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PROMAGAZIN November 2023

Unsere Themen in der November-Ausgabe: 50 Jahre Heilbronn-Franken, Nachhaltigkeit, Winterfreuden

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WIRTSCHAFT | Titel<br />

Titel | WIRTSCHAFT<br />

Kinder, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können, finden im Albert-Schweitzer-Kinderdorf eine Familie.<br />

Eine echte Lebensaufgabe<br />

Die Arbeit im Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Waldenburg ist kein<br />

Job wie jeder andere. Für die pädagogischen Fachkräfte, die Kinder<br />

in ihre Familie aufnehmen, verschmelzen Beruf und Leben auf eine<br />

bereichernde und sinnstiftende Weise.<br />

Kinder brauchen ein behütetes Zuhause.<br />

Doch leider sind die leiblichen<br />

Eltern nicht immer in der<br />

Lage, ihnen das zu bieten. Die Gründe<br />

sind vielfältig – oft sind Gewalt, Missbrauch<br />

oder Drogenabhängigkeit ein<br />

Thema. Im Albert-Schweitzer-Kinderdorf<br />

in Waldenburg finden sie einen<br />

geschützten Ort, an dem sie aufwachsen<br />

und optimale Entwicklungschancen<br />

bekommen. Dort stellen sich Profis<br />

in der Kinder- und Jugendhilfe einer<br />

ganz besonderen Herausforderung<br />

und Verantwortung: Sie schlüpfen in<br />

die Elternrolle, nehmen bis zu sieben<br />

Pflegekinder in ihre Familie auf, zusätzlich<br />

zu ihren eigenen Kindern, und<br />

betreuen sie, bis sie flügge werden.<br />

„Eng verbunden mit der Philosophie<br />

Albert Schweitzers – Ehrfucht vor<br />

dem Leben – haben wir uns zur Aufgabe<br />

gemacht, Kinder, Jugendliche und<br />

Familien zu unterstützen“, sagt Arne<br />

Höller, Vorstand Sozialpädagogik des<br />

gemeinnützigen Vereins. „Unser Kernangebot<br />

ist das Kinderdorf, das 1957<br />

von Margarete Gutöhrlein gegründet<br />

wurde.“ Aktuell sind fünf der sieben<br />

Kinderdorfhäuser belegt. Mit zwei<br />

neuen Familien laufen Anbahnungsgespräche.<br />

„Kinderdorfeltern zu werden,<br />

ist ein umfangreicher Prozess, der<br />

wohlüberlegt sein muss“, sagt Höller.<br />

Fotos: Albert-Schweitzer-Kinderdorf<br />

„Das ist kein Job, den man einfach mal<br />

ausprobieren und wieder an den Nagel<br />

hängen kann, wenn er einem nicht gefällt.<br />

Das ist eine echte Lebensaufgabe.<br />

Alles andere wäre eine Katastrophe für<br />

die Kinder.“ Mindestens ein Elternteil<br />

muss über eine fundierte Ausbildung<br />

in Erziehung oder Sozialpädagogik<br />

verfügen und wird in Vollzeit angestellt,<br />

denn in der Jugendhilfe gilt ein<br />

Fachkraftgebot. Die jeweiligen Lebenspartner<br />

arbeiten ehrenamtlich<br />

mit. Zudem müssen sie bereit sein, ihren<br />

Wohnort ins Kinderdorf zu verlegen,<br />

wo sie ein großes Haus mit Garten<br />

beziehen. „Durch diese Professionalisierung<br />

unterscheiden wir uns von<br />

herkömmlichen Pflegefamilien“, sagt<br />

Höller. „Eine weitere Besonderheit ist,<br />

dass die Kinder, die bei uns aufgenommen<br />

werden, in der Regel keine Perspektive<br />

auf eine Rückführung in die<br />

leibliche Familie haben, wie bei manch<br />

anderen stationären Unterbringungsangeboten<br />

der Jugendhilfe.“<br />

Betreuung rund um die Uhr<br />

Wie in einer echten Familie sind die<br />

Hauseltern rund um die Uhr für die<br />

Kinder da, um ihnen ein verlässliches<br />

Beziehungs- und Bindungsangebot zu<br />

bieten. „Insbesondere für kleine Kinder<br />

im Alter bis sechs Jahre sind ein<br />

stabiles Familienumfeld und feste Bezugspersonen<br />

enorm wichtig“, sagt<br />

Höller. „Da unsere Kinder aus schwierigen<br />

Lebensumständen kommen, bedürfen<br />

sie besonderer Unterstützung.“<br />

Neben den Hauseltern werden daher<br />

pro Familie drei weitere pädagogische<br />

Fachkräfte sowie eine Hauswirtschaftskraft<br />

eingesetzt.<br />

Die Kinder wachsen in den Großfamilien<br />

auf, bis sie alt genug sind, ihr<br />

Leben in die eigenen Hände zu nehmen,<br />

einen Beruf zu ergreifen und auszuziehen<br />

– wie in einer ganz normalen<br />

Familie. Dann rücken entweder neue<br />

Kinder nach oder die Familien entscheiden<br />

sich dafür, nur noch die verbleibenden<br />

Kinder zu betreuen und<br />

perspektivisch aus dem Dorf auszuziehen,<br />

wenn alle aus dem Haus sind.<br />

Wolfgang Bartole (li.) und Arne Höller leiten als gleichberechtigte Vorstände den<br />

gemeinnützigen Albert-Schweitzer-Kinderdorf-Verein in Waldenburg.<br />

Die Arbeit in der Jugendhilfe erfordert<br />

hohes Engagement – nicht nur<br />

im Kinderdorf, auch in den weiteren<br />

Hilfsangeboten, die der Verein als<br />

Sozialträger in der Region bietet: ambulante<br />

Erziehungshilfe, Beratungsstellen,<br />

Schulsozialarbeit, betreute<br />

Wohnformen und vieles mehr. „Die<br />

Menschen, die wir unterstützen, sind<br />

24 Stunden, sieben Tage die Woche da“,<br />

sagt Höller. „Für unsere rund 180 Mitarbeitenden<br />

bedeutet das natürlich<br />

auch Schicht- und Wochenenddienst.<br />

Die Arbeitszeiten muss man nehmen,<br />

wie sie sind.“ Dafür sei die Arbeit mit<br />

den Kindern und Jugendlichen enorm<br />

sinnstiftend, erfüllend und bereichernd<br />

– auch für ihn selbst. „Soziale<br />

Berufe muss man als Berufung begreifen.<br />

Ich kann mir keine schönere Tätigkeit<br />

vorstellen.“<br />

Großes Gemeinschaftsgefühl<br />

„Wir sind hier alle wie eine große Familie“,<br />

sagt Wolfgang Bartole, Vorstand<br />

Wirtschaft und Finanzen. „Selbst für<br />

unsere Mitarbeitenden, die nicht im<br />

betreuerischen Bereich tätig sind, sondern<br />

in der Verwaltung oder in der<br />

Haustechnik, ist es kein Job wie jeder<br />

andere. Wir sehen jeden Tag, wie die<br />

Kinder hier aufwachsen und sich entwickeln.<br />

Das macht viel Freude.“<br />

Passendes Personal zu finden sei<br />

dennoch nicht leicht, sondern eine „gigantische<br />

Aufgabe“ – Stichwort Fachkräftemangel.<br />

Der Verein, dessen soziales<br />

Engagment von der öffentlichen<br />

Hand sowie durch Spenden finanziert<br />

wird, biete daher viele Benefits für Mitarbeitende:<br />

betriebliche Altersvorsorge,<br />

Arbeitszeitkonten, Fortbildungen,<br />

Dienstwägen für ambulante Tätigkeiten<br />

und mehr. Ein Überbietungswettbewerb<br />

und Verteilungskampf zwischen<br />

den sozialen Einrichtungen in<br />

der Region sei aber nicht zielführend.<br />

„Was nützt mir die beste Angel, wenn<br />

der Teich leer ist“, meint Höller. Es gelte<br />

daher, viel mehr junge Menschen für<br />

eine Ausbildung im Sozialbereich zu<br />

begeistern und den bestehenden Mitarbeitenden<br />

Wertschätzung zu vermitteln,<br />

um sie langfristig zu binden.<br />

Nur so könne der Albert-Schweitzer-<br />

Kinderdorf-Verein auch in Zukunft seiner<br />

Aufgabe gerecht werden und das<br />

Angebot ausweiten. Geplant ist nämlich,<br />

ein weiteres Haus zu bauen, in das<br />

eine inklusive Kinderdorffamilie einziehen<br />

soll. „Wir wollen Plätze für alle<br />

Kinder anbieten – auch mit seelischen,<br />

körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen“,<br />

sagt Höller. dt<br />

20<br />

<strong>November</strong> <strong>2023</strong><br />

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