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Die Weinstaße - Juni 2023

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BRENNPUNKT<br />

„Südtirol schaut nicht auf die jungen Leute“<br />

AM ANFANG STAND DAS STUDIUM, DANN FOLGTE DER TRAUMJOB: DIE EVENTMANAGERIN NOEMI STEINHAUSER AUS<br />

SIEBENEICH LEBT SEIT 8 JAHREN IN WIEN – UND KEHRT DER HEIMAT ZUMINDEST DERZEIT DEN RÜCKEN.<br />

Barbara Franzelin<br />

<strong>Die</strong> Weinstraße: War es immer schon dein<br />

Wunsch im Ausland leben und arbeiten<br />

zu können?<br />

Noemi Steinhauser: Ich habe mir nie<br />

Gedanken darüber gemacht, wo ich leben<br />

und arbeiten will. Während meiner<br />

Studienzeit habe ich ein Jobangebot bekommen,<br />

zu dem ich nicht Nein sagen<br />

konnte. Mittlerweile bin ich das fünfte Jahr<br />

in demselben Unternehmen tätig und denke<br />

momentan nicht daran, in die Heimat<br />

zurückzukehren.<br />

Was hält dich in Wien?<br />

Wenn ich mir Gedanken über die Zukunft<br />

mache, finde ich immer mehr Argumente,<br />

die mich dazu bringen, hier in<br />

Wien zu bleiben. Während der Coronazeit<br />

hat sich Österreich als Sozialstaat erwiesen<br />

und die Bürger wurden unabhängig<br />

vom Einkommen mit Gutscheinen oder<br />

Einmalzahlungen unterstützt. Auch jetzt<br />

unterstützt der Staat einen mit Klimaboni<br />

und Anti-Teuerungsboni. <strong>Die</strong> Anträge sind<br />

unkompliziert, die Abläufe einfach und die<br />

Abwicklung erfolgt reibungslos.<br />

Welche Vorteile bieten sich dir in Österreich<br />

noch?<br />

Es gibt eine Reihe von Wohnmodellen,<br />

von denen man in Südtirol nur träumen<br />

kann. Junge Wohnungssuchende werden<br />

von der Stadt bei der Suche nach einer<br />

leistbaren Wohnung unterstützt, es gibt<br />

Jedes Johr, so sogn die Zåhln<br />

Ziagn über 1000 Junge weck<br />

Oftmols Köpf‘ de Südtirol fahln<br />

Wieso, frog man sich, gibt’s des Leck?<br />

Es sein net olm lei Geld, Karriere<br />

Der Grund dass man lei Hinfahrt buacht,<br />

Oft isches die geistige Leere<br />

Wegn der måncher es Weite suacht.<br />

TIRGGTSCHILLER<br />

Aktionen für Lehrlinge und Jungarbeitnehmer,<br />

bei der eine Ein-Zimmer-Wohnung<br />

zur Verfügung gestellt wird. Für<br />

junge Menschen gibt es neue Bauprojekte<br />

mit Unterstützungen vom Staat, zudem<br />

stehen Genossenschaftswohnungen zur<br />

Verfügung, bei denen man nach einer gewissen<br />

Zeit und einem Mietverhältnis den<br />

Restbetrag abzahlen und die Wohnung<br />

kaufen kann. Auch im Gesundheitswesen<br />

ist vieles anders, es besteht volle Kostenübernahme<br />

in vielen Bereichen und es gibt<br />

kaum Wartezeiten.<br />

Unser Land soll „enkeltauglich“ werden<br />

und trotzdem wandern 1500–2000 Jugendliche<br />

und junge Erwachsenen jährlich<br />

aus. Wo liegt das Problem?<br />

Ich glaube das Problem liegt daran,<br />

dass viele, die ins Ausland gehen, schnell<br />

merken, dass die Welt mehr zu bieten hat,<br />

als man es in Südtirol gewohnt ist. Leider<br />

erfahre ich von Freunden, die nach dem<br />

Studium zurückkehren, aufgrund fehlender<br />

Berufserfahrung keine angemessene<br />

Stelle finden und einen sehr niedrigen<br />

Lohn bekommen. Wir sprechen da von<br />

einem Praktikanten-Monatsgehalt von<br />

500 bis 900 Euro netto. Da stellt sich die<br />

Frage, wie man damit eine Monatsmiete<br />

bezahlen soll. Leistbares Wohnen ist eine<br />

leere Worthülse und wieder zurück ins<br />

Elternhaus wollen die wenigsten. Südtirol<br />

schaut nicht auf die jungen Leute.<br />

ˆ<br />

Noemi Steinhauser fühlt sich in ihrer<br />

Wahlheimat Wien sehr wohl<br />

Quelle: Noemi Steinhauser<br />

Ist Südtirol für junge Menschen schlichtweg<br />

nicht mehr attraktiv?<br />

Ich habe bereits früh gemerkt, dass<br />

junge Menschen in Südtirol nicht die Priorität<br />

sind. Natürlich spreche ich da für<br />

mich, wenn ich sage, dass zum Beispiel<br />

das Nacht- beziehungsweise Abendleben<br />

in Bozen der Jugend immer mehr untersagt<br />

wird – zu laut, zu wild, Ruhestörung usw.<br />

Ich habe mich schon immer gefühlt, als<br />

würde ich in einer Pensionistenstadt leben.<br />

Wir wollen ein Leben, wo Jung und Alt ein<br />

harmonisches Miteinander leben können.<br />

Welche Kehrtwende müsste Südtirol machen,<br />

damit du zurückkommst?<br />

Ich schließe eine Rückkehr nach Südtirol<br />

nicht aus, denn Heimat ist Heimat und ich<br />

liebe den Ort, an dem ich aufgewachsen<br />

bin. Eigentlich wäre Südtirol der perfekte<br />

Ort, um eine Familie zu gründen, allerdings<br />

würden wir mehr Leistungen im wirtschaftlichen<br />

und sozialen Bereich brauchen.<br />

Würde die junge Generation denselben<br />

Stellenwert wie der Tourismus bekommen,<br />

gäbe es viel mehr Rückkehrer.<br />

22 // JUNI <strong>2023</strong>

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