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ANNO 1926 | TEIL 16<br />

Hilpoltstein im Jahr 1926<br />

von Peter Hagenmaier<br />

Im Stadtarchiv in Hilpoltstein befinden<br />

sich die gebundenen Jahrgänge<br />

des Hilpoltsteiner Wochenblatts.<br />

Sie bilden eine sehr gute Informationsquelle<br />

über das Geschehen in<br />

unserer Kleinregion der vergangenen<br />

Epochen.<br />

Verwendete Abkürzungen:<br />

WB für Hilpoltsteiner Wochenblatt<br />

FT für Fränkisches Tagblatt<br />

HIP für Hilpoltstein<br />

Eine Lokalmeldung stellt sarkastisch fest,<br />

dass es sich bei näherer Umgebung der<br />

Stadt Abenberg um eine außerordentlich<br />

rauflustige Gegend handelt. Es geht kaum<br />

ein Sonntag vorüber, an dem sich nicht die<br />

Burschen herumschlagen. So haben vor<br />

kurzem wieder einmal Mitglieder eines<br />

Arbeitervereins sich durch eine groß angelegte<br />

Schlägerei ausgezeichnet. Bei einem<br />

Gastwirt in Abenberg weilten mehrere Arbeiter<br />

mit ihren Rädern. Einige dieser Leute<br />

fuhren durch die Stadt um eine Gaststätte<br />

zu besuchen. Nach einem kurzen Wortwechsel<br />

mit den Zurückgebliebenen wurden<br />

die Fortfahrenden mit Biergläsern und<br />

Bierflaschen beworfen. Nur durch das Eingreifen<br />

der Gendarmerie konnte eine größere<br />

Rauferei verhindert werden. Es wäre<br />

tatsächlich am Platze, wenn der Stadtrat<br />

und die Gendarmerie vereint gegen derartige<br />

Perso-nen vorgehen würden.<br />

Das FT vom 24.11. fällt besonders durch<br />

einen Bericht auf der die angeblichen Reiseerlebnisse<br />

von Henry Schmidt-Stölting<br />

geschildert werden. Ein ziemlich blöder,<br />

rassistischer Artikel der von Einbildung und<br />

arischer Überheblichkeit nur so strotzt.<br />

Ein kurzer Auszug davon: „Zwischen farbigen<br />

und weißen erhebt sich trennend<br />

eine hohe Schranke. Denn die Rassen der<br />

Farbigen stehen nach abendländischen Begriffen<br />

auf viel zu niedriger Kulturstufe, um<br />

von Europäern als ebenbürtig anerkannt zu<br />

werden.“ Und so zieht sich dieser Schmarrn<br />

eine ¾ Seite hin.<br />

Die Süddeutsche Volksbühne lädt am<br />

24.11. in den Spiegel-Saal ein. Sie führt das<br />

Lustspiel „die spanische Fliege“ auf. Es wird<br />

besonders auf die neue Bühnendekoration<br />

und die neue Lichttechnik hingewiesen.<br />

Am 27.11. finden wir unter dem Titel „Rasse<br />

und Sport“ wieder einen Beitrag, der<br />

einem den Magen umdreht. Das FT stellt<br />

fest: „Bei der Außerordentlichen Vertretertagung<br />

des Hauptverbandes der deutschen<br />

Wintersportvereine in der Tschechoslowakei,<br />

die in Reichenberg standfand, wurde,<br />

wie die Frankfurter Zeitung berichtet,<br />

über den Antrag des Erzgebirge-Verbandes<br />

über die Einführung des Arier-Paragraphen<br />

entschieden. Die Beteiligung war außerordentlich<br />

groß. Besonders von völkischer<br />

Seite war alles aufgeboten worden. Es wurden<br />

14<strong>02</strong> Stimmen abgegeben, davon 778<br />

für die Einführung des Arierparagraphen,<br />

624 dagegen. Da die erforderliche Zweidrittelmehrheit<br />

nicht erreicht wurde, erscheint<br />

der Antrag als abgelehnt. Ein Teil der völkischen<br />

Vereine verkündete daraufhin die<br />

Gründung eines Vereins Sudetendeutscher<br />

Schneeschuhläufer auf arischer Grundlage<br />

(einzelne Sektionen des Deutschen Alpenvereins<br />

und des Österreichischen hatten<br />

den Arierparagraphen schon zwischen<br />

1899 und 1921 eingeführt, daraus entstand<br />

1922 der Deutschvölkische Block mit<br />

63 deutschen und österreichischen Sektionen).<br />

Am <strong>02</strong>.12. berichtet das FT über eine außenpolitische<br />

Kammer<strong>red</strong>e des französischen<br />

Außenministers Aristide Briand:<br />

„Briand ergriff in der Kammer das Wort zur<br />

Außenpolitik und brachte es auch dank seiner<br />

unglaublichen Redekunst auch fertig,<br />

einen Teil der Opposition zu entkräften.<br />

Zunächst erwähnte er die französisch-italienischen<br />

Konflikte, empfahl kaltes Blut,<br />

wies auf die zahlreichen Freundschaftsdienste<br />

Frankreichs für Italien hin und gab<br />

der Hoffnung nach baldiger Wiederherstellung<br />

des guten Einvernehmens Ausdruck.<br />

Dann wandte er sich Thoiry zu (dort trafen<br />

sich Briand und Stresemann zu Gesprächen<br />

im privaten Umfeld des Gastgebers). Er<br />

fand warme Worte für den Friedenswillen<br />

Deutschlands und warnte vor tendenziöser<br />

Auslegung der Rede Stresemanns.. Es<br />

gelte das Kriegsgespenst zu verscheuchen<br />

und die Gefahr eines Krieges zu bannen, in<br />

dem es weder Sieger noch Besiegte geben<br />

würde, der aber Europa völlig in den Abgrund<br />

stürzen könnte. Friede und Sicherheit<br />

seien aber für Frankreich fest miteinander<br />

verknüpfte Begriffe. Die Sicherheit<br />

Frankreichs müsse im Völkerbund geregelt<br />

werden, der eine ständige und dauernde<br />

verstärkte Militärkontrolle einrichten müsse.<br />

Die Pariser Presse mit Ausnahme der<br />

extremen Rechtsblättere nahm Briands<br />

Rede freundlich auf. Von den Berliner Blättern<br />

hat bisher nur der „Vorwärts“ Stellung<br />

genommen, der die Rede lobt, wenn er<br />

auch nicht voll befriedigt ist.“ Briand und<br />

Stresemann sind leider an den Extremisten<br />

beider Länder gescheitert. Die Folgen sind<br />

hinreichend bekannt. In vielen geschichtlichen<br />

Entwicklungen stellt man immer<br />

wieder fest, dass sich leider meistens die<br />

Gehirnamputierten durchsetzen.<br />

Interessante Zahlen veröffentlicht das<br />

FT am 06.12.: Am 16.6.1925 wurde in Bayern<br />

die Zahl der über 90jährigen ermittelt,<br />

davon entfielen auf die Männer 482 und<br />

auf Frauen 805. Zäh waren sie schon damals,<br />

die Weiber. Dass es auch damals zu<br />

Wetterkapriolen kam, lesen wir in derselben<br />

Ausgabe. Aus Deggendorf wird gemeldet,<br />

dass in den letzten Tagen am Geiersberg<br />

reichlich Erdbeeren geerntet werden<br />

konnten. Heute hat es dort eine Temperatur<br />

von – 8 °C.<br />

Über die Reichseinnahmen und Ausgaben<br />

informiert das FT am 07.12. Zwischen April<br />

und September d. J. konnten im ordentlichen<br />

Haushalt 4.179 Mill. Mark eingenommen<br />

werden. Die Ausgaben derselben Zeit<br />

betrugen ebenfalls 4.179 Mill. Mark. Es<br />

herrschte also eine solide Finanzpolitik.<br />

Über die schmerzhaften Erfahrungen eines<br />

jungen Burschen am 03.12. in Aue berichtet<br />

das FT. Am 08.12. O-Ton FT: „ Bös angekommen<br />

ist dahier ein junger Bursche, der<br />

fensterln wollte. Doch hatte er die Rechnung<br />

ohne den Wirt gemacht, denn mit<br />

den Geschickes Mächten, ist kein ew’ger<br />

Bund zu flechten und da Unglück schreitet<br />

schnell. Anstatt von ihr empfangen zu<br />

werden, begrüßte ihn ihr Vater mit dem<br />

Ziegenhainer (= Knotenstock aus Kornelkirsche,<br />

der wegen seiner extremen Härte<br />

sehr langlebig ist, und wenn er gut gewässert<br />

ist, elendig zieht und eine nachhaltige<br />

Wirkung hinterlässt) in nicht gerade liebenswürdiger<br />

Weise. Und schließlich war<br />

der so Bearbeitete wieder froh, in frischer<br />

Luft atmen zu können.<br />

Die Beilage Nr. 14 im FT vom 09.12. berichtet<br />

über Altes und Neues aus den Thalmässinger<br />

Jurabergen (Ruppmannsburg).<br />

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