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Kennt<br />
Ihr den?<br />
Die Kunst des Humors in<br />
geselliger Runde und in Büchern<br />
Text von Urs Heinz Aerni<br />
«Kennt Ihr den?». Sorry, das ist ein ganz schlechter Einstieg, um in<br />
einer Runde einen Witz anzukündigen. Was passiert dann? Genau,<br />
alle verdrehen die Augen und seufzen: «Wohl nicht …»<br />
Während in solchen Momenten ein Witz die Stimmung am geselligen<br />
Tisch ins Kippen bringen kann, ist er dennoch Kulturgut, das<br />
völlig unterschätzt wird.<br />
Der Humor ist so facettenreich, wie es die Charaktere der Menschen<br />
sind. Nicht alle lachen zur selben Pointe. Vom schwarzen Humor<br />
über die feingeistige Ironie und Satire bis zum Kalauer; für jeden<br />
Geschmack gibt es den richtigen Witz. Doch, wer erfindet diese<br />
eigentlich? Die Vielfalt der Gründe, warum wir lachen, entspricht<br />
der Vielfalt von Büchern, die mit dem Humor jonglieren. Bücher bespielen<br />
genauso die Klaviatur des Lächelns, wie es im Leben eben so<br />
klimpert. Zu diesen Büchern gehört das neue von Kilian Ziegler.<br />
Er stammt aus Olten, tourt auf Bühnen quer durch die Schweiz und<br />
unterhält das Publikum erfrischend, fröhlich und mit aller Ironie,<br />
die unsere Gesellschaft wunderbar unterhält, weil sie es nötig hat.<br />
Nun gibt es daraus ein Konzentrat zwischen zwei Buchdeckeln.<br />
«Dass es überraschend kommt, habe ich erwartet» 3 lautet der gelungene<br />
Titel. Das Sammelsurium an Geschichten, Kolumnen und<br />
Aphorismen ist eine Lektüre für alle, die eine pointierte Sichtweise<br />
auf unsere momentan verrückte Welt schätzen. In einer Kolumne<br />
schrieb Ziegler: «Pausen sind wie Lebensmittel, die man im Keller<br />
lagert: man muss sie einlegen. (Wenn Sie sich für dieses Wortspiel<br />
etwas Zeit genommen haben, sind Sie auf dem richtigen Weg.)» Viel<br />
Spass also bei der Lektüre und frohes Üben der eigenen intellektuellen<br />
Geistesgegenwärtigkeit.<br />
Von der Komik zur Groteske<br />
Eine ganz andere Art der Ironie zelebriert der in Biel lebende<br />
Schriftsteller Michael Stauffer in seinem neuen Roman «Glückspilzbank»<br />
5 . Eigentlich eine groteske Geschichte, die der Wachstumsgier<br />
in der Welt der Banken Paroli bietet. Schon während der<br />
Schulzeit erfuhr Mikka dank ihrem Freund Andreas und seines<br />
Onkels, wie es zu und her gehen könnte in den Teppichetagen der<br />
spekulierenden und risikofreudigen Investmentbanker. Denn Andreas<br />
wollte nichts anderes, als schnell reich zu werden, mit allen<br />
möglichen Finanzprodukten. Als Studentin der Volkswirtschaft<br />
trifft Mikka auf eine Professorin, die mit diesem Aufruf die Klasse<br />
nervös macht: «Macht euch ruhig Sorgen, dass die Menschen aus<br />
ihrer ‹Alles-muss-wachsen-Welt› nicht mehr herausfinden. Erfindet<br />
neue Szenarien!» Mikka ist bereit für das Neue, das ganz andere,<br />
und sie weiss um ihre besonderen Fähigkeiten, die bestimmt mit<br />
3<br />
2<br />
4<br />
1<br />
den Kapiteln. Ein Zitat: «Geld auf der Bank zu haben, macht nicht<br />
glücklich. Aber wenn man traurig ist, ist es schöner, im Taxi zu<br />
weinen als in der U-Bahn, nicht wahr?» Ein origineller Roman als<br />
Karikatur der Bankenwelt.<br />
Von der Groteske zur Eigenironie<br />
«… und dann küssten wir uns, als wäre es das erste Mal, nein, nicht<br />
das erste Mal, aber eben auch nicht das letzte Mal, ganz sicher nicht<br />
das letzte Mal.» Dieser Satz ist im Roman von Nele Pollatschek<br />
«Kleine Probleme» 4 zu lesen. Dieses innere, wankelmütige Hinund-her-Fabulieren<br />
beginnt schon ganz am Anfang des Buches,<br />
wenn es darum geht, ob es nun nieselt oder doch nicht. Die atemlos<br />
laut vor sich hin denkende und plaudernde Hauptfigur Lars lässt<br />
uns wissen, wie schwer es sein kann, einfach nur zu leben. Es<br />
mischen sich die grossen Ziele mit dem Wahnsinn des Alltags – von<br />
der Steuererklärung, dem Wohnungsputz, dem Kinderbettbauen<br />
bis hin zum Schlussmachen mit dem Rauchen und dem Projekt, sein<br />
Lebenswerk in ein Buch zu fassen. Eigentlich eine Tragikomödie<br />
mit Sehnsucht nach Ordnung. Die 1988 in Berlin geborene Autorin<br />
debütierte 2016 mit dem Roman «Das Unglück anderer Leute»,<br />
schreibt für die Süddeutsche Zeitung und trifft mit diesem Buch<br />
wohl einen Lebensnerv, der die Leserinnen und Leser im ähnlichen<br />
Alter wohl immer wieder innehalten und denken lässt: «Autsch!<br />
Kenn ich!»<br />
Von Very British bis zu Tierischem Spass<br />
Der britische Humor ist eine Gattung für sich und dieser wird<br />
bespielt durch den Roman «Der Satsuma-Komplex oder Der Tag,<br />
an dem Gary zum Helden wurde» 2 von Komiker und Autor Bob<br />
Mortimer. Gary Thorn lernt im Pub eine Frau kennen und verliebt<br />
sich. Als sie geht, weiss Gary nichts von ihr ausser dem Titel des<br />
Buches, in dem sie las: «Der Satsuma-Komplex». Jetzt muss Gary die<br />
Frau unbedingt aufstöbern ...<br />
Und zum Schluss noch ein Tipp für alle, die einen Kult verpasst<br />
haben, aber noch einsteigen möchten: «Die Känguru-Chroniken» 1<br />
von Marc-Uwe Kling. Da zieht ein sprechendes Känguru mit<br />
kommunistischen Ideen bei einem Single in Berlin Kreuzberg ein<br />
und stellt nicht nur die beschauliche Welt auf den Kopf, sondern<br />
nimmt es mit Gangs und Immobilienhengsten auf. Übrigens bereits<br />
verfilmt und in der Kategorie «Beste Comedy» mit dem Deutschen<br />
Radiopreis ausgezeichnet. Und wenn Sie mal die Stimmung in der<br />
Runde retten möchten und keinen Witz parat haben sollten, dann<br />
schlagen Sie einfach eines der oben erwähnten Bücher auf, um<br />
daraus vorzulesen. Viel Glück!<br />
«Aber wenn man traurig ist, ist<br />
es schöner, im Taxi zu weinen als<br />
in der U-Bahn, nicht wahr?»<br />
ihren finnischen Wurzeln zu tun haben. Gemeinsam mit Andreas,<br />
der inzwischen bei einer Genfer Bank reiche Kunden betreut, gründet<br />
sie Onnepekka Pankki – die Glückspilzbank. Eine Bank, die<br />
Geld auflöst. Eine Bank, die wirklich die Welt rettet. Die Schreibe<br />
von Michael Stauffer lässt seine Erfahrungen als Hörspielautor und<br />
Lyriker erfreulich gut erspüren. Erfrischend auffallend sind die<br />
jeweiligen kurzen, zum Teil aphoristischen Einleitungssätze vor<br />
5<br />
Die Känguru-<br />
1 Chroniken<br />
3<br />
2<br />
Marc-Uwe Kling, Ullstein Verlag,<br />
CHF 18.90<br />
Der Satsuma-Komplex<br />
oder Der Tag, an<br />
dem Gary zum Helden<br />
wurde<br />
Bob Mortimer, Krüger,<br />
CHF 24.90<br />
4<br />
5<br />
Dass es überraschend<br />
kommt, habe ich<br />
erwartet<br />
Kilian Ziegler, Knapp Verlag,<br />
CHF 29.90<br />
Kleine Probleme<br />
Nele Pollatschek, Galiani,<br />
CHF 33.90<br />
Glückspilzbank<br />
Michael Stauffer, Atlantis Verlag,<br />
CHF 31.90<br />
Nebenthema<br />
Nebenthema<br />
29