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© Liliane Holdener<br />
«Mein Motor ist<br />
die Sehnsucht»<br />
In seinem neuen Buch macht sich Pedro Lenz Gedanken über unsere<br />
Sprachmarotten oder anders gesagt, er kommentiert die Modetrends rund ums<br />
Reden und Schreiben. Ein Interview auch zum Leben zwischen den Zeilen.<br />
Text von Urs Heinz Aerni<br />
Lieber Pedro, wir machen auf «du», da<br />
wir uns nicht nur schon lange kennen,<br />
sondern zusammen auch schon Fussball<br />
spielten. Zur Pflichtlektüre gehört<br />
für viele lesende Zeitgenossen deine<br />
Kolumne «Sprachliche Moden und Marotten»<br />
in den Schweizer Medien. Diese<br />
Kolumnen erscheinen ja nun als Buch.<br />
Du bist als Autor in beiden Welten unterwegs,<br />
der Hochsprache Deutsch und<br />
der Mundart. Welche von den beiden<br />
Sprachen ist anfälliger für «Marotten»?<br />
Ich glaube, dass diese Anfälligkeit vollkommen<br />
unabhängig von der Sprache ist.<br />
Manchmal entwickelt sich aus der einen<br />
Sprache eine Marotte, die auf die andere<br />
Sprache übergreift. So ist zum Beispiel die<br />
einst hochdeutsche Marotte, jedem Satz das<br />
Füllwort «halt» zuzufügen.<br />
Zum Beispiel?<br />
«Dann waren wir halt in den Bergen, da<br />
nahmen wir halt die Seilbahn, dann kamen<br />
wir halt zur Bergstation, dort hat es halt ein<br />
Restaurant …» Dieses Füllwort ist längst in<br />
der Mundart gelandet.<br />
«Es stimmt, dass ich<br />
grössere Dinge<br />
immer erst klein<br />
machen muss, um sie<br />
zu verstehen.»<br />
Ein aktuelles Buch von dir trägt den<br />
Titel «Chöit ders eso näh?». Ein anheimelnder<br />
Satz für alle, die in kleinen<br />
Läden einkaufen. Du machst aus Geschichten<br />
des kleinbürgerlichen Alltags<br />
solche mit Welthaltigkeit. Und das seit<br />
Jahrzehnten. Wie würdest du jemandem<br />
deine Alltagswelt beschreiben, der<br />
dich nicht kennt?<br />
Es stimmt, dass ich grössere Dinge immer<br />
erst klein machen muss, um sie zu verstehen.<br />
Das erkläre ich jeweils mit einem<br />
Bild. Da ich in Langenthal aufgewachsen<br />
bin, war Langenthal für mich als Kind die<br />
Welt. Später lernte ich Städte wie Bern oder<br />
Zürich kennen, aber ich habe sie immer<br />
mit Langenthal verglichen und in Sektoren<br />
von der Grösse Langenthals unterteilt.<br />
Diese Grösse kann ich einigermassen<br />
überblicken. So mache ich es heute noch,<br />
auch wenn ich in einer Weltstadt wie New York, Buenos Aires oder<br />
Mexiko City weile. Ich erkunde rund um meinen Wohnsitz eine<br />
Fläche, die ich überblicke, das wird dann zu meinem Langenthal.<br />
Innerhalb dieser Fläche finde ich meine Lieblingsrestaurants, meine<br />
Bäckerei, meinen Kiosk, meine Bars und meine Pärke. Und mit der<br />
Zeit bewege ich mich in diesem selbst entdeckten Langenthal wie<br />
ein Fisch im Wasser.<br />
Dialektsprache lesen, in deinem Falle Langenthaler Berndeutsch,<br />
ist anfangs nicht so einfach, aber durchs Dranbleiben<br />
wird es immer geschmeidiger, und dann hört man bei der Lektüre<br />
deine Stimme im Hinterkopf. Ein Resultat, das eben durch<br />
deine Literatur-Performance entstanden ist. Ist das okay für<br />
dich, also dass man dich hört beim <strong>Lesen</strong>?<br />
Ja, sicher, dafür arbeite ich. Mir ist es wichtig, am Sound meiner<br />
Texte zu schrauben, bis ich diesen Sound fast im Schlaf wiedergeben<br />
kann. Wenn der Sound passt, erschliesst sich ein Text nicht nur<br />
intellektuell, sondern auch emotional. Deshalb freut es mich auch,<br />
wenn die Leute sagen, sie hätten beim <strong>Lesen</strong> meiner Texte zuweilen<br />
meine Lesungen im Ohr.<br />
Liest du Texte in anderen Dialekten, also zum Beispiel<br />
bündnerisch wie Camenisch, solothurnerisch wie<br />
Burren, bayerisch wie Polt, schaffhauserisch wie Vetter<br />
oder aargauisch wie Basler?<br />
Sicher, ich lese alles, was im weiteren Sinn als Deutsch zu verstehen<br />
ist. Ich bin ein Fan von Wiener Dichtern wie Friedrich Achleitner,<br />
Gerhard Rühm oder H. C. Artmann. Ich lese mit viel Vergnügen<br />
Burren, Krneta, Martin Frank, Stahlberger und viele andere. Mir<br />
gefallen die Unterschiede im Klang der jeweiligen Sprachen. Aber<br />
Pedro Lenz wurde 1965 in Langenthal<br />
geboren, lebt heute mit seiner<br />
Familie in Olten und schreibt Bücher<br />
und Kolumnen. Als Auszeichnungen<br />
für sein Schaffen seien der Dreitannenpreis<br />
des Buchfestivals<br />
Olten (2021), der Schweizer Kleinkunstpreis<br />
(2015) und der Schweizer<br />
Filmpreis (2014) für das beste<br />
Drehbuch zu seinem Bestseller<br />
«Der Goalie bin ig» erwähnt.<br />
<strong>Lesen</strong> <strong>Magazin</strong><br />
Interview<br />
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