DerBerg_01_2022_RZ_DS
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TOURENBERICHT | HOHE TAUERN
TOURENBERICHT | HOHE TAUERN
Aufstieg zum Venediger
FEUCHT: KRIMML 1.067 M –
KRIMMLER TAUERNHAUS 1.631 M
Nach früher Abfahrt in Düsseldorf und entspannter Anreise
via PKW erreichen wir am Nachmittag Krimml. Nun beginnt
wie immer das finale Packen der Rucksäcke für unsere
Tourenwoche, es ist sehr warm und es droht unbeständiges
Wetter in den Folgetagen. Bald ist das Gepäck geschultert,
von A wie Anorak bis Z wie Zahnbürste ist alles vertreten;
dieses Mal haben wir bedingt durch Corona noch einen
leichten Schlafsack mit dabei. Entlang der drei Stufen der
gewaltigen Krimmler Wasserfälle gewinnen wir schnell an
Höhe, unterbrechen aber immer wieder den Anstieg, um die
Ausblicke auf die tosenden Wassermassen zu genießen und
uns der kühlenden Gischt auszusetzen. Mit einer Fallhöhe
von 380 Metern sind dies die höchsten Wasserfälle Europas.
Den Ursprung der Fälle bildet die Krimmler Ache, immer
noch ein typischer Gletscherbach mit stark wechselnder
Wasserführung. Gerade jetzt, Mitte Juni, „hört“ man die
Schneeschmelze. Erst einmal geht es, begleitet von Nieselregen,
über sanfte Almböden hinein in das fast 20 Kilometer
lange Achental. Auf gut halber Strecke nächtigen wir im
Tauernhaus – ein schmucker Alpengasthof mit Tradition,
urkundlich erwähnt erstmalig im Jahr 1389. Diese Raststation
auf der historischen Nord-Süd-Verbindung über die Krimmler
Tauern besitzt heute noch eine hölzerne Stube aus dem
16. Jahrhundert.
Schmucksteig
LUFTIG: WARNSDORFER HÜTTE 2.324 M –
GAMSSPITZE 2.888 M – KÜRSINGER HÜTTE 2.558 M
Gut gestärkt durch das Frühstückbuffet geht es erst einmal
relativ flach weiter hinein ins Achental, bevor es am Talende
hinauf zur Warnsdorfer Hütte aufsteilt. Es liegt noch viel
Schnee und die Hütte hat erst seit einigen Tagen geöffnet.
Nach einem Vormittags-Bier-Kaffee beginnt das Spuren
durch die Firnfelder hinauf zur Gamsspitze. Vom Gipfel
genießen wir die Schau über den Obersulzbachkees hinüber
zum imposanten Großvenediger. Vom Krimmler Törl bewegen
wir uns im Bogen über die weiten Gletscherflächen Richtung
Kürsinger Hütte. Mögliche Spalten sind noch unter Schneemassen
versteckt. Aus dem ehemals geschlossen Talgletscher
sind sechs Teilgletscher geworden, die kaum noch miteinander
verbunden sind. In gähnender Tiefe befindet sich vor
uns ein großer Gletschersee. Eine Traversierung über Eis
hinüber zur Kürsinger Hütte, die in greifbarer Nähe vor uns
liegt, ist nicht mehr möglich. Nach einiger Suche finden wir
den mit Stangen markierten Einstieg zu einem Klettersteig,
der im Bereich der ehemaligen „Türkischen Zeltstadt“, einem
vormals wilden Eisbruch, über Gletscherschliff in die Tiefe
leitet. Wir gelangen in eine fast 100 Meter hohe Steilflanke,
normalerweise hangelt man sich hier an einem Stahlseil
hinab. Dieses ist aber noch von einer instabilen Schneeschicht
bedeckt. Nur mit Pickel und Steigeisen und mit
Blick zum Eis gelingt uns vorsichtig der luftige Abstieg.
Ohne alpine Erfahrung und Ausrüstung wäre an dieser
Stelle eine Umkehr angesagt gewesen. Über eine Hängebrücke
gelangen wir über den wild tosenden Seeabfluss
zum Schmucksteig, einem leichten Klettersteig hinauf zur
Hütte. In voller Nachmittagssonne kämpfen wir uns wieder
250 Meter nach oben, können aber die Tiefblicke hinunter
zum Gletschersee genießen. An den Felsen ist der Gletscherstand
zu unterschiedlichen Jahren markiert. Noch Ende der
1990er-Jahre lag die Eisschicht 50 Meter über dem Talgrund.
Als 1875 die Hütte erbaut wurde, lag diese knapp oberhalb
des Gletschers.
TIEFGEHEND: GROSSVENDEDIGER 3.657 M –
DEFREGGERHAUS 2.962 M – JOHANNISHÜTTE 2.121 M
Eigentlich wollen wir nach der Besteigung des Großvenedigers
auf dem gestrigen Weg wieder hinüber zur Warnsdorfer
Hütte, aus Sicherheitsgründen verzichten wir jedoch auf die
nochmalige Begehung der instabilen Firnflanke. Wir finden
aber einen Aus-, besser gesagt einen Umweg über das Osttiroler
Virgental. Nach frühem Aufbruch von der Kürsinger
Hütte über die weiten Gletscherflächen bläst uns unterhalb
der Vendigerscharte ein eisiger Wind ins Gesicht. Wie mag es
wohl erst auf dem Gipfelgrat sein? Wider Erwarten ist es dort
fast windstill, aber der Schnee ist uns nicht wohlgesonnen.
Bei jedem zweiten Schritt brechen wir im tiefen Schnee ein.
Bald ist der Gipfel zusammen mit einigen anderen Seilschaften
erreicht, die sich mit Hilfe von Schneeschuhen einfacher
tun und in der Vielzahl von der Neuen Prager Hütte herübergekommen
sind. Für uns geht es aber ganz allein gen Süden
Richtung Defregger Haus, was schon einer guten Orientierung
bedarf. Das Haus ist noch geschlossen, unser Tagesziel
ist die tief unter uns liegende Johannishütte. Vor dem
Abstieg darf ich aber mit dem Pickel erst einmal einen tief
im Schnee verklemmten Fuß von Michael freilegen, der kurz
vor dem Haus im Tiefschnee feststeckt. Die Johannishütte
erreichen wir, durch ein Meer von Alpenblumen wandernd,
am frühen Nachmittag und genießen den Strudel auf der
sonnengefluteten Terrasse.
Abstieg von der
Zittauer Hütte
Irgendwann überrascht mich Margit, die Hüttenwirtin, mit
den Worten „Dich kenne ich“. Wir hatten vor 35 Jahren auf
der benachbarten Essener-Rostocker Hütte ein kurzes
Zusammentreffen, sie kellnerte dort, ich war mit Sektionsfreunden
auf Tour.
EINSAM: TÜRMELJOCH 2.790 M – MAURERTÖRL
3.104 M – WARNSDORFER HÜTTE 2.324 M
Umwege bedeuten sondern nicht nur Strecke, auch Höhenmeter.
Im Gegensatz zur Wettervorhersage geht’s sonnig
hinauf zum Türmeljoch. Noch ein letzter Blick zurück zum
südseitigen Venedigereis, und dann folgen direkt wieder
500 Meter Abstieg auf dem bekannten Venediger Höhenweg.
Kurz vor der nahen Essener-Rostocker Hütte beginnt der
Aufstieg durch das einsame Maurertal, später angeseilt über
das steile Eis des Maurerkeeses in den schmalen, felsigen
Streifen des Törls. Rechts von uns dominiert der mächtige
Große Geiger, zu unseren Füßen liegt wieder der Obersulzbachkees.
Die interessante Traversierung zum Krimmler Törl
durch teils tiefen Schnee kostet Kraft. Diesmal breche ich
bei der Übersteigung eines Felsrückens mit einem Bein ein.
Routine – die Befreiung mithilfe eines Pickels haben wir ja
schon am Vortag geübt. Vom Törl fahren wir dann entspannt
über die bekannten Firnhänge hinab zur gastlichen Warnsdorfer
Hütte mit ihren wenigen Gästen und den sehr netten
Wirten Elli und Stefan.
Richterhütte
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