FINE Das Weinmagazin - Egon-Mueller
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E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E<br />
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2| 2015 Deutschland € 15<br />
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Schweiz chf 30,00<br />
DAS WEINMAGAZIN<br />
Wein und Zeit: Fürst Pückler<br />
Die Stilistik des Weins<br />
Legenden des trocknen Rieslings<br />
Frauen im Wein: Julia Kemper<br />
Neuseeland: Jim Vuletic<br />
Waiheke Island<br />
Burgund: Olivier Leflaive<br />
Saar: Der Scharzhof<br />
Die Steine im Dão<br />
<strong>Das</strong> Gold des Douro<br />
P O R T U G A L
» Ich bin ein<br />
ziemlich<br />
zufriedener<br />
Mensch«<br />
<strong>Egon</strong> Müller vom Scharzhof an der Saar zählt<br />
mit seinen Rieslingen international zum höchsten<br />
Weinadel – und bleibt doch auf dem Boden<br />
Von Rainer Schäfer<br />
Fotos Arne Landwehr<br />
<strong>Egon</strong> Müller IV. sitzt im Bibliotheksraum seines<br />
ockerfarbenen Herrenhauses, das etwas außerhalb<br />
des Dorfes Wiltingen liegt. Ein bisschen Abstand<br />
kann nicht schaden. Er lebt zwar gern an der Saar,<br />
aber er muss nicht alle Gedanken mit anderen teilen.<br />
<strong>Egon</strong> Müller ist kein gewöhnlicher Winzer, er erzeugt<br />
die begehrtesten Rieslinge weltweit, seine Auslesen<br />
sind limitierte Kostbarkeiten. Der Scharzhof ist ein<br />
Weingut von Weltruf, er ist Mitglied der Vereinigung<br />
Primum Familiae Vini, der die Marchesi Antinori, das<br />
Château Mouton Rothschild oder die Domaine Joseph<br />
Drouhin angehören. Insgesamt sind es elf Güter, die<br />
zu diesem erlesenen Weinadel zählen, der Scharzhof<br />
ist das einzige deutsche Mitglied.<br />
126 127<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 <strong>FINE</strong> SAAR
<strong>Das</strong> ockerfarbene Herrenhaus des Weinguts <strong>Egon</strong> Müller etwas<br />
außerhalb von Wiltingen liegt am Fuß des Scharzhofbergs, einer<br />
der berühmtesten Lagen überhaupt, die beste Bedingungen für<br />
Weltklasse-Rieslinge bietet. Für Moden ist das Traditionsgut<br />
unempfänglich: Noch immer prangen die Etiketten im Design<br />
der zwanziger Jahre auf den Flaschen.<br />
betrachtet – bislang der Erfolgreichste in dieser Dynastie, wie<br />
sein Urenkel eingestehen muss, was ihn aber auch ansporne.<br />
<strong>Egon</strong> Müller II. dagegen wirkte nur kurz, er verunglückte 1941<br />
tödlich mit dem Traktor; seine Witwe brachte das Gut nur mit<br />
Mühe durch den Zweiten Weltkrieg, bis der dritte <strong>Egon</strong> den<br />
Scharzhof wieder auf Kurs brachte.<br />
Neben dem Marmorkamin steht in den Regalen, Buchrücken an Buchrücken, das Wissen<br />
aus Jahrhunderten, Homers Ilias, Machiavelli, Martin Luther und Albrecht Dürer.<br />
Gesammelt und hinterlassen hat es <strong>Egon</strong> Müller III. Seit fünf Generationen heißen<br />
alle männlichen Müllers <strong>Egon</strong> und werden mit römischen Ordnungszahlen durch nummeriert.<br />
Sie sind auch Ausdruck der Tradition und des Standesbewusstseins, das diese Familie aneinanderbindet.<br />
Auch <strong>Egon</strong> Müller IV. liest gern, zuletzt hat er den amerikanischen Evolutionsbiologen<br />
Jared Diamond gelesen und davor »etwas über den Ersten Weltkrieg«. Er bevorzugt<br />
aber elektronische Bücher, er reist viel, da seien EBooks handlicher. »Die Zeit geht weiter, ist<br />
halt so«, kommentiert er lapidar die technische Entwicklung. Der Starwinzer mit dem kahlen<br />
Charakterkopf redet leise, Diskretion wird in diesem Haus groß geschrieben, er spart mit Mimik,<br />
taxiert und beobachtet das Gegenüber ganz genau: Was erwartet man von ihm? Wie viel muss<br />
er von sich preisgeben? Er ist keiner, der zu schnell Vertraulichkeit aufommen lässt. Er könne,<br />
so sagen Freunde, sehr einsilbig sein, wenn ihm nicht nach Reden zumute ist. Vermutlich steht<br />
er deshalb auch im Ruf, einer dieser unnahbaren Weinaristokraten zu sein, die im Maßanzug<br />
um die Welt jetten und angeblich ihre Nase ziemlich hoch tragen.<br />
Hinter <strong>Egon</strong> Müller erhebt sich der Scharzhofberg, eine schräg aus der Erde ragende riesige<br />
Schieferplatte; er ist einer der berühmtesten Weinberge überhaupt. Traktoren klettern gelenkig<br />
nach oben, von weitem sehen sie aus wie metallene Käfer. Direkt<br />
am Fuß des Scharzhofbergs liegt das Herrenhaus, eingesäumt<br />
von einem Park mit Teich; es ist nicht nur Lustidylle, sondern<br />
auch Maschinenpark, hier wird gearbeitet. Der Scharzhofberg<br />
umfasst achtundzwanzig Hektar, <strong>Egon</strong> Müller hält daran achteinhalb.<br />
Er ist eine Kostbarkeit, eine Lebensversicherung, »es ist<br />
heute fast ausgeschlossen, etwas davon zu bekommen«, erklärt<br />
der Fünfundfünfzigjährige und springt auf, um Wein zu holen.<br />
Von Trockenübungen hält er nichts – man müsse schließlich<br />
wissen, wovon man rede. <strong>Egon</strong> Müller stellt eine Flasche ohne<br />
Etikett auf den Tisch, eine Auslese vom Scharzhofberg, Jahrgang<br />
1997. Es ist ein Wein, der nicht gemacht wurde, um ausgespuckt<br />
zu werden. Man begreift sofort, warum Müllers Scharzhofberger<br />
als die Inkarnation deutschen Rieslings gelten. In<br />
ihnen verbinden sich auf unnachahmliche Art Konzentration<br />
und Finesse. Michael Broadbent nennt sie »Meisterwerke, die<br />
aus niedrigen Gewölben ans Tageslicht gelangen«.<br />
wie Müller etwas flapsig formuliert, will er nicht verurteilen, er<br />
sei schließlich »nicht der erste und nicht der letzte Sünder«<br />
gewesen. Auf Kochs Sohn Felix folgte dann die Müller Dynastie.<br />
<strong>Egon</strong> der Vierte kann ein charmanter Erzähler sein, der kurzweilig<br />
durch die Jahrhunderte führt. Er schenkt noch mal nach:<br />
Man lerne einen Wein schließlich besser kennen, wenn man die<br />
ganze Flasche trinkt.<br />
Der Scharzhofberg ist die Urzelle dieser Familiensaga,<br />
er bekam erst seine Bedeutung, weil die Müllers seinen Wert<br />
erkannten. <strong>Egon</strong> I. war es, der einen eigenen Kellermeister einstellte,<br />
vorher war ein Wiltinger Küfer durch die Keller der<br />
Weingüter gezogen, der Wanderönologe hatte dabei keine markanten<br />
Spuren hinterlassen. »Die Unterschiede zwischen den<br />
Betrieben waren viel geringer als heute«, weiß der Saarwinzer.<br />
Sein Urgroßvater habe damals »nicht gespart«, um Veränderungen<br />
anzustoßen. Die Qualitätsoffensive im Scharzhof wurde<br />
belohnt: Bei der Weltausstellung in Paris von 1900 wurden die<br />
Rieslinge »mit Gold aufgewogen«, <strong>Egon</strong> Müller I. hat dem<br />
Allerweltsnamen zu Weltruf verholfen. Er war – ökonomisch<br />
<strong>Egon</strong> Müller IV. wuchs wohlbehütet im Schatten des<br />
Scharzhofbergs auf. Mit dem Seilzug schlitterte Klein<br />
<strong>Egon</strong> den Hang hinunter, unter dem Erntewagen habe<br />
er »im Dreck gespielt«. Über ihm dirigierte <strong>Egon</strong> Müller III.<br />
umsichtig das Geschehen. Er hat auch das Weingut Le Gallais<br />
in Wiltingen mit der vier Hektar großen Steillage Braune Kupp<br />
dazugekauft; in seine Ära fällt der große Jahrgang 1959, der als<br />
»Witwenmacher« galt, weil er – außergewöhnlich alkoholreich<br />
– den Kreislauf vieler Trinker strapazierte. <strong>Egon</strong> Müller<br />
lächelt, es heißt, dass sein Vater ihm direkt nach der Geburt<br />
einen Schluck vom Scharzhofberger eingeflößt habe. <strong>Das</strong>,<br />
sagt er, könne er sich gut vorstellen, und geschadet hat es ihm<br />
wohl auch nicht. Woran er sich noch genau erinnert: Wenn<br />
die Weinkommissionäre im Haus waren, um die Weine zu verkosten,<br />
habe er heimlich »die Reste rückwärts getrunken«, die<br />
Auslesen zuerst. Und in der Schule wurde er vom Lehrer angesprochen,<br />
der in der Zeitung gelesen hatte, dass der Scharzhof<br />
in Trier wieder mal die teuersten Weine versteigert habe. Eingebildet<br />
hat er sich darauf nichts, aber es bestärkte ihn darin,<br />
den Stab im Staffellauf der <strong>Egon</strong> Müllers von seinem Vater zu<br />
übernehmen.<br />
<strong>Egon</strong> Müller III. galt als kontaktfreudiger und leutseliger<br />
als sein Sohn. In Wiltingen heißt es, er habe sich öfter sehen<br />
lassen und auch am Dorfleben teilgenommen. Den Zweiten<br />
Was, Herr Müller, wäre die Familie ohne diesen Berg?<br />
Dieser Gedankengang geht dem Winzer nicht weit<br />
genug: »Was wäre die Familie ohne die Französische<br />
Revolution?«, lautet seine Gegenfrage. Erst Napoleon, dieser<br />
»Weltenmixer«, habe die Familie und den Weinberg zusammengebracht.<br />
Er ließ den kirchlichen Besitz einziehen, »sonst<br />
würde es uns nicht geben«. Letztendlich kamen die Müllers<br />
durch einen Sündenfall zu diesem Schatz: Der Benediktinermönch<br />
JeanJacques Koch, der am Scharzhofberg das Weingut<br />
seines Trierer Klosters St. Maria ad Martyres bewirtschaftete,<br />
ehelichte eine Nonne, mit der er sieben Kinder zeugte, und<br />
ersteigerte 1797 von den französischen Besatzern das Klostergut.<br />
<strong>Das</strong>s sein Ururgroßvater »aus der Kutte gesprungen« sei,<br />
128 129<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 <strong>FINE</strong> SAAR
Der Blick in den Fasskeller ist ein Blick in die Geschichte. Wie vor<br />
hundert Jahren werden die Rieslinge des Weinguts <strong>Egon</strong> Müller<br />
im Moselfuder vinifiziert; sie überstehen mühelos Generationen.<br />
130 131<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2015 <strong>FINE</strong> SAAR
Mit seinem ganzen Körpergewicht stemmt sich ein<br />
Weinbergsarbeiter auf den Pflug, der an einem Stahlseil<br />
den Steilhang des Scharzhofbergs hinaufgezogen wird.<br />
vererbte Genialität im Stammbaum als die besondere Güte des<br />
Scharzhofbergs: »Man neigt dazu, den Berg als Einflussgeber<br />
zu unterschätzen«, sagt er bescheiden.<br />
Weltkrieg hatte <strong>Egon</strong> III. nur mit viel Fortune über standen. Als<br />
er mit seinem Kavallerieregiment in Bordeaux stationiert war,<br />
sollte er nach Stalingrad versetzt werden. In der letzten Nacht<br />
wurde Abschied gefeiert mit viel Champagner aus dem Hause<br />
LaurentPerrier. Müller fiel, nicht ganz nüchtern, vom Pferd und<br />
brach sich ein Bein, so entkam er dem Kessel von Stalingrad.<br />
Seitdem wird auf dem Scharzhof, wenn es um Champagner<br />
geht, nur noch LaurentPerrier entkorkt, er gilt in der Familie<br />
als Glücksbringer.<br />
<strong>Egon</strong> Müller IV. übernahm das Weingut, nachdem er in<br />
Geisenheim studiert und in Kalifornien, im Bordelais und in<br />
Japan Erfahrungen im Weinbau gesammelt hatte. Empfand er es<br />
als Bürde, dieses Ausnahmeweingut weiter zu führen, in dem der<br />
Anspruch höher ist als anderswo? Eigentlich nicht, antwortet er<br />
und zögert. »Ich bin unter dem Druck aufgewachsen, die Tradition<br />
weiterführen zu müssen, das ist der Deal, den ich unterschrieben<br />
habe.« Aber er bekam die ganze Härte der Krise im<br />
deutschen Weinbau zu spüren, für die er das Wein gesetz von 1971<br />
verantwortlich macht: Damals wurden die bekannten Lagen<br />
beliebig ausgeweitet und »wie Gummi übers Land gezogen«,<br />
die Herkunft der Weine verlor an Bedeutung, der Scharzhofberg<br />
war plötzlich kein Solitär mehr, sondern eine unter vielen<br />
Weinlagen. 1982 sei schließlich die »Bombe explodiert«, der<br />
Exportmarkt brach zusammen, niemand wollte mehr etwas vom<br />
deutschen Wein wissen: »Es spielte plötzlich keine Rolle mehr,<br />
ob ein Betrieb über Jahrzehnte das beste Renommee besaß.«<br />
<strong>Egon</strong> Müller kämpfte, er lernte Japanisch in Trier und begann<br />
den asiatischen Markt zu erschließen. Nur mit Mühe hat er die<br />
Krise überstanden, zumal er auch noch 1986 seinen ersten Jahrgang<br />
»versemmelte«. Er hatte zu wenig gespritzt, um Schädlinge<br />
im Weinberg zu bekämpfen. Kamen ihm da keine Zweifel<br />
an seiner Bestimmung? »Meine Güte«, sagt er, »wir haben<br />
halt hart weitergearbeitet.« Auch der Weinadel ist mitunter<br />
pragmatischer veranlagt, als man denkt.<br />
Heute, sagt <strong>Egon</strong> Müller, habe er es viel einfacher als seine<br />
Vorfahren, deren gerahmte Porträts an den Wänden<br />
des Herrenhauses hängen: »Wir Saarwinzer sind die<br />
größten Gewinner der Klimaveränderung.« Die Saar ist eine<br />
der kühlsten WeinbauRegionen Deutschlands, häufig verloren<br />
die Winzer den Kampf um die Reife ihrer Trauben. Jetzt<br />
spielt ihnen das Klima in die Hände. Und <strong>Egon</strong> Müller ist ehrgeizig,<br />
er würde gern an die Leistungsbilanz von <strong>Egon</strong> I. herankommen,<br />
der mit »einem Fass Wein die Kosten für ein ganzes<br />
Jahr decken konnte«. So weit ist sein Urenkel noch nicht. Aber<br />
er erzielt Preise, bei denen andere Winzer Neidgefühle entwickeln:<br />
Eine Trockenbeerenauslese macht einen auf einen<br />
Schlag um rund 3000 Euro ärmer. Und <strong>Egon</strong> Müller macht kein<br />
Geheimnis daraus, dass er »für höhere Weinpreise« ist, nachdem<br />
deutscher Riesling »endlich wieder aus der Schmuddelecke<br />
rausgekommen« sei. Müller setzt auf geringste Mengen<br />
und höchste Qualität, diesen Aufwand will er bezahlt wissen.<br />
Von der Auslese 2014 mit der Goldkapsel gibt es gerade mal<br />
einhundertfünfzig Liter.<br />
Für Geschmacksmoden sind diese Traditionalisten unempfänglich,<br />
noch immer prangen die Jugendstiletiketten aus den<br />
1920er Jahren auf den Flaschen, alle Weine sind mit Restsüße<br />
ausgebaut, die den perfekten Gegenpol zur lebendigen, eleganten<br />
Säurestruktur bildet. Diese wie vor hundert Jahren<br />
im Moselfuder vinifizierten Urrieslinge überstehen mühelos<br />
Genera tionen. Oft wird <strong>Egon</strong> Müller nach dem Erfolgsgeheimnis<br />
der Familie gefragt, es wird sogar behauptet, dass sie Schiefer<br />
in ihren Genen trage. Dann wiegelt er ab, es sei weniger die<br />
Der mit stark verwittertem Grauschiefer durchsetzte<br />
Scharzhofberg bietet beste Bedingungen für WeltklasseRieslinge:<br />
Die Lage weist extreme Temperaturunterschiede<br />
zwischen Tag und Nacht auf. Enorm lange<br />
Vegetations phasen von mehr als einhundertfünfzig Tagen sind<br />
keine Seltenheit, »wenn die Trauben voll ausreifen, sind sie<br />
von so außergewöhnlicher Qualität, wie sie keine andere Lage<br />
liefert«. <strong>Egon</strong> Müller kennt jeden Winkel im Scharzhofberg, er<br />
kennt seine Launen, seine Stimmungen. Er selbst sieht sich als<br />
»Weinbergsmensch«, die Arbeit im Keller hat er mit dem Jahrgang<br />
2000 an Stefan Fobian übergeben. Wer will, kann <strong>Egon</strong><br />
Müller im Weinberg arbeiten und schwitzen sehen.<br />
Als der Winzer durch den Innenhof zum Gewölbekeller<br />
geht, zeigt er auf ein Schild, das an einer Tür hängt: »Imkerhonig«<br />
steht darauf. <strong>Egon</strong> V., der bald fünfzehn wird, interessiert<br />
sich gerade mehr für seine sechs Bienenvölker als für die<br />
Winzerei. Aber sein Vater ist überzeugt, dass der Scharzhofberg<br />
auch ihn, nach den Launen der Pubertät, in den Bann ziehen<br />
wird. Wenn er aber beschließe, Imker oder Automechaniker<br />
zu werden, würde er das schon als »ein Scheitern begreifen.<br />
Aber ich bin zuversichtlich, dass er erkennt, wofür er gemacht<br />
worden ist.« Nicht zum ersten Mal lässt <strong>Egon</strong> Müller eine<br />
feine Ironie aufblitzen.<br />
Die Auslese aus dem Scharzhofberg geht zur Neige, <strong>Egon</strong><br />
Müller wirkt in Jeans, einem bordeauxroten Polohemd und braunen<br />
Mokassins gar nicht wie der steife Etepetete Winzer, für<br />
den ihn manche halten. Er sehe sich auch gar nicht als Weinadliger,<br />
sagt er, da seien »andere drauf gekommen«. Müller<br />
wirkt durchtrainiert, er läuft und hat schon mehrere Marathons<br />
absolviert, er fährt auch lange Strecken mit dem Rad. »Ich bin<br />
ein ziemlich zufriedener Mensch«, sagt er, er brauche kein<br />
teures Markenauto, das meiste Geld verschlucke sein Weinkeller.<br />
<strong>Egon</strong> Müller hat ein sympathisches Laster, er trinkt liebend<br />
gern große Weine, als Sammler aber könne man ihn nicht<br />
bezeichnen, »dafür gehen die Flaschen zu schnell weg«. Aber<br />
er ist ein Genießer, der auf sich achtet.<br />
Sechzehn Hektar hat der Winzer inzwischen in Besitz, er<br />
spricht neben japanisch fließend französisch und englisch,<br />
er reist und kennt die Welt wie andere ihre vier Wände.<br />
Aber wichtiger als weiter zu wachsen und »immer mehr zu verdienen«<br />
sei ihm die Freiheit, tun und lassen zu können, was er<br />
will. Allzu geordnete Tagesabläufe machen ihn nervös, dann<br />
müsse er aus der Routine ausbrechen. <strong>Egon</strong> Müller ist nicht<br />
nur ein cleverer Geschäftsmann, er hat auch eine künstlerische<br />
Seele. Wenn er nicht Winzer geworden wäre, dann »brotloser<br />
Künstler«, sagt er. Während des Weinbaustudiums in Geisenheim<br />
war er bekannt für seine Porträtmalerei und seine Karikaturen;<br />
»er hat genial gezeichnet, auch während der Vorlesungen«,<br />
sagt sein Winzerfreund und damaliger Kommilitone<br />
Claus Piedmont, kein Professor konnte vor ihm sicher sein.<br />
Aber hinter der Verpflichtung, die Dynastie zu erhalten, mussten<br />
persönliche Vorlieben wie die Kunst zurückstehen. Doch<br />
<strong>Egon</strong> Müller kommt auch so auf seine Kosten: Über dem kleinen<br />
runden Marmortisch, an dem seit Jahrzehnten die Weine verkostet<br />
werden, hängt ein Gemälde von zechenden französischen<br />
Soldaten, die 1870 im Saarland eingefallen seien und »alles weggesoffen<br />
haben«, ihre Degen halten sie in den Händen. <strong>Das</strong>s die<br />
Weinverkoster unter diesem Gemälde stehen und mit gefüllten<br />
Gläsern manchmal ihre spitzen Stifte wie Degen ziehen, ist ein<br />
Szenario, das <strong>Egon</strong> Müller gut gefällt. •<br />
<strong>Egon</strong> Müller ist nicht nur der<br />
weitgereiste, belesene Weinaristokrat,<br />
der vier Sprachen<br />
spricht. Wer will, kann den<br />
bodenständigen Winzer im<br />
Weinberg schwitzen sehen.<br />
Der stark verwitterte Grauschiefer<br />
liefert die Basis für<br />
seine Scharzhofberger, die als<br />
die Inkarnation deutschen<br />
Rieslings gelten.<br />
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<strong>FINE</strong> 2 | 2015 <strong>FINE</strong> SAAR
<strong>FINE</strong> TASTING<br />
Rainer Schäfer verkostet zehn Rieslinge vom Weingut <strong>Egon</strong> Müller/<br />
Scharzhof, neun aus dem Jahrgang 2014 und einen 1997er<br />
2014<br />
Scharzhof Riesling QbA<br />
2014<br />
Riesling Kabinett<br />
Wiltinger Braune Kupp<br />
2014<br />
Scharzhofberger<br />
Kabinett<br />
2014<br />
Wiltinger Braune Kupp<br />
Spätlese<br />
2014<br />
Scharzhofberger<br />
Spätlese<br />
2014<br />
Wiltinger Braune Kupp<br />
Spätlese Versteigerungswein<br />
2014<br />
Scharzhofberger<br />
Spätlese Versteigerungswein<br />
2014<br />
Scharzhofberger<br />
Auslese<br />
2014<br />
Scharzhofberger<br />
Auslese Goldkapsel<br />
1997<br />
Scharzhofberg<br />
Riesling Auslese 1997<br />
Der Basisriesling stammt nicht aus dem Scharzhofberg, sondern aus anderen Lagen in und<br />
um Wiltingen. Im Edelstahl ausgebaut, duftet er nach Mirabelle und Wiesenkräutern. Am<br />
Gaumen gelbe Frucht, die Restsüße wird von frischer Säure getragen. Legt viel Schwung an<br />
den Tag, ein eher extrovertierter Typ.<br />
Im Duft süße Frucht und auch Feuerstein. Im Mund üppige und exotische Gelbfrucht und<br />
eine aromatische Kräuterwürze. Die Rieslinge aus der Kupp zeigen weniger Säure als die aus<br />
dem Scharzhofberg. Gute Länge; eine feine schiefrige Note verhindert den Eindruck von<br />
zu viel Opulenz.<br />
Verhaltene Nase, diskreter Duft nach Lindenblüten, Kamille und heller Frucht wie weißer<br />
Pfirsich. 34 Gramm Restzucker, die sensorisch weniger süß erscheinen durch die vitale Säure<br />
und typische Kräuterwürzigkeit. Ewas Zitrone und auch Tabak am Gaumen, stimmige Süße<br />
SäureBalance. Delikat.<br />
Zeigt viel reife gelbe Frucht in der Nase und auch eine leicht vegetabile Note. Im Mund<br />
zunächst sehr füllig, mild und warm, auch cremig; darauf folgen kräutrige Noten und ein Ausdruck<br />
von voll reifen Früchten; zurückhaltende Säurestruktur, harmonisch und etwas barock.<br />
Sich langsam aufbauende Duftigkeit, ein wenig Thymian, weiße Pfirsich und Blütenaromen,<br />
vornehmes Aroma, etwas Vanille. Am Gaumen reife Pfirsichfrucht, aber auch etwas Limone<br />
und Zitronengras. Die großzügige Süße korrespondiert wieder ausgezeichnet mit der präsenten<br />
Säure. Fein, nuanciert.<br />
<strong>Das</strong> beste Fass aus der Kupp, gerade mal fünfhundert Liter fassend. Offenes, präsentes Bukett<br />
von Pfirsich und Mandarine, weicher Gaumeneindruck. Wirkt schlanker als die andere Spätlese<br />
aus der Kupp, hat auch neben der süßen Frucht grünere Anklänge, Kräuter. Intensiv und<br />
klar im Ausdruck. Großes Potential.<br />
Attraktiver Duft nach Blüten und Rosen, phänomenal klar. Trägt noch ordentlich Babyspeck,<br />
ist aber schon sehr rein und pur im Ausdruck. Stilsicherer Auftritt, edle Struktur, feinste<br />
Noten von getrockneten Früchten und delikatem Blütenhonig. Filigrane Säure, ungemein<br />
dicht und doch enorm subtil. Kristalline Qualität.<br />
Betörender Duft, sehr intensiv, feine Frucht und Würze, gelöster Schiefer. Im Mund ein Ausbund<br />
an Finesse und Konzentration, Aromen von kandierten Früchten, Waldhonig, enormer<br />
Nuancenreichtum. Perfektes Spiel von Süße und neckischer, filigranster Säure. Riesiges<br />
Potential, ist für die kommende Generation gemacht.<br />
Von diesem erhabenen Elixier wurden nur einhundertfünfzig Liter aus mehreren Parzellen<br />
des Scharzhofbergs geerntet. Goldgelb im Glas, in der Nase Karamell und Bratapfel, enorm<br />
konzentriert und intensiv. Am Gaumen überaus stoffg und dabei doch so zart und klar. Ein<br />
Spiel der Paradoxe, das Dichte und Schwerelosigkeit verbindet. Ein Meisterwerk, das den<br />
Mythos des Scharzhofbergs weiter untermauern wird. Zeitlos.<br />
Den Jahrgang 1997 zählt <strong>Egon</strong> Müller zu den großen im Scharzhof. Vielschichtiger Duft,<br />
gedörrte Fruchte, Anklänge von Orangenschale und Tee. Reintönige und makellose Struktur,<br />
perfekt ausgewogen, tiefgründig, konzentriert, dabei maximale Finesse. Keiner entlockt<br />
dem Saarschiefer so viele Emotionen wie <strong>Egon</strong> der Vierte. Eine grandiose Essenz, die man<br />
nicht zu den Rauschdrogen zählen sollte. Zum einen erweitert sie das Denken auf höchst<br />
genussvolle Art, zum anderen ist sie viel zu teuer, um ein Suchtverhältnis zu begünstigen. •<br />
88 P<br />
89 P<br />
91 P<br />
92 P<br />
94 P<br />
93 P<br />
95 P<br />
96 P<br />
98 P<br />
97 P<br />
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<strong>FINE</strong><br />
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