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20240119_AN_Schaufenster

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Der Name klingt schon sehr theoretisch.<br />

Es könnte ein Scherz dahinterstecken<br />

oder eine Kunstfigur zu<br />

statistischen Zwecken. Der Durchschnittsösterreicher<br />

schlechthin.<br />

Dabei ist, oder besser war, er echt<br />

und alles andere als durchschnittlich.<br />

Franz Joseph Österreicher wurde 1846 als Sohn<br />

eines Fleischhauers in Brand-Nagelberg im Waldviertel<br />

geboren,wuchsineherbescheidenenVerhältnissenauf.<br />

Die Mutter führte daneben noch ein kleines Lokal im<br />

Ort. Das dürfte den jungen Franz Joseph geprägt haben,<br />

sodasserfortanKarriereinderGastronomieundHotelleriemachte,innoblenHotelsarbeitetewiedemErzherzog<br />

Karl in der Kärntner Straße in Wien. Später wechselte<br />

er nach Bozen ins Hotel Gries, kaufte dann ein<br />

Hotel in Trient, bis es ihn nach Madonna di Campiglio<br />

verschlug.<br />

Dort, im Trentino, wurde er zum großen Tourismuspionier,<br />

übernahm von Gianbattista Righi eine ehemalige<br />

Herberge in den Mauern eines historischen Hospizes.<br />

Österreicher verwandelte das Haus in ein Nobelhotel<br />

und brachte es fertig, dass die Wiener Aristokratie gern<br />

nach Madonna di Campiglio pilgerte. Einer der Stammgäste<br />

war Erzherzog Albert, der regelmäßig mit Familie<br />

kam. Nur drei Jahre nachdem Österreicher das Haus<br />

übernommen hatte, reiste auch Kaiserin Elisabeth mit<br />

ihrer Tochter Marie Valerie an. Zusammen mit Kaiser<br />

Franz Joseph blieb sie 1889 einen ganzen Monat in den<br />

Brenta Dolomiten. Franz Joseph Österreicher wurde zu<br />

einer lokalen Größe und nach seinem Tod 1909 in der<br />

Kirche Santa Maria Antica bestattet, woran eine große<br />

Gedenktafel im Boden vor dem Altar erinnert. Immer<br />

wieder, auch heute noch, kursieren Gerüchte, er sei tatsächlicheinunehelicherSohnvonKaiserFranzJoseph.<br />

WELTERBE.<br />

Dietraumhaften<br />

Dolomiten–längst<br />

vonderUnesco<br />

geadelt–zogen<br />

frühBesucheran.<br />

Campiglio sagen die Einheimischen. Mit dem Ende<br />

des Ersten Weltkriegs war es vorbei mit den hochherrschaftlichen<br />

Urlaubsgästen aus Wien, aber die Innigkeit<br />

zwischen Österreich und Madonna di Campiglio blieb.<br />

Und sie wird heute noch gepflegt. Wer heute nach<br />

Madonna di Campiglio reist, entweder auf der langen<br />

kurvenreicheFahrtvomEtschtaldurchsValdiSoleoder<br />

in einem weiten Bogen durch die Giudicarie über Paganella<br />

und Molveno, kann sich gut vorstellen, wie mühsamesdamalsfürdieKutschenwar.EineandereArtvon<br />

Nostalgie ist, dass bei Google Maps der Ort hartnäckig<br />

alsSt.MariaimPeinbezeichnetwird,waserstensKonfusion<br />

erzeugt und zweitens völlig veraltet ist. Die Einheimischen<br />

heißen ihren Ort nur kurz Campiglio. Von<br />

MadonnaredennurdieTouristen.<br />

Es strahlt eine alpine Geborgenheit aus, wenn man den<br />

Ort in dem engen Ausläufer des Val Rendena auf 1550<br />

Meternzwischendensteilen,fastsenkrechtaufragenden<br />

Felswänden der Brenta Dolomiten im Osten und den<br />

deutlich sanfteren Hängen von Adamello im Westen<br />

begegnet. Das gute Verhältnis zur Aristokratie hat wohl<br />

denWeggeebnet,dasssichCampiglioalseineArtitalienischesKitzbüheletablierenkonnte,eininternationales<br />

undvorallemzahlungskräftigesPublikumgewann.<br />

Wie es in solchen Orten üblich, ja fast unvermeidbar<br />

scheint,beherrschteineEngedasOrtszentrum,istjeder<br />

Quadratmeter verplant und kommerziell genutzt. Um →<br />

<strong>Schaufenster</strong> 25

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