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Eurogast Insights Frühjahr 2022

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TREND<br />

PORTRÄT<br />

Klimatarier –<br />

Alles für die Umwelt<br />

Hauptmotiv: Umweltschutz<br />

Verzicht auf: Importware,<br />

weitestgehend Fleisch<br />

Der Name ist Programm: Klimatarier<br />

ernähren sich so klimaneutral<br />

wie möglich. Statt internationaler<br />

Importware setzen sie auf rein<br />

regionale und saisonale Produkte.<br />

Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und<br />

Pilze dominieren den Speiseplan.<br />

Tierische Produkte werden nicht<br />

grundsätzlich abgelehnt, wegen<br />

CO 2 - und Methanemissionen aber<br />

meist gemieden. Wenn schon<br />

Fleisch, dann biologisch und<br />

regional. Um ihren Proteinbedarf<br />

zu decken, können Klimatarier<br />

auch zu ressourcenschonenden<br />

tierischen Eiweißen wie Insekten<br />

oder Schnecken greifen.<br />

Flexitarier –<br />

Alles in Maßen<br />

Hauptmotiv: Gesundheit, Genuss<br />

Verzicht auf: billiges Fleisch<br />

Bei Flexitariern handelt es sich um<br />

Vegetarier, die sich selten oder wenig<br />

Fleisch erlauben – sofern es gewisse<br />

Standards einhält. In ihrem<br />

Ernährungsplan nimmt es also nur<br />

noch eine Randrolle ein und sollte<br />

sowohl regional als auch bio sein.<br />

Flexitarier setzen auf bewussten<br />

Genuss und ziehen daher generell<br />

biologische Lebensmittel vor, im<br />

Gegensatz zu den Klimatarier n verzichten<br />

sie nicht auf Importware.<br />

Real Omnivore –<br />

Die Avantgarde<br />

Hauptmotiv: Gesundheit, Umwelt<br />

Real Omnivores – echte Allesesser<br />

zu Deutsch – sind unerschrockene<br />

Konsumenten, die in Fachkreisen<br />

auch als die Nachfolger der Flexitarier<br />

gelten. Sie wollen gesundes,<br />

zukunftsfähiges Essen mit gutem<br />

Gewissen konsumieren können.<br />

Tierisches Protein ist keineswegs<br />

Tabu, bei der Quelle kommt die<br />

Offenheit für neue Technik ins<br />

Spiel: Ob Fleisch aus dem Labor,<br />

Insekten, Algen oder Mykokulturen,<br />

alles ist willkommen.<br />

„Über extreme<br />

Zugänge zur Ernährung<br />

kann ich auch<br />

bei meinen Gästen<br />

Eindruck schinden.“<br />

Markus Schermer<br />

© Axel Springer, Shutterstock.com<br />

ESSEN ALS MEDIZIN<br />

Speisen müssen längst mehr Kriterien<br />

als nur guten Geschmack erfüllen. Unter<br />

anderem liegen ungesättigte Fettsäuren,<br />

hoher Nährstoffgehalt und geringe Kalorienzahl<br />

gesundheitsbewusster Kundschaft<br />

beim Blick in die Speisekarte am Herzen.<br />

Die Coronapandemie hat Schermer zufolge<br />

dazu geführt, dass sich Menschen deutlich<br />

mehr Gedanken darüber machen, was<br />

in ihre Mägen wandert: „Es gibt insgesamt<br />

einen stärkeren Bezug auf Gesundheit,<br />

wenn sie von einem Virus bedroht wird.“<br />

Hinzu kamen laut dem Experten die für<br />

manche veränderten Arbeitsverhältnisse,<br />

denn im Homeoffice hätten die Leute mehr<br />

Zeit, um sich über ihre Vitalität und Lebensmittel<br />

Gedanken zu machen.<br />

ALTERNATIVE GESUCHT<br />

„Im Endeffekt ist meistens das, was für<br />

mich gut ist, auch gut für die Umwelt“,<br />

schlägt Schermer eine Brücke zwischen<br />

den Motiven Gesundheit und Klimaschutz.<br />

Die österreichische Durchschnittsbevölkerung<br />

würde etwa gesundheitlich<br />

davon profitieren, weniger Fleisch zu sich<br />

zu nehmen. Das entspräche auch dem, was<br />

Schermer als „zukunftsfähige Ernährung“<br />

bezeichnet. In Europa steigt der Fleischkonsum<br />

mittlerweile nicht mehr, weniger<br />

Tier am Teller kann die CO 2 - und Methanemissionen<br />

reduzieren, die global zu massiven<br />

Problemen führen.<br />

Umwelt und eigene Gesundheit<br />

gehen aber nicht immer Hand in Hand,<br />

wie das Beispiel der trendigen Superfoods<br />

zeigt. In regelmäßigen Abständen<br />

lässt der Fokus auf Essen mit Funktion<br />

einzelne Produkte in diesen begehrten<br />

Rang aufsteigen. Avocado, Gojibeere und<br />

Konsorten haben oft lange Importwege<br />

hinter sich – nützlich für das Individuum,<br />

ungünstig für das Kollektiv. „Es gibt<br />

wahrscheinlich fast immer eine regionale<br />

Alternative dazu, die genauso gut ist, aber<br />

weniger hip“, so Schermer, der auf Lebensmittelsysteme<br />

spezialisiert ist.<br />

NEUE GENERATION<br />

In der Bestrebung nach Verbesserung der<br />

eigenen Gesundheit sieht der Experte auch<br />

ein hedonistisches Motiv, der Umweltgedanke<br />

rück e – wie an den Superfoods<br />

zu sehen – ein Stück in den Hintergrund.<br />

Fleischreduktion, Teil des Gesundheitsmotivs,<br />

gab es auch schon in der Alternativszene<br />

der 1970er und 1980er, damals<br />

jedoch mit deutlichem Fokus auf die<br />

gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen.<br />

„Bei vielen jungen Leuten habe ich das<br />

Gefühl, dass klimagerechtes Essen wieder<br />

stärker kommt“, erklärt Schermer. Wenig<br />

oder nur Fleisch aus bekannter regionaler<br />

Produktion zu esse n, könnte laut ihm noch<br />

einer der massentauglichsten Trends sein.<br />

QUALITÄTSOFFENSIVE<br />

Während viele Kunden noch auf preiswerte<br />

Kalorien achten müssen, gibt es laut<br />

Schermer aber auch eine Schicht, die deutlich<br />

Richtung Qualität mit Attributen wie<br />

handwerklich, bio oder regional geht. Das<br />

war nicht immer so, denn rückblickend<br />

haben sich die Werte, an denen Lebensmittel<br />

und das kulinarische Angebot in<br />

der Gastronomie gemessen werden, bereits<br />

massiv verändert. „Bis herauf in die<br />

1970er und 1980er war es so, dass man<br />

sehr stark auf ein industrielles Lebensmittelsystem<br />

abgezielt hat, um möglichst<br />

günstige Lebensmittel für die Masse zu<br />

produzieren“, so Schermer. Es sei modern<br />

gewesen, Lebensmittel zu konsumieren,<br />

die hohen industriellen Standards entsprachen,<br />

die geschmackliche Qualität<br />

war nebensächlich.<br />

Zur Person<br />

Univ.-Prof. Dipl.-Ing.<br />

Dr. Markus Schermer<br />

ist Professor für Agrarund<br />

Regionalsoziologie<br />

an der Universität<br />

Innsbruck. Er befasst<br />

sich in erster Linie<br />

mit Lebensmittelsystemen,<br />

von der<br />

Produktion bis zum<br />

Konsum.<br />

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