2004 - Landzunft Regensdorf
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Lob des Watter Rebbergs<br />
von Emil Zollinger<br />
Wer liebt ihn nicht, den Watter Berg, mit seinen milden Hängen,<br />
mit seinen Wegen, seinen Reben und den steilen Gängen!<br />
Nach Süden hin lacht sein Gesicht, dem Sonnenschein entgegen,<br />
und wenn es lenzt, der Winter bricht, ein warmer Frühlingsregen —‚<br />
dann strömt nicht nur im Boden hier den wohl geborgnen Reben,<br />
auch durch die «wollnen Augen»2 sticht entgegen neues Leben.<br />
Jetzt Rebmann nutze deine Zeit!<br />
Der Weinstock ist zum Trieb bereit.<br />
Treib deinen Karst tief in die Erde,<br />
damit der Boden locker werde.<br />
Jetzt Rebfrau rüste Draht und Schaub3,<br />
schon bald erscheint das erste Laub.<br />
Der Weinberg steht nun selten leer,<br />
gepflegte Reben bringen Ehr.<br />
So hat manch greises Mütterlein,<br />
gefurcht vom grellen Sonnenschein,<br />
bis zu den letzten Lebenstagen<br />
mit Reben Freud und Leid getragen.<br />
Das Rebwerk wird nicht leicht vollbracht.<br />
Schon manche kalte Maiennacht<br />
hat unsern steilen Berg betroffen,<br />
s‘ist Ängsten ebenso wie Hoffen.<br />
Die Winzer dürfen nie verzagen,<br />
die Rebe lehrt sie Unheil tragen.<br />
Wenn sich im Herbst die Nebel lichten,<br />
die Winzer Scher‘ und Tanse richten,<br />
ein goldner Tag bricht durch das Grau,<br />
die Trauben hangen schwer und blau,<br />
da hebet an ein emsig Treiben,<br />
wer könnte da zu Hause bleiben?<br />
Wie funkelt er im Glase<br />
der edle Traubensaft,<br />
der Gaumen wie die Nase<br />
kosten der Sonne Kraft.<br />
Mög uns des Weinstocks Segen<br />
noch fliessen jahrelang.<br />
Gott schütze unsre Reben<br />
am schönen Watterhang!<br />
Redaktionelle Anmerkungen<br />
1Dieses Gedicht ist von Emil Zollinger um 1950 geschrieben worden,<br />
lange vor der Sanierung des Watter Rebbergs im Jahr 1975. Damals<br />
hat die Mechanisierung den Watter Rebbauern ihre harte Arbeit noch<br />
nicht erleichtert. Zollinger kleidet nicht nur die Hoffnungen und Freu<br />
den, sondern auch die Mühen und Sorgen eines Winzers in Worte.<br />
Der Ernst des Lebens und die Verantwortlichkeit des Bauernstandes<br />
gegenüber dem ihn ernährenden Boden kennzeichnen die hier erst<br />
mals veröffentlichten Zeilen. Dass sich der Autor später zum besinn<br />
lichen, zugleich aber auch scharfsinnigen, zeitkritischen, ja zynischen<br />
Dichter entwickelt hat, davon ahnt man hier noch nichts.<br />
28<br />
2Die «wollenen Augen« sind die Knospen (Augen), aus denen im Früh<br />
ling die Sprosse oder Triebe hervorgehen. Die im September entste<br />
henden Augen der Reben besitzen ein wollenes Fell, das sie vor der<br />
Winterkälte schützt; in ihnen ist das ganze Wachstum der Rebe fürs<br />
kommenden Jahr, inklusive die Trauben, bereits enthalten. Man<br />
beschneidet die Rebe auf 6 Augen pro m2 Anbaufläche, heute,<br />
da ein Stock eine Fläche von 2,16 m2 (1,2 x 1,8 m) beansprucht, auf<br />
12-13 Augen.<br />
Schaub = Stroh. Gemeint sind die Strohhalme, mit denen früher die<br />
Schosse an die Drähte angebunden wurden.