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14<br />

BIEL BIENNE 9. APRIL <strong>2024</strong><br />

CINÉMA<br />

VON<br />

LUDWIG<br />

HERMANN<br />

Woody Allen über die<br />

Bedeutung, die Zufall<br />

und Glück in unserem<br />

Leben haben können.<br />

«Coup de Chance» ist Woody<br />

Allens 50. Film, der erste, den<br />

der 88-Jährige in französischer<br />

Sprache und mit französischen<br />

Darstellern gedreht hat. Warum<br />

Paris und nicht Manhattan als<br />

Handlungsort? «Weil ich mich<br />

während den Dreharbeiten von<br />

‘Midnight in Paris’ in die Stadt<br />

verliebt habe!» Das war 2011.<br />

Meister-Kameramann Vittorio<br />

Storaro, 83, ist in seinem<br />

Element. Im fünften Einsatz<br />

für Woody Allen fängt er die<br />

Schönheit der Seine-Stadt ein<br />

und begleitet mit exquisiten<br />

Bildern den Weg der Protagonisten.<br />

Die heissen Fanny und<br />

Jean, sind ein vielbeneidetes<br />

Ehepaar Mitte dreissig und<br />

wohnen in einer Luxuswohnung<br />

in einem Pariser Nobelquartier.<br />

Beruflich sind Fanny<br />

und Jean erfolgreich, gehören<br />

zur sogenannt besseren Gesellschaft<br />

und sind scheinbar<br />

verliebt wie am ersten Tag.<br />

Mittagspause. «Es gibt<br />

Zufall und Glück im Leben»,<br />

sagt Woody Allen und zeigt in<br />

«Coup de Chance» mit bissigem<br />

Humor, was das für Menschen<br />

wie Fanny (Lou de Laâge) und<br />

Jean (Melvil Poupaud) bedeuten<br />

kann. Ein paar Sekunden<br />

eher oder später, und alles<br />

hätte einen ganz anderen Verlauf<br />

nehmen können: wenn<br />

Fanny auf einem Spaziergang<br />

in der Mittagspause nicht zufällig<br />

einem ehemaligen Schulkameraden<br />

begegnet wäre. Er<br />

heisst Alain (Niels Schneider),<br />

ein unerschrockener Bursche,<br />

Coup de Chance HHH<br />

der sich als Dichter durchs<br />

Leben schlägt und trotz ständiger<br />

Geldnot vor Lebensfreude strotzt.<br />

Fanny verliebt sich Hals<br />

über Kopf. Der einzige Spielverderber<br />

in der aufkeimenden<br />

Romanze: Herr Gemahl, der<br />

– zerfressen von Eifersucht<br />

– hinter jedem Telefonanruf<br />

für Fanny eine Verschwörung<br />

wittert. Er wird einen Detektiv<br />

einstellen (Typ: Blödmann);<br />

Vittorio Storaro wird seine Kamera<br />

im herbstlichen Wald<br />

aufstellen und zeigen, wie dem<br />

Auftragskiller ausgerechnet<br />

ein Reh beim Abschuss im<br />

Wege steht. Es wird zwei Tote<br />

geben. Und als eines der Opfer<br />

spurlos verschwindet, kombiniert<br />

Fannys Mutter Camille<br />

(Valérie Lemercier) als Hobby-<br />

Detektivin: «Da sind bestimmt<br />

Ausserirdische im Spiel!»<br />

Schmunzel-schmunzel.<br />

Wir stecken in Woody Allens<br />

Alltag, wo alles Unmögliche<br />

möglich ist und alles Unerwartete<br />

geschehen kann. «Coup de<br />

Chance»: eine Gesellschafts-<br />

Komödie, ein typischer<br />

«Woody» wie in alten Zeiten,<br />

locker, makaber, frech, gespickt<br />

mit ironischen Dialogen. Ein<br />

Spass, der uns kichern und<br />

schmunzeln lässt und bestens<br />

unterhält – besonders im ersten<br />

Teil. Die zweite, etwas zusammengebastelt<br />

wirkende Hälfte<br />

fällt ein wenig ab. Verdirbt die<br />

Freude aber kaum: Entspannt<br />

verlassen wir das Kino und<br />

wittern Frühlingsluft. n<br />

Woody Allen sur l’importance<br />

que peuvent avoir le hasard et<br />

la chance dans notre vie.<br />

PAR<br />

LUDWIG<br />

HERMANN<br />

«Coup de Chance» est le<br />

50 e film de Woody Allen, le<br />

premier que le réalisateur de<br />

88 ans a tourné en français<br />

et avec des acteurs français.<br />

Pourquoi Paris et non Manhattan<br />

comme lieu d’action?<br />

Darsteller/Distribution: Lou de Laâge,<br />

Melvil Poupaud, Niels Schneider,<br />

Valérie Lemercier<br />

Buch & Regie/Scénario & réalisation:<br />

Woody Allen (2023)<br />

Dauer/Durée: 96 Minuten/96 minutes<br />

Im Kino/Au cinéma: REX 1 (LUNCH’KINO)<br />

Hauptsitz: Postfach, 3074 Muri b. Bern • Büro: Südstrasse 8, 3250 Lyss • Tel.: 032 387 06 76<br />

Woody Allens<br />

Trio (v.l.n.r.):<br />

Niels Schneider,<br />

Melvil Poupaud,<br />

Lou de Laâge.<br />

«Parce que je suis tombé<br />

amoureux de la ville pendant<br />

le tournage de ‘Minuit<br />

à Paris’!» C’était en 2011.<br />

Le maître-cameraman<br />

Vittorio Storaro, 83 ans, est<br />

dans son élément. Dans son 5 e<br />

tournage pour Woody Allen,<br />

il capture la beauté de la ville<br />

de la Seine et accompagne le<br />

parcours des protagonistes<br />

avec des images exquises. Ils<br />

s’appellent Fanny et Jean,<br />

sont un couple de trentenaires<br />

très envié et vivent dans un<br />

appartement de luxe dans un<br />

quartier chic de Paris. Professionnellement,<br />

Fanny et Jean<br />

ont du succès, appartiennent<br />

à la soi-disant bonne société et<br />

sont apparemment amoureux<br />

comme au premier jour.<br />

Pause déjeuner. «Il y<br />

a du hasard et de la chance<br />

dans la vie», dit Woody Allen,<br />

et il montre dans «Coup de<br />

Chance», avec un humour décapant,<br />

ce que cela peut signifier<br />

pour des gens comme Fanny<br />

(Lou de Laâge) et Jean (Melvil<br />

Poupaud). Quelques secondes<br />

plus tôt ou plus tard, tout aurait<br />

pu prendre une autre tournure:<br />

si Fanny n’avait pas rencontré<br />

par hasard un ancien camarade<br />

de classe lors d’une promenade<br />

à la pause de midi. Il s’appelle<br />

Alain (Niels Schneider), un garçon<br />

intrépide qui se débrouille<br />

dans la vie comme poète et qui<br />

déborde de joie de vivre malgré<br />

sa dèche constante.<br />

Le trio de Woody<br />

Allen: Niels Schneider,<br />

Melvil Poupaud,<br />

Lou de Laâge<br />

(de gauche à droite).<br />

Fanny tombe follement<br />

amoureuse. Le seul troublefête<br />

dans cette idylle naissante:<br />

le mari qui, dévoré par<br />

la jalousie, flaire un complot<br />

derrière chaque appel téléphonique<br />

pour Fanny. Il engagera<br />

un détective (type: borné);<br />

Vittorio Storaro plantera sa<br />

caméra dans la forêt automnale<br />

et montrera comment<br />

un chevreuil, justement, fait<br />

obstacle aux tirs d’un tueur à<br />

gages. Il y aura deux morts.<br />

Et quand l’une des victimes<br />

disparaît sans laisser de traces,<br />

la mère de Fanny, Camille<br />

(Valérie Lemercier), combine<br />

en détective amateur: «Il y a<br />

sûrement des extraterrestres<br />

dans le coup!»<br />

Sourire en coin. Nous<br />

sommes plongés dans le quotidien<br />

de Woody Allen, où<br />

tout l’impossible est possible<br />

et où tout l’inattendu peut<br />

arriver. «Coup de Chance»:<br />

une comédie sociale, un<br />

«Woody» typique comme<br />

au bon vieux temps, léger,<br />

macabre, impertinent, truffé<br />

de dialogues ironiques. Un<br />

divertissement qui nous fait<br />

ricaner et sourire et qui nous<br />

divertit au mieux – surtout<br />

dans la première partie. La<br />

deuxième partie, qui semble<br />

un peu bricolée, est un peu<br />

en retrait. Mais cela ne gâche<br />

pas le plaisir: nous quittons le<br />

cinéma détendus en respirant<br />

l’atmosphère printanière. n<br />

Er rettete im Krieg<br />

669 Kinder und<br />

wurde erst<br />

50 Jahre später<br />

zum Helden.<br />

VON MARIO CORTESI<br />

Durch Zufall trifft der<br />

damals 29-jährige englische<br />

Börsenmakler Nick Winton<br />

(Johnny Flynn) bei einem<br />

Besuch in Prag auf jüdische<br />

Familien, die aus Deutschland<br />

und Österreich vor Hitlers Krieg<br />

geflohen sind. Die sich aber<br />

jetzt keinesfalls in Sicherheit<br />

befinden, weil die Nationalsozialisten<br />

1938 vor den Toren der<br />

Tschechoslowakei stehen. Die<br />

Gestrandeten leben in Kälte,<br />

Armut, Verzweiflung und<br />

Angst, haben kein Geld für<br />

eine weitere Flucht. Aus innerer<br />

Überzeugung und voller Mitgefühl<br />

beschliesst Winton, diesen<br />

in überfüllten Flüchtlingslagern<br />

untergebrachten Menschen<br />

zu helfen. Die Kinder<br />

zu retten. Er überwindet bürokratische<br />

Hürden, beschafft<br />

von der britischen Einwanderungsbehörde<br />

Visa, sammelt<br />

Geld und sucht Pflegefamilien<br />

in England. Organisiert<br />

mit Helfern insgesamt acht<br />

Zugfahrten für Kinder, bevor<br />

wenig später Hitlers Armee in<br />

Prag einmarschiert und jede<br />

Ausreise verunmöglicht.<br />

50 Jahre später wird Nick<br />

(jetzt Anthony Hopkins) noch<br />

immer von der Schuld geplagt,<br />

«nur» 669 mehrheitlich jüdische<br />

Kinder vor dem Tod<br />

gerettet und die restlichen<br />

dem Nazi-Terror und den<br />

Konzentrationslagern überlassen<br />

zu haben. Er taucht in<br />

seinem englischen Heim in<br />

die Vergangenheit ein, mitten<br />

in einem Chaos von Akten,<br />

Namenlisten und Fotografien.<br />

Stellt sich immer wieder die<br />

Frage, ob er damals nicht<br />

Anthony Hopkins<br />

spielt den betagten<br />

Kinderretter<br />

Nick Winton.<br />

mehr hätte tun können. Die<br />

entsetzliche Vergangenheit<br />

mit dem Holocaust will ihn<br />

nicht loslassen.<br />

Englischer Schindler.<br />

Der britische TV-Regisseur<br />

James Hawes legt in seinem<br />

ersten Kinospielfilm Wert auf<br />

feine Charakterzeichnungen,<br />

wobei er auch in Nebenrollen<br />

(Lena Olin, Jonathan Pryce,<br />

Marthe Keller, Helena Bonham<br />

Carter) auf erstklassige<br />

Darsteller zurückgriff. Natürlich<br />

steht der wunderbare<br />

86-jährige Anthony Hopkins<br />

im Mittelpunkt. Er gibt einen<br />

kummervollen, störrischen,<br />

aber eigentlich tieftraurigen<br />

«gewöhnlichen Menschen»<br />

(wie sich Winton bescheiden<br />

nennt). Ein unscheinbarer<br />

Bürger, der nie gelobt werden<br />

wollte und erst als 80-Jähriger<br />

durch die Medien plötzlich<br />

und erstmals Beachtung als<br />

«britischer Schindler» fand.<br />

One Life HHH(H)<br />

Aufwühlend. James Hawes<br />

ist in seiner klugen und sorgfältigen<br />

Inszenierung den<br />

Fallstricken von zu grossen<br />

Emotionen oder sentimentalem<br />

Kitsch geschickt ausgewichen.<br />

Er wechselt gekonnt<br />

und im richtigen Moment<br />

von den bewegenden und aufwühlenden<br />

Flüchtlingsbildern<br />

und Szenen der Familientrennungen<br />

im Prager Bahnhof<br />

ins unaufgeregte Altersleben<br />

des Helden. Und deshalb<br />

berührt er auch mehr, als<br />

er – überraschend – in ein<br />

schreckliches wie beglückendes<br />

Finale steigt, bei dem wahrscheinlich<br />

kein Zuschauerauge<br />

trocken bleibt.<br />

n<br />

Darsteller/Distribution: Anthony Hopkins,<br />

Johnny Flynn, Helena Bonham Carter,<br />

Marthe Keller, Lena Olin, Jonathan Pryce.<br />

Regie/Mise en scène: James Hawes (2023)<br />

Länge/Durée:110 Minuten/110 minutes<br />

Im Kino/Au cinéma: LIDO 1<br />

Il a sauvé 669 enfants pendant la guerre et<br />

n’est devenu un héros que 50 ans plus tard.<br />

PAR MARIO CORTESI<br />

C’est par hasard que Nick<br />

Winton (Johnny Flynn), un<br />

agent de change anglais alors<br />

âgé de 29 ans, rencontre,<br />

lors d’une visite à Prague,<br />

des familles juives qui ont<br />

fui l’Allemagne et l’Autriche<br />

pour échapper à la guerre<br />

lancée par Hitler. Mais elles<br />

ne sont plus en sécurité, car<br />

les nazis sont aux portes de la<br />

Tchécoslovaquie en 1938. Les<br />

réfugiés vivent dans le froid,<br />

la pauvreté, le désespoir et la<br />

peur, et n’ont pas les moyens<br />

d’une nouvelle fuite. Par<br />

conviction et par compassion,<br />

Nick Winton décide<br />

d’aider ces gens hébergés<br />

dans des camps surpeuplés.<br />

De sauver les enfants. Il surmonte<br />

les obstacles bureau-<br />

Anthony Hopkins<br />

incarne Nick Winton<br />

à 80 ans, le sauveur<br />

d’enfants juifs.<br />

cratiques, obtient des visas<br />

des services britanniques de<br />

l’immigration, collecte des<br />

fonds et cherche des familles<br />

d’accueil en Angleterre. Avec<br />

des aides, il organise au total<br />

huit voyages en train pour<br />

les enfants, avant que les<br />

forces hitlériennes n’envahissent<br />

Prague peu après,<br />

rendant impossible toute<br />

sortie du territoire.<br />

Cinquante ans plus tard,<br />

Nick (aujourd’hui Anthony<br />

Hopkins) est toujours rongé<br />

par la culpabilité de n’avoir<br />

sauvé de la mort «que»<br />

669 enfants, juifs pour la<br />

plupart, et d’avoir abandonné<br />

les autres à la terreur<br />

nazie et aux camps de<br />

concentration. Il se plonge<br />

dans le passé dans son foyer<br />

anglais, au milieu d’un chaos<br />

de dossiers, de listes de<br />

noms et de photographies.<br />

Se demande sans cesse s’il<br />

n’aurait pas pu faire mieux<br />

à l’époque. L’horrible passé<br />

avec l’Holocauste le hante.<br />

Schindler britannique.<br />

Pour son premier longmétrage<br />

au cinéma, le<br />

réalisateur de télévision<br />

britannique James Hawes<br />

accorde une grande importance<br />

à la finesse des traits de<br />

caractère, en faisant appel à<br />

des acteurs de premier ordre,<br />

même dans les rôles secondaires<br />

(Lena Olin, Jonathan<br />

Pryce, Marthe Keller, Helena<br />

Bonham Carter).<br />

Le merveilleux Anthony<br />

Hopkins, 86 ans, est bien<br />

sûr au centre de l’attention.<br />

Il incarne un «homme ordinaire»<br />

(comme se désigne<br />

modestement Winton), chagrin,<br />

entêté, mais en fait profondément<br />

triste. Un citoyen<br />

discret qui n’a jamais voulu<br />

être à l’honneur et qui, à 80 ans<br />

seulement, a été soudainement<br />

et pour la première fois remarqué<br />

par les médias comme le<br />

«Schindler britannique».<br />

Bouleversant. Dans sa<br />

mise en scène intelligente et<br />

soignée, James Hawes a su<br />

éviter habilement les pièges<br />

d’une trop grande émotion<br />

ou d’un kitsch sentimental.<br />

Il passe habilement et au<br />

bon moment des images<br />

émouvantes et bouleversantes<br />

des réfugiés et des<br />

scènes de séparation familiale<br />

dans la gare de Prague<br />

à la vieillesse sans histoires<br />

du héros. Voilà pourquoi il<br />

touche davantage lorsqu’il<br />

s’élève – de manière surprenante<br />

– vers un final à la<br />

fois terrible et réjouissant,<br />

lors duquel aucun œil de<br />

spectateur ne restera probablement<br />

sec. n<br />

Biel Bienne-Bewertung / Cote de Biel Bienne: HHHH ausgezeichnet / excellent HHH sehr gut / très bon HH gut / bon H Durchschnitt / médiocre – verfehlt / nul

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