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Wilfried Härle: Aus ethischer Sicht (Leseprobe)

»Was sollen wir tun?« Das ist die Frage, die den ethischen Blick auf das Leben leitet. Orientiert man sich bei der Beantwortung dieser Frage allein an in den Massenmedien vertretenen Meinungen, wird man nicht zu einer eigenverantwortlichen ethischen Auffassung gelangen. Denn um die zu erreichen, muss man sich einerseits Klarheit über ethische Grundbegriffe wie »Freiheit«, »Verantwortung«, »Menschenwürde« und »Gewissen« verschaffen, andererseits ist es unverzichtbar, konkrete ethische Herausforderungen zu analysieren, die sich uns im Leben stellen: zum Beispiel »Altersdemenz«, »Schuld und Vergebung«, »Krieg und Frieden« oder »Beihilfe zur Selbsttötung«. Diese Güstrower Vorträge bieten zu beidem ihren Beitrag, und zwar so, dass dabei erhellende Zusammenhänge sichtbar werden. Sie wurden zwischen 2015 und 2021 anlässlich der Güstrower Herbstgespräche gehalten und fanden beachtliche positive Resonanz.

»Was sollen wir tun?« Das ist die Frage, die den ethischen Blick auf das Leben leitet. Orientiert man sich bei der Beantwortung dieser Frage allein an in den Massenmedien vertretenen Meinungen, wird man nicht zu einer eigenverantwortlichen ethischen Auffassung gelangen. Denn um die zu erreichen, muss man sich einerseits Klarheit über ethische Grundbegriffe wie »Freiheit«, »Verantwortung«, »Menschenwürde« und »Gewissen« verschaffen, andererseits ist es unverzichtbar, konkrete ethische Herausforderungen zu analysieren, die sich uns im Leben stellen: zum Beispiel »Altersdemenz«, »Schuld und Vergebung«, »Krieg und Frieden« oder »Beihilfe zur Selbsttötung«.
Diese Güstrower Vorträge bieten zu beidem ihren Beitrag, und zwar so, dass dabei erhellende Zusammenhänge sichtbar werden. Sie wurden zwischen 2015 und 2021 anlässlich der Güstrower Herbstgespräche gehalten und fanden beachtliche positive Resonanz.

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II Gewissen und medizinethische Urteilsbildung<br />

fältig anhand meiner ethischen Normen geprüft und bin<br />

zu dem Ergebnis gekommen, dass sie mit diesen Normen<br />

nicht übereinstimmt. Wenn es nur auf die Tatsache der<br />

sorgfältigen Prüfung und nicht auf deren Ergebnis ankäme,<br />

müsste ich folglich die Handlung mit gutem Gewissen<br />

vollziehen können. Aber das wirkt geradezu absurd<br />

und ist offensichtlich falsch. Das Gewissen bezieht sich<br />

eben nicht nur auf die Tatsache und Behutsamkeit der Prüfung,<br />

sondern auch auf ihr Ergebnis. Sollte Kant das gemeint<br />

und sich nur missverständlich ausgedrückt haben,<br />

dann müsste er allerdings auch zugeben, dass wir uns bei<br />

dieser inhaltlichen Prüfung auch irren können. Jedenfalls:<br />

Ein irrendes Gewissen ist kein Unding, es ist eine reale<br />

Möglichkeit und Wirklichkeit, also ein Ding.<br />

Wenn das Gewissen aber weder die Instanz ist, die dem<br />

Menschen die unfehlbare Anweisung zum ethisch richtigen<br />

Handeln gibt, noch die Instanz, die lediglich die Tatsache<br />

der Prüfung von Handlungen anhand von ethischen<br />

Überzeugungen feststellt, was ist das Gewissen dann und<br />

stattdessen?<br />

1.4 Die Bedeutung des Begriffs „Gewissen“<br />

Auf die Frage nach der Bedeutung des Gewissensbegriffs<br />

gibt – wie oft – die Beachtung der Sprache, und zwar vor<br />

allem der etymologischen Wurzeln der Begriffe wichtige<br />

9) Die hebräische Sprache der Bibel kennt noch keinen Begriff für „Gewissen“.<br />

Aber sie kennt das Phänomen des (schlechten) Gewissens und be -<br />

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