Kunstbulletin April 2022

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Sammlerstücke — Alternativen militanter Mittel zur Durchsetzung höherer Ziele Drei Fotografien zum Thema Frauenstimm- und -wahlrecht in England sowie Peitsche Theresa Garnett / Winston Churchill, 1. Hälfte 20. Jh., Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte. Foto: SKKG 42 <strong>Kunstbulletin</strong> 4/<strong>2022</strong>
Die Suffragetten griffen Anfang des 20. Jahrhunderts in Grossbritannien zu drastischen Mitteln gegen Winston Churchill, um Grundrechte für Frauen einzufordern. Eine Peitsche zeugt davon und zeigt zugleich den Unterschied zur Emanzipationsgeschichte der Schweiz auf. Stefanie Manthey Auf einem Foto von 1947 ist Theresa Garnett (1888–1960) mit der ledergeflochtenen Hundepeitsche zu sehen, mit der sie den damaligen Innenminister Winston Churchill am 14. November 1909 angriff. Wie eine Trophäe hält sie das Objekt, das bis weit ins 20. Jahrhundert als Mittel der Disziplinierung und Erziehung eingesetzt wurde, in ihren Händen. Im Mechanismus von Aktion und Reaktion, von Grenzüberschreitung und Gegenwehr ist es ein Symbol von Abschreckung und Unterdrückung. Eine Rede von Adela Pankhurst 1907 war ausschlaggebend dafür, dass sich Garnett der ‹Women’s Social and Political Union/WSPU› anschloss. 1903 von Adelas Mutter Emmeline gegründet, zielte diese darauf, das Thema ‹Votes for Women› öffentlich zu machen. Die gleichnamige Zeitschrift spielte eine wichtige Rolle in der Kommunikation mit den Anhänger:innen. Eines ihrer Titelblätter zierte das Foto von der Verhaftung Flora Drummonds, einer berühmten Suffragette, im Hyde Park. Garnett selbst entwickelte sich unter dem Pseudonym Annie O’Sullivan zur Aktivistin. In anderen Ländern Europas, auch in der Schweiz, formierten sich ab den 1860er- Jahren Frauenbewegungen. Das Frauenstimmrecht, das europäische Staaten seit dem Ersten Weltkrieg sukzessive einführten, folgte hierzulande erst 1971. Wesentlich dafür war, dass sich 1968/69 eine neue Frauenbewegung formierte, die neben der Verankerung der Gleichstellung in der Verfassung den straffreien Schwangerschaftsabbruch, die Arbeitsteilung in der Familie und sexuelle Selbstbestimmung forderte. Die schweizerische Emanzipationsgeschichte, für die sich Frauen wie Iris von Roten und Emily Lieberherr eingesetzt hatten, wurde jedoch weniger über spektakuläre, militante Aktionen geprägt als über profunde Studien, Plakate und Projekte, von den Reines Prochaines bis zu den schweizweiten Frauenstreiks seit den 1990er-Jahren. Dabei hat sich das Engagement über die Jahrzehnte in Richtung mehr Gerechtigkeit für alle Menschen in einer diversen Gesellschaft verschoben. Ausstellungsprojekte zum Kunstschaffen von Frauen haben Hochkonjunkur. Die Förderung von diskriminierungsfreier Sprache wird vorangetrieben. Dennoch ist dreissig Jahre später nach wie vor viel zu tun. Statt Peitsche und Bestrafung braucht es ein Mehr an Anerkennung sozialen und kulturellen Handelns und das Interesse aus einer generationsübergreifenden Perspektive. Stefanie Manthey, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin, Forschung zu Materialen und Techniken, lebt in Basel. stefaniemanthey@gmail.com → Sammlerstücke: Autor:innen kommentieren ein ausgewähltes Werk aus der Sammlung der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte ↗ www.skkg.ch FOKUS // SAMMLERSTÜCKE 43
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