Kunstbulletin April 2022
Unsere April Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Irena Haiduk, Jean-Frédéric Schnyder, Kunsthochschulen ZHdK, Sammlung Migros Museum, uvm.
Unsere April Ausgabe für 2022 mit Beiträgen zu Irena Haiduk, Jean-Frédéric Schnyder, Kunsthochschulen ZHdK, Sammlung Migros Museum, uvm.
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BESPRECHUNGEN<br />
Nicole Eisenman — Malerei im Dialog<br />
In der Schweiz waren Zeichnungen und Gemälden von Nicole<br />
Eisenman zuletzt 2007 in der Kunsthalle Zürich zu sehen. Die<br />
aktuelle Ausstellung im Aargauer Kunsthaus ist Teil eines kollaborativen<br />
Projekts von vier europäischen Kunsthäusern. Aarau<br />
ist nach Bielefeld die zweite Station vor Arles und Den Haag.<br />
Aarau — Im Foyer des Aargauer Kunsthaus liegen der Ausstellungskatalog mit Glossar<br />
zu Begriffen wie Abstraktion, Museumskunst, Stilgeschichte und eine Auswahl<br />
an Schriften zu Diversität, Gender und feministischer Theorie aus. Sie weisen auf<br />
zentrale Themen hin, mit denen sich die Wahl-New-Yorkerin Nicole Eisenman (*1965,<br />
Verdun) seit den 1990er-Jahren in Zeichnungen und Malerei befasst.<br />
In einem Interview betonte sie 2015: «Malerei muss im Original gesehen werden.<br />
Ich bin nie zufrieden mit Reproduktionen, weil der ganze Kampf, die künstlerische<br />
Handschrift dabei auf der Strecke bleiben.» Anfang 2020 trafen sich die Kurator:innen<br />
der aktuellen Wanderausstellung mit Eisenman in Madrid, um gemeinsam den Prado<br />
zu besuchen. Bei der Betrachtung der dortigen Gemälde fokussierten sie auf Komposition,<br />
Malweise, Materialität und Themen wie Identität und Einsamkeit in der Kunst<br />
der Moderne. Hier wurde der Entschluss zum gemeinsamen Projekt gefasst, Arbeiten<br />
von Eisenman in jedem Haus einzelnen Sammlungswerken gegenüberzustellen.<br />
Der Parcours setzt in Aarau mit ‹Night Studio› ein. Das Gemälde entstand spontan<br />
aus einem abendlichen Besuch von Freunden in Eisenmans Studio 2006. Zwei Personen<br />
wollten posieren. Eisenman malte sie als vielschichtigen Doppelakt umgeben<br />
von Büchern mit Referenzen zur Malerei, einer Bierflasche, Vitamin-Limo und Zigaretten.<br />
Im Gegenüber mit dem ‹Brautpaar› von Paul Camenisch (1893–1970), das sich<br />
auf literarische Figuren des russischen Autors Iwan Gontscharow bezieht, werden<br />
historische und gegenwärtige Vorstellungen von Gender und Identität fluid. Damit ist<br />
das osmotische Moment eingeführt, das für die kuratorische Arbeit zentral war. Über<br />
Selbstporträts, Badende und Szenen in Biergärten werden Betrachter:innen dazu<br />
ermutigt, sich von didaktischen Krücken zu lösen, Eisenmans «humour» und historische<br />
Gestalten wie Hamlet neu kennenzulernen. Höhepunkt ist die Begegnung mit<br />
dem grossformatigen Diptychon ‹Progress: Real and Imagined› von 2006. Es führt das<br />
Studio als stabilen Ort ungebändigter Schaffenskraft in einer umtosten Welt vor und<br />
zeigt in einem kargen, inselartigen Landschaftsszenario aus Ober- und Unterwelt die<br />
Souveränität, mit der Eisenman figurenreiche Welten alternativer Formen des Zusammenlebens<br />
schafft. Stefanie Manthey<br />
→ ‹Köpfe, Küsse, Kämpfe – Nicole Eisenman und die Modernen›, Aargauer Kunsthaus, bis 24.4.; Fond.<br />
Vincent van Gogh, Arles, 21.5.–23.10.; Kunstmuseum Den Haag, 12.11.–12.2. ↗ aargauerkunsthaus.ch<br />
80 <strong>Kunstbulletin</strong> 4/<strong>2022</strong>