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NK 03_2024

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SATIRE<br />

WERDE KOLLEGE IM DIREKTVERTRIEB:<br />

„ICH BIN DEIN SUPPORTER UND<br />

WERDE DICH COACHEN!“<br />

© Philipp Griesemer Photography<br />

Im Grunde mag ich viele Produkte<br />

aus dem Direktvertrieb. Es gibt tolle<br />

Kosmetika, die meiner Haut gut tun,<br />

es gibt wertvolle Nahrungsmittelergänzungen,<br />

von denen ich überzeugt<br />

bin, dass sie mein Immunsystem stärken<br />

(der Glaube daran ist ja so oder so<br />

schon die halbe Miete), es gibt Säfte,<br />

deren Geschmack ich einfach mag,<br />

es gibt Eiscrème zum Selbermachen,<br />

das ist ein schöner Sommerzeitvertreib<br />

und gar der Lavendelduft, der<br />

das Badezimmer einlullt, nachdem<br />

ich meine sieben Chakren damit aktiviert<br />

habe, gibt der Stadtwohnung<br />

auch olfaktorisch etwas Naturnahes.<br />

So weit so gut. Ich bin Kunde – oder<br />

wie meine Kollegin sagt: „Du bist<br />

noch ganz unten in der Line.“ „Ganz<br />

unten“ gefällt mir natürlich nicht und<br />

da liegt das Argument auf der Hand,<br />

dass mich meine Kollegin dann irgendwann<br />

auch darauf anspricht,<br />

dass „unten“ nur ein Anfang des Weges<br />

sein kann. Es gibt „oben“ und natürlich<br />

auch „die da ganz oben“, das<br />

sind die mit schicken Autos, Haus in<br />

Miami und die nur noch das Leben<br />

genießen.<br />

Klar, einmal nach dem opulenten<br />

Frühstück mal den Bankkontostand<br />

abfragen und dann noch alle Lines<br />

darüber informieren, in den Social-<br />

Media-Gruppen posten – das ist<br />

dann die Arbeit. Ist doch das Ziel eines<br />

Jeden, nicht mehr für Geld arbeiten<br />

zu müssen, sondern nur noch das<br />

zu tun, was man möchte und das Geld<br />

für sich arbeiten zu lassen? Nicht arbeiten,<br />

sondern arbeiten lassen, ein<br />

Schema aus dem altindustriellen<br />

Zeitalter. Dumm nur, dass ich meine<br />

Arbeit wirklich liebe, sie mir auch fehlen<br />

würde und ich phasenweise tatsächlich<br />

auch mal mit Widrigkeiten<br />

dort umgehen möchte.<br />

Aber da ist meine Kollegin wohl schon<br />

Meilen weiter. Selbst wenn wir als<br />

„alte Freunde“ miteinander über Ferien,<br />

Familie und/oder Job reden,<br />

kann ich Ihnen versichern: Nach gefühlten<br />

drei Minuten sind wir beim<br />

Thema. Immer: „Passiveinkommen“,<br />

„Unsere Produkte sind genial“, „Da<br />

musst du einsteigen!“, „Wir sind eine<br />

derart tolle Community“ usw. usf.<br />

Ich habe mich letzthin ertappt, das<br />

Multi-Level-Marketing-Bullshit-Bingo<br />

zu spielen. Bevor ich besagte Kollegin<br />

anrufe, schreibe ich für mich auf, wie<br />

lange „es“ heute dauert, bis „sie“<br />

wieder bei „dem Thema“ ist. „Möchtest<br />

du nicht auch reich sein, wie ..?“<br />

fragt sie und zeigt dann die Bilder von<br />

„demjenigen da ganz oben“, sich<br />

braungebrannt auf der Yacht räkelnd,<br />

oder „Möchtest du nicht auch 10.000<br />

Euro am Tag verdienen?“ oder „Denk<br />

mal darüber nach, innerhalb einer<br />

Woche zu einem Porsche zu kommen!“<br />

Nun, ich mag Porsche nicht so,<br />

ich steh auf Aston-Martin. Der James-<br />

Bond Touch macht aus mir einen Helden.<br />

Und was will ich mit 10.000 Euro,<br />

wenn ich jetzt schon 40.000 pro Tag<br />

verdiene? Mit solchen Antworten bediene<br />

ich mich weniger der harten<br />

Realität (zur Beruhigung, ich habe<br />

weder die 40.000 noch den Aston<br />

Martin), sondern dem klassischen<br />

Gesprächskiller, aber manchmal<br />

geht’s nicht anders. „Komm doch mal<br />

mit deiner Frau vorbei!“ Dabei weiß<br />

ich, dass sie es nicht möchte. „Bei<br />

unseren Events ist eine wirklich großartige,<br />

freundschaftliche, herzliche<br />

Stimmung. Alle sind immer so gut<br />

drauf!“<br />

Klar, das ist wohl so. Gleichwohl, als<br />

ich letzthin Referent an einer solchen<br />

war, habe ich dann draußen auf dem<br />

Parkdeck durchaus den üblichen<br />

Lästerern zugehorcht. „Die spielt sich<br />

aber auch wieder so etwas von auf!“<br />

usw. Aber drinnen sind wir wieder<br />

Freunde … Vor einiger Zeit kam eine<br />

weitere Person aus meinem Bekanntenkreis<br />

auf die Idee, „Unternehmer“<br />

zu werden. Auf meine Frage, was er<br />

denn beruflich so mache, elaborierte<br />

er ein selbstbewusstes „Ich bin Führungskraft,<br />

Unternehmer in der aufstrebenden<br />

Gesundheitsbranche.<br />

DEM MARKT von morgen“.<br />

Ok, auf ein diskretes Nachfragen nach<br />

dem „Was genau und wo“ hin, erzählte<br />

er mir auch die Geschichte von „Lines“<br />

und „unten“ und „oben“ und ich<br />

solle doch auch mal mitmachen. Er<br />

wäre dann mein Supporter und würde<br />

mich coachen. Aktuell würde er aber<br />

noch selbst gecoacht werden. Von seinem<br />

eigenen Supporter. Der rufe jeden<br />

Morgen an und fragt, was er denn<br />

heute so für Aktivitäten geplant habe<br />

und ob er noch Material brauche oder<br />

ob er mal vorbeikommen könne oder<br />

ob er die Präsentation gleich selbst<br />

halten solle oder er wieder einmal<br />

neues Anschauungsmaterial vorbeibringen<br />

soll.<br />

Gut mache sich immer auch, wenn<br />

man immer wieder das Video von<br />

„dem da ganz oben“ zeige, wie er im<br />

Porsche und feinen Tuch gewandet<br />

durch die Steppen der Süd-USA<br />

cruist. Ok, das war dann mein Part,<br />

ihm über wahres Coaching etwas zu<br />

erzählen. Während dreieinhalb Jahren<br />

habe ich das Fach studiert, abgeschlossen<br />

und freue mich über jedes<br />

Naturtalent, schaue aber auch hin,<br />

wenn sich Menschen nach zwei Wochenend-Events<br />

mit nochmals je 500<br />

Personen dann Coachs nennen. Er<br />

hörte mir aufmerksam zu und meinte<br />

dann, genau solche Leute wie mich<br />

bräuchte die Community, sie seien<br />

alle Freunde und die Stimmung sei<br />

immer sehr herzlich und gäbe eine<br />

enorme Energie.<br />

Irgendwie kam mir das dann bekannt<br />

vor. Aber ich spürte, dass er noch ein<br />

Anfänger war, da wir dann tatsächlich<br />

nach fünf weiteren Minuten wieder<br />

Stefan Häseli<br />

bei unserem Ursprungsdiskussionsthema<br />

unseres Termins waren, er<br />

mich nicht gerade direkt zu einem<br />

Event eingeladen hat, mir nicht die<br />

Basis-Produktepalette mal zu Ausprobieren<br />

mitgab, er mir nicht erklärte,<br />

dass ich, wenn ich es richtig mache,<br />

in zwölf Monaten so ziemlich<br />

steinreich sein konnte. Noch kann<br />

man mit ihm auch über Fußball,<br />

schnelle Autos und Politik reden. Vielleicht<br />

ist es gerade das, was ich an<br />

ihm hoffentlich noch lange sympathisch<br />

finde und ich mir sogar vorstellen<br />

kann, eines Tages bei ihm das<br />

Autopflegemittel zu bestellen. Nein,<br />

nicht für den Aston, aber bei einem<br />

VW Polo fällt Hochglanz so oder so<br />

viel mehr auf. …<br />

Der Schweizer Business-Kabarettist Stefan Häseli ist ausgebildeter<br />

Schauspieler, gefragter Entertainer und Comedian mit jahrelanger<br />

Bühnenerfahrung, der sämtliche Programme selbst schreibt. Dazu<br />

kommen regelmäßige Engagements in Kino-Produktionen, TV-Serien,<br />

Werbespots und Schulungsfilmen. Als Kommunikationsberater begleitete<br />

er während mehrerer Jahre zahlreiche Unternehmen bis in die<br />

höchsten Vorstände von multinationalen Konzernen und dozierte an<br />

Universitäten und Fachhochschulen im Themenfeld Kommunikation.<br />

Er gehört zu den Business Comedians der ersten Stunde, begeistert<br />

sein Publikum mit feinsinnigem Humor und schreibt Bücher, Fachartikel<br />

und Kolumnen. Sein aktuelles Buch „Best Practice Leadershit – Absurde<br />

Wahrheiten aus den Chefetagen“ beleuchtet so manche Absurdität<br />

aus den Chefetagen auf satirische Weise.<br />

www.business-comedy.ch<br />

<strong>03</strong>.<strong>2024</strong>

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