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BRENNPUNKT<br />
„Südtirol schaut nicht auf die jungen Leute“<br />
AM ANFANG STAND DAS STUDIUM, DANN FOLGTE DER TRAUMJOB: DIE EVENTMANAGERIN NOEMI STEINHAUSER AUS<br />
SIEBENEICH LEBT SEIT 8 JAHREN IN WIEN – UND KEHRT DER HEIMAT ZUMINDEST DERZEIT DEN RÜCKEN.<br />
Barbara Franzelin<br />
<strong>Die</strong> Weinstraße: War es immer schon dein<br />
Wunsch im Ausland leben und arbeiten<br />
zu können?<br />
Noemi Steinhauser: Ich habe mir nie<br />
Gedanken darüber gemacht, wo ich leben<br />
und arbeiten will. Während meiner<br />
Studienzeit habe ich ein Jobangebot bekommen,<br />
zu dem ich nicht Nein sagen<br />
konnte. Mittlerweile bin ich das fünfte Jahr<br />
in demselben Unternehmen tätig und denke<br />
momentan nicht daran, in die Heimat<br />
zurückzukehren.<br />
Was hält dich in Wien?<br />
Wenn ich mir Gedanken über die Zukunft<br />
mache, finde ich immer mehr Argumente,<br />
die mich dazu bringen, hier in<br />
Wien zu bleiben. Während der Coronazeit<br />
hat sich Österreich als Sozialstaat erwiesen<br />
und die Bürger wurden unabhängig<br />
vom Einkommen mit Gutscheinen oder<br />
Einmalzahlungen unterstützt. Auch jetzt<br />
unterstützt der Staat einen mit Klimaboni<br />
und Anti-Teuerungsboni. <strong>Die</strong> Anträge sind<br />
unkompliziert, die Abläufe einfach und die<br />
Abwicklung erfolgt reibungslos.<br />
Welche Vorteile bieten sich dir in Österreich<br />
noch?<br />
Es gibt eine Reihe von Wohnmodellen,<br />
von denen man in Südtirol nur träumen<br />
kann. Junge Wohnungssuchende werden<br />
von der Stadt bei der Suche nach einer<br />
leistbaren Wohnung unterstützt, es gibt<br />
Jedes Johr, so sogn die Zåhln<br />
Ziagn über 1000 Junge weck<br />
Oftmols Köpf‘ de Südtirol fahln<br />
Wieso, frog man sich, gibt’s des Leck?<br />
Es sein net olm lei Geld, Karriere<br />
Der Grund dass man lei Hinfahrt buacht,<br />
Oft isches die geistige Leere<br />
Wegn der måncher es Weite suacht.<br />
TIRGGTSCHILLER<br />
Aktionen für Lehrlinge und Jungarbeitnehmer,<br />
bei der eine Ein-Zimmer-Wohnung<br />
zur Verfügung gestellt wird. Für<br />
junge Menschen gibt es neue Bauprojekte<br />
mit Unterstützungen vom Staat, zudem<br />
stehen Genossenschaftswohnungen zur<br />
Verfügung, bei denen man nach einer gewissen<br />
Zeit und einem Mietverhältnis den<br />
Restbetrag abzahlen und die Wohnung<br />
kaufen kann. Auch im Gesundheitswesen<br />
ist vieles anders, es besteht volle Kostenübernahme<br />
in vielen Bereichen und es gibt<br />
kaum Wartezeiten.<br />
Unser Land soll „enkeltauglich“ werden<br />
und trotzdem wandern 1500–2000 Jugendliche<br />
und junge Erwachsenen jährlich<br />
aus. Wo liegt das Problem?<br />
Ich glaube das Problem liegt daran,<br />
dass viele, die ins Ausland gehen, schnell<br />
merken, dass die Welt mehr zu bieten hat,<br />
als man es in Südtirol gewohnt ist. Leider<br />
erfahre ich von Freunden, die nach dem<br />
Studium zurückkehren, aufgrund fehlender<br />
Berufserfahrung keine angemessene<br />
Stelle finden und einen sehr niedrigen<br />
Lohn bekommen. Wir sprechen da von<br />
einem Praktikanten-Monatsgehalt von<br />
500 bis 900 Euro netto. Da stellt sich die<br />
Frage, wie man damit eine Monatsmiete<br />
bezahlen soll. Leistbares Wohnen ist eine<br />
leere Worthülse und wieder zurück ins<br />
Elternhaus wollen die wenigsten. Südtirol<br />
schaut nicht auf die jungen Leute.<br />
ˆ<br />
Noemi Steinhauser fühlt sich in ihrer<br />
Wahlheimat Wien sehr wohl<br />
Quelle: Noemi Steinhauser<br />
Ist Südtirol für junge Menschen schlichtweg<br />
nicht mehr attraktiv?<br />
Ich habe bereits früh gemerkt, dass<br />
junge Menschen in Südtirol nicht die Priorität<br />
sind. Natürlich spreche ich da für<br />
mich, wenn ich sage, dass zum Beispiel<br />
das Nacht- beziehungsweise Abendleben<br />
in Bozen der Jugend immer mehr untersagt<br />
wird – zu laut, zu wild, Ruhestörung usw.<br />
Ich habe mich schon immer gefühlt, als<br />
würde ich in einer Pensionistenstadt leben.<br />
Wir wollen ein Leben, wo Jung und Alt ein<br />
harmonisches Miteinander leben können.<br />
Welche Kehrtwende müsste Südtirol machen,<br />
damit du zurückkommst?<br />
Ich schließe eine Rückkehr nach Südtirol<br />
nicht aus, denn Heimat ist Heimat und ich<br />
liebe den Ort, an dem ich aufgewachsen<br />
bin. Eigentlich wäre Südtirol der perfekte<br />
Ort, um eine Familie zu gründen, allerdings<br />
würden wir mehr Leistungen im wirtschaftlichen<br />
und sozialen Bereich brauchen.<br />
Würde die junge Generation denselben<br />
Stellenwert wie der Tourismus bekommen,<br />
gäbe es viel mehr Rückkehrer.<br />
22 // JUNI <strong>2023</strong>