FINE - Das Weinmagazin - 59. Ausgabe - 04/2022
Hauptthema: PIEMONT Gajas Sperss: Der Sehnsuchtswein des Großvaters Weitere Themen dieser Ausgabe: PIEMONT Pio Cesare: Furchtlos auf den Schultern der Ahnen TOSKANA Giodo: Brunello vom Fachmann TOSKANA Der Ipsus von Il Caggio: Super, aber mit Gefühl TOSKANA Castello di Fonterutoli: Der Siepi wird 30 MAREMMA Fattoria Le Pupille: 25 Jahre Poggio Valente ÖSTERREICH Die Anbaugebiete Wagram und Südsteiermark STEIERMARK Erwin Sabathi: Voller Einsatz auf Rot WAGRAM Bernhard Ott: Herr Veltliner persönlich WEIN & SPEISEN Jürgen Dollase isst im Restaurant Dichter in Rottach-Egern CHAMPAGNE Dom Ruinart: Zurück zum Naturkork CHAMPAGNE 22 feste Größen im Magnumformat CHAMPAGNE Gosset: Erst der Wein, dann die Bläschen WORTWECHSEL Warum Weinkritik mehr bieten sollte als gute Laune BURGUND Olivier Leflaive: Lauter erfüllte Lebensträume DIE PIGOTT-KOLUMNE Gipfel vom Alpenrand: Weißwein aus der Steiermark TASTING 16 Jahrgänge der provenzalischen Domaine de Trévallon BORDEAUX Château Beauregard: Wie neugeboren BORDEAUX Château de Lamarque: Die Burg der 68er WEINHANDEL Kölner Weinkeller: Schatzkammer unterm Parkplatz DAS GROSSE DUTZEND Neuseeländischer Sauvignon Blanc von Cloudy Bay GENIESSEN Raclette – eine Schweizer Offenbarung EIN & ZEIT Die schwere Geburt der Großen Gewächse TASTING Edles vom Adel: Frucht- und edelsüße Raritäten PFALZ Markus Schneider: Der neudeutsche Meister ABGANG Die Klassenbesten sind der Standard
Hauptthema: PIEMONT Gajas Sperss: Der Sehnsuchtswein des Großvaters
Weitere Themen dieser Ausgabe:
PIEMONT Pio Cesare: Furchtlos auf den Schultern der Ahnen
TOSKANA Giodo: Brunello vom Fachmann
TOSKANA Der Ipsus von Il Caggio: Super, aber mit Gefühl
TOSKANA Castello di Fonterutoli: Der Siepi wird 30
MAREMMA Fattoria Le Pupille: 25 Jahre Poggio Valente
ÖSTERREICH Die Anbaugebiete Wagram und Südsteiermark
STEIERMARK Erwin Sabathi: Voller Einsatz auf Rot
WAGRAM Bernhard Ott: Herr Veltliner persönlich
WEIN & SPEISEN Jürgen Dollase isst im Restaurant Dichter in Rottach-Egern
CHAMPAGNE Dom Ruinart: Zurück zum Naturkork
CHAMPAGNE 22 feste Größen im Magnumformat
CHAMPAGNE Gosset: Erst der Wein, dann die Bläschen
WORTWECHSEL Warum Weinkritik mehr bieten sollte als gute Laune
BURGUND Olivier Leflaive: Lauter erfüllte Lebensträume
DIE PIGOTT-KOLUMNE Gipfel vom Alpenrand: Weißwein aus der Steiermark
TASTING 16 Jahrgänge der provenzalischen Domaine de Trévallon
BORDEAUX Château Beauregard: Wie neugeboren
BORDEAUX Château de Lamarque: Die Burg der 68er
WEINHANDEL Kölner Weinkeller: Schatzkammer unterm Parkplatz
DAS GROSSE DUTZEND Neuseeländischer Sauvignon Blanc von Cloudy Bay
GENIESSEN Raclette – eine Schweizer Offenbarung
EIN & ZEIT Die schwere Geburt der Großen Gewächse
TASTING Edles vom Adel: Frucht- und edelsüße Raritäten
PFALZ Markus Schneider: Der neudeutsche Meister
ABGANG Die Klassenbesten sind der Standard
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4| 2022 Deutschland € 20 Österreich € 21,00 Italien € 24,50 Schweiz chf 35,00 Benelux € 22,90
4 197772 520006 04
SPERSS
FAMILIENGESCHICHTE IN FLASCHEN
Barolo Supertoskaner Österreich Champagner Pfalz
Pio Cesare: Die Verve Poggio Valente, Bernhard Ott und Die Häuser Gosset Markus Schneider
der jungen Erbin Siepi und Ipsus Erwin Sabathi und Dom Ruinart auf neuen Höhen
FINE
GIODO 28
IL CAGGIO 34
CASTELLO
DI FONTERUTOLI 40
FATTORIA
LE PUPILLE 46
ERWIN SABATHI 54
BERNHARD OTT 60
OLIVIER LEFLAIVE 92
DOM RUINART 72 GOSSET 84
CHÂTEAU
BEAUREGARD 104
CHÂTEAU
DE LAMARQUE 108
6 FINE 4 | 2022 INHALT
DAS WEINMAGAZIN 4|2022
PIO CESARE 22
GAJAS BAROLO SPERSS 12
22 GROSSE CHAMPAGNER 78
MARKUS SCHNEIDER 136
9 FINE EDITORIAL _________________ Von Familienmenschen und Perfektionisten
11 FINE CHARTA ____________________ Die FINE-Weinbewertung
12 FINE PIEMONT ___________________ Gajas Sperss: Der Sehnsuchtswein des Großvaters
22 FINE PIEMONT ___________________ Pio Cesare: Furchtlos auf den Schultern der Ahnen
28 FINE TOSKANA __________________ Giodo: Brunello vom Fachmann
34 FINE TOSKANA __________________ Der Ipsus von Il Caggio: Super, aber mit Gefühl
40 FINE TOSKANA __________________ Castello di Fonterutoli: Der Siepi wird 30
46 FINE MAREMMA _________________ Fattoria Le Pupille: 25 Jahre Poggio Valente
52 FINE ÖSTERREICH _______________ Die Anbaugebiete Wagram und Südsteiermark
54 FINE STEIERMARK _______________ Erwin Sabathi: Voller Einsatz auf Rot
60 FINE WAGRAM ___________________ Bernhard Ott: Herr Veltliner persönlich
66 FINE WEIN & SPEISEN ___________ Jürgen Dollase isst im Restaurant Dichter in Rottach-Egern
72 FINE CHAMPAGNE _______________ Dom Ruinart: Zurück zum Naturkork
78 FINE CHAMPAGNE _______________ 22 feste Größen im Magnumformat
84 FINE CHAMPAGNE _______________ Gosset: Erst der Wein, dann die Bläschen
90 FINE WORTWECHSEL ____________ Warum Weinkritik mehr bieten sollte als gute Laune
92 FINE BURGUND __________________ Olivier Leflaive: Lauter erfüllte Lebensträume
98 FINE DIE PIGOTT-KOLUMNE _____ Gipfel vom Alpenrand: Weißwein aus der Steiermark
102 FINE TASTING ____________________ 16 Jahrgänge der provenzalischen Domaine de Trévallon
104 FINE BORDEAUX _________________ Château Beauregard: Wie neugeboren
108 FINE BORDEAUX _________________ Château de Lamarque: Die Burg der 68er
112 FINE WEINHANDEL ______________ Kölner Weinkeller: Schatzkammer unterm Parkplatz
118 FINE DAS GROSSE DUTZEND ___ Neuseeländischer Sauvignon Blanc von Cloudy Bay
122 FINE GENIESSEN ________________ Raclette – eine Schweizer Offenbarung
124 FINE WEIN & ZEIT ________________ Die schwere Geburt der Großen Gewächse
130 FINE TASTING ____________________ Edles vom Adel: Frucht- und edelsüße Raritäten
136 FINE PFALZ ______________________ Markus Schneider: Der neudeutsche Meister
146 FINE ABGANG ___________________ Die Klassenbesten sind der Standard
INHALT
FINE 4 | 2022 7
SEHNSUCHT
IN FLASCHEN
»SPERSS« NENNT MAN IN PIEMONT DIE SCHWÄRMEREI FÜR
EINE VERKLÄRTE VERGANGENHEIT. ALS ANGELO GAJA DEN
REBBERG IM BAROLO-GEBIET KAUFEN KONNTE, VON DEM
SEIN VATER GIOVANNI SEIT SEINER JUGEND SCHWÄRMTE,
GAB ER DEM WEIN VON DORT DIESEN NAMEN UND DREHTE
DAMIT AUF SEINE WEISE DIE ZEIT ZURÜCK
Von RAINER SCHÄFER
Fotos THILO WEIMAR
12 FINE 4 | 2022 PIEMONT
Giovanni,
Rossana und
Gaia Gaja
PIEMONT FINE 4 | 2022 13
FURCHTLOS
AUF DEN SCHULTERN
DER AHNEN
AN DEN GRÜNDER PIO CESARE
ERINNERT IM BAROLO-GUT VON
1881 NOCH HEUTE EINE BÜSTE.
SEINE URURENKELIN FEDERICA
BOFFA, SEIT DEM TOD IHRES
EBENFALLS LEGENDÄREN VATERS
PIO BOFFA 2021 WOHL ITALIENS
JÜNGSTE TOP-WINZERIN, EHRT
DIE TRADITION UND VERFOLGT
ZUGLEICH ENERGISCH NEUE IDEEN
Von RAINER SCHÄFER
Fotos THILO WEIMAR
Die Zeit scheint stillzustehen in der Altstadt von Alba mit ihren mittelalterlichen Bauten. In
den Gassen um den Marktplatz erwacht morgens nur langsam das Leben, diese pittoreske
Kulisse bietet Hektik keinen Platz. Auch im Weingut Pio Cesare, mitten im Stadtkern
gelegen, sieht es auf den ersten Blick aus wie früher: Hinter dem Eingangstor öffnet sich
der Innenhof mit ziegelroten Pfeilern und Gewölbegang, Treppen führen in die Tiefen
des Kellers. Und doch ist alles ganz anders – Pio Boffa fehlt, der charismatische Patron
des Guts und eine der großen Winzerpersönlichkeiten von Piemont. Mit nur 66 Jahren ist
er im April 2021 unerwartet an den Folgen von Covid gestorben, ein gewaltiger Schock
für die Familie.
Boffa galt als großer Barolista, der geholfen
hatte, die piemontesische Weinkultur
voranzutreiben. »Er war sehr intelligent
und brillant«, sagt seine Tochter Federica, die
von heute auf morgen die Verantwortung übernehmen
musste und das Gut nun gemeinsam mit
ihrem Cousin Cesare Benvenuto leitet. Mit gerade
mal 25 Jahren ist sie wohl Italiens jüngste Weinguts-
Chefin. Aber der plötzliche Generationswechsel
eröffnet auch neue Möglichkeiten. Pio Boffa, der
Patriarch mit der dunklen Hornbrille, ließ oft nur
seine eigene Meinung gelten: »Er war eine One-
Man-Show und hat alles kontrolliert im Weingut.«
Das neue Team hat nun Raum, sich zu entfalten und
22 FINE 4 | 2022 PIEMONT
PIEMONT FINE 4 | 2022 23
Francesco Mazzei
in der Lage Siepi
40 FINE 4 | 2022 TOSKANA
DER RIESE
AUS DEM WALD
DER SIEPI VON CASTELLO DI FONTERUTOLI WAR EINER
DER PRÄGENDEN SUPERTUSCANS DER 90ER-JAHRE:
HALB SANGIOVESE, HALB MERLOT, HAT ER VOR 30 JAHREN
UNSERE VORSTELLUNG VON WEINEN AUS DER ZONE DES
CHIANTI CLASSICO REVOLUTIONIERT UND RAGT IMMER
NOCH HERAUS, NICHT ZULETZT DANK DEN BESONDEREN
QUALITÄTEN SEINES TERROIRS
Von STEFAN PEGATZKY
Fotos THILO WEIMAR
»A tavola non s’invecchia«, sagt unser Gastgeber Francesco Mazzei: Bei Tisch altert man nicht. Es ist beinahe
vier Uhr am Nachmittag, als schließlich der Kaffee mitsamt dem köstlichen Eiskonfekt Dai Dai auf den Tisch
gestellt wird. Mazzei, Geschäftsführer von Castello di Fonterutoli, wirkt entspannt, fast gelöst. Am Morgen
haben wir noch im Sturmschritt den Weinkeller der Familie besichtigt, danach eine Tour in den Rebberg unternommen
und eine Vertikale des berühmten Siepi verkostet. An jeder dieser Stationen hatten wir den Eindruck,
der Persönlichkeit dieses Grand Vin aus der Toskana etwas näher zu kommen. Ganz verstanden aber haben
wir ihn erst beim Mittagessen in der Bar Società Orchestrale im Örtchen Fonterutoli.
Seit 1435 baut die Familie Mazzei hier Wein an. In jenem Jahr
heiratete Madonna Smeralda Mazzei, Tochter aus noblem
Florentiner Hause, Piero di Agnolo da Fonterutoli. Schon
damals besaß der Ort eine gewisse Bedeutung, 1208 hatten hier die
verfeindeten Stadtstaaten Florenz und Siena die Grenze zwischen
ihren Gebieten festgelegt. Die Mazzei hatten mit dem Weinbau
in der Toskana wohl schon im 11. Jahrhundert begonnen. Von
Smeraldas Großvater Ser Lapo sind einige der ersten Erwähnungen
des Chianti überhaupt überliefert (1398 zu einem Weißwein,
1401 dann zu einem Roten aus Lamole); 1435 wurde der Weinberg
Siepi ausdrücklich als Eigentum seiner Enkelin aufgeführt.
Mangels männlicher Nachkommen fiel Smeraldas Familie der
gesamte Besitz ihres Gatten zu. Inzwischen sind die Marchesi
Mazzei in der 24. Generation die Herren von Fonterutoli, das mit
seinen gut 80 Einwohnern heute eine »frazione«, ein Ortsteil,
des nahe gelegenen Castellina in Chianti ist. »Ab diesem Punkt
gehören alle Häuser des Ortes unserer Familie«, sagt Francesco
Mazzei gelassen beim Kaffee und deutet auf einen unscheinbaren
Grenzstein des wunderbar erhaltenen Weilers. Jeder Nachbar,
der Mazzei erkennt, verweilt für ein kurzes Schwätzchen; ein
Schwarm Knirpse, deren Gesichtszüge aus Gemälden von Raffael
stammen könnten, wird einzeln begrüßt.
Fonterutoli, in dem die Mazzei auch eine Önothek, eine
Osteria und Fremdenzimmer eingerichtet haben, wird außer
durch seinen historischen Ortskern durch das gleichnamige Weingut
geprägt. Einige Hundert Meter westlich unterhalb des Dorfes
gelegen, wurde es 2006 mit der Anlage eines monumentalen
Kellergebäudes gleichsam neu erfunden. Der Entwurf stammt
von Agnese Mazzei; die Schwester der beiden Geschäftsführer
Francesco und Filippo leitet in Florenz ein Architekturbüro. »Wir
arbeiten heute auf drei Ebenen«, erklärt Francesco Mazzei, »dank
dem Prinzip der Schwerkraft brauchen wir keine Pumpen, was
Most und Wein schont.« Nach der Ernte werden die Trauben
auf dem Hof der hufeisenförmigen Anlage sorgfältig von Hand
TOSKANA FINE 4 | 2022 41
54 FINE 4 | 2022 STEIERMARK
VOLLER EINSATZ
AUF ROT
ERWIN SABATHI HAT ES MIT SEINEN SÜDSTEIRISCHEN
WEISSWEINEN GANZ AN DIE SPITZE GESCHAFFT. DOCH
SEIN EHRGEIZ GEHT NOCH WEITER: SO OBSESSIV WIE
ERFOLGREICH BETREIBT ER SEIT JAHREN DAS PROJEKT
EINES PINOT NOIR VOM PÖSSNITZBERG
Von RAINER SCHÄFER
Fotos JOHANNES GRAU
Die Diagnose fällt eindeutig aus: Erwin Sabathi gehört zu jenen Weinmachern, die dem Pinot Noir verfallen
sind. »Ich liebe Pinot«, gesteht der 1974 geborene Winzer aus der Südsteiermark, »ich bin davon
besessen.« Die Rebsorte gilt als »heartbreak grape«, die ihren Verehrern das Herz brechen kann. Sabathi
kennt Geschichten von Desperados, die ihre Familien im Stich gelassen, Haus und Hof verloren und sichere
Jobs aufgegeben haben, um den größten Pinot Noir zu keltern. Manche schlafen bei ihren Fässern, als
müssten sie über kranke Kinder wachen, manche verlieren fast den Verstand, weil sich tagein, tagaus alles
nur noch um den roten Burgunder dreht.
Für den Südtiroler Extremwinzer Franz Haas, der Anfang
des Jahres gestorben ist, war diese Rebsorte die große
Gegenspielerin, die er abgöttisch liebte und mit der er
sich täglich messen musste. Allnächtlich erwachte er um drei
Uhr und grübelte, was er noch besser machen könne. Josh
Jensen, Gründer des kalifornischen Weinguts Calera, fuhr zwei
Jahre durchs Land und übernachtete in seinem Auto, weil er
unbedingt den perfekten Boden finden wollte. Alle dachten,
er sei verrückt geworden. So war auch Erwin Sabathis größte
Angst, sich in den Fallstricken des Pinot Noir zu verheddern:
»Deshalb habe ich so spät damit angefangen. Er ist die größte
Herausforderung meines Lebens.«
Als Königin der Rebsorten stellt Pinot Noir höchste
Ansprüche und zeigt einem die eiskalte Schulter, wenn man
sich nicht intensiv um sie kümmert. Sie liebt es warm, aber
wenn es allzu warm ist, schmeckt der Wein nach Erdbeerbowle.
Sie ist frostempfindlich, mag keine kühlen, feuchten Böden.
Wegen ihrer dünnen Haut sind die Beeren extrem anfällig und
faulen schnell; wenn man das Tannin zu stark extrahiert, wird
es bitter und stumpf. Wer diese Diva jedoch verhätschelt und
mit Samthandschuhen anfasst, dem kann sie Weine schenken,
die Franz Haas »erotisch« nannte. Weltweit tüfteln Winzer
daran, die immer neuen Rätsel zu lösen, die ihnen diese Rebsorte
aufgibt. Erwin Sabathi begegnete ihr schon mit 16 Jahren,
als er die Gelegenheit hatte, 36 Grands und Premiers Crus aus
Burgund zu verkosten, »seitdem verfolgt mich diese Rebe«.
Aber erst 2015, ein Vierteljahrhundert später, begann er, selbst
Pinot Noir zu pflanzen – am Pössnitzberg, in einem Terroir, das
lange nur für Sauvignon Blanc bestimmt gewesen war. »Für
den hat man weltweit selten so gute Bedingungen wie hier«,
erklärt der Winzer, der 30 der beinahe 50 Hektar dieser Spitzenlage
besitzt. Sein Großvater Johann hatte mit einem Hektar
angefangen, Erwin Sabathi erweiterte die Fläche zielstrebig,
nachdem er 1992 beim Weingut eingestiegen war. »Damals
wollte ich 100 Prozent Sauvignon Blanc machen«, erzählt er,
»aber dann kam Pinot dazwischen.«
2005 reiste er zum ersten Mal nach Burgund, nachdem
ihm ein Bodenexperte geraten hatte, am Pössnitzberg
STEIERMARK FINE 4 | 2022 55
JÜRGEN DOLLASE
AUF DIE DOSIS
KOMMT ES AN
JÜRGEN DOLLASE ISST IM RESTAURANT
DICHTER IN ROTTACH-EGERN
Fotos GUIDO BITTNER
Thomas Kellermann ist ein hervorragender
Koch mit einem ganz speziellen Talent:
Wie kaum ein anderer Küchenchef hierzulande
glänzt er durch eine aromatische Originalität
und Qualität seiner Kompositionen, die man erst
begreift, wenn man sie an Ort und Stelle probiert,
im Restaurant Dichter des Parkhotels Egerner Höfe
in Rottach-Egern am Tegernsee.
Für den Zusammenhang von Wein und Speisen
haben sich bei Kellermann einige besondere Schwerpunkte
ergeben, die sonst meist keine so große Rolle
spielen, angesichts der Finesse seiner Gerichte
aber sofort auffallen. Es wird klar, dass hier unter
sensorischen Aspekten die Temperatur eines Weins
und die Größe eines Schlucks eine ganz besondere
Wirkung haben. Die Temperatur des Weins kann
dazu führen, dass sich seine Aromen nahtlos mit
denen des Essens vermischen. Sie kann aber zum
Beispiel auch so niedrig sein, dass sie die Speise für
einige oft entscheidende Sekunden komplett überlagert.
Ist der Wein sehr kalt, kommt es zu einem –
oft zeitlich gestaffelten – Durchblenden der Aromen
des Essens. Ähnliches gilt für etwas, das so gut wie
nie bedacht wird, nämlich die Menge an Wein, die
man als Schluck bezeichnet. Wo sich eine geringe
Menge problemlos einfügt, kann eine große die im
Mund verbliebenen Aromen des Essens regelrecht
erdrücken. So etwas fällt oft nicht auf, weil der große
Schluck den Wein meist unverändert gut aussehen
lässt. Er verhindert aber unter Umständen sehr viel
von dem, was eine gute Weinbegleitung erreichen
kann. Die besteht so gesehen zu einem gewissen Teil
immer auch aus dem, was der Gast daraus macht,
genauer: in welcher Form er den Wein und das Essen
zu genießen weiß.
THOMAS KELLERMANN, 52 (im Bild
rechts), hatte gleich nach seiner Ausbildung im
Münchner Holiday Inn den ersten Kontakt zur
Spitzenküche im legendären Erbprinz in Ettlingen.
1992 kam er zu Lothar Eiermann ins Wald- & Schlosshotel
Friedrichsruhe in Zweiflingen, verbrachte
dann von 1994 bis 2000 eine prägende Zeit bei Hans
Haas im Münchner Tantris. Als Küchenchef ging
er ins Landhaus Nösse auf Sylt, ins Portalis und ins
Vitrum in Berlin, wo er erstmals einen Michelin-
Stern erhielt. Im Kastell im Hotel Burg Wernberg in
Wernberg-Köblitz (2008 bis 2018) brachte er es dann
auf zwei Sterne. Seit 2018 arbeitet er in den Egerner
Höfen, seit 2021 ist er dort Küchendirektor. Thomas
Kellermanns Credo, dass gerade das scheinbar Alltägliche
überraschen könne, deutet auf seinen Stil,
der optisch eher puristisch und unprätentiös wirkt,
tatsächlich aber enorm entwickelt ist. Kellermann
ist in der klassischen Kochkunst verankert, hat sie
aber konsequent weitergedacht und vor allem im
Bereich der Aromen neue Perspektiven erschlossen.
Sommelier TOBIAS BLAHA, 37 (links), ließ
sich zunächst im Berghotel Maibrunn in Sankt
Englmar im Bayerischen Wald zum Restaurantfachmann
ausbilden. Im Laufe der Jahre interessierte er
sich mehr und mehr für Wein und war dann schon
einmal am Tegernsee, nämlich zunächst von 2011 bis
2015 als Sommelier im Bachmair Weissach, danach
für drei Jahre als Sommelier und Restaurantleiter
bei Schwingshackl Esskultur und kurz als gastronomischer
Leiter im Leeberghof. Nach der weiteren
Station Oswalds Gourmetstube im Landromantik
Hotel Oswald in Kaikenried im Bayerischen Wald
ist er seit 2021 Sommelier im Dichter.
66 FINE 4 | 2022 WEIN & SPEISEN
WEIN & SPEISEN
WEIN & SPEISEN FINE 4 | 2022 67
ZURÜCK
ZUR NATUR
DIE MAISON RUINART HAT SICH FÜR IHRE JAHRGANGS-
CHAMPAGNER VOM GÄNGIGEN KRONKORKEN BEI DER
FLASCHENREIFUNG VERABSCHIEDET: NACH AUSFÜHRLICHEN
VERSUCHEN SCHWÖRT DER KELLERMEISTER BEI DEN
LANGEN LAGERZEITEN AUF ERSTKLASSIGEN NATURKORK
Von BIRTE JANTZEN
Fotos ARNE LANDWEHR
Die gotische Kathedrale Notre-Dame de Reims thront stolz im Herzen der Hauptstadt der Champagne. Wie
auf ihrer reich geschmückten Fassade sind das Weltliche und das Geistliche in der Geschichte der Region
untrennbar verwoben. So trägt das Haus Ruinart den Familiennamen eines einflussreichen Benediktinermönchs:
Dom Thierry Ruinart (1657 – 1709), Zeitgenosse von Dom Pérignon, war ein brillanter Theologe und
Historiker. In der Champagne aufgewachsen, wurde er als junger Gelehrter nach Paris beordert, verkehrte
dort am königlichen Hof und konnte die aufkeimende Begeisterung für die Weine seiner Heimat beobachten.
Es gab Rebberge im Familienbesitz, und damit war es nur eine Frage der Zeit, wann die geschäftlich versierten
Verwandten des Mönchs sich mit dem Thema auseinandersetzten. 1728 erhielt die Champagner-
Region offziell die Erlaubnis, ihre Weine direkt in Flaschen abzufüllen, und nur ein Jahr später legte Dom
Ruinarts Neffe Nicolas den Grundstein für das heute legendäre Champagnerhaus, das erste seiner Art. Im
Jahr 1987 ging es nach einer Übergangsphase an LVMH über.
Weitblickend erstand Nicolas Ruinart ein paar Jahre
nach der Gründung des Hauses einen Teil der unter
der Stadt gelegenen gallorömischen Stollen, um
dort die Weine reifen zu lassen und zu lagern. Die im vierten
Jahrhundert nach Christus bei Kerzenlicht in den Kreidefelsen
gehauenen Gänge muten zum Teil wie weiße Kathedralen an
und strahlen eine meditative Gelassenheit aus, die auch Dom
Ruinart hätte gefallen können.
Frédéric Panaiotis, seit 2007 Kellermeister von Ruinart,
weiß diese Ruhe ebenfalls zu schätzen: »Das größte Privileg
meines Berufs ist die Zeit. Und nichts verkörpert die Zeit besser
als der Champagner.« Das triff besonders auf den äußerst
begehrten Jahrgangschampagner Dom Ruinart zu, benannt
nach dem illustren Vorfahren. Zehn Jahre reift er in der Frische
der unterirdischen Gänge, bis er degorgiert und welttauglich
gemacht wird. Über den Stil des Hauses hinaus spiegelt der
72 FINE 4 | 2022 CHAMPAGNE
CHAMPAGNE FINE 4 | 2022 73
UNTER DEM
LIEGT
112 FINE 4 | 2022 WEINHANDEL
ASPHALT
DER WEIN
ÄUSSERLICH UNSCHEINBARER ALS DER KÖLNER WEINKELLER
KANN EIN LADEN KAUM SEIN. UMSO KOSTBARER IST DIE
FÜLLE, DIE DER GESCHÄFTSFÜHRER ANDREAS BRENSING IM
WEITLÄUFIGEN GEWÖLBE VORRÄTIG HÄLT
Von UWE KAUSS
Fotos ALEX HABERMEHL
Es gibt nur sehr wenige Weinhandlungen in Deutschland, die in Reiseführern als Sehenswürdigkeiten
empfohlen werden. Eine davon findet man in Köln-Braunsfeld, weit weg von Dom und Rheinufer, an einem
Parkplatz mit abgefahrenen Markierungen zwischen Wohnblocks und Zweckbauten in Waschbeton, Braun
und Grau, hinter deren schmutzigen Scheiben bei Neonlicht gearbeitet wird. Doch tief unter der Asphaltdecke
liegt eine Institution: Der Kölner Weinkeller führt eines der größten und vielleicht besten Weinsortimente
in Deutschland. Geschäftsführer Andreas Brensing lächelt, seine Augen leuchten hinter den
Brillengläsern. Er hat die Superlative in den 16 Jahren, die er hier arbeitet, schon ziemlich oft aufgezählt.
51
Stufen geht es hinab in die einstige Kellerei, in der
jahrzehntelang Wein abgefüllt wurde. 13 kühle
Meter tief warten auf 2500 Quadratmetern derzeit
etwa 4000 Weine auf die Kunden, davon allein etwa 800 aus
Bordeaux. Das Portfolio reicht von Württemberger Trollinger,
Mosel-Rivaner und kalifornischem Zinfandel für weniger als
acht Euro bis zur Pomerol-Ikone Château Le Pin 2015 für knapp
5000 Euro. Zum 38-köpfigen Team gehört auch Sebastian
Russold, ausgezeichnet als bester Nachwuchssommelier 2018
und Deutschlands bester Sommelier 2021/2022. Jahrgangstiefe
ist hier ein entscheidendes Kriterium – jeweils neun Jahrgänge
Cheval Blanc und Haut-Brion sowie 15 Jahrgänge Château
Lafite belegen diesen hohen Anspruch.
Mit Ziegeln ummauerte Pfeiler tragen die Tonnendecken
über den langen Regalen. Bauherr war 1937 der Lebensmittel-
Unternehmer Cornelius Stüssgen, Kölner Urgestein und ein
Pionier des deutschen Lebensmittelhandels. 1897 hatte der
damals erst 20-jährige Kaufmann mit Mutter und Schwester die
»Kölner Konsum-Anstalt« im Stadtteil Ehrenfeld gegründet.
»Sie war von vier Uhr morgens bis 23 Uhr geöffnet, auch an
Sonn- und Feiertagen«, erzählt Andreas Brensing zwischen
Bewunderung und leisem Kopfschütteln, während wir an den
Weinreihen vorbei durch den Keller gehen. Der ist immerhin
95 Meter lang, und so reicht dieser Weg, um die Geschichte
des Weinkellers im Schnelldurchlauf zu erfahren.
1899 eröffnete Stüssgen in Brühl seine erste Zweigstelle.
Ende 1904 betrieb er schon zwölf Geschäfte in der Region
und benannte darum die »Kölner Konsum-Anstalt« um in
»Rheinisches Kaufhaus für Lebensmittel«. Das Geschäftsmodell
Supermarkt wäre ohne ihn kaum denkbar: Er war der Erste in
Deutschland, der etwa Mehl, Butter, Nudeln und Erbsen nicht
mehr lose verkaufte, sondern im Lager vorab nach Gewicht
WEINHANDEL FINE 4 | 2022 113
DAS GROSSE DUTZEND
118 FINE 4 | 2022 DAS GROSSE DUTZEND
CLOUDY BAY
SAUVIGNON BLANC
Von KRISTINE BÄDER
Fotos GUIDO BITTNER
Die Ursprünge des wahrscheinlich berühmtesten
Sauvignon Blanc der Welt liegen auf einem flachen
Stück Schafweide. Der australische Winzer David
Hohnen hatte das Kunststück vollbracht, mit einem
1983er Cabernet Sauvignon sein Gut Cape Mentelle
berühmt zu machen und die dazugehörende Weinregion
Margaret River gleich dazu. Ein Jahr später
reiste er, fasziniert von der außergewöhnlichen
Aromatik eines dortigen Sauvignon Blanc, nach Marlborough
auf die Südinsel Neuseelands und legte dort
nur wenige Kilometer von der Mündung des Wairau
River in die Cloudy Bay den Grundstein, um mit
einem ganz neuen Sauvignon-Blanc-Stil die Welt zu
begeistern: intensiv, mit konzentrierten Aromen von
Zitrus- und Tropenfrüchten statt der expressiven grünlichen
Noten der vor allem französischen Sauvignons.
DAS GROSSE DUTZEND FINE 4 | 2022 119
DAS LÄCHELN DES
NEUDEUTSCHEN
MEISTERS
MARKUS SCHNEIDERS LÄCHELN IST EINES DER SCHÖNSTEN,
DIE ICH KENNE: VOLL MIT DER WARMEN FREUNDLICHKEIT
DER PFÄLZER UND MIT DEM OPTIMISMUS DER DEUTSCHEN
JUNGWINZER, VON DENEN ER ANFANG DES JAHRHUNDERTS
EINER DER WICHTIGSTEN WAR. ERSTMALS HABE ICH ES VOR
ZWEI JAHRZEHNTEN ERLEBT, DA WAR SCHNEIDER DE FACTO
DER ANFÜHRER EINES BAHNBRECHENDEN NACHWUCHSTRIOS
NAMENS PFALZ HOCH DREI, UND BEI UNSERER JÜNGSTEN
BEGEGNUNG WAR ES BEEINDRUCKENDER ALS JE ZUVOR.
DAS PASST ZU SEINER ENTWICKLUNG ALS WINZER WÄHREND
DER VERGANGENEN BEIDEN JAHRZEHNTE
Von STUART PIGOTT
Fotos ARNE LANDWEHR
136 FINE 4 | 2022 PFALZ
PFALZ
FINE 4 | 2022 137
FROHES FEST
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FINE DAS WEINMAGAZIN 1|2023 erscheint
im März 2023
… voraussichtlich mit diesen Themen: SIZILIEN Großes vom Ätna ÖSTERREICH
Der Kamptaler Altmeister Willi Bründlmayer und seine Kinder TOSKANA Spitzenweine
aus Bolgheri: Ornellaia bianco, der Supertoskaner in Weiß, und der legendäre
Merlot Masseto BURGUND Clos des Lambrays und Méo-Camuzet von der Côte-d’Or
BORDEAUX Das spektakuläre Médoc-Château Ducru-Beaucaillou im Wandel
PFALZ Christine Ludts Traum in Lila: das Weingut am Nil in Kallstadt AMERIKA
Gespräche mit Michael Silacci, dem Weinmacher und Geschäftsführer von Opus One
in Kalifornien, und dem chilenischen Spitzenwein-Pionier Aurelio Montes über das
heutige Verhältnis von Alter und Neuer Welt WEIN & SPEISEN Jürgen Dollase isst
bei Christian Jürgens im Seehotel Überfahrt am Tegernsee WEIN & ZEIT Gemischter
Satz. Der Höhenflug des Wiener Weins KOLUMNEN von Ursula Heinzelmann,
Stuart Pigott sowie den Kombattanten Uwe Kauss und Dirk Würtz
144 FINE 4 | 2022
DAS MAGAZIN FÜR WEIN UND GENUSS
Viermal im Jahr richtet FINE Das Weinmagazin einen faszinierenden Blick auf die
großen Weine der Welt – mit wissenswerten Infor mationen, fesselnden Reportagen,
spannen den Porträts, exklu siven Verkostungen und vielem mehr, geschrieben und
recherchiert von sachkundigen, sprachmächtigen Autoren, bebildert mit ausdrucksstarker,
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ein unverzichtbares Lesevergnügen für Weinliebhaber, Sammler und Genießer.
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FINE 4 | 2022 145
FINEABGANG
DIE KLASSENBESTEN
SIND DER STANDARD
Wenn Uwe Kauss und Dirk Würtz durch dieses Heft blättern und auf die
Weinbewertungen schauen, dann könnten sie sich in der These ihres
Wortwechsels bestätigt fühlen: Ha, lauter Zahlen im 90er-Bereich,
die Kritiker werden immer lascher! Ja, es stimmt, hier sind selbst jene 88 Punkte
selten, die nach Kauss’ Berechnung einer Schulnote von 1,7 beziehungsweise 2+
entsprechen. Das liegt aber nicht daran, dass wir bei FINE bloß die berüchtigten
»gut gelaunten Kauftipps« geben wollten, sondern – im Gegenteil – an unserem
hohen Anspruch. Eben weil wir nicht unterschiedslos alles gut finden, kommen
nach strenger Vorauswahl nur die Klassenbesten ins Heft. Würden wir uns hier
regelmäßig über Zweier- und Dreierkandidaten auslassen, wollten Sie das wahrscheinlich
nicht lesen. Übrigens merken wir immer wieder, dass gelegentliche
Gäste in unseren Verkostungspanels großzügiger urteilen als unsere Stammautoren.
Das ist ganz natürlich und völlig in Ordnung, so ähnlich wie bei einem
Besuch in der Oper – wer da nur ab und an hingeht, ist auch dann überwältigt,
wenn die Fachleute über ein paar falsche Töne klagen.
Immer nach ganz oben zu schauen, ist das Prinzip von FINE seit der Gründung
im Jahr 2008. Damals war unser Gedanke: Dieses Magazin braucht kein Mensch,
man muss es haben wollen. Inzwischen sind wir in der internationalen Spitze der
Weinbranche so gut vernetzt, dass wir bei Preis- wie bei Qualitätsdiskussionen mitreden
können, wir stemmen Großereignisse wie dieses Jahr die Verkostungen des
Spätburgunder-Jahrgangs 2019 oder von 91 Jahrgängen Assmannshäuser Höllenberg,
und auch 2023 wird es eine vergleichbare Jahrhundertprobe geben. Gerade
in schwierigen Zeiten wie heute, in denen oft jeder für sich zu kämpfen scheint,
vermitteln uns unsere Kontakte zur Winzerszene ebenso wie unsere Leserschaft
das Gefühl, dass viele uns haben wollen. So soll es bleiben – wir arbeiten daran.
Ihr Ralf Frenzel
Verleger und Herausgeber
146 FINE 4 | 2022 ABGANG