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Freude - SIFAT Heft 3/2023 - Leseprobe

In allen großen Weltreligionen, in den Gedanken der Philosophen seit der Antike und ganz einfach in unserem Alltag kommt der Freude eine besondere Bedeutung zu. Sie versetzt uns in einen positiven Gemütszustand, hebt manche Momente aus der Fülle der Erfahrungen hervor, ist für uns ein Wegweiser auf dem Weg zur Reifung und Selbstverwirklichung. Im Buddhismus ist die Fähigkeit zur reinen Freude (Mudita, als Freude an der Freude des anderen) eine der vier grundlegenden Tugenden, die es auf dem Weg zur Verwirklichung zu erlangen gilt. Wie kann Freude ein Wegweiser für unsere Entfaltung sein? Wie können wir uns überhaupt der Freude öffnen, uns für sie bereithalten, wenn wir gleichzeitig in einer Welt voller Leid, Zerstörung, Naturkatastrophen und Gewalt leben? Diese Frage ließ einst dem Prinzen Siddharta keine Ruhe und sie war Antrieb seiner Suche nach einem Weg zur Transformation von Leid. Einer der Wege der Freude ist die Kultivierung von Dankbarkeit für die Segnungen, die wir bereits erfahren haben – Dankbarkeit, die uns immer wieder in den Gemütszustand versetzen kann, der die Tür öffnet für die Freude an der Wirklichkeit, an unserer Existenz, am Leben selbst. Hazrat Inayat Khan hat – wie Wali van der Zwan zeigt – Freude und Frieden in seinen Gebeten in einem unmittelbaren Zusammenhang gesehen. Freude ist hierbei eine Herzensqualität, die es vermag, uns mit der Tiefe unseres Wesens zu verbinden und damit den Frieden zu erfahren, der unser Wesen ist.

In allen großen Weltreligionen, in den Gedanken der Philosophen seit der Antike und ganz einfach in unserem Alltag kommt der Freude eine besondere Bedeutung zu. Sie versetzt uns in einen positiven Gemütszustand, hebt manche Momente aus der Fülle der Erfahrungen hervor, ist für uns ein Wegweiser auf dem Weg zur Reifung und Selbstverwirklichung. Im Buddhismus ist die Fähigkeit zur reinen Freude (Mudita, als Freude an der Freude des anderen) eine der vier grundlegenden Tugenden, die es auf dem Weg zur Verwirklichung zu erlangen gilt. Wie kann Freude ein Wegweiser für unsere Entfaltung sein? Wie können wir uns überhaupt der Freude öffnen, uns für sie bereithalten, wenn wir gleichzeitig in einer Welt voller Leid, Zerstörung, Naturkatastrophen und Gewalt leben? Diese Frage ließ einst dem Prinzen Siddharta keine Ruhe und sie war Antrieb seiner Suche nach einem Weg zur Transformation von Leid. Einer der Wege der Freude ist die Kultivierung von Dankbarkeit für die Segnungen, die wir bereits erfahren haben – Dankbarkeit, die uns immer wieder in den Gemütszustand versetzen kann, der die Tür öffnet für die Freude an der Wirklichkeit, an unserer Existenz, am Leben selbst. Hazrat Inayat Khan hat – wie Wali van der Zwan zeigt – Freude und Frieden in seinen Gebeten in einem unmittelbaren Zusammenhang gesehen. Freude ist hierbei eine Herzensqualität, die es vermag, uns mit der Tiefe unseres Wesens zu verbinden und damit den Frieden zu erfahren, der unser Wesen ist.

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Zeitschrift für Universalen Sufismus<br />

51. Jg.<br />

<strong>Heft</strong> 3<br />

Dezember <strong>2023</strong><br />

<strong>Freude</strong>


Sufismus<br />

ist eine uralte Weisheit und zugleich eine Methode der geistigen Schulung, die<br />

Menschen befähigt, diese Weisheit in ihrem täglichen Leben zu verwirklichen.<br />

Der Universale Sufismus<br />

nach Hazrat Inayat Khan ist nicht auf bestimmte Dogmen, Rituale oder<br />

spirituelle Techniken festgelegt.<br />

Der Universale Sufismus baut eine Brücke über die Unterschiede und Grenzen,<br />

die Menschen und Religionen voneinander trennen. Er ermöglicht auch, die<br />

eigene Religion besser zu verstehen und zu leben, weshalb jeder diesen Weg<br />

gehen kann, unabhängig von der Religionszugehörigkeit.<br />

Hazrat Inayat Khan<br />

wurde am 5. Juli 1882 in der indischen Stadt<br />

Baroda geboren. Seine hoch angesehene Familie<br />

war durchdrungen vom Geist mystischer Religiosität<br />

und von der Liebe zur klassischen indischen<br />

Musik. Inayat Khan war von Kind auf in Kontakt<br />

mit den geistigen Traditionen des Islam wie des<br />

Hinduismus, in einer Atmosphäre freundlicher<br />

Toleranz über alle konfessionellen Grenzen hinweg.<br />

Im Jahre 1910 bekam er von seinem spirituellen<br />

Lehrer, Abu Hashim Madani, der der Sufi-<br />

Tradition der Chishtis angehörte, den Auftrag,<br />

den Sufismus in den Westen zu bringen. Hier<br />

wurde er der Begründer und das geistige Oberhaupt<br />

(Pir-o-Murshid) der Sufi-Bewegung und ihrer esoterischen Schule, des<br />

Sufi-Ordens (heute Inayatiyya), und er schuf den Universellen Gottesdienst.<br />

Längere Zeit lebte er in Suresnes bei Paris, von wo er oft zu Reisen in die<br />

ganze westliche Welt aufbrach. Seine Vorträge füllen die 13 Bände seiner „Sufi-<br />

Botschaft“. Er starb am 5. Februar 1927 in New Delhi.<br />

Hazrat Inayat Khans Lehre und die seiner Nachfolger ist geprägt von einer<br />

umfassenden Toleranz, einer Verehrung und Liebe zu allen Prophetinnen und<br />

Propheten und Heiligen der Menschheit und einem Verständnis gegenüber der<br />

Vielfalt der religiösen Traditionen und Lebenserscheinungen.


Inhaltsverzeichnis<br />

<strong>Freude</strong><br />

Vorwort der Redaktion 4<br />

Hazrat Inayat Khan: Die Musik des Lebens 5<br />

Hazrat Inayat Khan: <strong>Freude</strong> und Leid – Worte aus Gayan, Vadan, Nirtan 6<br />

Hazrat Inayat Khan: Zuerst <strong>Freude</strong> und dann Friede 7<br />

Hazrat Inayat Khan und Samuel L. Lewis:<br />

Worte zur <strong>Freude</strong>, aus: 365 Tagen Sufi-Weisheit 9<br />

Pir Zia Inayat Khan: Über den größeren Kampf 12<br />

Pir Zia Inayat Khan: Über Almosen 13<br />

Wali van der Zwan: Gnade, Herrlichkeit, Weisheit, <strong>Freude</strong> und Friede 15<br />

Zwei Tänze des Universellen Friedens 17<br />

Jürgen Wasim Frembgen: Am Schrein des roten Sufi 21<br />

Peter Wehmann: <strong>Freude</strong> 24<br />

Nawab Pasnak: <strong>Freude</strong> und Leid 25<br />

Rabindranath Tagore: Wo <strong>Freude</strong> ihre Feste feiert 27<br />

Rabindranath Tagore: Erfülltes Leben 28<br />

Sri Chinmoy: Das Geheimnis der <strong>Freude</strong> 28<br />

Regina Armaiti Winkler-Reber: „Mudita“ – die mitfühlende <strong>Freude</strong> 32<br />

Zen-Geschichte: Der glückliche Chinese 33<br />

Matthieu Ricard: Glück und <strong>Freude</strong> 34<br />

Rabbi Nachman: Traurigkeit hinter sich lassen und Hoffnung ... 30<br />

William Wolff: Schöpfung Natur 37<br />

Jüdische Witze 39<br />

Eliane Bollag-Strauss: Die Mikwa – Ein Bad, das nicht nur sauber macht 40<br />

Mascha Kaléko: Sozusagen grundlos vergnügt 44<br />

Claudia Nüssen: <strong>Freude</strong> öffnet das Herz 45<br />

Willigis Jäger: Weihnachten heute 46<br />

Anselm Grün: Der Engel der Ausgelassenheit 48<br />

Hafis: Eine Schaukel bauen 49<br />

Rezept: Sultans <strong>Freude</strong> 50<br />

Ali Özgür Özdil: Eine Geschichte: Ömer freut sich auf seinen Vater 51<br />

Texte aus den Heiligen Schriften der Weltreligionen 53<br />

Blick aus dem Fenster: Marzellus’ Garten 55<br />

Filmkritik: Mission Joy – Zuversicht und <strong>Freude</strong> in bewegten Zeiten 56<br />

Buchbesprechung: Liane Dirks: Sein und Werden 58<br />

Projekte 60<br />

<strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong> 3


Vorwort der Redaktion<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

In allen großen Weltreligionen, in den Gedanken der Philosophen seit der<br />

Antike und ganz einfach in unserem Alltag kommt der <strong>Freude</strong> eine besondere<br />

Bedeutung zu. Sie versetzt uns in einen positiven Gemütszustand, hebt manche<br />

Momente aus der Fülle der Erfahrungen hervor, ist für uns ein Wegweiser<br />

auf dem Weg zur Reifung und Selbstverwirklichung. Im Buddhismus ist die<br />

Fähigkeit zur reinen <strong>Freude</strong> (Mudita, als <strong>Freude</strong> an der <strong>Freude</strong> des anderen) eine<br />

der vier grundlegenden Tugenden, die es auf dem Weg zur Verwirklichung zu<br />

erlangen gilt. Wie kann <strong>Freude</strong> ein Wegweiser für unsere Entfaltung sein? Wie<br />

können wir uns überhaupt der <strong>Freude</strong> öffnen, uns für sie bereithalten, wenn<br />

wir gleichzeitig in einer Welt voller Leid, Zerstörung, Naturkatastrophen und<br />

Gewalt leben? Diese Frage ließ einst dem Prinzen Siddharta keine Ruhe und<br />

sie war Antrieb seiner Suche nach einem Weg zur Transformation von Leid.<br />

Einer der Wege der <strong>Freude</strong> ist die Kultivierung von Dankbarkeit für die Segnungen,<br />

die wir bereits erfahren haben – Dankbarkeit, die uns immer wieder<br />

in den Gemütszustand versetzen kann, der die Tür öffnet für die <strong>Freude</strong> an der<br />

Wirklichkeit, an unserer Existenz, am Leben selbst. Hazrat Inayat Khan hat –<br />

wie Wali van der Zwan zeigt – <strong>Freude</strong> und Frieden in seinen Gebeten in einem<br />

unmittelbaren Zusammenhang gesehen. <strong>Freude</strong> ist hierbei eine Herzensqualität,<br />

die es vermag, uns mit der Tiefe unseres Wesens zu verbinden und damit<br />

den Frieden zu erfahren, der unser Wesen ist.<br />

Mit unserer Textauswahl möchten wir die Herzensqualität „<strong>Freude</strong>“ in ihren<br />

vielfachen Erscheinungsformen beleuchten und hoffen, dass Sie – liebe Leserinnen<br />

und Leser – nicht nur <strong>Freude</strong> an unserem <strong>Heft</strong> haben, sondern in Ihrem<br />

Alltag inspiriert werden, dem Pfad der <strong>Freude</strong> zu folgen.<br />

Die Redaktion:<br />

Hans-Peter Baum, Claudia Nüssen, Regina Armaiti Winkler-Reber<br />

4 <strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong>


Hazrat Inayat Khan: Die Musik des Lebens<br />

Hazrat Inayat Khan<br />

Die Musik des Lebens<br />

Um unseren Charakter zu entwickeln, müssen wir zunächst lernen, wie man<br />

der Welt mit all ihren Kümmernissen und Sorgen, ihren <strong>Freude</strong>n und Leiden<br />

entgegentritt. Es ist sehr schwierig, die eigenen Gefühle vor der Welt zu<br />

verbergen, und doch ist es weise, nicht alles, was wir in jedem Augenblick fühlen,<br />

zu zeigen. Menschen reagieren für gewöhnlich ganz mechanisch auf jeden<br />

äußeren Einfluss und jeden inneren Impuls. Auf diese Weise können sie sich oft<br />

nicht an das Gesetz der Musik des Lebens halten.<br />

Für weise Menschen ist das Leben Musik, eine Sinfonie, in der sie einen<br />

bestimmten Part zu spielen haben. Manchmal sind wir gefühlsmäßig so niedergeschlagen,<br />

dass unser Herz in einer tieferen Tonlage erklingt. Wenn das Leben<br />

aber in diesem Moment eine höhere Tonlage von uns verlangt, dann merken<br />

wir, dass wir versagt haben, unseren vorgesehenen Part in der Musik des Lebens<br />

angemessen zu spielen. […]<br />

Frage: Wenn das, was unser äußeres Leben verlangt, sich ziemlich von dem<br />

unterscheidet, was das innere Leben fordert, worauf sollen wir dann hören?<br />

Antwort: In der Bibel finden wir eine wunderbare Antwort auf diese Frage:<br />

„Gib dem Kaiser, was der Kaiser will, und Gott, was Gott will.“ Wir müssen<br />

erfüllen, was das äußere Leben von uns verlangt, und ebenso, was das innere<br />

Leben fordert.<br />

Ein Murshid war mit drei oder vier seiner Murids auf Reisen. Es war in dem<br />

Zeitraum, als die Leute im Osten etliche Tage fasteten. Sie fasteten jeden Tag.<br />

Der Murshid besuchte in einem Dorf das Haus eines Bauern. Der Bauer war so<br />

glücklich, dass der Murshid mit seinen Schülern gekommen war. Seine <strong>Freude</strong><br />

hatte kein Ende. Er ging auf den Markt und kaufte all die guten Sachen, die<br />

er bekommen konnte, und bereitete ein Mittagessen, ohne den Murshid oder<br />

dessen Schüler vorher zu fragen. Dann wurde das Essen auf den Tisch gebracht.<br />

Nach dem religiösen und auch dem spirituellen Gesetz ist es sehr schlimm,<br />

das Fasten zu unterbrechen. Es ist ein heiliges Gesetz, ein religiöses Gesetz. Deshalb<br />

lehnten alle Murids ab, zum Essen zu kommen. Der Bauer konnte nicht<br />

verstehen, warum sie ablehnten. Sie wollten sich mit ihrer religiösen Lebensweise<br />

nicht hervortun, deshalb sagten sie nicht, dass sie gerade fasteten. Aber sie<br />

wollten ihr Gelübde auch nicht brechen. Als der Bauer den Murshid zum Essen<br />

<strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong> 5


Hazrat Inayat Khan: <strong>Freude</strong> und Leid – Worte aus Gayan, Vadan, Nirtan<br />

bat, sagte dieser: „Ja“ und setzte sich fröhlich mit der Familie zu Tisch. Der<br />

Bauer war darüber hocherfreut, und gleichzeitig bedauerte er, dass all die jungen<br />

Männer nicht essen wollten. Sie aber dachten: „Unser Murshid hat es vielleicht<br />

vergessen; vielleicht ist er ganz in seinen Träumen gefangen.“<br />

Als sie ihr Mahl beendet hatten, war der Bauer sehr glücklich. Dann verließ<br />

der Murshid mit seinen Schülern das Haus. Einer seiner mutigen Schüler ging<br />

zu ihm und sagte: „Murshid, es ist mir unangenehm zu fragen, aber haben Sie<br />

vielleicht vergessen, dass wir fasten?“ Er antwortete: „Nein, mein Kind, ich habe<br />

es nicht vergessen, aber ich breche lieber das Fasten, so heilig es auch ist, als das<br />

Herz eines Menschen, der so liebevoll ein Essen für mich zubereitet hat.“ Das<br />

war seine Lehre. Es geht darum, die Anforderungen des Lebens angemessen zu<br />

beantworten. In jenem Augenblick hatte das Leben verlangt, dass der Murshid<br />

sein Fastengelübde nur innerlich einhielt.<br />

aus: Hazrat Inayat Khan, Centennial Edition, Band 3, Die Kunst der Persönlichkeit,<br />

Verlag Heilbronn, 2020, S. 19ff<br />

Hazrat Inayat Khan<br />

<strong>Freude</strong> und Leid – Worte aus Gayan, Vadan, Nirtan<br />

Nichts kann dem Einsichtigen die <strong>Freude</strong> nehmen. (94)<br />

<strong>Freude</strong> und Leid gehören zusammen. Gäbe es keine <strong>Freude</strong>, würde auch das Leid<br />

nicht existieren. Gäbe es kein Leid, könnte die <strong>Freude</strong> nicht erfahren werden. (446)<br />

Genieße das Leben nicht mehr, als das Leben dir zu genießen zubilligt, sonst<br />

wird sich deine <strong>Freude</strong> in Leid verwandeln. (1002)<br />

<strong>Freude</strong>nboten sind immer Kinder des Leids gewesen. (1105)<br />

Im Herzen des Leids ist die Saat der <strong>Freude</strong>. (1446)<br />

Täusche dich nicht, o Nacht: der Morgen wird anbrechen.<br />

Sei auf der Hut, o Dunkelheit: die Sonne wird scheinen.<br />

Sei nicht eitel, o Nebel, es wird wieder klar werden.<br />

Vergiss nicht, mein Kummer: die <strong>Freude</strong> wird sich wieder erheben. (1473)<br />

aus: Hazrat Inayat Khan: „Gayan, Vadan, Nirtan“, Verlag Heilbronn, 1996<br />

6 <strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong>


Hazrat Inayat Khan: Zuerst <strong>Freude</strong> und dann Friede<br />

Hazrat Inayat Khan<br />

Zuerst <strong>Freude</strong> und dann Friede<br />

D<br />

as Geheimnis von allem wird in der Antwort auf die Frage gefunden: „Wozu<br />

ist der Mensch hienieden?“ Die Antwort lautet: „Er ist hier, um zur Erfüllung<br />

seines innersten Wunsches zu gelangen.“ Und was ist dieser allerinnerste<br />

Wunsch? Zuerst <strong>Freude</strong> und dann Friede.<br />

Die Erfüllung der beiden Wünsche geht aber in entgegengesetzter Richtung,<br />

denn <strong>Freude</strong> kommt von der Tätigkeit im Leben und Friede von der Ruhe. Jegliche<br />

Tätigkeit, die die Sinneswerkzeuge genießen, ist ein Aufblitzen der <strong>Freude</strong>.<br />

Größer noch ist die <strong>Freude</strong>, die durch das Innere, durch das Gemüt empfunden<br />

wird, jene <strong>Freude</strong>, die durch etwas Wahrheitsvolles oder Feinsinniges oder<br />

durch einen schönen Gedanken hervorgerufen wird. Welches Entzücken verursacht<br />

gute Kunst, schöne Musik, schöne Dichtung! Diese anhaltende <strong>Freude</strong> ist<br />

wohl größer als diejenige, die eine gute Speise hervorzurufen vermag. Wie viele<br />

würden für ein schönes Gedicht mehr geben als für das köstlichste Gericht!<br />

Aber es gibt eine noch größere <strong>Freude</strong>: die des Herzens, des innersten Wesens<br />

eines Menschen, die <strong>Freude</strong> des Herzens, wann es dazu kommt sich selbst auszudrücken,<br />

zu lieben und geliebt zu werden. In dieser Welt leben viele nur im<br />

Körper; ihr Herz ist tot, ihr Gemüt ist tot; sie suchen nur im Leibe nach der<br />

höchsten <strong>Freude</strong>. Andere aber gibt es, die leben im Gemüte und im Leibe. Es ist<br />

etwa wie der Unterschied zwischen einem nachdenklichen und einem gewöhnlichen<br />

Menschen. Wenn einer nachdenklich wird, so wird er ein anderer Mensch.<br />

Ein solcher wird nicht nur bloß durch die von den Sinneswerkzeugen vermittelten<br />

Erlebnisse erfreut. Ist einmal sein Herz erwacht, so steht er höher als der<br />

Denkende, denn er kann mit anderen fühlen. Seine Gefühle sind erwacht, um<br />

auf andere Rücksicht zu tragen, um anderen zu helfen, um sich für andere zu<br />

opfern. Die Kraft des Mitgefühls nimmt das grobe Selbst – das alles für sich<br />

will – weg. Und sobald dieses geschehen, denkt der Mensch in einer höheren<br />

Art: Was immer ich für andere tun kann, will ich tun, ich will opfern, was ich<br />

habe, das Aufgeben wird mir nicht schwer werden, sondern eine Genugtuung<br />

sein. Das Herz zu befriedigen ist schon viel, es ist ein Teil der <strong>Freude</strong>, aber Friede<br />

ist es nicht.<br />

<strong>Freude</strong> ist die Wunscherfüllung im Weltleben, Friede diejenige des Himmels.<br />

Ein ungestörtes Ausruhen auf einem Lager oder in einem Lehnstuhl kann im<br />

gewöhnlichen Sinne „Frieden haben“ genannt werden; aber wenn auch der Leib<br />

auf weichem Polster ruht, ist damit nicht gesagt, dass auch das Gemüt auf Kis-<br />

<strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong> 7


Hazrat Inayat Khan: Zuerst <strong>Freude</strong> und dann Friede<br />

sen ruht. Kann das Gemüt nicht auch dann Qualen erleiden? Wenn dem so ist,<br />

was nützen dann die Ruhe und das Wohlbefinden des Leibes? Das ganze Wesen<br />

des Menschen muss in Frieden ruhen. Das Gemüt muss Ruhe haben vor Sorgen,<br />

Ängsten und vor der Gier, die uns ehrgeizige Gedanken eingibt, und vor<br />

der Gier, die wir Unrecht oder Sünde nennen.<br />

Erst wenn all dieses Denken und Sorgen aufgegeben ist, kommt das Gemüt<br />

zur Ruhe. Und wenn dann auch das Herz aufgehört hat, Sonderinteressen zu<br />

hegen, und sein Liebeswerk allen in gleichem Maße zukommen lässt, dann<br />

hat auch es Frieden. Wo keinerlei Verlangen mehr ist, da ist Friede, ein Friede,<br />

der zum Seelenfrieden führt. Derart sind die Wünsche, die wir für Friede und<br />

<strong>Freude</strong> hegen. Weiß man nicht, wie diese zwei Wünsche zu zügeln, so geschieht<br />

es, dass bisweilen der Friede des einen Teils unseres Wesens dem anderen die<br />

<strong>Freude</strong> raubt; die <strong>Freude</strong> eines Teils unseres Lebens den anderen Teil unseres<br />

Wesens seines Friedens beraubt. Weiß das der Mensch, so ist er auch imstande,<br />

sich selbst wirklich zu meistern, seine weltlichen Angelegenheiten zu regeln, wie<br />

ihm beliebt – und eine bessere Vorstellung von Recht und Unrecht, von Sünde<br />

und Tugend zu haben.<br />

Diese Erkenntnis wird eher durch die Lebenserfahrung als durch Bücherstudium<br />

erlangt. Wäre uns doch klar, wieviel uns das Ergründen des Lebens sagen<br />

kann! Würde man alle Museen besuchen und alle Bibliotheken durchlesen,<br />

befriedigende Erkenntnis erlangte man dadurch immer noch nicht. Keine Studien,<br />

keine Forschungen können diese Erkenntnis vermitteln, nur das tatsächliche<br />

Durchmachen aller Lebenserfahrungen, das Beobachten der verschiedenen<br />

Lebenslagen in den verschiedenartigsten Phasen und Sphären – nur dies kann<br />

das Ideal des Lebens offenbaren.<br />

Es mag einer von allem wissen, was in der Welt vorgeht, und es jeden Morgen<br />

aus einer Zeitung lesen, aber dabei hat er nur gelernt, womit ihn die Zeitung<br />

gefüttert hat, und das am nächsten Tage oft schon widerrufen wird. Indessen ist<br />

er zufrieden mit dem Gedanken, am Morgen so viel von der Welt erfahren zu<br />

haben. Und abends ist er bereit, bei Tisch die Tagesereignisse zu diskutieren. Am<br />

folgenden Tage gibt es dann wieder etwas Neues. Ist das etwa Wissen?<br />

Wunderbar ist das uns verliehene Auge, wunderbar sind die Gemüts- und<br />

Gedankenkräfte, ein herrlicher Schatz das Licht der Seele! – Und das sollte nur<br />

für solche äußerlichen Dinge vorhanden sein? Wüssten wir um den Wert unseres<br />

Lebens, um den Wert unserer Seele, da würden wir unsere kostbare Zeit<br />

anderem widmen. Wir würden das Leben eingehend beobachten mit einer ruhigen<br />

Aufnahmebereitschaft, und wir würden die Stellungnahme des Gelehrten<br />

mit der Sorgfalt des Wissenschaftlers verbinden.<br />

8 <strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong>


Hazrat Inayat Khan und Samuel L. Lewis : Worte zur <strong>Freude</strong> aus „365 Tage Sufi-Weisheit“<br />

Man soll das Leben nicht so betrachten, wie man ein Schauspiel sich ansieht,<br />

sondern vielmehr wie ein Student, der auf der Hochschule ernstlich studiert.<br />

Es ist das Leben nicht eine vorübergehende Schaustellung, es ist keine Vergnügungsgelegenheit,<br />

bei welcher wir unsere Zeit unnütz verschwenden dürfen. Es<br />

ist eine Gelegenheit, das eigene Leid tragen zu lernen, indem man das Leiden<br />

anderer in Betracht zieht; ferner eine Gelegenheit, nicht nur von denjenigen<br />

zu lernen, die uns gegenüber gütig waren, sondern auch von denen, die uns<br />

unfreundlich begegnet sind. Es ist eine Gelegenheit, bei welcher alle Erfahrungen<br />

– sei es an Enttäuschungen, an Kämpfen und Leiden oder an <strong>Freude</strong>n, Vergnügen<br />

– zum Verständnis und Erkennen dessen beizutragen, was das Leben ist.<br />

aus: Hazrat Inayat Khan: „Aus einem östlichen Rosengarten“,<br />

East-West Publications Fund, o. J., S. 32-36. (verfasst 1920-23, engl. Fassung<br />

in „The Sufi Message“, Bd. VII, S. 29-31)<br />

Hazrat Inayat Khan und Samuel L. Lewis<br />

Worte zur <strong>Freude</strong> aus „365 Tage Sufi-Weisheit“<br />

31. März<br />

Bereits den Namen Gottes auszusprechen, ist ein Segen,<br />

der die Seele mit Licht, <strong>Freude</strong> und Glück erfüllen kann,<br />

wie nichts anderes es vermag.<br />

Obwohl dies wahr sein und in der Wiederholung eines Gottesnamens in<br />

Gedanken oder Worten großer mantrischer Wert liegen mag, ist das Verdienst<br />

nichts verglichen mit der Wirklichkeit, wie sie im Zikr bei der völligen<br />

Auflösung in der Erinnerung an die Einheit erfahrbar ist. Das heißt, diese Erinnerung<br />

ist keine karmische Aktivität, nicht das Ansammeln von etwas Gutem,<br />

für das es vielleicht eine Belohnung gibt, ob im Himmel oder außerhalb. Im<br />

Zikr geschieht dieser Segen tatsächlich. Deshalb ist es nicht so wichtig zu diskutieren,<br />

warum dieser Segen geschieht, sondern zu wissen, dass er geschieht. Das<br />

große Verstehen kommt aus der und durch die lebendige Erfahrung. Gott zu<br />

loben, ist eine Belohnung in sich.<br />

<strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong> 9


Hazrat Inayat Khan und Samuel L. Lewis : Worte zur <strong>Freude</strong> aus „365 Tage Sufi-Weisheit“<br />

28. Juni<br />

Das erwachte Herz sagt:<br />

„Ich bin reif zu geben und nicht zu verlangen.“<br />

Auf diese Weise geht es durch ein Tor,<br />

das zu dauerhaftem Glück führt.<br />

Vielleicht weiß es das Herz nicht, aber die Seele enthält alle Qualitäten, alle<br />

Eigenschaften, alles Wesentliche. Wenn das Herz gibt, zieht es den grenzenlosen<br />

Schatz der Seele an, auch wenn es vielleicht um die Unbegrenztheit dieses<br />

Schatzes gar nichts weiß. Das Ausdehnen des Herzens belebt es und das Zusammenziehen<br />

dämpft es. Das Ausdehnen des Herzens bringt jegliche <strong>Freude</strong> und<br />

Harmonie hervor. Dies geschieht im Zikr und im Fikr, wenn wir realisieren,<br />

dass unser Herz den Schrein Gottes bildet, welcher vollkommen Liebe, Leben,<br />

Licht und Güte ist.<br />

19. Juli<br />

Das wahre Glück der Seele liegt im Erleben innerer <strong>Freude</strong>.<br />

Mit äußeren, scheinbaren Vergnügungen wird sie niemals ganz zufrieden sein.<br />

Sie ist mit Gott verbunden, und nichts Geringeres als<br />

die Vollkommenheit wird ihr je gerecht werden.<br />

Alle Erfahrungen der äußeren Welt können vielleicht das größte Hindernis<br />

oder die größte Hilfe sein – oder auch weder hindern noch helfen. Vergnügen<br />

steht uns im Weg, wenn wir so davon angezogen sind, dass das Herz eingelullt<br />

wird. Vergnügen steht uns auch im Weg, wenn wir Asketen werden und<br />

uns davon fernhalten. In diesem Zustand haben wir die materiellen Aspekte von<br />

Vergnügen vermieden, sind aber vielleicht umso stärker durch den Gedanken<br />

daran gebunden. Ob dieser Gedanke nun positiver oder negativer Natur ist, ob<br />

wir suchen oder vermeiden, wir sind gebunden.<br />

Die Seele sucht nicht und vermeidet nicht. Die Seele befasst sich nicht mit<br />

Gedanken. Sie beschäftigt sich mit der Erfahrung Gottes, und sie kann diese<br />

finden, ohne auf Vergnügen zu achten. Jede Erfahrung kann zu Gott führen. Sie<br />

kann aber auch die Wolken über dem Verstand vermehren und das Herz hart<br />

machen. Nur wenn wir jede Anhaftung an die Erfahrung aufgeben – einschließlich<br />

der Idee der Anhaftung –, kann die Seele Frieden und Ruhe in Gott finden<br />

und sich mit Gott befassen, ganz gleich, wie die Umstände in materieller und<br />

gedanklicher Hinsicht sind.<br />

10 <strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong>


Hazrat Inayat Khan und Samuel L. Lewis : Worte zur <strong>Freude</strong> aus „365 Tage Sufi-Weisheit“<br />

3. Dezember<br />

<strong>Freude</strong> und Leid sind Licht und Schatten des Lebens.<br />

Ohne Licht und Schatten gibt es kein klares Bild.<br />

<strong>Freude</strong> erzeugt Licht und andererseits ist <strong>Freude</strong> das Ergebnis von Licht.<br />

Nichts steht der <strong>Freude</strong> im Weg außer einer falschen Vorstellung des Selbst.<br />

Wir können deshalb sowohl der <strong>Freude</strong> als auch dem Leid entkommen, indem<br />

wir der Vorstellung entkommen.<br />

Bilder entstehen durch Abweichungen in Helligkeit und Dunkelheit und<br />

auch in der Farbe. In wahrer Liebe existieren solche Abweichungen nicht. Der<br />

Verstand wurde geschaffen, damit die Seele das Leben an der Oberfläche sehen<br />

kann. Und es ist der Verstand, der alle Arten von Licht und Schatten und Farbe<br />

erfassen kann. Deshalb sind <strong>Freude</strong> und Leid im Grunde Zustände des Verstandes.<br />

Der reine Wesenskern des Verstandes kennt kein Leid, das vom Gedanken<br />

des Selbst herrührt. Und er kennt auch keine <strong>Freude</strong>, obwohl sein Zustand sich<br />

nicht von dem unterscheidet, was wir <strong>Freude</strong> nennen.<br />

Der Grund, warum wir <strong>Freude</strong> als <strong>Freude</strong> erleben, liegt darin, dass sie von<br />

dem Zustand, den wir bei Leid, Schmerz und Schwierigkeiten empfinden, verschieden<br />

ist. Eine verwirklichte Seele empfindet kein Leid, keinen Schmerz und<br />

keine Schwierigkeit mehr. Folglich sind wir in den höheren Bewusstseinszuständen<br />

nicht mehr berauscht davon, sondern erkennen, dass sie natürlicher sind als<br />

der gewöhnliche Zustand des Lebens.<br />

aus: „365 Tage Sufi-Weisheit. Die Schale des Saki“ von<br />

Hazrat Inayat Khan mit Kommentaren von Samuel L. Lewis, Verlag Heilbronn, 2018<br />

Hazrat Inayat Khan (1882-1927) kam auf seinen Reisen zur Verbreitung der Botschaft<br />

von „Liebe, Harmonie und Schönheit“ mehrmals nach Kalifornien.<br />

Dabei lernte<br />

Samuel L. Lewis (1896-1971) als junger Mann den „Lehrer seines Herzens“ kennen<br />

und bekam von ihm u. a. den Auftrag, spirituelle Kommentare zu seinen Büchern<br />

zu verfassen. Er ließ sich von den Worten Al-Ghazalis, des Sufis aus dem 11. Jahrhunderts,<br />

leiten: „Sufismus stützt sich auf Erfahrungen, nicht auf Annahmen.“Hazrat<br />

Inayat Khan (1882-1927) kam auf seinen Reisen zur<br />

Verbreitung der Botschaft von „Liebe, Harmonie und<br />

Schönheit“ mehrmals nach Kalifornien. Dabei lernte<br />

Samuel L. Lewis (1896-1971) als junger Mann den „Lehrer<br />

seines Herzens“ kennen und bekam von ihm u. a.<br />

den Auftrag, spirituelle Kommentare zu seinen Büchern<br />

zu verfassen. Er ließ sich von den Worten Al-Ghazalis,<br />

des Sufis aus dem 11. Jahrhunderts, leiten: „Sufismus<br />

stützt sich auf Erfahrungen, nicht auf Annahmen.“<br />

<strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong> 11


Pir Zia Inayat Khan: Über den größeren Kampf<br />

Pir Zia Inayat Khan<br />

Über den größeren Kampf<br />

Als Adam und Hawwa – Friede sei mit ihnen – im Paradiesgarten wohnten,<br />

war Gott, der Allerhöchste, ihnen immer vor Augen. Aber sein göttliches<br />

Licht blendete sie nicht und die Strahlen durchbohrten nicht ihre Herzen.<br />

Ihnen war die Dunkelheit fremd, und so konnten sie die Bedeutung des Lichtes<br />

nicht erkennen. Deshalb verordnete der Schöpfer ihnen das Exil und vertrieb sie<br />

aus dem Paradies in die Trostlosigkeit der Verbannung, damit sie eines Tages die<br />

große <strong>Freude</strong> der Heimkehr erfahren könnten. Was kommen wird ist besser für<br />

euch als das, was ihr verloren habt. So fielen sie aus der Einheit in die Vielfalt,<br />

aus dem Einssein in das Getrenntsein. Sie verloren das Paradies des Seins und<br />

fanden sich wieder im Dschungel des Werdens.<br />

Das Wissen über die Welt ist die Frucht, die den Menschen in den Dschungel<br />

getrieben hat, und die Liebe Gottes ist die Frucht, die ihn zurück in das Paradies<br />

führt. Es war die Pflicht von Iblis, die Frucht des Wissens anzubieten, und es<br />

ist die Aufgabe des Botschafters, die Frucht der Liebe gedeihen zu lassen. Die<br />

Frucht der Liebe ist anders als alle anderen Früchte. Zuerst schmeckt sie süß,<br />

dann bitter und am Ende bittersüß. Sie ist giftig und zugleich eine wirksame<br />

Medizin. Wer von ihr isst, wird die Qualen des Todes erleiden, aber nach einiger<br />

Zeit wieder auferstehen, lebendiger als zuvor. Das Selbst wird sterben und<br />

wieder auferstehen in der göttlichen Wirklichkeit.<br />

Mein Sohn, iss die Frucht der Liebe Gottes und kehre zurück in seinen Garten.<br />

Nimm mit deinem Atem die Düfte der Rosenzeit auf. Die Namen des<br />

Allerhöchsten sind Samen. Wenn sie sich, vom Wasser deiner Gottesverehrung<br />

getränkt und von der Sonne deines Glaubens beschienen, in deinem innersten<br />

Grund regen, dann wird der Paradiesgarten in dir aufkeimen. Wie eine Knospe<br />

wird dein Herz ein Blütenblatt nach dem andern öffnen und ein rubinrotes<br />

Licht und eine berauschende Duftessenz ausströmen. Danach wirst du in deiner<br />

rechten Brust ein Flattern spüren und – siehe da! – eine weitere Blume wird sich<br />

entfalten, eine weiße Blüte, durchscheinender als die rote auf der linken Seite<br />

der Brust, eine hauchzarte Blüte von überirdischer Schönheit. Wenn du ihren<br />

erlesenen Duft einatmest, wirst du ihn als die Essenz der Reinheit erkennen. Für<br />

das gebieterische und das tadelnde Selbst ist dieser Duft ein Schlafmittel. Lass<br />

die Widersacher ruhig einschlafen, dann wird das friedvolle Selbst erwachen.<br />

Jetzt wird in der Mitte deiner Brust eine Knospe aufgehen. Ihr Licht ist goldgrün.<br />

Während sich ihre Blütenblätter öffnen, wird sich dein ursprüngliches<br />

12 <strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong>


Pir Zia Inayat Khan: Über Almosen<br />

Wesen zeigen. Im Garten wird der Sommer ausbrechen. Aus deiner Stirn und<br />

deinem Kronenzentrum, aus deinem Bauch und deinem Steißbein, aus deinen<br />

Handflächen und den Sohlen deiner Füße werden Blüten sprießen. Dein<br />

Fleisch wird zu fruchtbarem Boden, durch deine Adern fließt ein klarer Strom.<br />

Schmetterlinge werden auf dem Hauch deines Atems schweben.<br />

Wenn alles in voller Blüte steht, ein einziger Schwall von Farben und Düften,<br />

dann wird die Zunge jeder Blume die folgenden Worte sprechen, und du wirst<br />

wissen, dass du heimgekehrt bist:<br />

O du friedvolles Selbst,<br />

kehre zurück zu deinem Herrn,<br />

voll zufrieden und zu seiner vollen Zufriedenheit!<br />

Tritt ein in den Kreis meiner Verehrer,<br />

tritt ein in meinen Garten!<br />

aus: Pir Zia Inayat Khan: „Ritterliche Tugenden im Alten Orient“,<br />

Kap. 7, Über den größeren Kampf, Verlag Heilbronn 2016, S. 60ff<br />

Pir Zia Inayat Khan<br />

Über Almosen<br />

M<br />

ein Sohn, die rituelle Pflicht des Almosenspendens erfordert, dass du dein<br />

Geld und Gut reinigst, indem du jedes Jahr den vierzigsten Teil deines<br />

Besitzes den Bedürftigen gibst. So viel ist vorgeschrieben. Gib es mit <strong>Freude</strong>n,<br />

ohne Bedauern in dem Wissen, dass du mit dieser Handlung ein spirituelles<br />

Gebot erfüllst.<br />

Über diesen vorgeschriebenen vierzigsten Teil hinaus gib freiwillig und oft.<br />

Wenn dein Leben sich dem Ende zuneigt, so wie es jetzt für mein Leben gilt,<br />

wirst du erkennen, dass das, was du wirklich besitzt, nur das ist, was du gegeben<br />

hast. Unser Prophet – Friede und Segen sei mit ihm – erhielt einst ein Lamm<br />

als Geschenk. Er zerlegte das Fleisch und verteilte es. Am Ende blieb nur noch<br />

der Hals übrig – ein ziemlich unappetitlicher Bissen! A'’isha – Gott segne sie<br />

– klagte: „Nichts als der Hals ist geblieben.“ Der Prophet antwortete: „Alles ist<br />

geblieben außer dem Hals.“<br />

Im Bazar preisen die Verkäufer ihre Waren an, die Kunden nörgeln und feilschen,<br />

Geld und Waren werden getauscht, und jeder sucht seinen eigenen Vor-<br />

<strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong> 13


Projekte<br />

Die Sufi-Saint-School in Ajmer/Indien<br />

Seit 25 Jahren vermittelt die Sufi-Saint-School Bildung und universelle ethische Werte<br />

für eine bessere Zukunft der Kinder, insbesondere auch für die Förderung von Mädchen.<br />

Dank der Unterstützer ist die Sufi-Saint-School eine „Privatschule für Arme“; denn die<br />

geringen Schulgebühren richten sich nach dem, was die meist armen Eltern bezahlen<br />

können. Die Schüler aus ganz armen Familien können die Sufi-Saint-School völlig kostenlos<br />

besuchen, dank Ihrer Patenschafts-Stipendien (84 Euro jährlich). Das Ziel der<br />

Sufi-Saint-School ist es, Kinder verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zusammen zu<br />

bringen, ungeachtet ihrer Kaste, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion und ihres Geschlechts,<br />

um ihnen eine kostenlose oder kostengünstige Bildung zu ermöglichen, als Basis für<br />

eine Zukunft, in der sie sich selbst erhalten können. Unsere Schule möchte den Schülern<br />

das Gefühl von Harmonie, Frieden und universeller Brüderlichkeit vermitteln,<br />

damit sie bessere Bürger dieser Welt werden können.<br />

Spendenkonto: Förderverein Sufi-Saint-School e. V.<br />

Kto.-Nr.:4026679400 • BLZ: 43060967 (GLS Bank)<br />

IBAN DE09 4306 0967 4026 6794 00<br />

Weitere Informationen finden Sie unter: www.sufi-saint-school-ev.de<br />

Das Hope Project in Basti / New Delhi<br />

Trotz der wachsenden Zahl von Menschen, die verzweifelt auf unsere Hilfe angewiesen<br />

sind, konnten wir meist helfen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Die Mehrzahl<br />

der Hilfesuchenden sind Frauen und Mädchen. Von der Kinderkrippe über die Schule<br />

bis zu unseren Ausbildungsprogrammen nehmen wir Einfluss auf das Leben der armen<br />

und unterprivilegierten Menschen im Stadtteil Basti von Delhi. Wir sind zutiefst dankbar<br />

für die Spenden derer, die unsere Arbeit unterstützen.<br />

Spendenkonten des Dargah Hazrat Inayat Khan Hope Projects<br />

Deutschland: Verein Lebenshilfe Indien, IBAN DE25 4786 0125 1444 7305 00<br />

„Spende für Hope Project“<br />

Niederlande: Stichting Hazrat Inayat Khan Dargah, „Hope Project“,<br />

IBAN NL36TRIO0212484001, BIC TRIONL2U, Kennwort: „Hope Project"<br />

Schweiz: Förderverein „Hope Projekt“, CH11 8009 7000 0064 84307<br />

Raiffeisenbank Laufental-Thierstein, 4242 Laufen<br />

Österreich: Indienhilfe, IBAN AT17 1400 0032 2013 7570, BIC BAWAATWW<br />

„Spende für Hope Project"<br />

Viele weitere Informationen auf der Homepage des Hope Projekts:<br />

www.hope-project.de<br />

60 <strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong>


Projekte<br />

Die Abrahamic Reunion e. V. (früher: Global Hope Fund e. V.)<br />

Die Abrahamic Reunion ist eine beständig wachsende Gruppe von religiösen und spirituellen<br />

Führungspersönlichkeiten in Israel und Palästina. Einige dieser Menschen sind<br />

hochrangige religiöse Würdenträger, andere wiederum engagierte spirituelle Friedensarbeiterinnen<br />

und Friedensarbeiter. Der Global Hope Fund e. V. unterstützt die Abrahamic<br />

Reunion.Weitere Informationen finden Sie unter: www.abrahamicreunion.org<br />

Spendenkonto: Abrahamic Reunion e. V.<br />

GLS Bank • IBAN: DE53 4306 0967 7911 7358 00 • BIC: GENODEM1GLS<br />

Das Projekt „Musik für Frieden und Völkerverständigung“ ist eine internationale<br />

private Initiative, die im April 2017 die Form eines eingetragenen gemeinnützigen<br />

Vereins gefunden hat. Sie ist aus einer Reihe von Aufführungen der H-Moll-Messe<br />

von Johann Sebastian Bach hervorgegangen, die durch den Mystiker Vilayat Inayat<br />

Khan inspiriert wurden: 1996 in Dachau auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte, 1999<br />

in Ottobeuren, 2006 in Paris, 2010 in Frankfurt und zur Jahreswende 2016/2017 in<br />

Jerusalem, Bethlehem und Nazareth sowie 2018 in Wien. Ein Chor mit 120 Sängerinnen<br />

und Sängern und ein 30-köpfiges Orchester vereinte dort Menschen aus den Niederlanden,<br />

Belgien, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Deutschland, England, den<br />

USA, Israel, Australien, Russland und Kolumbien.<br />

Die Durchführung der Friedenskonzerte wird von den Teilnehmern selbst und über<br />

Spenden finanziert. Allen Spendern unseren großen Dank. Schauen Sie doch auf unsere<br />

Website oder schreiben Sie einen Kommentar www.music-for-peace.net<br />

Musik für Frieden und Völkerverständigung e. V. • Talstraße 29a • D-78112 St.Georgen<br />

Vereins- und Spendenkonto:<br />

GLS Bank • IBAN: DE04 4306 0967 7045 6716 00 • BIC: GENODEM1GLS<br />

Verein „Buch und Mystik e. V.“<br />

Freunde des Universalen Sufismus und Mitglieder Inayatiyya sowie der Sufi Ruhaniat<br />

haben im Februar 2018 den Verein „Buch und Mystik“ gegründet, um die Verwirklichung<br />

für moderne zeitgemäße Publikationen (Print, Digital, Audio, Video), Websites,<br />

Blogs etc. nach Hazrat Inayat Khan und seiner Nachfolger in deutscher Sprache zu<br />

unterstützen. Buch und Mystik e. V. fördert die Finanzierung von Übersetzungen. Der<br />

Verein unterstützt oder organisiert ebenso Veranstaltungen zur Literaturvermittlung (z.<br />

B. Lesungen, Buchvorstellungen, Diskussionen). Wichtig ist ihm neben der Erweiterung<br />

von Medienkompetenz auch eine Lese- und Erzählkultur, die dem Verständnis<br />

und Respekt für verschiedene Religionen und Kulturen Rechnung trägt. Er kooperiert<br />

mit den Organisationen des Universalen Sufismus und anderen Organisationen zur Förderung<br />

von gesellschaftlicher Toleranz im Allgemeinen und besonders der Förderung<br />

der Toleranz zwischen Menschen verschiedener Religionen. Damit dient der Verein<br />

letztlich der Völkerverständigung und Friedensbildung.<br />

Buch und Mystik e. V. • Kontakt: info@buchundmystik.de • www.buchundmystik.de<br />

Spendenkonto: Vereinigte Sparkassen Weilheim,<br />

IBAN: DE33 7035 1030 0032 4554 61 • BIC: BYLADEM1WHM<br />

<strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong> 61


Impressum | Mitteilungen vom Verlag Heilbronn<br />

Impressum<br />

<strong>SIFAT</strong> – Zeitschrift für Universalen Sufismus<br />

ISSN 1420-1712<br />

Gegründet 1972 von Karima Sen Gupta, von 1997 - 2016 von Marita Ischtar Dvořák und<br />

Wolfgang Huraksh Meuthen herausgegeben<br />

Herausgeber und Redaktion:<br />

Hans-Peter Baum hpbaum@nord-com.net 0049-(0)421 353528<br />

Claudia Nüssen claudianuessen@t-online.de 0049-(0)40 215439 (V. i. S. d. P.)<br />

Regina Armaiti Winkler-Reber rwinklerreber@posteo.de 0049(0)731-7187642<br />

Foto Cover: 78677870 © Peter Verreussel | Dreamstime.com<br />

<strong>SIFAT</strong><br />

erscheint in der Regel dreimal jährlich zum Selbstkostenpreis<br />

Preise ab 2020: € 18,00 pro Jahr für 3 <strong>Heft</strong>e inkl. Versand – Abonnement<br />

Geschenk-Abonnement – € 18,00 für 3 <strong>Heft</strong>e (1 Jahr)<br />

€ 23,70 pro Jahr für 3 <strong>Heft</strong>e als Printausgabe und als eBook<br />

€ 3,80 als PDF-Book Einzelkauf über unseren Shop | ABO € 11,00<br />

€ 6,00 zzgl. Versandkosten für Einzelhefte, soweit lieferbar<br />

Zahlbar in Euro: Konto Verlag Heilbronn, Josef Ries, Postbank<br />

IBAN: DE54 7001 0080 0714 0168 02 BIC: PBNKDEFF<br />

Vertrieb, Bestellungen und Abonnentenverwaltung:<br />

Verlag Heilbronn, Josef Ries, Kaiser-Heinrich-Straße 37, D-82398 Polling<br />

sifat@verlag-heilbronn.de www.verlag-heilbronn.de<br />

Tel. 0049 (0)881-9275351 Fax 0049 (0)881-9275352<br />

Bestellungen über unsere Homepage: www.verlag-heilbronn.de<br />

Email oder per Brief – bitte vollständige und deutliche Absenderangaben<br />

Abbestellungen zum Ende des bezahlten ABOs sind jederzeit möglich<br />

Folgende <strong>SIFAT</strong>-<strong>Heft</strong>e sind noch lieferbar:<br />

<strong>Heft</strong> 2 / <strong>2023</strong> – Abschied<br />

<strong>Heft</strong> 1 / <strong>2023</strong> – Freiheit<br />

<strong>Heft</strong> 3 / 2022 – Frieden<br />

<strong>Heft</strong> 2 / 2022 – Angst ausatmen – Mut einatmen<br />

<strong>Heft</strong> 1 / 2022 – Hoffnung<br />

<strong>Heft</strong> 3 / 2021 – Nächstenliebe<br />

<strong>Heft</strong> 2 / 2021 – Heilung<br />

<strong>Heft</strong> 1 / 2021 – Klangbrücken<br />

<strong>Heft</strong> 3 / 2020 – Kraftquellen<br />

<strong>Heft</strong> 2 / 2020 – AUFeinander achten<br />

<strong>Heft</strong> 1 / 2020 – Die Erde lieben<br />

<strong>Heft</strong> 3 / 2019 – Religion und Wissenschaft II<br />

<strong>Heft</strong> 2 / 2019 – Religion und Wissenschaft<br />

<strong>Heft</strong> 1 / 2019 – Glaube und Zweifel<br />

<strong>Heft</strong> 3 / 2018 – Mutige Frauen – Gelebte Spiritualität<br />

<strong>Heft</strong> 2 / 2018 – Sonderheft: Noor-un-Nisa Inayat Khan<br />

<strong>Heft</strong> 1 / 2018 – Sehnsucht der Seele<br />

<strong>Heft</strong> 3 / 2017 – Geschwisterlichkeit<br />

<strong>Heft</strong> 2 / 2017 – Gerechtigkeit<br />

<strong>Heft</strong> 1 / 2017 – Opfer und Opfern<br />

<strong>Heft</strong> 2 / 2016 – Religion und Liebe<br />

<strong>Heft</strong> 1 / 2016 – Ein menschenfreundlicher Islam<br />

62 <strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong>


Neuerscheinungen vom Verlag Heilbronn<br />

Die Herz-Rhythmus-Meditation<br />

Ein Praxisbuch für Energie, <strong>Freude</strong> und<br />

seelische Gesundheit<br />

Das Buch stellt eine Meditationsmethode vor, die auf der<br />

Koordination von Herzschlag und Atem beruht. Es zeigt,<br />

wie wir unsere Herzschläge bewusst wahrnehmen und<br />

dadurch Kontakt mit unserem grundlegendsten Rhythmus<br />

und unseren tiefen Gefühlen aufnehmen können.<br />

Mit fein aufeinander abgestimmten Übungen zur Koordination<br />

von Atem und Herzrhythmus vermitteln die<br />

Autoren eine umfassende Anleitung, um das Herz in all<br />

seinen Aspekten vollständig zu entwickeln. Diese werden<br />

ergänzt mit Erfahrungsberichten, Zitaten aus der Wissenschaft<br />

und Lehrtexten aus verschiedenen spirituellen Traditionen.<br />

Die Übungen kann man für sich selbst oder in einer Gruppe erlernen.<br />

Puran und Susanna Bair | Dezember <strong>2023</strong> | 379 Seiten | € 34,80 | ISBN 978-3-936246-52-0<br />

Dieses Buch ist auch als PDF-Book über unsere Homepage erhältlich | € 28,00<br />

Heilige Ströme<br />

Die mystische Einheit der Religionen und der Sufismus<br />

Gestützt auf den Koran, prophetische Überlieferungen,<br />

klassische Sufi-Sprüche, traditionelle Geschichten und<br />

Verse aus arabischen, persischen und Urdu-Divanen,<br />

untersucht „Heilige Ströme“ die inneren Lehren von Hinduismus,<br />

Buddhismus, Zoroastrismus, Judentum, Christentum<br />

und Islam aus der Perspektive der Sufi-Gnosis<br />

„Heilige Ströme“ erinnert uns auf vielfältige Weise an<br />

die Wurzeln unserer Existenz, unsere Perspektiven auf<br />

das Leben und an unsere Beziehung zum Göttlichen. Dabei zeigen die Beispiele<br />

aus den verschiedenen spirituellen Traditionen, wie viel Gemeinsames sich in<br />

diesen sehr poetischen Weisheiten verbirgt.<br />

Pir Zia Inayat Khan | Dezember <strong>2023</strong> | 294 Seiten | € 39,80 | ISBN 978-3-936246-53-7<br />

Dieses Buch ist auch als PDF-Book über unsere Homepage erhältlich | € 23,00<br />

Unsere Bücher sind über Ihre Buchhandlung oder über unseren Verlagsshop<br />

www.verlag-heilbronn.de erhältlich<br />

<strong>SIFAT</strong> 3 | <strong>2023</strong> – <strong>Freude</strong> 63


Katharina Elisabeth Goethe<br />

Rezept für das neue Jahr<br />

Man nehme 12 Monate,<br />

putze sie ganz sauber von Bitterkeit, Geiz,<br />

Pedanterie und Angst,<br />

zerlege jeden Monat in 30 oder 31 Teile,<br />

so dass der Vorrat genau für ein Jahr reicht.<br />

Es wird jeden Tag einzeln angerichtet<br />

aus einem Teil Arbeit und zwei Teilen Frohsinn und Humor.<br />

Man füge drei gehäufte Esslöffel Optimismus hinzu,<br />

einen Teelöffel Toleranz, ein Körnchen Ironie<br />

und eine Prise Takt.<br />

Dann wird die Masse reichlich mit Liebe übergossen.<br />

Das fertige Gericht schmücke man mit Sträußchen<br />

kleiner Aufmerksamkeiten und<br />

serviere es täglich mit Heiterkeit.<br />

Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808) war<br />

die Mutter von Johann Wolfgang von Goethe.<br />

Der Sohn schrieb über seine Mutter: „Vom Vater<br />

hab ich die Statur, des Lebens ernstes Führen,<br />

vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu<br />

fabulieren.“

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