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Lesen Magazin 03/2023

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Kennt<br />

Ihr den?<br />

Die Kunst des Humors in<br />

geselliger Runde und in Büchern<br />

Text von Urs Heinz Aerni<br />

«Kennt Ihr den?». Sorry, das ist ein ganz schlechter Einstieg, um in<br />

einer Runde einen Witz anzukündigen. Was passiert dann? Genau,<br />

alle verdrehen die Augen und seufzen: «Wohl nicht …»<br />

Während in solchen Momenten ein Witz die Stimmung am geselligen<br />

Tisch ins Kippen bringen kann, ist er dennoch Kulturgut, das<br />

völlig unterschätzt wird.<br />

Der Humor ist so facettenreich, wie es die Charaktere der Menschen<br />

sind. Nicht alle lachen zur selben Pointe. Vom schwarzen Humor<br />

über die feingeistige Ironie und Satire bis zum Kalauer; für jeden<br />

Geschmack gibt es den richtigen Witz. Doch, wer erfindet diese<br />

eigentlich? Die Vielfalt der Gründe, warum wir lachen, entspricht<br />

der Vielfalt von Büchern, die mit dem Humor jonglieren. Bücher bespielen<br />

genauso die Klaviatur des Lächelns, wie es im Leben eben so<br />

klimpert. Zu diesen Büchern gehört das neue von Kilian Ziegler.<br />

Er stammt aus Olten, tourt auf Bühnen quer durch die Schweiz und<br />

unterhält das Publikum erfrischend, fröhlich und mit aller Ironie,<br />

die unsere Gesellschaft wunderbar unterhält, weil sie es nötig hat.<br />

Nun gibt es daraus ein Konzentrat zwischen zwei Buchdeckeln.<br />

«Dass es überraschend kommt, habe ich erwartet» 3 lautet der gelungene<br />

Titel. Das Sammelsurium an Geschichten, Kolumnen und<br />

Aphorismen ist eine Lektüre für alle, die eine pointierte Sichtweise<br />

auf unsere momentan verrückte Welt schätzen. In einer Kolumne<br />

schrieb Ziegler: «Pausen sind wie Lebensmittel, die man im Keller<br />

lagert: man muss sie einlegen. (Wenn Sie sich für dieses Wortspiel<br />

etwas Zeit genommen haben, sind Sie auf dem richtigen Weg.)» Viel<br />

Spass also bei der Lektüre und frohes Üben der eigenen intellektuellen<br />

Geistesgegenwärtigkeit.<br />

Von der Komik zur Groteske<br />

Eine ganz andere Art der Ironie zelebriert der in Biel lebende<br />

Schriftsteller Michael Stauffer in seinem neuen Roman «Glückspilzbank»<br />

5 . Eigentlich eine groteske Geschichte, die der Wachstumsgier<br />

in der Welt der Banken Paroli bietet. Schon während der<br />

Schulzeit erfuhr Mikka dank ihrem Freund Andreas und seines<br />

Onkels, wie es zu und her gehen könnte in den Teppichetagen der<br />

spekulierenden und risikofreudigen Investmentbanker. Denn Andreas<br />

wollte nichts anderes, als schnell reich zu werden, mit allen<br />

möglichen Finanzprodukten. Als Studentin der Volkswirtschaft<br />

trifft Mikka auf eine Professorin, die mit diesem Aufruf die Klasse<br />

nervös macht: «Macht euch ruhig Sorgen, dass die Menschen aus<br />

ihrer ‹Alles-muss-wachsen-Welt› nicht mehr herausfinden. Erfindet<br />

neue Szenarien!» Mikka ist bereit für das Neue, das ganz andere,<br />

und sie weiss um ihre besonderen Fähigkeiten, die bestimmt mit<br />

3<br />

2<br />

4<br />

1<br />

den Kapiteln. Ein Zitat: «Geld auf der Bank zu haben, macht nicht<br />

glücklich. Aber wenn man traurig ist, ist es schöner, im Taxi zu<br />

weinen als in der U-Bahn, nicht wahr?» Ein origineller Roman als<br />

Karikatur der Bankenwelt.<br />

Von der Groteske zur Eigenironie<br />

«… und dann küssten wir uns, als wäre es das erste Mal, nein, nicht<br />

das erste Mal, aber eben auch nicht das letzte Mal, ganz sicher nicht<br />

das letzte Mal.» Dieser Satz ist im Roman von Nele Pollatschek<br />

«Kleine Probleme» 4 zu lesen. Dieses innere, wankelmütige Hinund-her-Fabulieren<br />

beginnt schon ganz am Anfang des Buches,<br />

wenn es darum geht, ob es nun nieselt oder doch nicht. Die atemlos<br />

laut vor sich hin denkende und plaudernde Hauptfigur Lars lässt<br />

uns wissen, wie schwer es sein kann, einfach nur zu leben. Es<br />

mischen sich die grossen Ziele mit dem Wahnsinn des Alltags – von<br />

der Steuererklärung, dem Wohnungsputz, dem Kinderbettbauen<br />

bis hin zum Schlussmachen mit dem Rauchen und dem Projekt, sein<br />

Lebenswerk in ein Buch zu fassen. Eigentlich eine Tragikomödie<br />

mit Sehnsucht nach Ordnung. Die 1988 in Berlin geborene Autorin<br />

debütierte 2016 mit dem Roman «Das Unglück anderer Leute»,<br />

schreibt für die Süddeutsche Zeitung und trifft mit diesem Buch<br />

wohl einen Lebensnerv, der die Leserinnen und Leser im ähnlichen<br />

Alter wohl immer wieder innehalten und denken lässt: «Autsch!<br />

Kenn ich!»<br />

Von Very British bis zu Tierischem Spass<br />

Der britische Humor ist eine Gattung für sich und dieser wird<br />

bespielt durch den Roman «Der Satsuma-Komplex oder Der Tag,<br />

an dem Gary zum Helden wurde» 2 von Komiker und Autor Bob<br />

Mortimer. Gary Thorn lernt im Pub eine Frau kennen und verliebt<br />

sich. Als sie geht, weiss Gary nichts von ihr ausser dem Titel des<br />

Buches, in dem sie las: «Der Satsuma-Komplex». Jetzt muss Gary die<br />

Frau unbedingt aufstöbern ...<br />

Und zum Schluss noch ein Tipp für alle, die einen Kult verpasst<br />

haben, aber noch einsteigen möchten: «Die Känguru-Chroniken» 1<br />

von Marc-Uwe Kling. Da zieht ein sprechendes Känguru mit<br />

kommunistischen Ideen bei einem Single in Berlin Kreuzberg ein<br />

und stellt nicht nur die beschauliche Welt auf den Kopf, sondern<br />

nimmt es mit Gangs und Immobilienhengsten auf. Übrigens bereits<br />

verfilmt und in der Kategorie «Beste Comedy» mit dem Deutschen<br />

Radiopreis ausgezeichnet. Und wenn Sie mal die Stimmung in der<br />

Runde retten möchten und keinen Witz parat haben sollten, dann<br />

schlagen Sie einfach eines der oben erwähnten Bücher auf, um<br />

daraus vorzulesen. Viel Glück!<br />

«Aber wenn man traurig ist, ist<br />

es schöner, im Taxi zu weinen als<br />

in der U-Bahn, nicht wahr?»<br />

ihren finnischen Wurzeln zu tun haben. Gemeinsam mit Andreas,<br />

der inzwischen bei einer Genfer Bank reiche Kunden betreut, gründet<br />

sie Onnepekka Pankki – die Glückspilzbank. Eine Bank, die<br />

Geld auflöst. Eine Bank, die wirklich die Welt rettet. Die Schreibe<br />

von Michael Stauffer lässt seine Erfahrungen als Hörspielautor und<br />

Lyriker erfreulich gut erspüren. Erfrischend auffallend sind die<br />

jeweiligen kurzen, zum Teil aphoristischen Einleitungssätze vor<br />

5<br />

Die Känguru-<br />

1 Chroniken<br />

3<br />

2<br />

Marc-Uwe Kling, Ullstein Verlag,<br />

CHF 18.90<br />

Der Satsuma-Komplex<br />

oder Der Tag, an<br />

dem Gary zum Helden<br />

wurde<br />

Bob Mortimer, Krüger,<br />

CHF 24.90<br />

4<br />

5<br />

Dass es überraschend<br />

kommt, habe ich<br />

erwartet<br />

Kilian Ziegler, Knapp Verlag,<br />

CHF 29.90<br />

Kleine Probleme<br />

Nele Pollatschek, Galiani,<br />

CHF 33.90<br />

Glückspilzbank<br />

Michael Stauffer, Atlantis Verlag,<br />

CHF 31.90<br />

Nebenthema<br />

Nebenthema<br />

29

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