HLZ-03-2022-blätterbar
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LANDESPOLITIK
HLZ 3/2022
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Der Etikettenschwindel geht weiter
Wie der Kultusminister den Lehrkräftemangel verschleiert
Mehrere Antworten auf Anfragen der
Landtagsabgeordneten Christoph Degen
(SPD) und Elisabeth Kula (Die Linke)
machen deutlich, dass Kultusminister
Alexander Lorz (CDU) weiterhin daran
festhält, der bildungspolitisch interessierten
Öffentlichkeit, Eltern und Lehrkräften
Sand in die Augen zu streuen.
Das Hessische Kultusministerium
(HKM) ignoriert insbesondere die Tatsache,
dass an hessischen Schulen in
beträchtlichem Umfang regulärer Unterricht
dauerhaft durch Kolleginnen
und Kollegen abgedeckt wird, die keine
abgeschlossene Ausbildung als Lehrerin
oder Lehrer haben und denen auch keine
Qualifizierungsmaßnahme für Quereinsteigerinnen
und Quereinsteiger angeboten
wird. Ohne diese Kolleginnen
und Kollegen wäre der Unterrichtsbetrieb
auch ohne Corona nicht aufrechtzuerhalten!
Die meisten gehören zu den
7.590 Lehrkräften, die am 1.10. 2021
mit einem befristeten Arbeitsvertrag an
einer hessischen Schule unterrichteten
und damit 4.605 Stellen abdeckten.
Fristvertrag für Regelunterricht
Die Märchenerzählung vom „Vertretungslehrer“
findet sich unter anderem
in der Antwort auf den Berichtsantrag
der SPD-Fraktion an den Kulturpolitischen
Ausschuss vom 23.6.2021:
„Wie in allen Ländern sind auch in Hessen
Lehrkräfte ohne Lehramt beschäftigt.
In der Regel vertreten diese im Rahmen
befristeter Vertretungsverträge absente
Lehrkräfte oder helfen dabei, regionale
oder zeitlich begrenzte Personalbedarfe zu
decken. Dabei handelt es sich um pädagogisch
geeignete Personen, denen aufgrund
ihrer Qualifikationen eine Lehrbefähigung
zuerkannt oder eine Unterrichtserlaubnis
erteilt wurde. Die Hessische Landesregierung
stellt den Schulen ausreichend Personal
und Mittel zur Verfügung. Fallen
jedoch Lehrkräfte beispielsweise infolge
schwerer Krankheit, wegen Mutterschutzes
oder Elternzeit kurzfristig für einen
längeren Zeitraum aus, dann kann sich
das auf die Lehrkräfteversorgung auswirken.
In diesen Fällen greifen – wie auch in
anderen Vertretungssituationen – die bewährten
Vertretungskonzepte der Schulen
vor Ort. Zudem ist es aufgrund der Größe
des Personalbestands an hessischen Schulen
unumgänglich, dass tagtäglich neue
Situationen eintreten, die die Lehrkräfteversorgung
temporär betreffen. In diesen
Fällen ist es naturgemäß nicht immer
möglich, von einem Tag auf den anderen
grundständig ausgebildete Lehrkräfte regional
vor Ort zur Verfügung zu stellen,
um den oft nicht absehbaren Zeitraum einer
Vakanz zu überbrücken.“
So suggeriert das HKM, dass alle Personen,
die an hessischen Schulen befristet
beschäftigt sind, ausschließlich einen
vorübergehenden Vertretungs- oder einen
Zusatzbedarf zum Beispiel im Programm
Löwenstark abdecken und ausreichende
Qualifikationen nachweisen
können:
„Zum Beispiel können Gymnasiallehrkräfte
mit Erster Staatsprüfung an Grundschulen
unterrichten und erhalten sodann
einen befristeten Vertrag. Weitere Personen,
die beispielsweise an Grundschulen
eingesetzt sind und über kein Lehramt
verfügen, sind Fachlehrkräfte, Erzieherinnen
und Erzieher, Sozialpädagoginnen
und Sozialpädagogen sowie Personen mit
Unterrichtserlaubnissen und Lehrbefähigungen.
Darunter sind beispielsweise Diplommusiklehrerinnen
und -lehrer sowie
Diplomsportlehrerinnen und -lehrer oder
Geologen, die Sachkunde unterrichten.“
(DS 20/6696)
Quereinstieg in Hessen
Welche Qualifikationen diese Kolleginnen
und Kollegen mitbringen, weiß das
HKM allerdings nicht und ausnahmsweise
will es auch die Schulleitungen
nicht mit einer zusätzlichen Erhebung
belasten:
„Eine Zuordnung von Vertretungslehrkräften
zu den Qualifikationen (…) ist
nur über eine Abfrage an allen hessischen
Schulen möglich. Von dieser dezentralen
Auswertung, die mit einem hohen Verwaltungsaufwand
für die Schulen verbunden
wäre, wurde unter anderem mit Blick
auf die Aufgaben der Schulen während
der obwaltenden Bedingungen der Corona-Pandemie
abgesehen.“ (DS 20/5350)
Dass die Frage auch vor der Pandemie
immer wieder gestellt wurde und leicht
durch eine Abfrage bei der Einstellung
beantwortet werden könnte, sei hier
nur am Rande vermerkt. In den letzten
Jahren wurden mehrere Maßnahmen
für den Quereinstieg in den Lehrerberuf
aufgelegt, über die wir in der HLZ regelmäßig
berichtet haben. Bei der Ausgestaltung
der Maßnahmen konnte der
Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und
Lehrer (HPRLL) im Rahmen seiner Beteiligungsrechte
Verbesserungen durchsetzen,
insbesondere bei der Dauer und
der Anrechnung der berufsbegleitenden
Weiterbildung auf die Pflichtstundenzahl.
Diese Qualifizierungsmaßnahmen
führen in der Regel zu einer
Gleichstellung mit einem Lehramt und
einer entsprechenden Eingruppierung
im Gehalts- und Besoldungsgefüge. Die
meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer
waren allerdings Lehrkräfte, die
bereits ein Lehramt haben und sich zur
Verbesserung ihrer Einstellungschancen
für ein anderes Lehramt weiter qualifizieren.
Einstellungsbericht der KMK
Während der Quereinstieg an berufsbildenden
Schulen eine lange Tradition
hat, wurde er für die anderen Schulformen
erst durch entsprechende Änderungen
im Hessischen Lehrkräftebildungsgesetz
(HLbG) und im Einstellungserlass
möglich. So bietet die Hessische Lehrkräfteakademie
zum 1. 5. und 1. 8. 2022
eine berufsbegleitende dreieinhalbjährige
Qualifizierungsmaßnahme „zum Erwerb
einer dem Lehramt an Grundschulen
gleichgestellten Qualifikation“ an.
Neben der Abschlussvoraussetzung (Diplom,
Magister oder akkreditierter Bachelor),
aus der mindestens eines der
Unterrichtsfächer Deutsch, Mathematik,
Sport, Musik oder Kunst an Grundschulen
abgeleitet werden kann, ist eine
mindestens fünfjährige Berufserfahrung
im studierten Berufsfeld nachzuweisen.
Im Gegensatz zu dem Unwesen der
Fristverträge an hessischen Schulen bietet
der strukturierte Quereinstieg Arbeitsplatzsicherheit
und eine dauerhafte
berufliche Perspektive mit gleicher
Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) erfasst
die Zahl der Quereinsteigerinnen
und Quereinsteiger, die sie bis 2020 als
„Seiteneinsteiger“ bezeichnete, in ihrem
jährlichen Einstellungsbericht. Bis 2020