Österreich<br />

fallen dadurch jährlich rund 1.000<br />

Tonnen Hanfstroh an. Dieses Hanfstroh<br />

bleibt ungenutzt am Acker liegen oder<br />

wird eventuell verbrannt.<br />

In einem Forschungsprojekt wurde für<br />

Rest-Hanfstroh eine neue Nutzungsform<br />

entwickelt, indem Fasern und Schäben<br />

des Strohs in Verarbeitungsprozessen<br />

zu Werkstoffen verarbeitet wurden. Auf<br />

Basis eines statistischen Versuchsplans<br />

wurden verschiedene Mischungen aus<br />

Holzmehl, gehäckselt-zerkleinertes<br />

Hanfstroh und Kunststoff vorbereitet<br />

und mit Extrusions- und Spritzgussverfahren<br />

verarbeitet. Die hergestellten<br />

Hanf-Verbundwerkstoffe wurden danach<br />

mit verschiedenen Messmethoden genau<br />

charakterisiert.<br />

Die Ergebnisse zeigen, dass Hanfstroh<br />

in Polymerverbundwerkstoffen eingesetzt<br />

werden kann, der Hanfanteil kann<br />

dabei bis zu 65 Prozent betragen. Die<br />

mechanischen Eigenschaften des neuen<br />

Werkstoffes waren gut, durch Optimierung<br />

des Herstellungsverfahrens<br />

beziehungsweise des Rohstoffes konnten<br />

noch weitere Verbesserungen erzielt<br />

werden. Da Hanf einen vergleichsweise<br />

geringeren Anteil an Lignin aufweist,<br />

können die Hanf-Verbundwerkstoffe<br />

auch unempfindlicher gegenüber Licht<br />

(insbesondere UV) sein.<br />

HOLZSCHAUM – EIN NEUES<br />

LEICHTMATERIAL<br />

Holz, Knochen oder Schwämme sind<br />

Beispiele für zellulare Materialien in der<br />

Natur, die sich durch Kombination von<br />

gasförmiger und fester Phase auszeich-<br />

20 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Leichtplatte mit Holzschaumkern und Furnierdecklage.<br />

Verpackung aus Holzschaum.<br />

Die Holz-Hanf-Platte als anprallmindernde Wand in Turnhallen.<br />

nen. Die zellularen Materialien weisen<br />

ausreichend hohe Festigkeit bei geringem<br />

Materialeinsatz auf. Künstlich hergestellte<br />

Schaumstoffe mit zellartiger Struktur<br />

und niedriger Dichte sind weit verbreitet.<br />

Schaumstoffe wie geschäumtes Polystyrol<br />

sind wegen starker Umweltbelastung,<br />

fehlender Abbaubarkeit beziehungsweise<br />

Einsatz von Erdöl stark in Diskussion geraten.<br />

Gesucht sind also neue Schaumstoffe<br />

auf Naturstoffbasis. Eine Forschungsarbeit<br />

widmete sich einem naturbasierten<br />

Schaumstoff, der zu 100 Prozent aus<br />

Naturstoffen besteht, in der Herstellung<br />

einfach und auch industriell umsetzbar ist.<br />

Als Ausgangsstoff dient gemahlenes<br />

Holz einheimischer Baumarten. Diesem<br />

Holzmehl wird Lignin zugesetzt und es<br />

entsteht ein schaumiger Brei, der ein vielfaches<br />

Volumen der Ausgangsmenge aufweist.<br />

Die Masse wird für einige Zeit in einen<br />

Trockenschrank (ca. 100°C) gegeben<br />

und es entsteht ein fester, offenporiger<br />

Schaumstoff. Die Dichtewerte des neuartigen<br />

Holzschaums lagen zwischen 0,12<br />

und 0,17 g/cm 3 und sind somit wesentlich<br />

geringer als jene von Fichtenholz (0,47<br />

g/cm 3 ). Die Dichte des Holzschaums ist<br />

variierbar durch Art und Menge der hinzugegebenen<br />

Naturstoffe. Kennzeichen<br />

des entwickelten Holzschaums: Es ist ein<br />

Leichtbaumaterial aus nachwachsenden<br />

Rohstoffen, 100 Prozent biologisch abbaubar,<br />

er besteht aus Holzabfällen beziehungsweise<br />

verholzten Pflanzenteilen<br />

wie Stroh, weist eine hohe Umweltverträglichkeit<br />

und Ressourceneffizienz auf<br />

und zeigt sehr gute Wärmedämmung<br />

bei geringem Transportgewicht. Anwendungsbereiche<br />

sind unter anderem:<br />

Verpackungsmaterial, Leichtbaumöbel,<br />

Dämmplatten im Hausbau.<br />

NEUE CRADLE-TO-CRADLE<br />

VERBUNDPLATTE AUS HANF<br />

UND HOLZ<br />

Cradle-to-Cradle (C2C) bedeutet „von<br />

der Wiege bis zur Wiege“. Das steht für<br />

konsequente Kreislaufwirkung, ohne Abfall<br />

und umweltschädliche Stoffe. C2C<br />

umfasst drei Prinzipien: (1) „Nährstoff<br />

bleibt Nährstoff“, das heißt Materialien<br />

werden in einem biologischen und/oder<br />

technischen Kreislauf geführt, (2) Herstellung<br />

mit erneuerbarer Energie, sowie<br />

(3) Förderung biologischer Diversität.<br />

Der neue Plattenwerkstoff hat einen<br />

dreischichtigen Sandwichaufbau, das<br />

heißt, er besteht aus zwei Holz-Deckschichten<br />

sowie einer Hanffaservlies-<br />

Mittelschicht. Das Hanfvlies wurde im<br />

Non-Woven-Verfahren hergestellt und<br />

optimiert. Die einzelnen Schichten wurden<br />

mit einem eigenen 100-prozentigen<br />

Bio-Bindemittel verklebt. Tests zeigten<br />

ein hohes, flächenelastisches Verhalten<br />

(Eignung für Prallwände, Treppenstufen,<br />

Fahrzeugbau), sehr gute Wärmedämmund<br />

akustische Eigenschaften sowie hohe<br />

Brandbeständigkeit bei hoher Ressourceneffizienz<br />

und geringem Gewicht.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

21


Baum,<br />

Hanfpflanze<br />

Herstellung<br />

Sportstättenbau<br />

Rücknahme<br />

<strong>BOKU</strong>/Christoph Gruber<br />

Biologischer<br />

Nährstoff<br />

Biologischer<br />

Abbau<br />

Biologischer<br />

Kreislauf<br />

Sportstättenbau<br />

Der neue Plattenwerkstoff eignet sich<br />

aber besonders als anprallmindernde<br />

Wand in Turnhallen. Prallschutzwände<br />

haben wichtige sicherheitstechnische<br />

und Ball-reflektierende Funktionen. Gegenwärtig<br />

eingesetzte Prallwände sind<br />

mit einem Polyurethan-Hartschaumkern<br />

nicht nachhaltig. Die eingesetzten<br />

Kunststoffe sind fossilbasiert, verbreiten<br />

unangenehme Gerüche beziehungsweise<br />

emittieren gesundheitsschädigende<br />

Gase, bei leichter Entflammbarkeit.<br />

Mit dieser Forschung konnte die erste<br />

Cradle-to-Cradle Verbundplatte für<br />

Sportstätten entwickelt werden. Die<br />

Platten können sowohl im biologischen<br />

als auch im technischen Kreislauf geführt<br />

werden – es besteht Trennbarkeit<br />

von Holz und Hanf. Das Produkt ist zu<br />

100 Prozent biobasiert, zu 100 Prozent<br />

kreislauffähig, hat hervorragende Eigenschaften<br />

und schützt Menschen während<br />

der Sportausübung.<br />

Holz-Hanf-<br />

Platte<br />

Herstellung<br />

Technischer<br />

Kreislauf<br />

Auftrennung<br />

Technischer<br />

Nährstoff<br />

Neuer Plattenwerkstoff aus Holz-Hanf-Platte – mit hoher Eignung für den Sportstättenbau.<br />

WERKSTOFFE AUS ALTTEXTILIEN<br />

Bis 2050 werden rund sechs Milliarden<br />

Menschen in Städten wohnen. Städte<br />

werden zunehmend zu anthropogenen<br />

Lagerstätten für knappe Materialien und<br />

diese Forschungsarbeit beschäftigte sich<br />

mit neuen Verwertungsmöglichkeiten<br />

von Alttextilien als Bau- und Werkstoffe.<br />

Die Werkstoffe sollen im Möbelbau,<br />

in der Gebäudesanierung, dem Dachgeschoßausbau<br />

und zu Dämmzwecken<br />

eingesetzt werden. Ziel war es, Prozesse<br />

zu entwickeln, um aus Alttextilien<br />

neue Werkstoffe herzustellen. Es<br />

wurden dafür verschiedene Alttextilien<br />

mechanisch vorab zerkleinert und danach<br />

thermo-hygromechanisch aufgeschlossen<br />

(Labor-Refiner, Holländer).<br />

Danach erfolgte eine Heiß-Verpressung<br />

(Platten, Formteile). Verschiedene Prozessbedingungen<br />

konnten erfolgreich<br />

getestet werden. Im <strong>BOKU</strong> Technikum in<br />

Tulln wurden anschließend verschiedene<br />

Werkstoffe entwickelt: (1) Mitteldichte<br />

Faserplatten im Nassverfahren, aus<br />

100 Prozent Alttextilfasern und ohne<br />

Klebstoffe; (2) leichte Faserplatten im<br />

Trockenverfahren, mit Zusatz von Bindemitteln.<br />

Eine zentrale Fragestellung<br />

waren auch die Selbstbindekräfte. So<br />

können etwa durch Baumwolle Wasserstoffbrückenbindungen<br />

direkt für hohe<br />

Eigenbindung genutzt werden.<br />

Die Ergebnisse erbrachten gute mechanische<br />

Eigenschaften. Als Dämmstoffe<br />

tragen die neuen Werkstoffe zur Erhöhung<br />

der Energieeffizienz bei. Es wurde<br />

gezeigt, dass man aus Alttextilien innovative<br />

Werkstoffe erzeugen und nachhaltig<br />

einsetzen kann, bei gleichzeitiger<br />

<strong>BOKU</strong>-ERFINDERIN<br />

DES JAHRES<br />

Wir gratulieren Raphaela Hellmayr,<br />

Doktorandin am Institut für Holztechnologie<br />

und Nachwachsende Rohstoffe<br />

zur Auszeichnung als diesjährige<br />

„<strong>BOKU</strong>-Erfinderin des Jahres“! Für<br />

den Preis werden Erfinderinnen vor<br />

den Vorhang geholt, um nicht zuletzt<br />

auch anderen Wissenschaftlerinnen<br />

Inspiration und Vorbild zu sein. Vizerektor<br />

Christian Obinger und Rektor<br />

Hubert Hasenauer präsentierten am<br />

8. November stolz die <strong>BOKU</strong>-Erfinderin<br />

des Jahres <strong>2021</strong>, die bereits<br />

mehrfach für ihre Forschung über biobasierte<br />

Materialien nach dem Cradle<br />

to Cradle-Prinzip ausgezeichnet wurde.<br />

Die Begründung der Jury: „Frau<br />

Hellmayrs Engagement im Bereich<br />

Umwelt und Ressourcen trifft den<br />

Zeitgeist und entspricht den <strong>BOKU</strong>-<br />

Werten, sodass sich Frau Hellmayr<br />

perfekt als Role Model für angehende<br />

Studierende eignet.“<br />

Video DI in Hellmayr<br />

Verbesserung der Ressourceneffizienz.<br />

Die Ergebnisse stellen eine sinnvolle<br />

Verwertung von Reststoffen dar, Textilfirmen<br />

erzielen bessere Wertschöpfung<br />

und Kleidersammlungen können besser<br />

verwertet werden. Auch hier wird sowohl<br />

die Nachhaltigkeit als auch die Kreislaufwirtschaft<br />

konkret weiterentwickelt. •<br />

Univ.Prof. DI Dr. Rupert Wimmer forscht und lehrt<br />

am Institut für Holztechnologie und Nachwachsende<br />

Rohstoffe.<br />

22 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


<strong>BOKU</strong>-Forscher*innen entwickelten<br />

„Super-Antikörper“ für Nasensprays<br />

Team um Herta Steinkellner gelang Herstellung von IgA-Antikörper, der Covid-Erreger effektiv<br />

dort bekämpft, wo er meist in den Körper eindringt – in der Nasenschleimhaut. Von Bettina Fernsebner-Kokert<br />

Erst vor Kurzem präsentierte die<br />

Universität für Bodenkultur Wien<br />

vielversprechende Fortschritte von<br />

der Covid-19-Front. Das Team um Herta<br />

Steinkellner am Institut für Pflanzenbiotechnologie<br />

und Zellbiologie (IPBT)<br />

hatte IgG3-Antikörper mit besonders<br />

hoher antiviraler Aktivität entwickelt.<br />

Nun berichtet das Team einen weiteren<br />

Durchbruch: Es gelang die Herstellung<br />

sogenannter IgA-Antikörper, die direkt<br />

dort wirken, wo das Virus vorwiegend<br />

in den Körper eindringt – in der Nasenschleimhaut.<br />

Steinkellner und ihr Team nutzen zur<br />

Herstellung von Antikörpern eine Tabakpflanze<br />

(Nicotiana benthamiana):<br />

Sie bringen Gene der vom Menschen<br />

kommenden Teile der körpereigenen<br />

Abwehr in die Pflanze ein, ein Bakterium<br />

hilft bei der Lieferung des Erbguts in<br />

die Pflanze, die dann vorübergehend<br />

die gewünschten speziellen Proteine<br />

zusammensetzt.<br />

Antikörper sind die Hoffnungsträger im<br />

Kampf gegen SARS-CoV-2-Infektionen.<br />

Labore weltweit forschen deshalb unter<br />

Hochdruck daran und designen sogenannte<br />

monoklonale Antikörper (mAk),<br />

die besonders hohe Aktivitäten gegen<br />

das Virus aufweisen. Gerade erst meldete<br />

die <strong>BOKU</strong> einen Erfolg: Das Team<br />

um Herta Steinkellner (Department für<br />

Angewandte Genetik und Zellbiologie)<br />

produzierte gemeinsam mit der Medizinischen<br />

Universität Wien (Karin Stiasny,<br />

Zentrum für Virologie) neue mAk-Varianten<br />

vom Subtypus IgG3 mit einer<br />

fünfzigfach höheren SARS-CoV-2-Neutralisation<br />

als ihre Vorgänger.<br />

Aktuell konnten sie die antivirale Aktivität<br />

sogar noch weiter steigern, indem<br />

sie neue sogenannte IgA-Varianten<br />

herstellten. Der Clou daran: IgA-Moleküle,<br />

die häufig als Monomere – also<br />

einzelne Moleküle – vorliegen, wurden<br />

als Dimere erzeugt. Dabei verknüpfte<br />

das Forschungsteam zwei IgA-Moleküle<br />

miteinander. So konnte ihre Wirkung<br />

potenziert werden. In den Versuchsreihen<br />

neutralisierten die Dimere das<br />

Virus bis zu 240-fach effizienter als<br />

ihre monomeren Gegenstücke. „Diese<br />

Dem <strong>BOKU</strong>-Forschungsteam<br />

gelang es jetzt, einen<br />

monoklonalen Antikörper<br />

vom Typ IgG3 im Labor<br />

herzustellen, der einen neuen,<br />

besonders aussichtsreichen<br />

Therapieansatz auch als<br />

Nasenspray in Aussicht stellt.<br />

unerwartet hohe Wirksamkeit macht<br />

IgA-Antikörper besonders interessant<br />

für neue Therapieansätze, nicht nur für<br />

SARS-CoV-2, sondern auch für andere<br />

Erreger, die über die Atemwege in<br />

den Körper gelangen“, so Steinkellner.<br />

Denn IgA-Antikörper sind Kämpfer an<br />

vorderster Front. Sie befinden sich auf<br />

Schleimhäuten des Körpers wie dem<br />

Nasenepithel und bekämpfen dort Eindringlinge<br />

praktisch an der Eingangstür.<br />

Für die Behandlung von SARS-<br />

CoV-2-Infektionen stellt vor<br />

allem die Entwicklung von IgA-<br />

Dimer-haltigen Nasensprays<br />

einen neuen, besonders aussichtsreichen<br />

Therapieansatz dar. Bis<br />

dato wurde die hohe Wirksamkeit der<br />

IgA-Moleküle in Zellsystemen getestet,<br />

weitere Studien an Tiermodellen befinden<br />

sich in Planung. Die Erwartungen<br />

sind groß.<br />

•<br />

Die Studie ist im<br />

Fachmagazin PNAS<br />

erschienen.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

23


Sind wir bereit für Fleisch aus dem Labor?<br />

Eine repräsentative Befragung zeigt, dass sich 67 Prozent der Fleischesser*innen vorstellen könnten,<br />

In-Vitro-Fleisch zu probieren.<br />

Von Bettina Fernsebner-Kokert<br />

Eine Verringerung des Fleischkonsums<br />

wird von vielen Seiten als ein<br />

Hebel für den Klima- und Umweltschutz<br />

gesehen, zeitgleich hat sich der<br />

weltweite Fleischkonsum in den vergangenen<br />

20 Jahren verdoppelt (Fleischatlas<br />

<strong>2021</strong>). Als eine mögliche Antwort<br />

darauf wird neben pflanzlichen Fleischersatzprodukten<br />

seit einigen Jahren an<br />

der Entwicklung von In-Vitro-Fleisch<br />

gearbeitet, um den weltweiten Fleischbedarf<br />

in Zukunft zu decken.<br />

Unter In-Vitro-Fleisch versteht man<br />

Fleisch, das aus tierischen Stammzellen<br />

im Labor hergestellt wird, ohne dabei<br />

Tiere zu schlachten. Der Herstellungsprozess<br />

gilt als ressourcenschonender<br />

und nachhaltiger als die konventionelle<br />

Fleischproduktion. Aktuell ist In-Vitro-<br />

Fleisch in den ersten Ländern – Singapur<br />

und Israel – erhältlich, in Europa ist es<br />

bislang noch nicht zugelassen.<br />

Doch wären die Österreicher*innen<br />

überhaupt dazu bereit, Fleisch aus dem<br />

Labor zu essen? Das Institut für Marketing<br />

und Innovation der Universität für<br />

Bodenkultur Wien hat in einer Studie<br />

diese Frage einer Stichprobe von 521<br />

Personen (im Alter von 18 bis 65 Jahren,<br />

repräsentativ in Hinblick auf Geschlecht,<br />

Bildungsstand, Einkommen und Bundeslandwohnort)<br />

gestellt.<br />

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass<br />

In-Vitro-Fleisch noch weitgehend unbekannt<br />

ist. Nur drei von zehn Befragten<br />

hatten den Begriff davor bereits gekannt.<br />

Dennoch kann sich die Mehrheit der Befragten<br />

(61 Prozent) – nach Erläuterung<br />

des Herstellungsverfahrens – prinzipiell<br />

Könnten Sie sich vorstellen,<br />

In-Vitro-Fleisch zu essen?<br />

13 %<br />

61 %<br />

26 %<br />

Wäre es Ihrer Meinung nach<br />

wünschenswert, dass sich In-Vitro-<br />

Fleisch am österreichischen<br />

Markt etabliert?<br />

42 %<br />

wünschenswert<br />

nicht<br />

wünschenswert<br />

weder noch<br />

33 %<br />

25 %<br />

vorstellen, In-Vitro-Fleisch zu probieren.<br />

Dabei zeigen sich wesentliche Unterschiede<br />

zwischen Vegetarier*innen und<br />

Personen, die regelmäßig Fleisch essen.<br />

So zeigen sich 67 Prozent der Personen,<br />

die regelmäßig Fleisch essen, zum Probieren<br />

von In-Vitro-Fleisch bereit, und<br />

lediglich 19 Prozent der Vegetarier*innen.<br />

Die wesentlichen Vorteile dieser Food-<br />

Tech-Innovation sehen die Befragten<br />

in Tierwohl, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit.<br />

Die Unnatürlichkeit von<br />

In-Vitro-Fleisch sowie gesundheitliche<br />

und geschmackliche Bedenken zählen<br />

hingegen zu den vorgebrachten Nachteilen<br />

aus Sicht der Konsument*innen.<br />

Das Risiko von Krankheitsübertragung<br />

und Verunreinigungen wird mehrheitlich<br />

als geringer oder ähnlich zur herkömmlichen<br />

Fleischproduktion erwartet.<br />

Geht es um eine mögliche künftige Markteinführung<br />

von In-Vitro-Fleisch in Österreich,<br />

sprechen sich vier von zehn Befragten<br />

dafür aus. Ein Viertel sieht es als nicht<br />

wünschenswert. Als Zielgruppen werden<br />

mehrheitlich sowohl Personen, die Fleisch<br />

essen, als auch Personen mit vegetarischen<br />

Ernährungsstilen gesehen. Bezahlen<br />

würden die Österreicher*innen in<br />

etwa gleich viel (52 Prozent) oder weniger<br />

(42 Prozent) als für marktübliche Fleischprodukte,<br />

mehr zu bezahlen können sich<br />

nur rund sechs Prozent vorstellen.<br />

Zusammenfassend zeigt die Studie unter<br />

Fleischesser*innen einen mehrheitlich<br />

offenen und probierfreudigen Blick auf<br />

Fleisch aus tierischen Stammzellen. Wobei<br />

die Konsument*innen nicht bereit wären,<br />

mehr für In-Vitro-Fleisch zu bezahlen. •<br />

24 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


„SolarCircle“: Wie klimafreundlich sind<br />

neue Materialien in der Photovoltaik?<br />

Emerging Photovoltaics (EPVs) ermöglichen flexible, ultradünne und vor allem leichte PV-Module. Projekt der<br />

<strong>BOKU</strong> in Kooperation mit der JKU und dem Energieinstitut Linz untersucht Aspekte der Nachhaltigkeit und<br />

Kreislaufwirtschaft.<br />

Für die Energiewende sind innovative<br />

Werkstoffe unverzichtbar. Sogenannte<br />

Advanced Materials werden<br />

insbesondere in der Photovoltaik (PV)<br />

immer bedeutender, um den Wirkungsgrad<br />

von Solarzellen zu erhöhen. Die PV-<br />

Märkte wachsen derzeit sehr schnell, um<br />

die Pariser Klimaziele für 2050 erreichen<br />

zu können – 100 Prozent Stromerzeugung<br />

aus erneuerbaren Energien werden angestrebt.<br />

Da dieses Ziel mit klassischen siliziumbasierten<br />

und relativ schwergewichtigen<br />

Solarzellen höchstwahrscheinlich<br />

nicht erreicht werden kann, sind innovative<br />

PV-Technologien notwendig. „Emerging<br />

Photovoltaics“ (EPVs) ermöglichen<br />

flexible, ultradünne und vor allem leichte<br />

PV-Module. Sie können auch transparent<br />

gestaltet werden, um sie so etwa in Glasfassaden<br />

zu integrieren.<br />

WIE NACHHALTIG SIND EPVS?<br />

Sonnenstrom ist umwelt- und klimafreundlich,<br />

aber sind es auch die neuartigen<br />

Materialien in den EPVs? Um diese<br />

Frage zu beantworten, wurde das Projekt<br />

„SolarCircle“ ins Leben gerufen, bei dem<br />

das Institut für Synthetische Bioarchitekturen<br />

sowie das Institut für Abfallwirtschaft<br />

der <strong>BOKU</strong> Wien gemeinsam<br />

mit der JKU Linz und dem Energieinstitut<br />

Linz interdisziplinär die Nachhaltigkeitsaspekte<br />

der jüngeren EPV-Generation<br />

erforscht.<br />

Diese neuartigen PV-Systeme basieren<br />

etwa auf Perowskit-Halbleitern, nanokristallinen<br />

Quantenpunkten, leitfähigen<br />

Polymeren oder Farbstoffen. Sie haben<br />

ein großes Potenzial, da sie neben der<br />

klassischen Energieerzeugung neue Anwendungsbereiche,<br />

etwa für tragbare<br />

Kleingeräte wie das „Internet der Dinge“<br />

oder „Point-of-Care“-Sensoren, in der<br />

Landwirtschaft, für Dächer und Fensterflächen<br />

sowie Parkplatz- oder Autobahnüberdachungen<br />

erschließen.<br />

Fassade des SwissTech Convention Centers in Lausanne mit semitransparenter Fassade aus<br />

Farbstoffsolarzellen.<br />

„SAFE BY DESIGN“ NOTWENDIG<br />

Viele EPVs befinden sich derzeit noch in<br />

der Entwicklung oder stehen teilweise<br />

kurz vor ihrer Kommerzialisierung. So<br />

sollten im Sinne der Nachhaltigkeit und<br />

Circular Economy frühzeitig Konzepte<br />

wie „Design for Recycling“, „Sustainability<br />

for Design“ oder „Safe by Design“<br />

herangezogen werden, um sie umweltfreundlicher<br />

zu gestalten, noch bevor sie<br />

auf den Markt gelangen. Hierbei fehlt es<br />

jedoch an innovativen Ansätzen, um den<br />

Materialeinsatz kritischer Rohstoffe, wie<br />

Indium oder Ruthenium, welches in den<br />

einzelnen, Nanometer bis Mikrometer<br />

dünnen Schichten der Solarzelle enthalten<br />

sind, zu verringern oder alternative<br />

und umweltfreundliche Materialien einzusetzen.<br />

In Bezug auf die Kreislaufwirtschaft fehlen<br />

derzeit konkrete, technische Lösungen,<br />

um wertvolle Stoffe, insbesondere<br />

der Halbleiterschichten, rückzugewinnen.<br />

„Man sieht sogar am Beispiel von<br />

klassischen siliziumbasierten PV-Modulen,<br />

dass die dort enthaltenen Halbleitermaterialien<br />

derzeit nicht oder kaum<br />

rückgewonnen werden, obwohl diese<br />

auch kritische Rohstoffe wie Silizium enthalten“,<br />

sagt Florian Part vom Institut für<br />

Abfallwirtschaft der <strong>BOKU</strong>.<br />

MARKTNISCHE VORHANDEN,<br />

FORSCHUNGSBEDARF HOCH<br />

Zudem wurden in „SolarCircle“ Marktpotenziale,<br />

Nachhaltigkeitsaspekte,<br />

Stakeholder-Befragungen sowie eine<br />

qualitative Risikoabschätzung der eingesetzten<br />

Materialien näher ausgearbeitet.<br />

Die Analysen haben ergeben, dass EPVs<br />

zukünftig eine wichtige Marktnische am<br />

weltweiten PV-Markt einnehmen können,<br />

da sie neue PV-Märkte aufgrund<br />

ihres geringen Gewichts oder ihrer Transparenz<br />

ermöglichen. Eine umfassende<br />

ökologische Nachhaltigkeits- und Risikobewertung<br />

ist nach derzeitigem Stand<br />

des Wissens jedoch nicht möglich und<br />

daher herrscht noch hoher Forschungsbedarf,<br />

um solche innovativen PV-Systeme<br />

nachhaltig gestalten zu können,<br />

bevor ihre großindustrielle Produktion<br />

ausgerollt wird. <br />

•<br />

Fernando Guerra<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

25


Adobe Stock<br />

Zwei Wochen war Fabian Pfrengle<br />

in Österreich, als der erste<br />

Lockdown kam. Der Chemiker<br />

hatte im März 2020 gerade<br />

mit seiner Familie von Berlin<br />

nach Wien gewechselt, um hier einen<br />

Lehrstuhl am Institut für Organische<br />

Chemie an der <strong>BOKU</strong> zu übernehmen, als<br />

die Maßnahmen gegen Covid-19 einsetzten<br />

und sich jedermann in die eigenen<br />

vier Wände zurückziehen musste. Für<br />

Pfrengle bedeutete das: Sich an einer<br />

neuen Uni, in einer neuen Stadt, noch<br />

ohne soziales Netzwerk, auf ungewöhnliche<br />

Rahmenbedingungen einzustellen.<br />

„Nicht einmal Spielplätze waren geöffnet,<br />

das war für meine fünfjährige<br />

Tochter schon hart“, erinnert sich der<br />

Forscher, der dennoch gelassen blieb:<br />

„Für mich selbst war das alles nicht so<br />

schlimm.“<br />

Denn die an der <strong>BOKU</strong> übernommene<br />

Professur war ein echter Glücksfall für<br />

den Chemiker. In langjähriger Aufbauarbeit<br />

hatte sein Vorgänger Paul Kosma<br />

am Institut für Organische Chemie ein<br />

international renommiertes Zentrum<br />

der Kohlenhydratforschung geschaffen,<br />

das organische Synthese mit biologisch<br />

motivierten Fragestellungen verbindet.<br />

Genau an dieser Stelle hat sich auch<br />

Pfrengle in seiner wissenschaftlichen<br />

Arbeit positioniert.<br />

Sein Interesse gilt dabei speziell der Vielfalt<br />

an Zuckerstrukturen, die in Pflanzen<br />

vorkommen. Einige davon, wie die<br />

Polysaccharide Stärke und Cellulose, sind<br />

heute jede*m*r Schüler*in bekannt – für<br />

einen Organischen Chemiker aber allzu<br />

einfache Strukturen, in denen sich der<br />

Baustein Glucose in langen Kettenmolekülen<br />

immer und immer wiederholt. Die<br />

strukturelle und funktionelle Vielfalt der<br />

„Glykane“ (wie die Chemiker jene Verbindungen<br />

nennen, die aus mehreren Zuckerbausteinen<br />

zusammengesetzt sind)<br />

ist aber weitaus größer. Unterschiedliche<br />

Bausteine können in unterschiedlichen<br />

Verknüpfungen zu Molekülen unterschiedlicher<br />

Länge mit unterschiedlich<br />

vielen Seitenketten verbunden werden.<br />

Zudem sind die Zuckereinheiten zuweilen<br />

auch an andere Strukturen (an Lipide oder<br />

Proteine etwa) gebunden. „Da gibt es<br />

viel zu untersuchen“, freut sich Pfrengle.<br />

26 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Viel „Glyk“ in der Pflanzenbiologie<br />

Fabian Pfrengle hat 2020 die Professur für Organische Chemie an der <strong>BOKU</strong><br />

übernommen. Sein Forschungsansatz der „Chemischen Biologie“ passt gut zur<br />

Tradition der Kohlenhydratchemie am Institut.<br />

Von Georg Sachs<br />

KÜNSTLICHES WERKZEUG,<br />

NATÜRLICHES INTERESSE<br />

Das besondere Interesse seiner Gruppe<br />

gilt dabei dem Zusammenhang zwischen<br />

chemischer Struktur und biologischer<br />

Funktion der Glykane, von denen die<br />

meisten mit der Zellwand der Pflanzen<br />

assoziiert sind. Für diese Aufgabe leisten<br />

die Methoden des Synthesechemikers<br />

gute Dienste. „Wir bauen Verbindungen<br />

nach, um sie in biologischen Experimenten<br />

einzusetzen“, erklärt Pfrengle.<br />

Denn um die physiologische Rolle von<br />

molekularen Strukturen zu verstehen,<br />

ist es nützlich, Substanzen definierter Zusammensetzung<br />

zur Verfügung zu haben.<br />

In der Pflanze selbst liegen heterogene<br />

Gemische vor, Reinsubstanzen sind nur<br />

sehr schwierig zu gewinnen. Daher ist es<br />

oft nicht einfach, herauszufinden, welche<br />

Strukturelemente für welche Eigenschaften<br />

verantwortlich sind.<br />

Der Ansatz, genau definierte Strukturen<br />

künstlich herzustellen, um herauszufinden,<br />

welche biologische Bedeutung<br />

sie haben, kommt aus dem Bereich der<br />

„Chemischen Biologie“ oder auch „Bioorganischen<br />

Chemie“. Sie ist dabei von<br />

der „Biochemie“ zu unterscheiden, die<br />

untersucht, welche chemischen Reaktionen<br />

in lebenden Organismen ablaufen. In<br />

der „Chemischen Biologie“ wird die Chemie<br />

dagegen als Werkzeug verwendet,<br />

um etwas über die Biologie zu lernen.<br />

Die Wissenschaftler*innen haben unzählige<br />

Oligo- und Polysaccharide synthetisiert,<br />

die unterschiedlich mit bestimmten<br />

Proteinen (mit Antikörpern<br />

oder Enzymen etwa) in Wechselwirkung<br />

treten. Alle Kombinationen einzeln zu<br />

untersuchen, wäre ungeheuer aufwendig.<br />

Daher werden in Pfrengles Team<br />

Hochdurchsatzmethoden eingesetzt, sogenannte<br />

Glykan-Arrays: Viele verschiedene<br />

Verbindungen werden roboterunterstützt<br />

auf einen Glasträger gedruckt<br />

und das zu untersuchende Protein mit<br />

allen gleichzeitig in Kontakt gebracht.<br />

Ein Beispiel für die Funktionen, die Zuckerstrukturen<br />

in Pflanzen haben können,<br />

ist die Immunabwehr. „Wenn wir die<br />

besser verstehen, könnte man Pflanzen<br />

so modifizieren oder behandeln, dass<br />

sie resistenter gegen Angreifer sind“,<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

27


Adobe Stock<br />

formuliert Pfrengle ein Fernziel dieses<br />

Forschungszweigs. Das Beispiel zeige<br />

überdies, dass seine Forschung gut zur<br />

Ausrichtung der <strong>BOKU</strong> auf Themen der<br />

Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit<br />

passe. „Wir sind mit unserem Forschungsgegenstand<br />

aber ganz am Beginn der<br />

Nahrungskette und arbeiten sehr grundlagenorientiert<br />

“, so Pfrengle: „Dennoch<br />

sind auch bei unserer Forschung immer<br />

mögliche Anwendungsfelder formulierbar.<br />

Aber es ist ein recht weiter Weg dorthin,<br />

der nicht nur uns, sondern immer<br />

auch andere Partner involviert.“<br />

BERLIN – LA JOLLA –<br />

POTSDAM – WIEN<br />

Mit der Synthesechemie ist Pfrengle<br />

schon im Rahmen seiner Dissertation an<br />

der Freien Universität Berlin in Berührung<br />

gekommen. „Das war klassische organische<br />

Synthese von kleinen Wirkstoffmolekülen.<br />

Ich habe dabei aber Methoden<br />

entwickelt, die auch für die Herstellung<br />

von Kohlenhydraten gut geeignet waren“,<br />

blickt Pfrengle zurück. Der Chemiker begann<br />

sich gegen Ende seiner Doktorarbeit<br />

zu fragen, was denn eigentlich der<br />

Zweck der ausgetüftelten Synthesen ist:<br />

„Die Arbeitsgruppe, in der ich dissertiert<br />

habe, war rein chemisch orientiert.“ Die<br />

Expertise in Biologie holte er sich erst<br />

im Zuge eins Post-doc-Aufenthalts am<br />

renommierten Scripps Research Institute<br />

im kalifornischen La Jolla. Pfrengle<br />

erinnert sich noch heute gerne an die<br />

traumhafte Lage direkt am Pazifik zurück.<br />

Für einen promovierten Chemiker, der in<br />

der Molekularbiologie und Immunologie<br />

wieder ganz von vorne anfangen musste,<br />

war die Arbeit dort eine harte Schule: „Da<br />

war ich Neuling und musste noch einmal<br />

in die Rolle eines Praktikanten schlüpfen.“<br />

Die interdisziplinär orientierte Gruppe, zu<br />

der er gestoßen war, beschäftigte sich<br />

mit Glykoimmunologie, also der Rolle<br />

von Kohlenhydraten in der Immunabwehr.<br />

„Ich war dort, um zu lernen, wie<br />

man in der Biologie arbeitet, und habe<br />

im Gegenzug immer wieder Substanzen<br />

hergestellt, die gebraucht wurden.“<br />

Zurück in Deutschland, konnte er beide<br />

Stränge, die Biologie und die Chemie,<br />

miteinander verbinden. Pfrengle erhielt<br />

eine Gruppenleiterstelle am Max-Planck-<br />

Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung<br />

in Potsdam, direkt vor den Toren<br />

Berlins gelegen – in einem Department,<br />

das vom renommierten Kohlenhydratforscher<br />

Peter Seeberger geleitet wurde.<br />

Hier entdeckte er auch die Chemie der<br />

Pflanzen für sich: „Viele versuchen, Impfstoffe<br />

und ähnliches mithilfe von synthetischen<br />

Zuckern herzustellen. Aber<br />

die organische Synthesechemie im Bereich<br />

der Pflanzen einzusetzen, hatten<br />

wenige auf dem Schirm.“ Das hatte den<br />

Vorteil, noch wenig ausgetretene Pfade<br />

beschreiten und der Pflanzenforschung<br />

neue Impulse geben zu können. Mithilfe<br />

von Fördermitteln aus dem Emmy-<br />

Noether-Programm (das in Österreich<br />

mit einem Start-Preis vergleichbar ist)<br />

erhielt er 2015 die Gelegenheit, über fünf<br />

Jahre hinweg eine eigene Forschungsgruppe<br />

zu formieren. „Das schafft viele<br />

Möglichkeiten, aber auch Druck: Die<br />

28 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Privat<br />

Oben: Glykan-<br />

Array zur Untersuchung<br />

von biosynthetischen<br />

Enzymen.<br />

Links: Scan eines<br />

Glykan-Arrays.<br />

Visualisierung von<br />

pflanzlichen Zellwänden<br />

mit kohlenhydratbindenden<br />

Antikörpern. Schematische Darstellung einer pflanzlichen Primärzellwand.<br />

»Wenn wir die Immun -<br />

abwehr in Pflanzen besser<br />

verstehen, könnte man diese<br />

so modifizieren, dass sie<br />

resistenter gegen Angreifer<br />

sind. Wir sind mit unserem<br />

Forschungsgegenstand aber<br />

ganz am Beginn der<br />

Nahrungskette und arbeiten<br />

sehr grundlagenorientiert.<br />

Fabian Pfrengle<br />

Finanzierung von drei Mitarbeitern über<br />

diesen Zeitraum ist gesichert, aber eine<br />

weitere Erstreckung ist nicht möglich.<br />

Man muss sich am Ende der Laufzeit also<br />

nach Alternativen umsehen.“<br />

In dieser Situation kam die Ausschreibung<br />

der Professur an der <strong>BOKU</strong> gerade recht.<br />

„Mit Paul Kosma ist ein sehr bekannter<br />

Kohlenhydratchemiker in Pension gegangen<br />

und die <strong>BOKU</strong> hat genau jemanden<br />

auf diesem Gebiet gesucht“, sagt<br />

Pfrengle: „Ein solches Zusammentreffen<br />

ist in Europa ziemlich einzigartig.“ Entsprechend<br />

gut fügt sich die Arbeit seiner<br />

Gruppe (der frisch berufene Professor<br />

brachte drei Mitarbeiter aus Potsdam<br />

mit) in den bestehenden Schwerpunkt<br />

am Institut ein. Zudem ergaben sich bald<br />

auch Möglichkeiten der Zusammenarbeit<br />

mit Forschern anderer Departments:<br />

„Wir haben ein Enzym gefunden, das eine<br />

wichtige Rolle im Glykan-Stoffwechsel<br />

spielt. Nun untersuchen wir gemeinsam<br />

mit Georg Seifert vom Department für<br />

Angewandte Genetik und Zellbiologie,<br />

welche Eigenschaften Pflanzen haben,<br />

die dieses Enzym nicht produzieren<br />

können“, so Pfrengle. Ansatzpunkte für<br />

Kollaborationen gibt es auch mit anderen<br />

Instituten und Departments. Gemeinsam<br />

mit zehn anderen Arbeitsgruppen wurde<br />

ein großes Projekt beim FWF beantragt,<br />

das sich mit Pflanzenglykobiologie beschäftigen<br />

soll. „Für all das benötigt man<br />

Geld. Ich bin sehr viel damit beschäftigt,<br />

Anträge zu schreiben“, meint Pfrengle<br />

schmunzelnd.<br />

NEUE FORMEN DER LEHRE<br />

Stark eingebunden ist sein Institut auch<br />

in die Lehre: „Ich halte die Grundlagenvorlesung<br />

zur Organischen Chemie im<br />

Bachelor-Studium Lebensmittel- und<br />

Biotechnologie.“ Die Corona-Pandemie<br />

hat auch hier ihre Spuren hinterlassen:<br />

„Ich musste schon in meinem ersten<br />

Wintersemester an der <strong>BOKU</strong> auf Video-Vorlesungen<br />

umstellen“. Darin sieht<br />

Pfrengle aber auch eine große Chance<br />

für die Zukunft der Lehre: „Vom ‚Flipped<br />

Classroom‘ sind wir noch weit entfernt.<br />

Aber es könnte ein sinnvolles Konzept<br />

sein, dass Studierende sich zuerst daheim<br />

ein Video ansehen und dann an die Uni<br />

kommen, um gemeinsam mit Lehrenden<br />

Fragestellungen zu diskutieren und<br />

Übungen zu machen.“<br />

An die sprichwörtliche österreichische<br />

Mentalität hat sich Pfrengle schnell gewöhnt.<br />

„Manches ist gar nicht so unterschiedlich<br />

zu Deutschland. Im Vergleich<br />

zu den USA stehen uns oft die eigenen<br />

Traditionen im Weg“. Während man in<br />

Nordamerika häufig versuche, den effizientesten<br />

Weg zum Ziel zu finden, scheitere<br />

man in Mitteleuropa manchmal an<br />

Regeln, die einem keiner erklären könne.<br />

Einen Vorteil hat Österreich in diesem<br />

Zusammenhang vielleicht, wie Pfrengle<br />

festgestellt hat: „Es gibt wahrscheinlich<br />

noch mehr Regeln als in Deutschland,<br />

aber sie werden nicht ganz so strikt ausgelegt.“<br />

•<br />

Georg Sachs ist Chefredakteur der Zeitschrift<br />

Chemiereport/Austrian Life Sciences.<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

29


Zotter Schokolade<br />

„Man muss sich Zeit lassen und jedes<br />

kleine Stück bewusst genießen“<br />

Interview Ingeborg Sperl<br />

Peru: Julia Zotter mit Kakaofrüchten<br />

Weihnachtszeit ist Schokozeit. Wenn es draußen kalt und dunkel wird, braucht man einen Seelentröster.<br />

Aber wenn schon, dann einen besonders guten. Den liefert eine von Österreichs Top-Marken: Zotter<br />

Schokolade. Julia Zotter ist das Gesicht der jüngeren Generation der 1999 gegründeten steirischen Firma.<br />

30 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Sie haben an der <strong>BOKU</strong> studiert?<br />

Zotter: Ja, Lebensmittel -und Biotechnologie.<br />

Aber nicht abgeschlossen.<br />

Warum nicht?<br />

Es ist viel dazwischengekommen. Ich<br />

habe mir ein Jahr Auszeit in Paris gegönnt<br />

und die Cordon-Bleu-Akademie<br />

in den Fächern Patisserie und Cuisine<br />

absolviert.<br />

An welche <strong>BOKU</strong>-Vorlesungen erinnern<br />

Sie sich besonders gut?<br />

Ich mochte alles, was mit Fermentation<br />

zusammenhing und die kreativen Praxisbeispiele.<br />

Was war besonders schwer?<br />

Mathematik. Meine Zeit in Wien war jedenfalls<br />

prägend. Das Netzwerk von damals<br />

funktioniert toll. Der lockere Zugang<br />

der Studis zu den Professor*innen war<br />

nicht so hierarchisch, das hat mir gefallen.<br />

Zotter Schokolade<br />

Peru: Kind mit Kakaofrüchten<br />

Kakaofrüchte<br />

geben, weil bei den Bergbauern wegen<br />

der Dürre alle Beeren vertrocknet sind.<br />

Wie kommen die Kakaobohnen nach<br />

Europa?<br />

Der Kakao wird mit Containerschiffen<br />

nach Rotterdam gebracht. Im nächsten<br />

Jahr soll ein Schiff, das gerade in Sizilien<br />

zu einem Segelschiff umgebaut wird, 100<br />

Tonnen Fracht transportieren können.<br />

Da werden auch die Kakaobohnen für uns<br />

dabei sein. Es gibt sogar ein Segelschiff,<br />

das in Belize Kakao an Bord nimmt und<br />

dann entlang der Küsten nach Hamburg<br />

segelt. Das dauert zwei Monate.<br />

Wie sieht es mit dem internationalen<br />

Geschäft aus?<br />

Das Schoko-Theater in Shanghai, das<br />

von 2014 bis 2017 aufgebaut wurde, ist<br />

mein Gründer-Erlebnis gewesen. Schokolade<br />

ist beratungsbedürftig. Man muss<br />

den Menschen zeigen, wie Schokolade<br />

entsteht. In Shanghai kann man die<br />

gesamte Produktion mitverfolgen und<br />

natürlich auch verkosten. Im Moment<br />

leitet eine chinesische Mitarbeiterin das<br />

Schoko-Theater. Den Corona-Lockdown<br />

haben wir gut überstanden.<br />

Schon vor Ihrem Studium waren Sie international<br />

unterwegs. Mit 16 lebten Sie bei<br />

einer Gastfamilie in China. Warum China?<br />

Das ist eigentlich ein Zufall. Mein Name<br />

steht am Ende des Alphabets. Ich fang<br />

mit Z an, alle anderen Schüler*innen<br />

wollten in ein englischsprachiges Land<br />

wie zum Beispiel Australien. Da blieb für<br />

mich eben China übrig. Ich habe in der<br />

Zeit Chinesisch gelernt.<br />

Woher bezieht die Firma die Rohstoffe?<br />

Unsere Rohstoffe kommen aus Südamerika,<br />

Indien, Madagaskar und Afrika.<br />

Unterscheiden sich die Sorten?<br />

Ja, durchaus. Die Unterschiede ergeben<br />

sich aus den Lagen. In Westafrika ist zum<br />

Beispiel der Kakao gefälliger, der hat<br />

viele Schokonoten. In der Dominikanischen<br />

Republik ist der Röst- und Nussgeschmack<br />

kräftiger.<br />

Madagaskar: handselektierter Kakao<br />

Sortenreine Arten sind selten. Man kann<br />

verschiedene Arten mischen, die müssen<br />

aber gut ausbalanciert sein. Den Geschmackssinn<br />

kann man ähnlich wie beim<br />

Wein trainieren. Übrigens schmeckt für<br />

mich das Fruchtfleisch, das die Bohnen<br />

umhüllt, wie der Apfel Kronprinz Rudolf.<br />

Zotter Schokolade ist Mitglied der<br />

WFTO (World Fair Trade Organisation).<br />

Was heißt das?<br />

Dass das Unternehmen als Ganzes nach<br />

fairen Richtlinien geprüft wird. Kakao<br />

abseits der großen Plantagen zu kaufen<br />

bedeutet, dass sich wenige Bauern<br />

zusammentun, das heißt, die Kontrolle<br />

ist leichter. Manchmal muss man auch<br />

auf bestimmte Komponenten verzichten,<br />

weil das Klima nicht mitmacht. So<br />

wird es heuer keine Himbeerschokolade<br />

Was sind die ausgefallensten Produkte<br />

unter den 500 Schokoladensorten?<br />

Derzeit wohl die mit karamelisierten<br />

Grammeln. Die kommt an. In China ist<br />

Schoko mit Chili oder sogar mit Fischgeschmack<br />

normal. Eine Kombination mit<br />

Algenkaramel und Ananas oder Bergkäse-Schoko<br />

klingt doch auch gut. Manchmal<br />

graben wir eine Idee wieder aus, die<br />

wir verworfen hatten und sehen, dass die<br />

doch funktioniert.<br />

Werden Sie in nächster Zeit wieder reisen?<br />

Ich habe die Reisen in die Schoko-Länder<br />

eingestellt, solange es dort keine ausreichenden<br />

Impfungen gibt.<br />

Sie haben erzählt, dass Sie jeden Tag eine<br />

Tafel Schokolade essen. Wie schafft man<br />

es, dabei so toll auszusehen?<br />

Irgendetwas Minderwertiges in sich hineinzuschlingen,<br />

bringt gar nichts. Man<br />

muss sich Zeit lassen und jedes kleine<br />

Stück bewusst genießen. Qualität vor<br />

Quantität. Dabei kann man zu sich selbst<br />

kommen und Stress abbauen. •<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

31


Adobe Stock<br />

Katastrophen sind wie eine Lupe<br />

Die erwartbaren meteorologischen Extreme übertrafen diesen Sommer jede Vorstellung. Es gab zuhauf<br />

Diskussionen über Klimawandel, gescheiterte Notfallpläne, Schuldzuweisungen, Reportagen beherrschten<br />

die Medien. Ein Blick auf die Rolle der Frauen.<br />

Von Ingeborg Sperl<br />

Bilder, die sich ganz automatisch<br />

einstellen, weil sie so vertraut sind:<br />

Ein Bürgermeister, ein Feuerwehrmann,<br />

ein Soldat geben mehr oder weniger<br />

gehaltvolle Statements ab. Tage später<br />

sieht man dann Frauen, die Schlamm<br />

schaufeln, Helfer*innen bekochen und<br />

saubermachen.<br />

Das entspricht zwar längst nicht mehr<br />

der Realität, aber Klischees sind langlebig.<br />

Diese auch auf wissenschaftlicher<br />

Ebene aufzubrechen, hat sich das europäische<br />

Netzwerk „women exchange für<br />

Disaster Risk Reduction“ (we4DRR) zur<br />

Aufgabe gemacht. Gegründet wurde das<br />

Netzwerk von der Ex-Bundesministerin<br />

für Nachhaltigkeit und Tourismus, Maria<br />

Patek, und der ehemaligen Vizerektorin<br />

für Lehre, Barbara Hinterstoisser.<br />

<strong>BOKU</strong>-Absolventin Maria Patek, eine<br />

Pionierin der Wildbachverbauung, ist ein<br />

Paradebeispiel für durchsetzungsfähige<br />

Frauen in Männerjobs.<br />

Doris Damyanovic, eine der Netzwerkerinnen<br />

vom Institut für Landschaftsplanung,<br />

steht im engen Kontakt mit<br />

Wissenschaftlerinnen aus Italien, der<br />

Schweiz, Serbien, Griechenland, Großbritannien<br />

und Deutschland – hier vor<br />

allem mit Bayern, wegen dessen alpiner<br />

Lage. „Es lohnt sich, die Forscher*innen<br />

in dem besonders männlich dominierten<br />

Gebiet des Naturgefahrenmanagements<br />

zu vernetzen“, sagt Damyanovic.<br />

Die Pandemie hat zwar den direkten<br />

persönlichen Austausch innerhalb des<br />

internationalen Netzwerks verhindert<br />

– die Forscherinnen hatten sich jedes<br />

Jahr gemeinsam konkrete Projekte zum<br />

Schutz vor Naturgefahren vor Ort angeschaut<br />

–, aber, so Damyanovic „die<br />

Onlinekontakte haben gut funktioniert“.<br />

Ein Leitfaden zur Verknüpfung von Gender<br />

und Naturgefahren ist kurz vor der<br />

Fertigstellung. Die Materie ist außerordentlich<br />

komplex. An der <strong>BOKU</strong> arbeiten<br />

verschiedene Institute zusammen,<br />

vom technischen Ingenieurwissen, der<br />

Raumordnung bis zu sozioökonomischen<br />

Aspekten ist hier alles relevant.<br />

Damyanovic: „Jeder kennt zumindest<br />

die Kernbotschaften aus dem IPCC-Bericht,<br />

wonach die Klimaveränderungen<br />

unausweichlich sein werden. Bei uns in<br />

Österreich wird es wohl hauptsächlich<br />

um Hitze, Dürre und Wasserversorgung<br />

gehen. Extreme Ereignisse werden potenziell<br />

häufiger, die materiellen Schäden<br />

größer, unter anderem, weil wir in<br />

32 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Adobe Stock<br />

REFERENZPROJEKTE:<br />

O GIACLIM (2013–2014) Gender<br />

Impact Assessment im Kontext<br />

der Klimawandelanpassung und<br />

Naturgefahren; gefördert durch:<br />

StartClim – Österreich<br />

O CCCapMig (2016–2019) Climate<br />

Change Adaptation and Protection<br />

from Natural Hazards:<br />

Capacity Building for People with<br />

Migration Background in Austria;<br />

gefördert durch: Klima- und Energiefonds<br />

Österreich<br />

O EXTEND (2017–2018) Dokumentation<br />

von physischen und<br />

sozialen Aspekten der Folgen von<br />

Extremwetterereignissen; gefördert<br />

durch: StartClim, Österreich<br />

O we4DRR (laufend): we4DRR.net<br />

Österreich mehr besitzen. Wir haben<br />

außerdem als Gebirgsland nicht endlos<br />

besiedlungsfähigen Raum zur Verfügung,<br />

daher müssen wir technische Lösungen<br />

entwickeln, um die Schäden möglichst<br />

gering zu halten.“ Auch hier ist die Lage<br />

komplex. Zum Beispiel die Frage nach<br />

Grenzen der Beherrschbarkeit der Natur,<br />

der Umgang mit Risiken, oder der<br />

Anpassung an mögliche Ereignisse, was<br />

durch zahlreiche psychologische Faktoren<br />

beeinflusst wird und kaum objektiv<br />

zu bewerten ist.<br />

Die Theorie ist das eine, die Praxis das<br />

andere. Welche Auswirkungen haben<br />

Naturgefahren auf einzelne Personengruppen?<br />

Welche Rolle spielen Herkunft,<br />

Geschlecht und sozioökonomischer Status?<br />

Was fördert ein genderspezifischer<br />

Blick auf das Risikomanagement zutage?<br />

Wie erreicht man Migrant*innen? Woher<br />

kommen diese, beziehungsweise welche<br />

Erfahrungen bringen sie mit? Was kann<br />

man machen, um die Eigenvorsorge zu<br />

steigern?<br />

Fragen über Fragen, denen sich Karin<br />

Weber und ihre Kolleg*innen gestellt haben.<br />

Weber, die Landschaftsplanung studiert<br />

hat, war 2002 nach dem Hochwasser<br />

im Kamptal mit den Erfahrungen ihrer<br />

betroffenen Bekannten konfrontiert und<br />

ist so quasi in ihre Themen „hineingerutscht“.<br />

Dass in den Gefahrenzonen<br />

wieder etwas Neues hingebaut wurde,<br />

habe sie beschäftigt. Untersuchungen<br />

in Steyr-Kirchdorf und im Triestingtal<br />

haben teils überraschende Ergebnisse<br />

zutagegefördert. Es wurden viele Interviews<br />

geführt, manche, sagt Weber, seien<br />

emotional fordernd gewesen. Zum Beispiel<br />

eine Frau, die ihr erzählt habe, wie<br />

sie in der Nacht über einen Berg flüchten<br />

musste und große Angst hatte, auszurutschen,<br />

und bei Regen oft an dieses<br />

traumatische Ereignis erinnert wird.<br />

Dass die Risikokommunikation grundlegend<br />

verbessert werden muss, steht<br />

außer Frage. Wichtig ist dabei die Freiwillige<br />

Feuerwehr, in der sich längst auch<br />

Frauen engagieren. Eine Möglichkeit:<br />

Von Tür zu Tür zu gehen und das persönliche<br />

Gespräch zu suchen, wobei<br />

bei Migrant*innen oft unzureichende<br />

Sprachkenntnisse im Wege stehen. Mehr<br />

Migrant*innen in der Freiwilligen Feuerwehr<br />

wären schon aus diesem Grund<br />

wünschenswert. Die viel erwähnten diversen<br />

Warn-Apps könnten natürlich<br />

auch nützlich sein. Aber, gibt Weber zu<br />

bedenken, „es reicht nicht aus, die App<br />

am Handy zu installieren. Tagesaktuelle<br />

Warnungen müssten lokal angepasst und<br />

ernst genommen werden.“ Und wann<br />

soll wirklich Alarm geschlagen werden?<br />

„Wenn dann doch nichts passiert, werden<br />

die Leute lethargisch. Schwindendes<br />

Vertrauen in die Politik tut ein Übriges.“<br />

Apropos Vertrauen. Ein höchst überraschendes<br />

Resultat der Befragungen<br />

lautet, dass 63 Prozent der Frauen trotz<br />

Schutzbauten weitere Risiken fürchteten,<br />

während 66 Prozent der Männer auf<br />

die Technik vertrauten und sich sicher<br />

fühlten. Frauen bereiten demgemäß<br />

häufiger „Packages“ mit den wichtigsten<br />

Dokumenten und anderem vor, um diese<br />

Dinge im Notfall schnell in Sicherheit<br />

bringen zu können.<br />

Anpassung an prekäre Situationen kann<br />

also sehr divers ausfallen. Ein pragmatisches<br />

Beispiel: „Ein Ergebnis fand ich<br />

nicht unlogisch“, berichtet Weber. „Da<br />

Migrant*innen statistisch gesehen seltener<br />

Besitzer*innen von Häusern sind,<br />

sondern meist zur Miete wohnen, treffen<br />

sie Vorkehrungen auf ihre eigene Weise.<br />

Die unteren Räume, die in Gefahr sind<br />

vollzulaufen und dann auch länger feucht<br />

bleiben, werden als Lagerfläche genutzt,<br />

die oberen Stockwerke werden bewohnt.“<br />

Die Rolle von Wissenschaftler*innen und<br />

Frauen bei Naturkatastrophen bietet<br />

jedenfalls bedenkenswerte Aspekte. Webers<br />

Resümee: „Katastrophen sind wie<br />

eine Lupe, die zeigt, was in einer Gesellschaft<br />

gut läuft und wo die Mängel sind.“<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

33


Wasant foodtography<br />

Reifenabrieb erzeugt mehr als die<br />

Hälfte der Mikroplastik-Emissionen<br />

Als größte Staubemittenten entpuppten sich Lkws mit 57 Prozent, gefolgt von Pkws mit 41 Prozent.<br />

Man kennt sie: Übeltäter wie Plastiksackerl<br />

und PET-Flaschen, die<br />

sich durch Umwelteinflüsse in<br />

immer kleiner werdende Fragmente zerlegen.<br />

Florian Part und sein Forscher*innenteam<br />

vom Institut für Abfallwirtschaft<br />

an der Universität für Bodenkultur Wien<br />

untersuchen ein weiteres schweres Kaliber:<br />

den Reifenabrieb auf Österreichs<br />

Straßen.<br />

Ganze 2,4 Kilogramm Reifenabriebpartikel<br />

jährlich, etwa das Gewicht einer<br />

kleinen Wassermelone, emittiert jede<br />

Person auf unseren Straßen. Das entspricht<br />

neun Prozent aller Staubemissionen<br />

hierzulande, die nicht durch Abgase,<br />

sondern durch Reifenabrieb im Verkehr<br />

entstehen. „So gelangen pro Jahr rund<br />

21.200 Tonnen Mikroplastikpartikel in die<br />

Umwelt“, betont Florian Part. Das macht<br />

rund 60 Prozent der gesamten Mikroplastikemissionen<br />

aus – und den Verkehr<br />

somit zur größten Mikroplastikquelle.<br />

VOM REIFENABRIEB IN<br />

DEN MENSCHLICHEN KÖRPER<br />

Gemeinsam mit seinem Team führte Part<br />

eine Materialflussanalyse für Fahrzeugreifen<br />

durch. Aus gefahrenen Kilometern<br />

und Abriebmessungen – aus dem Labor<br />

sowie von der Straße – erstellten die<br />

Forschenden eine Massenbilanz. „Neu<br />

an unserer Studie: Erstmals bezogen wir<br />

alle Kfz-Klassen inklusive Transitverkehr<br />

mit ein“, erläutert Part. Als größte Staubemittenten<br />

entpuppten sich Lkws mit 57<br />

Prozent, jedoch dicht gefolgt von Pkws<br />

mit 41 Prozent. Die Ergebnisse zeigen:<br />

In Österreich bleiben 80 Prozent des<br />

Reifengummis in Gebrauch, 14 Prozent<br />

werden wiederverwendet, recycelt, verbrannt<br />

oder exportiert und sechs Prozent<br />

landen durch Abrieb als Mikroplastik auf<br />

der Straße. Anders ausgedrückt: Ein acht<br />

Kilogramm schwerer Reifen verliert in<br />

drei Jahren und auf 60.000 Kilometern<br />

rund ein Fünftel seiner Masse. Von der<br />

Straße gelangt das Mikro- und Nanoplastik<br />

in die Luft, in Gewässer und den<br />

Boden. Von mit Reifenabrieb kontaminierten<br />

Böden via Nutzpflanzen sowie in<br />

Straßennähe schlicht über die Atemwege<br />

erreichen diese Kleinstpartikel schließlich<br />

auch den menschlichen Körper.<br />

BESONDERS GESUNDHEITS-<br />

GEFÄHRDEND: ULTRAFEINSTAUB<br />

Zum sogenannten Mikroplastik zählen<br />

Plastikpartikel mit einer Größe von unter<br />

fünf Millimetern. „Je kleiner die Partikel<br />

sind, desto leichter gelangen sie in die<br />

Lunge und im schlimmsten Fall von dort<br />

in den Blutkreislauf“, so Part. Das erhöht<br />

die Toxizität von sogenannten Nanopartikeln,<br />

also Plastikteilchen unter 100<br />

34 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Nanometer, was weniger als dem Zehntausendstel<br />

eines Millimeters entspricht.<br />

Von den 21.200 Tonnen an Mikroplastik<br />

pro Jahr sind 600 Tonnen kleiner als fünf<br />

Mikrometer (


KK<br />

Das ICA Board traf sich an der ältesten Universität Flanderns, der KU Leuven.<br />

ICA Rectors and Deans Forum <strong>2021</strong><br />

Neue Strategie im Rahmen der Generalversammlung von den Mitgliedern genehmigt.<br />

Von Hubert Hasenauer<br />

Von 21. bis 22. Oktober <strong>2021</strong> fand<br />

die Generalversammlung des<br />

Rectors and Deans Forum <strong>2021</strong><br />

von ICA, der Association of European<br />

Life Sciences an der Faculty of Bioscience<br />

Engineering, KU Leuven (Belgien),<br />

statt. ICA wurde 1988 gegründet<br />

und besteht aus mehr als 50 Universitäten,<br />

die im Bereich der Agrar- und Forstwissenschaften,<br />

Lebensmittelproduktion<br />

und Bio-Ökonomie tätig sind. Die<br />

Vereinigung besteht aus insgesamt drei<br />

Arbeitsgruppen und acht unabhängigen<br />

ICA Komitees und wird derzeit von der<br />

Universität Wageningen und der <strong>BOKU</strong>,<br />

vertreten durch Arthur Mol und Hubert<br />

Hasenauer, geleitet.<br />

Im vergangenen Jahr hat ICA eine neue<br />

Strategie erarbeitet, die im Rahmen der<br />

Generalversammlung von den Mitgliedern<br />

genehmigt wurde. Die Ziele der<br />

neuen Strategie sind die Unterstützung<br />

und Verbesserung der Ausbildung, der<br />

Forschung und Innovation, Schaffung<br />

einer Plattform zur Zusammenarbeit<br />

und Vertretung der Mitglieder sowie<br />

Ansprechpartner für die Europäischen<br />

Institutionen. Um diese neue Strategie<br />

auch operativ umsetzen zu können, wird<br />

derzeit zur Verstärkung des Sekretariates<br />

eine Person gesucht, die insbesondere die<br />

Kontakte zwischen den Mitgliedern und<br />

der EU-Kommission in Brüssel verbessern<br />

soll. Nähere Infos: www.ica-europe.info<br />

Beim ICA-Forum im Vorfeld der Weltklimakonferenz<br />

COP26 unterzeichneten<br />

die rund 70 Rektor*innen, Dekan*innen<br />

und das Senior Management Europas<br />

führender Life Science-Universitäten<br />

ein Kommuniqué, das Klimawandel und<br />

Klimaneutralität in den Mittelpunkt<br />

ihrer Lehre und Forschung stellt – und<br />

der Politik Rückhalt bei ihren gesellschaftspolitischen<br />

Entscheidungen geben<br />

will.<br />

•<br />

Zum Kommuniqué<br />

36 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Bundespräsident zu Besuch<br />

beim <strong>BOKU</strong>-Nachhaltigkeitstag<br />

Alexander Van der Bellen diskutierte mit Studierenden und betonte, dass „die Kernkompetenzen der <strong>BOKU</strong><br />

in den vergangenen 50 Jahren zu brisanten Anliegen für eine nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft<br />

geworden sind“.<br />

Rektor Hubert Hasenauer begrüßt Bundespräsident<br />

Alexander Van der Bellen an der <strong>BOKU</strong>.<br />

In reger Diskussion mit Studierenden: (v. l.) Iris Oberklammer (Institut für Waldbau),<br />

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Laura Hundscheid (Institut für<br />

Entwicklungsforschung, Doctoral School), Koime-Simon Kouacou (Zentrum für<br />

Globalen Wandel & Nachhaltigkeit, Beetle ForTech-Mitgründer).<br />

<strong>BOKU</strong> Medienstelle/Christoph Gruber<br />

Alexander Van der Bellen ist ein<br />

Bundespräsident, den Themen<br />

wie Umwelt- und Klimaschutz<br />

schon seine ganze politische Karriere<br />

lang begleiten. Dass der ehemalige Universitätsprofessor<br />

für Volkswirtschaftslehre<br />

die Universität für Bodenkultur<br />

Wien ausgerechnet zum Nachhaltigkeitstag<br />

besuchte, war daher kein terminlicher<br />

Zufall, sondern eine Herzensangelegenheit.<br />

„Die <strong>BOKU</strong> nimmt in der österreichischen<br />

Universitätenlandschaft eine ganz<br />

besondere Rolle ein. Ihre Kernkompetenzen<br />

sind in den vergangenen 50 Jahren<br />

zu brisanten Anliegen für eine nachhaltige<br />

Entwicklung in der Gesellschaft<br />

geworden“, so Van der Bellen. „Die wissenschaftliche<br />

Evidenz zur Dringlichkeit<br />

der Klimakrise wurde von Politik und<br />

Wirtschaft jedoch lange Zeit verschlafen.<br />

Jetzt kann man es aber nicht mehr übersehen.“<br />

Vier Tage vor der UN-Klimakonferenz<br />

im schottischen Glasgow gab sich<br />

der Bundespräsident nachdenklich: „Die<br />

COP26 wird zeigen, wer die Botschaft<br />

begriffen hat und wer nicht. Insgesamt<br />

bin ich aber zuversichtlich, dass wir die<br />

Klimakrise meistern werden“.<br />

Besonderes Interesse zeigte Van der Bellen<br />

an der modernen, internationalen<br />

Ausrichtung der Universität und am neu<br />

gegründeten <strong>BOKU</strong> Activities Supporting<br />

Entrepreneurship (<strong>BOKU</strong>:BASE).<br />

„Das Thema Nachhaltigkeit stellt sich uns<br />

an der <strong>BOKU</strong> nicht als Problem, sondern<br />

als Lösung“, so Rektor Hubert Hasenauer<br />

bei der Begrüßung. „Unter dem Dach der<br />

<strong>BOKU</strong>:BASE fördern wir das unternehmerische<br />

Denken und Handeln unserer<br />

Wissenschaftler*innen – von der Grundlagenforschung<br />

über Innovation Labs bis<br />

hin zur Firmengründung.“<br />

„DAS RÜSTZEUG<br />

BEKOMMEN SIE HIER MIT“<br />

Im großen Hörsaal des TÜWI nahm der<br />

Bundespräsident anschließend beherzt<br />

an einer Diskussion mit Studierenden<br />

teil. Wofür lohnt es sich heute zu kämpfen?<br />

Wie können wir Bürger*innen dafür<br />

gewinnen, dass sie von der Klimakrise<br />

nicht gelähmt sind, sondern aktiv werden?<br />

Diese und andere Fragen bewegten<br />

Bachelor- und Masterstudierende der<br />

<strong>BOKU</strong> ebenso wie Doktorand*innen und<br />

Postdocs. „Es wird Innovation und Verhaltensänderung<br />

brauchen. Ein nicht unkompliziertes<br />

Geflecht aus Checks and<br />

Balances“, so Van der Bellen. Auf die Frage,<br />

was er als ehemaliger Universitätsprofessor<br />

den Studierenden mitgeben<br />

wolle, antwortete der Bundespräsident:<br />

„1. Studieren ist ein Privileg. 2. Die <strong>BOKU</strong><br />

ist modern und international vernetzt –<br />

nützen Sie das! Und 3. Es wird auch auf<br />

Sie, die Studierenden der <strong>BOKU</strong>, ankommen,<br />

ob der Umbau in Richtung einer<br />

nachhaltigen Gesellschaft gelingt. Das<br />

Rüstzeug dazu bekommen Sie hier mit.“<br />

Der Nachhaltigkeitstag wird vom Zentrum<br />

für globalen Wandel und Nachhaltigkeit<br />

der <strong>BOKU</strong> seit 2015 ausgerichtet<br />

und bietet jährlich eine Bühne für Menschen<br />

und Initiativen, die sich für mehr<br />

Nachhaltigkeit engagieren. •<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

37


GENDER &<br />

DIVERSITY<br />

Mein Leben – Mein Studium –<br />

Meine Erkrankung<br />

Jakob Mitterhauser spricht über seine seltene Erbkrankheit und möchte anderen nach dem<br />

Motto: „Akzeptiere, was du nicht ändern kannst, und ändere, was du nicht akzeptieren kannst!“<br />

Mut machen.<br />

Von Ruth Scheiber-Herzog<br />

Jakob Mitterhauser ist 28 Jahre alt,<br />

gebürtiger Weinviertler und lebt seit<br />

einigen Jahren in Wien, wo er das individuelle<br />

Masterstudium Stadtklimatologie<br />

und Stadtraumentwicklung an der<br />

<strong>BOKU</strong> absolviert. Seine Biografie liest<br />

sich wie eine von vielen anderen Studierenden<br />

– bis auf den Unterschied, dass<br />

Jakob Mitterhauser vor zehn Jahren die<br />

Diagnose Friedreich Ataxie (FA) – eine<br />

seltene neurologische, fortschreitende<br />

Erbkrankheit – erhielt, was sein Leben<br />

entschieden geändert hat.<br />

Im Teenageralter machten sich die ersten<br />

körperlichen Anzeichen mit Skoliose und<br />

Gleichgewichtsproblemen bemerkbar,<br />

was für sein Alter und für ihn als eifrigen<br />

und guten Sportler eher ungewöhnlich<br />

war. Aber die körperlichen Auffälligkeiten<br />

wurden mehr und es folgten zahlreiche<br />

Untersuchungen bei verschiedensten<br />

Ärzt*innen ohne zufriedenstellende<br />

Ergebnisse. Tatsächlich dauerte es noch<br />

zwei weitere Jahre bis zur Diagnose<br />

Friedreich Ataxie. „Anfangs habe ich<br />

die Krankheit verdrängt. Mit 18 Jahren<br />

wollte ich, so wie viele Jugendliche, Bäume<br />

ausreißen. Ich habe studiert und drei<br />

Jahre in Folge ein Leistungsstipendium<br />

erhalten“, meint Jakob Mitterhauser auf<br />

die Frage, wie er mit der Diagnose umgegangen<br />

sei.<br />

NEUE LEBENSPHILOSOPHIE<br />

In den vergangenen Jahren hat sich<br />

Jakob Mitterhauser intensiv mit seiner<br />

schweren Krankheit auseinandergesetzt,<br />

seine Lebensphilosophie verändert und<br />

einen Wandel seines Lebens erfahren. In<br />

der Psychotherapie hat Jakob gelernt,<br />

dass man sich Hilfe holen kann. Er hat<br />

gelernt: „Die Diagnose kann ich nicht<br />

ändern, ich muss sie akzeptieren. Aber<br />

die Prognose kann ich verändern, und<br />

die kann ich mir nur selbst geben, nicht<br />

der Arzt!“<br />

Zu Fixpunkten in seinem Leben werden<br />

die Meditation, das Reisen und das Zusammensein<br />

mit seiner Familie und Freund*innen.<br />

„Kraft geben mir meine großartige<br />

Familie und meine Freunde. Mut geben<br />

mir Vorbilder, Kollegen in den USA und<br />

Europa, an welchen ich sehe, was alles<br />

möglich ist. Wir nennen uns „FAmily“,<br />

wir unterstützen uns gegenseitig. So wie<br />

ich Vorbilder habe, darf auch ich Vorbild<br />

für andere sein. Ende November 2018<br />

hatten wir das erste Europatreffen der FA,<br />

das ich selbst organisiert habe.“ Im Rahmen<br />

von Veranstaltungen hat Jakob auch<br />

bereits <strong>BOKU</strong>-Workshops zum Thema<br />

„Meditation und Achtsamkeit“ gehalten.<br />

Jakob Mitterhauser ist zuversichtlich,<br />

dass es bald doch noch große Fortschritte<br />

in der Erforschung der Friedreich<br />

Ataxie geben wird und dass man<br />

die Krankheit medizinisch bekämpfen<br />

kann. Aktuell befindet sich ein Medikament<br />

im Zulassungsverfahren der FDA,<br />

das voraussichtlich im Sommer 2022 in<br />

den USA und sechs bis zwölf Monate<br />

später in Europa verfügbar sein wird. Es<br />

soll Symptome lindern und den Verlauf<br />

stoppen beziehungsweise verbessern.•<br />

Die Friedreich Ataxie ist eine fortschreitende<br />

neurologische Krankheit,<br />

die im Allgemeinen im Kindesalter<br />

oder im frühen Erwachsenenalter einsetzt.<br />

Es gibt weltweit rund 15.000<br />

Betroffene. In Mitteleuropa ist zirka<br />

eine von 50.000–100.000 Personen<br />

betroffen. Der Friedreich-Ataxie<br />

liegt eine Degeneration der spinocerebellären<br />

Bahnen und des Kleinhirns<br />

zugrunde und die Krankheit führt zu<br />

Gleichgewichtsstörungen, Störungen<br />

der Tiefensensibilität sowie verschiedenen<br />

anderen Symptomen. Die<br />

Krankheit beeinträchtigt jedoch in der<br />

Regel nicht die intellektuellen Fähigkeiten.<br />

Wie bei allen degenerativen<br />

Krankheiten kann der Verlauf je nach<br />

Person langsamer oder rascher sein.<br />

Rund 80 Prozent der seltenen Erkrankungen<br />

sind genetisch bedingt,<br />

also angeboren. Viele dieser Erkrankungen<br />

sind lebensbedrohlich oder<br />

führen zu Invalidität. Die meisten<br />

verlaufen chronisch: Sie lassen sich<br />

nicht heilen, Betroffene sind somit<br />

dauerhaft auf ärztliche Behandlung<br />

angewiesen. Der Weg zu einer Diagnose<br />

ist oftmals weit und wirksame<br />

Therapien sind rar. Die Behandlung<br />

und Betreuung erfordert von den<br />

Patient*innen und ihren Familien viel<br />

Kraft und oft auch viel Geld.<br />

Quelle: Pro Rare Austria<br />

Das Leben von Jakob Mitterhauser<br />

wurde <strong>2021</strong> auch<br />

filmisch porträtiert.<br />

Zum Internationalen Tag der<br />

Menschen mit Behinderung<br />

am 3. 12.<br />

DI in Ruth Scheiber-Herzog leitet die Koordinationsstelle<br />

für Gleichstellung, Diversität und Behinderung.<br />

38 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


GENDER &<br />

DIVERSITY<br />

Who cares und wo steht denn das geschrieben?<br />

Der Gleichstellungsplan der <strong>BOKU</strong><br />

und seine CAREseiten<br />

Von Martina Fröhlich<br />

Am 20. Juni 2020 wurde zusätzlich<br />

zum Frauenförderungsplan<br />

erstmalig der Gleichstellungsplan<br />

als Teil der Satzung der Universität für<br />

Bodenkultur Wien (<strong>BOKU</strong>) veröffentlicht.<br />

Die <strong>BOKU</strong> kommt damit einem<br />

gesetzlichen Erfordernis zur Umsetzung<br />

der verfassungsrechtlichen Vorgaben<br />

zur tatsächlichen Gleichstellung nach<br />

und schreibt darin fest, „soziale Diskriminierungen<br />

von Personen zu verhindern<br />

und die Chancengleichheit sowie Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Studium mit<br />

familiären Pflichten an der Universität<br />

zu verbessern.“<br />

Neben der Schaffung von Rahmenbedingungen<br />

zur Erleichterung der Sorgepflichten<br />

von pflegenden Angehörigen in<br />

Form einer erweiterten Pflegefreistellung<br />

sind auch Maßnahmen zur Entwicklung<br />

und Durchführung von Angeboten zur<br />

Unterstützung von Studierenden mit familiären<br />

Pflichten, beispielsweise in der<br />

Endphase des Studiums (Masterarbeit/<br />

Doktorarbeit) geplant. Ziel ist, die Studierenden<br />

zu motivieren – etwa durch Motivations-<br />

und Schreibcoachings – und die<br />

gleichzeitige Entlastung durch entsprechende<br />

Kinderbetreuung. Nach bereits<br />

erfolgreichen Projekten zur Wissensvermittlung<br />

an Kinder und Jugendliche ist die<br />

Implementierung von neuen Projekten für<br />

Kinder mit erschwertem Bildungszugang<br />

zur Wissenschaftsvermittlung und zur<br />

Sensibilisierung im Bereich Gender und<br />

Diversität ebenso Teil der Maßnahmen.<br />

Der aus sechs Abschnitten bestehende<br />

Gleichstellungsplan hält in Abschnitt F<br />

die Ziele der <strong>BOKU</strong> hinsichtlich Vereinbarkeit<br />

fest und zeichnet hier für die<br />

Entwicklung und Umsetzung vereinbarkeitsfördernder<br />

Maßnahmen verantwortlich.<br />

Dazu gehören auch Aufgaben<br />

zur thematischen Sensibilisierung und<br />

Bewusstseinsbildung.<br />

Weitere Details zur Vereinbarkeit von<br />

Beruf und Studium mit familiären Pflichten<br />

können dem <strong>BOKU</strong> Gleichstellungsplan<br />

(Abschnitt F) entnommen werden.<br />

Mit dem Beitritt der <strong>BOKU</strong> zu dem im<br />

deutschen Sprachraum angesiedelten<br />

Verein Familie in der Hochschule und der<br />

Unterzeichnung der Charta „Familie in<br />

der Hochschule“ im Juni <strong>2021</strong> sowie der<br />

Zusammenarbeit im interuniversitären<br />

Netzwerk UniKid-UniCare Austria (UUA)<br />

setzt die <strong>BOKU</strong> bereits erste Maßnahmen<br />

um.<br />

Die neue Online-Veranstaltungsreihe<br />

„CAREseiten zeigen“ ist ein Projekt<br />

des Netzwerks UniKid-UniCare Austria<br />

(UUA), das auf die Herausforderungen<br />

der Sorgearbeit aufmerksam machen<br />

möchte.<br />

Die Vorträge und der Diskurs richten sich<br />

an Angehörige von Universitäten und<br />

werden einmal pro Semester online angeboten.<br />

Gemeinsam können die Netzwerkuniversitäten<br />

zu CAREseiten ein<br />

breites Spektrum an Know-how bieten,<br />

welches den Mitarbeitenden und Studierenden<br />

aller österreichischen Universitäten<br />

im Rahmen der Veranstaltungsreihe<br />

zugutekommen möge.<br />

Die Auftaktveranstaltung fand am<br />

23.11.<strong>2021</strong> statt, weitere Informationen<br />

zur Veranstaltungsreihe unter LINKS. •<br />

LINKS<br />

<strong>BOKU</strong> Gleichstellungsplan<br />

(Abschnitt F)<br />

https://boku.ac.at/fileadmin/data/<br />

H01000/H10220/homepage/Satzung/<br />

Gleichstellungsplan_01.01.<strong>2021</strong>.pdf<br />

Familie in der Hochschule<br />

https://www.familie-in-der-hochschule.de<br />

https://www.unikid-unicare.at<br />

Online-Veranstaltungsreihe<br />

„CAREseiten zeigen“<br />

https://boku.ac.at/lehrentwicklung/<br />

newsitem/66017<br />

https://www.unikid-unicare.at/veranstaltungen-ankuendigungen-rueckblicke/careseiten-zeigen-eine-veranstaltungsreihe-des-netzwerks-unikid-unicare-austria_89<br />

KONTAKT<br />

DI in DPäd. in Martina Fröhlich<br />

martina.froehlich@boku.ac.at<br />

Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen<br />

akglboku@boku.ac.at<br />

Koordinationsstelle für Gleichstellung,<br />

Diversität und Behinderung<br />

kostelle@boku.ac.at<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

39


<strong>BOKU</strong><br />

SPLITTER<br />

Die einflussreichsten<br />

Forscher*innen der Welt<br />

Jedes Jahr ermittelt Clarivate Analytics die einflussreichsten<br />

Forscher*innen der Welt, die in den letzten zehn Jahren von<br />

ihren Kolleg*innen am häufigsten zitiert wurden. Im Jahr<br />

<strong>2021</strong> haben weniger als 6.700 – das ist rund ein Prozent der<br />

weltweiten Forscher*innen – diese exklusive Auszeichnung<br />

erhalten. Darunter fünf, die an der Universität für Bodenkultur<br />

Wien tätig sind und fortan zu jener Gruppe von Wissenschaftler*innen<br />

gehören, die für ihren außergewöhnlichen<br />

Einfluss auf die weltweite Forschung anerkannt wird.<br />

WE PROUDLY PRESENT<br />

Sophie Zechmeister-<br />

Boltenstern vom<br />

Institut für Bodenforschung<br />

Fridolin Krausmann<br />

vom Institut für<br />

Soziale Ökologie<br />

Karl-Heinz Erb vom<br />

Institut für Soziale<br />

Ökologie<br />

Erwin Schmid vom<br />

Institut für Nachhaltige<br />

Wirtschaftsentwicklung<br />

Helmut Haberl vom<br />

Institut für Soziale<br />

Ökologie<br />

Highly Cited<br />

Researchers<br />

<strong>2021</strong><br />

<strong>BOKU</strong><br />

Diethard Mattanovich<br />

neuer Chair der International<br />

Commission on Yeasts<br />

Diethard Mattanovich, Leiter des Institutes für Mikrobiologie<br />

und Mikrobielle Biotechnologie am Department für<br />

Biotechnologie wurde im August dieses Jahres zum Chair<br />

der International Commisson on Yeasts gewählt.<br />

Die Internationale Hefekommission<br />

(International Commission on<br />

Yeasts, ICY) wurde 1966 in Bratislava<br />

als Council for Yeast Research gegründet<br />

und setzt sich aus führenden<br />

Spezialist*innen auf dem Gebiet<br />

der Hefeforschung zusammen. Im<br />

Jahr 1971 wurde der Rat in die International<br />

Union of Microbiological<br />

Societies (IUMS) integriert. Die ICY ist jetzt eine Kommission<br />

unter der Abteilung für Mykologie und eukaryotische Mikrobiologie<br />

der IUMS.<br />

Die ICY ist sehr aktiv bei der<br />

Organisation von jährlichen<br />

Konferenzen zu verschiedenen<br />

Disziplinen der Hefeforschung,<br />

um eine internationale Vernetzung<br />

und einen Austausch auf<br />

höchstem wissenschaftlichen<br />

Niveau zu ermöglichen. Der<br />

letzte International Congress<br />

on Yeasts (ICY15) fand im August<br />

<strong>2021</strong> unter der Schirmherrschaft<br />

der <strong>BOKU</strong> und von<br />

Diethard Mattanovich statt. Aufgrund der globalen Situation<br />

musste auch dieser Kongress in einen virtuellen Modus umgewandelt<br />

werden, was aber dem regen Austausch der rund<br />

700 Wissenschaftler*innen aus aller Welt keinen Einhalt<br />

gebot. Ganz im Gegenteil – die Gastgeber*innen machten<br />

aus der Not eine Tugend und konnten erfolgreich einen<br />

zweiten großen Kongress „The International Conference on<br />

Yeast Genetics and Molecular Biology (ICYGMB30)“ in das<br />

diesjährige Meeting einbinden.<br />

Universität Wien wird Mitglied der Nachhaltigkeitsallianz<br />

Am 9. November unterzeichneten Rektor Heinz W.<br />

Engl und Vizerektorin Regina Hitzenberger das Memorandum<br />

of Understanding im Beisein von <strong>BOKU</strong>-<br />

Rektor Hubert Hasenauer. In der Allianz Nachhaltige<br />

Universitäten Österreich bündeln die Mitgliedsuniversitäten<br />

ihre Kräfte, um gemeinsam Nachhaltigkeit<br />

in den Bereichen Lehre, Forschung, Betrieb, Universitätsmanagement<br />

und Wissensaustausch zu stärken.<br />

Mit dem Beitritt der Universität Wien freut sich die<br />

Allianz über ihr 19. Mitglied.<br />

Allianz Nachhaltige<br />

Universitäten in<br />

Österreich<br />

40 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Clemens Fabry<br />

<strong>BOKU</strong><br />

<strong>BOKU</strong> Forschungsservice:<br />

New support for your Horizon<br />

Europe projects!<br />

Since October <strong>2021</strong>, new project<br />

manager for Horizon Europe – Lada<br />

Fialova – has been appointed.<br />

Lada has a long-term expertise in<br />

preparation and submission of Horizon<br />

2020 projects as well as with<br />

consultancy in the field of project<br />

drafting. She is ready to help you with<br />

any aspect related to Horizon Europe<br />

projects, e. g.:<br />

O Proposal revision (check of overall proposal structure,<br />

project idea, help with non-scientific parts such as Impact,<br />

Implementation, Dissemination, Communication etc.)<br />

O Budget calculation<br />

O Help with Funding and Tender Portal (PIC number, registration<br />

etc.)<br />

O Development of project idea to be in line with the call<br />

topic and expected impact and results<br />

O Partner search<br />

• Beneficiary description<br />

O Providing information on new calls and topics<br />

In case you need any help with your Horizon Europe proposal,<br />

do not hesitate to contact: lada.fialova@boku.ac.at,<br />

+43 1 47654-33014.<br />

<strong>BOKU</strong>-Erfindung des Jahres<br />

Mit dem Preis „<strong>BOKU</strong>-Erfindung des Jahres“ würdigte<br />

die Universität für Bodenkultur Wien die herausragendste<br />

Forschungsleistung im Bereich schutzfähiger Innovationen<br />

aus dem vergangenen Jahr. Die Preisträger <strong>2021</strong> sind (1. R.<br />

v. l.) Sabrina Bischof, MSc., Univ.Prof. DI Dr. Georg Gübitz,<br />

DI Dr. Andreas Ortner und PD Dr. Gibson Stephen Nyanhongo<br />

für ihr neuartiges und vollständig auf natürlichen<br />

Rohstoffen basierendes Biohydrogel als ökologische Lösung<br />

für Dürreperioden.<br />

Rafaela Pröll<br />

Wissenschaf[f]t<br />

Zukunft-Preis für<br />

Dr. in Claudia Gusenbauer<br />

Claudia Gusenbauer hat ihre Dissertation<br />

zum Thema „Chemical-Force<br />

Mikroskopie zur Charakterisierung<br />

funktionalisierter nachwachsender<br />

Rohstoffe“ im Jänner <strong>2021</strong> verteidigt<br />

und arbeitet seither als Universitätsassistentin<br />

am <strong>BOKU</strong>-Institut für Holztechnologie<br />

und Nachwachsende Rohstoffe<br />

in Tulln. Nun wurde sie für ihre<br />

Dissertation mit dem Wissenschaf[f]t Zukunft Preises der<br />

Gesellschaft für Forschungsförderung (GFF) des Landes<br />

Niederösterreich ausgezeichnet. In ihrer prämierten Arbeit<br />

testete sie die Möglichkeiten der hochauflösenden Mikroskopietechnik<br />

an unbehandelten und chemisch modifizierten<br />

Holzoberflächen aus, um das grundlegende Verständnis<br />

von funktionalisierten Holzmaterialien zu verbessern.<br />

<strong>BOKU</strong>-Erfolg bei den ELLS<br />

Konferenzen <strong>2021</strong><br />

Bei der diesjährigen Scientific<br />

Student Conference<br />

der Euroleague for Life Sciences haben drei <strong>BOKU</strong> Studierende<br />

Präsentations-Preise erhalten: Anne-Laure Girard,<br />

Nazli Golestani und Thomas Zankl. Wir gratulieren herzlich!<br />

Die ELLS Konferenzen wurde von der Warsaw University of<br />

Life Sciences von 18.-20. November teilweise hybrid und<br />

teilweise online organisiert. Insgesamt hatten sich 98 <strong>BOKU</strong><br />

Studierende und Mitarbeiter*innen dafür angemeldet.<br />

Im Rahmen der ELLS General Assembly & Forum zum<br />

Thema “Actions towards a more sustainable future,<br />

lesson learned from the crisis” tauschten Rektor*innen,<br />

Lehrende, „Support Teams“ und Studierendenvertreter*innen<br />

der sieben Mitgliedsuniversitäten und der<br />

internationalen Partner*innen ihre Erfahrungen aus.<br />

Dabei wurde auch Organisations-Team der ersten online<br />

ELLS Konferenzen 2020 an der <strong>BOKU</strong> (insbesondere Kyrill<br />

Sattlberger, Ulrike Piringer und die <strong>BOKU</strong>-Vertreter*innen<br />

der ELLS Student Association ELSA Nora Korp, Sarah Moser<br />

und Sarah Sperrer) mit dem ELLS Award ausgezeichnet.<br />

Die Scientific Student Conference “Green (r)evolution:<br />

from molecules to ecosystems” bot den Studierenden die<br />

Möglichkeit, ihre Bachelor- und Masterarbeiten vorzustellen<br />

und erste Konferenzluft zu schnuppern.<br />

Schon jetzt möchten wir alle <strong>BOKU</strong>-Studierenden und<br />

-Lehrenden herzlich zur ELLS General Assembly & Forum<br />

und zur Scientific Student Conference 2022 einladen:<br />

22.-24. September 2022, Czech University of Life Sciences<br />

(vor Ort). boku.ac.at/ells<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

41


FORSCHUNG: FAQ<br />

peachfreepix<br />

Technologietransfer<br />

WAS IST EIN AUFGRIFF?<br />

Machen Sie im Rahmen Ihres Dienstverhältnisses<br />

eine Erfindung, liegt eine<br />

sogenannte Diensterfindung vor. Diese<br />

kann Ihre Dienstgeberin gemäß §7 des<br />

Patentgesetzes in Anspruch nehmen.<br />

Für eine Universität gilt zudem auch<br />

§106 des Universitätsgesetzes – sie<br />

hat für den Aufgriff der Rechte an der<br />

Erfindung drei Monate Zeit. Diese Frist<br />

beginnt ab dem Tag, an dem die Erfindung<br />

dem Technologietransfer vollständig<br />

gemeldet wurde und beinhaltet<br />

neben dem vollständig ausgefüllten<br />

Erfindungsformular auch die Klärung<br />

des rechtlichen Hintergrundes. Welche<br />

Verträge liegen der Erfindung zugrunde?<br />

Liegt eine Kooperation mit Firmenpartner*innen<br />

vor? Die Universität<br />

muss durch den Aufgriff sicherstellen,<br />

selbst im Besitz der Rechte zu sein,<br />

um diese an etwaige Interessent*innen<br />

übertragen zu können. Nur so ist die<br />

Rechtssicherheit für eine potenzielle<br />

Patentanmeldung gewährleistet und<br />

ein Transfer von der Wissenschaft in die<br />

Wirtschaft überhaupt möglich.<br />

WAS IST EIN PATENT?<br />

Ein Patent ist ein gewerbliches Schutzrecht<br />

für technische Erfindungen (Produkte<br />

und Verfahren). Ein*e Patentinhaber*in<br />

darf gemäß §22 des Patentgesetzes<br />

Dritten verbieten, die Erfindung<br />

herzustellen, anzubieten, zu verkaufen<br />

oder gewerblich zu nutzen. Er/Sie ist<br />

zudem berechtigt, diese Rechte selbst<br />

zu verkaufen oder Lizenzen daran zu<br />

vergeben. Der Schutz eines Patentes ist<br />

territorial und zeitlich begrenzt, d. h. er<br />

erstreckt sich nur auf das jeweilige Land,<br />

in dem es erteilt wurde und beträgt ab<br />

dem Tag der Erstanmeldung maximal 20<br />

Jahre. Zunächst wird das Patent angemeldet<br />

und in weiterer Folge wird vom<br />

jeweiligen Patentamt geprüft, ob dieses<br />

tatsächlich erteilt werden kann. Die<br />

Erteilung eines Patentes ist ein langer<br />

Prozess, der mehrere Jahre dauern kann<br />

und mit hohen Kosten verbunden ist.<br />

PATENTIEREN ODER PUBLIZIEREN?<br />

Publizieren und patentieren schließen<br />

sich gegenseitig nicht aus. Allerdings<br />

ist eine Erfindung im Falle einer vorhergehenden<br />

Publikation nicht mehr neu<br />

und damit auch nicht mehr patentfähig.<br />

Die Erfindung sollte zuerst zum Patent<br />

angemeldet werden, danach kann diese<br />

umgehend publiziert werden. Auch auf<br />

Vorträge, Poster oder sonstige Veröffentlichungen<br />

muss daher zunächst<br />

verzichtet werden, um die Patentierung<br />

nicht zu gefährden.<br />

Darja Österle<br />

Von Lisa-Ariadne Schmidt<br />

MTA UND CDA – WOZU?<br />

Auch ohne einen Patentschutz haben<br />

die Ergebnisse jahrelanger Forschungsarbeit<br />

einen hohen Wert, ihr<br />

Austausch findet jedoch oft ungeregelt<br />

statt. Um hierbei Konflikte zu<br />

vermeiden, bedarf es einer vertraglichen<br />

Regelung durch Material Transfer<br />

Agreements (MTAs) und Confidential<br />

Disclosure Agreements (CDAs).<br />

MTAs regeln den Austausch/die Überlassung<br />

von biologischem Material zu<br />

Forschungszwecken. Dazu zählt vor<br />

allem die Regelung des Eigentums am<br />

ursprünglichen, aber auch am veränderten<br />

bzw. neu geschaffenen Material.<br />

Durch CDAs verpflichten sich die<br />

Partner*innen zur vertraulichen Behandlung<br />

aller im Zuge des Projektes<br />

ausgetauschten Informationen, Daten,<br />

etc. Das ist in Hinblick auf eine eventuelle<br />

spätere Patentierung zwingend<br />

notwendig.<br />

•<br />

KONTAKT<br />

Lisa-Ariadne<br />

Schmidt, MSc.<br />

lisa.schmidt@<br />

boku.ac.at<br />

42 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


<strong>BOKU</strong>:BASE Eröffnungsfeier<br />

Von Team <strong>BOKU</strong>:BASE<br />

Ein unerwartetes Forschungsergebnis, eine ganz neu gedachte Technologie oder ein<br />

nachhaltiges Produkt, all das kann am Ende genau jener „Zünder“ für die Veränderung<br />

sein, die wir brauchen. Und damit auch der Kompass für die Zukunft, in die wir steuern.“<br />

Bundespräsident Alexander Van der Bellen<br />

<strong>BOKU</strong><br />

<strong>BOKU</strong><br />

C. Obinger, W. Harreither, D. Schmidt<br />

<strong>BOKU</strong> START-UP <strong>2021</strong>:<br />

Nourivit Technologies GmbH<br />

Die Diskutant*innen von links: Michaela Amstötter-Visotschnig, Raphaela Hellmayr, Julia Zotter,<br />

Elisabeth Denk (Moderation, Leiterin des Forschungsservice), Alfons Konrad Felice, Daniel Paul<br />

Komuczki.<br />

Mit diesen motivierenden Worten<br />

an die <strong>BOKU</strong> und an das<br />

Team der <strong>BOKU</strong>:BASE und<br />

einer Begrüßung durch das Rektorat<br />

fiel der Startschuss für den feierlichen<br />

Eröffnungsabend. Am 30. September<br />

durften rund 70 Personen im Ilse-Wallentin-Haus<br />

der Eröffnungsfeier der BO-<br />

KU:BASE (<strong>BOKU</strong> Activities Supporting<br />

Entrepreneurship) beiwohnen, weitere<br />

70 waren online im Livestream mit dabei.<br />

Nach den Begrüßungsworten des Rektorats<br />

hat uns Julia Zotter mit einer inspirierenden<br />

Keynote den Abend versüßt.<br />

Sie fand sich auch am Podium wieder, das<br />

im Anschluss zum Thema „Impact durch<br />

Innovation – Unternehmerisches Denken<br />

und Handeln an der <strong>BOKU</strong>“ diskutierte.<br />

Weitere Fragen, die debattiert wurden,<br />

waren unter anderem nachhaltiges<br />

Unternehmertum, Scheitern und Risiko<br />

und natürlich die Rolle der <strong>BOKU</strong> für<br />

zukünftige Entwicklungen in diesen Themenfeldern.<br />

Die Diskutant*innen plauderten aus dem<br />

Nähkästchen und berichteten von überwundenen<br />

Hürden und Rückschlägen,<br />

die wohl zum Gründen dazugehörten und<br />

auch ein essentieller Teil auf dem Weg<br />

hin zu einem stabilen Unternehmen sind.<br />

Auf genau diesem Weg möchte die<br />

<strong>BOKU</strong>:BASE und ihr Team mit Rat und<br />

Tat zur Seite stehen, um Ideen und Forschungsergebnisse<br />

aus der Universität<br />

erfolgreich in die Gesellschaft zu transferieren.<br />

Zum Abschluss der Veranstaltung wurde<br />

feierlich der <strong>BOKU</strong> Startup-Preis an die<br />

Nourivit Technologies GmbH verliehen.<br />

Wir danken allen Mitwirkenden und Gästen<br />

für ihre Beiträge zu diesem gelungenen<br />

Abend! <br />

•<br />

Die Nourivit Technologies GmbH<br />

bietet eine einfach zu handhabende,<br />

nachhaltige und erschwingliche Alternative<br />

zu Agrochemikalien. Das<br />

<strong>BOKU</strong> Spin-off hat ein Produktportfolio<br />

entwickelt, das auf leistungsstarken<br />

Mikroben (Bakterien und Hefen)<br />

und nährstoffreichem Kalzium basiert.<br />

Diese natürlichen, mikrobiellen Biostimulanzien<br />

ermöglichen es Landwirt*innen<br />

und den mit ihnen verbundenen<br />

Händler*innen, konstante<br />

Erträge zu erzielen und gleichzeitig<br />

die Verwendung von synthetischen<br />

Düngemitteln, Fungiziden und auch<br />

Antibiotika zu reduzieren. Darüber<br />

hinaus helfen die Produkte dabei,<br />

CO 2<br />

-Emissionen in der Landwirtschaft<br />

zu verringern.<br />

https://nourivit.com/<br />

LINK<br />

base.boku.ac.at<br />

KONTAKT<br />

base@boku.ac.at<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

43


Strategische Kooperation<br />

<strong>BOKU</strong>–UMWELTBUNDESAMT<br />

Aktuelle und zukünftige Schwerpunkte<br />

der Zusammenarbeit<br />

Von Helmut Gaugitsch und Rosemarie Stangl<br />

Ein wesentliches Ziel der Strategischen<br />

Kooperation <strong>BOKU</strong>-Umweltbundesamt<br />

besteht in der gemeinsamen<br />

Bearbeitung von Themen, die zu<br />

einer nachhaltigen Entwicklung und der<br />

dringend notwendigen Transformation<br />

von Wirtschaft und Gesellschaft beitragen.<br />

In den Jahren 2020 und <strong>2021</strong> haben wir<br />

im Beirat aktuelle, gesellschaftlich und<br />

für die Forschung relevante Schwerpunktthemen<br />

diskutiert, um Synergien<br />

zu nutzen und die Expertise der beiden<br />

Häuser gezielt in gemeinsame Projekte<br />

einzubringen.<br />

Die Schwerpunktthemen knüpfen an<br />

wichtige Elemente des aktuellen österreichischen<br />

Regierungsprogramms an<br />

und orientieren sich an internationalen<br />

Entwicklungen wie dem EU Green Deal<br />

und den Zielen für nachhaltige Entwicklung<br />

der Vereinten Nationen (Sustainable<br />

Development Goals).<br />

LANDNUTZUNG, BODENVER-<br />

BRAUCH UND RAUMORDNUNG<br />

Im Jahr 2020 wurde zwar weniger Boden<br />

neu beansprucht als 2019, Bodenverbrauch<br />

und Bodenversiegelung liegen<br />

aber nach wie vor auf zu hohem Niveau.<br />

Diese Entwicklung ist nicht nur auf die<br />

Zunahme von Bautätigkeiten und somit<br />

auf die Verbauung von Flächen zurückzuführen,<br />

sondern auch auf eine<br />

widersprüchliche Baulandwidmung.<br />

Die Grundsätze von Klimaschutz und<br />

Energiewende sind inhaltlich nicht abgestimmt<br />

und stehen nicht im Einklang<br />

mit den Raumordnungsgesetzen. Die<br />

Raumordnungspläne beinhalten innovative<br />

Aspekte zu Bodenschutz und<br />

Energieraumplanung, hinterlassen aber<br />

Lücken und Zielkonflikte bis zur örtlichen<br />

Ebene. Die Priorisierung von Geschäftsbauten<br />

zieht zwar Verpflichtungen zu<br />

Parkflächen und -plätzen nach sich, vernachlässigt<br />

jedoch Grünland- und Naturraumkonzepte.<br />

GRÜNE INFRASTRUKTUREN,<br />

NACHHALTIGE STADT- UND<br />

GEMEINDEENTWICKLUNG<br />

Nachhaltige Stadt- und Siedlungsentwicklung<br />

ist eng mit Klimawandelanpassung<br />

verknüpft. Viele Städte, Gemeinden<br />

und Länder stehen noch vor<br />

der Aufgabe, Anpassungsstrategien zu<br />

entwickeln und operative Projekte umzusetzen.<br />

Urbane Frei- und Grünräume<br />

stehen hier besonders im Fokus. Eine<br />

Herausforderung für Gemeinden und<br />

Städte ist der Nutzungsdruck, dem meist<br />

nachgegeben wird. Landnutzung, Landschaft<br />

und Biodiversitätsschutz sind miteinander<br />

in Einklang zu bringen.<br />

Gegenüber grünen Infrastrukturen herrschen<br />

auch Ressentiments, insbesondere<br />

wird damit ein schwer bewältigbarer Aufwand<br />

für ihre Pflege verbunden. Aufklärung,<br />

Überzeugungs- und Sensibilisierungsarbeit<br />

sowie Beteiligungsprozesse<br />

sind notwendig, um die Akzeptanz zu<br />

fördern. Fachliches Know-how zur korrekten<br />

Planung, Ausführung, Umsetzung,<br />

Erhaltung und Nachsorge von grüner<br />

Infrastruktur fehlen vielerorts und sind<br />

zur Verfügung zu stellen.<br />

PHOTOVOLTAIK<br />

Die Notwendigkeit zum PV-Ausbau ergibt<br />

sich aus den Klimazielen und dem<br />

Erneuerbaren Ausbau Gesetz. Damit<br />

steigt der Druck auf Freiflächen durch<br />

Großinfrastrukturen und Großinvestoren.<br />

Auch raumplanerisch ist das Thema<br />

Freiflächen-PV hochaktuell und wurde<br />

in den Bundesländern (etwa Steiermark,<br />

Kärnten) aufgegriffen. Auch die möglichen<br />

Auswirkungen auf die Umwelt und<br />

die biologische Vielfalt sowie mögliche<br />

Bewertungsinstrumente wurden bisher<br />

nicht ausreichend betrachtet. Im Rahmen<br />

der Strategischen Kooperation wird<br />

versucht, diese Fragen in Zusammenarbeit<br />

mit den Bundesländern zu klären.<br />

BIOÖKONOMIE<br />

Das <strong>BOKU</strong> Zentrum für Bioökonomie<br />

und das Umweltbundesamt arbeiten in<br />

diesem Schwerpunkt gemeinsam an der<br />

inhaltlichen Umsetzung der österreichischen<br />

Bioökonomiestrategie und ihrer<br />

Leuchtturmprojekte. In naher Zukunft<br />

soll es zum Aufbau eines Bioökonomie-<br />

Netzwerkes als Vorbereitung eines Bioökonomie-Clusters<br />

in Österreich kommen.<br />

Darüber hinaus wurde am 30. November<br />

gemeinsam eine internationale<br />

Bioökonomie-Konferenz organisiert. Ihr<br />

Titel: Die Bioökonomie als Beitrag zu<br />

einer nachhaltigen Entwicklung – wie die<br />

Transformation gelingen kann.<br />

WASSER<br />

Wasser ist seit vielen Jahren ein zentrales<br />

Thema der Strategischen Kooperation<br />

<strong>BOKU</strong>–Umweltbundesamt. Vor<br />

Kurzem wurden die Ergebnisse des gemeinsamen,<br />

sehr erfolgreichen Projektes<br />

„Wasserschatz Österreich“ im Auftrag<br />

des BMLRT veröffentlicht. Dieses wird<br />

auf den folgenden Seiten genauer vorgestellt.<br />

44 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Bernhard Gröger<br />

Adobe Stock<br />

LESSONS LEARNED UND AUSBLICK<br />

Die Nutzung des Naturraums und der<br />

Landschaft spielt eine essentielle Rolle für<br />

eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung.<br />

Bisher konnte das nationale Ziel,<br />

den Bodenverbrauch auf täglich 2,5 ha<br />

zu reduzieren, bei Weitem nicht erreicht<br />

werden. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern,<br />

fühlt sich die Strategische<br />

Kooperation verpflichtet, Verwaltung<br />

und Öffentlichkeit zu sensibilisieren und<br />

Projekte zu entwickeln. Herausforderungen<br />

bestehen auch in damit zusammenhängenden<br />

Bereichen wie dem Klimaschutz,<br />

dem Schutz und der nachhaltigen<br />

Nutzung der biologischen Vielfalt sowie<br />

der Kreislaufwirtschaft, wobei der Umgang<br />

mit Ziel- und Nutzungskonflikten<br />

immer bedeutsamer wird. Die Stärke<br />

der Strategischen Kooperation liegt darin,<br />

aktuelle Ziel- und Nutzungskonflikte<br />

rasch aufzugreifen und die fachlichen<br />

Grundlagen für mögliche Lösungen im<br />

Zuge von Projekten zu entwickeln. Auch<br />

das beharrliche Verfolgen von Themen<br />

ist sehr wichtig, selbst wenn zunächst<br />

eine Projektumsetzung schwierig ist, wie<br />

es das Beispiel der Bioökonomie zeigt.<br />

Hier ist die Strategische Kooperation ein<br />

wichtiges Instrument, um durch frühe<br />

Schwerpunktsetzung und Themeninitiativen<br />

die Transformation von Wirtschaft<br />

und Gesellschaft und ihre nachhaltige<br />

Entwicklung voranzutreiben. •<br />

Ingeborg Sperl Bernhard Gröger<br />

LINK<br />

Falls Sie Ideen<br />

oder Interesse für<br />

eine Zusammenarbeit<br />

haben,<br />

treten Sie<br />

bitte mit uns<br />

in Kontakt.<br />

Beiratsvorsitz:<br />

Helmut Gaugitsch &<br />

Rosemarie Stangl<br />

http://short.boku.ac.at/fos_<br />

stratkoopbokuu<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

45


Strategische Kooperation<br />

<strong>BOKU</strong>–UMWELTBUNDESAMT<br />

Wasserschatz Österreichs<br />

Wie viel Wasser haben wir, wie viel brauchen wir? Eine neue Studie von Umweltbundesamt, <strong>BOKU</strong> Wien und<br />

Ingenieurbüro Holler im Auftrag des BMLRT zeigt erstmals österreichweit regionale Herausforderungen in<br />

der Wasserverfügbarkeit bis 2050. Von Helga Lindinger, Grundwasser-Expertin im Umweltbundesamt, für das Projektteam<br />

Österreich zählt zu den wasserreichsten<br />

Regionen der Welt. Quellen,<br />

Flüsse und Seen prägen häufig das<br />

Landschaftsbild. Diese Wasservorkommen<br />

und das nicht sichtbare Grundwasser<br />

sind wesentliche Grundlagen für die<br />

Trinkwasserversorgung, die Sicherung<br />

der landwirtschaftlichen Produktion, für<br />

Industrie, Gewerbe und den Tourismus.<br />

Die Studie Wasserschatz Österreichs liefert<br />

die nötige Grundlage, um die Grundwasserressourcen<br />

nachhaltig zu schützen<br />

und zu nutzen.<br />

Damit hat das Bundesministerium für<br />

Landwirtschaft, Regionen und Tourismus<br />

(BMLRT) die Erarbeitung detaillierter<br />

Fachgrundlagen für die wasserwirtschaftliche<br />

Planung und für Vorsorgemaßnahmen<br />

beauftragt. Sie zeigen<br />

den derzeitigen Wasserbedarf in ganz<br />

Österreich und die Entwicklungen in<br />

den nächsten 30 Jahren im Lichte des<br />

Klimawandels. Über zwei Jahre haben<br />

Expert*innen des Umweltbundesamts,<br />

der Universität für Bodenkultur Wien<br />

(<strong>BOKU</strong>) und des Ingenieurbüros Holler<br />

dafür in Zusammenarbeit mit den neun<br />

Bundesländern und relevanten Stakeholdern<br />

an der Studie gearbeitet.<br />

GRUNDWASSER IM FOKUS<br />

Aufbauend auf den aktuellen Nutzungen<br />

und verfügbaren Ressourcen wurden<br />

in der Studie Szenarien der Grundwassernutzung<br />

bis 2050 entwickelt. Denn<br />

„Österreichs Grundwasser ist ein Schatz,<br />

den wir behüten müssen. Nur durch einen<br />

achtsamen Umgang mit unseren Wasserressourcen<br />

und nachhaltige Nutzungen<br />

Umweltbundesamt/Elisabeth Stadler<br />

Almbrunnen<br />

stellen wir sicher, dass dieser Schatz auch<br />

kommenden Generationen als hervorragende<br />

Lebensgrundlage zur Verfügung<br />

steht“, erklärt Bundesministerin Elisabeth<br />

Köstinger. Für die realistische Abschätzung<br />

der möglichen Auswirkungen des<br />

Klimawandels auf Wasserressourcen und<br />

-bedarf wurden wissenschaftlich anerkannte<br />

Klimaszenarien (ÖKS15 Klimaszenarien)<br />

mit den Auswirkungen möglicher<br />

sozioökonomischer Veränderungen (z. B.<br />

Bevölkerungsentwicklung, Veränderungen<br />

in der Landwirtschaft und Industrie)<br />

verschnitten und regional differenziert<br />

für ganz Österreich dargestellt.<br />

Der gesamte jährliche Wasserbedarf<br />

in Österreich liegt derzeit bei etwa 3,1<br />

Milliarden m³. Rund 60 Prozent (ca. 1,9<br />

Milliarden m³) werden aus Oberflächengewässern<br />

entnommen. Der überwiegende<br />

Anteil davon wird als Kühlwasser<br />

für Industrie und Gewerbe genutzt, das<br />

in der Regel ortsnah wieder in die Gewässer<br />

rückgeführt wird. Rund 40 Prozent<br />

des gesamten Wasserbedarfes (1,2<br />

Mrd. m³) werden aus dem Grundwasser<br />

gedeckt.<br />

FAKTOR KLIMAWANDEL<br />

Der Klimawandel hat schon heute Einfluss<br />

auf die verfügbare Wassermenge<br />

und den Wasserbedarf. Trockenperioden<br />

und Extremwetterereignisse nehmen<br />

zu. Der Anstieg der Lufttemperatur und<br />

die damit verbundenen Änderungen bei<br />

den Niederschlägen, der Verdunstung<br />

und der Vegetationsperiode wirken sich<br />

direkt auf die Wasserressourcen aus. Generell<br />

rechnet man für Österreich mit<br />

einer saisonalen Verlagerung der Niederschläge,<br />

mehr Niederschlag im Winter<br />

und Frühjahr und weniger im Sommer<br />

und Herbst.<br />

WASSERBEDARF NIMMT<br />

BIS 2050 DEUTLICH ZU<br />

Die Wasserschatz-Studie zeigt, dass der<br />

Wasserbedarf für die Wasserversorgung,<br />

inklusive Trinkwasser, aktuell zur Gänze<br />

aus dem Grundwasser über Brunnenentnahmen<br />

und Quellnutzungen gedeckt<br />

wird. Der aktuelle Bedarf für die Wasserversorgung<br />

von 753 Millionen m³ pro<br />

Jahr kann sich bis 2050 um 11–15 Prozent<br />

erhöhen. Das führt österreichweit<br />

zu einem künftigen Wasserbedarf von<br />

830–850 Millionen m³ pro Jahr. In einzelnen<br />

Gemeinden kann er aufgrund von<br />

Bevölkerungszunahme und Klimawandel<br />

um bis zu 50 Prozent steigen.<br />

Österreichweit ist der Anteil der landwirtschaftlichen<br />

Bewässerung am gesamten<br />

Wasserbedarf mit rund 69 Mio. m³<br />

46 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Bernhard Gröger<br />

Trockenheit ist ein Thema in Österreichs Landschaften.<br />

pro Jahr gering und auf wenige Regionen<br />

in Ostösterreich und zeitlich auf die Vegetationsperiode<br />

konzentriert. Bis 2050<br />

kann sich der Bedarf beinahe verdoppeln.<br />

Industrie und Gewerbe ist mit etwa<br />

2.210 Millionen m³ pro Jahr der Sektor<br />

mit dem größten Wasserbedarf.<br />

GRUNDWASSERRESSOURCEN<br />

ZUNEHMEND UNTER DRUCK<br />

Aktuell kann der Bedarf aus dem Grundwasser<br />

nachhaltig gedeckt werden.<br />

Durch die Auswirkungen des Klimawandels<br />

könnten die verfügbaren Grundwasserressourcen<br />

in Österreich bis 2050<br />

im bundesweiten Durchschnitt um bis zu<br />

23 Prozent abnehmen. Die zu erwartenden<br />

Veränderungen sind jedoch regional<br />

sehr unterschiedlich ausgeprägt, in Teilbereichen<br />

können die Ressourcen um<br />

über 30 Prozent abnehmen. Bis 2050<br />

ergibt ein angenommenes Szenario mit<br />

abnehmenden Niederschlägen, kombiniert<br />

mit den Folgen des Klimawandels,<br />

dass in einigen Regionen Österreichs<br />

die Ausnutzungsgrade der Grundwasserressourcen<br />

weiter steigen und die Anzahl<br />

der Gebiete mit sehr hoher Ausnutzung<br />

zunehmen werden. Ohne entsprechende<br />

Gegenmaßnahmen könnte der künftige<br />

Bedarf in einigen Regionen die verfügbaren<br />

Ressourcen sogar übersteigen.<br />

NEUE ZUKUNFTSPLATTFORM<br />

WASSER<br />

Um die Wasserressourcen Österreichs<br />

effizient unter Berücksichtigung des<br />

Klimawandels zu nutzen, setzt das<br />

BMLRT auf Dialog. Gemeinsam mit<br />

den Bundesländern, Stakeholdern und<br />

Sozialpartner*innen werden die Ergebnisse<br />

der Studie in der neuen Zukunftsplattform<br />

Wasser diskutiert und konkrete<br />

Maßnahmen erarbeitet. Denn Wissen<br />

ist der Schlüssel zum Handeln, um<br />

die Wasserversorgung auch künftig in<br />

allen Regionen Österreichs sicherzustellen.<br />

•<br />

LINK<br />

Studie<br />

https://info.bmlrt.gv.at/themen/wasser/<br />

nutzung-wasser/wasserschatzoesterreichs-studie.html<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

47


Strategische Kooperation<br />

<strong>BOKU</strong>–UMWELTBUNDESAMT<br />

Aktuelle Themen in den<br />

Kooperationsprojekten<br />

Gemeinsame Projekte zwischen Kolleg*innen<br />

von <strong>BOKU</strong> und Umweltbundesamt stellen die<br />

breite Palette an Themenfeldern dar.<br />

Von Florian Borgwardt, mit Beiträgen von Christiane Brandenburg 1 , Eugenio Diaz-Pines 1 , Veronika Gaube 1 , Felix Heckl 2 ,<br />

Gudrun Obersteiner 1 , Thomas Dirnböck 2 , Christoph Plutzar 2 , Michael Weiß 2<br />

Oftmals spielen Umweltprozesse,<br />

wie z. B. der Klimawandel, eine<br />

wichtige Rolle in den Projekten. So<br />

adressiert das Projekt EXtreme weather<br />

events and soil greenhouse gas fluxes<br />

in Austrian FORests (EXAFOR) Klimaschutz<br />

und Klimawandelanpassung. EXA-<br />

FOR fokussiert auf den Wald und seine<br />

Böden. Diese sind für das Klimasystem<br />

von entscheidender Bedeutung, da sie<br />

große Mengen an Treibhausgasen (THG)<br />

mit der Atmosphäre austauschen. Aktuell<br />

gelten die österreichischen Wälder als<br />

Netto-Senke von THG, d. h. sie mindern<br />

aktiv die THG-Konzentrationen in der<br />

Atmosphäre. Dies kann sich jedoch durch<br />

den Klimawandel ändern. Durch extreme<br />

Wetterereignisse (wie zum Beispiel Dürre<br />

oder Starkregenfälle) verändern sich<br />

die Bodenprozesse, was sich wiederum<br />

auf die Klimabilanz des Waldbodens auswirken<br />

kann. Diese Prozesse werden an<br />

drei hoch instrumentierten Waldstandorten<br />

untersucht, indem ex treme Wetterereignisse<br />

simuliert werden. Diese<br />

Daten werden verwendet, um ein prozessbasiertes<br />

Modell zu erstellen und zu<br />

verbessern, um darauf aufbauend eine<br />

THG-Bilanz ausgewählter österreichischer<br />

Waldstandorte unter zukünftigen<br />

Klimawandel-Szenarien zu erstellen.<br />

Die genannten Waldstandorte spielen<br />

auch in einer weiteren Kooperation<br />

eine wesentliche Rolle. Sie sind Teil<br />

des sogenannten LTER-Netzwerkes,<br />

das als Teil der ökologischen Langzeitforschung<br />

in Österreich einen Beitrag<br />

zum europäischen LTER leistet. Dieses<br />

Messstation am Umweltbundesamt-LTER-Standort Zöbelboden.<br />

erarbeitet aktuell, unterstützt durch<br />

das EU-Forschungsrahmenprogramm<br />

Horizon2020, die Grundlagen für eine<br />

EU-weite Forschungsinfrastruktur. Dazu<br />

arbeiten <strong>BOKU</strong> und Umweltbundesamt<br />

im Advanced Community Project for the<br />

eLTER Research Infrastructure (eLTER<br />

PLUS) zusammen und gestalten dabei<br />

den Prozess zur Weiterentwicklung der<br />

Forschungsinfrastruktur in Österreich<br />

und Europa führend mit.<br />

LTER beforscht allerdings nicht nur die<br />

Ökologie, sondern adressiert auch sozio-ökonomische<br />

Aspekte. Das Zusammenspiel<br />

von Umwelt und Gesellschaft<br />

erforscht das Projekt Managing Climate<br />

cHange impacts on land use and EcoSystem<br />

Services (CHESS). Für den Zeitraum<br />

2015 bis 2050 wird der Einfluss von sozioökonomischen<br />

Rahmenbedingungen<br />

(wie z. B. Subventionen, Preise, intrinsische<br />

Präferenzen) in Kombination mit<br />

durch Klimawandel verursachte Landnutzungsänderungen<br />

in zwei Forschungsregionen<br />

in Österreich untersucht.<br />

Radfahren und Mountainbiken erlebte<br />

in den letzten Jahren und durch Corona<br />

verstärkt einen deutlichen Aufschwung.<br />

Die intensivere Nutzung des Naturraums<br />

führt jedoch auch zu Nutzungskonflikten.<br />

Das Projekt Empfehlungen für regionale<br />

und nachhaltige Mountainbike-Konzepte<br />

F. Rokop/Umweltbundesamt<br />

48 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


T. Kager/<strong>BOKU</strong><br />

Messungen (Eddy-Kovarianz-Anlage) auf dem Heuberg am <strong>BOKU</strong> LTER-Standort Rosalia.<br />

(ErniMTB) widmet sich der Freizeit- und<br />

Erholungsnutzungsart Mountainbiken<br />

unter Einbeziehung der unterschiedlichen<br />

Nutzungsinteressen, welche sich<br />

rund um die Thematik „Mountainbiken in<br />

der Natur“ entwickeln. Ziel ist es, nachhaltige,<br />

integrative und attraktive Mountainbike-Konzepte<br />

für Österreichs Regionen<br />

und Bundesländer zu entwickeln.<br />

Zur Betrachtung der unterschiedlichen<br />

Aspekte von Mountainbiken in Österreich<br />

werden Fallstudien auf regionaler<br />

Ebene (Regionen Pinzgau und Wienerwald)<br />

und auf Ebene der Bundesländer<br />

(Oberösterreich und Tirol) durchgeführt.<br />

Ein intensiver Austausch mit den verschiedenen<br />

Interessensgruppen ermöglicht<br />

die Analyse von Gemeinsamkeiten<br />

und Unterschieden der jeweiligen Fallstudien<br />

sowie dem Sammeln von Erfahrungen<br />

zu Partizipationsprozessabläufen.<br />

Die nachhaltige Nutzung von Umweltressourcen<br />

spielt auch im Projekt Angelfischerei<br />

und Nachhaltigkeit (AFiN) eine<br />

entscheidende Rolle. In AFiN, dessen<br />

Finanzierung über die Ländliche Entwicklung<br />

erfolgt, wird vom Umweltbundesamt<br />

geleitet und vom Institut für Hydrobiologie<br />

und Gewässermanagement der<br />

<strong>BOKU</strong> wissenschaftlich begleitet. Gemeinsam<br />

mit Interessensvertreter*innen<br />

der Angelfischerei in Österreich wurde<br />

in AFiN ein breiter Diskussionsprozess<br />

gestartet, in dem unter anderem herausgearbeitet<br />

wird, was Nachhaltigkeit<br />

in der österreichischen Angelfischerei<br />

bedeuten kann und welche Beiträge die<br />

Angelfischerei zur Erreichung der UN-<br />

Nachhaltigkeitsziele bereits leistet bzw.<br />

noch leisten könnte<br />

Auch die letzte Projekt-Kurzvorstellung<br />

hat mit Nachhaltigkeit zu tun. Trotz des<br />

europaweit fortgeschrittenen Abfallmanagements<br />

zeigt sich nach wie vor<br />

ein hohes Aufkommen von Plastikverschmutzung<br />

in der Umwelt, insbesondere<br />

von Mikro- als auch Makroplastik in Flüssen,<br />

wie der Donau. Aus diesem Grund<br />

Jürgen Pletterbauer<br />

konzentriert sich das Projekt F(ol)low<br />

the Plastic from source to the sea: Tisza-<br />

Danube integrated action plan to eliminate<br />

plastic pollution of river (Tid(y)Up)<br />

auf die Verbesserung der Wasserqualität<br />

und die Verringerung der Verschmutzung<br />

durch Plastik in der Donau und ihrer<br />

Zubringer (Fokus Theiß) von der Quelle<br />

bis zum Schwarzen Meer. Da es derzeit<br />

keine Standardmethode sowie konsistente<br />

Daten über die Verschmutzung<br />

von Flüssen durch Plastik gibt, zielt Tid(y)<br />

Up darauf ab, Methoden zur Schätzung<br />

des Ausmaßes der Verschmutzung zu<br />

standardisieren. <br />

•<br />

1 Universität für Bodenkultur Wien<br />

2 Umweltbundesamt<br />

KONTAKT<br />

DI Dr. Florian<br />

Borgwardt<br />

florian.borgwardt@<br />

boku.ac.at<br />

http://short.boku.<br />

ac.at/fos_<br />

stratkoopbokuu<br />

<strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong><br />

49


Affiliation Policy<br />

Diese Richtlinie wurde am 30. September <strong>2021</strong> im <strong>BOKU</strong>-<br />

Mitteilungsblatt veröffentlicht und ist damit in Kraft<br />

getreten. Die Richtlinie behandelt die Zugehörigkeit<br />

der wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter*innen<br />

der <strong>BOKU</strong> und wie diese bei Publikationen<br />

und anderen Forschungsleistungen wie Anträgen, Projekten,<br />

Patenten oder in Social-Media-Beiträgen der <strong>BOKU</strong> korrekt<br />

anzugeben ist.<br />

Ziel ist es, die <strong>BOKU</strong> als Universität und auch die ihr angehörenden<br />

Departments, Institute etc. einheitlich nach<br />

außen darzustellen und zu benennen. Undurchsichtige Abkürzungen<br />

und veraltete Namensvariationen dürfen nicht<br />

mehr verwendet werden, der offizielle Name „Universität<br />

für Bodenkultur Wien“ oder „University of Natural Resources<br />

and Life Sciences, Vienna“ mit der Kurzbezeichnung „<strong>BOKU</strong>“<br />

wird damit gestärkt. Der vereinheitlichte Name der <strong>BOKU</strong><br />

und auch die Verwendung von Organisationsidentifikatoren<br />

(z. B. ROR, Ringgold ID, Wikidata etc.) macht die Universität<br />

somit unverwechselbar und die erbrachten Leistungen aller<br />

Mitarbeiter*innen lassen sich eindeutig ausweisen.<br />

Eine konsequente Handhabung der Richtlinie durch die<br />

<strong>BOKU</strong>- Forscher*innen ermöglicht einfachere administrative<br />

Prozesse in allen Bereichen, die die <strong>BOKU</strong> mit ihren Leistungen<br />

in Forschung oder 3 rd Mission in Verbindung bringen<br />

(z. B. Reporting, Evaluationen, Rankings). So können zukünftig<br />

eindeutige Abfragen in Publikationsdatenbanken (z. B.<br />

Web of Science, Scopus) durchgeführt, Publikationen genau<br />

bzw. Forschungsprojekte bei Fördergeber*innen identifiziert<br />

werden. Forschungsergebnisse aller Art können den <strong>BOKU</strong>-<br />

Forscher*innen wiederum wesentlich leichter zugeordnet<br />

werden, das Profil der Universität wird nach außen geschärft,<br />

die <strong>BOKU</strong> in der Wahrnehmung durch die wissenschaftliche,<br />

mediale sowie interessierte Öffentlichkeit noch präsenter.<br />

Richtlinie https://short.boku.ac.at/affiliation<br />

Kontakt affiliation@boku.ac.at<br />

•<br />

This guideline was published on September 30, <strong>2021</strong><br />

(date of publication in the Official Journal No. 27,<br />

academic year 2020/<strong>2021</strong>) and thus came into force.<br />

The guideline deals with the affiliation of scientific and<br />

non-scientific employees of <strong>BOKU</strong> and how this is to be<br />

correctly indicated in publications and other research<br />

achievements such as applications, projects, patents or<br />

in social media contributions of <strong>BOKU</strong>.<br />

The aim is to present <strong>BOKU</strong> as a university and its<br />

departments, institutes, etc. uniformly to the outside<br />

world. Obscure abbreviations and outdated name variations<br />

may no longer be used; the official name „Universität<br />

für Bodenkultur Wien“ or „University of Natural<br />

Resources and Life Sciences, Vienna“ with the abbreviation<br />

„<strong>BOKU</strong>“ are thus strengthened. The unified name<br />

of <strong>BOKU</strong> and the use of organizational identifiers (e. g.<br />

ROR, Ringgold ID, Wikidata etc.) makes the university<br />

unmistakable and the achievements of all employees<br />

can be clearly identified.<br />

A consistent handling of the guideline by <strong>BOKU</strong> researchers<br />

enables simpler administrative processes in all areas<br />

that <strong>BOKU</strong> is associated with its achievements in research<br />

or 3 rd mission (e. g. reporting, evaluations, rankings). In the<br />

future, clear queries in publication databases (e. g. Web<br />

of Science, Scopus) can be carried out, publications can<br />

be identified exactly or research projects can be identified<br />

with funding bodies. Research results of all kinds can in<br />

turn be assigned to <strong>BOKU</strong> researchers much more easily,<br />

the profile of the university will be sharpened externally,<br />

and <strong>BOKU</strong> will be even more present in the perception of<br />

the scientific, media and interested public.<br />

Guideline https://short.boku.ac.at/affiliation<br />

Contact affiliation@boku.ac.at<br />

•<br />

50 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 4 | <strong>2021</strong>


Material<br />

der Zukunft


Materialien,<br />

aus denen die<br />

Zukunft besteht

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