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BRÜSSELER SPITZEN BRÜSSELER SPITZEN Jan Eggert berichtet aus Brüssel und Straßburg © European Union, 2023 EU-ERWEITERUNG ERNEUT OBEN AUF DER AGENDA Immer wieder kommt in den letzten Jahren die Debatte über eine Erweiterung der EU auf. Eine Mitgliedschaft ist für viele Länder eine interessante Perspektive. Häufig stehen wirtschaftliche Erwägungen bei den Beitrittswünschen im Vordergrund. Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine haben geostrategische Überlegungen erheblich an Bedeutung gewonnen. Automatisch löst das Beitrittsthema auch die Frage nach der Handlungsfähigkeit der EU und damit nach Reformen der Union aus. Mit dem diesjährigen Erweiterungspaket ist das Thema nun ganz oben auf die politische Agenda der EU gerückt. 50 Verbändereport 6|2023
BRÜSSELER SPITZEN In diesem Jahr empfiehlt die Kommission den 27 EU-Mitgliedstaaten, Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Ukraine und der Republik Moldau zu starten. In Bezug auf Bosnien und Herzegowina ist die Kommission für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, sobald die Beitrittskriterien ausreichend erfüllt sind. Weiterhin hat sich die Kommission dafür ausgesprochen, Georgien den Beitrittsstatus zuzuerkennen – auch hier mit Bedingungen versehen. Insgesamt deckt der Bericht zehn Länder ab. DETAILLIERTE BEWERTUNG DER FORTSCHRITTE Das Erweiterungspaket 2023 enthält eine detaillierte Bewertung der Fortschritte, die Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, die Türkei und erstmals auch die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien auf ihrem jeweiligen Weg in Richtung Europäische Union erzielt haben. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Umsetzung grundlegender Reformen. Entscheidend sind vor allem die Bereiche Rechtsstaatlichkeit, Justizreform, Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, Sicherheit, Grundrechte, Funktionieren der demokratischen Institutionen und Reform der öffentlichen Verwaltung sowie wirtschaftliche Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings haben bei der Bewertung dieses Mal auch geostrategische Überlegungen eine wesentliche Rolle gespielt. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat der EU-Erweiterung neuen Schwung, aber auch eine neue Orientierung gegeben. Obwohl die meisten Westbalkan-Länder sich seit vielen Jahren um die EU-Mitgliedschaft bewerben und schneller vorankommen wollen, hat die Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine an die erste Stelle gesetzt. Serbien, Montenegro und Nordmazedonien erhielten vor über zehn Jahren den Status eines Beitrittskandidaten als ersten großen Schritt auf dem Weg zum EU-Beitritt. Seitdem stecken sie jedoch – wenn auch nicht immer ganz unverschuldet – in schleppenden Beitrittsverhandlungen fest. Auch der Vorschlag, Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufzunehmen, kam für einige EU-Diplomaten, die auf Rückschritte in Sachen Rechtsstaatlichkeit hinwiesen, überraschend. Bosnien sei der Kandidatenstatus unter der Voraussetzung zuerkannt worden, dass dieses einen Anreiz für Reformen bieten würde. Stattdessen habe man eine Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit und der politischen Lage erlebt. Auch der Vorschlag der Kommission, Georgien trotz der russlandfreundlichen Politik den Kandidatenstatus zu verleihen, löste bei Beobachtern Befremden aus. WESTBALKAN WEITER IM BLICKPUNKT Dennoch verstärkt die EU ihre Bemühungen um die Westbalkan-Länder im Vorfeld des Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember, bei dem über die Erweiterungsvorschläge der Kommission entschieden werden soll. So lud der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Außenminister dieser Länder zu einem Treffen vor dem Gipfel nach Brüssel ein, um über aktuelle Fragen der Außenpolitik zu sprechen. Auch die Staats- und Regierungschefs der Balkanländer werden sich mit ihren EU-Kollegen in Brüssel zur Erörterung der Lage treffen. Aufgrund der Bewertungen des Erweiterungspakets hat von den Westbalkan- Ländern derzeit Montenegro die besten Chancen, zum 28. EU-Mitgliedsland der EU zu werden. In diese Richtung hatte sich auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich bei einem Besuch in Podgorica geäußert. Während Serbien als größtes Land des Westbalkans bei den ökonomischen und administrativen Kriterien besonders gut abschneidet, liegt es bei den Kriterien Demokratie und auswärtige Beziehungen eher zurück und ist wegen seiner zuweilen EU-kritischen Haltung und der Position gegenüber dem Kosovo in der Kritik. EU-ERWEITERUNGSPOLITIK BRAUCHT REFORMEN Allerdings ist auch die Erweiterungspolitik der EU als solche umstritten. Seit einer Reform im Jahre 2020 müssen die Beitrittskandidaten einen umfangreichen Themenkanon, unterteilt in Kapitel, Schritt für Schritt abarbeiten. Im Rahmen dieses Prozesses sind immer wieder Abstimmungen der Mitgliedstaaten in Einstimmigkeit notwendig, um neue Kapitel in Angriff nehmen zu können. Erst wenn alle Kapitel abgearbeitet und erfüllt sind, kann das Kandidatenland Mitglied der EU werden. 6|2023 Verbändereport 51
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