FML 09/2023

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EDITORIAL Fachkräftemangel: Die Mär von der Mär Allerorten wird derzeit, auch im Schwerpunkt dieser Ausgabe von FML, das Wort oder der Begriff vom Fachkräftemangel kolportiert. Ganze Industrieen und insbesondere das Handwerk stünden auf dem Spiel, weil ihnen fehlender Nachwuchs prognostiziert wird. Der „Krieg um die Talente“ oder um im angesagten Sprech zu bleiben der „war for talents“ sei bereits im vollen Gange und werde sich aufgrund der vorhergesagten Bevölkerungsentwicklung noch weiter zuspitzen. Digitalisierung, KI & Co. seien die Treiber einer Entwicklung hin zum Arbeitnehmer_innen-Markt. Schon Zeit etwas genauer hinzusehen. In einigen Branchen sieht es in Sachen qualifizierter Kräfte in der Tat bereits heute reichlich düster aus. In der Altenpflege dauere es laut einer Studie der Agentur für Arbeit durchschnittlich 167 Tage bis zur Stellenbesetzung. diese Studie trägt übrigens den wunderbaren und klaren Namen „Fachkräfteengpassanalyse“. Laut einer weiteren Studie des DIHK (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) findet rund jeder dritte Betrieb nicht mehr genug Azubis für die freien Plätze. Trauriger Spitzenreiter sei das Gastgewerbe, in dem 61 Prozent der Ausbildungsplätze unbesetzt blieben. Spätestens jetzt wäre allerdings ein wenig Skepsis angebracht. Denn die Branchen, die in den Untersuchungen zuerst genannt werden, sind genau die Branchen, die für zum Teil schlechte und/oder miserable Arbeitsbedingungen bekannt sind. Fehlende Fachkräfte haben hier vor allem eine Ursache: die fehlende Bereitschaft oder Lust sich solchen Arbeitsbedingungen überhaupt noch stellen zu wollen. Gerade an diesem Punkt stellt sich mir die Frage: warum heißt es eigentlich „der Fachkräftemangel“? Müsste es nicht „die Fachkräftemangel“ heißen? Vorausgesetzt allerdings, die geneigte Leserschaft weiß noch was eine Mangel ist – oder vielmehr war. Meine Oma hatte ein solches Gerät noch zu Hause stehen und ich als kleiner Bub empfand größtes Vergnügen dabei, auf dem Schoß meiner Oma sitzend, große Wäschstücke glätten zu helfen. Klar macht man das heute nicht mehr mit der hauseigenen Wäschemangel, doch „in die Mangel nehmen“ erinnert etymologisch schon daran, dass früher nur ein geglättetes Bettlaken auch ein gutes Bettlaken war. Die Stücke wuren mit großem Druck zwischen heißen Walzen glatt gepresst. Und genau das mag manchen Menschen aus obengenannten Berufszweigen bekannt vorkommen. Fragen Sie doch einfach mal eine Erzieherin, einen Altenpfleger oder eine Kellnerin danach, wie es um ihre Ener- gie oder Balance bestellt ist. Sie werden nur verständnisloses bis resignatives Achselzucken ernten. Fachkräfte sind im doppelten Wortsinn Mangelware. Statt die Konzentration ausschließlich auf die Eignung von Fachkräften zu richten, sollten wir die Rahmenbedingungen überdenken, innerhalb derer Menschen tätig sind und Leistung bringen sollen. Übrigens: dazu gehört auch eine neue Führungskultur! Was erzählte mir unlängst ein Betriebsinhaber: „Eine ganz üble Sorte trägt jetzt neue Ideen in den Betrieb und bringt die ganze schöne Ordnung durcheinander! Solche Möchtegern- Revoluzzer kann ich nicht gebrauchen!“ In diesem Sinne, Herzlich, Ihr Wolfgang Auer, Chefredakteur FML 9/2023 3
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