Norbert Schwontkowski - Weltkunst
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Atmosphäre, Stratosphäre<br />
und das Leben auf Grund<br />
I. Im Zug<br />
Betrachte ich mein Leben, so hab ich es scheinbar gut getroffen.<br />
Ich sitze in einem Zug, der durch die Lande fährt. Nicht in der ersten Klasse,<br />
einigermaßen bequem jedoch im Speisewagen, in jenen Speisewagen<br />
der alten Art, mit den kleinen, gelblichen Lämpchen am Tisch, die immerzu leuchten,<br />
besonders heute, da die Fenster voll rasender Tränen sind und es kein<br />
sichtbares Außen gibt. Nur fühle ich jetzt, dass unser Zug über einen Viadukt<br />
fährt und oben, unten, neben mir ist nichts nichts nichts.<br />
November 2001<br />
II. An der See<br />
Ich sitze auf einem Fels am See und vor mir auf einem Fels im See sitzen vier<br />
junge Kormorane. Weder Stift noch Papier noch Fotoausrüstung habe ich bei<br />
mir, mir bleibt nichts anderes als all dies betrachtend in mich aufzunehmen, denn<br />
später will ich das malen, nicht als Bild kosmischer Einheit - eher wie etwas<br />
Zufälliges, das meinen Weg kreuzt. Also betrachte ich den Lauf der Wellen - wie<br />
kleine spitze Wellen auf den größeren sitzen. Die Felsen - wie kleine zackige<br />
Spitzen auf den größeren sitzen. Das Gefieder, Körperbau und Haltung der<br />
Vögel betrachte ich und ich werde es vergessen, so wie die Farbe des Meeres,<br />
den Duft -all das werde ich vergessen. Aber ich werde mich erinnern. Diese<br />
verblassende Erinnerung ist Thema und Inhalt meiner Malerei.<br />
September 2003<br />
<strong>Norbert</strong> <strong>Schwontkowski</strong> in Dolores, Austellungskatalog, Galerie Thoman, Innsbruck 2007<br />
Über das Reisen in der Dämmerung<br />
I.<br />
Ich sitze also und blicke wie durch einen Zauberspiegel durch das Abteilfenster<br />
und mein Blick fällt auf ein Haus in diesem kleinen Städtchen, irgendwo, fällt durch<br />
ein erleuchtetes Fenster, hinter dem, in der Wärme der Stube, sich eine etwa<br />
vierzigjährige Frau über einen Tisch beugt, an dessen anderem Ende ich<br />
scheinbar selber sitze und, ein Glas Rotwein in der Hand haltend, diese Frau<br />
wortlos anblicke, während sie mir den Rauch ihrer Zigarette herüberbläst und mir<br />
dabei ihre weißen Zähne zeigt und sie sieht mir zu, sieht mir zu beim Schreiben<br />
und nickt jetzt bestätigend, denn ich schreibe eine Geschichte oder vielmehr<br />
versuche ich nur einen Satz zu schreiben, einen einzigen Satz, der einen<br />
bestimmten, mir aber unklaren Sinn aufzeichnen könnte, während jetzt mein<br />
Blick über den Tisch, über die Frau, durch das Fenster fällt, auf den Zug, der langsam<br />
vorüberrollt.<br />
II.<br />
Nach einer Kurve fährt der Zug nun über eine Brücke und unter der Brücke fließt<br />
der Fluß und wieder fällt mein Auge, fällt mein Blick auf die Augen des Fischers,<br />
der, in einem Nachen stehend, seinen Blick auf die Augen des zappelnden Fisches<br />
richtet, dem er den Haken aus dem Maul zieht.<br />
<strong>Norbert</strong> <strong>Schwontkowski</strong> in Flos, Ausstellungskatalog, Kunstverein Oldenburg u.a., Köln 1999