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Lohrer_07-2022

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ICH HÄTT ÄMOAL A BROBLEM...<br />

Andreas Arnold arbeitet als Heilpraktiker<br />

für Psychotherapie<br />

in eigener Praxis in Würzburg.<br />

Seine Tätigkeitsschwerpunkte<br />

sind persönliche Krisen, Depressionen,<br />

Burn-out-Syndrome und<br />

Partnerschaftskonflikte.<br />

Im Kleinen <strong>Lohrer</strong> wird er jeden<br />

Monat ein ausgesuchtes Hilfeschreiben<br />

beantworten. Diese<br />

Rubrik soll Euch die Möglichkeit<br />

geben, bei Problemen direkt, schnell und unkompliziert<br />

Hilfestellung und Rat zu erhalten.<br />

„ICH FÜHLE MICH WIE DIE MUTTER MEINER MUTTER“<br />

Hallo Herr Arnold! I<br />

ch weiß nicht so ganz, wie ich anfangen soll, mir fällt es<br />

nicht leicht, aber ich weiß nicht, was ich noch machen<br />

soll. Meine Eltern sind getrennt, ich wohne bei beiden.<br />

Eine Woche da, in der nächsten dort. Mein Vater hat<br />

eine neue Frau und noch ein Kind. Auch meine Mutter<br />

war bis Ende 2019 noch in einer Beziehung, sogar verheiratet,<br />

mit einer kleinen Tochter seinerseits. Jetzt hat<br />

sich meine Mutter wieder getrennte und wohnt in einer<br />

kleinen Wohnung und ihr Ex mit meiner kleinen Schwester<br />

in einem neuen Haus. Meine Schwester kommt<br />

meine Mutter drei- bis viermal pro Woche tagsüber<br />

besuchen, bleibt aber nie über Nacht. Das macht meine<br />

Mutter fertig und ich habe sie schon oft deswegen weinen<br />

gesehen. Bis Ende letzten Jahres war sie außerdem<br />

in einer On-Off-Beziehung mit einem Kollegen. Er hat<br />

ihr gut getan und auch ich habe langsam angefangen,<br />

mich an ihn zu gewöhnen. Jetzt ist es endgültig aus<br />

und meine Mutter hat irgendwas mit einem anderen<br />

Arbeitskollegen. Sie ist total verknallt, er will aber, soweit<br />

ich es mitbekommen habe, keine richtige Beziehung.<br />

Seit zwei Jahren sehe ich meine Mutter immer<br />

wieder weinen und versuche, sie zu trösten, aber ich<br />

bin total überfordert. Auch, wie sie mit mir umgeht, ist<br />

nicht normal. Es ist, als wäre es umgedreht, als wäre<br />

ich die Mutter und sie die Tochter im Teenager-Alter.<br />

Dummerweise bin ich eben noch ein Teenager und<br />

habe selbst einige andere Probleme. Im Gegensatz<br />

zu meiner Mutter habe ich das aber erkannt und bin<br />

seit Ende letzten Jahres in Therapie. Sie hätte das auch<br />

nötig, nicht nur wegen ihres Verhaltens, sondern auch,<br />

weil ich mir zu 99% sicher bin, dass sie wieder oder immer<br />

noch an Bulimie leidet. Darauf habe ich sie letztes<br />

Jahr mal angesprochen, aber sie es vehement verneint.<br />

Jedenfalls weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich bin<br />

absolut überfordert mit der aktuellen Situation und<br />

komme selbst mit meinen eigenen Problemen kaum<br />

klar. Ich weiß nicht, wie ich mich zusätzlich auch noch<br />

50<br />

um ihre Probleme kümmern soll. Ich kenne mich auch<br />

mit Liebeskummer nicht aus. Ich hatte noch nie eine<br />

Beziehung und bin gerade in einer komischen Flirty-Situation<br />

mit meinem besten Freund, habe also auch keine<br />

wirklich ernst zu nehmenden Gefühle für jemanden,<br />

der unerreichbar scheint. Ich brauche Hilfe, es macht<br />

mich total fertig, dass ich ihr nicht helfen kann.<br />

J., 15 J.<br />

Liebe J.,<br />

Du steckst da wirklich in einer schwierigen Situation.<br />

Deine Mutter schafft es offensichtlich nicht, mit ihren<br />

Liebensbeziehungen klarzukommen und ist deshalb<br />

belastet. Unglücklich dabei ist, dass Du sie dabei<br />

trösten sollst, aber sich trotzdem nichts ändert. Dein<br />

Schritt, eine Therapie zu machen, ist sehr gut. Das hilft<br />

Dir, dich besser abgrenzen und Deine eigenen Sachen<br />

machen zu können. Deine Idee, dass Deine Mutter<br />

ebenfalls eine Therapie machen sollte, ist sehr gut. Ich<br />

denke, da solltest Du auch unbedingt dranbleiben. Sag<br />

ihr doch einmal ehrlich, dass es Dich belastet, wenn<br />

sie mit ihren Problemen zu Dir kommt. Sag ihr, dass Du<br />

dich besser fühlen würdest, wenn sie auch eine Psychotherapie<br />

machen würde, weil Du es bei Dir merkst, dass<br />

es etwas bringt und auch bei ihr glaubst, dass es sie<br />

voranbringt. Mach ihr klar, dass Du ein Teenager bist,<br />

der selbst Probleme hat und nicht nur für die Probleme<br />

Deiner Mutter da sein kann. Mach ihr bewusst, dass<br />

sie verantwortlich handelt, wenn sie sich professionelle<br />

Hilfe sucht und Dich dadurch entlastet. Mach ihr außerdem<br />

klar, dass Du eine starke Mutter brauchst, die auch<br />

Dich auffängt, wenn es Dir nicht gut geht. Dadurch,<br />

dass Du so etwas ansprichst, übernimmst Du natürlich<br />

wieder sehr viel Verantwortung für euere Mutter-<br />

Tochter-Beziehung, aber wenn Du Glück hast und hartnäckig<br />

genug bist, wird sie sich darauf einlassen und<br />

woanders Hilfe suchen, damit Du entlastet bist.<br />

Bleib dran,<br />

Andreas Arnold<br />

Anmerkung:<br />

Bitte haben Sie Verständnis, dass umfangreiche Texte<br />

nicht in voller Länge abgedruckt werden können.<br />

Falls ihr auch ein Problem habt oder einfach nach Rat<br />

fragen wollt, schickt mir bitte euer Anliegen. Ich werde<br />

jedes Schreiben beantworten.<br />

Email: redaktion@derkleinelohrer.de<br />

Brief: Andreas Arnold, Dr. Onymusstr. 46,<br />

97080 Würzburg<br />

der kleine lohrer /// juli <strong>2022</strong>

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