GSa161-Feb23_Frieden gestalten
Frieden gestalten - miteinander leben und lernen
Frieden gestalten - miteinander leben und lernen
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Thema: <strong>Frieden</strong>serziehung<br />
Ursula Carle<br />
<strong>Frieden</strong> können und Krieg verstehen<br />
Bei allem Kriegsgetöse in Politik, Bildung und Medien wollen nicht nur die Kinder,<br />
sondern auch die meisten Erwachsenen <strong>Frieden</strong> und keine Kriege. Warum<br />
wird dieser starke Wille nicht wirksam? Ich glaube, dass es uns an <strong>Frieden</strong>s-Können<br />
mangelt, an <strong>Frieden</strong>s-Kompetenz.<br />
Während in den Medien die<br />
Meldungen und Meinungen<br />
zum Ukrainekrieg weniger<br />
werden und obwohl zwischen diesem<br />
schrecklichen Kriegsgeschehen und<br />
unseren Schulen rund 2.500 Kilometer<br />
liegen, dringt das Leid der vom Krieg<br />
betroffenen Menschen immer lauter<br />
und eindringlicher in unsere unmittelbare<br />
Nähe. Direkt in unseren Schulen<br />
wachsen die Probleme der Lehrkräfte<br />
mit der kultur- und situationsgerechten<br />
Integration der ukrainischen Flüchtlingskinder.<br />
Ihre Zahl wird erst seit<br />
März 2022 systematisch erfasst. Seit dieser<br />
Zeit hat sie sich verzehnfacht und<br />
erreicht inzwischen weit über 200.000<br />
geflüchtete und oft kriegstraumatisierte<br />
Kinder und Jugendliche aus der Ukraine<br />
(KMK 2022). Familien mit Kindern aus<br />
anderen Kriegsherden in der Welt<br />
ersuchen nach wie vor in Deutschland<br />
um Asyl. Hilfe ist hier bitter nötig. Auch<br />
weitere Kriegsfolgen, wie die Verwüstung<br />
von Lebensbedingungen und<br />
die Fehlallokation von Investitionen,<br />
nehmen ein Ausmaß an, das immer<br />
mehr Menschen in Not stürzt. So überschritten<br />
in 2021 (SIPRI 4/2022) die<br />
weltweiten Militärausgaben 2 Billionen<br />
US-Dollar (2.100.000.000.000 US$),<br />
davon entfallen ca. 1,2 Billionen US-<br />
Dollar auf die NATO (Statista 2022).<br />
Mit nur 45 Milliarden US-Dollar jährlich,<br />
also mit 3,75 % der Militärausgaben<br />
der NATO, könnte lt. CERES<br />
2030 der Hunger in der Welt innerhalb<br />
von 10 Jahren beseitigt werden (Laborde<br />
u. a. 2020, 2 f.).<br />
Die in diesem Artikel verwendeten<br />
Kriegs- und Armutsdaten verweisen auf<br />
das unfassbare Ausmaß an menschenunwürdigen<br />
Lebensbedingungen, unter<br />
denen Kinder in dieser Welt leiden. Insofern<br />
sind sie valide. Sie sind aber weder<br />
genau noch stimmen unterschiedliche<br />
Statistiken diesbezüglich überein<br />
(Holm & Schulz 2003, 13; Reinhard<br />
2002, 279 f.). Fest steht aber, der Hunger<br />
in der Welt steigt. Die militärischen<br />
Konflikte in der Welt nehmen zu.<br />
Welche Hilfe können bei einer so<br />
komplexen Materie und menschlich so<br />
beklemmenden Situationen ein paar Reflexionen<br />
über das Verhältnis von Kindern<br />
zum weltweiten Kriegsgeschehen<br />
bieten? Ich würde gerne nicht nur den<br />
Kindern bzw. meinen Kolleginnen und<br />
Kollegen ein paar hilfreiche Gedanken<br />
anbieten. Ich möchte damit auch gerne<br />
zur Beendigung dieser furchtbaren Gemetzel<br />
und zum Aufbau einer friedlicheren<br />
Welt beitragen.<br />
Ich beginne mit meiner Zuversicht:<br />
<strong>Frieden</strong> ist machbar und mit dem äußeren<br />
<strong>Frieden</strong> der Nationen kann dann bald<br />
der innere <strong>Frieden</strong> der Kinder und ihrer<br />
Eltern folgen. So, wie mein Garten zwar<br />
das Weltklima nicht retten kann, kann<br />
auch ich und jede andere Lehrkraft den<br />
Weltfrieden nicht retten. Aber so, wie<br />
mein Garten jedes Jahr etwas zum Naturschutz<br />
und zur Klimarettung beiträgt,<br />
Kriege und Kriegsfolgen (Quelle: eigene Grafik d. A.)<br />
kann ich und kann jede Lehrkraft etwas<br />
zum Weltfrieden beitragen. Dies umso<br />
mehr als es uns offensichtlich laut aktuellen<br />
Umfragen nicht an <strong>Frieden</strong>swillen<br />
mangelt. Deshalb meine zugespitzte These:<br />
Es mangelt uns an <strong>Frieden</strong>skönnen –<br />
zeitgemäßer: an <strong>Frieden</strong>skompetenz, deren<br />
Basis der <strong>Frieden</strong>swille ist.<br />
<strong>Frieden</strong> wollen<br />
„Wer will, daß die Welt so bleibt, wie sie<br />
ist, will nicht, daß sie bleibt.“ – Erich<br />
Fried (1990, 93)<br />
<strong>Frieden</strong> ist etymologisch verwandt<br />
mit Freundschaft, mit Freiheit und ruhigem<br />
Leben. <strong>Frieden</strong> ist also sehr viel<br />
mehr als die Abwesenheit von Krieg.<br />
In Immanuel Kants berühmter Schrift<br />
‚Zum ewigen <strong>Frieden</strong>‘, schließt er im ersten<br />
Zusatz, ‘Von der Garantie des ewigen<br />
<strong>Frieden</strong>s‘, dass die Natur den Menschen<br />
sowohl zum Krieg treibt, wie sie<br />
ihn auch durch den Gebrauch der Vernunft<br />
zur „Absicht auf den ewigen <strong>Frieden</strong>“<br />
befähigt (Kant (1795/2022, S. 29).<br />
Krieg ist unvernünftig, <strong>Frieden</strong> vernünftig.<br />
Oder wie es die Kinder in der<br />
Fernsehdokumentation ‚Was Kinder<br />
über Krieg denken‘ formulieren – Jun-<br />
12 GS aktuell 161 • Februar 2023