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Freiheit - SIFAT Heft 1/2023 - Leseprobe

Nach den Themen Hoffnung, Mut und Frieden der letzten SIFAT-Hefte möchten wir diesmal den Blick auf die Freiheit richten. In vielen Leitsprüchen und Liedern findet die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit einen Ausdruck: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“, „Frau, Leben, Freiheit“, „Die Gedanken sind frei“, „Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt“, „Leben, einzeln und frei wie ein Baum und geschwisterlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht“ usw.. Auch bei Hazrat Inayat Khan nimmt Freiheit einen zentralen Platz ein. Sein erstes Buch, das er im Westen verfasste, trägt den Titel: „Eine Sufi-Botschaft der spirituellen Freiheit“, und ein grundlegender Satz von ihm lautet: „In der Freiheit der Seele liegt der Sinn des Lebens“ (englisch in Sufi Message VII, S. 197). Allerdings erkennt er im Leben der Menschen den folgenden Widerspruch: „Die Menschen wollen Freiheit und schlagen den Weg der Gefangenschaft ein.“ (s. die Rede von 1926 in diesem Heft)

Nach den Themen Hoffnung, Mut und Frieden der letzten SIFAT-Hefte möchten wir diesmal den Blick auf die Freiheit richten. In vielen Leitsprüchen und Liedern findet die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit einen Ausdruck: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“, „Frau, Leben, Freiheit“, „Die Gedanken sind frei“, „Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt“, „Leben, einzeln und frei wie ein Baum und geschwisterlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht“ usw..

Auch bei Hazrat Inayat Khan nimmt Freiheit einen zentralen Platz ein. Sein erstes Buch, das er im Westen verfasste, trägt den Titel: „Eine Sufi-Botschaft der spirituellen Freiheit“, und ein grundlegender Satz von ihm lautet: „In der Freiheit der Seele liegt der Sinn des Lebens“ (englisch in Sufi Message VII, S. 197). Allerdings erkennt er im Leben der Menschen den folgenden Widerspruch: „Die Menschen wollen Freiheit und schlagen den Weg der Gefangenschaft ein.“ (s. die Rede von 1926 in diesem Heft)

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Zeitschrift für Universalen Sufismus

51. Jg.

Heft 1

April 2023

Freiheit


Sufismus

ist eine uralte Weisheit und zugleich eine Methode der geistigen Schulung, die

Menschen befähigt, diese Weisheit in ihrem täglichen Leben zu verwirklichen.

Der Universale Sufismus

nach Hazrat Inayat Khan ist nicht auf bestimmte Dogmen, Rituale oder

spirituelle Techniken festgelegt.

Der Universale Sufismus baut eine Brücke über die Unterschiede und Grenzen,

die Menschen und Religionen voneinander trennen. Er ermöglicht auch, die

eigene Religion besser zu verstehen und zu leben, weshalb jeder diesen Weg

gehen kann, unabhängig von der Religionszugehörigkeit.

Hazrat Inayat Khan

wurde am 5. Juli 1882 in der indischen Stadt

Baroda geboren. Seine hoch angesehene Familie

war durchdrungen vom Geist mystischer Religiosität

und von der Liebe zur klassischen indischen

Musik. Inayat Khan war von Kind auf in Kontakt

mit den geistigen Traditionen des Islam wie des

Hinduismus, in einer Atmosphäre freundlicher

Toleranz über alle konfessionellen Grenzen hinweg.

Im Jahre 1910 bekam er von seinem spirituellen

Lehrer, Abu Hashim Madani, der der Sufi-

Tradition der Chishtis angehörte, den Auftrag,

den Sufismus in den Westen zu bringen. Hier

wurde er der Begründer und das geistige Oberhaupt

(Pir-o-Murshid) der Sufi-Bewegung und ihrer esoterischen Schule, des

Sufi-Ordens (heute Inayatiyya), und er schuf den Universellen Gottesdienst.

Längere Zeit lebte er in Suresnes bei Paris, von wo er oft zu Reisen in die

ganze westliche Welt aufbrach. Seine Vorträge füllen die 13 Bände seiner „Sufi-

Botschaft“. Er starb am 5. Februar 1927 in New Delhi.

Hazrat Inayat Khans Lehre und die seiner Nachfolger ist geprägt von einer

umfassenden Toleranz, einer Verehrung und Liebe zu allen Prophetinnen und

Propheten und Heiligen der Menschheit und einem Verständnis gegenüber der

Vielfalt der religiösen Traditionen und Lebenserscheinungen.


Inhaltsverzeichnis

Freiheit

Vorwort der Redaktion 4

Erinnerung an Michael Nüssen 5

Hazrat Inayat Khan: Die Freiheit der Seele (Vortrag 1926) 7

Hazrat Inayat Khan: Ein Orientalisches Märchen 9

Pir Vilayat Inayat Khan: Stufen der individuellen Befreiung 10

Wali van der Zwan: Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan 11

Jiddu Krishnamurti: Über Freiheit und Rebellion 14

Hamid Molla-Djafari:

Der befreite Vogel – Eine Sufi-Geschichte mit Kommentar 17

Trinley Thaye Dorje: Über Freiheit 20

Dalai Lama: Geistestraining für die anfängliche Stufe des Lam-rim 23

Baha ullah: Über Freiheit 27

Michael Nüssen: Wie kann der innere Sinn von Freiheit aus

jüdischer Sicht ausschauen? 28

Rainer Stuhlmann: Freiheit am Schabbat 30

Viktor E. Frankl: Die dritte Phase: Nach der Befreiung aus dem Lager 31

Mihajlo Mihajlov: Die mystische Erfahrung von Gulag-Häftlingen 34

Die heilige Martha befreit die Stadt Nerluc vom Seedrachen Tarasque 38

Edith Stein (Sr. Teresia Benedicta a Cruce): Natur, Freiheit und Gnade 39

Anselm Grün: Der Engel des Verzichts 43

Dietrich Bonhoeffer: Gehorsam und Freiheit 44

Khalil Gibran: Freiheit 45

Charlie Chaplin: Der große Diktator 47

Khalil Gibran: Vergnügen ist ein Freiheitslied 45

Texte aus den Heiligen Schriften der Weltreligionen 51

Blick aus dem Fenster: „Musik in Freiheit“ 53

Buchbesprechung: Michel Friedman: Fremd 55

Impressum 58

Hazrat Inayat Khan: Die zehn Sufi-Gedanken 59

SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 3


Vorwort der Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

nach den Themen Hoffnung, Mut und Frieden der letzten SIFAT-Hefte möchten

wir diesmal den Blick auf die Freiheit richten. In vielen Leitsprüchen und

Liedern findet die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit einen Ausdruck:

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“,

„Frau, Leben, Freiheit“, „Die Gedanken sind frei“, „Freiheit, die ich meine, die

mein Herz erfüllt“, „Leben, einzeln und frei wie ein Baum und geschwisterlich

wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht“ usw..

Auch bei Hazrat Inayat Khan nimmt Freiheit einen zentralen Platz ein. Sein

erstes Buch, das er im Westen verfasste, trägt den Titel: „Eine Sufi-Botschaft der

spirituellen Freiheit“, und ein grundlegender Satz von ihm lautet: „In der Freiheit

der Seele liegt der Sinn des Lebens“ (englisch in Sufi Message VII, S. 197).

Allerdings erkennt er im Leben der Menschen den folgenden Widerspruch:

„Die Menschen wollen Freiheit und schlagen den Weg der Gefangenschaft ein.“

(s. die Rede von 1926 in diesem Heft)

Der Frage, ob es einen Weg der Freiheit gibt und was dafür erforderlich ist,

wollen wir mit verschiedenen Beiträgen in diesem Heft nachgehen. Anselm

Grün sieht z. B. einen Zusammenhang von Verzicht und Freiheit. Khalil Gibran

grenzt Freiheit von Vergnügen ab: „Vergnügen ist ein Freiheitslied, aber nicht

die Freiheit …“ Dass Freiheit erkämpft werden muss, macht Charlie Chaplin in

der Rede gegen den großen Diktator deutlich: „Auch wenn es Blut und Tränen

kostet, für die Freiheit ist kein Opfer zu groß.“

Wir hoffen, dass die ausgewählten Texte aus verschiedenen Bereichen eine anregende

Lektüre bieten.

Die Redaktion:

Hans-Peter Baum, Claudia Nüssen, Regina Armaiti Winkler-Reber

PS. Bei Vorarbeiten zu diesem Heft war auch Michael Nüssen beteiligt, der

diese Welt im Dezember 2022 am dritten Tag des Jüdischen Lichterfestes

Chanukka, verlassen hat.

4 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit


Erinnerung an Michael Nüssen

Erinnerung an Michael Nüssen

Die Erinnerung ist ein Fenster, durch das wir dich sehen können, wann immer wir wollen.

Lieber Michael, wie oft hast du den „Blick aus dem Fenster“ in unserer Zeitschrift

mit deinen Beiträgen bereichert. Nun werfen wir einen Blick aus dem

Fenster auf dich: Wenn wir durch das Fenster dieses Bildes schauen, das uns

dich in einem für dich besonderen Moment zeigt, dann erzählt das Bild, was wir

erblicken, bereits sehr viel von dir.

Du stehst in der Stadt deiner geistigen Heimat, entspannt. Hier gehörst du

hin, zeigt uns das Bild. Du bist angekommen an einem Ort, der für drei Religionen

ein heiliger Ort ist und du bist mittendrin. Das hat dich ein Leben lang

interessiert, beflügelt, angespornt und dir Kraft gegeben: der interreligiöse Dialog

und damit aufs Engste verbunden, deine Aufgabe als Cherag in unserem

Inayatiyya Orden. Wie sehr du an diesem Dialog interessiert warst und welchen

großen Wissensschatz du weitergeben konntest, haben wir in jeder Redaktionssitzung

erleben können. Du hast immer interessante, uns häufig neue Aspekte

in unsere Diskussion gebracht. Deine von dir selbst verfassten Texte haben uns

und unseren Leser*innen bisher unbekannte Aspekte des Judentums lebendig

aufgezeigt und die Nähe der Religionen zueinander vermittelt.

Immer war es dein Anliegen, uns Menschen vorzustellen, die von Leid und

Ungerechtigkeit einen Weg zu einer kraftvollen inneren Haltung gefunden

haben. Darin warst auch du selbst ein Meister. Es war beeindruckend, wie du

enorme Kraft aus deiner leidenschaftlichen Beschäftigung mit den Unterweisungen

der verschiedensten spirituellen Lehrer*innen, den unterschiedlichsten

Gedanken und Weltdeutungen wacher Zeitgenossen finden konntest. Wunderbar,

wie du damit deine langjährigen körperlichen Beeinträchtigungen gemeis-

SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 5


Erinnerung an Michael Nüssen

tert hast. Und so ist es möglicherweise auch kein Zufall, dass deine letzten Heftbeiträge

in diesem Heft zum Thema „Freiheit“ zu finden sind.

In unseren Redaktionssitzungen haben wir zuweilen um Inhalte gerungen,

manchmal ging es hoch her – immer mit dem Blick auf unser gemeinsames

Ziel: ein interessantes, inspirierendes Heft zusammenzustellen. Du konntest

sehr auf deinem Standpunkt beharren, um dann doch mit Humor einen Weg

zu einer Einigung zu finden.

Mit großer Hingabe und Sammelleidenschaft (deine CD-Sammlung war

beeindruckend) hast du dich auch den Künsten gewidmet. Nicht nur, dass du

themenspezifische Führungen in der Hamburger Kunsthalle veranstaltet hast,

sondern du warst ein großer Liebhaber der verschiedensten musikalischen Ausdrucksformen.

Das zeigt auch deine Musikauswahl, die du in den letzten Tagen

deines Lebens noch einmal hören wolltest. Sie repräsentiert den Bogen vom

politischen Engagement des jungen Mannes Michael bis hin zu der Ruhe und

Harmonie verströmenden Musik von Bach, die dir half, zu seelischem Frieden

zu finden. Zum Abschluss hast du noch einmal einen traurigen und doch auch

schalkhaften Einblick in deine Gefühle gewährt mit einem Lied von Hannes

Wader, in dem es heißt: „Schlaf nicht ein im Hotel zur langen Dämmerung,

bleib wach …“.

Auch diese Musikauswahl öffnet ein Fenster zu dir und deshalb finden sich hier

die entsprechenden Links.

https://www.youtube.com/watch?v=H0JM-8uH5KE

https://www.youtube.com/watch?v=YXW3G2N3ssE

https://www.youtube.com/watch?v=4Sx941igIbY

https://www.youtube.com/watch?v=YRcb3-6ck7I

https://www.youtube.com/watch?v=LuxbAkxNpcg

https://www.youtube.com/watch?v=e0aPayGqraY

https://www.youtube.com/watch?v=JqAT4dT2Sqs

Lieber Michael,

wir möchten dir von ganzem Herzen für alles danken, was wir mit dir gemeinsam

erfahren und geteilt haben. Mögest du auf deinem Weg lichtvollen Wesen

begegnen, bekannte und neue Freunde finden, mögen die Engel dich in immer

weitere, lichterfüllte Sphären geleiten: Dem Einen entgegen, der Vollkommenheit

von Liebe, Harmonie und Schönheit, dem einzig Seienden, vereint mit all

den erleuchteten Seelen, die die Botschaft verkörpern, den Geist der Führung.

Hans-Peter, Claudia, Regina Armaiti & Uta Maria, Josef

Redaktion & Verlag

6 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit


Hazrat Inayat Khan: Die Freiheit der Seele

Hazrat Inayat Khan

Die Freiheit der Seele (Vortrag 1926)

Geliebte Gottes,

ich möchte heute Abend über das Thema der Freiheit der Seele sprechen. Die

Menschen wollen Freiheit und schlagen den Weg der Gefangenschaft ein. Es

gibt keinen einzigen Menschen, den das Wort Freiheit nicht berührt, und es

gibt keinen Menschen, der sich nicht nach Freiheit sehnt.

Doch wenn wir das menschliche Leben mit einem Vergrößerungsglas betrachten,

geht das Streben der Menschen, ob sie Freiheit suchen oder nicht, hin zur

Gefangenschaft in der einen oder anderen Form. Die Seele der Menschen wohnt

im Himmel. Sie kann mehr sehen, als die Augen sehen können; sie kann mehr

hören, als die Ohren hören können. Die Seele kann sich weiter ausdehnen, als

ein Mensch reisen kann; die Seele kann tiefer tauchen als die Tiefen, die ein

Mensch jemals erreichen kann; die Seele kann höher reichen, als ein Mensch auf

irgendeine Weise erreichen kann. Ihr Leben ist Freiheit. Sie kennt dort nichts

als Freude, und sie sieht nichts als Schönheit. Ihr eigenes Wesen ist Frieden, ihr

Sein ist das Leben selbst. Sie ist nicht intelligent, sie ist die Intelligenz selbst. Sie

ist nicht eine Seele, sondern Geist; sie ist nicht menschlich, sondern von Natur

aus göttlich. Deshalb bemerkt die Seele durch das Leben ständig eine Begrenzung,

wie ein Fisch es außerhalb des Wassers erleben würde, oder ein Vogel, dem

die Flügel gestutzt wurden.

Jemand fragte einen weisen Mann: „Was ist der Grund für Schmerz?“ Und

der weise Mann antwortete: „Wenn ich den Grund für all den Schmerz in der

Welt mit einem Wort sagen sollte, dann ist es Begrenzung.“ Und woher kommt

diese Begrenzung? Sie kommt daher, dass ein himmlisches Wesen sich in ein

irdisches Wesen verwandelt. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn wir in

diesem Leben sehen, dass fast niemand vollkommen glücklich zu sein scheint.

Ein reicher Mensch hat seine Geschichte zu erzählen und ein armer Mensch

eine andere; ein kluger Mensch kann seine Beschwerde vorbringen und ein

dummer kann von sich erzählen. Und so hat jeder etwas zu sagen. Und was sie

alle zu sagen haben, ist eine Sache, nämlich Begrenzung.

Was man anstrebt, wonach man sucht, ist ein Gefühl von Freiheit. Und doch

streben alle auf eine falsche Weise nach Freiheit. Das Leben ist so beschaffen,

dass Menschen, wenn sie denken: „Das wird mich frei machen“, genau dadurch

noch mehr gefangen werden. Und sie können es nicht erkennen, bis sie es ver-

SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 7


Hazrat Inayat Khan: Die Freiheit der Seele

stehen. Solange sie es noch nicht verstanden haben, denken sie: „Das wird mich

doch frei machen.“ Und so geht das Leben weiter. Der Mensch strebt weiter

nach Freiheit, und was er bekommt, ist Gefangenschaft. Bei all dem Reden von

Freiheit ist das Leben heute mehr denn je ein gefangenes Leben. Haben Sie

jemals aus der Vergangenheit gehört, dass man beim Überschreiten der Grenze

des eigenen Landes tausend Vorschriften erfüllen musste? Wir könnten uns fragen:

Sind wir im eigenen Land zuhause und können uns dort frei fühlen? Doch

auch da sind wir nicht wirklich frei. Auch da gibt es Vorschriften, Regeln und

Bestimmungen, die zum Nutzen der Menschen gemacht wurden, aber zugleich

das Leben der Menschen immer komplizierter machen.

Sind sie mit all dem Reden über Freiheit der Freiheit nähergekommen? Nein.

Da sie die wahre Bedeutung der Freiheit nicht kennen, kommen der Gefangenschaft

immer näher. Die Menschen leben in einer Gefangenschaft, weil sie

wenig denken. Je mehr sie darüber nachdenken, werden sie feststellen, dass sie,

wenn sie dem Pfad der Freiheit nachjagen, mit jedem Schritt der Gefangenschaft

näherkommen.

In allen Zeiten haben Propheten und Meister, Denker und Philosophen gelehrt,

dass das höchste Ziel von Philosophie und Mystik darin besteht, die Freiheit der

Seele zu erlangen. Verschiedene Zeremonien, religiöse Legenden und Philosophien

erzählen von dieser Wahrheit. Wonach ein Mensch sich im Leben sehnt,

was sein Lebensziel sein mag, sein Ziel, das er erreichen will, hinter all dem steht

nur ein einziges Ziel, nämlich das Verlangen der Seele, von allen Bindungen

frei zu werden. Die Menschen würdigen diese Idee nicht, welche Dinge sie frei

machen können, wenn sie darin aufgehen, Dinge im Leben zu bekommen. Sie

machen sich keine Gedanken über die Freiheit, sondern nur über das, dem sie

im Moment nachgehen. Wenn sie über die wirklichen Umstände des Lebens

nachdenken würden, würden sie vielleicht ihre Einstellung

ändern, ihren Blick weiten und den Dingen, die sie

normalerweise wichtig nehmen, keine Bedeutung mehr

geben. […]

Vortrag im Lenox Theater, New York am 24. Januar 1926.

aus: Complete Works 1926 I, Omega Publications, 2010,

S. 210ff,

Übersetzung: H.-P. Baum

8 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit


Hazrat Inayat Khan: Ein orientalisches Märchen

Hazrat Inayat Khan

Ein orientalisches Märchen

E

in König besaß einmal einen Papagei, der ihm sehr ans Herz gewachsen war,

sodass er ihn in einem goldenen Käfig hielt und immer persönlich für ihn

sorgte. So sehr waren der König und die Königin dem Papagei zugetan, dass alle

Leute im Palast auf ihn eifersüchtig wurden.

Eines Tages war der König im Begriff, in den Wald zu gehen, aus dem der

Papagei stammte, und sagte zu diesem: „Mein Liebling, ich habe dich lieb und

ich habe dich gepflegt mit aller Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Zärtlichkeit,

deren ich fähig bin. Daher möchte ich deinen Brüdern im Wald eine Botschaft

von dir bringen.“ Der Papagei antwortete: „Wie gütig bist du, mir dies anzubieten.

Teile meinen Brüdern im Dschungel mit, dass der König und die Königin

ihr Bestes getan haben, um mich glücklich zu machen, mir einen goldenen

Käfig, allerlei Früchte, allerlei gute Sachen gegeben haben; dass ich mich aber

trotz all ihrer Aufmerksamkeiten nach dem Wald sehne; die Sehnsucht, unter

euch zu leben, – frei, wie ich es zu sein pflegte, erfüllt immerdar mein Sinnen

und Trachten. Doch sehe ich keinen Weg zur Befreiung; aber sendet mir ein

Zeichen eures Wohlwollens und eurer Liebe. Man lebt nur durch Hoffnung.

Vielleicht wird einmal mein Wunsch erfüllt.“

Der König ging in den Wald, er näherte sich dem Baum, von welchem der

Papagei einst gefangen worden war, und sprach zu dessen Brüdern: „Oh, ihr

Papageien, einen der euren habe ich in meinen Palast genommen, ich liebe ihn

sehr und lasse ihm alle Aufmerksamkeit zuteilwerden. Hört nun die Botschaft

eures Bruders!“

Aufmerksam lauschten sie der Botschaft, und dann fiel einer der Vögel nach

dem andern vom Baum nieder und sie schienen alle tot. Der König war über

alle Maßen bestürzt. Er konnte nicht verstehen, was jene Vögel so sehr ergriffen

hatte. Die liebevollen Vogelbrüder hatten scheint’s seine Botschaft nicht

ertragen können. Er dachte bei sich: „Wie sündhaft von mir, so manches Leben

zerstört zu haben.“ Er kehrte zum Palast zurück und sagte seinem Papagei: „Wie

unvernünftig war es von dir, mein Papagei, mir eine solche Botschaft zu geben.

Sobald deine Brüder sie vernahmen, fiel einer nach dem andern tot nieder.“

Der Papagei lauschte, sah still zum Himmel empor und fiel auch nieder.

Der König wurde noch trauriger. „Ich Tor! Zuerst brachte ich den Vögeln im

Wald die Botschaft und tötete sie, und nun bring‘ ich ihm die ihrige und töte

auch ihn.“ Dem König wurde ganz wirr zumute. Was das wohl alles bedeuten

SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 9


Pir Vilayat Inayat Khan: Stufen der individuellen Freihet

sollte? Er befahl einem Diener, den toten Vogel auf eine goldene Platte zu legen

und ihn mit allen Feierlichkeiten zu begraben. Sie nahmen ihn mit großem

Respekt aus dem Käfig und lösten die Ketten von den Füßen. Doch kaum war

er auf der Platte, da flog der Papagei auf und davon. Wie er sich dann aufs Dach

setzte, redete der König ihn an: „Mein Papagei, wie hast du mich betrogen!“ Der

Papagei erwiderte: „Oh König, diese Freiheit war das Ziel meiner Seele, das Ziel,

welches auch das Ziel aller Seelen ist. Meine Brüder im Urwald waren nicht tot.

Ich hatte sie nach dem Weg zur Freiheit gefragt, und sie haben ihn mir gezeigt.

Ich tat, was sie mir sagten, und nun bin ich frei!“ –

aus: Inayat Khan: Aus einem östlichen Rosengarten, Teil I. East-West Publications, o. J.,

S. 146-148. (engl. in The Sufi Message Vol. VII, S. 185-187)

Die Fabel stammt vom persischen Sufi-Dichter Fariduddin Attar (1146-1221) und

ist auch in der Zeitschrift Sufi vom April 1916 enthalten: Sufi – A quaterly magazine

1915-1920. Nekbakht Foundation, 2020, S. 146

Pir Vilayat Inayat Khan

Stufen der individuellen Befreiung

Im Bereich des individuellen Lebens kann man mehrere Arten von Befreiung

unterscheiden:

1. Man wird frei von der Annahme, die physische Welt sei so, wie sie erscheint.

2. Man gewinnt Freiheit von seiner eigenen Beurteilung der Umstände, besonders

derjenigen, in die man selbst verwickelt ist.

3. Man befreit sich davon, sich in die Perspektive anderer Menschen hineinziehen

zu lassen.

4. Spirituelle Freiheit bedeutet Freiheit von Dogmen oder Theorien; man sieht

in ihnen nur mehr oder weniger erleuchtete Standpunkte.

5. Man befreit sich von dem Bedürfnis nach bestimmten äußeren Umständen,

die man meint zu brauchen, um Freude empfinden zu können.

6. Man befreit sich von der Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit von anderen

Menschen.

7. Man bemüht sich um Freiheit von der Qual körperlichen Schmerzes und

von der Angst vor dem Tode; man gewinnt eine Art psychische Immunität.

10 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit


Wali van der Zwan: Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan

8. Man befreit sich von seinem eigenen Selbstbild.

9. Man befreit sich von seinem eigenen Gefühl der Individualität.

10. Man befreit sich von seinem Streben nach Freiheit – was bedeutet, dass man

sich freiwillig engagiert.

11. Man engagiert sich, um anderen bei der Befreiung zu helfen.

aus: Pir Vilayat Khan, Keeping in Touch (KIT) Nr. 55,

„Freiheit“

Pir Vilayat Inayat Khan (1926-2004) war bis zu seinem

Lebensende das geistige Oberhaupt des von ihm gegründeten

Internationalen Sufiordens (Inayatiyya-Orden). Er

lehrte in vielen Teilen der Welt und pflegte den Kontakt

mit Wissenschaftlern und geistigen Lehrern aus allen

religiösen Traditionen.

Wali van der Zwan

Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan

D

ie Freiheit, für die Noor-un-Nisa Inayat Khan ihr Leben geopfert hat, ist

nicht die Freiheit, für die die Alliierten kämpften (Freiheit vom Faschismus),

sondern die Freiheit für die Seele.

Es gibt eine feine, aber klare Unterscheidung zwischen dem Kämpfen für und

dem Kämpfen gegen etwas, zwischen der Freiheit von und Freiheit für etwas,

nämlich den Unterschied, ob der Kampf gegen einen Feind oder für eine höhere

Sache geführt wird. Dies wird leider in terroristischen islamischen Kreisen nicht

verstanden, da sie den Dschihad des Propheten Mohammed missbrauchen, um

das Recht zu beanspruchen, gegen jeden zu kämpfen, der nicht muslimisch ist

oder eine andere Auslegung des Korans hat. Der Prophet nannte den Kampf mit

dem Ego den großen Dschihad und den Kampf darum, seine Religion ausüben

zu können (also wieder eine Freiheit für) den kleinen Dschihad.

Das Beispiel von Noor Inayat Khan, die ihr Leben für die ‚Liberté‘ opferte,

kann als Beispiel für einen Dschihad im Sinne des Propheten gesehen werden.

Diese Freiheit ist das Ergebnis einer Hingabe. Das Ego als hauptsächlicher

SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 11


Wali van der Zwan: Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan

Antrieb und Motivator unseres Lebens ist zu überwinden, um für die Seele

Raum zu schaffen, damit sie das Steuer unseres Wagens in die Hand nehmen

kann. Noor gab ihr Leben und kämpfte für eine Gesellschaft und eine Umwelt,

in der alle das Recht haben, nach dieser Freiheit zu suchen. Diese Hingabe ist

schwierig, da das Gefühl entsteht, als würde die eigene Persönlichkeit aufgegeben.

Die Freiheit von etwas wird durch einen Sieg über die gegnerischen Kräfte

erreicht. Bei der Freiheit für etwas geht es darum, die Umstände zu schaffen, die

es der Seele ermöglichen, sich zu erheben, wobei sich die gegnerischen Kräfte

im eigenen Innern befinden.

Um von dieser Freiheit zu kosten, müssen wir ein Trainingsprogramm einrichten,

das sich nicht so sehr von dem eines nach Gold strebenden Sportlers

unterscheidet, allerdings mit einem Schwerpunkt, der sich mehr auf die mentale

und spirituelle Seite unseres Seins bezieht als auf die körperliche Seite.

Wie wichtig es ist, alle Bereiche der Bewusstheit zu beherrschen, zeigt sich

auch bei Sportlern, die heutzutage nicht nur ihren Körper trainieren, sondern

oft auch einen Mentaltrainer haben. Sie wissen, dass sie nur gewinnen können,

wenn die verschiedenen Teile ihres Seins zusammenarbeiten und eine gemeinsame

Ausrichtung haben. Denn neben der sportlichen Leistung gilt es, auch

mentale Probleme zu bewältigen wie Ängste, den Druck, im richtigen Moment

zu liefern, und Zweifel, um nur ein paar zu nennen. […]

Die alchemistischen Regeln von Inayat Khan (die goldenen, silbernen, kupfernen

und eisernen Regeln) passen in diesen Kontext, obwohl sie kein formelles

Ausbildungsprogramm mit spirituellen Praktiken bieten (diese sind in den

Gathas, Githas, Sangathas und Sangithas enthalten). Wie wir bereits sahen, war

er weise genug, seine Murids nicht gegen sich aufzubringen, also spricht er die

Seele an und tritt nicht als Autorität auf, die sagt, was sie zu tun haben.

Wie alle spirituellen Pfade verlangt auch der Sufi-Pfad von Inayat Khan von

seinen Schülerinnen und Schülern, dass sie nach einem System von Regeln und

Vorschriften leben, um den Geist zu schulen, Ausdauer zu erlangen, das Ego-

Selbst zu bändigen und Kontakt mit dem inneren Selbst herzustellen.

Spirituelle Lehrer, die zumindest einen Teil dieses Weges gegangen sind und

die Fallen, die Schwierigkeiten, die nötige Ausdauer und die listenreichen und

täuschenden Tricks des Ego-Selbst kennen und erfahren haben, können hier

eine große Hilfe sein. Sie können – und sollten – eine Autorität auf dem Gebiet

ihrer Lehren sein (wie es jeder Lehrer sein sollte). Allerdings ist eine Autorität zu

sein etwas anderes als autoritär zu sein.

Es gibt eine feine, aber klare Grenze zwischen spirituellen Lehrern mit Autorität,

die sich auf das geistige Wachstum der Lernenden konzentriert und den

12 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit


Wali van der Zwan: Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan

Lehrplan überblicken, und autoritären Sektenführern, die ein gottähnliches

Bild abgeben und von Anhängern verlangen, alles zu glauben, ‚weil der Lehrer

es gesagt hat‘, und schließlich alle möglichen Regeln als Dogmen aufstellen,

während Neugier und das Stellen von Fragen als Sünde gelten.

Eine Geschichte zeigt, wohin das führen kann:

Immer wenn der Guru mit seinen Schülern zur Andacht zusammensaß, kam

die Ashram-Katze herein und lenkte sie ab. Also ordnete er an, die Katze

anzubinden, wenn der Ashram beim Gebet war.

Als der Guru gestorben war, wurde die Katze weiterhin während der Gebetszeiten

angebunden.

Und als die Katze starb, wurde eine andere Katze in den Ashram geholt, um

sicherzustellen, dass die Anweisungen des Gurus während der Gebetszeit treu

und brav eingehalten wurden. Jahrhunderte vergingen und gelehrte Schüler

des Gurus schrieben Abhandlungen über die liturgische Bedeutung des

Anbindens einer Katze während der Gebetszeiten.

aus: Anthony de Mello: The Song of the Bird. Moskau, 2003, S. 142

Lehrende haben die Aufgabe – auch wenn das Akzeptieren im konkreten Fall

schwerfallen mag –, die Lernenden ihnen nacheifern zu lassen oder zumindest

unabhängig zu werden, während Sektenführer Gehorsam verlangen und

niemals zulassen können, dass Lernende über sie hinauswachsen.

Wenn wir die Lehren von Inayat Khan studieren, wird sofort klar, dass er

sich von jeglichem Sektierertum fernhielt und von seinen Schülern nie verlangte,

ihm zu gehorchen oder Dogmen zu folgen, sondern lediglich Vorschläge

machte.

Ein Beispiel dafür ist die Confraternity, die den Pflichtgebeten im Islam nahekommt.

Inayat Khan schrieb diese tägliche Gebetsroutine nicht für alle Murids

vor, sondern bot lediglich die Einweihung in die Confraternity an. Auf diese

Weise war die Verpflichtung zu dieser täglichen Routine eine freie und persönliche

Entscheidung.

Doch die Freiheit, die viele von Inayats Murids sich wünschten, war nicht die

Freiheit vom Ego, sondern die Freiheit des Egos. Sie konnten nicht erkennen,

dass sie verlernen mussten, indem sie ihre vorgefassten Vorstellungen von Freiheit

losließen, um die Freiheit der aristokratischen Seele zu verstehen.

Diese Freiheit – nicht zu vergleichen mit der äußeren, irdischen Freiheit –

kommt nach der Ausbildung, nach dem Training und der Bändigung des Ego-

Selbst, nach dem Verfeinern und Vervollkommnen des Charakters und der Persönlichkeit,

nach all diesen Opfern.

SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 13


Impressum | Mitteilungen vom Verlag Heilbronn

Impressum

SIFAT – Zeitschrift für Universalen Sufismus

ISSN 1420-1712

Gegründet 1972 von Karima Sen Gupta, von 1997 - 2016 von Marita Ischtar Dvořák und

Wolfgang Huraksh Meuthen herausgegeben

Herausgeber und Redaktion:

Hans-Peter Baum hpbaum@nord-com.net 0049-(0)421 353528

Claudia Nüssen claudianuessen@t-online.de 0049-(0)40 215439 (V. i. S. d. P.)

Regina Armaiti Winkler-Reber rwinklerreber@posteo.de 0049(0)731-7187642

SIFAT

Preise ab 2020:

erscheint in der Regel dreimal jährlich zum Selbstkostenpreis

€ 18,00 pro Jahr für 3 Hefte inkl. Versand – Abonnement

Geschenk-Abonnement – € 18,00 für 3 Hefte (1 Jahr)

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Folgende SIFAT-Hefte sind noch lieferbar:

Heft 3 / 2022 – Frieden

Heft 2 / 2022 – Angst ausatmen – Mut einatmen

Heft 1 / 2022 – Hoffnung

Heft 3 / 2021 – Nächstenliebe

Heft 2 / 2021 – Heilung

Heft 1 / 2021 – Klangbrücken

Heft 3 / 2020 – Kraftquellen

Heft 2 / 2020 – AUFeinander achten

Heft 1 / 2020 – Die Erde lieben

Heft 3 / 2019 – Religion und Wissenschaft II

Heft 2 / 2019 – Religion und Wissenschaft

Heft 1 / 2019 – Glaube und Zweifel

Heft 3 / 2018 – Mutige Frauen – Gelebte Spiritualität

Heft 2 / 2018 – Sonderheft: Noor-un-Nisa Inayat Khan

Heft 1 / 2018 – Sehnsucht der Seele

Heft 3 / 2017 – Geschwisterlichkeit

Heft 2 / 2017 – Gerechtigkeit

Heft 1 / 2017 – Opfer und Opfern

Heft 2 / 2016 – Religion und Liebe

Heft 1 / 2016 – Ein menschenfreundlicher Islam

58 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit


Hazrat Inayat Khan: Die zehn Sufi-Gedanken

Hazrat Inayat Khan

Die zehn Sufi-Gedanken

Es gibt zehn grundlegende Sufi Gedanken, die alle wichtigen Fragen beinhalten,

mit denen sich das innere Leben befasst.

1. Es gibt Einen Gott, den Ewigen, das einzige Sein; nichts existiert außer

Gott.

2. Es gibt Einen Meister/Eine Meisterin, den inspirierenden Geist aller

Seelen, der diejenigen, die ihm folgen, unablässig dem Licht

entgegenführt.

3. Es gibt Ein Heiliges Buch, die heilige Handschrift der Natur, die ihre

Leser wahrhaft erleuchtet.

4. Es gibt Eine Religion, das unentwegte Fortschreiten in direkter Richtung

auf das Ideal zu, welches den Lebenszweck jeder Seele erfüllt.

5. Es gibt Ein Gesetz, das Gesetz der Gegenseitigkeit, das in selbstloser

Bewusstheit, verbunden mit einem erwachten Sinn für Gerechtigkeit

erfüllt werden kann.

6. Es gibt Eine Familie, eine menschliche Gemeinschaft, die Bruder- und

Schwesternschaft, die alle Kinder der Erde ohne Unterschied in der

Elternschaft Gottes vereint.

7. Es gibt Eine Moral, die Liebe, die der Entsagung entspringt und in

Wohltätigkeit erblüht.

8. Es gibt Ein Objekt der Lobpreisung, die Schönheit, welche das Herz ihres

Verehrers durch alle Erscheinungen emporhebt, vom Sichtbaren bis zum

Unsichtbaren.

9. Es gibt Eine Wahrheit, die wahre Kenntnis unseres inneren und

äußeren Wesens, welche die Essenz aller Weisheit ist.

10. Es gibt Einen Weg, die Auflösung des falschen Selbst im Wirklichen,

was die Sterblichen zur Unsterblichkeit erhebt und worin jegliche

Vollkommenheit liegt.

SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 59


Worte zum Thema Freiheit

Alles, was im Herzen Verlangen erweckt, beraubt es seiner Freiheit.

(216)

Wüsste der Mensch nur, was hinter seinem freien Willen waltet, so

würde er ihn nicht ‚mein Wille‘ nennen, sondern stets ‚Dein Wille‘.

(231)

Wenn dein Herz frei ist, vermag keine Macht dich zu binden.

(369)

Der Pfad der falschen Freiheit führt zur Gefangenschaft.

Der Pfad der Selbstdisziplin dagegen führt zur Freiheit.

(637)

Der Mensch sucht Freiheit und strebt nach Gefangenschaft.

(1466)

aus: Hazrat Inayat Khan: Gayan Vadan Nirtan, Verlag Heilbronn, 1996

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