Bericht von Andreas Brandt - Trossschiff Offenburg
Bericht von Andreas Brandt - Trossschiff Offenburg
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Seefahrtszeit<br />
Stellenwechsel: <strong>von</strong> Flensburg nach Hamburg<br />
Die letzte Zeit im Flensburger Lehrgang war mit gespannter Erwartung erfüllt, da sich<br />
entscheiden sollte, wie und wo wir nach unserer Ausbildung für die restlichen neun<br />
Monate eingesetzt werden würden. Ich hatte große Lust auf die Seefahrt, sie war mir<br />
aber keineswegs sicher, denn für die Funker gab es etwa gleichviele Stellen an Bord wie<br />
an Land. Wir konnten Wünsche äußern, die im Rahmen des Personalbedarfs nach<br />
Möglichkeit berücksichtigt wurden. Ich kreuzte Borddienst an, machte aber sonst<br />
ziemlich unbestimmte Angaben: Zerstörer, Fregatte oder Versorger, als bevorzugter<br />
Standort Kiel (wegen der urbanen Kultur reizvoller als Wilhelmshaven, Olpenitz oder<br />
ähnlich abgelegene Orte).<br />
Wir genehmigten uns zu dritt (Matrosen F., K. und ich) einen kleinen Vorgeschmack,<br />
indem wir an einem Wochenende Freikarten für eine Butterfahrt ausnutzten,<br />
die die Marinefernmeldeschule regelmäßig <strong>von</strong> den Reedereien erhielt. Es ging an<br />
einem rauhen, aber hellen Sonntag Anfang Dezember über die Ostsee nach Søby, Dänemark<br />
(Insel Aerø). So waren wir mehrere Stunden auf See. Sie war etwas aufgerauht bei<br />
kaltem Wind und Sonne; durch das Schiff liefen ganz leichte Schwingungen, es machte<br />
Spaß. Den dänischen Hafen mit den bunten, in der Wintersonne leuchtetenden Häusern<br />
liefen wir nur kurz an. Auf der Rückfahrt spekulierten wir über kommende Erlebnisse<br />
an Bord. Wohin würde es wohl gehen? Würden wir mit einer Fregatte nach Amerika<br />
fahren, auf einem Zerstörer ins Mittelmeer? F. erzählte <strong>von</strong> einem Bruder oder Bekannten,<br />
der sofort nach dem Stellenwechsel Anfang Januar mit der Fregatte »Augsburg«<br />
nach Amerika ausgelaufen sei; die Neuen hätten, nicht an Seegang gewöhnt, auf dem<br />
Atlantik das ganze Schiff vollgekotzt. Und das Versorgerfahren? Es konnte öde werden,<br />
aber man konnte auch Glück haben. Alle Jubeljahr, so hatte man uns gesagt, fährt<br />
einmal ein Versorger hinter der »Gorch Fock« oder der »Deutschland« her, an irgendeinen<br />
Ort der Welt, das wäre das große Los. Noch besser: ein Platz unter dem Stammpersonal<br />
dieser Schiffe selbst. Damit konnte man nicht rechnen, aber es war möglich.<br />
Oder würden wir auf einer Landdienststelle bleiben? Das wäre stinklangweilig, das<br />
wollten wir nicht.<br />
Am 12. Dezember war durchgesickert, daß es an Bord geht, und ich gab das Olivzeug<br />
ab. Am 13. erfuhr ich endgültig das Kommando. Es lautete: 1. Versorgungsgeschwader,<br />
Troßschiff »<strong>Offenburg</strong>«, Heimathafen Kiel, z.Zt. Hamburg Norderwerft.<br />
Mein Gruppenleiter versicherte mir, der Dienst auf einem Versorger sei »ein ruhiges<br />
Fahren«, vergleichsweise angenehm. Zuerst war ich etwas enttäuscht, weil es »nur« ein<br />
Versorger war, denn in meiner Naivität erschienen mir die Kampfschiffe interessanter,<br />
aber das sollte sich als gründliche Fehleinschätzung erweisen, es war am besten so.
Der Kurs war am 15. Dezember zuende, wir konnten anschließend nach Hause<br />
fahren und hatten dadurch einen langen Weihnachtsurlaub. Er sollte noch länger<br />
werden. Kurz vor dem Jahreswechsel 1978/79 versank Schleswig-Holstein im Schnee.<br />
Die Bahnstrecken waren unbefahrbar, viele Autofahrer und Bewohner abgelegener Höfe<br />
mußten <strong>von</strong> THW, Feuerwehr und Bundeswehr befreit oder versorgt werden, in<br />
Flensburg wurden die am Hafen gelegenen Straßenzüge überschwemmt und froren<br />
völlig ein. Der Stellenwechsel wurde wegen der Schneekatastrophe um eine Woche,<br />
also auf den 8.1. verschoben. Ich fuhr am 2.1. nach Flensburg, sobald man mit dem Zug<br />
wieder durchkam, und verbrachte daher noch ein paar ruhige Tage in der Kaserne, an<br />
denen kaum etwas zu tun war; nur gelegentliches Schneeschippen, Reinschiffmachen<br />
und Wachegehen. Nach und nach trafen weitere Kollegen ein, die meisten am Mittwoch<br />
und Donnerstag, einer aus meiner Gruppe war auch am Tag des Stellenwechsels nicht<br />
da. Ein paar Stunden Hören und Geben wurden eingerichtet, damit wir nicht ganz aus<br />
der Übung kämen. Es war viel Zeit zum Lesen und Spazierengehen. Ich hatte mir<br />
Bücher mitgenommen und beschäftigte mich damit, auch fuhr ich hinaus an die fast<br />
zugefrorene Förde, lief auf den Eisschollen umher und machte Fotos <strong>von</strong> den bizarren<br />
Formationen, die ich in dieser Art noch nie gesehen hatte.<br />
Jener Tag des Stellenwechsels war trist. Wir wurden in Sonderzüge verfrachtet, die<br />
endlos lange unterwegs waren, ich weiß nicht ob wegen der noch immer verschneiten<br />
Strecken oder aus anderen betriebstechnischen Gründen. Viele Stunden hockten wir in<br />
den ungemütlichen Waggons, die zeitweise kaum <strong>von</strong> der Stelle kamen; aus den<br />
Fenstern sah man fast nichts als Weiß. Zwei Fernmeldebetriebsgasten (21er) und ein<br />
Signalgast (27er) waren für die »<strong>Offenburg</strong>« angefordert. M. hatte mich angesprochen<br />
und wir hatten uns zusammengetan, da wir allein in Hamburg aussteigen und dort vom<br />
Bahnhof aus weiterkommen mußten. Wir riefen vom Hauptbahnhof aus einen Fahrdienst<br />
der BW an, der uns zur Norderwerft brachte. Der Fahrer war nett und kannte sich<br />
aus. Ellerholzdamm, so hieß die Straße, soweit man das eine Straße nennen kann.<br />
Unvergeßlich ist mir die Ankunft auf dem Werftgelände. Diese Gegend ist an sich<br />
schon filmreif, man stellt sich dergleichen als Schauplatz übler Verbrechen in Kriminalfilmen<br />
vor. Es herrschte Frost, das Gelände war verschneit, man befand sich in einem<br />
Labyrinth zwischen Armen der Unterelbe, die kurz vor dem Zufrieren waren. Eine zähe<br />
Soße <strong>von</strong> Treibeis, die in den befahrenen Hauptarmen ab und zu <strong>von</strong> kleinen Fahrzeugen,<br />
Fähren, Barkassen umgerührt wurde; die Nebenarme lagen nur tot und eiskalt<br />
da, über sie führten kleinere Brücken aus Stahlträgern. Sonst Kräne, Docks, Schuppen,<br />
herumliegendes Material. Wir kamen am späteren Nachmittag an, als die verlöschende<br />
Dämmerung über dieser unwirtlichen Szenerie lag, erhellt durch die farbigen Lichter der<br />
Werftscheinwerfer. Kalt war es, saukalt, sehr trübes, dunstiges Wetter, überall verschneiter<br />
und vereister Dreck; und da lag nun in der düster-fahlen Mischbeleuchtung,<br />
inmitten <strong>von</strong> Schläuchen und Kränen nur teilweise erkennbar, in leichter Schräglage am<br />
Werftliegeplatz vertäut, das Schiff.<br />
Wir stiegen aus, nahmen unser Handgepäck, meldeten uns bei der Wache, und es<br />
wurde jemand gerufen, um uns an der Wache abzuholen und zu unserer Unterkunft zu<br />
bringen. Es war nach Dienstschluß, viele waren <strong>von</strong> Bord gegangen. Zu unserem Glück<br />
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kam gleich unser älterer Funkerkollege, der Obergefreite K., der uns unerwartet nett<br />
empfing und in die Gegebenheiten einführte. Als wir zum erstenmal durch das<br />
Außenschott ins Schiffsinnere gelangten, hatte ich nur undeutliche Vorstellungen, alles<br />
war zu fremd. Ein Gewirr <strong>von</strong> verwinkelten Gängen und Türen, Rohren, Kabeln,<br />
Schläuchen, in dem man sich anfangs gar nicht zurechtfand und erst lernen mußte, wo<br />
vorn und hinten ist. Wir saßen erstmal eine Weile im ungemütlichen, aber doch<br />
einigermaßen geräumigen »Funktionärsdeck« zusammen, der Wohnstube für die<br />
Mannschaften der Schiffsführungsdienste (Funker, Signäler und Navigatoren), die nun<br />
unsere neue Behausung werden sollte. Acht oder neun Kojen, zur Zeit fünf Bewohner,<br />
uns eingerechnet. Fast alles war aus Metall und mit mehr oder weniger ekligen Lackfarben<br />
gestrichen, nur Tisch und Bänke teilweise aus Kunststoff, alles fest montiert;<br />
oben unter der Decke verliefen dicke Heizungsrohre, Kabel und ein Luftschacht, und<br />
<strong>von</strong> vornherein hatte man jenen typischen warmen Schmierölgeruch in der Nase, der auf<br />
solchen Schiffen immer herrscht. Wir waren aber froh über die Ankunft und die<br />
freundliche Aufnahme. H., der Signäler, traf auch irgendwann ein. Möglicherweise<br />
bekamen wir in der Mannschaftsmesse noch etwas zu essen. K. erzählte uns viel über<br />
das Bordleben, dann zeigte er uns das Schiff. Wir gingen durch diverse Schotten und auf<br />
engen, steilen Niedergängen hoch zum Navigationsraum, zum Funkraum, auf die<br />
Brücke (ich folgte nur immer, hatte überhaupt noch keinen Plan); anschließend ging es<br />
außen an Oberdeck zurück, wobei ich erstmals das ganze Schiff <strong>von</strong> oben überblicken<br />
konnte, aber nur im Halbdunkel der nächtlichen Werft und unter Schnee und Eis. Es<br />
kam mir riesig vor, aber die Vorstellung blieb undeutlich. – Die Heizung war defekt, die<br />
Toiletten (ganz im Achterbereich, noch hinter den Unteroffiziersdecks) waren eingefroren;<br />
ungemütlicher ging es kaum noch, aber ich hatte mich ja auf einiges gefaßt<br />
gemacht und dachte nun: Aha, so ist das also auf einem Kriegsschiff, und ich werde es<br />
schon akzeptieren lernen. Wir richteten uns ein, packten unsere Sachen aus. Jeder<br />
konnte sich einen oder vorläufig zwei der eng bemessenen Spinte aussuchen, in denen<br />
nicht viel unterzubringen war. Die Kojen waren schmal (80 cm), die Decken waren<br />
einfache braune BW-Decken, die Matratze ein Stück Schaumstoff, zum Schlafen konnte<br />
ein Vorhang zugezogen werden. In der ersten Nacht hörte ich an der Außenseite Wasser<br />
plätschern und nahm leichte Bewegungen des Schiffs wahr, wenn draußen ein anderes<br />
vorüberfuhr. Ich war gespannt, was kommen würde, aber erst einmal schlief ich gut.<br />
Bordleben in der winterlichen Werft<br />
Am nächsten Morgen begannen wir den regulären Dienst an Bord kennenzulernen.<br />
Wecken war um – ich weiß nicht mehr: 6 Uhr 30? Es erfolgte jedenfalls durch mehr<br />
oder weniger virtuosen Gebrauch der Bootsmannsmaatenpfeife durch den wachhabenden<br />
Unteroffizier, der die Töne ins Mikrofon der Schiffslautsprecheranlage (SLA)<br />
hineinblies, mit anschließendem Kommando »Reise, reise, aufstehn!«. Beim Pfeifen ins<br />
Mikrofon wurden natürlich auch die Windgeräusche mit übertragen – ein wahrlich<br />
grauenhaftes Gefiepse, das da aus dem Deckslautsprecher ertönte. Bescheidene Körper-<br />
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pflege im Wasch- und Duschraum im Achterbereich; die Spiegel dort waren aus<br />
poliertem Metall, da es aus Sicherheitsgründen keinerlei Glasscheiben an Bord gab (nur<br />
die wenigen Bullaugen auf der Brücke waren aus Glas, sonst gab es auch keine<br />
Bullaugen, keinen Blick nach draußen). Dann »Backen und Banken« in der Mannschaftsmesse,<br />
wo ich erstmals die anderen Kollegen sah, die nicht zu den Führungsdiensten<br />
gehörten: Versorger, seemännisches Personal (»Ziegen«) und Schiffstechniker<br />
(»Heizer«). K. hatte uns allerhand <strong>von</strong> ihnen und ihren Sitten erzählt, <strong>von</strong> den autoritären<br />
Verhältnissen, die in ihren Decks herrschten, und er hatte uns ungefähr als erstes<br />
gesagt, daß es bei uns im Funktionärsdeck ganz anders, nämlich menschenfreundlicher,<br />
zivilisierter, liberaler zugeht als bei denen und daß wir den Blödsinn, der dort üblich ist,<br />
nicht mitmachen. Er sprach <strong>von</strong> Einstandssitten und Decksgesetzen.<br />
Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß die Mannschaften unter sich solidarisch seien<br />
und etwa gegen die höheren Dienstgrade zusammenhielten. Im Gegenteil: Weil sie<br />
gegen »die da oben« ohnehin nicht ankommen, machen sie untereinander eine eigene<br />
Hierarchie auf, wollen nach unten weitergeben, was sie <strong>von</strong> oben empfangen, obwohl<br />
sie untereinander überhaupt keine militärische Befehlsgewalt haben. Viele kommen<br />
direkt aus der Lehre und bringen <strong>von</strong> dort die Gewöhnung an strenge Hackordnungen<br />
und Rangfolgen mit. Jeder kleine Arsch kommt sich groß vor, wenn er irgendwo auf<br />
unterster Ebene noch etwas zu sagen, noch irgendjemanden unter sich hat; und die<br />
Untersten sind immer die Neuen, die sich erst langsam und geduldig hochdienen<br />
müssen, bis sie selbst an der Reihe sind. Dies ist das wahre proletarische Bewußtsein.<br />
Besonders hart war traditionell das Heizerdeck drauf, dicht gefolgt vom Ziegendeck.<br />
Der »Decksbulle« (in der Regel der Dienstälteste) konnte zuweilen herrschen wie ein<br />
Tyrann. Die »Rotärsche« mußten erst einmal einiges an Einstandssitten über sich<br />
ergehen lassen, wobei das Schiffchentrinken noch zu den harmloseren Übungen gehörte.<br />
Das blaue Schiffchen (Mütze) wird mit irgendeinem Alkohol gefüllt, der Rotarsch muß<br />
trinken und wird da<strong>von</strong> überrascht, daß ihm dabei das Schiffchen samt Inhalt ins<br />
Gesicht geschlagen wird. Man erzählte uns aus früheren Zeiten, als im Ziegendeck ein<br />
nahezu Verrückter herrschte, der jüngere Kameraden in unglaublicher Weise demütigte;<br />
er zwang sie, Wasser aus dem Mülleimer zu trinken und ähnliches, bedrohte auch<br />
einmal jemanden mit einem Messer, die Leute zitterten aus Angst vor ihm. – Die<br />
Decksgesetze sind strenge Ordnungsvorschriften (z.B. gegen »Sachen herumliegenlassen«<br />
oder »mit Klamotten im Bock«); ihre Verletzung wird mit Geldstrafen belegt,<br />
die in die Deckskasse fließen, und <strong>von</strong> Zeit zu Zeit wird dann der Inhalt der Deckskasse<br />
in wüsten Gelagen gemeinschaftlich versoffen. Bei uns Funktionären gab es weder<br />
Decksgesetze noch Deckskasse noch einen Decksbullen, stattdessen einen fast zivilen,<br />
humanen Umgang.<br />
Zum Frühstück: Kaffee, Tee, Weißbrot, Butter, Marmelade, Nutella. Das Weißbrot<br />
hatte immer den typischen Kühllast-Beigeschmack. In der Mannschaftsmesse – einem<br />
relativ großen Saal auf der Backbordseite – gab es zwar keine absolut festen Sitzordnungen,<br />
aber doch Bereiche, in denen man als Funktionär besser nicht Platz nahm;<br />
insbesondere die Heizer hatten ihre angestammten Bänke und hätten es als Provokation<br />
empfunden, wenn jemand <strong>von</strong> uns dort erschienen wäre. Offiziere und PUO’s (Boots-<br />
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leute) besaßen jeweils eigene Messen, das waren kleinere Räume auf der Steuerbordseite.<br />
Reihum mußte Personal zum »Aufbacken«, »Abbacken« und »Aufklaren« sowie<br />
zum Kombüsendienst gestellt werden, also Tisch- und Küchendienst zu den Mahlzeiten.<br />
So war jeder <strong>von</strong> uns mehr oder weniger oft »Backschafter«. Man durfte sich dabei nicht<br />
veräppeln lassen, manche betrachteten den Backschafter als untergeordnetes Bedienungspersonal<br />
und versuchten ihn herumzukommandieren. Auch mußten immer einige<br />
<strong>von</strong> uns »Potackendrehen«, d.h. Kartoffeln für das Mittagessen schälen. Die Potacken<br />
waren <strong>von</strong> ziemlich schlechter Qualität, schmeckten süß und hatten dunkle Stellen,<br />
manche waren ganz verfault. (Im Skagerrak schnitzen wir aus den Kartoffeln einmal<br />
zum Spaß kleine gelbe U-Boote, die in dem tiefen, klaren Wasser sanken und dabei<br />
lange sichtbar blieben.)<br />
Nach dem Frühstück Reinschiff, wobei jeder für eine bestimmte Reinschiffstation<br />
eingeteilt war, dann Morgenmusterung mit Arbeitsverteilung im achteren Bereitstellungsraum<br />
(später, als das Wetter besser wurde, draußen auf der Schanz), anschließend<br />
Arbeiten im jeweiligen Abschnitt. Eine 15- oder 20minütige Pause etwa um 9 Uhr; der<br />
genaue Ablauf ist mir nicht mehr gegenwärtig. Manchmal (jedoch eher selten) wurde in<br />
dieser Pause im Deck schon das erste Bier getrunken. Mittags konnte man, wenn man<br />
sich mit dem Essen beeilte, fast eine Stunde schlafen. Zeitweise verabredeten wir im<br />
Funkerdeck, dann das Licht auszumachen, und sackten in Tiefschlaf ab. Wenn dann um<br />
14 Uhr erneut zur Arbeitsverteilung gepfiffen wurde, taumelten wir schlaftrunken<br />
hinaus. Dienstausscheiden irgendwann nachmittags, vielleicht 16.30 Uhr, jedenfalls so,<br />
daß man zu jener Jahreszeit Hamburg immer nur bei Dunkelheit kennenlernte, falls man<br />
nicht sowieso an Bord blieb, denn es war aufwendig, aus der Werft hinaus und zu<br />
irgendeinem Ziel in der Stadt zu gelangen. Wenn man das Abendessen noch mitnahm<br />
und danach endlich hinauskam, war schon späte Dämmerung.<br />
Die »<strong>Offenburg</strong>« lag wegen einer Kollision mit dem Tender »Neckar« seit drei<br />
Monaten in der Werft. Die Schiffe waren bei einem Seeversorgungsmanöver (Treibstoffübernahme)<br />
zusammengestoßen und die »<strong>Offenburg</strong>« an der Seite eingedrückt<br />
worden, ein Treibstoffschlauch war dabei gerissen und einer der Bootsleute an Deck war<br />
<strong>von</strong> oben bis unten mit Dieselöl besudelt worden. Die Reparaturen waren aber fast<br />
abgeschlossen, und man rechnete mit der Verlegung nach Kiel innerhalb weniger<br />
Wochen. – Wir lernten wohl schon am ersten Tag unsere speziellen Vorgesetzten<br />
kennen. Für uns am wichtigsten war der FMO (Fernmeldeoffizier) Oberfähnrich zur See<br />
S., ein höflicher und kollegialer Mann, noch jung, sehr schlank, strohblond und hellhäutig,<br />
Wasseraugen, etwas stupsnasig. Außerdem Obermaat S. (Fernmeldeabschnittsleiter),<br />
der aber, wenn ich mich recht entsinne, in den ersten Tagen nicht da war.<br />
Oberster Chef (Kommandant) war Korvettenkapitän Schöber, ein Mann in den Vierzigern,<br />
eine etwas spröde Autoritätsperson, kaum nahbar, jedoch auf keine Weise tyrannisch,<br />
er behandelte uns absolut korrekt. Ich hatte immer etwas Angst vor ihm, wenn ich<br />
Unterschriften <strong>von</strong> ihm einholte oder in seinem Deck Reinschiff machte (meine Station<br />
waren die Decks der Offiziere und Bootsleute im Mittelschiff, eine Etage über der<br />
Hauptebene). Indirekt betroffen waren wir <strong>von</strong> unserem Abschnittsnachbarn, dem NO<br />
(Navigationsoffizier) Oberfähnrich zur See L.; ferner vom »Schmadding« (Decks-<br />
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meister) Hauptbootsmann Reich, einem altgedienten, väterlichen Soldaten, der uns<br />
einseitig duzte. Er hatte immer zuwenig Ziegenpersonal und lauerte darauf, uns Funker<br />
beschäftigen zu können. Wenn wir ihm jedoch erzählten, was für wichtige und<br />
schwierige Dinge wir im Funkraum zu tun hatten, <strong>von</strong> denen er nichts verstand – z.B.<br />
»NAVCOMEX« – dann klappte er nur vor Staunen den Unterkiefer ’runter und ließ uns<br />
in Ruhe. Ebenfalls sehr väterlich und anständig, wenn auch streng, war der SVO,<br />
Kapitänleutnant Körner. Er war (so hieß es) Kapitän auf großer Fahrt gewesen und hatte<br />
800 000 Seemeilen hinter sich, bevor er Marineoffizier wurde; ein reifer, gestandener<br />
Mann. – „Rauh aber herzlich“, wie er sich selbst beschrieb (ich meine, eher rauh) war<br />
der Zahlmeister, Hauptbootsmann W.; seine versauten Sprüche übertrafen alles, was ich<br />
in Schulklassen pubertierender Jungen gehört hatte. Weniger zu tun hatten wir mit der<br />
Heizer-Fakultät und deren Vorgesetzen, also dem STO, dem Antriebsmeister und dem<br />
E-Meister (evtl. noch ein Schiffssicherungsmeister, Erinnerung unklar). Der Antriebsmeister<br />
machte einmal eine Schiffsführung für die Neuen, wobei er uns mit der<br />
unverständlichen Systematik der Decksbezeichnungen bombardierte; er warf nur so mit<br />
Kombinationen römischer und arabischer Zahlen und Buchstaben um sich (IIb5, IIIc10<br />
usw.), keiner blickte durch. In der Freizeit bemalte er Wappen. Der Versorgungsmeister,<br />
Bootsmann H., war blass und bürokratisch, zitierte ZDV (zentrale Dienstvorschriften)<br />
auswendig, obwohl seine mündliche Rede durch ständiges Einfügen <strong>von</strong> »hier« ein<br />
wenig verwahrlost war; der Sanitätsmeister ein schlanker und nervöser, nicht besonders<br />
gewandter, aber doch halbwegs freundlicher und zurückhaltender Typ. Der Feuerwerksmeister,<br />
genannt »Bumbum«, verwaltete auch den Proviant (er war es, der später in der<br />
Nordsee die Sonderration Zwieback herausrückte, als wir kotzten). Zu feuerwerken gab<br />
es für ihn nicht viel, die »<strong>Offenburg</strong>« besaß zwar zur Abwehr <strong>von</strong> Luftangriffen zwei<br />
Zwillingsflakgeschütze, die aber einkokonniert waren und nie benutzt wurden. Seine<br />
große Stunde schlug beim »Wochenende bei der Marine« in Pelzerhaken, als er auf dem<br />
Signaldeck das Abschlußfeuerwerk durchführte. Maat Hensel leitete die Schreibstube, er<br />
bearbeitete Urlaubsanträge und Papierkram aller Art; rötliche Haare und Vollbart, etwas<br />
untersetzt, klare Tenorstimme und bestimmtes Auftreten, er hatte äußerlich etwas<br />
Seebärenhaftes. Von den niederen Unteroffizieren (Maaten und Obermaaten) wichtig<br />
war für uns unmittelbar nur ‚Chico‘, unser Abschnittsleiter, der nach einem Quartal<br />
durch Wagner ersetzt wurde. Schmidtgen <strong>von</strong> den 11ern fanden wir noch ganz nett, mit<br />
den anderen war wenig anzufangen. Signal-Abschnittsleiter war OMt Hoppe, hochgewachsen<br />
und eitel, mit Popperschnitt und Schnauzer, ein typischer Diskothekenbesucher<br />
und zur gerade aktuellen Discowelle passend; ich glaube, wir nannten ihn dann auch<br />
»Travolta«. Er war schon dienstälter, tat groß mit seiner Erfahrung, provozierte uns mit<br />
Sprüchen, aber wenn er gut aufgelegt war, war nicht schlecht mit ihm auszukommen.<br />
Die Navigation hatte, glaube ich, außer dem NO keinen Abschnittsleiter, erst ein Quartal<br />
später kam Marcus Graw als Maat dazu. – Chico war ein bißchen borstig und brummelig,<br />
aber berechenbar und in der Grundhaltung wohlwollend. K. erzählte uns <strong>von</strong> ihm,<br />
daß er wichtige Arbeiten am liebsten selbst machte; am Fernschreiber und an der Taste<br />
gab er sich als »der große Zampano«, wurde es ihm aber zuviel, dann sagte er etwas wie:<br />
»Ich geh’ nur schnell mal eine Büroklammer holen«, und dann konnte man sicher sein,<br />
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daß man ihn bis Dienstschluß nicht wiedersah. Angenehm war, daß er (wie auch der<br />
FMO) uns mit »Herr« und nicht mit unserem Dienstgrad anredete. Der FMO war wohl<br />
der beste Vorgesetzte, den man überhaupt haben konnte: permanent um faire Kooperation<br />
und um unser Wohl bemüht und sich für unsere Interessen einsetzend, z.B. wenn es<br />
um erträgliche Arbeitsbedingungen oder um notwendigen Sonderurlaub ging. Auch<br />
insofern eine Ausnahmeerscheinung, als er keinen Alkohol trank und ihm Widerwille<br />
gegen viele Mißstände anzumerken war, die sonst kaum jemanden störten. Ein oft zu<br />
hörender Spruch <strong>von</strong> ihm war: »Wenn wir die Bundeswehr nicht hätten, bräuchten wir<br />
viel mehr Irrenhäuser.« Wir hatten großes Glück mit unseren Vorgesetzten, fühlten uns<br />
als Personen ernstgenommen und wurden sehr fair und fürsorglich behandelt. M. und<br />
ich atmeten auf, waren dankbar für das angenehme Klima unter den Funktionären.<br />
Spannungen gab es dagegen mit den anderen Fraktionen, besonders den Heizern. Die<br />
älteren Gefreiten und Obergefreiten erwarteten <strong>von</strong> uns Rotärschen Respekt und<br />
Unterwürfigkeit, die wir ihnen nicht gaben; es kamen schon mal Handgreiflichkeiten<br />
vor, bei denen die Matrosenbluse am Halsausschnitt eingerissen (»gefetzt«) wurde. Man<br />
mußte sich einen groben Umgangston und sicheres Auftreten angewöhnen, was mir<br />
damals nicht schwerfiel: humane Selbstbehauptung gegen solche Leute war Ehrensache<br />
und zugleich eine Notwendigkeit, so sah ich das damals<br />
Relativ zu seiner Größe war das Schiff mit wenig Personal besetzt (insgesamt etwa<br />
80), so daß man alle wenigstens vom Sehen und ungefähr mit Namen kannte und den<br />
Überblick behielt; auch war im Vergleich zu anderen Kriegsschiffen ungewöhnlich viel<br />
Platz. Das Schiff war schon allein deswegen groß, weil es in seinem Rumpf riesige<br />
Treibstoff- und Wassertanks sowie Platz für die umfangreiche Versorgungsbeladung<br />
(Munition und Ausrüstungsgegenstände aller Art) besaß; andererseits gab es kein<br />
spezielles waffentechnisches Personal, so wie es Zerstörer und Fregatten benötigen. Das<br />
Versorgerfahren ist deutlich komfortabler und ruhiger als der Dienst auf Kampfschiffen,<br />
denn dort ist viel mehr Besatzung (bis zu über 300 Mann) auf engerem Raum<br />
zusammengedrängt. Später in Kiel fragten uns Besucher vom Zerstörer »Lütjens«, ob<br />
das ein Sanatorium wäre: »Ihr lebt ja hier wie Gott in Frankreich!« Und der arme S. aus<br />
meiner Flensburger Gruppe, der so gern auf der »Rommel« fahren wollte und auch<br />
dorthin kam, sah immer blaß, gestreßt und erschöpft aus, wenn ich ihn im Kieler<br />
Stützpunkt traf; er war enttäuscht und sagte mir, es sei völliger Mist.<br />
Um das Schiff noch etwas vollständiger zu beschreiben: Die Wohndecks für die<br />
Mannschaften und einfachen Unteroffiziere lagen alle im Achterschiff. Durch dieses<br />
führte ein Mittelgang, der ganz hinten mittschiffs und etwas weiter vorn mehr auf der<br />
Steuerbordseite verlief. Wenn man vom Eingangsschott auf dem Steuerbord-Seitendeck<br />
aus nach hinten durch ging, kam man zuerst an den Messen vorbei, – irgendwo<br />
Backbord ein Niedergang ins Reich der Heizer, d.h. zur Maschine, und Steuerbord ein<br />
Aufgang auf die Schanz –, danach kamen die Mannschaftsdecks (auf der Backbordseite<br />
die Heizer und Versorger, Steuerbord die 11er und Funktionäre), noch weiter hinten<br />
lagen zu beiden Seiten die Unteroffiziersdecks und ganz am Ende, in der Heckrundung,<br />
ein Raum mit Toiletten und Duschen. In umgekehrter Richtung, zum Vorderschiff hin,<br />
kam man an der Wache vorbei in den achteren Bereitstellungsraum (mittschiffs ein<br />
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Aufzug, an dem man rechts vorbei ging), dann ging man rechts weiter an dem großen<br />
Raum entlang und am Ende einen Niedergang hinauf zur Ebene der Offiziere und<br />
Bootsleute im mittleren Schiff, die dort jeweils eigene Decks besaßen. Hier gab es einen<br />
Rundgang (im Rechteck außen um die Decks herum), der mit roten Läufern ausgelegt<br />
war, ebenso in der Mitte einen Quergang, <strong>von</strong> dem aus ein weiterer Niedergang zum<br />
nächsthöheren Ebene führte, auf der unsere Betriebsräume lagen (Funk-, Navigations-<br />
und Signalraum). Unten irgendwo zwischen den Offiziers- und PUO-Decks war die dem<br />
Funkraum nächstgelegene Toilette, wo wir bei Seegang kotzen konnten, sowie die<br />
Schreibstube und das San-Deck. Der Niedergang führte hinauf durch ein verschließbares<br />
Schott in eine Art Vorraum, <strong>von</strong> dem aus man rechts den Signalraum erreichte, links<br />
einen kleinen Stauraum für Fernmeldematerial sowie auf beiden Seiten Außenschotten,<br />
durch die man hinaus an Oberdeck gelangte. Geradeaus nach vorn ging man durch eine<br />
Tür zum Navigationsraum, <strong>von</strong> dem mir hauptsächlich ein großer Kartentisch und eine<br />
Art Couch in Erinnerung ist sowie eine Musikanlage, mit der wir bei Seefahrten den<br />
Leuten unten in der Maschine die Wachen erträglicher machen mußten (sie gaben uns<br />
Cassetten zum Wechseln); links war die Tür zum Funkraum, der auf der Backbordseite<br />
lag, und weiter geradeaus der Aufgang zur Brücke. Der Signalraum war ein sehr kleines<br />
Schapp mit Schiebetür auf der Steuerbordseite. Im hinteren Teil dieses Stockwerks,<br />
hinter den Außenschotten, vielleicht noch weitere Stauräume, an die ich keine klare<br />
Erinnerung habe. Ganz oben, auf dem Dach der Funktionsräume, war das Signaldeck,<br />
sozusagen das Sonnendeck, wo man draußen den besten Überblick hatte; allerdings<br />
hatten wir Funker wie auch die meisten anderen normalerweise dort nichts zu suchen<br />
und waren nur gelegentlich mal oben. – Das gesamte Erscheinungsbild des Schiffes<br />
fand ich plump und häßlich, vor allem der große, schräge Schornstein, der sich im<br />
hinteren Drittel über der wuchtigen Schanz erhob, beleidigte mein Auge. Die Zerstörer<br />
und Fregatten waren natürlich schlanker und schneidiger, aber hier kam es nicht auf<br />
Ästhetik, sondern auf Funktionalität an.<br />
Die Zeit im Hamburg währte etwa sieben Wochen (einschließlich der unbeabsichtigten<br />
Verlängerung, dazu später). Wir wurden im täglichen Abschnittsdienst nach<br />
und nach in unsere Arbeiten eingewiesen. Es gab nicht viel zu tun, aber es wurde uns<br />
alles erklärt, was es irgendwann zu tun geben würde oder könnte. Das Einarbeiten <strong>von</strong><br />
Korrekturen in die Dienstvorschriften (Fernschreib-Adressbücher und dergleichen) war<br />
eine ständige Aufgabe, die wir immer wieder einmal vornahmen, ohne jemals ganz auf<br />
dem neuesten Stand zu sein. Botengänge zur Fernschreibstelle. Wenn das Schiff ins<br />
Trockendock kam, mußte man Toilettenhäuschen an Land benutzen, ziemlich unangenehm.<br />
Nach Dienst konnte man die Gegend besser kennen lernen und gelegentlich<br />
etwas in Hamburg unternehmen. Man ging zu Fuß durch den alten Elbtunnel und kam<br />
bei den Landungsbrücken heraus, dann ging es je nach Ziel mit der S-Bahn weiter. Nach<br />
Dienstschluß war es, wie gesagt, immer schon fast dunkel. Ich besuchte Konzerte in der<br />
Jacobikirche und in der Musikhalle, besuchtre einmal auch einen Freund, der in Hamburg<br />
studierte. Das winterliche Werftgelände faszinierte mich durch seine absolute<br />
Tristesse; es war so auserlesen öde und deprimierend, daß es schon wieder gut war.<br />
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Eisige Probefahrten und langweilige Hafenwachen. Transit nach Kiel<br />
Ein erstes nennenswertes Ereignis in dieser Zeit war eine Werftprobefahrt (18.1.) auf der<br />
Unterelbe hinaus in die Nordsee bis kurz vor Helgoland und zurück – eine schauerliche<br />
Fahrt in der öden, vereisten Elbmündung. Auslaufen 7 Uhr morgens, Einlaufen erst 2<br />
Uhr nachts, weil die Steuerbord-Maschine kaputt war. An sich überhaupt nichts Attraktives,<br />
dennoch für mich hochinteressant, weil ja alles neu war. Bei Seefahrten herrschte<br />
eine andere Atmosphäre als sonst, es war etwas los, ich nahm Anteil daran und ließ<br />
mich faszinieren. Die Standardbeschäftigung im Funkabschnitt war der Broadcast-<br />
Empfang. Der Broadcast ist ein zentraler Funkdienst, der <strong>von</strong> zwei Stellen aus (Glücksburg<br />
für die Ostsee und Wilhelmshaven für die Nordsee) an alle Schiffe in See<br />
ausgestrahlt wird. In unregelmäßigen Abständen sprang der Fernschreiber im Broadcast-<br />
Schapp an, und es tickerten Meldungen darüber. Dieser Arbeitsplatz war relativ gemütlich,<br />
man saß in einem sehr engen Raum an einem kleinen Schreibtisch, auf der anderen<br />
Seite (im Rücken) der Fernschreiber und diverse Empfangsgeräte – oder, wenn man<br />
gedreht saß, der Tisch links und die Geräte rechts, geradeaus blickte man dann an der<br />
Tür vorbei in den Hauptraum. Beim Broadcast-Dienst mußte man die eingehenden<br />
Sprüche (Fernschreiben) abreißen, katalogisieren (IN-Stempel plus Nummer), ins<br />
Betriebsbuch eintragen und daraufhin durchsehen, ob sie an uns adressiert waren,<br />
entweder direkt oder als Info. Die betreffenden Sprüche sammelte man auf einem<br />
Klemmbrett, das man zu gegebener Zeit, unter Beachtung der Dringlichkeitsstufen, dem<br />
Kommandanten vorlegte; manchmal kam er auch selbst vorbei, um nach den eingegangenen<br />
Fernschreiben zu sehen. Der Rest wurde einfach abgeheftet, Verschlußmaterial<br />
wurde nach Gebrauch durch den Reißwolf geschickt. Im Broadcast-Schapp saß<br />
man <strong>von</strong> dem sonstigen Treiben im Funkraum etwas abgeschirmt; war die Luft rein und<br />
nichts zu tun, konnte man lesen, aber es war (anfangs) auch interessant, die Meldungen<br />
zu verfolgen, die auf dem Fernschreiber erschienen. Es gab ganz unterschiedliche Arten<br />
<strong>von</strong> Sprüchen, viel Routine, Verwaltungskram, oft kaum verständlich nach irgendwelchen<br />
Formblatt-Schemata codiert, aber auch Wetterberichte, dpa-Nachrichten oder<br />
echte Ereignisse; z.B. wurden die Positionen der Schiffe in See regelmäßig durchgegeben.<br />
Wenn viel los war, kam man mit dem Eintragen kaum nach (einmal haben wir<br />
zu mehreren im Fließbandbetrieb einen Rückstand aufgearbeitet), zu anderen Zeiten,<br />
besonders nachts, rührte sich nur selten etwas. Auf See hatten tagsüber alle Abschnittsdienst,<br />
wobei immer zwei <strong>von</strong> vier Funkern Seewache gingen (4-Stunden-Rhythmus),<br />
die anderen hatten normalen Dienst oder halfen je nach Bedarf auch bei den 11ern aus,<br />
was immer mal eine gute Abwechslung war, weil man an Oberdeck oder auf die Brücke<br />
kam und andere Dinge sah; dann war es im Funkraum ruhiger. Nach Dienstschluß ging<br />
der Seewachenbetrieb in alternierenden Schichten (»Zweierstropp«) weiter. Das<br />
bedeutete im Normalfall weniger als vier Stunden Schlaf pro Nacht, vielleicht noch ein<br />
bißchen in einer anderen Freiwache, soweit sie außerhalb der Dienstzeiten lag. Bei uns<br />
genehmigte der FMO oft ab 20 Uhr als humane Lösung den »Viererstropp« mit nur<br />
einem Funker auf Wache, was meistens ganz gut ging. Nur gelegentlich, wenn der<br />
Empfang schlecht war und der Broadcast dauernd ’raussprang, wenn dazu noch der<br />
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Kryptowechsel oder noch etwas anderes anstand, kam man allein schon mal in<br />
Schwierigkeiten. Jedenfalls konnten so alle länger schlafen. Beim übrigen Personal, das<br />
ständig Zweierstropp fuhr, zehrte der Schlafmangel bei mehrtägigen Fahrten an den<br />
Kräften. Nachts machte mir das Fahren meist mehr Spaß als tagsüber, weil weniger los<br />
war und man die Ruhe genießen und leichter eigenen Beschäftigungen nachgehen<br />
konnte, als wenn im Abschnitt alles anwesend war. Es hatte auch mehr »Atmosphäre«,<br />
die Stimmung war anders. Quälend konnte es jedoch sein, wenn man zu müde war, um<br />
etwas mit sich anzufangen, man sehnte dann nur noch die Ablösung herbei. Waren wir<br />
tagsüber auf See, so hatte ich oft das Verlangen, draußen an Oberdeck zu sein und das<br />
Wasser zu sehen, wozu meistens nur mal kurz zwischendurch Gelegenheit bestand.<br />
Interessanter und herausfordernder als der Broadcast-Empfang war das Absetzen<br />
<strong>von</strong> eigenen Funksprüchen. Dafür gab einen weiteren Fernschreibarbeitsplatz, der mit<br />
dem Sender verbunden war. Man stellte erst den Sender auf die richtige Frequenz ein,<br />
drückte dann einen Knopf, der ein paar Senderimpulse hinausschickte (hörbar und auf<br />
einem kleinen grünen Monitor auch sichtbar), und wenn die Verbindung mit der<br />
Landdienststelle stand, konnte der Spruch gesendet werden. Den tippte man natürlich<br />
nicht online in den Fernschreiber, sondern hatte ihn, nach dem Entwurf des Kommandanten<br />
auf einem speziellen Formular, vorher geschrieben und dabei einen Lochstreifen<br />
gestanzt, der nun eingelegt und schnell abgespult werden konnte. Der Lochstreifen – ein<br />
mechanisches Speichermedium, das heute vermutlich durch digitale Elektronik ersetzt<br />
ist – bestand aus einem hellgelben, relativ strapazierfähigen Material (hartes Papier, fast<br />
wie Kunststoff), das sich auch zweckentfremden ließ, z.B. um ein »Funkermaßband«<br />
daraus zu stanzen: eine besondere Alternative zu dem üblichen Schneidermaßband, auf<br />
dem die anderen Soldaten ihre Tageszahlen abschnitten. Ein echtes Funkerprivileg, das<br />
gelegentlich auch ein wertvolles Verhandlungsobjekt gegenüber Nicht-Funkern war, die<br />
gern eins haben wollten, um damit bei anderen Nicht-Funkern anzugeben. Zur Herstellung<br />
mußte man über einen Code verfügen, nämlich wissen, welches Tastaturzeichen<br />
welches Lochmuster auf den fünf Lochspuren des Streifens erzeugt, um daraus Ziffern<br />
zusammensetzen zu können. Aber das war nur Spielerei.<br />
Die zweite Werftprobefahrt war schon fünf Tage später am 23.1. Wir hatten außer<br />
dem Funkabschnittsdienst noch andere Aufgaben, die wir für die zu wenigen 11er mit<br />
übernahmen: Hilfe beim An- und Ablegen und an Oberdeck Posten stehen (Back oder<br />
Schanz). Selten auch noch anderes, wie z.B. Posten Maschinentelegraph auf der Brücke.<br />
Außerdem – und dies war wiederum eine genuine Funkeraufgabe – standen wir manchmal<br />
Wache auf der Brücke für das Bordtelefon, das bei Manövern vorgeschrieben war,<br />
aber kaum gebraucht wurde, so daß wir schön dem Betrieb zugucken, teilweise uns<br />
sogar mit den Funkerkollegen am anderen Ende der Leitung privat unterhalten konnten,<br />
während andere schwer rödelten. Ich habe zwei deutliche Eindrücke <strong>von</strong> diesen Postendiensten,<br />
die <strong>von</strong> den beiden Werftprobefahrten stammen. Einmal stand ich vormittags<br />
Posten auf der Back, als wir bei gutem Winterwetter auf der Unterelbe hinausfuhren.<br />
Man stelle sich eine völlig flache, kahle, weiße Winterlandschaft bei leicht verschleierter<br />
Sonne vor, in der nur hier und da einzelne Masten mit Seezeichen emporragen.<br />
Flaches, verschneites Marschland, der Deich, der breite Strom, sonst nichts. Durch diese<br />
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Landschaft schieben sich ab und zu, sehr langsam, riesige Ungetüme, rostige und<br />
häßliche Fracht- oder Industrieschiffe aus aller Herren Länder; man sieht sie kilometerweit<br />
entgegenkommen, und es dauert irre lange, bis sie heran sind und seitlich<br />
passieren. Der Elbstrom eine weißlich-zähe Eissuppe, die <strong>von</strong> ihnen durchpflügt wird.<br />
Ich fand diese Szenerie eindrucksvoll, auch wegen ihrer Neuheit und Fremdheit; ein<br />
Stadtbewohner sieht so etwas normalerweise nicht. – Der andere Eindruck (das muß<br />
beim ersten Mal gewesen sein): nachts bis 2 Uhr auf der Brücke beim Brückenpersonal,<br />
während wir mit einem Lotsen fuhren und dieser höllisch aufpassen mußte, um auf der<br />
engen und vielbefahrenen Unterelbe den richtigen Kurs zu halten; sehen konnte man in<br />
der Dunkelheit nicht viel, man fuhr nach Leuchttonnen, Decca-Gerät (Funkpeilung) und<br />
Radar. Auf der Elbe war es eng und die Hektik auf der Brücke groß, was mich erstaunte.<br />
Ich fuhr damals aushilfsweise für die 11er als Posten Maschinentelegraph, es war aufregend.<br />
Rudergänger war immer ein 11er. Er empfing Kommandos für Kursänderungen,<br />
die er zur Kontrolle wiederholen mußte (z.B. »nach Backbord auf eins zwo null<br />
gehen«), und meldete zurück, wenn der neue Kurs erreicht war (»eins zwo null liegt an«,<br />
Antwort des Offiziers: »Verstanden«). Das Schiff fuhr der jeweils wachhabende Offizier,<br />
soweit der Kommandant es nicht selbst tat, außerdem waren die Navigationsleute<br />
und ein Signäler für den Sprechfunk oben.<br />
Das Langweiligste überhaupt waren die Hafenwachen, die wir im Prinzip ja schon<br />
aus der Grundausbildung und dem Fachlehrgang kannten. Die monatliche Veröffentlichung<br />
des Wachplans, den Maat Hensel in der Schreibstube entwarf und vom<br />
Kommandanten genehmigen ließ, sorgte immer wieder für Aufregung, da sich daran<br />
entschied, wer wann <strong>von</strong> Bord durfte oder nicht. Zu Urlaubszeiten, wenn es personalmäßig<br />
eng wurde, konnte man ganz schön oft dran sein, und nicht alle hatten immer den<br />
Eindruck, gerecht behandelt zu werden. Wem bestimmte Wachtermine durchaus ungelegen<br />
kamen, der konnte natürlich tauschen, sofern er einen Tauschpartner fand. Das<br />
Wachegehen selbst wurde in der Hamburger Werft relativ locker gehandhabt, man<br />
mußte nicht die ganze Zeit auf einem Fleck stehen, sondern konnte ein bißchen umhergehen.<br />
Angenehm war vor allem, daß wir eine Pistole tragen durften anstatt des sonst<br />
üblichen Gewehrs; das G 3 drückte nämlich spätestens nach einer Stunde ziemlich<br />
schmerzhaft auf die Schulter, was auch durch dicke Polsterungen mit Handtüchern und<br />
dergleichen nie ganz behebbar war. Wir haßten die Knarre, und ich kann mir nicht<br />
vorstellen, daß wir sie in irgendeiner Situation benutzt hätten.– Zwei Stunden sind ganz<br />
schön lang, wenn man dabei nichts tun darf. Es ist gut, dabei nicht zu oft auf die Uhr zu<br />
schauen; manchmal gelingt es, irgendwelchen Gedanken nachzuhängen und die Zeit zu<br />
vergessen, und dann ist man angenehm überrascht, daß schon so viel verstrichen ist,<br />
anders als wenn man jede Minute zählt.<br />
Die Hamburger Zeit verlängerte sich ungewollt dadurch, daß uns beim Auslaufen<br />
nach Kiel (am 24.1., also gleich am nächsten Tag nach der zweiten Probefahrt) ein<br />
Schlepper rammte und an der Steuerbordseite eine große Delle zurückließ. Ich saß<br />
gerade im Funkraum am Broadcast und hatte alles seeklar, als ein heftiger Ruck durch<br />
das Schiff lief. M. kam herauf und erzählte mir, was passiert war. Die Enttäuschung war<br />
groß, denn wir hatten uns schon auf den Wechsel nach Kiel gefreut, der sich nun<br />
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verschob. Das eingebeulte Stück Eisen mußte aus dem Schiffsrumpf herausgetrennt und<br />
ersetzt werden, was vielleicht zwei Wochen dauerte. Ich weiß noch, wie ich als<br />
Wachposten bei den Schweißarbeiten zusah (es wurden Sonderposten als Brandwache<br />
aufgestellt, weil die Funken recht kräftig sprühten). Wir lästerten, daß wir zum Gegenstand<br />
einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zugunsten der deutschen Werftindustrie<br />
gemacht worden wären, und erduldeten die Verlängerung.<br />
Der verschobene Transit nach Kiel fand dann an einem Tag und einer Nacht im<br />
Februar mit fürchterlichem Schneetreiben statt (13./14.2.). Abends stand ich wieder<br />
Posten Back, diesmal bei Dunkelheit und scheußlichem Wetter mit ungeheurem Wind,<br />
Eisregen und Schnee. Es war ein Segen, daß wir einige BW-Parkas, Wintermützen und<br />
dicke Handschuhe an Bord hatten; natürlich inoffiziell, da Olivzeug in unserer regulären<br />
Bekleidung nicht vorgesehen war. Sie boten einen phantastischen Schutz gegen die<br />
Witterung, ich brauchte nicht zu frieren, hielt es gut aus und war ein bißchen stolz. Die<br />
Nacht wurde lang. In Brunsbüttel mußten wir ’raus, um beim Anlegen an der Schleuse<br />
zu helfen. Später, während wir durch den Nordostsee-Kanal fuhren, hatte ich Funkwache.<br />
Schlafen konnte ich nur eine Stunde, ungefähr <strong>von</strong> halb sechs bis halb sieben<br />
Uhr morgens, weil wir auch zum Anlegen an der Schleuse Kiel-Holtenau wieder aus<br />
den Kojen geholt wurden. Bei der kurzen Weiterfahrt war ich auf der Brücke und bekam<br />
mit, wie der Kommandant entschied, bis zum Morgen in der Heikendorfer Bucht vor<br />
Anker zu gehen (das ging sehr schnell, und zu sehen war draußen sehr wenig; ich<br />
bewunderte die Leute, daß sie das Schiff so fahren konnten und den Überblick<br />
behielten). Wir waren hundemüde. Nach Tagesanbruch liefen wir in den Tirpitzhafen<br />
ein und machten an unserem regulären Liegeplatz an der Scheermole fest.<br />
Im Kieler Stützpunkt<br />
Nun begann die Normalität des Hafenbetriebes. Als erstes lernten wir die Fernschreibstelle<br />
im »Moselhaus« kennen, wo wir unsere Fernschreiben ablieferten bzw.<br />
abholten (später mit einem Fahrrad), dann die Geschwaderverwaltung (den Stab). Der<br />
Geschwaderfunkmeister, Bootsmann oder Oberbootsmann Schwedhelm, unterrichtete<br />
uns einmal wöchentlich und gab Schulungsbriefe aus; es fand auch einmal eine<br />
chaotische Geschwaderfunkübung im Hafen statt mit den Schiffen, die gerade da waren.<br />
Ich weiß noch, wie ich wegen schlechter Hörbarkeit der Signale und zu schneller<br />
Gebeweise der Funker überhaupt nicht folgen konnte und wütend die Betriebskladde zu<br />
Boden warf (wegen der großen Nähe der Schiffe waren die Impulse zu stark und gingen<br />
ineinander über). Es gab auch anderen Unterricht, etwa vom San-Meister, vom<br />
Schmadding etc. (Einweisungen in immer neue Gebiete: Schiffssicherung, Feuerlöschen,<br />
Gebrauch <strong>von</strong> Schwimmwesten und Rettungsbojen und dergleichen). Ganz<br />
selten »lebenskundlicher Unterricht« beim Militärgeistlichen, ich glaube, er kam nur<br />
einmal an Bord. An Abschnittsdienst war sonst wenig zu tun. Sehr langweilig, da wir ja<br />
zur Dienstzeit anwesend sein und den Anschein erwecken mußten, daß wir zu tun<br />
hatten. Wir machten das »Blähen« (sich <strong>von</strong> der Arbeit verdrücken) zu einem Sport,<br />
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man durfte dafür nicht um faule Ausreden und fadenscheinige Gründe verlegen sein.<br />
Am besten war es, wenn man einmal allein hinauskam, etwa mit einem Gang zur<br />
Kleiderkammer oder zum Geschwader; da blieb man gleich doppelt so lange weg wie<br />
nötig, und wenn es einigermaßen paßte, bis Dienstschluß. Kein Vorgesetzter war<br />
darüber unglücklich, und die Kollegen honorierten neidvoll die Leistung (»Mensch, wo<br />
hast du dich denn wieder gebläht?«).<br />
Wache gehen mußten wir nun wieder mit dem Gewehr. Der Posten hatte immer vor<br />
dem Schiff zu stehen, auf der Pier neben der Stelling, um zu kontrollieren, wer an Bord<br />
ging; der Unteroffizier hielt sich auf dem Schiff im Wachschapp auf, gleich beim<br />
Eingangsschott, oder kam auch mal heraus aufs Seitendeck. Der Februar war kalt, wir<br />
hatten neue Schneestürme und eine lange Frostperiode, in der auch die Innenförde<br />
zufror, so daß ein gutes Dutzend Schiffe im Bereich vor der Kanalschleuse festlagen. Es<br />
hieß, wir würden zu einer größeren Fahrt nach Norwegen auslaufen, obwohl doch jeder<br />
sehen konnte, daß es völlig unmöglich war, in der gefrorenen Förde irgendetwas zu<br />
bewegen. Noch am Morgen des Auslauftermins war man fest da<strong>von</strong> überzeugt, daß es<br />
losging, was mir total idiotisch vorkam. Als dann endlich vom Flottenkommando die<br />
Meldung kam, daß die Fahrt verschoben würde, lästerten wir, da habe wohl jemand mal<br />
zufällig aus dem Fenster geschaut. – Das Postenstehen in diesen Winternächten gehörte<br />
zum Unangenehmsten, was unsere Art <strong>von</strong> Wehrdienst zu bieten hatte. Wir zogen uns<br />
gegen die Kälte fast alles an, was wir hatten, und fühlten uns in dem dicken Panzer doch<br />
unwohl, schwitzten und froren zugleich. An Parka und Wintermütze war hier im<br />
Stützpunkt nicht zu denken, es mußte die Wachuniform (2. Geige blau) sein und die<br />
Matrosenmütze, deren Bänder schmerzhaft gegen die kalten, geröteten Ohren schlugen.<br />
Die Winterbekleidung der Marinesoldaten war unzulänglich. Es gab ein Wachhäuschen,<br />
das gegen den Wind schützte, gerade so groß, daß ein Mann darin stehen konnte. Darin<br />
schlief ich einmal im Stehen ein, jedenfalls kurz. Ich merkte nur, daß plötzlich der FMO<br />
vor mir stand und mich mit großen Augen ansah. Eine kleine Erleichterung der Qualen<br />
bot ein »Lassiter«-Roman (Western auf Groschenheft-Niveau), den jemand im Dach des<br />
Häuschens versteckt hatte. Das war eine passende, leichte Lektüre, bei der man sich<br />
über die billigen Klischees amüsieren konnte, aber man durfte damit nicht gesehen<br />
werden. (Im Funkraum lag zeitweise noch eine andere Art Lektüre, die man selbst bei<br />
allergrößter Abstumpfung und Müdigkeit noch versteht.)<br />
Zum Wachdienst gehörte als tägliches Ritual die Flaggenparade. Jeden Tag wurde<br />
an Bug und Heck die Flagge bei Sonnenaufgang gehißt, bei Sonnenuntergang wieder<br />
eingeholt; die Freiwachen mußten morgens die Flaggen rechtzeitig (nach Zeittafel)<br />
holen und anschäkeln, damit sie pünktlich gehißt werden konnten, während der Unteroffizier<br />
auf der Bootsmannsmaatenpfeife die Begleitmusik spielte. Alles, was zufällig in<br />
der Nähe war, mußte entweder vorher abhauen oder bis zum Ende der Zeremonie<br />
stillstehen. Klappte etwas nicht, dann war das eine unentschuldbare Schande. Einmal<br />
wurde eine Flagge versehentlich nur oben, nicht auch unten angeschäkelt, so daß sie<br />
dann nach dem Aufziehen wie ein Handtuch im Wind flatterte (es sah absolut Klasse<br />
aus); der Wachoffizier, Hauptbootsmann Westphal, schnaubte vor Wut, tobte und<br />
brüllte herum, bis das Ärgernis abgestellt war.<br />
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Freitags, vor dem Wochenende, war Großreinschiff (im Gegensatz zu dem täglichen<br />
Reinschiff morgens vor der Musterung). Jeder hatte seine Stationen, und es wurde auch<br />
am Ende die Putzleistung kontrolliert; war etwas nicht in Ordnung, so verzögerte sich<br />
das Dienstausscheiden, und alle, die nach Haus fahren wollten, wurden dann unglaublich<br />
aggressiv, bis hin zu Prügeleien mit blauen Augen. Meistens etwa um 15 Uhr setze<br />
dann die wöchentliche »NATO-Ralley« ein. Viele fuhren mit dem Auto nach Haus,<br />
bildeten Fahrgemeinschaften, was nicht ganz risikofrei war, wenn sie eine anstrengende<br />
Woche hinter sich hatten (typisches Bild: vier Soldaten im Auto, drei da<strong>von</strong> schlafen<br />
fest, und der Fahrer hält auch nur noch mit Mühe die Augen offen). Wenn ich nach<br />
Haus fuhr – selbstverständlich in Zivilklamotten –, nahm ich die Bahn, die mich nichts<br />
kostete. Die Freitagszüge waren oft unangenehm mit besoffenen, lärmenden Soldaten<br />
überfüllt, so daß die Bundesbahndirektion erwog, die Soldaten in gesonderten Waggons<br />
zu befördern (mir drängt sich die Vorstellung <strong>von</strong> Viehwagen auf). So weit kam es aber<br />
nicht, ich benutzte fast immer die schnelle IC-Verbindung Kiel-Hamburg und Hamburg-<br />
Hannover, mit der ich in gut vier Stunden nach Braunschweig kam. Zurück fuhr man am<br />
Sonntagabend, natürlich möglichst spät mit dem letzten Zug, schlief oft im Abteil,<br />
wankte dann so gegen 1 oder 2 Uhr benommen zu den Taxen oder Minicars und nahm<br />
sich zu dritt oder viert einen Wagen zum Stützpunkt. Von all dem merkte man nicht<br />
viel, wandelte eher automatenhaft funktionierend im Halbschlaf durch die Gegend, bis<br />
man endlich in der Koje war. Manche kamen auch erst morgens zum Dienstbeginn<br />
angereist. Ich tat das nur einmal während der Hamburger Zeit, denn das frühe Aufstehen<br />
war lästig, und der Tag wurde dann sehr lang. Ich verstand nicht, warum die Leute<br />
gerade am Wochenende und in den Zügen so viel saufen mußten; ich pflegte das unter<br />
der Woche im Stützpunkt zu tun, aber die Freizeit am Wochenende gehörte mir, da<br />
wurde ich wieder Mensch, und da wollte ich einen klaren Kopf haben. Es war auf dem<br />
Schiff oft schwierig, die Zeit nach Dienstschluß zu nutzen, wenn man nicht <strong>von</strong> Bord<br />
ging, denn im Deck war man selten allein. Manchmal setzte ich mich in den Funkraum,<br />
aber die Wache sah das nicht gern und verlangte den Schlüssel zurück. Oft wurde<br />
abends gesoffen, sehr viel Bier wurde getrunken, das man an Bord zu den Öffnungszeiten<br />
des Kiosks kaufen konnte; täglich wurden unglaubliche Mengen leerer Flaschen<br />
hinausgetragen. Ich meinte, man müßte im Stützpunkt vor jedem Schiff einen Altglascontainer<br />
aufstellen, das würde sich lohnen. Bei längeren Fahrten stand auf der Schanz<br />
ein solcher Container, aber die Flaschen mußten zerschlagen werden, weil sonst das<br />
Volumen zu groß gewesen wäre. Gleichzeitig wies Verteidigungsminister Hans Apel<br />
empört den Vorwurf zurück, die Bundeswehr sei eine Säuferarmee. Auf See konnte man<br />
in begrenzten Mengen zollfrei einkaufen; man deckte sich dann mit dem guten<br />
Budweiser oder Pilsener Urquell ein. Wir horteten es in den Spinten als Vorrat für die<br />
Liegezeiten, leider wurde in der Sommerhitze einiges da<strong>von</strong> schlecht. Außerdem waren<br />
holländische Lakritzbonbons (Hollandse Drops) und Spirituosen (maximal 1 Flasche<br />
pro Person und Monat!) beliebt.<br />
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Die ersten Übungsfahrten<br />
Die eigentliche, reguläre Seefahrtszeit nach dem Werftaufenthalt begann im März mit<br />
einer dreitägigen Ausbildungsfahrt auf der Ostsee (ISEX Westbalt, 6.3. bis 8.3.). Wir<br />
fuhren in der Kieler Bucht bis etwa Fehmarn und führten dabei Übungsmanöver durch.<br />
Nach den drei langweiligen Wochen im zugefrorenen Kieler Hafen war das ein<br />
Aufschwung, der meine Begeisterungsfähigkeit neu erweckte. »Vom Eise befreit sind<br />
Strom und Bäche«: es wurde Frühling, die Tage länger, das Wetter freundlicher. Ich war<br />
gutgelaunt, als wir bei sonnigem Wetter mit Hilfe zweier Schlepper ablegten und dann<br />
aus der Kieler Förde hinausfuhren, es war schön, auf See zu sein, und auch den<br />
Fernmeldebetrieb und die anderen Dinge fand ich interessant.<br />
Auf dieser Fahrt lernten wir im Funkabschnitt zum erstenmal die Spielchen mit<br />
»verdächtigen« Schiffen aus dem Ostblock kennen. Die Russen interessierten sich<br />
immer sehr für unsere Schiffe und die neueste Technik, die sie an Bord hatten, und<br />
beobachteten uns gelegentlich mit kleinen, als normale Kutter getarnten Aufklärungsschiffen;<br />
natürlich tat die Bundesmarine Ähnliches in umgekehrter Richtung. Es gab in<br />
Flensburg eine spezielle Ausbildungsreihe »Horchfunker« (22er), Leute, die etwas Fach-<br />
Russisch lernten und nur zum Hören auf russischen Frequenzen ausgebildet wurden. Sie<br />
fuhren auf drei Spezialschiffen in die östliche Ostsee, um dort den Funkverkehr<br />
abzuhören. An Bord erzählte man uns aber auch <strong>von</strong> speziellen Aufklärungsfahrten der<br />
<strong>Offenburg</strong>, genannt »AF-Ost«, bei denen so ungefähr alles, was einem irgend auf See<br />
begegnete, mit absurdem Eifer beobachtet, fotografiert und gemeldet wurde. Aber auch<br />
sonst beachtete man Fischkutter mit verdächtig großen Antennen und dergleichen,<br />
besonders wenn sie unsere Nähe zu suchen schienen. So auch auf dieser Fahrt, als wir<br />
eine Zeitlang ein Gefährt beschatteten, das für uns in der NATO-Terminologie unter der<br />
Bezeichnung »surf 23ca ›Baltyk‹« rangierte. Sämtliche Schiffstypen des Ostblocks<br />
waren bekannt und klassifiziert. Als ich endlich an Oberdeck kam, sah dann auch ich<br />
den kleinen schwarzen Schlepper in der Abenddämmerung. Man fuhr in einem zugleich<br />
prickelnden und amüsanten Katz-und-Maus-Spiel umeinander herum, und wir gaben<br />
Meldungen über diese Begegnung ans Flottenkommando (alle sechs Stunden eine).<br />
Eine weitere Neuheit war die Gefechtsausbildung an Bord. Es wurde richtig Krieg<br />
gespielt. Dazu gehörte das Herstellen der verschiedenen Verschlußzustände. Es gibt<br />
Vorschriften darüber, welche Schotten in welcher Situation geöffnet sein dürfen und<br />
welche geschlossen sein müssen; je brenzliger die Lage, desto dichter ist das Schiff, und<br />
es sind dafür verschiedene Stufen definiert (z.B. »Kriegsmarsch«, »Gefecht«, »ABC«).<br />
Beim ABC-Verschlußzustand ist intern so gut wie alles dicht, keiner kann sich mehr im<br />
Schiff bewegen (notwendige Ausnahmen müssen <strong>von</strong> höchster Instanz genehmigt<br />
werden), außerdem wird durch zahlreiche Düsen an Oberdeck eine Dunstglocke aus<br />
Sprühwasser erzeugt, die das Schiff einhüllt und den radioaktiven Fallout weitgehend<br />
<strong>von</strong> ihm abhält (er fällt dann großenteils ins Wasser); auch wird im Schiff ein<br />
Überdruck hergestellt, so daß keine Außenluft ins Innere dringt. In der Übung wurden<br />
diese Zustände nacheinander realisiert. Die Besatzung mußte die ABC-Schutzmaske<br />
»am Mann fahren«, um sie jederzeit aufsetzen zu können, und das Ganze wurde mit<br />
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fiktiven Meldungen untermalt wie z.B.: »Auf dem Radarschirm sind in 200 Meilen<br />
Entfernung feindliche Flugzeuge aufgefaßt worden, so daß mit Luftangriff zu rechnen<br />
ist« und dergleichen. Wenn man Funkwache hatte, konnte man aber meist die Tür <strong>von</strong><br />
innen verriegeln und die Leute draußen Krieg spielen lassen. Schikora hat zu meiner<br />
Zeit nie eine ABC-Maske aufgesetzt.<br />
Andere Übungen waren die Boje-über-Bord-Manöver. Eine Boje wird über Bord<br />
geworfen, die einen Menschen darstellen soll, und der erste Test besteht schon einmal<br />
darin, ob der Posten auf der Schanz sie sieht (wehe, wenn nicht!). Das Schiff muß dann<br />
in kürzestmöglicher Zeit wenden, einen Kutter aussetzen und die Boje wieder an Bord<br />
holen. Im Ernstfall, wenn ein Mensch über Bord geht, zählt dabei jede Minute, denn im<br />
Winter kühlt man im Wasser so schnell aus, daß man sich schon nach 3-4 Minuten (so<br />
hieß es) nicht mehr an irgendwelchen Rettungsgegenständen festhalten kann.<br />
Der März war gut mit Seefahrt angefüllt. Schon wenige Tage nach der Ausbildungsfahrt<br />
in der Kieler Bucht ging es durch den Nordostseekanal hinaus auf die<br />
Nordsee zur Insel Borkum, wo wir den 11ern zu Ausbildungszwecken behilflich waren.<br />
Ich weiß noch, wie wir morgens bei Sonne und steifem Wind irgendwo vor der Insel<br />
lagen und ich zum erstenmal die Nordsee sah: überraschend grünlich-bräunliches<br />
Wasser, das offenbar recht flach war und viel aufgewühlten Schlick enthielt. Die<br />
Szenerie war viel wilder und kahler, als ich es <strong>von</strong> der vergleichsweise gemütlichen<br />
Ostsee her kannte. An der Küste keine Kurhäuser, Pensionen und Strandkörbe,<br />
stattdessen Pipelines, Raffinerien und Tanker. Borkum ist bei der Marine als die<br />
»Ziegeninsel« bekannt, denn das gesamte seemännische Personal der Ausbildungsreihe<br />
11 absolviert dort seine Grundausbildung. Den 12. und 13.3. verbrachten wir im<br />
Borkumer Hafen (für die dortigen Verhältnisse ein vergleichsweise riesiges Schiff),<br />
wobei wir auch Landgang hatten und uns einmal in den Ort ungefähr am anderen Ende<br />
der Insel begaben. Los war dort nichts um diese Jahreszeit, aber man hatte es mal<br />
gesehen. Dann übten wir zwei Tage lang Seeversorgung mit dem Tanker »Tegernsee«,<br />
bis die Manöver wegen zu hohen Seegangs abgebrochen wurden. Diese Übungen waren<br />
aufregend. Die beiden Schiffe fuhren in der südlichen Nordsee irgendwo draußen vor<br />
den ostfriesischen Inseln parallel nebeneinander her, es wurden Seile herübergeschossen,<br />
mit denen man die schweren Treibstoffschläuche an Bord ziehen konnte, und wenn<br />
sie angeschlossen waren, wurde Treibstoff <strong>von</strong> einem Schiff zum anderen gepumpt. Ich<br />
fand das rauhe Wetter und den Seegang toll, aber die Manöver waren schließlich nicht<br />
mehr sicher durchführbar und wurden eingestellt. Auf der Rückfahrt nach Wilhelmshaven<br />
waren die Wellen noch höher; ich saß eine Zeitlang mit K. im Nav-Raum, uns<br />
beiden war übel, und wir machten Witze über fettige Leberwurstbrote, die wir essen<br />
wollten, und anderes. Am 15. liefen wir in Wilhelmshaven ein, um dann wieder durch<br />
den Kanal nach Kiel zurückzufahren, wo wir am 17.3. morgens eintrafen.<br />
16
NATO-Depots an einsamen Küsten, Kotzen auf der Nordsee<br />
Nur zwei Tage später begann eine etwas längere Reise, die erstmals zaghaft in Auslandsgewässer<br />
und auf ausländischen Boden führte; sie dauerte eine knappe Woche,<br />
vom 19. bis zum 24.3. Es war eine Depotumlagerungsfahrt, bei der Material zwischen<br />
verschiedenen NATO-Depots transportiert wurde. Die »<strong>Offenburg</strong>« war wohl deshalb<br />
für diese Aufgabe ausersehen worden, weil sie gerade leer war; die Versorgungsbeladung,<br />
mit der die Versorger normalerweise bestückt sind, war vor der Werftzeit<br />
ausgelagert worden. Die Route führte in der Ostsee hinauf über Olpenitz, Lyngsbaek<br />
Pier (Dänemark), um Skagen herum, dann durch die Nordsee wieder herunter nach<br />
Wilhelmshaven und erneut durch den Kanal zurück nach Kiel. Der Beginn war ruhig<br />
und angenehm, wir liefen morgens aus, waren schnell in Olpenitz und blieben dort für<br />
einige Vormittags- oder Mittagsstunden, um Material zu laden; diese Arbeit erledigten<br />
Versorger mit Unterstützung <strong>von</strong> 11ern oder Heizern, jedenfalls andere, während wir<br />
oben in der Frühlingssonne blähen konnten. Es lag noch Schnee. Später fuhren wir<br />
zwischen den dänischen Inseln hindurch, unter anderem an der verschneiten Ostküste<br />
<strong>von</strong> Langeland entlang, um dann am 20. an einer abgelegenen Mole in der Ebeltoft<br />
Wyk, Lyngsbaek Pier, festzumachen.<br />
Nach Dienstschluß zog ich mir Jeans, Pullover und Dufflecoat an, nahm meine<br />
Kamera und spazierte an dem verschneiten Strand entlang. Ein sehr schöner, erholsamer,<br />
die Seele weitender Gang, der vielleicht eine gute halbe Stunde dauerte. Das<br />
Tageslicht begann schon zu schwinden, Strand und See lagen in ruhigen, kühlen, zarten<br />
Pastellfarben da, eine eigentümliche Bewölkung warf eine sonderbare Helligkeit <strong>von</strong><br />
oben herab. Etwas Dunst, <strong>von</strong> der Seeseite her rauher Wind; der Strand war schneebedeckt,<br />
vorn an der Wasserkante stellenweise aufgetürmte, schräg emporragende<br />
Eisschollen, sonst schwarzer, verwesender Tang und viele tote Seevögel, die den Winter<br />
nicht überlebt hatten. Es wurde dämmerig, ich ging wieder an Bord; andere machten<br />
einen Ausflug in den nächstgelegenen Ort, worauf ich keine Lust hatte. Wir lagen wohl<br />
noch einen weiteren Tag dort, an dem mir kein Landgang zustand. Dann ein obskures<br />
Auslaufen um Punkt Mitternacht. Schaurig, wie wir in der Dunkelheit ablegten und uns<br />
da<strong>von</strong>stahlen.<br />
Am nächsten Morgen waren wir ein gutes Stück nach Norden vorangekommen.<br />
Gegen Mittag passierten wir Skagen und bogen in die Nordsee ein, was sehr bald an<br />
dem einsetzenden Seegang zu bemerken war. Zuerst war noch schönes Wetter, dann<br />
wurde es immer trüber, und der Seegang nahm noch weiter zu, als wir aus dem<br />
Windschatten <strong>von</strong> Jütland herauskamen. Nun lernten wir die Nordsee erst richtig<br />
kennen. Windstärke 7-8, Wellenhöhe 3 Meter oder noch darüber. Vom Nachmittag an<br />
wurde gekotzt. Der Wind blies uns frontal <strong>von</strong> Süden an, so daß wir nur langsam<br />
vorankamen und eineinhalb oder zwei Tage bis Wilhelmshaven brauchten.<br />
Wie ist das Fahren unter solchen Verhältnissen? Es hat Ähnlichkeiten mit unablässigem<br />
Fahrstuhlfahren. Ab einer bestimmten Wellenhöhe sind die Abstände <strong>von</strong><br />
einem Wellenberg zum nächsten so lang, daß das Schiff die Bewegung fast voll<br />
mitmacht und wie eine Berg- und Talbahn auf und ab fährt. An Oberdeck ist das<br />
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einigermaßen auszuhalten. Sehr eindrucksvoll und erhaben, die schaumbedeckten<br />
Wasserberge vorüberwandern zu sehen und sich mit Gischt bespritzen zu lassen; unter<br />
Deck jedoch fehlt die visuelle Orientierung, man spürt nur die Bewegungen, ohne daß<br />
der Gleichgewichtssinn sie richtig verarbeiten könnte, und spätestens nach einigen<br />
Stunden rebelliert der Magen. Die stickige Luft und die Wärme, die die Sender<br />
abstrahlen, verstärken noch die Übelkeit. Entleerungen des Mageninhalts mußte man<br />
rechtzeitig voraussehen, denn wenn man allein auf Funkwache war, mußte man erst den<br />
Funkraum abschließen, den Niedergang hinunter und noch ein Stück durch die Gänge<br />
laufen, bis man die nächste Toilette erreichte. Ein einmaliges Übergeben ist nicht<br />
schlimm, aber wenn die Situation länger dauert und der schon leere Magen sich immer<br />
wieder umstülpt, wird es unangenehm. Der sprichwörtliche Zwieback wird dann zu<br />
einer wahren Wohltat. Wir konnten Bumbum überreden, für das Brückenpersonal eine<br />
Sonderration Zwieback herauszurücken, wobei wir die Tüte in den Funkraum abzweigten<br />
und somit ein unglaublich wertvolles Privileg besaßen; ich weiß noch, wie der FMO<br />
mit grünem Gesicht und Leidensmiene bei uns erschien und demütig um ein halbes<br />
Stück Zwieback bat. Den Kommandanten sah man überhaupt nicht mehr. Am besten<br />
war es, wenn man flach in der Koje lag, dann war alles gut, man merkte gar nichts mehr.<br />
Einmal ließen meine Kollegen mich schlafen (anstatt mich zur Funkwache zu wecken),<br />
und ich wäre vor Dankbarkeit darüber fast auf Knien herumgerutscht. In besonderen<br />
Fällen kamen Durchsagen über die SLA, etwa: »Wahrschau, Schiff kommt quer zur<br />
See!« Dann hieß es nur noch sich irgendwo festhalten und abwarten, was passierte. Aber<br />
auch im Normalbetrieb war es ein permanentes Fahrstuhlfahren. Wenn man durch die<br />
Gänge lief, stieß man links und rechts an den Wänden an, und auf den Niedergängen<br />
paßte man sich beim Hochklettern dem Rhythmus des Schiffes an: Fuhr es einen<br />
Wellenberg hinauf, dann kam man gar nicht voran, aber beim anschließenden Abstieg<br />
ins Wellental schoss man plötzlich ganz schnell nach oben. Ganz fatal soll der Reigen<br />
der an den Wänden aufgehängten Küchengeräte (Kochlöffel usw.) in der Kombüse<br />
gewesen sein, es hieß, daß einem vom bloßen Hinsehen schlecht wurde. Im Funkraum<br />
fielen uns die Vorschriften aus dem Regal, auch die Seenotfunkboje fiel um und kollerte<br />
umher. Ich war nicht dabei, als am Fernmeldearbeitsplatz der Fernschreiber aus der<br />
Halterung rutschte und herunterfiel; Schikora sagte später, mit der Hand zu Boden<br />
zeigend, »da unten hat er gelegen!« Die Krönung war, daß der Reißwolf umfiel und die<br />
Papierschnipsel im ganzen Funkabschnitt umherflogen. Der NO lachte immer nur<br />
schadenfroh, wenn er draußen vorbeiging, für ihn war es ein herzerfrischender Anblick.<br />
Lachen konnten auch die wenigen Besatzungsmitglieder, denen der Seegang nichts<br />
ausmachte. Sie saßen in der Messe und machten sich lustig. OMt Hoppe scherzte:<br />
»Schaut euch mal das Gesicht des Gefreiten <strong>Brandt</strong> an, da sieht man doch endlich mal<br />
ein stilles Wasser!« Ich hielt mich gern draußen auf der Schanz auf (die Back durfte<br />
niemand mehr betreten), aber es war nicht viel Zeit dafür. Draußen war es angenehmer,<br />
weil man den Horizont sehen und damit die Bewegungen besser verarbeiten konnte,<br />
außerdem hatte man frische Luft und das herrliche, einzigartige Erlebnis des<br />
aufgewühlten Meeres. M. nahm noch ein Foto <strong>von</strong> mir auf dem Steuerbord-Seitendeck<br />
auf, wo man am besten den vorüberwandernden Wellenbergen zuschauen konnte. Die<br />
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nächtliche Wache in dem stickigen Funkraum wurde lang, in Augenblicken größter<br />
Übelkeit war es fast zum Verzweifeln. Gegen Morgen war sogar der erfahrene SVO<br />
beeindruckt, er sagte, als ich auf die Brücke kam, »Hier ist was los!«. Einzelne Wellen<br />
sollen bis zu 5 Meter hoch gewesen sein. Gefahr für das Schiff bestand nicht, aber wir<br />
fragten uns, wie weit oder wie lange die Besatzung unter solchen Bedingungen noch<br />
imstande wäre, das Schiff zu fahren. – Als wir uns Wilhelmshaven näherten, klang der<br />
Seegang allmählich ab, und man war erst einmal froh darüber, daß der Boden unter den<br />
Füßen wieder fest und ruhig wurde; aber es war noch nicht vorbei, denn unser<br />
Gleichgewichtssinn war so durcheinander, daß es in uns noch lange schwankte. Wir<br />
wurden nicht so schnell glücklich, nur langsam stellte sich Erholung ein.<br />
Nach diesen Erlebnissen hatte ich erst einmal genug <strong>von</strong> der Seefahrt. Nachdem das<br />
leere Schiff für die Depotumlagerung genutzt worden war, kamen wir jetzt nach Kiel-<br />
Dietrichsdorf am Ostufer der Förde, um die vor der Werftzeit ausgelagerte Versorgungsbeladung<br />
wieder zu übernehmen. Bei der Wiedereinlagerung stießen wir auf Unmengen<br />
<strong>von</strong> Dingen, die man nicht alle unbedingt auf Kriegsschiffen erwarten würde: Sekt-,<br />
Wein- und Cognacgläser, Schlachtermesser, Schweinehaken, Obstmesser, Kannen und<br />
Pfannen, Tiegel und Tassen, Medikamente und Verbandsmaterial, Vordrucke und<br />
Formblätter, Nägel und Schrauben. Es war leichte Arbeit, man konnte nachts wieder<br />
schlafen, kam auch mal wieder zum Wochenendurlaub nach Hause. Die Seefahrerei<br />
begann erst wieder nach knapp einem Monat mit einer kurzen Maschinenerprobungsfahrt<br />
in der Kieler Bucht am 18. April (Mittwoch nach Ostern). –<br />
Geschwaderübung im Kattegat<br />
Eine besonders anstrengende, aber auch vielseitige und interessante Aktion war die<br />
Geschwaderübung im Kattegat, die vom 23. bis zum 27.4., also eine Arbeitswoche lang<br />
dauerte. Etliche Schiffe des 1. Versorgungsgeschwaders – nach meinen Notizen außer<br />
uns die Troßschiffe Lüneburg, Meersburg, Westerwald sowie die Tanker Spessart und<br />
Ammersee – begaben sich hinaus auf hohe See, um einmal so richtig miteinander zu<br />
rödeln; und wir waren Führungsschiff, also Rödelzentrum, in dessen Funkraum ein<br />
großer Teil der Kommunikation zusammenlief, soweit sie nicht über Sprechfunk abgewickelt<br />
wurde. Der Geschwaderkommandant KptzS Teerling war an Bord, ebenso Geschwaderfunkmeister<br />
OB Schwedhelm, der zum Glück immer noch alles einigermaßen<br />
im Griff hatte, wenn wir Funkgasten überfordert waren.<br />
Was wurde geübt? Soweit ich weiß, das ganze Repertoire an Seeversorgungsmanövern.<br />
Treibstoffübernahme und Personentransport <strong>von</strong> Schiff zu Schiff, daran<br />
erinnere ich mich besonders, am letzten Tag noch Personentransport mit Hubschraubern.<br />
Bei den ersten beiden Arten fahren die Schiffe parallel nebeneinander her, was<br />
einigermaßen gut geht, wenn die See ruhig ist und man Platz hat, um lange Strecken<br />
geradeaus zu fahren, was im Kattegat der Fall war. Nur die Fahrgeschwindigkeit muß<br />
ständig angepaßt werden. Es wurde aber auch probiert, dabei Kursänderungen durchzuführen,<br />
was nicht so leicht ist und eine gute Koordination per Sprechfunk erfordert.<br />
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Beim Personentransport wird ein Käfig, der wie eine Seilbahnkabine an der Hauptverbindungstrosse<br />
hängt, herübergezogen, diese Trosse wird nicht befestigt oder maschinell<br />
aufgewickelt, sondern nur um eine Rolle oder ähnliches herumgelegt und <strong>von</strong> ca. 15 bis<br />
20 Leuten manuell festgehalten, um flexibel angepaßt und im Notfall blitzschnell gelöst<br />
werden zu können (durch einfaches Loslassen). Wir haben diese Manver öfter gemacht;<br />
bei einer Personenübernahme mit der »Lüneburg« stand ich als Telefonposten auf dem<br />
achteren Versorgungsdeck, ein andermal oben auf der Brücke, sozusagen auf einem<br />
Logenplatz mit bester Übersicht. Ich habe <strong>von</strong> einem Kollegen Fotos erhalten, die ein<br />
solches Manöver mit der »Westerwald« zeigen. In der Ferne sahen wir den Tanker<br />
»Spessart«, wie er zwei Schiffe gleichzeitig betankte, die Backbord und Steuerbord<br />
neben ihm herfuhren; die »Spessart« besaß große Ausleger, an denen die Schläuche<br />
hingen, während bei uns die Schläuche an einem Geschirr mit Rollen an herübergeschossenen<br />
Leinen geführt wurden. Natürlich gab es auch eine Geschwaderfunkübung,<br />
bei der Funkmeister Schwedhelm am FM-Arbeitsplatz saß und L. am Broadcast,<br />
während W., M. und ich uns zu dritt (abwechselnd) am GRC-9 mit Tastfunk vergnügten.<br />
W. hatte die meisten Probleme damit.<br />
Als am letzten Tag Hubschrauber kamen, die mit uns übten, Personen <strong>von</strong> der<br />
Schanz aus aufzunehmen und wieder abzusetzen, konnten einige Leute sich transportieren<br />
lassen und einen kleinen Rundflug im Hubschrauber mitmachen.<br />
Mit U-Booten im Skagerrak und in Kristiansand<br />
Die schönste Fahrt <strong>von</strong> allen war die nach Norwegen. Sie dauerte vom 7. bis zum 17.5.<br />
und lief unter der offiziellen Bezeichnung ÜAG 406/79 Torpex Skagerrak. Die<br />
»<strong>Offenburg</strong>« wurde dem 3. U-Boot-Geschwader unterstellt für ein paar Tage Torpedoschießen<br />
im Skagerrak mit Besuch in Kristiansand am 14./15.5. Die ersten zwei Tage<br />
dieser Reise waren verhältnismäßig ruhig, da wir <strong>von</strong> Kiel aus zunächst allein unterwegs<br />
waren, um erst später im Übungsgebiet mit den U-Booten zusammenzutreffen. Uns<br />
stand eine knappe Woche anstrengender Rödelei bevor. Im Skagerrak angelangt, trafen<br />
wir mit drei U-Booten (U 15, U 18, U 19) sowie dem Bergungsschlepper »Norderney«<br />
zusammen, nahmen ein paar Leute vom U-Geschwader an Bord und führten unter ihrer<br />
Leitung Manöver durch, bei denen mitunter eine beträchtliche Hektik aufkam. Wenn die<br />
U-Boote Torpedoschießen übten, rotierte bei uns das Personal im Brückenbereich, das<br />
ging einmal bis 23 Uhr. Auch wir Funker waren gefordert, wenn es darum ging, Daten<br />
der Übungen per Tastfunk durchzugeben, was wir inzwischen kaum mehr gewohnt<br />
waren (normalerweise machten wir nur Schreibfunk, den die U-Boote aber nicht<br />
besaßen). Dann stand einer der Übungsleiter (Kaleu Böhm) in der offenen Funkraumtür<br />
und brüllte dem Mann an der Taste Zahlen ’rüber, die ›live‹, d.h. ohne vorher aufgeschriebenes<br />
Konzept zu übermitteln waren, das war Streß. Per Tastfunk gaben wir auch<br />
einmal eine Ersatzteilanforderung auf – das war spannend, denn die »Norderney«, mit<br />
der wir verkehrten, war schon so weit entfernt, daß die Signale ganz schwach waren. Es<br />
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gab also genug Aufregung. Leider habe ich versäumt, eines der U-Boote zu besichtigen,<br />
als Gelegenheit dazu bestand.<br />
Erholsam war das Pönen (Anstreichen) oben auf dem Signaldeck in der schon<br />
warmen Maisonne. Es gibt zwei Fotos <strong>von</strong> H. und mir im Blaumann, die wir während<br />
dieser leichten, fast urlaubsmäßigen Arbeiten schossen. Da wir in dem tiefen (und<br />
unglaublich klaren) Wasser im Skagerrak nicht ankern konnten, ließen wir uns, wenn<br />
keine Manöverfahrten anstanden, einfach treiben, auch nachts. Das Wetter war herrlich,<br />
wir hatten eine Hochdruckwetterlage mit blankem Himmel und fast völliger Windstille.<br />
Bei Sonnenuntergang schien die Welt nur aus dem Schiff und einer es umgebenden<br />
Sphäre <strong>von</strong> Wasser und Luft zu bestehen, die in den phantastischsten Farben leuchtete –<br />
massives Goldgelb im Westen, dazu blaue und rosa Pastelltöne, zwischen denen auf der<br />
Ostseite der volle Mond aufging. Die glatte Wasseroberfläche spiegelte die Farben des<br />
Himmels wider, nur leicht <strong>von</strong> dem sehr langsam fahrenden Schiff gekräuselt; ab und zu<br />
tauchte mal ein U-Boot oder die »Norderney« am Horizont auf und fügte sich in die<br />
zauberhafte Szenerie ein (Fotos!). Ähnlich einmal um vier Uhr früh nach beendeter<br />
Funkwache das rosige Morgenlicht, in dem man vom Signaldeck aus in ganz weiter<br />
Entfernung Norwegens felsige Küste sehen konnte.<br />
In Kristiansand gab es abends an Bord eine Cocktailparty mit irgendeinem höheren<br />
diplomatischen Tier (Militärattaché oder so etwas). Ich besorgte die Garderobe. Mein<br />
Kollege TS, der bediente, kam öfters vorbei und belieferte mich mit Drinks (»Sieh’ zu,<br />
Junge, in ’ner Viertelstunde kommt der nächste!«) mit dem Resultat, daß die Gäste sich<br />
am Ende ihren Mantel selbst vom Kleiderbügel holen mußten. Am nächsten Vormittag<br />
Landgang in Uniform. Wir spazierten zu viert im Stadtzentrum umher, wobei uns die<br />
schönen norwegischen Mädchen auffielen, tauschten etwas Geld bei der ›Christianssands<br />
Sparebank‹, begaben uns zur Post, um Briefe aufzugeben, saßen eine Zeitlang auf<br />
einer Parkbank unweit der Hauptkirche, sahen uns ein Freilichtmuseum mit nachgebauten<br />
Holzhäusern <strong>von</strong> früheren Einwohnern an und fuhren schließlich mit einem Taxi<br />
zurück zum Hafen. Ich weiß nicht mehr, woher der Eindruck rührte, daß wir als<br />
deutsche Soldaten nicht allzu willkommen waren (allenfalls unser Geld). Später, nachmittags,<br />
ging ich noch einmal in Zivil an Land, um eine Postkarte abzuschicken und ein<br />
bißchen allein zu sein. Abends war ich mit ungefähr sechs Kollegen unterwegs, die ich<br />
an Land getroffen hatte. Wir saßen auf einem Felsen, <strong>von</strong> dem aus wir die Stadt bestens<br />
überblicken konnten, und tranken Bier in einer Menge, wie sie für die Einheimischen<br />
wegen der hohen Alkoholsteuer in Norwegen wohl unerschwinglich gewesen wäre. In<br />
deutlicher Erinnerung habe ich auch noch das Auslaufen am nächsten Tag, bei dem die<br />
norwegische Felsenküste mit den kleinen Holzhäusern allmählich im Dunst verschwand.<br />
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Blähen und Saufen auf der Ostsee<br />
Ein paar andere Fahrten in jenem Frühjahr waren kürzer, führten nur für 1–2 Tage auf<br />
die Ostsee hinaus. So die bereits erwähnte Maschinenerprobungsfahrt am 18.4. in der<br />
Kieler Bucht, die nach 8 Stunden beendet war, ein Tagesausflug ohne besondere<br />
Ereignisse (das war die erste Aktion nach der Wiedereinlagerung der Beladung,<br />
abgesehen <strong>von</strong> der kurzen Verlegung <strong>von</strong> Dietrichsdorf zurück in den Stützpunkt, und<br />
kurz vor der Geschwaderübung, die am 23.4. begann). Ähnlich kurz, obwohl <strong>von</strong> ganz<br />
anderem Charakter, war die Familienfahrt am 26.5., die immerhin noch bis zur Geltinger<br />
Bucht hinauf führte; das Schiff war voll mit Besuchern, hauptsächlich Angehörigen<br />
der Besatzungsmitglieder und Ehemaligen, eine Vergnügungstour ohne höheren<br />
militärischen Sinn. Kurz darauf eine zweitägige Übungsfahrt (28./29.5.) zwecks Schießübungen<br />
mit Westerwald, wobei wir am 28. vor Olpenitz ankerten und einen ganz<br />
herrlichen, warmen Frühlingsabend oben auf dem Signaldeck verbrachten. Das war<br />
reines Vergnügen und pures Behagen, eine meiner schönsten Erinnerungen aus dieser<br />
Zeit. Ein einziger hatte an diesem Abend schlechte Laune, das war der FMO, der Antialkoholiker<br />
war, während die ganze restliche Besatzung sich in Bierdunst einnebelte.<br />
Wir fragten uns, wie es wohl wäre, wenn jetzt vom Flottenkommando über Funk ein<br />
Einsatzbefehl käme mit der Anweisung, sofort da und da hin zu fahren. Mit einer<br />
komplett besoffenen Besatzung. Das wäre heiter geworden, das hätte ich gern erlebt.<br />
Vermessungsfahrten im Kattegat<br />
Im Juni, nach Pfingsten, gab es wieder eine längere Hochsee-Tour, die uns noch einmal<br />
für eine Woche ins Kattegat führte (7.–14.6.). Nach einer Notiz ging es dabei um<br />
»Vermessungsfahrten, Versuche BWB, ankern, Rollendienst«, wobei ich mich hauptsächlich<br />
daran erinnere, wie wir ab Freitag, 8.6., vor Frederikshavn in unmittelbarer<br />
Nachbarschaft der SEF 792 ankerten. Das war eine Manövergruppe, zu der Z 2, Z 4,<br />
Z 5, Rommel, Bayern, Coburg, Westensee, Ammersee, Spessart, Sachsenwald sowie U-<br />
Boote, Minensucher und Schnellboote gehörten. Sie führten ein größeres Manöver<br />
durch, das auch uns keine Ruhe ließ, obwohl wir nicht dazugehörten, denn wenn<br />
gerödelt wurde, ratterten dauernd Sprüche über den Fernschreiber, die den Verlauf der<br />
Kriegsspielchen dokumentierten. Zeitweise war es sogar spannend. Immer blue gegen<br />
orange (zwei Parteien, die einen die Guten, die anderen die Bösen). Irgendein Verband,<br />
so die Fiktion, hat einen ganzen Küstenabschnitt erobert, das Marinestützpunktkommando<br />
Olpenitz wird durch einen Kampfschwimmereinsatz im Handstreich<br />
genommen, usw.<br />
“orange force turning to nw–slow attacked. attack details: 1 kormoran and bombs<br />
on ddg rommel se of zz/turn off to east, 1 kormoran on dd fletcher (second hit), 1<br />
bomb attack on ao spessart [...]”<br />
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so und ähnlich nahm sich das aus. Die Meldungen kamen über den Broadcast, den wir<br />
ständig empfingen. Am Samstag, 9.6., ankerten wird den ganzen Tag eine halbe<br />
Seemeile vor Frederikshavn und konnten den Hafen mit seinem regen Schiffsverkehr<br />
beobachten. Die Situation wurde als »Tierquälerei« empfunden, da es schön gewesen<br />
wäre, mal einzulaufen und an Land zu gehen. In der Nacht auf Sonntag kam die<br />
»Rommel« in der Dunkelheit angeschlichen und ankerte neben uns; nachts um 1 Uhr sah<br />
ich den Zerstörer in der beginnenden Dämmerung. Schaurig. Morgens lagen Rommel,<br />
Z 4, Z 5, Bayern, Sachsenwald und Z 2 nebeneinander; Schnellboote, Minensucher und<br />
U-Boote waren in Frederikshavn eingelaufen. Zum Abschluß des Manövers machten die<br />
Schiffe nacheinander eine Art Parade, zogen alle in einer Reihe an dem Führungsschiff<br />
vorbei, um den Kommandeur zu grüßen, und ein kleiner Spion (ein Beobachtungsboot)<br />
aus dem Ostblock erlaubte sich den Spaß oder die Frechheit, sich dabei mit einzureihen.<br />
Sonst liefen wir im Juni nur noch für einen zweitägigen Aufenthalt in Flensburg<br />
aus, ich weiß nicht mehr, zu welchem Zweck. In Kiel lag das Schiff irgendwann wieder<br />
am Ostufer der Förde, diesmal nicht in Dietrichsdorf, sondern im Marinearsenal etwas<br />
weiter zur Innenförde hin, wobei wohl Wartungsarbeiten durchgeführt wurden. Auch<br />
wieder im Dock, wahrscheinlich in der relativ langen Pause Ende Juni.<br />
Wochenende bei der Marine und Schiffssicherungsausbildung<br />
In der ersten Julihälfte fand meine persönliche Seefahrtszeit einen runden Abschluß mit<br />
einem ordentlichen Doppelpack, das noch einmal neuartige Erlebnisse bot.<br />
Eine Spaß-Veranstaltung war das »Wochenende bei der Marine« in Pelzerhaken<br />
(6.–8.7.). Ein Stück Öffentlichkeitsarbeit, um das Image der Marine zu pflegen und sich<br />
unter dem Volk sehen zu lassen. Wir lagen zwei Tage lang vor Pelzerhaken auf Reede<br />
und boten nachmittags den Kurgästen die Möglichkeit, das Schiff zu besichtigen, was<br />
auch gern und viel in Anspruch genommen wurde; während der Öffnungszeiten fuhren<br />
unsere zwei Kutter ständig hin und her, um Besucher an Bord und wieder zurück zu<br />
bringen. An den beiden Abenden war dann jeweils ein Teil der Besatzung an Land und<br />
ließ es sich wohl (oder auch weniger wohl) ergehen, außerdem gab es eine offizielle<br />
Strandparty und Empfänge. Das Treiben der Gäste an Bord tangierte mich nicht<br />
besonders, ich erledigte meinen Abschnittsdienst und blähte sonst ziellos herum. Im<br />
Vorfeld des abendlichen Landgangs gab es dann unerfreuliche Szenen und eine gereizte<br />
Atmosphäre, weil Leute blau waren und ein Streit um Landgangsrechte entstand. Als ich<br />
mit einem Teil der Besatzung <strong>von</strong> Bord war, geriet ich irgendwie in die falsche Gruppe;<br />
es ergab sich, daß wir in einer Diskothek total versackten, wobei ich so alkoholisiert wie<br />
nur ganz selten war. Plötzlich, ehe man sich versieht, ist man in einem Zustand nahe am<br />
Filmriß. Klüger waren diejenigen, die nicht so viel tranken, sondern sich unter das Volk<br />
mischten, mit den Leuten redeten und sich Freundinnen anlachten, was meist nett und<br />
harmlos war, obwohl es in Einzelfällen auch weiter gegangen sein soll. Ich dagegen<br />
hatte mich nur sinnlos vollaufen lassen und kam ich weiß nicht mehr wie zurück an<br />
Bord, um meinen Rausch auszuschlafen.<br />
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Am Sonntagvormittag gab der Bürgermeister einen Empfang, zu dem eine<br />
Delegation der Besatzung geladen war. Dabei erlebte ich zum ersten und einzigen Mal<br />
ein dienstlich verordnetes Saufen. In der ganzen Situation lag eine ziemliche Komik.<br />
Nach ein paar wohlgesetzten Worten des Bürgermeisters sowie des Kommandanten, auf<br />
deren Inhalt es wenig anzukommen schien, stieß man mit Bier an. Ich hatte noch vom<br />
Vorabend einen dicken Kopf, mochte nicht schon wieder Alkohol trinken und griff zu<br />
einer Fanta, woraufhin der E-Meister mich diskret beiseite nahm und sagte: »Sagen Sie<br />
mal, sind Sie krank? Sie können doch nicht hier auf einem Empfang Limonade trinken!«<br />
Recht hatte er, es ging um Imagepflege, und zum Image eines anständigen Marinesoldaten<br />
gehört nun einmal, daß er Alkohol trinkt. – Am Sonntagabend war ich dann<br />
noch einmal an Land und ging diesmal zu zweit mit dem Sani los, um ein erneutes<br />
Besäufnis zu vermeiden. Wir wollten es nüchtern und gepflegt angehen, um mehr <strong>von</strong><br />
dem Abend zu haben, und hatten dann auch Gelegenheit, uns in der Sympathie zu<br />
sonnen, die uns vielfältig entgegengebracht wurde. Als wir in einem Strandlokal Steak<br />
essen gingen, spendierten Gäste am Nachbartisch uns Getränke. Junge Marinesoldaten<br />
wirken äußerlich anders als die oliven Heeresmuffel, die blauen Uniformen haben etwas<br />
Elegantes und Exotisches, vielleicht schwingt auch ein Hauch <strong>von</strong> fernen Ländern mit.<br />
Man behandelte uns sehr freundlich. Wir trafen noch einige der jüngeren Besatzungsmitglieder<br />
und redeten. Die Veranstaltung ging mit dem <strong>von</strong> Bumbum abgebrannten<br />
Feuerwerk auf dem Signaldeck zuende.<br />
Die anschließende Schiffssicherungsausbildung ›C‹ vom 9. bis 12.7. war eine<br />
ziemliche Rödelei, aber auf ihre Weise auch spaßig. Wir ankerten immer abends in der<br />
Lübecker Bucht vor Neustadt und fuhren tagsüber hinaus auf die Ostsee, an Fehmarn<br />
vorbei oder so, wobei das Ausbildungsteam aus Neustadt mit <strong>von</strong> der Partie war und<br />
einiges für uns auf Lager hatte. Es wurde richtig Krieg gespielt, zum Lachen realistisch<br />
inszeniert mit allerhand Simulationen, Rauchbomben, Verlöschen des Lichtes; sogar<br />
Knaller haben sie detonieren lassen. Wir waren aufgefordert, unsere Phantasie spielen<br />
zu lassen und so zu tun, als ob alles echt wäre. Gespielte Verletzte wurden täuschend<br />
ähnlich und ekelhaft zurechtgeschminkt und mußten aus den unzugänglichsten Winkeln<br />
des Schiffsinneren geborgen werden, was eine ziemliche Plackerei bedeutete (neben<br />
meinem Funkerjob war ich als Hilfskrankenträger eingesetzt). Die Mannschaftsmesse<br />
wurde zum Lazarett umfunktioniert. Es war nur die erste Stufe dieser Ausbildung, daher<br />
waren die Übungen nicht allzu hart; <strong>von</strong> Unteroffizieren hörten wir, daß bei den<br />
fortgeschrittenen Stufen die Kandidaten noch ganz anders fertiggemacht werden, z.B<br />
wenn sie in teilweise brennenden Schiffswracks bis zum Oberkörper im Wasser stehen<br />
und sich dann in Leckabdichtung, Feuerlöschen und ähnlichem bewähren müssen. Und<br />
die Kampfschiffe, so hieß es, werden zur Ausbildung im internationalen Flotten-<br />
Trainingszentrum in Portland (NATO-Rödelcenter) geschickt, wo die Rödelei Tag und<br />
Nacht andauert. Dagegen war es bei uns harmlos. Einmal mußten wir bei ABC-Alarm<br />
ganz weit hinunter ins Schiff (um im Ernstfall möglichst wenig Strahlung abzukommen)<br />
und hockten dann mit aufgesetzter ABC-Maske und Stahlhelm direkt über dem<br />
Backbord-Wellentunnel, das Ende des Alarms abwartend. Ich habe noch mitten in dem<br />
Lärm und Gestank gepoft, denn sobald man untätig und stumpfsinnig dasaß, packte<br />
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einen die Müdigkeit, noch gefördert durch die Wärme und das monotone Dröhnen <strong>von</strong><br />
Dieselmotor und Schraubenwelle sowie einen gewissen Sauerstoffmangel wegen der<br />
ABC-Maske. Eher lustig war das Besteigen einer aufblasbaren Rettungsinsel, mit der<br />
man sich auf der Ostsee schwimmend ein Stück vom Mutterschiff entfernte. Wenn ich<br />
Seewache hatte und Funkabschnittsdienst machte, saß ich oft innerlich total distanziert<br />
und unbeteiligt im Broadcast-Schapp und beobachtete das absurde Treiben. Unvergeßlich<br />
ist mir der Anblick <strong>von</strong> Maat W. mit Helm und ABC-Maske am Fernschreiber<br />
(Profilansicht, es sah total skurril aus); ich hätte etwas darum gegeben, ihn so fotografieren<br />
zu können, und prägte mir stattdessen das Bild tief ins Gedächtnis ein.<br />
Ebenfalls unvergeßlich ist mir der letzte Abend auf See, als wir in der Lübecker Bucht<br />
ankerten, deren Lichterkette mir <strong>von</strong> früheren Urlauben her vertraut war. Ich habe es<br />
außerordentlich genossen, an jenem Abend die Funkwache zu gehen. Im Funkraum<br />
machte ich gedämpftes Licht, ließ alle Türen offen, spazierte im Brückenbereich herum<br />
und blickte auf die Bucht, die ruhig in der Abenddämmerung lag. Es war mein letzter<br />
Abend mit der »<strong>Offenburg</strong>« auf See und fast schon das Ende der Seefahrtszeit, da ich an<br />
den letzten beiden Fahrten zu meiner Dienstzeit wegen Urlaubs nicht teilnahm.<br />
In Kiel und am Ende wieder in Hamburg<br />
Nach diesen Abenteuern nahm ich mir Zeit für einen Krankenhausaufenthalt wegen<br />
einer fälligen kleinen Operation. Ich ließ mich vom Truppenarzt in das Bundeswehrkrankenhaus<br />
Kiel-Kronshagen einweisen (ca. 10 Tage Aufenthalt, wohl 16.–26.7.). Nur<br />
die ersten ein bis zwei Tage nach der Operation waren unangenehm, sonst fand ich die<br />
Zeit, die ich dort verbrachte, eigentlich ganz schön, zumal das Haus unterbelegt war und<br />
ich zunächst kaum durch Nachbarn gestört wurde. Ich las fast den ganzen Tag, teils<br />
eigene Bücher, teils solche aus der Krankenhausbücherei. Nach der Entlassung ließ ich<br />
mich <strong>von</strong> einem Routine-Fahrdienst wieder zum Schiff bringen, erhielt dort zu meiner<br />
freudigen Überraschung erstmal eine Woche Genesungsurlaub, der noch um zwei<br />
Wochen normalen Urlaub verlängert wurde, und fuhr sogleich nach Hause. Ich konnte<br />
die Zeit auch nutzen, um mir für das bevorstehende Studium in Münster ein Zimmer zu<br />
suchen.<br />
Wieder im Stützpunkt angelangt – das muß schon Mitte August gewesen sein –, gab<br />
es fast nur noch langweilige Hafenroutine. Relativ breiten Raum nahm noch einmal das<br />
Pönen ein; ich weiß noch, daß ich mehrere Tage bei heißem Sommerwetter ganz oben<br />
auf Signaldeck und Brücke war und dabei auch den großen Schriftzug »A 1417« auf<br />
dem Brückendach nachzeichnete. Es ging aber hauptsächlich darum, die rostigen Stellen<br />
auszubessern, wozu man erstmal mit Hammer und Schleifpapier den alten Lack und die<br />
Roststellen zertrümmerte und den Staub beseitigte, bevor man Rostschutzfarbe und<br />
schließlich neuen Außenanstrich auftrug. Neu gestrichen wurde auch das Funkerdeck.<br />
Wir durften uns die Farben aussuchen und einigten uns auf eine für meinen Geschmack<br />
nicht optimale Kompromißlinie mit ziemlich viel Weiß und Rot, viel zu leuchtenden<br />
Farben, deren Anblick auf Dauer kaum erträglich war. Es kam mir vor wie bei der<br />
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Feuerwehr und ging umsomehr auf die Augen und die Nerven, als einem beim Streichen<br />
noch <strong>von</strong> dem in den Lacken enthaltenen Lösungsmittel schlecht wurde und der Gestank<br />
sich nur langsam verflüchtigte. Immer wieder mußten wir (Th. und ich, die bei einer<br />
Wochenendwache einen Großteil dieser Arbeit machten), das Pönen unterbrechen, um<br />
draußen frische Luft zu schnappen.<br />
Der Funkabschnittsdienst war nicht mehr der Rede wert. Ich zitiere den FMO mit<br />
einer Bemerkung zur Arbeitsverteilung: »Also, Herr <strong>Brandt</strong>, einer <strong>von</strong> uns muß heute<br />
noch diese Vorschrift ins Regal zurückstellen, und einer muß die Seenotfunkboje<br />
aufladen, was <strong>von</strong> beiden wollen Sie übernehmen?« Ich nahm die Vorschrift, er die<br />
Boje, und dann machte jeder wieder seinen eigenen Kram. Das sagte er, nachdem wir<br />
eine halbe Stunde geklönt hatten; er langweilte sich genauso wie ich, ließ sich ab und zu<br />
für ein Schwätzchen im Funkraum blicken und ging dann wieder. Als die anderen<br />
Urlaub hatten (das war vielleicht schon im September in Hamburg), habe ich manchmal<br />
die Funkraumtür <strong>von</strong> innen verriegelt und gelesen, geschrieben oder sogar geschlafen. –<br />
Bei den Wochenendwachen gingen wir dazu über, drei statt zwei Stunden auf einmal zu<br />
gehen, um dafür nur zwei- satt dreimal pro Tag dran zu sein und dazwischen längere<br />
Freiwachen zu haben. In den lauen Sommernächten war das besser erträglich, als es im<br />
Winter gewesen wäre, und obwohl drei Stunden am Stück zu gehen hart war,<br />
verbesserte es doch den Komfort ein wenig, man konnte besser schlafen und tagsüber<br />
die freie Zeit an Bord besser nutzen.<br />
Mittlerweile stellte ich mich auf die Zeit nach dem Wehrdienst ein, bewarb mich<br />
wohl noch vor dem Krankenhausaufenthalt für den Studienplatz, der mir dann am<br />
28./29. August Sonderurlaub zur Immatrikulation verschaffte. Dieser Sonderurlaub fiel<br />
mit einer Übungsfahrt (ISEX Westbalt, Ankern Olpenitz) zusammen, die ohne mich<br />
stattfand. Als ich vormittags zurück war und die »<strong>Offenburg</strong>« beim Einlaufen in Kiel<br />
beobachtete (nochmal ein ganz neuer Anblick), wußte ich noch nicht, daß es mal wieder<br />
eine Kollision bei der Seeversorgung gegeben hatte, diesmal mit dem Troßschiff<br />
»Lüneburg«, was einen neuen Werftaufenthalt notwendig machte. Damit war die<br />
Perspektive für den Rest der Zeit vorgegeben: Hamburg Norderwerft. Außerdem waren<br />
Läuse aufgetreten, und die ganze Besatzung mußte auf Läuse hin untersucht werden.<br />
Wir standen vor dem San-Deck Schlange und traten einzeln ein; der San-Meister, der<br />
die Untersuchung durchführen mußte, war darum nicht zu beneiden.<br />
Auch den Transit nach Hamburg am 3./4. September – wieder durch den Kanal und<br />
wieder zur Norderwerft, wo im Januar alles angefangen hatte – erlebte ich nicht mit,<br />
weil ich meinen restlichen regulären Urlaub nahm (Freitag 31.8. nach Dienstschluß war<br />
ich weg). Als der Urlaub um war, ging es nach Hamburg zu der mir schon bekannten<br />
Werft, um die allerletzten zwei Wochen meiner Dienstzeit abzureißen, die nicht mehr<br />
aufregend waren, sondern mich fast nur noch anödeten. Das Schiff lag zeitweilig an der<br />
Außenseite eines Docks, dann wieder an der Pier, nebenan der große Tanker »Spessart«<br />
aus unserem Geschwader, den wir gut kannten. Einmal konnten wir zusehen, wie sie ihn<br />
etwas unvorsichtig ins Dock schleppten und dabei eine kleine Kollision verursachten,<br />
bei der am Dock etwas verbogen wurde. Ansonsten langweilten wir uns fast nur noch.<br />
Außer Reinschiff, Abschnittsblähen, Wachegehen und Gammeln spielte sich nichts<br />
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mehr ab. Am Sonntag, dem 23.9. – es war die letzte Wochenendwache – lag ich<br />
vollkommen stumpfsinnig nachmittags drei Stunden lang in der Koje, bevor ich mich an<br />
den Tisch setzte und in einer Art Brainstorming einen konfusen Rückblick auf die<br />
Bordzeit zusammenschrieb. Ein andermal nahm ich mir in einem lichten Moment den<br />
Ordner mit den Ein- und Auslaufmeldungen vor und erstellte eine Liste der Fahrten, die<br />
die »<strong>Offenburg</strong>« während meiner Dienstzeit unternommen hatte (ohne diese Maßnahmen<br />
wäre es nicht möglich gewesen, den vorliegenden <strong>Bericht</strong> so zu schreiben). Eine<br />
letzte Seefahrt, die vom 24. bis 27.9. dauern sollte, fiel aus, vielleicht weil das Schiff<br />
nicht fertig war. Ich fotografierte noch viel auf dem Werftgelände, nachdem ich <strong>von</strong> den<br />
besseren Gelegenheiten viel versäumt hatte, und ließ den Wehrdienst prosaisch<br />
ausklingen. Am Ende mußte ich noch allerhand Zeug ersetzen, das ich mir hatte klauen<br />
lassen, u.a. das Bordmesser und die Bootsmannsmaatenpfeife, beides begehrte Objekte,<br />
die ich weniger leichtsinnig hätte aufbewahren sollen. M. und ich verabschiedeten uns<br />
nach der Entlassung ohne viel Aufhebens am Bahnhof, fuhren im Sommerhemd als<br />
wirkliche Zivilisten nach Haus, d.h. ohne lärmendes Reservistengetue, Hüte, Paddel<br />
etc., wie die meisten Heizer und Ziegen sie sich angefertigt hatten, um den Entlassungstag<br />
zu feiern. Das brauchten und wollten wir nicht, es war für uns schon ganz vorbei und<br />
wir gehörten wieder uns selbst.<br />
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