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FOCUS-2022-30_Vorschau

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KULTUR<br />

Drei Regeln für den Aufenthalt in seltsamen Häusern Vermeide Wannenbäder! Pflücke nicht wie Jessie Buckley als Harper Äpfel von fremden Bäumen! Und<br />

Wer hat Angst vorm Grünen Mann?<br />

Nächstes Jahr bleiben wir wieder zu Hause! In seinem neuen Film „Men“ zeigt<br />

Regisseur Alex Garland, wie eine Reise in die englische Provinz zum Albtraum wird<br />

TEXT VON HARALD PETERS<br />

Das ist alles ein bisschen viel.<br />

Eigentlich wollte Harper sich<br />

von ihrem Mann trennen,<br />

doch dann kommt er vor<br />

ihren Augen zu Tode, ausgerechnet<br />

nach einem Streit,<br />

was sie derart mitnimmt, dass<br />

sie erst einmal Abstand braucht. Also<br />

kehrt sie London den Rücken und mietet<br />

sich für ein paar Tage ein Haus auf dem<br />

Land. Gärten, Wälder, Wiesen, und mittendrin<br />

ein jahrhundertealtes Anwesen,<br />

eigentlich viel zu groß für eine Person,<br />

aber wunderschön.<br />

Doch warum ist der Vermieter so unangenehm<br />

jovial? Was macht plötzlich der<br />

seltsame nackte Mann vor dem Fenster?<br />

Wieso ist der herbeigerufene Polizist so<br />

feindselig? Weshalb fasst ihr der Pfarrer<br />

ans Knie? Zu wem gehört der Junge im<br />

Teenageralter, der mit ihr Verstecken<br />

spielen will und sie anschließend be -<br />

schimpft? Was ist hier eigentlich los?<br />

Der Mann, der all diese Fragen beantworten<br />

könnte, ist der Filmemacher und<br />

Schriftsteller Alex Garland, auch wenn er<br />

es vorzieht, genau das nicht zu tun. Als<br />

er sich zum Videointerview dazuschaltet,<br />

steht er in London in seiner Küche und<br />

möchte sich erst mal einen Kaffee kochen:<br />

„Das stört Sie doch nicht, oder?“, fragt er<br />

und scheint den Kaffee dann sofort wieder<br />

zu vergessen.<br />

Sein herrlich eigenartiger Film „Men“,<br />

der in Deutschland mit dem unglücklichen<br />

Zusatztitel „Was dich sucht, wird<br />

dich finden“ in den Kinos läuft, ist halb<br />

Albtraum und halb Bilderrätsel, durch<br />

das Jessie Buckley sich als Harper mit<br />

wachsendem Schrecken hindurchbewegt.<br />

Verlassene Gebäude, flackerndes Licht<br />

und Äpfel, die von Bäumen plumpsen.<br />

Für den letzten Akt hat Garland sich ein<br />

spektakuläres Blutbad ausgedacht, das<br />

mit einer hübschen Pointe abgerundet<br />

wird. Wenn Elton John dann zum Abschied<br />

seinen 50 Jahre alten „Love Song“<br />

singt, bekommt der Text eine völlig neue<br />

Bedeutung: „Bis du deine Liebe gibst /<br />

gibt es für uns nichts mehr zu tun.“<br />

Natürlich habe er sehr lange über die<br />

Frage nachgedacht, wie viel Erklärendes<br />

er in die Handlung einarbeiten solle, damit<br />

das Publikum den Film auf Anhieb<br />

versteht. Doch dann sei er zu dem Schluss<br />

gekommen, dass es darauf sowieso keine<br />

gute Antwort gibt. „Das ist alles subjektiv<br />

und stimmungsabhängig“, sagt Garland,<br />

also habe er bei „Men“ das gemacht, was<br />

er selbst für richtig hielt.<br />

Aber er versichert, dass der Film auf<br />

jede Frage eine Antwort gebe, jeden -<br />

falls auf jede, die ihm während der Dreharbeiten<br />

eingefallen sei: „Der Film ist<br />

sehr durchdacht.“ Allerdings muss man<br />

als Zuschauer eine Weile nach den Antworten<br />

suchen. Je länger es her ist, dass<br />

man den Film gesehen hat, desto besser<br />

scheint man ihn zu verstehen.<br />

Eine Frage der Perspektive<br />

Garland, noch immer keinen Kaffee in der<br />

Hand, hat unterdessen auf einer Couch<br />

Platz genommen, um seine Überlegungen<br />

in Ruhe zu formulieren. Es ist, als<br />

würde man ihm beim Denken zuhören.<br />

„Wissen Sie, ich glaube, dass viele Fragen<br />

von der Prämisse abhängen, unter<br />

der man sich den Film anschaut“, sagt<br />

er. „Wenn man akzeptiert, dass dies ein<br />

Film ist, der von einem Mann mittleren<br />

Alters gedreht wurde, der über das Verhalten<br />

anderer Männer entsetzt ist, beantworten<br />

sich die Fragen praktisch von<br />

selbst.“<br />

Garland ist 52, und er spricht von Männern<br />

wie Harvey Weinstein, von Männern<br />

im Bus oder in einer Bar. Er meint aber<br />

auch das Entsetzen über sich selbst, über<br />

die Impulse und Gedanken, die ihm mit-<br />

88 <strong>FOCUS</strong> <strong>30</strong>/<strong>2022</strong>

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