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JUGENDARBEIT

HLZ 3/2022

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Jugend und Corona

Vernachlässigte Reflexionen in pädagogischen Welten

Mit der Ausbreitung der Pandemie und den pandemiebedingten

Einschränkungen hat sich das ganze Leben in allen gesellschaftlichen

Bereichen und in allen Bevölkerungsgruppen

verändert, auch für die junge Generation. Die Auswirkungen

und Folgen von Corona in den unterschiedlichen pädagogischen

Welten - in Kitas, Schule, Jugendarbeit und Hochschule

– sind für die junge Generation wiederholt beschrieben

und in mehreren Studien untersucht worden. Wiederkehrend

werden die neue Sichtbarkeit von Bildungsungleichheit,

die Lernrückstände und die Grenzen beim Homeschooling

in den Lockdownphasen und bei den Schulschließungen

genannt. Beschrieben werden Gefühlsschwankungen und

Gefühle wie Erosion der Zeitstruktur, Überforderung und

Stress, Einsamkeit und Erschöpfung, Hilflosigkeit und Zukunftsungewissheit.

Insgesamt zeigt sich ein differenziertes Spektrum, aber generell

gilt, dass die junge Generation in ihrer Entwicklung,

ihrem pubertären und adoleszenten Leben vor übergehend „irritiert“,

„ausgebremst“ und „blockiert“ wurde und wird. Das

bisher als „normal“ bezeichnete Jugendleben konnte und kann

phasenweise nicht mehr in seinem Alltag, seinen repetitiven

Gewohnheiten und Rhythmen – aber immer auch spontan,

prä-reflexiv und experimentell - gelebt werden; es unterliegt

den jeweiligen Pandemieregeln und wird damit reguliert.

Bisher kaum untersucht und reflektiert

wurden die Auswirkungen der

Unterbrechung von Routinen in den

Mikrowelten und -prozessen, mit ihren

Handlungsroutinen und gewohnten

Praktiken sowie pubertären und

adoleszenten Dynamiken, die angesichts

der Schließung von pädagogischen

Einrichtungen, Homeschooling,

Wechselunterricht, Hygieneregeln und

Abstands- und Maskenpflicht nur sehr

eingeschränkt gelebt und ausagiert

werden. Auf vier erzwungene Herausforderungen

will ich genauer eingehen.

Kommunikativer Stau

Die alltäglichen, immer auch intimisierten

Kontakte und Entwicklungsthemen,

Mitteilungen von gemeinsamen Erlebnissen

und verbrachter Zeit können

nicht gelebt und besprochen werden.

Diese werden zwar auch digital und in

medialen Kontakten, aber von Schülerinnen

und Schülern vor allem auf dem

Schulweg, in der Pause, dann bei Treffen

und Feiern, an eigenen Orten mit

eigenen Zeiten direkt und face-to-face

kommuniziert. Solche mehr oder wenigen

affektiv aufgeladenen Kommunikationen

und Austauschprozesse haben

ihre eigene psychosoziale Beziehungswelt

und Atmosphäre, „wie man gerade

drauf ist“. Sie folgen vielfach einem

„sprudelnden Redefluss“ und dem Muster

„Das muss ich unbedingt erzählen

und loswerden“. Das manchmal auch

nervige Mitteilen und Teilen oder Dauererzählen

von Selbsterleben und Gefühlswelten

– wie Freude, Ärger, Launen

- entlastet die Psyche, lässt andere

am eigenen inneren und äußeren Leben

teilnehmen und zielt immer auf Kommentierung

und Resonanz. Wenn diese

Austauschprozesse als Welt permanenter

kommunikativer Signale im Sinne

des sich Vergewisserns der eigenen

Identität nicht möglich sind, entsteht

ein emotionaler und kommunikativer

„Stau“, der einen auf sich selbst, auf

mehr innere Monologe zurückverweist.

Sinnliche Körpererfahrungen

Auch Sinnlichkeits- und Körpererfahrungen

waren und sind in den Pandemiephasen

mit den jeweils vorgegebenen

Beschränkungen und Regeln

verbunden. Das gilt für alle Bereiche

des Beziehungsgeschehens, des körperlich-sinnlichen

Agierens und Wahrnehmens,

die von intimen Liebesbeziehungen

über Räume und Zeiten des

Kennenlernens und die Möglichkeiten

der gemeinsamen Bewegung im Sport

und Tanz bis hin zum gemeinsamen

Spiel reichen. Im gewohnten Alltag

sind es Erfahrungen körperlicher Resonanz

wie das Küssen und Händchenhalten,

das Händeschütteln, Umarmen,

Schubsen, Rumalbern, Balgen und Lachen

oder der freundschaftliche Klaps

auf den Rücken.

Aber auch vielfältige ehrenamtliche,

sozial-kommunikative und subjektiv

bedeutsame Engagementformen

als Klassen- und Schulsprecher:in,

Gruppenleiter:in im Jugendverband,

Trainer:in im Sportbereich oder das Engagement

bei Fridays for Future oder

in der studentischen Vertretungsarbeit

können nicht mehr wie bisher wahrgenommen

werden und sind zeitweise

ganz stillgelegt.

Die sinnlich-körperlichen Eindrücke

und die Wahrnehmung finden jetzt im

Medium des digitalen Abstandes und

des Mundschutzes statt. Sie sind verbunden

mit verdeckter Mimik und verändertem

Sprachklang: Man sieht sich

zwar im medialen Kontakt, kann sich

aber nicht anschauen, die Augen haben

keinen direkten Kontakt. Auch das Hören

– man hört sich zwar - ist vielfach

mit Störungen und technischen Problemen

verbunden. Pausen und Schweigen

sind nicht ausgefüllt mit gemeinsamer

Bewegung, Gestik und Mimik, mit einem

gemeinsamen körperlichen Agieren

und Blickkontakt.

• Beispiel Schule: Zu den Mikroprozessen

und sozialen Gefühlswelten gehören

neben dem Unterricht der gemeinsame

Schulweg, die Pausen mit

ihren Gesprächen und Bewegungen,

der gemeinsame Nachhauseweg und

die Vereinbarungen, die in der Schule

für die Freizeit nach der Schule getroffen

werden. Hier werden freundschaftliche

und kommunikative Gefühlswelten

gelebt, erprobt und gespiegelt.

• Beispiel Hochschule: Zu diesem

neuen Lebensabschnitt gehören das

„ganze studentische Leben“ und die

Hochschulsozialisation mit dem Einleben

in die akademische Kultur, der

Auszug aus dem Elternhaus, die Treffen

und Arbeitsgruppen, neue Beziehungen,

Gespräche, Freizeitaktivitäten,

Nebenjobs und neue Lebensformen.

• Beispiel Sport: Zu den sozialen Gefühlswelten

gehören die Vorfreude und

das Treffen in der Umkleide, die Anspannung

vor dem Training oder dem

Spiel, die Freude, beim Training oder im

Spiel ein Tor geschossen zu haben, das

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