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mo. 04.02.2013 - Rondo

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Club Concert<br />

Rock kommt von Barock<br />

Ob im berliner radialsystem, im berghain, im frankfurter Cocoon oder im baSf-Gesellschaftshaus in<br />

Ludwigshafen: klassik ist längst nicht mehr nur auf den konzertsaal beschränkt. In den Clubs der bundesrepublik<br />

ertönen immer öfter Geigen und flügel bei kochender at<strong>mo</strong>sphäre, während sich bekannte<br />

Szene-DJs dazugesellen und klassische Werke der Musikgeschichte neu interpretieren. Ist das gezwungen<br />

oder cool? eine Pr-Strategie oder eine wirklich neue klangerfahrung, die sich lohnt? rOnDO-autor<br />

tomasz kurianowicz hat sich dem Selbstversuch unterzogen.<br />

es ist schwül, es ist stickig und es wäre unerträglich,<br />

wenn nicht das bier in der Hand aus dem eisfach<br />

käme. für gewöhnlich ist das Watergate einer<br />

der am meisten angesagten elektro-Clubs in berlin,<br />

der Partymetropole der bundesrepublik, wo sich<br />

touristen und einheimische abend für abend in<br />

die besinnungslosigkeit tanzen. Die bekanntesten<br />

DJs der Welt treten hier auf und bringen das feiervolk<br />

zum Schwitzen. Der Schweiß steht dem Publikum<br />

auch heute auf der Stirn, doch diesmal nicht<br />

wegen der elektro-beats und der schnellen Synthesizer-rhythmen,<br />

sondern wegen drei heißblütiger<br />

Spanier, die den Saal mit hinreißender Gambenmusik<br />

zum kochen bringen. ungewöhnlich,<br />

aber wahr: Die Gambenspieler fahmi und rami<br />

alqhai und der barockgitarrist enrique Solinis haben<br />

mindestens soviel Volt in den fingern wie ein<br />

ausgewachsener Lautsprecher im Club.<br />

›klassiklounge‹ heißt das konzept, das vom rbbkulturradio<br />

organisiert wird und jungen Leuten<br />

einen erfrischenden einblick in die klassik-Welt<br />

bieten soll. Spätestens seit der 2001 gegründeten<br />

Yellow Lounge des Labels universal ist das Prinzip<br />

bekannt. auch andere Veranstalter wie das radialsystem<br />

ziehen nach und experimentieren an der<br />

Grenze zwischen digitaler und analoger Musik.<br />

Doch geht das konzept auch wirklich auf? Die<br />

erfahrung zeigt: Die vielen Cross-Over-Projekte,<br />

die sich im letzten Jahrzehnt in berliner Clubs etabliert<br />

haben, aber auch in der Provinz wie im baSf-<br />

Gesellschaftshaus in Ludwigshafen (wo beim Jetztmusikfestival<br />

DJ Stefan Goldmann auf das Casal<br />

Quartett traf), müssen nicht gelingen, sie können<br />

durchaus auch krampfhaftes und Prätentiöses an<br />

18 RONDO 3/2012<br />

sich haben. Die Veranstalter künden meistens revolutionäre<br />

klangexperimente an, wobei sich die<br />

abende nicht selten als gewöhnliche klassik-konzerte<br />

im ungewöhnlichen ambiente entpuppen.<br />

Die betagten konzertgänger bekommen auf diese<br />

Weise die Gelegenheit, die bekanntesten Clubs aus<br />

der »Yellow Press« kennenzulernen, ohne sich mit<br />

grimmigen türstehern herumschlagen zu müssen.<br />

So lautet jedenfalls das Vorurteil.<br />

Heute aber werden wir eines besseren belehrt:<br />

Zwar ist es im schwülen Watergate für die historischen<br />

barock-Instrumente viel zu heiß – die<br />

Gamben wollen nicht so richtig stimmen und die<br />

barockgitarre kann sich gegen den schalen raumklang<br />

nicht vollständig durchsetzen. Wenn man<br />

aber auf die Gesichter im Publikum schaut, sieht<br />

man, dass sich der einsatz gelohnt hat: es sind vor<br />

allem junge Menschen da, lässig gekleidet und neugierig<br />

schauend, die in den Club ausnahmsweise<br />

nicht zum tanzen gekommen sind, sondern um<br />

eine ungewohnte musikalische erfahrung zu machen.<br />

Die Stimmung ist entspannt: Während im<br />

raum antonio de Cabezóns »Diferencias sobre<br />

guárdame las vacas« ertönt – ein spritziges Stück,<br />

dem man sein 500-jähriges alter wahrlich nicht<br />

anmerkt –, schaut ein Pärchen auf dem clubeigenen<br />

Steg über der Spree in einen goldgelben Sonnenuntergang.<br />

Man kann sich sicher sein: Die beiden<br />

werden wiederkommen.<br />

Die Spanier spielen sich derweil in rage und legen<br />

einige Schmankerl nach, die zu verstehen geben,<br />

dass Musik – ob nun aus dem tiefreligiösen<br />

Mittelalter oder aus der säkularen Moderne – nicht<br />

nur der intellektuellen bereicherung dienen kann,<br />

Experimentierstuben: Klassik trifft Club-Beats im<br />

»Radialsystem« (l) oder im »Watergate« (r) in Berlin.<br />

Zwei Gamben und Flamenco-Gitarre: Die Brüder<br />

Fahmi und Rami Alqhai mit Enrique Solinis (m).<br />

sondern ganz profan der unterhaltung. Schon allein<br />

diese verbindende erkenntnis rechtfertigt das<br />

konzept. Man weiß gar nicht, was revolutionärer<br />

daherkommt : die spanischen Gambenstücke aus<br />

dem barock oder der Jimmy-Hendrix-Song »Voodoo<br />

Child«, der jetzt in irrsinnig schnellem tempo<br />

in einer Interpretation für Gamben und Gitarre<br />

durch den Saal hallt. Sicher ist nur, dass DJ Gagarino,<br />

der nach den ba/rockmusikern mit regulärem<br />

Club-Programm auftritt, es ziemlich schwer<br />

haben wird, die eingeheizte Stimmung noch zu<br />

übertreffen.<br />

Termine:<br />

rbb kulturradio Klassik-Lounge<br />

(im Watergate-Club, berlin)<br />

06.09. – kuss Quartett<br />

08.10. – Sonic arts Saxophon Quartett<br />

05.11. – kuss Quartett<br />

fiaccavento

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