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mo. 04.02.2013 - Rondo

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Musikstädte (49): Aix-en-Provence<br />

Abschied vom Festspiel-Zirkus<br />

Warum überhaupt noch Oper? Ist doch hier die ganze Stadt eine Bühne, die sich selbst inszeniert und mit<br />

den wunderlichsten Statisten bevölkert. Matthias Siehler porträtiert für die RONDO-Sommerausgabe die<br />

südfranzösische Stadt – zur Festspielzeit.<br />

Ouvertüre: die Hungrigen, die in den überteuerten Restaurants am Cours<br />

Mirabeau das Besteck recken und unter Platanen die Blickauswahl auf gleich<br />

drei <strong>mo</strong>osbegrünte, immer feucht glänzende Brunnen haben. Wenn sie nicht<br />

gleich das ewig gischtende Finalcrescendo der Fontaine an der Place de la Rotonde<br />

bevorzugen.<br />

Erster Akt: die salonartige Place d’Albertas mit ihren sonnenbleichen, sich<br />

wie Papier kräuselnden Sandsteinfassaden und dem schiefen Brunnenbecken.<br />

Intermezzo: die Bar mit dem pastell-farben türkisen (Plastik-)Gestühl,<br />

die sich »Zauberflöte« nennt und wo man so schön dem Orgelschall aus der<br />

Kathedrale St. Sauveur lauschen kann.<br />

Zweiter Akt: das Markttreiben unter schattigen Bäumen, dessen Gemüse-<br />

Überreste kurze Zeit später, wenn alles wieder leer und still ist, auf dem zischenden<br />

Wasserstrahl der Stadtreinigung davonschwimmen. Pause: das<br />

Platzkonzert der neun Dudelsackbläser und Schlagzeuger mit Mütze und<br />

Kilt, die den Kampfnamen Scottish Power Pipe Band tragen, vor dem Hôtel<br />

de Ville und zur Freude der Touristen. Sogar Pierre Boulez und Ex-Intendant<br />

Stéphane Lissner mit dem obligatorischen kleinen Zigarillo im Mundwinkel<br />

stehen ein wenig abseits daneben.<br />

32 RONDO 3/2012<br />

Dritter Akt: das Antänzeln der feingemachten Festspielgäste – sei es auf den<br />

abgelatschten Steinplatten vor dem Court d’Archevêché, dem hässlichen Treppenloch<br />

des <strong>mo</strong>dernistischen Grand Théâtre de Provence oder vor dem kleinen<br />

Eingang der sanierten Rokoko-Bonbonnière Jeu de Paume.<br />

Vierter Akt: leises Lachen in der Nacht, vor einem der jetzt nur noch leeren<br />

Bistros. Hat da nicht eben ein steinerner Atlant zurückgegrinst?<br />

Selten, nicht einmal in Salzburg oder Bayreuth, vibriert ein Ort ähnlich<br />

in Festival-Vorfreude, wie die uralte, traditionssatte, in der Erinnerung (und<br />

auch meist in der Realität) von einer sanften Lichtaureole umfangene Provence-Metropole<br />

im Schatten der Montagne Sainte-Victoire – die vom berühmtesten<br />

Aixois, Paul Cézanne, ein Leben lang gemalt wurde. Eine feine,<br />

eine elegante, eine liebenswürdige Stadt. Die ihren Jahreshöhepunkt erlebt,<br />

wenn Anfang Juli tout Paris de Culture – und viele erwartungsgespannte Gäste<br />

aus der ganzen Musikwelt – einfallen, um die Sommerferien und den Festivalreigen<br />

im Midi zu starten. Radiofest in Montpellier, das größte Theaterfestival<br />

der Welt in Avignon, die großen Foto-Feiern von Arles, Oper im<br />

Römertheater von Orange oder der antiken Arena von Nîmes – was für ein<br />

gesegnetes Kulturland, wenigstens im Sommer.

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