Blatt und Bohne
Kundenmagazin der Berliner Kaffeerösterei
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„nicht die bohne“
die kolumne von andreas giest
In seiner Kolumne kommentiert Inhaber Andreas Giest
Entwicklungen oder Ereignisse der Branche.
Bundesministerium
für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und
Entwicklung: „Faire
globale Liefer- und
Wertschöpfungsketten“.
Stand 02/12/2020
Eigentlich sind sich alle einig: Die Menschen im Kaffeeusprung
verdienen ein größeres Stück vom Kuchen. Auch
von politischer Seite gibt es viele salbungsvolle Worte und
wohlklingende Initiativen, wie zuletzt das Lieferkettengesetz.
In der Praxis sieht das dann meist so aus, dass
öffentliche Auftraggeber streng klingende Vorgaben in
puncto Nachhaltigkeit und Arbeitsbedingungen machen,
um dann Kaffee zu jenen Kampfpreisen einzukaufen,
die jeden Glauben an faire Vergütung
der Kaffeebauern im Keim ersticken. Vom Erstickungstod
muss auch die Rede sein, wenn es
um eine Hoffnung geht, die Kaffeebauern vor ein
paar Jahren entwickelten. Es ging um eine durchaus
sinnvolle Erweiterung der Wertschöpfungskette
durch die Nutzung jener Bestandteile der
Kaffeekirsche, die normalerweise im Kompost
landen: der Schalen.
Aus den getrockneten Schalen lässt sich ein köstlicher
Tee zubereiten, meist „Cascara“ genannt, der Zitrus- und
Kirschnoten hat und Koffein enthält. Im Jemen heißt dieser
Tee „Quischr“ und ist vermutlich lange vor dem ersten
Kaffee getrunken worden. In einigen lateinamerikanischen
Kaffeeanbauländern gehört er zum Alltag. Auch
in den USA hat sich mittlerweile eine feste Fangemeinde
etabliert. Nur in der Europäischen Union bleiben die Gaumen
leider trocken. Denn vor ziemlich genau vier Jahren
fiel der European Food Safety Authority (EFSA) auf, dass
der Konsum in der Europäischen Union ja ziemlich neu
und die Verbrauchersicherheit somit völlig ungeklärt sein.
Kaffeekirschentee landete also im sogenannten Novel
Food-Katalog und war damit praktisch verboten. Die Erfahrungen
auf anderen Kontinenten spielen dabei naturgemäß
überhaupt keine Rolle. Einzig maßgeblich ist die
Frage, ob das Lebensmittel vor Mai 1997 in der EU bekannt
war. Selbst wenn man der Entscheidung der Behörde
unter Verbraucherschutzgesichtspunkten einen Funken
Verständnis entgegenbringen möchte, so ist deren
wirtschaftliche Implikation für die Menschen im Kaffee-
ursprung mehr als bedauerlich. Um ein Lebensmittel von
der Novel Food-Liste zu bekommen und für den Vertrieb in
Europa zu legalisieren,
ist ein ausgesprochen
aufwändiges
Verfahren
nötig, das schnell
mal eine sechsstellige
Summe und Jahre ermüdender
Behördengänge
kosten kann.
Politischer Wille zur
Beschleunigung
des
Verfahrens ist bis heute
nicht erkennbar. Die
kleinen Bauern und
Kooperativen, die vom Verkauf der Kaffeekirschen profitieren
würden, haben keine Lobby und können so eine
Unsumme nicht stemmen. Auch für kleine und mittelständische
europäische Unternehmen ist sie kein Pappenstiel.
Die Kaffeeriesen wiederum zeigen wenig Interesse
am Vertrieb eines derart speziellen und kommunikationsaufwändigen
Produktes, das sich zudem schwer monopolisieren
läßt. Erteilt das Amt die Genehmigung, gilt sie für
alle Marktteilnehmer. Und so steht allen Lippenbekenntnissen
zum Trotz - europäische Bürokratie zwischen den
Menschen im Ursprung und ihren Chancen auf Mehreinnahmen
aus harter Arbeit. Und dem europäischen Verbraucher
bleibt ein feines Getränk versagt. Probieren Sie
es doch mal, zum Beispiel auf einer USA-Reise. Einige der
großen amerikanischen Kaffeeketten haben immer mal
wieder Cascara-Drinks auf der Getränkekarte. Ihr Risiko
für Leib und Leben ist demnach ziemlich überschaubar
und beschränkt sich auf die bekannten
Nebenwirkungen des Koffeins. Wir hatten natürlich
Kaffeekirschentee verkauft, den viele unserer
Kunden übrigens sehr zu schätzen wussten.
Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren
gegen mich nun unter Auflage der Zahlung
eines Ordnungsgeldes ein. Jedoch ist dieser Umstand
am Ende leider nicht dem gesunden Menschenverstand,
sondern lediglich der Überlastung der Strafverfolgungsbehörden
geschuldet.
Website der
European Food
Safety Authority
Stand: 02/12/2020
64 blatt & bohne | ausgabe 1