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Jahresbericht 2022 von Wohnbaugenossenschaften Zürich
Jahresbericht 2022 von Wohnbaugenossenschaften Zürich
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VERDICHTEN STATT<br />
VERNICHTEN<br />
Ein Palaver über Zielkonflikte im<br />
Wohnungsbau<br />
Eigentlich – das möchte ich vorwegnehmen – ist<br />
zum vorliegenden Thema ja alles gesagt. Es sind<br />
sämtliche Perspektiven ausgeleuchtet und die<br />
bekannten Positionen erörtert. Die Zielkonflikte<br />
liegen auf dem Tisch. Sie sind immens. Die 11.<br />
Fachtagung des gemeinnützigen Wohnungsbaus<br />
von Anfang Dezember letzten Jahres zum Thema<br />
«Weiter-Bauen» legte davon ein beredtes Zeugnis<br />
ab. Was kann also der hier schreibende Architekturhistoriker,<br />
abgesehen von seiner persönlichen<br />
Meinung, in diese Debatte noch substanzielles<br />
einbringen?<br />
Noch eine Perspektive, muss das sein?<br />
Zunächst die Selbstdeklaration: Naturgemäss sieht<br />
er sich eher als Fürsprecher der Bestandesbauten.<br />
Er glaubt an deren Aura und an die integrative<br />
Kraft des Vertrauten. Er argumentiert dabei nicht<br />
exakt. In Grafiken übersetzte Kennzahlen als Entscheidungsgrundlagen<br />
kann er keine vorlegen.<br />
Seine Beweismittel sind in Prosa verfasst und sie<br />
sind Appelle aus einer distanzierten Perspektive.<br />
Der unmittelbare Bezug zu den konkreten Herausforderungen<br />
der involvierten Akteure fehlt.<br />
Aber vielleicht ist es ja genau das, was in der<br />
Debatte noch zu wenig eingebracht wurde und<br />
auch an besagter Tagung als Standpunkt nicht<br />
vertreten war.<br />
Erlauben Sie mir die fragmentarische Nacherzählung<br />
der Wohnbaudebatte. Wir stellen fest, wie<br />
diese immer komplexer geworden ist. Immer mehr<br />
Figuren stehen auf dem Spielbrett und jede verfolgt<br />
eine eigene Agenda. Es sind dies in gebotener<br />
Vereinfachung des Sachverhalts:<br />
Spielerin 1: Die gemeinnützige Bauträgerin. Zentrale<br />
Mission: Schaffung und Verwaltung von im<br />
besten Wortsinn «gutem», der Spekulation entzogenem<br />
Wohnraum für möglichst viele Menschen.<br />
Ihre Anliegen sind konkret, sozial und also sehr<br />
stark. Spielerin 2: Die öffentliche Hand. Zentrale<br />
Mission: Gesunde Stadtentwicklung unter Berücksichtigung<br />
der ganzen Komplexität einer hochdifferenzierten<br />
politischen Einheit.<br />
Spieler 3: Der Ortsbild- und Denkmalschützer.<br />
Zentrale Mission: Pflege und Erhalt von Baukultur.<br />
Er zieht im konkreten Einzelfall oft den Kürzeren,<br />
hat aber gewisse Rechtsmittel auf seiner Seite.<br />
Spieler 4: Der Klimaschützer. Zentrale Mission:<br />
Genau, das Klima schützen. Er ist der Gutmensch,<br />
dessen Argumente eigentlich Trumpf sind und jene<br />
aller anderen Spielerinnen und Spieler ausstechen.<br />
Die Komplexität nimmt zu<br />
Am Anfang des Spiels steht das Sparring zwischen<br />
Spielerin 1 und Spielerin 2. Nicht selten,<br />
wie im Beispiel der Stadt Zürich, sind sie sogar<br />
deckungsgleich. Die gemeinnützigen Wohnbauträgerinnen<br />
haben nach dem Ersten Weltkrieg ihre<br />
erste grosse Zeit. Eklatant ist der Wohnungsmangel<br />
in den Zentren, und als Selbsthilfeorganisationen<br />
der Arbeiterschaft helfen sie entscheidend mit,<br />
die soziale Frage zu mildern. Von gemeinsamen<br />
Zielen ist die Rede. Konflikte gibt es nicht.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholt sich die<br />
Geschichte. Die Wohnungsnot ist noch grösser<br />
und jetzt hilft sogar der Staat mit und subventioniert<br />
den Wohnungsbau im grossen Stil. Ganze<br />
Stadtteile entstehen aus überwiegend gemeinnützigen<br />
Wohnbauten. Wir kennen sie in Zürich<br />
Schwamendingen oder im Berner Wylergut. Der<br />
Städtebau: copy & paste von Häuserzeilen, zweibis<br />
dreigeschossig. Die Architektur: schlicht und<br />
klug zugleich. Noch ist viel Platz, Konflikte sind<br />
weiterhin keine in Sicht.<br />
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