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KINO<br />
Foto: dpa<br />
Natürlich wollte niemand<br />
auf ihn hören.<br />
Seit knapp dreißig<br />
Jahren warnt Dr. Ian<br />
Malcolm nun schon<br />
vor den Gefahren der<br />
Dinosaurier für die<br />
Menschheit, doch die Menschen sehen<br />
in ihnen je nach Weltsicht eine groß -<br />
artige Geschäftsidee, ein Wunder der<br />
Wissenschaft oder aber possierliche, wenn<br />
auch etwas zu groß geratene Tierchen.<br />
Trotz des Wohlwollens zeigen die Saurier<br />
ihrerseits aber keinerlei Respekt für<br />
all die zivilisatorischen Errungenschaften,<br />
die uns lieb und teuer sind,<br />
wie etwa Eigentumsverhältnisse,<br />
Straßenverkehrsregeln und<br />
Ladenöffnungszeiten. Probleme<br />
sind also unvermeidlich.<br />
Inzwischen sind die Saurier<br />
jedenfalls überall. In „Jurassic<br />
World: Ein neues Zeitalter“, dem<br />
Abschluss der „Jurassic World“-<br />
Trilogie und der sechsten Folge<br />
der „Jurassic“-Reihe insgesamt,<br />
trollen sie durch die Wälder,<br />
grasen in der Prärie und nisten<br />
auf Hochhausdächern. „Ja, ich<br />
weiß auch nicht, warum man<br />
nicht auf Ian Malcolm hören<br />
will“, sagt Jeff Goldblum, der<br />
den beliebten Chaostheoretiker<br />
seit dem ersten Teil spielt und<br />
von der Deutschlandpremiere in<br />
Köln per Telefon zugeschaltet<br />
ist. „Dabei ist Malcolm ja ein<br />
anerkannter Experte und redet<br />
über die Weltuntergangsuhr,<br />
die Spezies Mensch und was sie tun<br />
könnte und sollte, um das Ruder doch<br />
herumzureißen.“ Im mutmaßlich letzten<br />
Teil der Reihe sieht man, wie er einen<br />
Vortrag hält und das Auditorium gebannt<br />
seinen Worten lauscht. Aber dann endet<br />
alles wieder im Desaster. Goldblum pragmatisch:<br />
„Ja, sonst gäbe es ja auch keinen<br />
neuen Film.“<br />
Urlaub mit Dinos<br />
Die „Jurassic“-Reihe gibt es, seit Steven<br />
Spielberg 1993 Michael Crichtons Roman<br />
„DinoPark“ auf die Leinwand brachte. Im<br />
Zentrum stand damals ein Multimilliardär,<br />
der mittels Gentechnologie allerhand<br />
Dinosaurier zum Leben erweckt hatte, die<br />
in seinem Freizeitpark gleich um die Ecke<br />
von Costa Rica auf der pazifischen Insel<br />
Nublar die Besucher unterhalten sollten.<br />
Aufgrund einer unglücklichen Kombination<br />
von Gier, Pech, Unvermögen, Hybris,<br />
technischen Problemen, einem Unwetter<br />
sowie zweifelhaften Mitarbeitern nutzten<br />
aber bald die schönsten Sicherheitsvorkehrungen<br />
nichts. Zäune wurden niedergetrampelt<br />
und Leute am Wegesrand verspeist,<br />
weshalb alle, die die Katastrophe<br />
überlebten, zu dem Schluss kamen, dass<br />
sie sich die Wiederbelebung der Dinosaurier<br />
irgendwie anders vorgestellt hatten.<br />
Niemand hatte auch mit einem derart<br />
durchschlagenden Erfolg gerechnet. Im<br />
Jahr seines Kinostarts spielte der Film<br />
knapp 913 Millionen Dollar ein und war<br />
damit der erfolgreichste Film aller Zeiten,<br />
Tyrannosaurus<br />
Boss<br />
Es heißt Abschied nehmen.<br />
„Jurassic World: Ein neues Zeitalter“<br />
ist der angeblich letzte Teil der<br />
beliebten Filmreihe. Dabei kann es im<br />
Kino gar nicht genug Dinosaurier geben<br />
TEXT VON HARALD PETERS<br />
bis James Cameron vier Jahre später die<br />
„Titanic“ versenken sollte. Der Film zog<br />
Videospiele, Brettspiele, Spielfiguren, Comics,<br />
Ausstellungen, Freizeitparkattraktionen<br />
nach sich sowie selbstverständlich<br />
einen weiteren Film.<br />
Nur vier Jahre später ließ Spielberg<br />
in „Vergessene Welt: Jurassic Park“ auf<br />
Nublars Nachbarinsel Sorna, wo die<br />
Dinos ohne Touristen ungestört ihren<br />
Dino-Geschäften nachgingen, Großwildjäger<br />
und Tierschützer aufeinandertreffen,<br />
zwei natürliche Feinde, die im Verbund<br />
mit Tyrannosaurus Rex, Compsognathus,<br />
Pachycephalosaurus und wie sie alle heißen<br />
wieder ein mächtiges Durcheinander<br />
veranstalteten.<br />
Die Daimler-Benz AG nutzte damals den<br />
sagenhaften Erfolg der Filmreihe und platzierte<br />
zur Markteinführung zwei Modelle<br />
seiner Mercedes-M-Klasse in der Hand-<br />
lung, um sie dann im Chaos zerdeppern<br />
zu lassen. Mögliche Werbebotschaft:<br />
stabil, aber im Falle eines Dino-Angriffs<br />
vielleicht doch nicht ausreichend. Zum<br />
Abschluss der ersten Trilogie wurde<br />
2001 in „Jurassic Park III“ ein weiteres<br />
Mal die Insel Sorna angesteuert, was im<br />
Ergebnis allerdings nur von überschaubarer<br />
künstlerischer Bedeutung war.<br />
Mit „Jurassic World“, dem Beginn der<br />
zweiten Trilogie, ging 2015 wieder alles<br />
von vorne los. Die Figuren waren neu,<br />
aber die Geschichte bekannt: Freizeitparkträume,<br />
geklonte Saurier, unvorhergesehene<br />
Probleme, Schäden noch und<br />
nöcher. In „Jurassic World: Das<br />
gefallene Königreich“ kam es<br />
drei Jahre später erneut zum<br />
Showdown zwischen Tierschützern<br />
und Großwildjägern, die<br />
im Auftrag eines fragwürdigen<br />
Unternehmens die Dinos<br />
an zwielichtige Milliardäre verhökerten.<br />
Wieder verlief nichts<br />
nach Plan, weswegen man<br />
es nun im dritten Teil mit frei<br />
laufenden Sauriern zu tun hat<br />
sowie einem seltsamen Dino-<br />
Reservat in den Dolomiten, das<br />
von einem dubiosen Tech-Guru<br />
betrieben wird, den man sich als<br />
eine soziopathische Mischung<br />
aus Mark Zuckerberg, Steve<br />
Jobs, Elon Musk und Peter Thiel<br />
vorstellen muss. Was könnte da<br />
schon schiefgehen?<br />
Urlaub mit Dinos<br />
Nun könnte man die frappierende<br />
Ähnlichkeit der ersten mit der<br />
zweiten Trilogie als Beweis für die Einfallslosigkeit<br />
der Macher nehmen, doch<br />
andererseits ist es vielleicht auch eine<br />
Metapher für die Dummheit der Menschheit,<br />
die verdammt zu sein scheint, die<br />
gleichen Fehler wieder und wieder zu<br />
begehen. „Das scheint tatsächlich eines<br />
der großen Probleme von uns zu sein“,<br />
sagt Goldblum. Andererseits seien wir<br />
als Spezies aber auch ausgesucht widerstandsfähig,<br />
was besonders für Goldblum<br />
selbst gilt, sonst hätte er wohl nicht so<br />
lange in der Rolle überlebt. Inzwischen<br />
scheint Goldblum die Rolle derart verinnerlicht<br />
zu haben, dass er sich keine<br />
erkennbare Mühe mehr gibt, sie auch<br />
nur ansatzweise überzeugend zu spielen<br />
– was dem Spaß im Großen und Ganzen<br />
aber keinen Abbruch tut, man schaut ihm<br />
einfach gerne zu.<br />
<strong>FOCUS</strong> <strong>24</strong>/<strong>2022</strong> 91