Freiheit - SIFAT Heft 1/2023 - Leseprobe
Nach den Themen Hoffnung, Mut und Frieden der letzten SIFAT-Hefte möchten wir diesmal den Blick auf die Freiheit richten. In vielen Leitsprüchen und Liedern findet die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit einen Ausdruck: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“, „Frau, Leben, Freiheit“, „Die Gedanken sind frei“, „Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt“, „Leben, einzeln und frei wie ein Baum und geschwisterlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht“ usw..
Auch bei Hazrat Inayat Khan nimmt Freiheit einen zentralen Platz ein. Sein erstes Buch, das er im Westen verfasste, trägt den Titel: „Eine Sufi-Botschaft der spirituellen Freiheit“, und ein grundlegender Satz von ihm lautet: „In der Freiheit der Seele liegt der Sinn des Lebens“ (englisch in Sufi Message VII, S. 197). Allerdings erkennt er im Leben der Menschen den folgenden Widerspruch: „Die Menschen wollen Freiheit und schlagen den Weg der Gefangenschaft ein.“ (s. die Rede von 1926 in diesem Heft)
Nach den Themen Hoffnung, Mut und Frieden der letzten SIFAT-Hefte möchten wir diesmal den Blick auf die Freiheit richten. In vielen Leitsprüchen und Liedern findet die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit einen Ausdruck: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“, „Frau, Leben, Freiheit“, „Die Gedanken sind frei“, „Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt“, „Leben, einzeln und frei wie ein Baum und geschwisterlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht“ usw..
Auch bei Hazrat Inayat Khan nimmt Freiheit einen zentralen Platz ein. Sein erstes Buch, das er im Westen verfasste, trägt den Titel: „Eine Sufi-Botschaft der spirituellen Freiheit“, und ein grundlegender Satz von ihm lautet: „In der Freiheit der Seele liegt der Sinn des Lebens“ (englisch in Sufi Message VII, S. 197). Allerdings erkennt er im Leben der Menschen den folgenden Widerspruch: „Die Menschen wollen Freiheit und schlagen den Weg der Gefangenschaft ein.“ (s. die Rede von 1926 in diesem Heft)
Zeitschrift für Universalen Sufismus51. Jg.Heft 1April 2023Freiheit
- Seite 2 und 3: Sufismusist eine uralte Weisheit un
- Seite 4 und 5: Vorwort der RedaktionLiebe Leserinn
- Seite 6 und 7: Erinnerung an Michael Nüssentert h
- Seite 8 und 9: Hazrat Inayat Khan: Die Freiheit de
- Seite 10 und 11: Pir Vilayat Inayat Khan: Stufen der
- Seite 12 und 13: Wali van der Zwan: Freiheit versus
- Seite 14 und 15: Impressum | Mitteilungen vom Verlag
- Seite 16: Worte zum Thema FreiheitAlles, was
Zeitschrift für Universalen Sufismus
51. Jg.
Heft 1
April 2023
Freiheit
Sufismus
ist eine uralte Weisheit und zugleich eine Methode der geistigen Schulung, die
Menschen befähigt, diese Weisheit in ihrem täglichen Leben zu verwirklichen.
Der Universale Sufismus
nach Hazrat Inayat Khan ist nicht auf bestimmte Dogmen, Rituale oder
spirituelle Techniken festgelegt.
Der Universale Sufismus baut eine Brücke über die Unterschiede und Grenzen,
die Menschen und Religionen voneinander trennen. Er ermöglicht auch, die
eigene Religion besser zu verstehen und zu leben, weshalb jeder diesen Weg
gehen kann, unabhängig von der Religionszugehörigkeit.
Hazrat Inayat Khan
wurde am 5. Juli 1882 in der indischen Stadt
Baroda geboren. Seine hoch angesehene Familie
war durchdrungen vom Geist mystischer Religiosität
und von der Liebe zur klassischen indischen
Musik. Inayat Khan war von Kind auf in Kontakt
mit den geistigen Traditionen des Islam wie des
Hinduismus, in einer Atmosphäre freundlicher
Toleranz über alle konfessionellen Grenzen hinweg.
Im Jahre 1910 bekam er von seinem spirituellen
Lehrer, Abu Hashim Madani, der der Sufi-
Tradition der Chishtis angehörte, den Auftrag,
den Sufismus in den Westen zu bringen. Hier
wurde er der Begründer und das geistige Oberhaupt
(Pir-o-Murshid) der Sufi-Bewegung und ihrer esoterischen Schule, des
Sufi-Ordens (heute Inayatiyya), und er schuf den Universellen Gottesdienst.
Längere Zeit lebte er in Suresnes bei Paris, von wo er oft zu Reisen in die
ganze westliche Welt aufbrach. Seine Vorträge füllen die 13 Bände seiner „Sufi-
Botschaft“. Er starb am 5. Februar 1927 in New Delhi.
Hazrat Inayat Khans Lehre und die seiner Nachfolger ist geprägt von einer
umfassenden Toleranz, einer Verehrung und Liebe zu allen Prophetinnen und
Propheten und Heiligen der Menschheit und einem Verständnis gegenüber der
Vielfalt der religiösen Traditionen und Lebenserscheinungen.
Inhaltsverzeichnis
Freiheit
Vorwort der Redaktion 4
Erinnerung an Michael Nüssen 5
Hazrat Inayat Khan: Die Freiheit der Seele (Vortrag 1926) 7
Hazrat Inayat Khan: Ein Orientalisches Märchen 9
Pir Vilayat Inayat Khan: Stufen der individuellen Befreiung 10
Wali van der Zwan: Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan 11
Jiddu Krishnamurti: Über Freiheit und Rebellion 14
Hamid Molla-Djafari:
Der befreite Vogel – Eine Sufi-Geschichte mit Kommentar 17
Trinley Thaye Dorje: Über Freiheit 20
Dalai Lama: Geistestraining für die anfängliche Stufe des Lam-rim 23
Baha ullah: Über Freiheit 27
Michael Nüssen: Wie kann der innere Sinn von Freiheit aus
jüdischer Sicht ausschauen? 28
Rainer Stuhlmann: Freiheit am Schabbat 30
Viktor E. Frankl: Die dritte Phase: Nach der Befreiung aus dem Lager 31
Mihajlo Mihajlov: Die mystische Erfahrung von Gulag-Häftlingen 34
Die heilige Martha befreit die Stadt Nerluc vom Seedrachen Tarasque 38
Edith Stein (Sr. Teresia Benedicta a Cruce): Natur, Freiheit und Gnade 39
Anselm Grün: Der Engel des Verzichts 43
Dietrich Bonhoeffer: Gehorsam und Freiheit 44
Khalil Gibran: Freiheit 45
Charlie Chaplin: Der große Diktator 47
Khalil Gibran: Vergnügen ist ein Freiheitslied 45
Texte aus den Heiligen Schriften der Weltreligionen 51
Blick aus dem Fenster: „Musik in Freiheit“ 53
Buchbesprechung: Michel Friedman: Fremd 55
Impressum 58
Hazrat Inayat Khan: Die zehn Sufi-Gedanken 59
SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 3
Vorwort der Redaktion
Liebe Leserinnen und Leser,
nach den Themen Hoffnung, Mut und Frieden der letzten SIFAT-Hefte möchten
wir diesmal den Blick auf die Freiheit richten. In vielen Leitsprüchen und
Liedern findet die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit einen Ausdruck:
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“,
„Frau, Leben, Freiheit“, „Die Gedanken sind frei“, „Freiheit, die ich meine, die
mein Herz erfüllt“, „Leben, einzeln und frei wie ein Baum und geschwisterlich
wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht“ usw..
Auch bei Hazrat Inayat Khan nimmt Freiheit einen zentralen Platz ein. Sein
erstes Buch, das er im Westen verfasste, trägt den Titel: „Eine Sufi-Botschaft der
spirituellen Freiheit“, und ein grundlegender Satz von ihm lautet: „In der Freiheit
der Seele liegt der Sinn des Lebens“ (englisch in Sufi Message VII, S. 197).
Allerdings erkennt er im Leben der Menschen den folgenden Widerspruch:
„Die Menschen wollen Freiheit und schlagen den Weg der Gefangenschaft ein.“
(s. die Rede von 1926 in diesem Heft)
Der Frage, ob es einen Weg der Freiheit gibt und was dafür erforderlich ist,
wollen wir mit verschiedenen Beiträgen in diesem Heft nachgehen. Anselm
Grün sieht z. B. einen Zusammenhang von Verzicht und Freiheit. Khalil Gibran
grenzt Freiheit von Vergnügen ab: „Vergnügen ist ein Freiheitslied, aber nicht
die Freiheit …“ Dass Freiheit erkämpft werden muss, macht Charlie Chaplin in
der Rede gegen den großen Diktator deutlich: „Auch wenn es Blut und Tränen
kostet, für die Freiheit ist kein Opfer zu groß.“
Wir hoffen, dass die ausgewählten Texte aus verschiedenen Bereichen eine anregende
Lektüre bieten.
Die Redaktion:
Hans-Peter Baum, Claudia Nüssen, Regina Armaiti Winkler-Reber
PS. Bei Vorarbeiten zu diesem Heft war auch Michael Nüssen beteiligt, der
diese Welt im Dezember 2022 am dritten Tag des Jüdischen Lichterfestes
Chanukka, verlassen hat.
4 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit
Erinnerung an Michael Nüssen
Erinnerung an Michael Nüssen
Die Erinnerung ist ein Fenster, durch das wir dich sehen können, wann immer wir wollen.
Lieber Michael, wie oft hast du den „Blick aus dem Fenster“ in unserer Zeitschrift
mit deinen Beiträgen bereichert. Nun werfen wir einen Blick aus dem
Fenster auf dich: Wenn wir durch das Fenster dieses Bildes schauen, das uns
dich in einem für dich besonderen Moment zeigt, dann erzählt das Bild, was wir
erblicken, bereits sehr viel von dir.
Du stehst in der Stadt deiner geistigen Heimat, entspannt. Hier gehörst du
hin, zeigt uns das Bild. Du bist angekommen an einem Ort, der für drei Religionen
ein heiliger Ort ist und du bist mittendrin. Das hat dich ein Leben lang
interessiert, beflügelt, angespornt und dir Kraft gegeben: der interreligiöse Dialog
und damit aufs Engste verbunden, deine Aufgabe als Cherag in unserem
Inayatiyya Orden. Wie sehr du an diesem Dialog interessiert warst und welchen
großen Wissensschatz du weitergeben konntest, haben wir in jeder Redaktionssitzung
erleben können. Du hast immer interessante, uns häufig neue Aspekte
in unsere Diskussion gebracht. Deine von dir selbst verfassten Texte haben uns
und unseren Leser*innen bisher unbekannte Aspekte des Judentums lebendig
aufgezeigt und die Nähe der Religionen zueinander vermittelt.
Immer war es dein Anliegen, uns Menschen vorzustellen, die von Leid und
Ungerechtigkeit einen Weg zu einer kraftvollen inneren Haltung gefunden
haben. Darin warst auch du selbst ein Meister. Es war beeindruckend, wie du
enorme Kraft aus deiner leidenschaftlichen Beschäftigung mit den Unterweisungen
der verschiedensten spirituellen Lehrer*innen, den unterschiedlichsten
Gedanken und Weltdeutungen wacher Zeitgenossen finden konntest. Wunderbar,
wie du damit deine langjährigen körperlichen Beeinträchtigungen gemeis-
SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 5
Erinnerung an Michael Nüssen
tert hast. Und so ist es möglicherweise auch kein Zufall, dass deine letzten Heftbeiträge
in diesem Heft zum Thema „Freiheit“ zu finden sind.
In unseren Redaktionssitzungen haben wir zuweilen um Inhalte gerungen,
manchmal ging es hoch her – immer mit dem Blick auf unser gemeinsames
Ziel: ein interessantes, inspirierendes Heft zusammenzustellen. Du konntest
sehr auf deinem Standpunkt beharren, um dann doch mit Humor einen Weg
zu einer Einigung zu finden.
Mit großer Hingabe und Sammelleidenschaft (deine CD-Sammlung war
beeindruckend) hast du dich auch den Künsten gewidmet. Nicht nur, dass du
themenspezifische Führungen in der Hamburger Kunsthalle veranstaltet hast,
sondern du warst ein großer Liebhaber der verschiedensten musikalischen Ausdrucksformen.
Das zeigt auch deine Musikauswahl, die du in den letzten Tagen
deines Lebens noch einmal hören wolltest. Sie repräsentiert den Bogen vom
politischen Engagement des jungen Mannes Michael bis hin zu der Ruhe und
Harmonie verströmenden Musik von Bach, die dir half, zu seelischem Frieden
zu finden. Zum Abschluss hast du noch einmal einen traurigen und doch auch
schalkhaften Einblick in deine Gefühle gewährt mit einem Lied von Hannes
Wader, in dem es heißt: „Schlaf nicht ein im Hotel zur langen Dämmerung,
bleib wach …“.
Auch diese Musikauswahl öffnet ein Fenster zu dir und deshalb finden sich hier
die entsprechenden Links.
https://www.youtube.com/watch?v=H0JM-8uH5KE
https://www.youtube.com/watch?v=YXW3G2N3ssE
https://www.youtube.com/watch?v=4Sx941igIbY
https://www.youtube.com/watch?v=YRcb3-6ck7I
https://www.youtube.com/watch?v=LuxbAkxNpcg
https://www.youtube.com/watch?v=e0aPayGqraY
https://www.youtube.com/watch?v=JqAT4dT2Sqs
Lieber Michael,
wir möchten dir von ganzem Herzen für alles danken, was wir mit dir gemeinsam
erfahren und geteilt haben. Mögest du auf deinem Weg lichtvollen Wesen
begegnen, bekannte und neue Freunde finden, mögen die Engel dich in immer
weitere, lichterfüllte Sphären geleiten: Dem Einen entgegen, der Vollkommenheit
von Liebe, Harmonie und Schönheit, dem einzig Seienden, vereint mit all
den erleuchteten Seelen, die die Botschaft verkörpern, den Geist der Führung.
Hans-Peter, Claudia, Regina Armaiti & Uta Maria, Josef
Redaktion & Verlag
6 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit
Hazrat Inayat Khan: Die Freiheit der Seele
Hazrat Inayat Khan
Die Freiheit der Seele (Vortrag 1926)
Geliebte Gottes,
ich möchte heute Abend über das Thema der Freiheit der Seele sprechen. Die
Menschen wollen Freiheit und schlagen den Weg der Gefangenschaft ein. Es
gibt keinen einzigen Menschen, den das Wort Freiheit nicht berührt, und es
gibt keinen Menschen, der sich nicht nach Freiheit sehnt.
Doch wenn wir das menschliche Leben mit einem Vergrößerungsglas betrachten,
geht das Streben der Menschen, ob sie Freiheit suchen oder nicht, hin zur
Gefangenschaft in der einen oder anderen Form. Die Seele der Menschen wohnt
im Himmel. Sie kann mehr sehen, als die Augen sehen können; sie kann mehr
hören, als die Ohren hören können. Die Seele kann sich weiter ausdehnen, als
ein Mensch reisen kann; die Seele kann tiefer tauchen als die Tiefen, die ein
Mensch jemals erreichen kann; die Seele kann höher reichen, als ein Mensch auf
irgendeine Weise erreichen kann. Ihr Leben ist Freiheit. Sie kennt dort nichts
als Freude, und sie sieht nichts als Schönheit. Ihr eigenes Wesen ist Frieden, ihr
Sein ist das Leben selbst. Sie ist nicht intelligent, sie ist die Intelligenz selbst. Sie
ist nicht eine Seele, sondern Geist; sie ist nicht menschlich, sondern von Natur
aus göttlich. Deshalb bemerkt die Seele durch das Leben ständig eine Begrenzung,
wie ein Fisch es außerhalb des Wassers erleben würde, oder ein Vogel, dem
die Flügel gestutzt wurden.
Jemand fragte einen weisen Mann: „Was ist der Grund für Schmerz?“ Und
der weise Mann antwortete: „Wenn ich den Grund für all den Schmerz in der
Welt mit einem Wort sagen sollte, dann ist es Begrenzung.“ Und woher kommt
diese Begrenzung? Sie kommt daher, dass ein himmlisches Wesen sich in ein
irdisches Wesen verwandelt. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn wir in
diesem Leben sehen, dass fast niemand vollkommen glücklich zu sein scheint.
Ein reicher Mensch hat seine Geschichte zu erzählen und ein armer Mensch
eine andere; ein kluger Mensch kann seine Beschwerde vorbringen und ein
dummer kann von sich erzählen. Und so hat jeder etwas zu sagen. Und was sie
alle zu sagen haben, ist eine Sache, nämlich Begrenzung.
Was man anstrebt, wonach man sucht, ist ein Gefühl von Freiheit. Und doch
streben alle auf eine falsche Weise nach Freiheit. Das Leben ist so beschaffen,
dass Menschen, wenn sie denken: „Das wird mich frei machen“, genau dadurch
noch mehr gefangen werden. Und sie können es nicht erkennen, bis sie es ver-
SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 7
Hazrat Inayat Khan: Die Freiheit der Seele
stehen. Solange sie es noch nicht verstanden haben, denken sie: „Das wird mich
doch frei machen.“ Und so geht das Leben weiter. Der Mensch strebt weiter
nach Freiheit, und was er bekommt, ist Gefangenschaft. Bei all dem Reden von
Freiheit ist das Leben heute mehr denn je ein gefangenes Leben. Haben Sie
jemals aus der Vergangenheit gehört, dass man beim Überschreiten der Grenze
des eigenen Landes tausend Vorschriften erfüllen musste? Wir könnten uns fragen:
Sind wir im eigenen Land zuhause und können uns dort frei fühlen? Doch
auch da sind wir nicht wirklich frei. Auch da gibt es Vorschriften, Regeln und
Bestimmungen, die zum Nutzen der Menschen gemacht wurden, aber zugleich
das Leben der Menschen immer komplizierter machen.
Sind sie mit all dem Reden über Freiheit der Freiheit nähergekommen? Nein.
Da sie die wahre Bedeutung der Freiheit nicht kennen, kommen der Gefangenschaft
immer näher. Die Menschen leben in einer Gefangenschaft, weil sie
wenig denken. Je mehr sie darüber nachdenken, werden sie feststellen, dass sie,
wenn sie dem Pfad der Freiheit nachjagen, mit jedem Schritt der Gefangenschaft
näherkommen.
In allen Zeiten haben Propheten und Meister, Denker und Philosophen gelehrt,
dass das höchste Ziel von Philosophie und Mystik darin besteht, die Freiheit der
Seele zu erlangen. Verschiedene Zeremonien, religiöse Legenden und Philosophien
erzählen von dieser Wahrheit. Wonach ein Mensch sich im Leben sehnt,
was sein Lebensziel sein mag, sein Ziel, das er erreichen will, hinter all dem steht
nur ein einziges Ziel, nämlich das Verlangen der Seele, von allen Bindungen
frei zu werden. Die Menschen würdigen diese Idee nicht, welche Dinge sie frei
machen können, wenn sie darin aufgehen, Dinge im Leben zu bekommen. Sie
machen sich keine Gedanken über die Freiheit, sondern nur über das, dem sie
im Moment nachgehen. Wenn sie über die wirklichen Umstände des Lebens
nachdenken würden, würden sie vielleicht ihre Einstellung
ändern, ihren Blick weiten und den Dingen, die sie
normalerweise wichtig nehmen, keine Bedeutung mehr
geben. […]
Vortrag im Lenox Theater, New York am 24. Januar 1926.
aus: Complete Works 1926 I, Omega Publications, 2010,
S. 210ff,
Übersetzung: H.-P. Baum
8 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit
Hazrat Inayat Khan: Ein orientalisches Märchen
Hazrat Inayat Khan
Ein orientalisches Märchen
E
in König besaß einmal einen Papagei, der ihm sehr ans Herz gewachsen war,
sodass er ihn in einem goldenen Käfig hielt und immer persönlich für ihn
sorgte. So sehr waren der König und die Königin dem Papagei zugetan, dass alle
Leute im Palast auf ihn eifersüchtig wurden.
Eines Tages war der König im Begriff, in den Wald zu gehen, aus dem der
Papagei stammte, und sagte zu diesem: „Mein Liebling, ich habe dich lieb und
ich habe dich gepflegt mit aller Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Zärtlichkeit,
deren ich fähig bin. Daher möchte ich deinen Brüdern im Wald eine Botschaft
von dir bringen.“ Der Papagei antwortete: „Wie gütig bist du, mir dies anzubieten.
Teile meinen Brüdern im Dschungel mit, dass der König und die Königin
ihr Bestes getan haben, um mich glücklich zu machen, mir einen goldenen
Käfig, allerlei Früchte, allerlei gute Sachen gegeben haben; dass ich mich aber
trotz all ihrer Aufmerksamkeiten nach dem Wald sehne; die Sehnsucht, unter
euch zu leben, – frei, wie ich es zu sein pflegte, erfüllt immerdar mein Sinnen
und Trachten. Doch sehe ich keinen Weg zur Befreiung; aber sendet mir ein
Zeichen eures Wohlwollens und eurer Liebe. Man lebt nur durch Hoffnung.
Vielleicht wird einmal mein Wunsch erfüllt.“
Der König ging in den Wald, er näherte sich dem Baum, von welchem der
Papagei einst gefangen worden war, und sprach zu dessen Brüdern: „Oh, ihr
Papageien, einen der euren habe ich in meinen Palast genommen, ich liebe ihn
sehr und lasse ihm alle Aufmerksamkeit zuteilwerden. Hört nun die Botschaft
eures Bruders!“
Aufmerksam lauschten sie der Botschaft, und dann fiel einer der Vögel nach
dem andern vom Baum nieder und sie schienen alle tot. Der König war über
alle Maßen bestürzt. Er konnte nicht verstehen, was jene Vögel so sehr ergriffen
hatte. Die liebevollen Vogelbrüder hatten scheint’s seine Botschaft nicht
ertragen können. Er dachte bei sich: „Wie sündhaft von mir, so manches Leben
zerstört zu haben.“ Er kehrte zum Palast zurück und sagte seinem Papagei: „Wie
unvernünftig war es von dir, mein Papagei, mir eine solche Botschaft zu geben.
Sobald deine Brüder sie vernahmen, fiel einer nach dem andern tot nieder.“
Der Papagei lauschte, sah still zum Himmel empor und fiel auch nieder.
Der König wurde noch trauriger. „Ich Tor! Zuerst brachte ich den Vögeln im
Wald die Botschaft und tötete sie, und nun bring‘ ich ihm die ihrige und töte
auch ihn.“ Dem König wurde ganz wirr zumute. Was das wohl alles bedeuten
SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 9
Pir Vilayat Inayat Khan: Stufen der individuellen Freihet
sollte? Er befahl einem Diener, den toten Vogel auf eine goldene Platte zu legen
und ihn mit allen Feierlichkeiten zu begraben. Sie nahmen ihn mit großem
Respekt aus dem Käfig und lösten die Ketten von den Füßen. Doch kaum war
er auf der Platte, da flog der Papagei auf und davon. Wie er sich dann aufs Dach
setzte, redete der König ihn an: „Mein Papagei, wie hast du mich betrogen!“ Der
Papagei erwiderte: „Oh König, diese Freiheit war das Ziel meiner Seele, das Ziel,
welches auch das Ziel aller Seelen ist. Meine Brüder im Urwald waren nicht tot.
Ich hatte sie nach dem Weg zur Freiheit gefragt, und sie haben ihn mir gezeigt.
Ich tat, was sie mir sagten, und nun bin ich frei!“ –
aus: Inayat Khan: Aus einem östlichen Rosengarten, Teil I. East-West Publications, o. J.,
S. 146-148. (engl. in The Sufi Message Vol. VII, S. 185-187)
Die Fabel stammt vom persischen Sufi-Dichter Fariduddin Attar (1146-1221) und
ist auch in der Zeitschrift Sufi vom April 1916 enthalten: Sufi – A quaterly magazine
1915-1920. Nekbakht Foundation, 2020, S. 146
Pir Vilayat Inayat Khan
Stufen der individuellen Befreiung
Im Bereich des individuellen Lebens kann man mehrere Arten von Befreiung
unterscheiden:
1. Man wird frei von der Annahme, die physische Welt sei so, wie sie erscheint.
2. Man gewinnt Freiheit von seiner eigenen Beurteilung der Umstände, besonders
derjenigen, in die man selbst verwickelt ist.
3. Man befreit sich davon, sich in die Perspektive anderer Menschen hineinziehen
zu lassen.
4. Spirituelle Freiheit bedeutet Freiheit von Dogmen oder Theorien; man sieht
in ihnen nur mehr oder weniger erleuchtete Standpunkte.
5. Man befreit sich von dem Bedürfnis nach bestimmten äußeren Umständen,
die man meint zu brauchen, um Freude empfinden zu können.
6. Man befreit sich von der Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit von anderen
Menschen.
7. Man bemüht sich um Freiheit von der Qual körperlichen Schmerzes und
von der Angst vor dem Tode; man gewinnt eine Art psychische Immunität.
10 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit
Wali van der Zwan: Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan
8. Man befreit sich von seinem eigenen Selbstbild.
9. Man befreit sich von seinem eigenen Gefühl der Individualität.
10. Man befreit sich von seinem Streben nach Freiheit – was bedeutet, dass man
sich freiwillig engagiert.
11. Man engagiert sich, um anderen bei der Befreiung zu helfen.
aus: Pir Vilayat Khan, Keeping in Touch (KIT) Nr. 55,
„Freiheit“
Pir Vilayat Inayat Khan (1926-2004) war bis zu seinem
Lebensende das geistige Oberhaupt des von ihm gegründeten
Internationalen Sufiordens (Inayatiyya-Orden). Er
lehrte in vielen Teilen der Welt und pflegte den Kontakt
mit Wissenschaftlern und geistigen Lehrern aus allen
religiösen Traditionen.
Wali van der Zwan
Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan
D
ie Freiheit, für die Noor-un-Nisa Inayat Khan ihr Leben geopfert hat, ist
nicht die Freiheit, für die die Alliierten kämpften (Freiheit vom Faschismus),
sondern die Freiheit für die Seele.
Es gibt eine feine, aber klare Unterscheidung zwischen dem Kämpfen für und
dem Kämpfen gegen etwas, zwischen der Freiheit von und Freiheit für etwas,
nämlich den Unterschied, ob der Kampf gegen einen Feind oder für eine höhere
Sache geführt wird. Dies wird leider in terroristischen islamischen Kreisen nicht
verstanden, da sie den Dschihad des Propheten Mohammed missbrauchen, um
das Recht zu beanspruchen, gegen jeden zu kämpfen, der nicht muslimisch ist
oder eine andere Auslegung des Korans hat. Der Prophet nannte den Kampf mit
dem Ego den großen Dschihad und den Kampf darum, seine Religion ausüben
zu können (also wieder eine Freiheit für) den kleinen Dschihad.
Das Beispiel von Noor Inayat Khan, die ihr Leben für die ‚Liberté‘ opferte,
kann als Beispiel für einen Dschihad im Sinne des Propheten gesehen werden.
Diese Freiheit ist das Ergebnis einer Hingabe. Das Ego als hauptsächlicher
SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 11
Wali van der Zwan: Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan
Antrieb und Motivator unseres Lebens ist zu überwinden, um für die Seele
Raum zu schaffen, damit sie das Steuer unseres Wagens in die Hand nehmen
kann. Noor gab ihr Leben und kämpfte für eine Gesellschaft und eine Umwelt,
in der alle das Recht haben, nach dieser Freiheit zu suchen. Diese Hingabe ist
schwierig, da das Gefühl entsteht, als würde die eigene Persönlichkeit aufgegeben.
Die Freiheit von etwas wird durch einen Sieg über die gegnerischen Kräfte
erreicht. Bei der Freiheit für etwas geht es darum, die Umstände zu schaffen, die
es der Seele ermöglichen, sich zu erheben, wobei sich die gegnerischen Kräfte
im eigenen Innern befinden.
Um von dieser Freiheit zu kosten, müssen wir ein Trainingsprogramm einrichten,
das sich nicht so sehr von dem eines nach Gold strebenden Sportlers
unterscheidet, allerdings mit einem Schwerpunkt, der sich mehr auf die mentale
und spirituelle Seite unseres Seins bezieht als auf die körperliche Seite.
Wie wichtig es ist, alle Bereiche der Bewusstheit zu beherrschen, zeigt sich
auch bei Sportlern, die heutzutage nicht nur ihren Körper trainieren, sondern
oft auch einen Mentaltrainer haben. Sie wissen, dass sie nur gewinnen können,
wenn die verschiedenen Teile ihres Seins zusammenarbeiten und eine gemeinsame
Ausrichtung haben. Denn neben der sportlichen Leistung gilt es, auch
mentale Probleme zu bewältigen wie Ängste, den Druck, im richtigen Moment
zu liefern, und Zweifel, um nur ein paar zu nennen. […]
Die alchemistischen Regeln von Inayat Khan (die goldenen, silbernen, kupfernen
und eisernen Regeln) passen in diesen Kontext, obwohl sie kein formelles
Ausbildungsprogramm mit spirituellen Praktiken bieten (diese sind in den
Gathas, Githas, Sangathas und Sangithas enthalten). Wie wir bereits sahen, war
er weise genug, seine Murids nicht gegen sich aufzubringen, also spricht er die
Seele an und tritt nicht als Autorität auf, die sagt, was sie zu tun haben.
Wie alle spirituellen Pfade verlangt auch der Sufi-Pfad von Inayat Khan von
seinen Schülerinnen und Schülern, dass sie nach einem System von Regeln und
Vorschriften leben, um den Geist zu schulen, Ausdauer zu erlangen, das Ego-
Selbst zu bändigen und Kontakt mit dem inneren Selbst herzustellen.
Spirituelle Lehrer, die zumindest einen Teil dieses Weges gegangen sind und
die Fallen, die Schwierigkeiten, die nötige Ausdauer und die listenreichen und
täuschenden Tricks des Ego-Selbst kennen und erfahren haben, können hier
eine große Hilfe sein. Sie können – und sollten – eine Autorität auf dem Gebiet
ihrer Lehren sein (wie es jeder Lehrer sein sollte). Allerdings ist eine Autorität zu
sein etwas anderes als autoritär zu sein.
Es gibt eine feine, aber klare Grenze zwischen spirituellen Lehrern mit Autorität,
die sich auf das geistige Wachstum der Lernenden konzentriert und den
12 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit
Wali van der Zwan: Freiheit versus Hierarchie bei Hazrat Inayat Khan
Lehrplan überblicken, und autoritären Sektenführern, die ein gottähnliches
Bild abgeben und von Anhängern verlangen, alles zu glauben, ‚weil der Lehrer
es gesagt hat‘, und schließlich alle möglichen Regeln als Dogmen aufstellen,
während Neugier und das Stellen von Fragen als Sünde gelten.
Eine Geschichte zeigt, wohin das führen kann:
Immer wenn der Guru mit seinen Schülern zur Andacht zusammensaß, kam
die Ashram-Katze herein und lenkte sie ab. Also ordnete er an, die Katze
anzubinden, wenn der Ashram beim Gebet war.
Als der Guru gestorben war, wurde die Katze weiterhin während der Gebetszeiten
angebunden.
Und als die Katze starb, wurde eine andere Katze in den Ashram geholt, um
sicherzustellen, dass die Anweisungen des Gurus während der Gebetszeit treu
und brav eingehalten wurden. Jahrhunderte vergingen und gelehrte Schüler
des Gurus schrieben Abhandlungen über die liturgische Bedeutung des
Anbindens einer Katze während der Gebetszeiten.
aus: Anthony de Mello: The Song of the Bird. Moskau, 2003, S. 142
Lehrende haben die Aufgabe – auch wenn das Akzeptieren im konkreten Fall
schwerfallen mag –, die Lernenden ihnen nacheifern zu lassen oder zumindest
unabhängig zu werden, während Sektenführer Gehorsam verlangen und
niemals zulassen können, dass Lernende über sie hinauswachsen.
Wenn wir die Lehren von Inayat Khan studieren, wird sofort klar, dass er
sich von jeglichem Sektierertum fernhielt und von seinen Schülern nie verlangte,
ihm zu gehorchen oder Dogmen zu folgen, sondern lediglich Vorschläge
machte.
Ein Beispiel dafür ist die Confraternity, die den Pflichtgebeten im Islam nahekommt.
Inayat Khan schrieb diese tägliche Gebetsroutine nicht für alle Murids
vor, sondern bot lediglich die Einweihung in die Confraternity an. Auf diese
Weise war die Verpflichtung zu dieser täglichen Routine eine freie und persönliche
Entscheidung.
Doch die Freiheit, die viele von Inayats Murids sich wünschten, war nicht die
Freiheit vom Ego, sondern die Freiheit des Egos. Sie konnten nicht erkennen,
dass sie verlernen mussten, indem sie ihre vorgefassten Vorstellungen von Freiheit
losließen, um die Freiheit der aristokratischen Seele zu verstehen.
Diese Freiheit – nicht zu vergleichen mit der äußeren, irdischen Freiheit –
kommt nach der Ausbildung, nach dem Training und der Bändigung des Ego-
Selbst, nach dem Verfeinern und Vervollkommnen des Charakters und der Persönlichkeit,
nach all diesen Opfern.
SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 13
Impressum | Mitteilungen vom Verlag Heilbronn
Impressum
SIFAT – Zeitschrift für Universalen Sufismus
ISSN 1420-1712
Gegründet 1972 von Karima Sen Gupta, von 1997 - 2016 von Marita Ischtar Dvořák und
Wolfgang Huraksh Meuthen herausgegeben
Herausgeber und Redaktion:
Hans-Peter Baum hpbaum@nord-com.net 0049-(0)421 353528
Claudia Nüssen claudianuessen@t-online.de 0049-(0)40 215439 (V. i. S. d. P.)
Regina Armaiti Winkler-Reber rwinklerreber@posteo.de 0049(0)731-7187642
SIFAT
Preise ab 2020:
erscheint in der Regel dreimal jährlich zum Selbstkostenpreis
€ 18,00 pro Jahr für 3 Hefte inkl. Versand – Abonnement
Geschenk-Abonnement – € 18,00 für 3 Hefte (1 Jahr)
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Zahlbar in Euro: Konto Verlag Heilbronn, Josef Ries, Postbank
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Heft 3 / 2022 – Frieden
Heft 2 / 2022 – Angst ausatmen – Mut einatmen
Heft 1 / 2022 – Hoffnung
Heft 3 / 2021 – Nächstenliebe
Heft 2 / 2021 – Heilung
Heft 1 / 2021 – Klangbrücken
Heft 3 / 2020 – Kraftquellen
Heft 2 / 2020 – AUFeinander achten
Heft 1 / 2020 – Die Erde lieben
Heft 3 / 2019 – Religion und Wissenschaft II
Heft 2 / 2019 – Religion und Wissenschaft
Heft 1 / 2019 – Glaube und Zweifel
Heft 3 / 2018 – Mutige Frauen – Gelebte Spiritualität
Heft 2 / 2018 – Sonderheft: Noor-un-Nisa Inayat Khan
Heft 1 / 2018 – Sehnsucht der Seele
Heft 3 / 2017 – Geschwisterlichkeit
Heft 2 / 2017 – Gerechtigkeit
Heft 1 / 2017 – Opfer und Opfern
Heft 2 / 2016 – Religion und Liebe
Heft 1 / 2016 – Ein menschenfreundlicher Islam
58 SIFAT 1 | 2023 – Freiheit
Hazrat Inayat Khan: Die zehn Sufi-Gedanken
Hazrat Inayat Khan
Die zehn Sufi-Gedanken
Es gibt zehn grundlegende Sufi Gedanken, die alle wichtigen Fragen beinhalten,
mit denen sich das innere Leben befasst.
1. Es gibt Einen Gott, den Ewigen, das einzige Sein; nichts existiert außer
Gott.
2. Es gibt Einen Meister/Eine Meisterin, den inspirierenden Geist aller
Seelen, der diejenigen, die ihm folgen, unablässig dem Licht
entgegenführt.
3. Es gibt Ein Heiliges Buch, die heilige Handschrift der Natur, die ihre
Leser wahrhaft erleuchtet.
4. Es gibt Eine Religion, das unentwegte Fortschreiten in direkter Richtung
auf das Ideal zu, welches den Lebenszweck jeder Seele erfüllt.
5. Es gibt Ein Gesetz, das Gesetz der Gegenseitigkeit, das in selbstloser
Bewusstheit, verbunden mit einem erwachten Sinn für Gerechtigkeit
erfüllt werden kann.
6. Es gibt Eine Familie, eine menschliche Gemeinschaft, die Bruder- und
Schwesternschaft, die alle Kinder der Erde ohne Unterschied in der
Elternschaft Gottes vereint.
7. Es gibt Eine Moral, die Liebe, die der Entsagung entspringt und in
Wohltätigkeit erblüht.
8. Es gibt Ein Objekt der Lobpreisung, die Schönheit, welche das Herz ihres
Verehrers durch alle Erscheinungen emporhebt, vom Sichtbaren bis zum
Unsichtbaren.
9. Es gibt Eine Wahrheit, die wahre Kenntnis unseres inneren und
äußeren Wesens, welche die Essenz aller Weisheit ist.
10. Es gibt Einen Weg, die Auflösung des falschen Selbst im Wirklichen,
was die Sterblichen zur Unsterblichkeit erhebt und worin jegliche
Vollkommenheit liegt.
SIFAT 1 | 2023 – Freiheit 59
Worte zum Thema Freiheit
Alles, was im Herzen Verlangen erweckt, beraubt es seiner Freiheit.
(216)
Wüsste der Mensch nur, was hinter seinem freien Willen waltet, so
würde er ihn nicht ‚mein Wille‘ nennen, sondern stets ‚Dein Wille‘.
(231)
Wenn dein Herz frei ist, vermag keine Macht dich zu binden.
(369)
Der Pfad der falschen Freiheit führt zur Gefangenschaft.
Der Pfad der Selbstdisziplin dagegen führt zur Freiheit.
(637)
Der Mensch sucht Freiheit und strebt nach Gefangenschaft.
(1466)
aus: Hazrat Inayat Khan: Gayan Vadan Nirtan, Verlag Heilbronn, 1996