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Lesen Magazin 03/2023

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© Liliane Holdener<br />

«Mein Motor ist<br />

die Sehnsucht»<br />

In seinem neuen Buch macht sich Pedro Lenz Gedanken über unsere<br />

Sprachmarotten oder anders gesagt, er kommentiert die Modetrends rund ums<br />

Reden und Schreiben. Ein Interview auch zum Leben zwischen den Zeilen.<br />

Text von Urs Heinz Aerni<br />

Lieber Pedro, wir machen auf «du», da<br />

wir uns nicht nur schon lange kennen,<br />

sondern zusammen auch schon Fussball<br />

spielten. Zur Pflichtlektüre gehört<br />

für viele lesende Zeitgenossen deine<br />

Kolumne «Sprachliche Moden und Marotten»<br />

in den Schweizer Medien. Diese<br />

Kolumnen erscheinen ja nun als Buch.<br />

Du bist als Autor in beiden Welten unterwegs,<br />

der Hochsprache Deutsch und<br />

der Mundart. Welche von den beiden<br />

Sprachen ist anfälliger für «Marotten»?<br />

Ich glaube, dass diese Anfälligkeit vollkommen<br />

unabhängig von der Sprache ist.<br />

Manchmal entwickelt sich aus der einen<br />

Sprache eine Marotte, die auf die andere<br />

Sprache übergreift. So ist zum Beispiel die<br />

einst hochdeutsche Marotte, jedem Satz das<br />

Füllwort «halt» zuzufügen.<br />

Zum Beispiel?<br />

«Dann waren wir halt in den Bergen, da<br />

nahmen wir halt die Seilbahn, dann kamen<br />

wir halt zur Bergstation, dort hat es halt ein<br />

Restaurant …» Dieses Füllwort ist längst in<br />

der Mundart gelandet.<br />

«Es stimmt, dass ich<br />

grössere Dinge<br />

immer erst klein<br />

machen muss, um sie<br />

zu verstehen.»<br />

Ein aktuelles Buch von dir trägt den<br />

Titel «Chöit ders eso näh?». Ein anheimelnder<br />

Satz für alle, die in kleinen<br />

Läden einkaufen. Du machst aus Geschichten<br />

des kleinbürgerlichen Alltags<br />

solche mit Welthaltigkeit. Und das seit<br />

Jahrzehnten. Wie würdest du jemandem<br />

deine Alltagswelt beschreiben, der<br />

dich nicht kennt?<br />

Es stimmt, dass ich grössere Dinge immer<br />

erst klein machen muss, um sie zu verstehen.<br />

Das erkläre ich jeweils mit einem<br />

Bild. Da ich in Langenthal aufgewachsen<br />

bin, war Langenthal für mich als Kind die<br />

Welt. Später lernte ich Städte wie Bern oder<br />

Zürich kennen, aber ich habe sie immer<br />

mit Langenthal verglichen und in Sektoren<br />

von der Grösse Langenthals unterteilt.<br />

Diese Grösse kann ich einigermassen<br />

überblicken. So mache ich es heute noch,<br />

auch wenn ich in einer Weltstadt wie New York, Buenos Aires oder<br />

Mexiko City weile. Ich erkunde rund um meinen Wohnsitz eine<br />

Fläche, die ich überblicke, das wird dann zu meinem Langenthal.<br />

Innerhalb dieser Fläche finde ich meine Lieblingsrestaurants, meine<br />

Bäckerei, meinen Kiosk, meine Bars und meine Pärke. Und mit der<br />

Zeit bewege ich mich in diesem selbst entdeckten Langenthal wie<br />

ein Fisch im Wasser.<br />

Dialektsprache lesen, in deinem Falle Langenthaler Berndeutsch,<br />

ist anfangs nicht so einfach, aber durchs Dranbleiben<br />

wird es immer geschmeidiger, und dann hört man bei der Lektüre<br />

deine Stimme im Hinterkopf. Ein Resultat, das eben durch<br />

deine Literatur-Performance entstanden ist. Ist das okay für<br />

dich, also dass man dich hört beim <strong>Lesen</strong>?<br />

Ja, sicher, dafür arbeite ich. Mir ist es wichtig, am Sound meiner<br />

Texte zu schrauben, bis ich diesen Sound fast im Schlaf wiedergeben<br />

kann. Wenn der Sound passt, erschliesst sich ein Text nicht nur<br />

intellektuell, sondern auch emotional. Deshalb freut es mich auch,<br />

wenn die Leute sagen, sie hätten beim <strong>Lesen</strong> meiner Texte zuweilen<br />

meine Lesungen im Ohr.<br />

Liest du Texte in anderen Dialekten, also zum Beispiel<br />

bündnerisch wie Camenisch, solothurnerisch wie<br />

Burren, bayerisch wie Polt, schaffhauserisch wie Vetter<br />

oder aargauisch wie Basler?<br />

Sicher, ich lese alles, was im weiteren Sinn als Deutsch zu verstehen<br />

ist. Ich bin ein Fan von Wiener Dichtern wie Friedrich Achleitner,<br />

Gerhard Rühm oder H. C. Artmann. Ich lese mit viel Vergnügen<br />

Burren, Krneta, Martin Frank, Stahlberger und viele andere. Mir<br />

gefallen die Unterschiede im Klang der jeweiligen Sprachen. Aber<br />

Pedro Lenz wurde 1965 in Langenthal<br />

geboren, lebt heute mit seiner<br />

Familie in Olten und schreibt Bücher<br />

und Kolumnen. Als Auszeichnungen<br />

für sein Schaffen seien der Dreitannenpreis<br />

des Buchfestivals<br />

Olten (2021), der Schweizer Kleinkunstpreis<br />

(2015) und der Schweizer<br />

Filmpreis (2014) für das beste<br />

Drehbuch zu seinem Bestseller<br />

«Der Goalie bin ig» erwähnt.<br />

<strong>Lesen</strong> <strong>Magazin</strong><br />

Interview<br />

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