MAINfeeling Herbst 2023
Das Lifestyle-Magazin für Rhein-Main
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8 IM VERHÖR<br />
WÜRDEN SIE SAGEN, DASS KOCHEN<br />
AUF HOHEM NIVEAU MEHR HANDWERK<br />
IST ODER MEHR LEIDENSCHAFT? Das ist<br />
Spitzensport, Champions League. Man muss<br />
sein Handwerk verstehen. Zu meiner Zeit, wir<br />
hatten 1987 schon zwei Michelin-Sterne, da<br />
gab es in Deutschland nur wenige Restaurants<br />
und wenig Öffentlichkeit. Man musste im<br />
stillen Kämmerlein Neuheiten entwickeln,<br />
um gegen die Konkurrenz zu bestehen. Da<br />
musste man besonders kreativ, einsatzfreudig<br />
und leidenschaftlich sein, sonst konnte man<br />
der Konkurrenz nicht folgen. Dazu gehört<br />
immer die Leidenschaft. Es ist aber auch die<br />
Geschmacksbildung. Die Leute denken heute<br />
immer, die Referenzhöhe des Geschmacks<br />
wird angeboren, aber es ist Erziehung. Ich bin<br />
dankbar, dass ich in meiner Kindheit durch<br />
die Landwirtschaft meiner Eltern den puren<br />
Geschmack kennenlernen durfte. Wenn wir<br />
gemeinsam im <strong>Herbst</strong> Sauerkraut eingemacht<br />
haben, meine Mutter hat geschabt und ich habe<br />
mit meinen beiden Schwestern mit den<br />
Füßen im Bottich getreten, dann hat das Kasseler<br />
mit Sauerkraut zu Weihnachten anders<br />
geschmeckt, nach der Geschichte des <strong>Herbst</strong>es.<br />
Ich habe dadurch eine klare Vorstellung davon,<br />
wie Sauerkraut schmecken muss. Das<br />
gibt es heute kaum noch, deshalb brauchen<br />
wir unbedingt viele unterschiedliche Erfahrungen<br />
beim Essen, wir brauchen Referenzen,<br />
Bildung insgesamt. Wenn ich nie eine gute<br />
Tomatensoße gegessen habe, dann habe ich<br />
auch nicht den Anspruch, eine bessere zu essen.<br />
SPÜREN SIE HEUTE NOCH BEGEISTE-<br />
RUNG, WENN IHNEN ETWAS BESON-<br />
DERS GUT GELINGT ODER SIE ETWAS<br />
BESONDERES ESSEN? Absolut, ich habe<br />
gerade heute mit Leuten aus einem großen<br />
Feinkostunternehmen zusammengesessen.<br />
Wir haben zu Mittag getoastetes Brot mit<br />
Salzbutter, Salat, tollem Schinken, frischem<br />
Meerrettich, Essiggurken und Cocktailtomaten<br />
gemacht. Wir waren alle drei total begeistert<br />
– von einem Schinkenbrot. Das ist doch<br />
Wahnsinn. Ich habe kürzlich Marillenmarmelade<br />
von einem österreichischen Kloster probiert<br />
und gedacht, meine Oma wäre von den<br />
Toten auferstanden, so ein Gefühl war das,<br />
wie früher als Kind. Oder ich war kürzlich in<br />
Österreich in einem Gasthaus, da gab es als<br />
Stammessen für 7,50 Euro Frittatensuppe und<br />
danach Frikadellen mit Kartoffelpüree und<br />
gedünsteten Karottenscheiben mit Zwiebeln.<br />
Unfassbar! Wenn ich überlege, wie viel Geld<br />
ich in meinem Leben ausgegeben habe für<br />
gutes Essen, wie viel ich durch die Welt gereist<br />
bin, und dann sitze ich in einem österreichischen<br />
Gasthaus und denke, wie schön ist das<br />
Leben! Deshalb sage ich immer: Wenn ich mich<br />
an ein Essen so erinnere und jede Nuance<br />
beschreiben kann, dann war es Genuss, sonst<br />
ist es nur Nahrungsaufnahme.<br />
KANN MAN IN EINEN RAUSCH GERA-<br />
TEN, WENN MAN GUTES ESSEN ZU<br />
SICH NIMMT? DAS KLANG JETZT FAST<br />
DANACH. Ja, das ist so. Aber der Erfolg ist<br />
auch ein Rausch. Wenn man Menschen im<br />
Restaurant sitzen hat und man als Koch nach<br />
dem Essen die Runde macht und jemand<br />
strahlt wirklich und gibt Dir das Gefühl, das<br />
Essen hat ihm geschmeckt, das ist ein Rauschgefühl.<br />
Aber es gab auch neun Tische, die mir<br />
das Rauschgefühl gegeben haben, und ein<br />
Tisch sagt, der Steinbutt war zu lange in der<br />
Pfanne und die Soße war zu sauer. Dann hat<br />
eine Kritik den Rausch von neun Tischen<br />
vernichtet. Und manchmal braucht es lange,<br />
um eine fundierte Niederlage zu verarbeiten.<br />
Selbstkritik ist für mich aber sehr wichtig,<br />
man muss immer daran weiterarbeiten, um<br />
andere Menschen in einen Rausch zu versetzen.<br />
Das, was wir machen, ist ja vergänglich.<br />
Ich kann mir auf das Steak von heute Abend<br />
morgen nichts mehr einbilden. Ich muss<br />
erneut beweisen, dass ich es genauso gut und<br />
vielleicht sogar noch besser hinbekomme.<br />
SIE HABEN DAS RESTAURANT UND<br />
HOTEL AUF DER STROMBURG 2019 AN<br />
IHREN DAMALIGEN MITEIGENTÜMER<br />
ÜBERGEBEN. VERMISSEN SIE ES, KEINE<br />
EIGENE RESTAURANTKÜCHE MEHR ZU<br />
HABEN, IN DER SIE IHREN STIL GE-<br />
STALTEN KÖNNEN? Mein Ziel ist es stets,<br />
den Menschen ein Bewusstsein für gutes<br />
Essen, für gesunde Ernährung und gute Produkte<br />
näher zu bringen. Das Produkt ist der<br />
Star, nicht der Koch.<br />
SIE GASTIEREN MIT IHRER KOCHSHOW<br />
WORLD OF DINNER ERNEUT AM 1. UND<br />
2. DEZEMBER IN BAD HOMBURG. WAR-<br />
UM KOCHEN SIE STATT IM RESTAURANT<br />
NUN AUF DER BÜHNE? Johann Lafer ist in<br />
Deutschland aktuell eigentlich nicht mehr<br />
erlebbar, außer, man schaut meine Sendungen.<br />
Ich möchte aber die Menschen an meinen<br />
Erfahrungen teilhaben lassen. Ich stehe in Bad<br />
Homburg auf der Bühne und erkläre dem<br />
Publikum genau, wie die Idee zur Vorspeise<br />
entstanden ist und wie ich sie zubereite, und<br />
dann bekommen sie sie serviert. Und es ist<br />
eine große Herausforderung, dass 200 Personen<br />
im Saal exakt die gleiche Vorspeise auf<br />
den Teller bekommen, die ich auf der Bühne<br />
präsentiert habe. Da muss ich mich auf meine<br />
sechs bis acht Mitarbeiter im Hintergrund<br />
perfekt verlassen können. Aber es ist, glaube<br />
ich, die einzige Bühnenshow, die es gibt, in der<br />
der Koch selbst auf der Bühne die Latte hochlegt<br />
und dann mithilfe der Leute im Hintergrund<br />
halten muss, was er verspricht. Das ist<br />
Lafer-live-Genießen. Da das sehr aufwendig<br />
und kostspielig ist, weil wir auf der Bühne eine<br />
komplette Küche aufbauen, machen wir erst<br />
einmal nur vier selektive Termine, zwei in<br />
Bad Homburg und zwei in Travemünde.<br />
STERNEKOCH, RESTAURANTBESITZER,<br />
BETREIBER EINER KOCHSCHULE,<br />
FERNSEHSTAR, AUTOR, PODCAST-<br />
MODERATOR, HELIKOPTER-PILOT,<br />
LEHRBEAUFTRAGTER AN DER HOCH-<br />
SCHULE FULDA: WENN MAN AUF-<br />
ZÄHLT, WAS SIE IN IHREM LEBEN<br />
SCHON ALLES GEMACHT HABEN UND<br />
NOCH MACHEN, BRAUCHT MAN EIN<br />
WEILCHEN. WAS TREIBT SIE AN? IST<br />
DAS NEUGIER ODER WIRD IHNEN<br />
SCHNELL LANGWEILIG? Ich habe schon<br />
in der Corona-Zeit gemerkt, ein Leben ohne<br />
Aufgaben wird relativ schnell fad. Da verfällt<br />
man in Lethargie. Das gefällt mir persönlich<br />
nicht. Und ich möchte meine Erfahrungen<br />
gerne weitergeben. Meine Vision ist es, den<br />
Menschen zu helfen, das Kochen zu Hause<br />
einfacher zu gestalten, weil viele sagen, sie<br />
haben keine Lust zu kochen, weil es zu lange<br />
dauert oder zu aufwendig ist. Ich sage immer,<br />
schnell ist kein Feind des Guten. Ich habe zum<br />
Beispiel ganz viele Produkte entwickelt, die<br />
meine Berufserfahrung widerspiegeln und die<br />
den Alltag erleichtern sollen. Ich habe viele<br />
Patente dafür. Zum Beispiel ist mein Profi-<br />
Schneebesen an den elastischen Drähten an<br />
unterschiedlichen Stellen abgeflacht. Damit<br />
hat man 90 Prozent mehr Widerstand und ist<br />
schneller beim Schlagen. Oder ich habe die<br />
Starcook-App mitbegründet, ein Food-Netzwerk,<br />
um jungen Köchen eine Plattform zu<br />
bieten. Warum soll ich nicht meine Erfahrungen<br />
jungen Kollegen weitergeben? Gute Köche<br />
braucht das Land. Wir haben ja ein riesiges<br />
Problem mit Personal, wenige Auszubildende,<br />
wenn ich nicht als Vorbild ein bisschen was<br />
tue, dann kann sich doch nichts verändern.<br />
AUCH OHNE EIGENES RESTAURANT<br />
WIRD IHNEN ALSO NICHT LANGWEILIG?<br />
Soll ich jeden Tag Bäume oder Weinstöcke<br />
hier in Guldental zählen? Ich liebe das, ich<br />
liebe die Abwechslung. Ich bin ein Kriminalist,<br />
was gute Lebensmittel angeht. Ich reise<br />
nach Israel, berichte in meinem Gourmetmagazin<br />
darüber. Ich fliege nach Hamburg, drehe<br />
dort morgen für die Küchenschlacht. Das ist<br />
keine Arbeit, das ist mein Ich.