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Schon lang hatte die Volksoper versucht,<br />

die Rechte für die Aufführung der „West<br />

Side Story“ zu bekommen. Zuletzt war<br />

das ikonische Bernstein-Musical 2005<br />

am Haus zu sehen gewesen (Regie: Philippe<br />

Arlaud). Meist erhalten nur große<br />

Touranbieter die Aufführungsrechte,<br />

doch Lotte de Beer ließ sich auch von wiederholten<br />

Abfuhren nicht abschrecken. Sie machte den Nachbarn<br />

der Rechte-Inhaber ausfindig, dieser schob eine Nachricht<br />

von de Beer unter die Tür. Nach diesem Erstkontakt<br />

flog die Intendantin nach New York – und kam mit<br />

den Rechten im Gepäck zurück.<br />

Und so feiert das Werk nun am 27. Jänner im Haus am<br />

Gürtel Premiere. Das ist gut – nicht nur, weil es eines der<br />

berühmtesten Musiktheaterwerke aller Zeiten ist, sondern<br />

auch, weil es das Genre Musical an die Volksoper<br />

brachte. Marcel Prawy, der 1938 vor den Nationalsozialisten<br />

in die USA floh, hatte dort Leonard Bernstein und<br />

die „West Side Story“ kennengelernt. Als er nach seiner<br />

Rückkehr nach Wien Chefdramaturg der Volksoper<br />

wurde, gelang es ihm, nach einem unermüdlichen Briefwechsel<br />

mit Bernstein, die deutschsprachige Erstaufführung<br />

der „West Side Story“ ans Haus zu holen. Die Übersetzung<br />

hatte er selbst vorgenommen, großteils im Flugzeug,<br />

auf Speisekarten und sogar Speibtüten. Die Premiere<br />

am 28. 2. 1968 war ein Riesenerfolg. Auch bei der<br />

Neuproduktion wird auf die Prawy-Übersetzungen<br />

zurückgegriffen: Die deutschen Dialoge sind mit englischen<br />

Übertiteln zu sehen, die englischen Songs mit<br />

deutschen Übertiteln.<br />

Auch für Jaye Simmons, die aus New York kommt und<br />

Mitglied des Opernstudios der Volksoper ist, stand die<br />

Rolle der Maria schon immer ganz oben auf der<br />

Wunschliste. „Ich kenne die Gegend, in der die ,West<br />

Side Story‘ spielt, die Upper West Side, sehr gut, ich bin<br />

dort aufgewachsen, dort ist meine Familie. Ich liebe es,<br />

an der Volksoper zu sein, aber ich vermisse auch New<br />

York. Das Stück gibt mir ein wenig Heimatgefühl. Das<br />

macht es noch mal spezieller für mich.“ Seit eineinhalb<br />

Jahren ist Simmons im Opernstudio und hat u. a. die<br />

Papagena („Zauberflöte“), die Diana („Orpheus in der<br />

Unterwelt“) und die Barbarina („Le nozze die Figaro“)<br />

gesungen. Simmons, die sich als non-binär sieht, hat an<br />

der Juillard School in New York studiert, die Volksoper<br />

ist für Simmons der perfekte Ort, um auch die Praxis<br />

des Musical- und Opernbetriebs kennenzulernen. Im<br />

Juni – als Abschluss ihrer Residenz – ist Simmons als erster<br />

Countertenor in John Adams’ Oratorium „The Gospel<br />

According to the Other Mary“ zu hören.<br />

Für Lotte de Beer ist es die erste Musical-Inszenierung.<br />

Die Arbeit mit ihr sei sehr fruchtbar, sagen die Sänger.<br />

„Sie hat klare Vorstellungen, ist aber auch offen für<br />

unsere Ideen. Das ist wichtig und zeichnet eine gute<br />

Regisseurin aus. Wir bringen schließlich sehr viel von<br />

uns selbst auf die Bühne“, meint Zetterholm. Die unwiderstehliche<br />

Anziehung zwischen Maria und Tony zu<br />

veranschaulichen sei nicht schwierig gewesen. „Anziehung<br />

darzustellen, ist keine Herausforderung, sie glaubwürdig<br />

und ehrlich zu spielen, manchmal schon. Die<br />

Chemie zwischen uns hat aber schon beim ersten Treffen<br />

gestimmt.“<br />

Funkensprung.Hauptdarsteller sind Anton Zetterholm<br />

(als Tony) und Jaye Simmons (als Maria). Der schwedische<br />

Tenor gilt als einer der führenden Musicaldarsteller<br />

im deutschsprachigen Raum, beim ersten Treffen<br />

mit Regisseurin Lotte de Beer sprang gleich<br />

der Funke über. „Es ist ein unglaublicher<br />

Luxus, an der Volksoper singen zu dürfen. Es<br />

gibt fünf Bühnen zum Proben, ein Opernorchester<br />

und die gesamte Infrastruktur. Das<br />

hat man bei einem Musical sonst nicht“, sagt<br />

er. Den Tony hat er schon öfter gesungen, in<br />

Wien allerdings noch nie. Er hält die Rolle<br />

für die wohl wichtigste, die er je spielen<br />

durfte. „Tony ist ein Jugendlicher an der<br />

Grenze zum Erwachsenen, er entscheidet<br />

sich für die Liebe und gegen die Gruppe, was er später<br />

mit dem Leben bezahlen wird.“ Und auch wenn die<br />

Geschichte im New York der 50er-Jahre spielt (und so<br />

auch auf die Bühne gebracht werden muss), ist sie aktuell<br />

wie nie. „Das zeigt doch der Zustand unserer Welt,<br />

die Kriege und Konflikte“, so Zetterholm. Und Regisseurin<br />

de Beer findet: „Die ,West Side Story‘ zeigt, wie Rassismus<br />

und Fremdenfeindlichkeit ein System schaffen,<br />

das der Jugend zum Verhängnis wird.“<br />

Auf Shakespeares „Romeo und Julia“ beruht Bernsteins<br />

Musical, und Shakespeares Epos wiederum auf Gedichten<br />

aus der Antike. Der Stoff ist so alt wie die Menschheit:<br />

Liebe, die so stark ist, dass sie alle Grenzen überwindet.<br />

Und schließlich mit dem Tod endet. Verbunden<br />

mit der unglaublichen Musik Bernsteins und den famosen<br />

Choreografien ein Meisterwerk, findet Zetterholm.<br />

Auf den Straßen<br />

von Manhatten<br />

bekämpfen sich<br />

Jets und Sharks.<br />

Bernstein-Schülerin. Neu ist auch der Mann am Pult:<br />

Ben Glassberg ist seit 1. Jänner Musikdirektor der Volksoper<br />

und löst damit Omer Meir Wellber ab. „West Side<br />

Story“ ist seine erste Premiere als Musikdirektor. „Ben<br />

kommt aus London, dort gibt es eine große<br />

Musical-Tradition, und er hat ein super<br />

Gespür für das Genre“, sagt Zetterholm. Der<br />

Tenor ist übrigens vor Kurzem mit seiner<br />

Familie nach Wien gezogen. Ab März singt er<br />

auch die Hauptrolle im „Phantom der Oper“<br />

bei den VBW.<br />

Ein Jahr vor der „West Side Story“, im Jahre<br />

1956, schuf Bernstein seine Operette „Candide“.<br />

Auch dieses war in Wien erstmals in<br />

deutscher Sprache zu erleben, im April 1963<br />

im Sendesaal des Funkhauses Wien, auch hier hatte<br />

Marcel Prawy seine Finger im Spiel. Zuletzt war das<br />

Werk 2019 an der Kammeroper zu erleben, jetzt ist es<br />

zurück auf der großen Bühne: Marin Alsop, Chefdirigentin<br />

des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien und<br />

selbst eine Schülerin Bernsteins, dirigiert das Werk derzeit<br />

am Theater an der Wien, die amerikanische Regisseurin<br />

Lydia Steier inszeniert die Operette als große<br />

Bühnenshow. Als Einstimmung für beide Werke empfehlenswert:<br />

Bradley Coopers Film „Maestro“ über Bernsteins<br />

Leben, derzeit auf Netflix zu sehen. s<br />

Tipp<br />

„WESTSIDESTORY“.Dirigent:BenGlassberg,Regie:LottedeBeer,Premiere:<br />

27.Jänner,Volksoper;„Candide“,TheateranderWien,nochbis3.Februar.<br />

<strong>Schaufenster</strong> 33

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